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Shakspeare's London.

1.

Obwol London im 16. Jahrhundert nicht viel mehr Einwohner zählte als Köln, und nicht ganz so viel, als Hamburg heute besitzt, so galt es doch schon damals für eine der größten Städte in der Christenheit, und unser deutscher Tourist Hentzner, welcher 1598 dort war, berichtet daher mit aufrichtigem Staunen, daß der Umfang dieser Stadt » beinahe eine ganze Meile beträgt«. Damals, wie heute, gab es eine City von London und eine City von Westminster, aber die Vorstädte, deren Häusermassen heute das Stein- und Mörtelmeer von London schwellen, waren damals noch grüne Felder und blumige Wiesen, und die City von Westminster selber war nicht viel mehr als eine Vorstadt von Palästen, der Sitz des Hofes und der Edeln von England. Hier war die damals schon alte Abtei und Kathedrale von Westminster, die Halle des Parlaments und York-Place, eine prachtvolle Residenz, erbaut von Cardinal Wolsey, aber von Heinrich VIII. seinem ehemaligen Günstling nach dessen Sturz geraubt und darauf »mit ihrem reichen Vorrath von Kostbarkeiten, ihren Tapeten von Gold- und Silberstoff, ihren Tausenden von Stücken feiner holländischer Leinwand und ihren Vorräthen von Silber-, ja sogar schönem Goldgeschirr, welches zwei große Tafeln bedeckte«, von dem Monarchen in höchsteigenen Gebrauch genommen. Seitdem hieß diese Residenz » Whitehall«, und hier, im Glanze von Englands glorreichsten Tagen, saß Elisabeth, »von Gottes Gnaden Königin von England, Frankreich und Irland, die Beschützerin des Glaubens«, auf dem Throne.

Wo jetzt das Gewirr dunkler Höfe und die übelberüchtigten Seitengassen des »Strand« bis an die Ufer der Themse reichen, da standen damals die Stadthäuser der Bischöfe, der Gesandten und der großen Lords. Schöne Gärten umgaben sie und an ihren Mauern plätscherte das Wasser der damals noch »silbernen« Themse dahin. Hier war Bedford House, und Leicester House und Essex House – jetzt verschwunden von den Stellen, da sie gestanden, und nur den Straßen, Plätzen und Quartieren des neuen Londons ihre alten Namen hinterlassend. Hier war auch Durham House, und hier, in einem kleinen Studirzimmer, welches die Themse überblickte, saß Sir Walter Raleigh, ein Kriegsheld, ein Entdecker ferner Länder, ein Gelehrter und ein Hofmann. Ein Kranz berühmter Namen schloß sich um den Thron von Elisabeth: es war das Jünglingsalter und die Heldenzeit von England. Philipp von Spanien, welcher aus einem Bewerber um ihre Hand ein Feind Elisabeth's geworden, hatte England zu vernichten gedroht mit einem furchtbaren Heere von Schiffen, die Armada genannt. Aber »Gott blies, und sie waren zerstreut«. Dieses Gottesgericht war der Anfang von Englands Macht zur See. Die Blüte der Colonien begann und im Innern, von der Freiheit des Glaubens getragen, regte sich mit dem wachsenden Wohlstand zugleich das geistige Leben der Nation.

Am Himmel der Philosophie, so lange umflort von dem Nebel der Scholastik, war ein Gestirn erster Größe im Aufgehen begriffen. Man hatte wieder gelernt, mit dem classischen Alterthum in seiner eigenen Sprache zu reden. Die Dichter fanden reinere Formen und größere Stoffe für ihre Gesänge, und die dramatische Muse erwachte. Ein Ton, halb ritterlich und gelehrt, halb voll künstlerischer Genialität herrschte am Hofe der Königin Elisabeth. Immer ist » Queen Bess« eine von den Lieblingsgestalten der englischen Geschichte, des englischen Volkes gewesen; und sie würde dies sicher nicht geworden sein, wenn sie nicht außer dem Talent zu herrschen auch noch andere Eigenschaften der Erscheinung, des Geistes und des Herzens besessen hätte. Die Elisabeth, die uns nur zu oft vorschwebt, ist die Königin, welche Maria Stuart zum Tode verurtheilte, und wir haben uns daran gewöhnt, in ihr nur die »alte« Elisabeth zu sehen, von welcher unser Reisender Hentzner gegen Ende des 15. Jahrhunderts allerdings kein sehr vortheilhaftes Bild entwirft, indem er sagt: sie habe ein runzeliges Gesicht, rothe Perrüke, kleine Augen, krumme Nase, dünne Lippen und schwarze Zähne gehabt und doch immer noch auf die Schmeicheleien der Höflinge über ihre Schönheit gehört. Aber wir sollten uns auch die junge Elisabeth vorstellen, wie sie z. B. auf dem schönen Porträt im South-Kensington Museum erscheint, mit anmuthigen frauenhaften Zügen und goldenem Haar; die Elisabeth, welche in einem der noch heute bewohnten Gemächer von Windsor Castle die griechischen Classiker studirte, die nachdenkend auf der Terrasse dieses Schlosses einsam lustwandelte – die Elisabeth endlich, welche Shakspeare gefeiert! Ein italienischer Beobachter, der sie vierzig Jahre vor dem Deutschen gesehen – der venetianische Gesandte Giovanni Michele, schildert sie demgemäß als eine Dame, gleich bemerkenswerth an Körper und Geist, ihr Gesicht mehr angenehm als schön, ihr Wuchs schlank, ihre Figur wohlgeformt, mit schönen Augen und vor allem mit einer wundervollen Hand, »welche sie gern zeigte«. Warum sie diese Hand nicht auch vergeben? Es ist wahr, daß ein starkes Herz in ihrem Busen schlug; aber wiewol frei von manchen Eitelkeiten ihres Geschlechts, war es dennoch nicht ganz frei von den sanftern Regungen, die dasselbe schwach und liebenswürdig machen. Ein- oder zweimal, so viel wissen wir, hatte auch in diesem Weibe die Natur ihre Rechte geltend gemacht. Aber zwischen sie und Robert Dudley, Earl von Leicester, war der Schatten Amy Robsart's getreten, und Robert Devereux, Earl von Essex ward ein Rebell und ein Opfer des Blocks. Spät noch einmal, als Elisabeth 23 Jahre auf dem Throne gesessen hatte und nicht länger eine schöne junge Prinzessin, sondern eine mächtige Königin von reifem Alter war, kreuzte der Herzog von Anjou, ein Sohn Katharinens von Medici, die See, um sie zur Ehe zu begehren. Er hatte in einer Art von beständigem Mistrauen fast neun Jahre lang um sie geworben und er sehnte sich nun endlich nach der Verwirklichung seiner Hoffnungen. Die Königin empfing ihn höchst gnädig und der Turnierhof von Whitehall ward der Schauplatz eines ritterlichen Festspieles, für dessen Beschreibung wir der alten Chronik von Hollingshed verpflichtet sind. Ungefähr 10 000 Thaler – eine gute Summe in Königin Elisabeths Tagen – wurden darauf verwendet, ein reichgeschmücktes Bankethaus zu errichten; die Königin zeigte sich auf einer Galerie, welche die galanten Herren vom Hofe sogleich das »Schloß der vollkommenen Schönheit« nannten. Dieses Schloß ward angegriffen von der »Sehnsucht und ihren Pflegekindern«, welche die Aufforderung zur Uebergabe in einem Canon absangen, von dem uns der Chronist folgenden Vers aufbewahrt hat:

Gib nach, gib nach, o du! die siegreich hält
Dies Schloß, das unsern Muth rief wach:
Der Sehnsucht Macht trotzt keine Macht der Welt,
Drum gib der Sehnsucht Sehnen nach, gib nach!

