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Bilder von der englischen Landstraße.

1.

Bis jetzt ist England weit mehr noch als Deutschland das Land der Eisenbahnen. Zu sagen, daß es in England kaum ein Dorf gibt, von welchem man nicht zu einem andern mit der Eisenbahn reisen könnte, ist noch gar nichts, wenn man bedenkt, daß es in London kaum ein Haus gibt, aus welchem man zu irgendeinem andern nicht auf der Eisenbahn gelangen könnte, sei es mit der, welche unter den Grundmauern der Häuser, oder mit der, welche über den Dächern derselben hinläuft. Es ist deswegen auch kein leichtes Stück, das eigentümliche Leben der englischen Landstraße zu schildern; die Schwierigkeit ist nämlich, eine Landstraße zu finden, die von der Schienenstraße noch nicht verdrängt worden ist. Wo sich indessen eine solche erhalten hat, da kann man sicher sein, Bilder und Gestalten zu erblicken, welche aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen scheinen und uns mit sich direct in jene Zeit zurückversetzen. Nun gibt es einige Gegenden in England, wo die Landstraße niemals aufhören wird: diejenigen, in welchen es unmöglich ist, eine Eisenbahn zu bauen. Obenan, durch ihren romantischen Zauber, steht unter diesen eisenbahnlosen Gegenden der sogenannte »District der englischen Seen« hoch im Norden, fast an der schottischen Grenze, in Westmoreland und Cumberland. Hier thürmen sich die Berge ringsum gleich einem Festungswall, und ihre wild zerrissenen Abgründe wehren dem Dampfroß den Eingang, ihm höchstens erlaubend, die Fremden, die es bringt, an der Grenze abzusetzen. Innerhalb derselben hat der Reisende dann die gute, alte, englische Landstraße zu seiner Verfügung, und dahin bitte ich den geehrten Leser mir zu folgen, um ihm ihre ganze Herrlichkeit zu zeigen.

Dasjenige von den englischen Seen, was mich schon beschäftigt hatte, bevor ich dieselben gesehen, waren ihre Namen, die ich zuweilen an den Wänden von Bahnhöfen, öfter noch in meinem »Bradshaw« (dem englischen Cursbuch par excellence) gelesen. Einige von den Seen, es ist wahr, werden einfach als »Wasser« bezeichnet, wie z. B. »Conniston Water«, der erste der Seen, den wir von Süden kommend erreichen; aber bei weitem die Mehrzahl ihrer Namen wird durch eine Zusammensetzung mit » mere« gebildet, wie Windermere, Grasmere, Buttermere u. s. w. Nun, dieses » mere« ist nichts anderes als unser deutsches »Meer«, von welchem wir uns immer gewundert haben, daß es aus der Sprache derjenigen unserer Stammesverwandten verschwunden sein sollte, die demselben und allem, was mit ihm zusammenhängt, am meisten zugethan sind. Aber die Wahrheit ist, daß die Engländer in ihrer Bezeichnung des Meeres, was wir so nennen, viel deutscher geblieben sind als wir Deutschen selber, indem unsere alten Gedichte, wie z. B. die »Gudrun«, immer nur von der »See« sprechen. Wir kennen zwei Arten von Seen: die See, die große See, das Weltmeer, und den See, den Land- und Binnensee – unsere deutschen Schiffer nennen noch heute das Mittelländische Meer » den Mittelsee«. Der Engländer kennt nur die eine See, welche die Inseln und die Welt umspült; das Wort »Meer« hat er entweder nie gehabt oder er hat es verloren, außer in diesem abgeschiedenen District der Seen, wo es aber, dem deutschen Sprachgebrauch zuwider, einen Landsee bezeichnet.

Mit Conniston Water eröffnet sich das Panorama dieser Seen, wenn man, wie bereits gesagt, aus der Richtung von Süden kommt. Das ist das letzte Stück Eisenbahn von dieser Seite, und ein wildes Stück Eisenbahn ist es, dem Gebirge, welches sich immer kühner hier aufthürmt, mit unsäglichen Schwierigkeiten abgerungen. Die Fahrt von Furneß-Abtei, der letzten Station, ist ein fortwährendes Gepolter über Brücken und Schluchten, begleitet von einem donnerartigen Widerhall aus den Schlünden und Gründen der sich hier eröffnenden Bergwelt, bis der Zug plötzlich dicht vor der Kante des Sees anhält. Hier haben wir den ersten Blick ins Seenland, den ersten schmalen Streifen Wassers, der, durch eine Baumvista gesehen, wie aus einer Schale grünbewachsenen Steingebirges heraufschimmert. Conniston Water ist von einer bescheidenen Schönheit und in keiner Weise so reich mit Reizen ausgestattet wie seine bevorzugtern Nachbarn; indessen gewährt der See mit seinem stillen tiefen Blau in der schweigenden Umgebung seiner Hügelketten ein anziehendes Bild, wenn man es vom Wirthshaus betrachtet, welches nicht weit von der Station, auf einer Landzunge in das Wasser hinausgebaut und von einem Garten voll heller lachender Farben umgeben ist.

Unter dem steinernen Portal stand Madame Atkinson, die Wirthin, und Fräulein Atkinson, die Wirthstochter; erstere rund, wohlgenährt, mit ziegelrothen Wangen, letztere schlank, zierlich und blond. Diese Formen- und Farbenscala ist dem Geschlecht der Wirthinnen von Großbritannien eigenthümlich. Von Wirthen ist daselbst nicht die Rede. Ich glaube wol, daß es solche Personen wie Wirthe daselbst geben muß, aber man sieht sie nicht. Der Wirth in einem englischen Landwirthshause bekümmert sich um alles, nur nicht um die Gäste; er pflegt ein rüstiger Sportsman zu sein, ein Angler und Pferdeliebhaber, aber die Sorgen der Wirtschaft überläßt er den Frauen. Die einzigen Orte, wo man seiner vielleicht einmal ansichtig werden kann, ist die Trinkstube seines Etablissements, wo er die Miene eines Gastes, oder der Stall, wo er diejenige eines Connoisseurs annimmt. Ueberhaupt ist das Leben in solch einem englischen Landwirthshause – dem, was man ein » Country Inn« nennt – ein ganz absonderliches, altfränkisches und gemütliches. In diesen entlegenen Winkeln und Ecken von England hat sich noch ein gut Stück der alten Zeit erhalten, sowol im Reisen selber als auch in den Wirtshäusern. Es ist eine Behaglichkeit um sie ausgebreitet und ein Anflug von solidem Humor, der einem das Herz ordentlich erquickt nach der nüchternen Hotelprosa mit ihren langen Vatermördern und noch längern Rechnungen. Auch pflegen die Wirtshäuser hier noch ihre Schilder zu haben, fein säuberlich bemalt mit diesem oder jenem schönen Bilde, zuweilen wol auch versehen mit einem gar feinen und gottesfürchtigen Spruch, wie z. B. dem folgenden, welchen ich auf irgendeinem Schild in dieser Gegend gesehen habe:

