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Vorwort.

Die nachfolgenden Aufsätze sind zu verschiedenen Zeiten nach längerm und mehrfach wiederholtem Aufenthalt in England geschrieben worden. Sie geben ebenso sehr Eindrücke wieder, als sie Studien recapituliren, zu welchen jener Aufenthalt anregte. Zum größern Theile bereits früher in Zeitschriften veröffentlicht, hat der Verfasser sie seitdem erweitert, neu bearbeitet und hier zum ersten mal gesammelt. Die Einheit des Ortes, des Gegenstandes und, wenn ich so sagen darf, der Stimmung, verleiht ihnen einen gewissen innern Zusammenhang, der ihr Erscheinen in dieser Form rechtfertigen wird, obwol sie nicht beanspruchen dürfen, als ein im systematischen Sinne geschlossenes Ganzes betrachtet zu werden. Ueberall von einem vorwiegend literar- und culturhistorischen Gesichtspunkt ausgehend, greift der Verfasser dieser Skizzen da und dort aus den einzelnen Perioden von Englands Entwickelung auf beiden Gebieten ein Moment heraus, allerdings nicht willkürlich, sondern stets von der Idee geleitet, es zum Mittelpunkt eines Bildes zu machen, welches von dem Besondern eine Perspective bietet auf das Allgemeine: das Volk und das Land.

Wenn es dem Verfasser gelungen ist, Personen und Zustände richtig darzustellen, so darf das nicht als sein Verdienst, sondern muß als dasjenige der englischen und deutschen Forscher gelten, denen er sich angeschlossen; was er aus seiner eigenen Anschauung hinzugefügt, das ist der landschaftliche Hintergrund, die locale Färbung, die Beziehung auf den Grund und Boden, aus welchem jene Personen und Zustände hervorgegangen. Ihm war es ein unerschöpfliches Vergnügen, die Stätten aufzusuchen, welche mit den Gegenständen seines Interesses in irgendeiner örtlichen Verbindung standen, und die Veränderungen zu studiren, welche sie durchgemacht haben mochten im Laufe der Jahrhunderte. Keinen Platz und keinen Winkel, der sich auf ihre Geschichte bezog, ließ er unbetreten; tagelang, inmitten dieses blühenden Lebens, ging er den Spuren der Vergangenheit nach in alten Kathedralen und rauchgeschwärzten Häusern, in Schloß und City, am Meer und im Lande, auf Strand und Straße.

Die See, welche den Blick von Englands Küsten hinausträgt in ein scheinbar Grenzenloses, und die Stadt, welche den Eindruck strengster Besonderheit, eigentümlichsten Seins gibt – der Kirchthurm, über welchen tausend Existenzen nicht hinauszuschauen vermögen, während tausend andere mit dem Segel ins Unermeßliche schwanken – dieser Gegensatz und diese Wechselwirkung des von alters her Geheiligten, Feststehenden, ja Pedantischen auf der einen, des ewig Veränderlichen, Phantastischen und Abenteuerlichen auf der andern Seite, geht von den natürlichen Anfängen aus durch das Leben, die Geschichte, die Dichtung Englands, und ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Buch einige von den mannichfaltigen Lichtern widerspiegelte, welche sich aus der angedeuteten Betrachtungsweise ergeben.

Dieses Buch lag in allen seinen einzelnen Bestandtheilen fertig vor, als der Krieg von 1870 jede weitere Beschäftigung mit demselben aufhob. Vielleicht ist es jetzt gestattet, mit dieser, wie mit so vielen andern Arbeiten des Friedens, da wieder anzuknüpfen, wo der Krieg uns unterbrach. Der krankhafte Zug, welchen der deutsche Kosmopolitismus, durch die Verhältnisse fast dazu gedrängt, an sich trug, ist ausgemerzt; was Gesundes an ihm ist, wollen wir auch fernerhin pflegen. Es ist nicht der Deutschen Art, sich selbstgefällig abzuschließen. Wir werden fortfahren, uns mit dem Ausland zu beschäftigen und anzuerkennen, was es Großes hat. Allein die Wirkung wird eine andere sein, als sie früher gewesen. Auch uns ist Anerkennung im weitesten Maße zutheil geworden; aber der Genius des deutschen Volks wird uns davor behüten, daß wir uns im Anschauen der eigenen Größe berauschen und verlieren. Mit dem Bewußtsein, daß wir, was wir gegenwärtig sind, nur aus eigener Kraft geworden; mit dem frohen Gefühl des Schaffens und Wirkens rings um uns her, werden wir ebenso wenig die Freundschaften früherer Jahre verleugnen, als wir es mit tiefem Bedauern sehen würden, wenn Feindschaften sich verlängerten, deren erster Keim nur in dem Fehler lag, welchen Deutschland mit Gottes Hülfe vermeiden wird: in der Selbstüberhebung und dem Mangel einer neidlosen Anerkennung des Fremden!

Eisenach, im September 1872.
Julius Rodenberg.


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