Nachdem das Lied zu Ende war, ohne daß die »schöne Vestalin auf dem Throne« ein Zeichen zur Uebergabe des Schlosses gemacht, »da wurden zwei Kanonen abgefeuert, die eine mit wohlriechendem Pulver und die andere mit wohlriechendem Wasser; und hierauf wurde eine Menge von hübschen Sturmleitern angelegt, und dann warfen die Diener Blumen und allerlei Confecte gegen die Mauern, mit solchen Devisen, als der Sehnsucht passende Geschosse sind«. Aber doch verfehlte der arme Anjou den Zweck seiner Werbung, denn politische Bedenken mischten sich ein und die königliche Löwin aus dem Hause der Tudors blieb fortan die Jungfrau auf Englands Throne, ihr Bräutigam das Volk, ihre letzte Liebe das Vaterland.

Wo jetzt, im modernen London, ein massives Steinthor, schwarz vom Ruß der Jahrhunderte, den Strand von Fleetstreet trennt, da war damals ein Schlagbaum von Holz, frisch bemalt und mit farbigem Tuch behängen, die Tempel-Barre, Temple Bar genannt, nach der benachbarten Juristeninnung vom Tempel. Hinter Temple Bar, innerhalb ihrer Mauer und übrigen » bars« oder Thore, begann die City, das eigentliche London jener Tage. Hier, mit ihrem selbstgewählten City-Monarchen, dem Lord-Mayor, welcher seinen Hof und seinen Hofpoeten so gut hatte wie die Königin auf der andern Seite der Barre, wohnten alle die guten Bürger von London. Hier residirten noch immer einige von den großen Adelichen, obwol andere von ihnen schon frühzeitig begonnen hatten, westwärts nach Fleetstreet und den Strand zu emigriren. Die ersten, welche die City verließen, um sich in freierer Gegend geräumiger anzubauen, waren die Bischöfe, denen ihr geistlicher Stand jene Sicherheit gewährte, welche für andere lange nur in der Stadt zu finden war. Die Nobility folgte der Geistlichkeit in die Nähe des Königssitzes; doch war zu Shakspeare's Zeit noch manch ein Edelmannshaus so recht im Herzen der City, wie z. B. das des Herzogs von Norfolk in dem nach ihm genannten Duke-Place, dem nachmaligen Judenviertel von London. Aber mehr und mehr doch ward die City schon der Sitz der reichen Kaufleute, deren fast fürstlicher Luxus gleichen Schritt hielt mit dem Wachsthum der Colonien, des Handels und der Ostindischen Compagnie. Ihre Häuser, aus eichenen Balken gezimmert, mit gothischen Fenstern und Giebeldächern, gaben den Straßen, obgleich sie eng waren, eine malerische Perspective. Nur noch sehr wenige von diesen Elisabeth'schen Häusern sind übriggeblieben in der City von London, um uns einen Begriff zu geben von der reichen Bauart und dem bessern Geschmack jener Zeit. Das große Feuer von 1666 bat sie fast sämmtlich zerstört. Aber damals standen sie noch in all ihrer pittoresken Schönheit, mit ihren geschnitzten Balkenenden und ihren Lilien, fleurs-de-lis, und sonstigen Blumen von Eichenholz über der Thür und an den Fenstern. Die Hauptstraße des alten Londons war damals – wie sie's noch heute für die City ist, wenn auch unter ganz veränderten Umständen – Cheapside. Doch sehr verschieden von der Straße dieses Namens, mit ihren von Ruß und Alter geschwärzten Häusern, ihrem Geräusch während der Geschäftsstunden und ihrer Todtenstille während der Nacht, war das » Chepe«, das »goldene Cheapside« in Shakspeare's London. Da war es die große Heerstraße vom Tower nach der Abtei und dem Palast von Westminster, mit den schönsten Läden auf beiden Seiten und bewohnt von den reichsten Bürgern – der Schauplatz der Processionen und Aufzüge und alles fürstlichen Gepränges jener Tage. Hier steht noch heute die Guildhall und die Bowkirche, von deren Galerie herab die Könige und Königinnen herniedergeschaut bei großen Staatsceremonien; deren Thurmlaterne einst in jeder Nacht erleuchtet wurde und deren Glocken immer um 9 Uhr den Feierabend läuteten – dieselben Glocken, innerhalb deren Klang geboren zu sein noch heute den richtigen londoner » cockney« macht! Hier stand auch das berühmte Cheapside Cross, eins jener zahlreichen und prachtvollen Kreuze, von Eduard I. zum Andenken an seine Gemahlin Eleanor errichtet an jeder der Stellen, wo der Leichenconduct auf seinem Wege nach Westminster hielt, und zerstört 1643 von den Puritanern, gleich dem Charing Cross, dessen Name sich aber als die populäre Bezeichnung von Trafalgar Square erhalten hat. Ein jedes Haus hatte, ganz ebenso wie zu jener Zeit in Deutschland und heute noch vielfach in den schweizer Städten, sein besonderes Zeichen, nach dem es hieß; denn Häusernummern gab es dazumal noch nicht. Da waren Zeichen nach den Gewerben und Zünften, und da waren Zeichen, die auf den Handel und die Schiffahrt und die fernen Länder Bezug hatten. Da war ein Mohrenkopf und ein Griechenkopf in seinen natürlichen Farben (oder wenigstens, was man dafür hielt), und da war ein goldener Ball und ein goldenes Kreuz. Dieses Haus hieß »Zum schwarzen Bullen« und jenes Haus »Zum rothen Löwen«. Zuerst ohne jeden Bezug auf Stand und Gewerbe derjenigen, die in den Häusern wohnten, dienten diese Schilder nicht selten dazu, das zu ersetzen, was nachmals der Familienname war. So finden wir z. B. einen berühmten Mann, von dem wir in diesem Buche bereits gesprochen, bevor er Thomas à Becket hieß, als »Thomas in der Schnepfe« bezeichnet, nach dem Schilde des Hauses, in welchem er geboren worden. Später sehen wir die Hauszeichen aus den Adressen der Briefe, von welchen uns unter andern Carlyle in seinem Buche über Cromwell so viele bewahrt hat; z. B.

»An meinen werthen Freund, Mr. Storie,
im Zeichen des Hundes,
in der königlichen Börse,
London: abzugeben.«

Ebenso firmirten die Buchhändler ihre Verlagsartikel, z B.: »Gedruckt für Tho. Underhill, und zu haben in seinem Laden, im Zeichen der Bibel, in Woodstreet.«

Solch ein Zeichen ( sign) war ein sehr gewichtiges und massives Ding, über der Ladenthür hervorragend und darüber hin- und herschwingend; und alle diese verschiedenen Marken und Figuren und Schilder mit ihren bunten Farben und starken Vergoldungen waren auf den Straßen zu sehen. Es muß ein sehr fröhlicher Anblick gewesen sein. Auch der Fluß hatte noch ein anderes Aussehen. Es war noch »der breite Strom der Themse, wohl gestillt mit Fischen und bedeckt mit Böten und Barken und anmuthigen Schwänen«, wie Fitzstephen ihn (im 12. Jahrhundert) beschrieben. London-Bridge war (bis zum Jahre 1750, in welchem Westminster-Brücke vollendet ward) die einzige Brücke, sie hatte Häuser auf beiden Seiten, und in der Mitte stand eine Kirche.