O Menschenkind, das du da lebst von Brot,
Was färbte deine Nase dir so roth?
Du dummer Esel, komm und greif zum Glase,
Es kriegt kein Mensch umsonst 'ne rothe Nase

Aber um wieder auf Madame und Fräulein Atkinson zu kommen, so standen beide unter der Thür, während vor derselben Pferde, Kutschen und Kutscher in großer Menge standen. Denke man sich unter diesen Kutschern keine gewöhnlichen Menschenkinder wie bei uns! In jenen Gebirgsgegenden von England, wo die Eisenbahn die Kutsche, die altehrwürdige » coach« nicht zu verdrängen im Stande war, da ist auch den Lenkern derselben noch etwas von der Glorie jener »Kutschentage von Altengland« geblieben, wo unzufriedene Pfarrvicare, Offiziere auf halbem Sold und misrathene jüngere Söhne sich »auf die Chaussee begaben«, wie es im Ausdruck jener Zeit lautete, d. h. Kutscher wurden, dabei aber nicht aufhörten, »Gentlemen« zu sein und » gentlemen of the whip« (Herren von der Peitsche) hießen im Gegensatz zu etwelchen andern Herren, welche auch auf der Chaussee lagen, » gentlemen of the high road«, auch » captains« hießen und, in den Sprachgebrauch unserer Tage übersetzt, Räuber waren. Die Straßenräuberei war damals ein ganz allgemeines Hülfsmittel für » gentlemen in distress« oder » under a cloud«, d. h. für anständige Leute, welche zu Hause Frau und Kinder und nichts für dieselben zu essen hatten, wie z. B. mit dem Straßenräuber der Fall war, welcher in Fielding's Roman unsern Freund Tom Jones und seinen Kumpan, den Schulmeister Partridge, »innerhalb einer Meile von Highgate« attakirte.

Dieser »Mann von der Landstraße« war noch ein Novize in seinem Gewerbe und seine Pistole war – ungeladen. Unter Weinen und flehentlicher Bitte um Gnade gestand er, nachdem Jones ihn zu Boden geworfen, daß er zu diesem Schritt durch Noth getrieben, »der größten in der That, welche man sich denken könne, indem er zu Hause fünf hungernde Kinder und ein Weib habe, welches eben mit dem sechsten in die Wochen gekommen sei«. Der edelmüthige Jones schenkte seinem besiegten Feinde das Leben, das ungeladene Pistol und ein paar Goldstücke obendrein, wodurch der arme Sünder so gerührt wurde, daß er sich noch im Verlauf des Romans und vor den Augen des Lesers bessert. Leute, welche es ernsthafter mit ihrem Beruf meinten, luden dagegen ihre Pistolen scharf und legten sich damit, sobald es dunkel geworden, auf eine der einsamen hügeligen Heiden, über welche der Weg nach London hereinführt. Besonders beliebt zu diesem Zweck waren die Heiden von Hounslow und Blackheath, die Hügel von Highgate und Primrose. Denn obgleich die Straßenräuberei in allen Theilen des Königreichs florirte, so war sie doch aus augenfälligen Gründen in einem Umkreise von 30 Meilen um London am reifsten. Hier nun lag der Gentleman bei Nacht und Nebel im Hinterhalt, bis das schwere Rad einer Kutsche oder der Hufschlag eines Pferdes sich hören ließ, worauf er den von der Dunkelheit überfallenen Reisenden den Weg vertrat und, wenn sie nicht besser bewaffnet waren als er, sie mit vorgehaltener Pistole zum Stillstehen zwang.

Der geistreiche Horace Walpole, welcher kaum eine Stunde weit von London in seinem Landschloß von Strawberry Hill wohnte, schrieb noch um das Jahr 1782 in einem Brief an den Grafen von Strafford, daß er sich nach Sonnenuntergang nicht zwanzig Minuten weit von seinem Haus entfernen könne ohne einen oder zwei mit Blunderbüchsen bewaffnete Bedienten. Man hatte sich an diesen Krieg auf der Landstraße so sehr gewöhnt, daß man ihn auf beiden Seiten zu einer Art von Kunst ausbildete; und so wie es berühmte Straßenräuber gab, fehlte es unter den großen Herren der Zeit auch nicht an solchen, die sich durch ihre Manier, mit denselben fertig zu werden, einen Namen gemacht hatten. Zu diesen gehörte der Graf Berkeley, von welchem Lord Mahon (Earl Stanhope) in seiner »Geschichte von England« folgende ergötzliche Anekdote mittheilt. Eines Tages – so lautet die Erzählung – ward der Graf, welcher nach Eintritt der Dunkelheit über die Heide von Hounslow fuhr, aus seinem Schlummer aufgeweckt durch ein fremdes Gesicht an seinem Wagenfenster und ein geladenes Pistol auf seiner Brust. »Da hab' ich Euch endlich, Mylord«, sagte der Angreifer, »nachdem Ihr lange geprahlt, wie ich höre, daß Ihr Euch niemals würdet plündern lassen!« – »Ich würde es auch jetzt nicht«, versetzte der Lord, indem er seine Hand in die Tasche steckte, als ob er die Börse herausziehen wollte, »wenn der verfluchte Kerl nicht wäre, der Euch über die Schulter sieht.« – Hastig wandte der Straßenräuber sich ab, um den vermeintlichen Zweiten zu sehen, der ihm vielleicht seine Beute streitig machen könnte; doch in diesem Augenblick zog der Graf statt der Börse sein Pistol und – weniger großmüthig als Tom Jones im Roman – schoß er seinen Gegner auf dem Flecke todt.

Alles dies wurde mit der größten Gemüthlichkeit ausgeführt und die Zeitungen jener Tage referirten darüber in einem ähnlichen, ganz geschäftsmäßigen Tone: »Am letzten Samstag Abend«, sagt das »St. James's Chronicle« von 1762, »wurde Mr. Tims, der Baumeister von Edgeware, von einem gutgekleideten Straßenräuber aus Dollars-Hill, nahe bei dem sechsten Meilenstein auf dem Edgeware-Road, angefallen und seiner Uhr und seines Geldes beraubt.« Oder: »Am Sonnabend wurden drei Postkutschen diesseit Dartford von drei Wegelagerern, welche mit Pistolen bewaffnet waren und Peitschen in der Hand hatten, angehalten und um eine beträchtliche Summe Geldes beraubt. Dieselben drei Männer wurden später auf Blackheath gesehen, wo sie nach London zu ritten.«

Die Regel war es nicht, daß die »Männer von der Landstraße« sich auf diese Weise »associirten« und in Gesellschaft »arbeiteten«; sie betrieben ihr Gewerbe meistens jeder für sich, »auf eigene Rechnung und Gefahr«.