So malerisch wie die Straßen selber war auch das Treiben der Menschen darin. Da war nicht der eiserne Lärm von tausend Rädern in Bewegung; »da war (wie der alte Chronist Stow sagt) allerweg ein lustiger Lärm von gastlichen Zubereitungen. Die Köche riefen heiße Rippen von geröstetem Rindfleisch, wohlgebackene Pasteten und andere Lebensmittel aus; da war ein Klingen von zinnernen Krügen, von Harfe, von Flöte und Psalter«. Die Namen von Puddinglane, von Hahngäßchen und Pastetenwinkel im heutigen London erinnern noch an die leckern Bissen von ehedem, sowie die beiden Weinstraßen, eine davon in der Nachbarschaft von Saffran-Hill, heute eine schmuzige Gegend zwischen Holborn und Clerkenwell, von Gesindel aller Art, von Bettlern und Dieben bewohnt, die Tradition bewahren an die Zeit, wo London noch » the city of Gardens«, die Gartenstadt, hieß, wo hier noch Saffranbeete waren, die katholischen Pfaffen ihren Wein, und die protestantischen Geistlichen ihre Stachelbeeren zogen, indem sie sich mit den Worten trösteten: »Gott hätte wol eine bessere Beere machen können, aber er that es nicht!« Und so wenig als an den Häusern war unsere Monotonie von Braun und Grau in den Trachten jener Zeit. Das war damals alles phantasie- und farbenreich, angenehm und unterhaltend für das Auge. Es war mehr Individualität und mehr Heiterkeit in der Welt und in den Kleidern. Das Zeitalter, welches die erhabene Pracht der Münster aufzuthürmen und die stattlichen Söller der Edelsitze, die traulichen Erker der Bürgerhäuser zu bauen verstand, das hatte auch eine staunenswerthe Erfindung für das Costüm. Welch ein ungeheuerer Reichthum von Phantasie ward auf die Schuhe, die Hüte, die Hosen und die Mäntel verschwendet! Auf jene Schuhe, deren Spitzen sich bald aufwärts drehten wie ein Widderhorn, bald ausbreiteten wie ein geöffneter Fächer; auf den Kopfputz, welcher variirte von dem Baret bis zu dem Hut mit thurmartiger Spitze; auf die Mäntel, welche sich von dem weiten und faltenreichen spanischen Mantel bis zu dem kurzen normännischen Spenser abstuften. Lustige Cavaliere in Sammt, Seide und feinem Tuch, welches von Gold- und Silberstickerei funkelte, paradirten durch die Straßen, und ebenso wie der Adel hatte auch der Bürgerstand seine Farbe und seinen Putz, jede Gilde, jedes Handwerk, jede Profession ihre Wappen und Zeichen. Schwarz war ganz aus der Mode; und inmitten dieses fortwährenden Gepränges von Spitzen und Atlas, von grünen, scharlachenen, nelkenrothen oder himmelblauen Röcken, von pflaumenfarbenen Mänteln und gelben Ueberwürfen bezeichnete ein Anzug von dunkelm Stoff den Kopfhänger, den Augenverdreher, den Frömmler, den Puritaner.

In dieses London, so lebenslustig damals, so kräftig in dem Gefühl des nationalen Aufschwungs, so schimmernd von den neuen Reichthümern, so rauschend von den Festen des Hofes, den Aufzügen und Vergnügungen der Bürger, in dieses London kam um das Jahr 1586 William Shakspeare aus seiner ländlichen Heimat in Warwickshire. Er war dreiundzwanzigjährig und hatte daheim eine Frau, welche acht Jahre älter war als er, und drei Kinder gelassen. Ob er aus Stratford am Avon geflüchtet, der Wilddieberei und der Abfassung eines Spottgedichtes auf den Friedensrichter Sir Thomas Lucy beschuldigt, oder ob er ausgewandert, mit der Absicht, in London sein Glück zu versuchen, das wissen wir so wenig, als es uns bekannt ist, ob er seine dramatische Laufbahn damit begonnen, vor dem Theater die Pferde zu halten oder auf das Theater die Stühle zu stellen. Aber seht, da ist er; sein Genius hat ihn zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt. Aus den Händen der Zünfte und Gewerbe, welche das Drama jahrhundertelang, in der Gestalt von Mirakelspielen und Mysterien, auf den Straßen und dem offenen Marktplatze aufgeführt hatten, war es nun endlich in die Hände der Dichter und der Künstler, in den Palast der Königin und die Halle der Edeln gelangt. Die Lust, zu spielen und Schauspieler zu sehen, ward allgemein. Jeder große Lord hatte seine Truppe von Schauspielern, welche sich seine »Komödianten und Diener« nannten und die Provinzen durchzogen, wenn sie in der Hauptstadt keine Beschäftigung fanden. Das erste öffentliche Theater in London, das Blackfriars-Theater, ward 1576 eröffnet; zu Ende des Jahrhunderts gab es schon 17 Theater, auf welchen täglich gespielt ward. Außerdem spielten die Studenten auf den Universitäten, die Juristen in ihren Innungsgebäuden, sogar die Lehrburschen von London spielten, sodaß es wahr wurde, was das Sprichwort sagte und was man später als Inschrift an das Globe-Theater setzte: » Totus mundus agit histrionem« (die ganze Welt macht den Schauspieler). Shakspeare trat in die Truppe von Blackfriars ein, welche, ursprünglich im Dienste des Grafen von Leicester, später von der Königin patronisirt ward und den Namen der »Schauspieler der Königin« annahm. Dieser Titel hat sich erhalten und es führen ihn gegenwärtig die Schauspieler von Drurylane, welche sich immer noch »Ihrer Majestät Diener« nennen. Das junge Mitglied der Blackfriarstruppe zeichnete sich sehr bald aus: schon 1589 ward er zum Mitbesitzer, zum » sharer« des Theaters gemacht, welches, wie es der Zeit nach das erste war, so auch dem Range nach das erste blieb. »Shakspeare's dramatische Unterhaltungen wurden«, wie sich ein gleichzeitiger Schriftsteller ausdrückt, »die größte Unterstützung unsers Haupt-, wenn nicht jeden Theaters in London.« Er hatte noch sein dreißigstes Jahr nicht erreicht, da war »unser freundlicher Willy«, der »honigzungige Shakspeare«, ein populärer und berühmter Mann. »Er ist unser Plautus und unser Seneca, der beste Mann in England für das Lustspiel und die Tragödie«, sagt Francis Meres im Jahre 1598.

Wo aber haben wir ihn zu suchen in diesem London, das für die Begriffe jener Zeit schon so groß war? Nun, es gab drei Plätze in dem damaligen London, wo man sicher sein konnte, im Verlauf eines bürgerlichen Tages einen jeden Mann, der zur guten Gesellschaft gehörte, wenigstens einmal zu treffen, entweder im St.-Pauls-Dome, oder in der Taverne, oder im Theater.

Die St.-Paulskirche war damals die große und fashionable Promenade von London; aber sie war noch viel mehr außerdem. Was im heutigen London der Trödelmarkt vom Houndsditch am Morgen, die Börse zur Mittagszeit, Rotten-Row am Nachmittag und Haymarket am späten Abend ist, das zusammen während des ganzen Tages war im 16. Jahrhundert St.-Paul, die alte Metropolitankirche von London, nicht der Platz vor der Kirche, sondern die Kirche selber. Es gingen überhaupt wunderbare Dinge in den Kirchen vor; sie waren die Theater, die Gerichtshöfe, die politischen Kampfplätze und die Lotteriehäuser jener Tage. Das alte Drama, das Mirakelspiel, bevor es auf die Straßen gewandert war, hatte jahrhundertelang seinen Sitz in den Kirchen gehabt, und noch aus dem Jahre 1592 hören wir, daß bei einem Besuch der Königin Elisabeth in Oxford der Gottesdienst in der Universitätskapelle nicht so bald vorüber war, als man auch die Kapelle schon in ein Theater für die Vergnügungen des Nachmittags verwandelte. Um dieselbe Zeit verbot die akademische Obrigkeit derselben Universität das Rauchen in den Kirchen »wegen der zu großen Masse des Qualmes«. Die Gemeindewahlen wurden fast überall in den Kirchen vollzogen und sehr häufig, besonders in Zeiten von ansteckenden Krankheiten, wurden auch die Assisen daselbst gehalten. Am ungenirtesten jedoch benahm man sich in der genannten Metropolitankirche von London, derjenigen, welche, im großen Feuer zerstört, auf derselben Stelle stand, wo jetzt der Dom von St.-Paul sich erhebt. Das St.-Paul's des heutigen London ist ein Kuppelbau, nach dem Muster der Peterskirche in Rom; St.-Paul's in Shakspeare's London war ein gothischer Dom, mit einem schmalen Thurm, der aber durch Feuer im Jahre 1561 halb zerstört war, mit Kreuzgängen und einem Todtentanz an den Außenwänden. Im Innern waren Kapellen und Schreine, welche von kostbaren Steinen und Gold und Silber schimmerten; die Glasmalereien der Fenster warfen ein vielfarbiges Licht auf das prachtvolle Silbergeräth des Hochaltars und den Schrein des heiligen Erkenwald, an welchem ein großer Saphir funkelte, von dem man glaubte, daß er die Krankheiten der Augen heilte. – So oft Königin Elisabeth mit ihrem nobeln Gefolge nach St.-Paul's kam, um dem Gottesdienste beizuwohnen, wurde sie fast unveränderlich begleitet von »zwei weißen Bären«. Aber dieses war nicht das Aergste. Schon seit der Reformationszeit war das Schiff des Domes ein ganz allgemeiner Durchgang geworden für die Lastknechte mit Bierfässern, Brotkörben, Fisch, Fleisch und Früchten; beladene Maulesel, Pferde und andere Thiere zogen unaufhörlich von der einen Thür zur andern, die Marmormosaiken mit Stroh, Abfall und Schmuz jeder Art bestreuend. Durch die hohen Flügel des Domes klang Rossegewieher und auf den Bänken im Chore schnarchten die Trunkenbolde. Auf den Säulen, in dem reichen Bildhauerschmuck der Knäufe, nisteten Vögel, und es war ein Hauptvergnügen der Cityjugend, sie mit Pfeil und Bogen herabzuschießen; an die Säulen wurden Zettel geschlagen und an der sogenannten » Si quis«-Thür drängten sich die Dienstboten, welche eine Herrschaft suchten. Die Advocaten der benachbarten Gerichtshöfe von Dowgate und Paternoster-Row hatten ihre Stände, an denen sie ihre Clienten empfingen; und noch unter Karl II. war davon so viel übriggeblieben, daß ein Jurist, sobald er zur Praxis berufen worden, nach St.-Paul's ging, um sich seinen besondern »Stand« zu wählen. In den Seitengängen hielten sich die Wucherer auf, und das Taufbecken ward als Comptoir bei den Zahlungen benutzt. Der Lärm war sehr groß, und während in einem Theil des Domes die Orgel ging und die Predigt gehalten ward, wurde in dem andern geflucht, geschworen und betrogen. Zwar hatte Elisabeth bei Strafe des Prangers (mit welchem nicht selten der Verlust der Ohren verbunden war) das Fahren, Reiten, Schießen und Drachenfliegen in St.-Paul's verboten; aber noch unter Karl I., im Jahre 1630, rief Bischof Laud feierliche Verwünschungen auf diejenigen herab, »welche jene heilige Stätte entweihten, indem sie daselbst Soldaten rekrutirten, profane Gerichtssitzungen abhielten und Lasten hindurch trügen«, und mehr als je war in dem Shakspeare'schen London das Mittelschiff der Kathedrale, »St. Paul's Walk«, die fashionable Promenade, der Platz für die Neuigkeiten, das tägliche Rendezvous für die geistreichen Herren und die »galanten« Damen der Stadt.

Dieser mittlere Theil der Kirche hieß im Jargon jener Tage »das mittelländische Meer«, oder »Herzog Humphrey's Promenade«, nach dem einzigen Grabmonument, welches sich im Schiff befand, und nach Herzog Humphrey genannt war, obgleich ein schlichter Rittersmann, Sir John Beauchamp, darin ruhte. Warum der Herzog »Seine Herrlichkeit ohne Fleisch« hieß, ist schwer zu sagen; denn zu seinen Lebzeiten liebte der gute Herzog nichts mehr als ein opulentes Mahl und fröhliche Gäste. Doch muß er in einer spätern Zeit wol in den Ruf des Gegentheils gekommen sein, denn »mit Herzog Humphrey zu Mittag speisen« wollte in der damaligen Redeweise so viel sagen, als kein Geld haben, um ein Mittagsessen zu bezahlen. Ein Diarist jener Zeit, Francis Osborn, gibt uns folgende Beschreibung: »Es war damals die Mode für die bessern Klassen, für Lords und Hofleute und Männer von allen Berufsarten, sich in St.-Paul's gegen 11 Uhr morgens zu treffen und in dem Mittelflügel bis zwölf zu promeniren, nach dem Mittagsessen aber von drei bis sechs, während welcher Zeit einige von Geschäften, andere von Neuigkeiten sprachen. Nun, in Rücksicht auf den Weltverkehr ereignete sich wenig, was nicht zuerst oder zuletzt hierher gekommen wäre. Und ich, als ich jung war, mischte mich um diese Stunden unter die auserlesenste Gesellschaft, die ich auftreiben konnte.« Hierher, in diese seltsame Versammlung der Laster, Thorheiten, Moden und Launen des damaligen London, ist auch Shakspeare oft genug gekommen. Hier fand er die Modelle für seine Komödien und die Zielscheiben für seinen Witz. Hier fand er Pistol und Bardolph, Junker Tobias von Bleichenwang und Junker Schmächtig. »Hier (in St.-Paul's) habe ich ihn mir gekauft«, wie Falstaff von Bardolph sagt. –

Wo aber fand er ihn selber, ihn »den alten, fetten Ritter«, diese Blume aller Kneipgenies? Nun, ich denke der Ort ist nicht zu verfehlen, wo der Mann sich aufhält, dessen Wort ist: »Soll ich meine Bequemlichkeit nicht haben in einem Wirthshaus?« Die Tavernen »Zur Meermaid«, »Zur Mitra«, »Zum Horn« oder »Zum Eberkopf« sind nicht weit, und in einer davon werden wir ihn finden; denn, wie es in dem Codex der Modeherren von damals hieß: »sein Essen muß in einer von den berühmten Tavernen sein«.

Aber ehe wir noch diese Stätten fröhlicher Geselligkeit, gefüllter Krüge und sprudelnden Witzes erreichen, haben wir noch, grad beim Austritt aus St.-Paul's, einen merkwürdigen Anblick. Hier, auf dem Kirchhof von St.-Paul's, um eins jener Straßenkreuze, an welchen das alte London reich war, sitzt eine Versammlung von Andächtigen in freier Luft, und unter dem Kreuz steht ein Mann in Schwarz, welcher predigt. Es ist ein Puritaner, welcher gegen die Sittenlosigkeit der Zeit, gegen ihre Vergnügungen, und ihre Theater nicht am wenigsten, donnert. Dieser Mann und seine Partei werden auch ihren Tag haben, um die Kirchen zu säubern und die Theater zu schließen!