Mancher Leser dürfte hier vielleicht die Frage aufwerfen, wie es möglich gewesen, daß ein einziges Pistol solche Thaten der Tapferkeit verrichten konnte? Nun, diesen Zweifel beseitigt schon unser obengenannter Freund, der Schulmeister Patridge, welcher sich während des Faustkampfes seines Herrn Tom Jones mit dem schwachherzigen Straßenräuber in einem Graben versteckt hatte, aus welchem er nach Beendigung des Kampfes und vollständig hergestellter Sicherheit wieder zum Vorschein kommend, sich über die Unzuverlässigkeit von Feuerwaffen also aussprach: »Eintausend nackte Männer sind nichts gegen ein Pistol! Denn obgleich es richtig ist, daß es mit einem Schuß nur Einen tödten wird, so kann doch niemand sagen, ob dieser Eine nicht er selber sein mag.«

Allein nicht blos für ehrliche Leute, welche Frau und Kinder hatten, war der » road«, das letzte Mittel, um Brot zu schaffen; auch vornehme junge Leute, » the bloods« (das Blut), d. h. die aristokratischen Taugenichtse, welche bei »Whites« in London ihr Vermögen verwürfelt oder verwettet hatten, bedienten sich desselben, um wieder zu Gelde zu kommen, und machten den Straßenraub in einer gewissen Periode des vorigen Jahrhunderts zu einem sehr fashionablen Erwerbszweig. Sie gaben demselben die Perfection der bessern Geburt und feinern Erziehung, welche außerhalb des engen Gesichtskreises der Leute von niedrigerm Rang gelegen; und unter seinen Händen vertauschte er seinen ursprünglichen Charakter des Handwerks mit jenem der »freien« Kunst, zu deren Ausübung ein großer Theil von Anstand, Galanterie und Generosität erforderlich war. Aus dieser Klasse stammten die »Kapitäns«, deren ritterliche Abenteuer und edelmüthige Thaten die Schriftsteller jener Tage mit einem solchen Enthusiasmus für Mord und Todschlag inspirirten. Einzelne von ihnen, z. B. ein gewisser Defoe, ein leiblicher Enkel des Robinson Crusoe-Dichters, brachten es zu einem hohen Grade von Popularität, und sie mit aller Grazie ihren tugendhaften Lebenswandel am Galgen von Tyburn beschließen zu sehen, war eine Volksbelustigung, zu welcher man sich lange im voraus Plätze miethete wie zu einem Hahnenkampf oder Preisboxen. Der Biograph Oliver Goldsmith's, Mr. John Forster, erzählt in dieser Beziehung, daß zu jener Zeit kaum ein Montag kam, der nicht ein »schwarzer Montag« für Newgate (das Criminalgefängniß von London) gewesen sei. Eine Hinrichtung fand so regelmäßig statt als irgendein anderes wöchentliches Schauspiel; und wenn es sich ereignete, daß ein furchtbarer ( shocking) Anblick von 15 Verurteilten, die hingerichtet werden sollten, angekündigt ward, so war das Interesse natürlich um so größer. George Selwyn, einer der berühmtesten Schöngeister jener Zeit, verbrachte ebenso viel Zeit in Tyburn (wo der Galgen stand), als in dem fashionablen Club bei Whites; und Boswell, der Biograph Johnson's, hatte einen Anzug von »Hinrichtungs-Schwarz«, um in der Nähe des Schaffots mit Anstand erscheinen zu können. Ja man hatte sogar einen, eigenen terminus technicus für diese Gattung von Delinquenten, es hieß nämlich, sie würden »gehängt für die Landstraße«. Eine große Berühmtheit in dieser Linie scheint »der fliegende Heerstraßenmann« gewesen zu sein, dessen die alte Zeitung, aus welcher ich schon einmal Citate genommen, das »St. James's Chronicle« von 1762, des öftern und jedesmal mit besonderer Reverenz Erwähnung thut. »Vor einigen Tagen«, heißt es darin an einer Stelle, »beraubte der ›fliegende Heerstraßenmann‹, bekannt unter dem Namen Campbell, den Postillon eines Gentleman in Colebrook und nahm ihm 1 Guinee 3 Schillinge und etwa 6 Pence in Kupfer. Er fragte den Burschen, wie weit er noch zu fahren habe, und bekam die Antwort: ›Noch sehr weit und habe an drei Schlagbäumen zu bezahlen‹, worauf der Räuber ihm das Silber und Kupfer zurückgab mit den Worten: ›Wenn du nach Hause kommst, so kannst du erzählen, daß der »fliegende Heerstraßenmann« nicht gefangen ist, wie aus London gemeldet worden; und als einen Beweis dafür magst du anführen, daß du ihm diesen Abend begegnet bist‹– und dann sagte er dem Burschen Adieu.«

Der von »Kapitän« Campbell erwähnte falsche Bericht entstand, wie uns diese alte Zeitung ein paar Blätter weiter berichtet (solche Räubergeschichten sind ihr Hauptthema!) aus der Ergreifung eines andern »Kapitäns«, Namens Walter oder Samuel oder Norris (er führte alle drei Namen abwechselnd), welcher, nachdem er in Bourgoyne's leichter Reiterei gedient, sich für die Chaussee als eine einträglichere Art des Gelderwerbs entschied. Gleich den meisten seiner Kameraden hatte er »seine volle Bezahlung in Tyburn zuletzt«, und seine Erscheinung am Fuße des »Baums« wird als »diejenige eines gut aussehenden jungen Mannes mit einem ehrlichen Gesicht« von demselben Blatte geschildert.

Woher nun, so wird der deutsche Leser fragen, nicht sowol dieser Zustand einer grenzenlosen Unsicherheit, als vielmehr die Popularität der Räuber in England? Es ist dies ein Zug, der tief begründet ist in dem englischen Nationalcharakter; und Henri Taine, in seiner »Geschichte der englischen Literatur«, macht auf diesen Zug aufmerksam, indem er an Robin Hood erinnert, den König der Wälder, der noch heut im Volkslied und Volksspiel fortlebt, und aus einem spätern Zeitalter (15. Jahrhundert) den Kanzler Sir John Fortescue citirt, welcher sich folgendermaßen vernehmen läßt: »Es ist Feigheit und Mangel an Herz und Courage, nicht Armuth, welche den Franzosen davon abhält, sich zu erheben. Kein Franzose hat den Muth eines Engländers. Es ist oft in England gesehen worden, daß drei oder vier Diebe sich aus Armuth auf acht ehrbare Leute geworfen und alle beraubt haben; aber es ist in Frankreich niemals gesehen worden, daß sieben oder acht Diebe Muth genug gehabt hätten, um sich auf drei oder vier ehrbare Leute zu werfen, weswegen es sehr selten ist, daß Franzosen wegen Straßenraubs gehängt werden, weil sie nicht Herz genug haben, um eine so furchtbare That zu begehen.« Mit einer Art von Schadenfreude fügt dann der biedere Kanzler hinzu, daß aus all den obengenannten Gründen in England während eines Jahres mehr Räuber gehängt würden als in Frankreich in sieben Jahren; ja, die nationale Meinung von der Superiorität der englischen Räuber war noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts so unbestritten, daß wir in den Briefen, welche der bekannte Karl Philipp Moriz aus England an den Oberconsistorialrath Gedike in Berlin (1785) schrieb, folgende Stelle lesen: »Darauf fing er (ein Mitpassagier im Wagen) an, die Ehre der englischen Straßenräuberei gegen die französische zu retten: diese raubten doch nur, sagte er, aber jene mordeten zugleich.« Ein vornehmer und gelehrter französischer Reisender, Mr. Pierre Jean Grosley, Mitglied der französischen Akademie und der londoner Royal Society, welcher im Jahre 1765 England besuchte, machte die Fahrt von Dover nach London an einem Sonntag. Wegen der an diesem Tage herrschenden Sabbatruhe fand er unterwegs nichts zu essen; »aber«, so tröstet der Reisende sich, »auch keinen gentleman of the road, keinen Straßenräuber, die sonst auf dieser Strecke ganz besonders häufig sind«, woraus hervorgeht, daß diese Herren außer ihren andern Tugenden auch die der Religiosität besaßen: sie feierten am Sonntag. Wenn dem französischen Akademiker aus diesem Grunde das Vergnügen entging, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, so sollte er wenigstens einige Exemplare von ihnen sehen, welche hier und dort, den Weg entlang – am Galgen hingen. »Sie figurirten an demselben in Perrüken und von Kopf bis Fuß bekleidet.« Die Straßenräuber bildeten damals so sehr einen stehenden Artikel in jeder richtigen Reisebeschreibung und Schilderung des englischen Volkes überhaupt, daß auch Seyfart ihnen in seinem »Gegenwärtigen Staat von Engelland« (1757) ein eigenes Kapitel gewidmet hat, in welchem er (charakteristisch genug!) nach der Definition des Wortes » gentleman« sogleich auf die Räuber übergehend, sagt: »Man setzt zwar die Menge von englischen Straßen- und andern Räubern mit unter diejenigen Dinge, welche in der gar zu großen Freiheit ihren Ursprung hätten; ... allein ich kann nicht unangemerkt lassen, daß sie eine ganz besondere und von unsern Buschkleppern weit unterschiedene Art Leute sind. Sie verrichten ihre Streifereien meistens zu Pferde und man wird wenig von Fußgängers angefallen. In den Wäldern und auf den Straßen trifft man sie gleichfalls oft an und meistenteils haben sie vermummte Gesichter. Ein dergleichen geschäftiger Mann, welchen die Engländer Ehre halber » gentleman of the highway«, einen Herrn von der Landstraße nennen, wird Sie in der Kutsche unvermerkt überfallen, er wird Ihnen die Pistole auf die Brust setzen und Ihnen entweder eine gewisse Summe, oder, wenn er unhöflich ist, alles bei sich habende Geld und Kostbarkeiten abfordern; jedoch pflegen die meisten so höflich zu sein und den Reisenden nicht allein so viel zu lassen, daß sie bis auf den nächsten Ort kommen können, sondern auch die ihnen besonders werthen Kostbarkeiten durch einen Unbekannten für einen gewissen Preis auf Verlangen wieder zu senden.« Man sieht, das Gewerbe hatte seine Regeln und Gesetze, die man in den Handbüchern jener Zeit verzeichnet finden konnte, wie man heut in einem Bädeker oder Berlepsch belehrt wird über das Verhalten gegen »Wirthe, Kellner und Hausknechte«, nur mit dem Unterschied, daß jene Herren sich durchaus als » gentlemen« betrachteten und das, was sie verlangten, nur als »Ritterzehrung« nahmen.

*

2.

Dieses ritterliche Geschlecht, welches die Monotonie der Landstraße und der Romane des vorigen Jahrhunderts auf eine so außerordentliche Weise belebte, ist nun leider gänzlich ausgerottet; aber der » coaching gentleman«, der Kutscher, ist übriggeblieben. Er trägt wie vor alters seinen rothen Rock mit messingenen Knöpfen, seine rothe Weste, seinen weißen Filzhut und sein Paar gelber »Kalbsledernen« an den Händen. Ihn beschäftigen nur die Pferde, und auch diese nur, wenn sie fertig geschirrt stehen. Ihr Mann, solange sie sich im Stalle befinden, ist der » ostler« oder Stallknecht, und die Grenze, wo sich die Pflichten beider scheiden, ist die Deichsel. Sobald die Pferde an derselben zur Abfahrt bereit sind, gibt der Kutscher mit einem Horn das Signal zum Aufsitzen, unbekümmert um die Reisenden, welche er selbst dafür sorgen läßt, wie sie am besten an den Rädern und Speichen emporklettern, um ihre Plätze zu finden. Er selbst besteigt mit einer vornehmen Ruhe, als ob ihn das alles nichts anginge, seinen erhöhten Sitz vorn auf der Kutsche, auf welchem er wie ein König über den Passagieren thront, läßt sich von dem » ostler« Peitsche und Zügel zuwerfen, die vier Pferde greifen aus und dahin fliegt die Kutsche wie im Sturm.

Hier macht das edle Roß und alles, was mit ihm in Verbindung steht, Stall und Stallknecht, eine ganz andere Figur als in Deutschland ... Das hat alles noch solch ein Ansehen von Behäbigkeit und Würde. Der Engländer hat es nicht vergessen, daß Hengist und Horsa seine Stammväter gewesen; er betrachtet daher auch seinen Kutscher nicht wie irgendeinen andern seiner Diener, zahlt ihm auch nicht, wie jenem, einen »Lohn«, sondern ein »Honorar«, und behandelt ihn mit der gleichen Höflichkeit wie seinen Arzt oder Advocaten. Wenn die Achtung vor dem englischen Kutscher jetzt groß ist, so war sie einst noch größer: sie hatte etwas von einer Huldigung; und es kann daher nicht überraschen, daß zu derselben Zeit, wo »bedrängte« Gentlemen sich auf die Straße begaben, um ihre Verhältnisse durch Straßenraub zu verbessern, andere »Gentlemen« unter ähnlichen Umständen »zur Peitsche griffen«, einem Gewerbe, das für nicht minder ehrenvoll galt, und dabei viel ehrlicher war. Unter den Kutschern jener Tage fanden sich zahlreiche Offiziere a. D., Mitglieder der gelehrten Körperschaften und Männer von Rang überhaupt.