Man sagt, daß Shakspeare die Bekanntschaft von Sir John Oldcastle (denn so hieß das Original unsers bewunderten Freundes Sir John Falstaff) in einer Taverne von Eeastcheap, im »Eberkopf« gemacht habe. Diesen Eberkopf » the Boar's Head« hat vielleicht schon Chaucer gesehen, denn zur Zeit Richard's II. existirte das Haus und das Zeichen, wenn auch nicht als das eines Wirthshauses; unter den drei Tavernen der City gegen Ende des 15. Jahrhunderts wird der Eberkopf noch nicht genannt. Wohl aber nimmt er einen Ehrenplatz unter den vierzig Tavernen ein, welche durch Parlamentsacte im 16. Jahrhundert der City verstattet wurden, und in der Statistik vom Jahre 1633, welche 211 Tavernen aufzählt, wird er schon als » an ancient tavern« bezeichnet. Nachweislich erscheint er zuerst in einem Pachtvertrag aus dem Jahre 1537, wo derselbe sich in der Hand einer Witwe Johanna Broke befand, wahrscheinlich Mutter von William Broke, welcher bis 1588 Wirth zum »Eberkopf« war, und welchem dann Thomas Wright folgte. Das Originalzeichen der Boar's-Head-Tavern, ein Eberkopf aus Holz geschnitzt, mit dem Datum 1566 und dem Namen des damaligen Wirthes, William Broke, war das einzige, was gerettet ward, als im Feuer von 1666 das Wirthshaus selbst niederbrannte, und es ward im Juli 1868 in einer Auction für 26 Pfd. Sterling verkauft. Das Gebäude, welches nach der Katastrophe an derselben Stelle und unter demselben Zeichen wiederaufgebaut wurde, hatte einen steinernen Eberkopf, mit den Initialen J. T. und dem Datum 1668, und dieser wird nun in Guildhall aufbewahrt. Von diesem zweiten Wirthshaus mit dem steinernen Eberkopf hat sich noch eine andere Reliquie erhalten, welche im Jahre 1834 der britischen Gesellschaft der Alterthumsforscher ( Society of Antiquaries) vorgelegt ward: eine aus Eichenholz geschnitzte Figur des edeln Sir John Falstaff, welche, im Costüm des 16. Jahrhunderts, eine Balkenzier über der einen Seite der Thür gestützt hatte, während die Figur von Prinz Heinrich die der andern Seite trug. Mit diesen Erinnerungen an die beiden Shakspeare'schen Helden erfreute die Taverne sich noch sehr lange eines großen Ruhms in der Nachbarschaft des Fischmarktes von Billingsgate, führte den »Eberkopf« im Schilde und darunter die bescheidene Inschrift: »Dies ist das Hauptwirthshaus in London«; bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts der damalige Besitzer, vielleicht aus Reue über die Sünden seiner Vorgänger und Vorgängerinnen, diesen Aufenthalt der »Dame Hurtig« der Kirche vom heiligen Michael vermachte, um einen Kaplan aus dem Einkommen zu unterhalten. Aber der Eber wollte unter dem Kirchenregiment nicht recht mehr floriren; zu Anfang unsers Jahrhunderts wurde das alte Nest zwischen einem Barbier und einem Flintenschmied getheilt, über deren aneinanderstoßenden Läden bis zum Jahre 1831 noch der in Stein gehauene Eberkopf zu sehen war. Da aber wurden auch diese letzten Insassen des Eberkopfs expropriirt, das Haus wurde niedergerissen, um Raum für die neue London-Bridge zu machen, und genau auf der Stelle, wo der »alte Jack« gezecht und, als er seine Schulden nicht bezahlen konnte, mit einem Schwur auf seinen vergoldeten Becher der Wirthin die Ehe versprochen, steht nun die Bildsäule eines Mannes, der seiner Zeit nicht weniger corpulent, aber viel weniger witzig war: die Reiterstatue Wilhelm's IV. Der vergoldete Becher wird in der benachbarten Kirche von St.-Michael aufbewahrt, oder wenigstens sagt der Küster, daß ein Becher, welchen er für einen Sixpence sehen läßt, dieser Becher sei. Der letzte Wirth des Eberkopfs, welchen Shakspeare noch gekannt haben kann, » John Rhodoway, Vintner at the Bore's Head, † 1623«, liegt in der Kirche begraben, und das Grab eines Kellners aus derselben Taverne wird auf dem anstoßenden St.-Michaels-Kirchhof gezeigt. Der Küster sagt, es sei der identische »Franz«, welchen wir aus Shakspeare's Heinrich IV. so gut kennen; allein, wenn er es wirklich gewesen, so hätte dieser Kellner das für unsere Verhältnisse bedenkliche Patriarchenalter von etlichen 120 Jahren und darüber erreichen müssen: denn er starb erst 1720. Außerdem nennt die Grabschrift, welche seine Ruhestätte ziert, ihn Bob Preston:

Bacchus schenkt' einst der Welt zur Zier und Ehr'
Einen nüchternen Gesell'n, und hier liegt er.
Obgleich erwachsen unter vollen Tonnen,
Hat doch ein Rausch sein Herz niemals umsponnen.
O Leser, wenn du liebst Gerechtigkeit,
So denk' des braven Preston allezeit;
Und bist ein Kellner du: zu deiner Sühnung
Ahm' Bob stets nach in Maß und in Bedienung!

Die Taverne, welche Shakspeare meistens frequentirte und wo er mit seinen Freunden die längsten und berühmtesten Sitzungen hielt, war die Taverne »Zur Meermaid«. Sie stand in Breadstreet, einer Nebengasse von Cheapside, zwischen der heutigen Southwark-Bridge und London-Bridge. Wenige Schritte von dem Hause, in welchem Englands größter Dramatiker so oft und gern verweilte, stand das Haus, in welchem ungefähr zu derselben Zeit Englands größter Epiker geboren ward, der Dichter des »Verlorenen Paradieses«. So nahe, der Zeit und dem Raume nach, berührten sich die beiden Genien, welche bestimmt waren, an Englands Dichterhorizont nicht weit voneinander zu glänzen: Shakspeare und Milton! Das Haus Milton's hatte das Zeichen des ausgebreiteten Adlers, » the spread eagle«, nach dem Wappen der Familie, welches auch der Dichter führte und welches, in einer kleinen Sackgasse des heutigen Londons, » Spread Eagle Court«, fortlebend, die Stelle bezeichnet, wo vor dem Feuer von 1666 Milton's Geburtshaus gestanden. Auch die »Meermaid« ward von demselben Feuer zerstört; indessen zeigt man noch beute den Platz und eine gute Reihe von Traditionen hat sich erhalten. Der Name des Wirthes war Dun. Seine Gäste versammelten sich entweder zum Mittagsessen, welches gleich nach zwölf eingenommen wurde, oder zum Abendbecher, gegen sechs, wenn das Theater aus war. Speisezettel gab es damals allerdings nicht. Aber doch haben sich einige Kochbücher aus jener Zeit erhalten. Vielleicht interessirt es die Leserinnen, zu erfahren, was Mr. Dun's Küche für Shakspeare und seine Freunde thun konnte. Hier sind einige Delicatessen: gekochte Tulpenstengel; marinirter Puter, in Weißwein und Essig gesotten und mit Fenchelsauce servirt; gepökelte Gans mit Nelken und Ingwer; Gelée von Kleeblumen und Omeletten von Malvenstengeln mit Rosenwasser.