Das » Athenaeum« in einem Artikel vom Jahre 1860 (wir können die Nummer nicht nennen, da wir sie leider in unsern Excerpten nicht angemerkt finden) sagt, daß solch ein Kutscher zuweilen der sowol seiner Geburt als seiner Bildung und Gelehrsamkeit nach beste Mann auf der Außenseite seiner gedrängt vollen Kutsche war. »In den Tagen«, heißt es in dem genannten Artikel weiter, »wo Kutscheneigenthümer so große Männer waren, als Eisenbahnunternehmer heute sind, wo Richard Ironmonger Stafford repräsentirte und William Chaplin (diese Fuhrherrenfirma ist noch heute groß in London) für Salisbury im Parlament saß, waren ihre vorzüglichen › whips‹ (Kutscher) nicht selten die ersten Vettern und jüngern Brüder der Landeigenthümer, durch deren Parks sie ihr schäumendes Gespann hatten galopiren lassen. Proben, der hübsche Bursch, welcher jahrelang die Kutsche nach Reading fuhr, war ein Kapitän der k. Armee, der seinen Abschied genommen, und er verließ ›die Straße‹ nur, um sich auf ein hübsches Besitzthum zurückzuziehen, welches er mittlerweile geerbt hatte. Ebenso war Dennis, welcher seine Laufbahn auf der Chaussee nach Norwich beschloß, ein Geistlicher, der die Stelle eines Pfarrverwesers in Berkshire aufgab, als er den Kutschbock des ›Weißen Hirsches‹ bestieg, welcher von London nach Bath fuhr.«

Seinen Höhepunkt erreichte dieser Cultus für »die Peitsche« zur Zeit von Georg IV., welcher selbst ein vollendeter Kutscher war, das gesteht ihm in seinen »Vier Georgen« selbst Thackeray zu, der doch sonst nicht viel Gutes an ihm ließ. »Er fuhr einmal«, heißt es dort, »in 4½ Stunden von Brighton nach Carlton House – 56 Meilen (engl.)!« Das waren die sonnigen Tage des »Vier-in-Hand-Clubs«, d. h. des Fahrens vom Bock mit Vieren. Die Elite der damaligen jungen Männerwelt gehörte zu diesem Club. Diejenigen von ihnen, welche ein eigenes Gespann hatten, trafen ein Abkommen mit den Kutschern der » stage coaches«, wonach ihnen wöchentlich einmal zustand, die Bänder zu fingern ( to finger the ribbons) und den »Zaum zu ziehen« ( to tool the theam) – ähnlich wie die jungen englischen Nobelmänner unserer Tage ein Vergnügen darin finden, in rußigen Kitteln neben dem Maschinisten auf der Locomotive zu stehen, diese zu dirigiren und tagelang von London nach Edinburgh und von Edinburgh nach London zurückzujagen. Allein die Mitglieder des » Four-in-hand-Clubs« gingen weiter; ein gewisser Hon. Mr. Ackers, ein reicher und vornehmer junger Mann, ließ sich einen Vorderzahn ausziehen, zu keinem andern Zweck, als um sich dadurch die richtige Manier anzueignen, wie ein Kutscher – zu spucken! Und in einem Buche, welches damals sehr populär war und welches Murray neuerdings in seiner Eisenbahnbibliothek wieder neu aufgelegt hat, nämlich Nimrod's » The Road«, heißt es: »Wenn eine so große Person wie Sophokles es nicht unter seiner Würde hielt, seine Wissenschaft öffentlich zu entfalten, indem er vor dem Volke Ball spielte, warum soll ein englischer Gentleman nicht seine Geschicklichkeit auf einem Kutscherbock ausüben dürfen?«

Obgleich man nun heute weder die Schüler des Sophokles noch die ersten Vettern oder jüngern Brüder von großen Grundeigenthümern auf dem genannten Sitz mehr findet, so wird doch immer noch der Platz neben dem Kutscher als ein Ehrenplatz betrachtet, sowol auf der Landkutsche mit Vieren als auch auf dem Omnibus von London.

Ich mit meinen beschränkten deutschen Ansichten hatte freilich einen Sitz auf der Hinterbank neben einer freundlichen jungen Dame mit blauem Schleier vorgezogen, aber vorn um den Kutscher hatten sich gruppirt: ein »Ehrwürdiger« mit langem Rock und weißem Halstuch; ein corpulenter Farmer; ein Mann in einem Kautschukrock; ein junges Ehepaar; ein Photograph mit einer Camera obscura; ein »Volunteer« mit einer Flinte, welche von diesen englischen Friedenssoldaten auf allen Vergnügungsfahrten wie ein Spazierstock mitgenommen wird; ein Attorney von London mit der » Saturday Review« in der Tasche und ein Zahnarzt, welcher die Gegend bereiste. Hinter diesen Leuten und auf dem Dach der Kutsche saß eine alte Frau, ein kleiner Junge und ein Hund, welcher an die Lehne gebunden war. Das Innere des Wagens wird theils als Frachtkammer, theils als Asyl für invalide und betagte Reisende benutzt, da jeder rüstige Wanderer die Außenseite vorzieht, schon weil sie billiger ist. Hier hatte man so viel Reisebagage zusammengepackt, daß nur noch Platz für zwei alte Leute und zwei Hunde geblieben war, von denen die erstern unaufhörlich klagten, daß ihnen die Koffer auf die Füße fielen, und die letztem unaufhörlich bellten, wahrscheinlich aus demselben Grunde.

Von einer solchen Reisegelegenheit, einem solchen Lärm und Zustand kann man dem deutschen Leser schwerlich einen Begriff machen. Wie das immer bergauf, bergab geht, und am tollsten, wenn es bergauf geht! Einem deutschen Gaul würde kein vernünftiger Mensch so etwas zumuthen; aber die Kraft und Ausdauer von englischen Pferden ist wahrhaft bewunderungswürdig. Auch werden sie ganz anders gefüttert; der Hafer, den sie bekommen, steht im richtigen Verhältniß zu dem Roastbeef, welches ihr Lenker zu sich zu nehmen pflegt. Darum sehen beide so wohlgenährt und compact aus, und das saust furchtlos an scharfen Ecken und Kanten dahin, über Wasser, Felsen und Abgründe, daß einem Deutschen, der das zum ersten mal sieht, das Herz ordentlich wehe thut. Eins fällt über das andere, indem die Kutsche so dahinrast, und abwechselnd, ohne daß wir hätten etwas dafür oder dagegen thun können, lagen die Dame und ich uns in den Armen – entweder ich in ihren oder sie in meinen. Zuerst wollte ich mich entschuldigen, aber sie sagte: » Never mind!« (Das schadet nichts!)

So zu fahren, immer und immer im Galop, mag der Wagen noch so bepackt und die Gegend noch so bergig sein, wäre bei allen Vorzügen der englischen Pferde und Kutscher nicht möglich, wenn der Weg, die Chaussee, nicht so vortrefflich planirt wäre.

Die englische Landstraße ist das Beste, was in dieser Art gesehen werden kann; sie ist in den englischen Hochlanden und den entlegensten Gebirgsdistricten in Cumberland von derselben Festigkeit und Solidität als in den Niederungen von Kent und Sussex; sie ist überall so glatt und eben, so trocken und fest wie der Boden eines Wohnzimmers und Schwierigkeiten des Terrains gibt es nicht für sie. Die englische Chaussee ist der Triumph der Straßenbaukunst, und als solche gefeiert von Englands Dichtern und Prosaikern. So sagt Dr. Johnson, dieses Orakel Englands, daß es kein größeres irdisches Vergnügen gebe, als in einer Postkutsche über eine gute Chaussee im Tempo von, ich erinnere mich nicht genau, wieviel Meilen die Stunde zu fahren; und Byron singt in seinem Don Juan (X, 78):

Welch köstlich Ding doch ist es um Chausseen,
So sanft, so glatt, als sei rasirt das Land;
Der Adler schwebt in seinen luft'gen Höh'n
Kaum sanfter, wenn er breit die Flügel spannt. Neidhardt'sche Uebersetzung.

Ihre Vollendung verdankt die englische Landstraße dem System der Macadamisirung, welches, auch bei uns längst bekannt und eingeführt, den Namen des Erfinders unsterblich gemacht hat, wiewol wir ihn täglich mit Füßen treten. Mr. M'Adam (Mac Adam) war ein alter schottischer Herr (er lebte von 1755-1836), welcher, da er in der Nachbarschaft der allerabscheulichsten Wege wohnte, auf den glücklichen Gedanken kam, daß, wenn man eine Straße mit einer Quantität kleiner Steine bedeckte, man dieselbe trocken halten und Radspuren verhindern könne. Er machte auch die ökonomische Berechnung, daß der nothwendige Proceß der allmählichen Zerreibung nicht von den Erbauern der Chaussee, sondern durch die Wagenräder derjenigen verrichtet werden sollte, welche dieselben benutzten. Die Leute lachten anfangs über die Grillen des alten Herrn; doch bevor er starb, machte er zehntausend Pfund im Jahr allein damit, daß er über die verschiedenen nach seinem System gebauten Poststraßen die Aufsicht führte.

Doch war die englische Landstraße nicht immer so, wie sie heute ist. Nachdem die Kutschen unter dem ersten Stuart, der auf dem englischen Königsthrone saß, eingeführt worden waren, mußten Reisigbündel auf den Weg geworfen werden, so oft der König ins Parlament fahren wollte, damit der Wagen desselben nicht in den Löchern stecken blieb. In den Bürgerkriegen unter dem zweiten Stuart wurden 800 Dragoner auf ihren Pferden gefangen genommen, welche sich in dem Koth der Straße festgeritten hatten. Deswegen wurden damals und bis in die Zeit der ersten George die Reisen hoch zu Roß zurückgelegt, und Kutschen wurden nur benutzt bei großen Gelegenheiten in der Stadt oder auf dem Lande, wenn sich Nachbarn feierliche Besuche machten.

Die Kutsche galt damals noch als ein Zeichen großen Reichthums oder großer Verschwendung, wiewol sie noch weit von dem heutigen Comfort entfernt war. Sie hatte z. B. keine Glasfenster; diese kamen erst nach der Restauration (1660) von Frankreich aus in Gebrauch und die Kutschen hießen dann »Glaskutschen«. Bis dahin waren die Fenster nur mit linnenen Vorhängen und Franzenbesatz geschlossen, und in einem Tagebuch, welches zur Zeit des Bürgerkrieges einer der loyalsten und unglücklichsten Anhänger des Königs, Sir Harry Slingsby, führte, klagt der Diarist, (1641) darüber, daß man ihm diese während der Nacht unterwegs gestohlen, und daß man sich während des Restes der Reise und, da man glücklicherweise schon in der Nähe von London gewesen sei, damit habe behelfen müssen, daß man ein paar Gardinen mit Stecknadeln vor den Fenstern befestigt habe.

Schlechter jedoch noch als die Wagen waren die Wege, und eine Reise, selbst die kleinste, erforderte daher immer die sorgsamsten Vorbereitungen. Die Mitglieder der damaligen »Obern Zehntausend«, welche sich in ihren Wagen zu dem Dinner eines benachbarten Edelmanns wagten, sandten zeitig am Morgen Männer aus, um die alten tiefen Spuren früherer Fahrten wieder zu ebnen. Alsdann schütteten sie, um ihn für die Nacht kenntlich zu machen, hohe Kalkhaufen an den Weg oder legten eine doppelte Reihe weißer Tonnen aus, durch welche – ähnlich wie noch heute in der Allee von Scheveningen nach dem Haag, wo die Bäume durch weißen Anstrich des Nachts die Auffahrt zu den Landhäusern bezeichnen – der betrunkene Kutscher seinen Herrn und Familie in vergleichsweiser Sicherheit nach dem Hafen ihres Hauses zurücksteuerte.

Doch ließen sich solche Vorsichtsmaßregeln begreiflicherweise nicht auf weitere Entfernungen anwenden, und darum kam es fast jeden Tag vor, daß Kutschen, mit goldenen Krönlein verziert, mit Sammet ausgeschlagen und von sechs Pferden gezogen (der Souverän allein durfte mit achten fahren!), am hellen Tage und auf offener Straße im Kothe stecken blieben. Im hohen Grad ergötzlich sind die Erzählungen der Leiden, welche die Reisenden jener alten Tage auszuhalten hatten. In seiner unvergleichlichen »Geschichte von England« gibt uns Macaulay einige der reizendsten Bilder aus den Wanderungen dieser ersten »Märtyrer der Landstraße«: wie sie sechs Stunden gebrauchten, um eine halbe Meile zu machen; wie sie fortwährend den Weg verloren, wie sie zuweilen Gefahr liefen, vom übergetretenen Flusse fortgeschwemmt oder von Fuhrleuten, die gleichfalls im Sumpfe stecken geblieben, geprügelt zu werden, und wie sie, um ihr Leben zu retten, durch breite Flüsse schwimmen, oder um ihre Kutsche zu retten, diese auseinandernehmen und weite Strecken Weges – tragen mußten. »Auf den besten Verkehrslinien«, sagt der große Historiker, »waren die Gleise tief, die Senkungen halsbrecherisch steil und der Weg oft so, daß es kaum möglich war, ihn von den nicht eingehegten Moor – und Heideflächen zu unterscheiden ... Oft lag der Koth hoch zur Rechten und zur Linken und ein schmaler Rücken festen Grundes erhob sich aus dem Moraste. Nur in gutem Wetter war überhaupt die ganze Breite des Weges für Kutschen passirbar. Aber in der schlechten Jahreszeit hatten die Reisenden Gefahren und Unglücksfälle zu bestehen, welche hinreichend wären für eine Reise nach dem Eismeere oder der Wüste Sahara.« So gebrauchte beispielsweise, was hervorgeht aus den Memoiren Sir Thomas Herbert's, eines andern der Getreuen Karl's I., welcher den unglücklichen Monarchen bis zum Schaffot nicht verließ, die vom Parlament im Januar 1646 dem König nach Newcastle entgegengesandte Commission neun volle Tage, um einen Weg zurückzulegen, der nicht viel mehr als dreißig Stunden beträgt!