Aber wir glauben, daß der feiste Herr am obern Ende der Tafel, der, welcher von sich zu sagen scheint: »Du siehst, ich habe mehr Fleisch als andere Menschen und also auch mehr Schwachheit«, – wir glauben, daß er es mit dem »Roastbeef von Alt-England« gehalten, und daß er mehr Sect als Rosenwasser zu sich genommen. »Ich wollte den fetten Jack nicht für die Hälfte der großen Männer in den Chroniken aufgeben!« ruft Washington Irving aus. »Was haben sie für mich oder meinesgleichen gethan? Sie haben Länder erobert, von denen ich keine Hand breit besitze; oder sie haben Lorbern errungen, von denen ich kein Blatt geerbt; oder sie haben Thaten verrichtet, welche ich ihnen nachzumachen weder die Kühnheit noch die Gelegenheit habe. Aber der alte Jack Falstaff! – der süße Jack Falstaff! – hat die Grenzen des menschlichen Vergnügens erweitert; er hat große Gebiete des Witzes und der Laune hinzugefügt, in welchen der ärmste Mann sich ergötzen mag, und er hat eine unfehlbare Erbschaft von fröhlichem Gelächter hinterlassen, um die Menschheit lustiger und besser zu machen bis in das späteste Geschlecht.« – Darum Heil dem edeln Sir John Falstaff! Und Heil dem edeln Sir John Oldcastle, der des vortrefflichen Bildes vortreffliches Original gewesen! Indessen gab es auch einen wirklichen Sir John Falstolf, einen der tapfersten Heerführer in den französischen Kriegen unter den drei Heinrichen. Er ist zwar nicht der Falstaff Shakspeare's, doch ist es nicht unmöglich, daß die Erinnerung an diesen Soldaten sich mit der an Oldcastle gemischt hat, um jenen hervorzubringen. Der historische Falstolf war ein großer Wohlthäter von Magdalen-College in Oxford, und unter dem Eigenthum, welches er diesem vermachte, befand sich auch – seltsamerweise! – ein »Eberkopf«, freilich nicht die Taverne von Eastcheap, sondern ein anderes Wirthshaus gleiches Namens in Southwark, das ungefähr zu derselben Zeit und zu demselben Zweck niedergerissen ward wie des anderen Falstaffs Boar's-Head-Tavern: um die Straßenzugänge zu der neuen London-Bridge offen zu legen. –

Zwischen dem Essen und Trinken wurde scharf gedampft, denn seit Sir Walter Raleigh den ersten Beutel voll Taback aus Westindien mitgebracht, war das Rauchen in den exklusiven Kreisen jener Tage Mode geworden. Shakspeare's Collegen vom Globe- und Blackfriars-Theater, Lawrence Fletcher und John Taylor und Richard Burbage, die Originaldarsteller von Hamlet, Lear und Othello, rauchten. Shakspeare selber scheint der neuen Mode nicht gehuldigt zu haben, da er derselben in keinem seiner Stücke Erwähnung thut; aber Ben Jonson muß ein Freund von dem »Schnepfenkopf« gewesen sein, wie man die Pfeife damals nannte. In seinen Komödien ist sehr oft die Rede davon. Richard Burbage war der erste Schauspieler seiner Zeit. »Der wird für keinen Gentleman gerechnet, der Dick Burbage nicht kennt; es gibt kein Landmädchen, das nicht von Dick Burbage sprechen könnte«, heißt es in der »Rückkehr vom Parnaß«, einem Schauspiel aus dem Jahre 1602. Richard Burbage muß auch ein sehr schöner Mann gewesen sein. Einmal, als er Richard III. gespielt hatte, verliebte sich eine schöne Bürgerin aus London so sehr in ihn, daß sie ihm ein Rendezvous unter der Parole »Richard III.« bewilligte. Der Dichter des Trauerspiels, Shakspeare, hörte die Verabredung und beschloß das Abenteuer selber zu bestehen, ging und fand unter der ausgemachten Parole wirklich Einlaß. Später kam Burbage. »Richard III. ist vor der Thür!« ließ er hinaufsagen. »William der Eroberer war vor Richard III.«, ließ William Shakspeare hinuntersagen, und behauptete das Feld.

Shakspeare war der liebenswürdigste und eleganteste Gesellschafter; etwas schwerer und schwerfälliger war Ben Jonson.

Ben Jonson, nach Shakspeare der berühmteste Dramatiker jener Zeit, hatte ein sehr abenteuerliches Leben geführt. Zuerst hatte er studirt, dann war er Soldat gewesen, dann Schauspieler geworden, dann hatte er einen seiner Collegen erschossen und war zu lebenslänglichem Gefängniß verurteilt worden. Aber er wurde begnadigt und benutzte den Rest seines Lebens, um für die Bühne zu schreiben. Eine gute Kameradschaft, nur ein- oder zweimal durch Eifersüchteleien vorübergehend getrübt, verband ihn mit Shakspeare. Beide waren witzig, beide waren geistreich und erfahren in den Dingen der Welt. Ihr Gespräch belebte die Unterhaltungen in der »Meermaid« und ihre Witz- und Wortspiele wurden in London colportirt. Einige davon sind uns aufbewahrt. Eines Tags z. B. sprach man über das Motto des Globe-Theaters: »Die ganze Welt macht den Schauspieler!« Jonson extemporirte folgende Verse:

Wenn nur Schauspieler diese Welt enthielt',
Wo wär' das Publikum, für das man spielt?

Sogleich antwortete Shakspeare mit folgendem Impromptu:

Man handelt, schaut, ist thätig oder stumm:
Man ist zugleich Acteur und Publikum.

Shakspeare war der Genialere, aber Jonson der Gelehrtere von beiden. Namentlich war er ein guter Lateiner. Einmal, als Ben Jonson seinen Freund zum Gevatter eines seiner Kinder gemacht, saß Shakspeare in sich versunken und melancholisch am Tische. Ben Jonson versuchte ihn aufzuheitern und fragte ihn, warum er so traurig sei? – Traurig? Ich? Auf Wort, Ben! ich bin nicht traurig, sagte Shakspeare; ich habe nur eine Weile darüber nachgedacht, was ich meinem Pathenkind schenken soll, und ich hab's nun. – Ich bitte dich, was ist es denn? forschte Jonson. – Nun, Ben, ich will ihm ein Dutzend gute »lateinische Löffel« ( latten spoons, Messinglöffel) schenken, und du sollst sie übersetzen.

Ein Vers, den Shakspeare in der Taverne »Zur Mitra« improvisirt, lautet:

Gib mir ein Glas duft'gen Canarienweins,
Der einst der Mitra war, und nun ist meins;
Wenn einst Horaz, Anakreon von diesen Reben
Genippt: sie würden noch, gleich ihren Versen, leben!

O, der liebe Jack Oldcastle, o, der dicke Jack Oldcastle, der mitten unter den Schauspielern sitzen und sein Glas Sect trinken und seine Bequemlichkeit haben und seinen Will und seinen Ben hören konnte! – Aber nun schlägt es zwei Uhr von der Domkirche, und nun müssen wir die Sitzung aufheben, »wir müssen uns über die See begeben«, wie es in der Sprache jener Zeit heißt, d. h. ein Boot nehmen und uns nach einem der Theater rudern lassen, welche diesseit oder jenseit der Themse, dicht am Ufer liegen. Denn Schlag drei Uhr, nachmittags, beginnt die Vorstellung.

*

2.