Diese Schwierigkeit schreckte denn auch die meisten ab, in Kutschen zu reisen; man bediente sich vielmehr des Sattels und ritt »Post«, wie es im Ausdruck jener Zeit hieß.

Unser Freund Tom Jones und sein Begleiter, der Schulmeister Partridge, ritten so, als sie die »liebliche« Sophia suchten; und diese selbst nebst Mrs. Fitzpatrick, welche ihren Mann verlassen hatte, und Dame Honour, die wortreiche, ritten desgleichen auf Sattelpferden von einem Wirthshaus des Königreichs zum andern. Ein allgemeiner Aufschrei der Empörung ging durch die britische Nation, als man endlich um den Beginn des vorigen Jahrhunderts anfing, die Wege auszubessern und für die neue Erfindung der »Postkutsche« in Stand zu setzen. Einige erklärten, daß der nationale Muth zerstört werden würde, wenn ein Mann, welcher gewohnt war, auf einem Roß durch das Land zu reiten und allenfalls einen Strauß mit dem Straßenräuber zu bestehen, sich nun in Kutschen fortschleifen lassen sollte. »Die Gesundheit des Publikums wird Schaden leiden!« riefen die Philanthropen, welche sich nicht mit dem Gedanken befreunden konnten, Leute in einer heißen und staubigen Kutsche eingeschlossen zu sehen, anstatt daß sie die frische Luft auf einem muntern Rosse athmeten. »Gesundheit und Handel werden zu Grunde gehen!« jammerten wieder andere. Dem alten Herkommen gemäß ward ein neuer Anzug während einer einzigen Reise verbraucht. In einer Kutsche konnte man ein ganzes Jahr lang reisen, ohne den Schneider einen Pfennig verdienen zu lassen. Die Sattler, Sporenmacher und Pferdeverleiher vereinigten sich zu einer Petition an das Parlament dahin, daß dieses in seiner Weisheit die Geschwindigkeit solcher »flammenden Meteore« zügeln wolle, deren unerhörte Hast wichtigen Geschäftszweigen mit völligem Ruin und der Reitkunst mit Verfall drohte.

»Wohin geht die Sonne von England?« war der fast allgemeine Ruf. Am ärgsten aber zankten die alten Frachtkärrner, denen bisher der Fahrweg ganz allein gehört hatte, und die zuweilen, wenn das Wetter in besonders schlechter und sie in besonders guter Laune waren, vom Regen überfallene Fußwanderer in das Stroh ihres Karrens kriechen ließen, auf welche Weise z. B. Roderick Random und sein treuer Gesell Strap einen Theil ihres Weges von Schottland nach London zurücklegten. Der Weg sei für ihre Karren gemacht, schrien sie, und anständige Leute hätten auf demselben nichts zu suchen. Aehnliches, nur noch viel später, haben wir übrigens auch in Deutschland gehört, wo die Reichsstände vor dem Reichstag 1790 Klage führten, »wegen vielfältiger Beeinträchtigung« durch das Postwesen, durch welche »das uralte und wohlhergebrachte Stadt- und Landbotenwesen« gestört werde. Sie bitten daher (Häusser, Deutsche Geschichte, I, 127), »die zum größten Nachtheil der bürgerlichen Nahrung errichteten Postwagen« entweder wieder abzustellen, oder doch dieselben auf alleinigen Transport der Reisenden und ihres Gepäcks zu beschränken.

Nun – über die Beschwerden der deutschen Reichsstände wie der englischen Schneider, Sattler und Fuhrleute ging die Kutsche mit Vieren siegreich dahin; auf der immer besser werdenden Chaussee erschien sie, allerdings spärlich zuerst und sehr langsamen Schrittes, vor jedem Wirthshaus haltend, übernachtend, wo sich's thun ließ, und tagelang auf der Landstraße liegend, zwischen Ortschaften, welche sich jetzt in einer Stunde erreichen.

In dem Bull Hotel zu Cambridge, einem der merkwürdigsten alten Wirthshäuser, welches ich in England gesehen habe, voll von allen möglichen Curiositäten, Kunstsachen, alten Drucken und Stichen, fand ich unter Glas und Rahmen auf dem Hausflur, dicht an der Hausthür ein Advertissement aus dem Jahre 1706, in welchem die Kutschen angezeigt werden, welche von London nach York und vice versa fahren sollten. Diese » stage Coaches« fuhren die Woche dreimal und legten ihren Weg – einen Weg, welchen heut die Eisenbahn täglich sechsmal in 5 Stunden macht – in 4 Tagen zurück; » if God Permits«, wenn Gott es zuläßt, wie das Blatt in Parenthese hinzufügt, so wie die großen Steamer, welche nach den überseeischen Plätzen fahren, ihre Abreise heut noch unter der Clausel angeben, » wind and weather permitting« – wenn Wind und Wetter es erlauben.

Aber je besser der Weg ward, desto rascher gingen auch die Kutschen, und es kam die Zeit des wundervollen Brighton »Age«, des »Butterfly« und des »Highflyer« mit Vollblutpferden und Kutschern in rothen Röcken. Wie bunt muß damals die englische Landstraße ausgesehen haben von all den Karren, Kutschen und Fahrzeugen! Dann und wann dazwischen, zur Zeit, wenn das Parlament in London eröffnet wurde, ließ sich wol auch der ehrwürdige, breite, vergoldete Wagen sehen, in welchem Mylord und Mylady zur Stadt wackelten. In den Wagen der Nobility hatte die ganze Familie Raum, während auf dem Hintersitz, dem sogenannten » boot« oder » well« der Page, der Kaplan und die Kammerjungfer saßen. Gezogen wurde diese Arche von sechs Pferden, und ihr vorauf trabten die »Läufer«, ganz in Weiß gekleidet, mit dem Wappen ihrer Herrschaft in Silber gestickt auf dem linken Arm und einem langen Stab in der Hand, um den Weg für Mylords Kutsche von Frachtkarren und andern unnoblen Fahrzeugen zu säubern, wie sie in einer frühern Periode dieselben gebraucht hatten, um das »Landschiff« (so nannte man die ersten Kutschen) wieder flott zu machen, wenn es in einem Sumpfe stecken geblieben. Ohne diese Klasse von Dienern, (welche jetzt natürlich ausgestorben, obwol sich ihr langer Stock in den Händen der Portiers erhalten hat), war zu Anfang des 18. Jahrhunderts kein großer Haushalt vollständig. Man hielt ihrer gewöhnlich ein halbes Dutzend. Sie liefen vor und neben den feisten flämischen Mähren, mit denen die Kutschen bespannt waren, und ihre Schnelligkeit war so groß, daß sie immer noch zeitig genug ankamen, um in den verschiedenen Wirthshäusern am Wege für ihre Herrschaft entweder das Mittagsessen zu bestellen oder Quartier zu machen. Es waren leichtfüßige, starke Burschen, meist Franzosen oder Irländer, welche regelmäßig und ohne besondere Anstrengung ihre fünf Meilen des Tages »nach dem Tone von des Kutschers Peitsche« und der Begleitung seiner Schimpfreden liefen. Sie bekamen, um ihren Magen nicht zu beschweren, wenn sie im Dienste waren, nichts als Gerstenbrot, Schinken und Buttermilch.

Viele Edelleute jener Zeit ließen diese armen Burschen auf solche Weise von Schottland nach London laufen, und was ein ordentlicher »Läufer« war, der konnte es, wenn es sein mußte, auf das Doppelte, d. h. auf 10 deutsche Meilen täglich bringen. Die Dienerschaft ritt, wegen der Räuber, bewaffnet hinterher und so, zwischen seinen Läufern und seinen Bewaffneten, bewegte sich der britische Nobelmann des vorigen Jahrhunderts gen London.

Diese Glorie der englischen Landstraße ist freilich dahin, und der Ruf: » Hurrah for the road!« wird von keinem Gentleman mehr vernommen. Aber doch gibt es noch immer nichts Lustigeres in der Welt als solch eine altmodische Kutschenfahrt, wie sie sich in einigen Gegenden von England erhalten hat; auf einem Gefährt, außen und innen bepackt mit Koffern, Menschen und Hunden, mit allerlei Beinen, die überall herumhängen, und allerlei Figuren, die in der Luft herumhüpfen, während der Kutscher im rothen Rock » Hiss, hiss!« macht und die Viere Galop laufen bis sie dampfen. Ja, etwas von ihrem ehemaligen Reiz hat die Chaussee in England immer noch behalten! Kein Augenblick vergeht, ohne daß uns ein Wägelchen begegnet oder ein lustiger Wandersmann oder ein hübsches Hirtenmädchen mit nackten Beinen mitten in einer Ziegenheerde, oder ein Mitglied jener bewundernswerthen, bei uns unter dem Namen »Landstreicher« bekannten Zunft der » tramps«, welche die Heerstraße zu ihrem Revier gemacht haben, unter dem Zaune schlafen und das Königreich auf Kosten derjenigen bereisen, welche in demselben angesessen sind. Diese fröhlichen Wanderer haben die meiste Aehnlichkeit mit den Zigeunern, flicken auch Kessel wie diese und werden von den Köchinnen und Bulldoggen im Hofe mit nicht viel günstigern Augen angesehen.

Aber sie selbst würden jeden Vergleich mit diesen braunen Ausländern verächtlich zurückweisen; sie sind stolz darauf, Briten zu sein, eingeborene Unterthanen Ihrer Majestät, und ihr Leben ist in der That eins der glücklichsten, welches die Welt augenblicklich zu gewähren im Stande ist. Der »Tramp« hat einen guten Appetit, befriedigt ihn auf anderer Leute Rechnung, raucht seine Pfeife und schnuppert die reine Morgenluft früher und frischer als irgendein anderer. Es ist wahr, er wird dem Rheumatismus und dem Schnupfen ausgesetzt sein, wenn er nächtelang auf dem feuchten Erdboden liegt; allein er ist der letzte Romantiker der englischen Landstraße, und ihn zu sehen, wenn er mit seinem kleinen zerlumpten Haushalt aus einem Ding wie eine Schäferkarre kriecht, um sich zur Seite eines Wiesenbachs hinter einem Wirthshaus und unter dem Schutze einer hohen Hecke wohnlich einzurichten, oder wenn sie bei Nacht auf einem freien Stoppelfeld um ein Feuer lagern: dieses sind in der That sehr malerische Blicke, die man zuweilen zur Seite der englischen Landstraße hat. Jenes Gefährt aber, zugleich Wagen und Wohnung, in welchem diese nomadisirenden Kesselflicker Frau und Kinder, Küche und Keller zusammenpacken, erinnert den Wanderer an die gemeinsame Abstammung von den germanischen Vorältern, welche zu ihrer Zeit, vor einigen tausend Jahren, »den klassischen Morast, den Tacitus beschrieben«, in ähnlichen Wagenhäusern durchzogen.

Nun, dies ist eine Reminiscenz, die uns allen ziemlich fern liegt, besonders den Engländern; näher liegt ihnen die andere Reminiscenz aus den »Kutschentagen von Altengland«, wo es hieß: »Vor jedem Wirthshaus, das Gott gegeben, wird Station gemacht und getrunken.« An diesem Grundgesetz hält nun die heutige Generation noch fest, und namentlich ward der Ehrwürdige vorn, zur Seite des Kutschers, nicht müde, den dicken Wirthinnen, die vor der Thür erschienen, die Hand zu schütteln und den drallen Töchtern derselben, die ihm das »bittere Bier« credenzten, die Wangen zu streicheln. Er schien jedes Wirthshaus am Wege, jede Hebe der Landstraße zu kennen und leerte an jeder Station seine Kanne, was ihm übrigens nicht das mindeste zu Leide that, außer daß am Ende unserer Reise der » ostler« ihm die biedere Rechte bot, auf die gestützt er mittels einer Leiter vom Wagendach Herabstieg.

Dies war in Ambleside, nach einer zweistündigen Fahrt, welche ich für eine der vergnügtesten halte, auf die ich mich besinnen kann. Wie in einem großen Panorama hatten Bergsichten, Häuser, Gärten und Helle Wasserstreifen beständig abgewechselt, und schon den Wohlstand überall, den Reichthum der Landschaft, das Behagen der Dörfer und die heitern Gesichter der Menschen zu sehen, war eine Freude.

Noch mehr aber: in diesen zwei Stunden war ich im Geiste gleichsam durch zwei Jahrhunderte gereist – hatte die wechselnden Gestalten der Landstraße während einer so langen Zeit gesehen und alle Schrecken derselben sowie alle lustigen Thorheiten an mir vorüberziehen lassen, all ihren Glanz und ihre fröhliche Herrlichkeit, und erwachte erst wieder zum Leben der Gegenwart, als unter den letzten Bäumen von Ambleside-Road die Pracht des Sees von Windermere unter einer lieblichen Herbstnachmittagssonne heraufschimmerte. Hier nahm ich Abschied von Straßenräubern und Gentlemen-Kutschern, um in einem kleinen anmuthigen Dampfnachen neuen Zielen zuzusteuern.

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