Der Stutzer und der Mann von gutem Ton, der zu Elisabeth's Zeit seine Morgenpromenade in St.-Paul's macht, kennt bereits die Titel der Stücke, welche heut in den Theatern von London aufgeführt werden: denn unter den andern gottesfürchtigen Ankündigungen an den Wänden dieser Kathedralkirche befinden sich auch die Theaterzettel. Für die profane Menge jedoch und das Publikum im großen werden sie an die Pfähle geschlagen, welche man hier und da in den Straßen errichtet hat, um die Pferde daranzubinden. An ihnen erblicken wir die sieben Theaterzettel der sieben Haupttheater von London: der Rose, des Schwans, des rothen Ochsen und des Vorhangs, wahrscheinlich nach einem Bilde, ferner des Globus, der Fortuna und der Hoffnung, wahrscheinlich nach einer Figur so genannt, welche an einer besonders sichtbaren Stelle dieser Gebäude als »Zeichen« derselben angebracht waren. Die Theaterzettel damaliger Zeit enthielten nur die Namen des Stücks, des Dichters, der Truppe und ihres Patrons; aber kein Personenverzeichniß. Leider besitzen wir kein Original eines solchen Zettels mehr; jedoch geben uns die Titelblätter zu den ersten Ausgaben Shakspeare'scher Stücke vielleicht eine Idee von dem Stil, in welchem jene abgefaßt wurden. Hier ist ein Beispiel:

»Ihrer Majestät Diener werden heut aufführen:
Eine sehr amüsante und ausgezeichnet erfundene Komödie, genannt:

Syr John Falstaff und die lustigen Weiber von Windsor,

untermischt mit sonderlich abwechselnden und vergnüglichen Einfällen des Syr Hugh, eines wälschen Ritters, des Friedensrichters Schaal und seines weisen Cousins, Herrn Schmächtig, nebst den Aufschneidereien des alten Pistol und Corporals Nym,

von
Wm. Shakspeare,

wie sie verschiedentlich aufgeführt worden ist von des Sehr Ehrenwerthen, des Mylord Oberkammerherrn Dienern sowohl vor Ihrer Majestät als anderweit.«

Shakspeare's Truppe, die vornehmste und bedeutendste jener Zeit, hatte zwei Theater: ein Wintertheater, Blackfriars genannt, und ein Sommertheater, den Globe. Das Blackfriarstheater, das älteste in London, und das erste, in welchem überhaupt je gespielt worden ist (seit dem Jahr 1576), stand in der Nähe der heutigen Blackfriarsbrücke, in der Gegend jenes Labyrinthes von kleinen Gassen und dunkeln Höfen, welche gegenwärtig den Square von Printing-Yard einschließen. Wo jetzt die vier kolossalsten Schnellpressen von London arbeiten und finstere Speicherthüren unausgesetzt die bedruckten Zeitungsballen ausspeien, da spielte einst Shakspeare den Geist von Hamlets Vater. Das papierene Zeitalter ist dem goldenen gefolgt: das Theater Shakspeare's hat dem Redactionsgebäude und den Druckereien der »Times« Platz gemacht. Das Blackfriarstheater war ein sogenanntes Privattheater, d. h. es war kleiner als die andern, welche im Gegensatz dazu die öffentlichen Theater hießen, hatte ein vollständiges Dach, Sitze im Parterre (pit), und man spielte darin vor einem gewählten Publikum und bei Kerzenlicht, indem man das Tageslicht künstlich ausschloß. Das Globetheater dagegen, das Sommertheater der Compagnie, war ein öffentliches, es lag schräg gegenüber, auf der andern Seite der Themse, und um es zu erreichen, mußte man daher eine der Brücken kreuzen, oder man mußte sich »ein paar Ruder« miethen.

Kutschen gab es im damaligen London nur ganz vereinzelt Sie waren zugleich mit dem Tabackrauchen aufgekommen und wurden zugleich damit verspottet. »Die erste Kutsche«, sagt ein Satiriker jener Zeit, »ist vom Teufel in China aus einer Krebsschale gemacht und nach England hinübergetragen worden in einer Wolke von Tabacksrauch!« Die erste Kutsche in London war eine holländische, und sie war der Königin zum Geschenk gemacht worden, welche darin am Tage des feierlichen Dankgottesdienstes für die Vernichtung der Armada von Whitehall nach St.-Paul's fuhr. Bis zum Anfange des 17. Jahrhunderts entsprachen dem Bedürfnis der fahrenden Londoner vier Miethswagen, welche auf dem Strand unter dem »Maibaum« hielten; aber das »Unternehmen«, welches sich allmählich bis zur Zahl von 20 emporgeschwungen hatte, ward bald als öffentliches »Aergerniß« verschrien, und Miethskutschen, »da sie die Passage sperrten und die Straßen gefährlich machten für Se. Majestät und den Adel« wurden durch königliche Proclamation im Jahre 1635 rundweg verboten. Fortan sollten Miethswagen in Londons Straßen überhaupt nicht mehr, sondern nur von London aufs Land und vice versa fahren, und niemand sich derselben bedienen dürfen, »außer solchen Personen, welche im Stande sind, vier tüchtige Pferde für Seiner Majestät Dienst im Stalle zu halten, welche, wenn verlangt, bei schwerer Strafe bereit sein müssen«. Toleranter als die Monarchie bewies die Republik sich gegen die verpönte Bequemlichkeit; in einer Ordonnanz des Lord-Protectors Cromwell vom Jahre 1654 werden für die Metropolis und sechs Meilen in der Runde 200 solcher Wagen erlaubt, aber nicht mehr, »da die beständig wachsende Zahl derselben, indem sie unsere Straßen sperrt, unerträglich zu werden droht«. Ein Säculum später gab es 800, und 1854 außer 8-9000 Cabs auch noch 3000 Omnibusse.

Die Herren vom Hofe und die Cavaliere zu Shakspeare's Zeit ritten in das Theater, begleitet von ihren irischen Pferdejungen, welche neben ihnen herliefen, und von ihren französischen Pagen, welche ihnen zu Pferde folgten. Die Mehrzahl der Zuschauer aber kam zu Wasser, in kleinen Ruderbooten. Dieses Mittel, sich von einem Punkte der Stadt an den andern zu begeben, war das beliebteste. Diejenigen Theile von London, welche landeinwärts, in den Parks und an den Hügeln liegen, sind erst viel später hinzugekommen. Das damalige London, die City, lag fast ganz am Wasser und hatte weniger Brücken als das heutige. Mehr als 40 000 Menschen lebten von ihren Rudern und Fahrzeugen, und zwischen 3-4000 Personen ließen sich täglich allein zu den Theatern fahren, welche sämmtlich entweder auf dieser oder auf jener Seite des Stromes dicht am Ufer lagen.

Aber das Theater hatte auch seine Feinde. Schon haben wir unter dem Kreuz von St.-Paul's jenen Mann gesehen, jenen Geistlichen, den ehrwürdigen John Stockwood, welcher vor seiner Gemeinde von Puritanern gegen diesen neuen Misbrauch der Zeit eifert. »Ich sage nichts«, ruft er, »von verschiedenen andern Sünden, welche Tausende mit sich fortreißen und zuletzt in dem Strom der Eitelkeit ertränken. Aber seht auf die öffentlichen Schauspiele in London, und seht auf die Menschenmenge, die ihnen zuströmt und die ihnen nachläuft. Betrachtet die prachtvollen Theatergebäude, ein beständiges Denkmal für Londons Verschwendung und Thorheit.« Dann, nachdem der Prediger die Schrecken der Schauspielaufführungen in feurigen Worten geschildert, bringt er die Krankheit, welche fast jedes Jahr wüthete, damit in Verbindung und schließt mit der Behauptung: »Die Ursache der Pest ist die Sünde, und die Ursache der Sünde sind die Schauspiele; daher sind die Ursache der Pest die Schauspiele.«

Der Magistrat von London, Lord-Mayor und Aldermen, nahmen dieses Argument auf. In einem sehr gelehrten Actenstück dieser Körperschaft wird versichert, daß während der Pest zu spielen Ansteckung verbreite, und daß außer der Pest zu spielen die Pest erzeuge. Es ward demgemäß angeordnet, daß die Schauspieler – mit Ausnahme derjenigen, welche in Ihrer Majestät Diensten ständen – nur dann Erlaubniß haben sollten, zu spielen, wenn »die Stadt gesund sei«, d. h. wenn während dreier Wochen nacheinander nicht mehr als 50 Leute in der Woche gestorben wären. Dann sollte am Sonntag überhaupt nicht und an Wochentagen nicht später gespielt werden, »als daß ein jeder von den Zuschauern in seiner Wohnung vor Sonnenuntergang oder wenigstens vor Dunkelwerden zurück sein kann«. – Diese sehr weisen Verordnungen eines hochlöblichen Magistrats hatten keinen andern Effect, als daß die Schauspielhäuser nicht in der City, sondern an den Außenrändern derselben, meistens am Wasser gebaut wurden, und daß Ihre Majestät und Ihrer Majestät große Lords die armen verfolgten Schauspieler in ihren »Dienst« nahmen und mit ihrer Schärpe gegen die Weisheit und Vorsicht der Väter der Stadt deckten. In dieser ihrer Eigenschaft trugen die Schauspieler jener Zeit, gleich den andern Dienstleuten derselben, die Wappen und die Farben ihrer Patrone; wer sich nun an ihnen vergriff, der bekam es mit den Lords von Ihrer Majestät Haushalt zu thun! Die Mitglieder von Shakspeare's Truppe und Shakspeare selber trugen als »Diener Ihrer Majestät« scharlachfarbene Mäntel mit Sammtaufschlägen.

Die Königin Elisabeth war eine große Freundin und Beschützerin des Schauspiels. Sie und ihr Hof hielten es für keine Sünde, nachdem sie am Vormittag ihren gehörigen Kirchgang gehabt, die Sonntage in einer Komödie zu beschließen, und in ihrer Sorge für das Vergnügen der niedrigern Klassen ermunterte sie dieselben, ihrem Beispiele zu folgen. Damals war der Sonntag noch nicht der Tag, an welchem es dem guten Volk von London verboten war, zu seiner Erholung nach der Woche Last und Mühe irgendein öffentliches Gebäude zu besuchen, ausgenommen die Kirche und – das Ginhaus. Damals war der Sonntag der beste Tag für die Theater in London, und das Volk strömte hinein, um Shakspeare zu sehen und Shakspeare zu hören. – Die Königin für ihre Person ging zwar niemals in die Theater, aber in ihren Palästen zu Whitehall, in Richmond und in Windsor fanden beständig Vorstellungen statt, und einige von Shakspeare's Stücken wurden zuerst vor Ihrer Majestät aufgeführt. Während einer dieser Hofvorstellungen im Bankethaus von Whitehall, als Shakspeare in seinem eigenen Drama die Rolle von Heinrich VI. spielte, kam die Königin auf den Einfall, die Geistesgegenwart desselben auf die Probe zu stellen. »Man hat mir oft erzählt«, sagte sie, »daß er ein großes Talent für die Improvisation besitze – wohlan, ich will mich davon überzeugen.« Die Loge der Königin war unmittelbar über der Bühne, und eine kleine Treppe führte hinunter, vor welcher die beiden Leibwächter Ihrer Majestät mit großen Hellebarden standen, in deren Stahl das Wappen des Hosenbandordens und die Devise: » Honny soit qui mal y pense!« schimmerte. In dem Augenblick, wo Heinrich VI. in der Mitte seiner Edlen die Bühne betritt, welche das Parlament vorstellen soll, ließ die Königin ihren Handschuh über der Logenbrüstung gerade zu Shakspeare's Füßen niederfallen. Dieser, sobald er den Handschuh hatte fallen sehen, trat ohne sich zu besinnen vor, und, sich mitten in seiner Rede unterbrechend, hob er ihn auf mit folgenden Worten, die er in seinem Charakter als König improvisirte:

Und ob wir gleich in dieser hohen Sendung
Begriffen sind, so beugen wir uns doch,
Um aufzuheben unsrer Base Handschuh.

Dann, nachdem er den Handschuh auf die Hellebarde eines der Leibwächter gesteckt, von welcher die Königin denselben lächelnd herabnahm, trat er wieder zurück und spielte seine Rolle weiter. Eine ziemlich glaubwürdige Anekdote versichert auch, daß wir »Die lustigen Weiber von Windsor« nur dem Wunsche der Königin zu verdanken hätten. Sie, die, wie alle Welt damals, eine große Bewunderung und Freundschaft hegte für Sir John Falstaff, wäre sehr neugierig gewesen, das Benehmen des »feisten Ritters«, nachdem sie ihn immer nur unter Männern, beim Becher und in der Schlacht gesehen, nun auch einmal in einem Liebesverhältniß und bei Damen kennen zu lernen. Dieses war eine Aufgabe für Shakspeare's Humor! Man sagt, daß er nicht länger als vierzehn Tage gebraucht habe, um sie auszuführen. Und so ging, kurz vor Elisabeths Tode, Ende des Jahres 1602, die neue Komödie in Scene, wahrscheinlich im Schlosse von Windsor, in welchem die Königin damals vorzugsweise residirte und nach welchem auch der Dichter mit feiner Courtoisie sein Stück nannte. Eine freilich weniger glaubwürdige Anekdote fügt hinzu, die Königin habe über die Streiche der lustigen Weiber und das Misgeschick ihres ritterlichen Galans, der unter einem Haufen schmuziger Wäsche in die Themse geworfen wird, so stark gelacht, daß sich infolge davon ein Krampf und Husten einstellte, der tödlich für sie geworden sei.

Ach! die arme Königin sollte nicht am Gelächter sterben. Ihr Ende war trauriger. Weinend saß sie nächtelang auf ihrem Bette, die seidenen Kissen mit Thränen benetzend und die Luft zerreißend mit den Anrufen längst Geschiedener – unter denen ein Vergifteter und eine Enthauptete – bis sie zuletzt starb in ihrem Palaste von Richmond, auf dem Boden liegend, und den Namen »Essex« auf den Lippen ...

Aber noch steht die Sonne hoch, und unser Schifflein schwimmt auf der Themsewoge. Dort auf dem rechten Ufer ist Bankside, in Shakspeare's London der Sitz des Vergnügens, bunt von Wirthshausschildern und lustig von Musik. Dort ist der Bärengarten, und dort sind fünf von den sieben Theatern Londons. Da, wo hinter Southwark-Bridge in unserm London ein gigantisches Heer von Schornsteinen Tag und Nacht schwarzen Qualm ausstößt, welcher die Atmosphäre verfinstert, wo ein immerwährendes Dröhnen ist von Frachtkarren und ein beständiger Geruch von Hopfen und Malz, und wo an rußbedeckter Mauer ein Bret die Inschrift trägt: »Barclay und Perkins's Brauhaus« – an derselben Stelle, dreihundert Jahre früher und unter dem blauen Himmel von Shakspeare's London steht sein Theater, welches den Hercules mit der Erdkugel zum Zeichen hat und nach demselben das Globe-Theater heißt. Es ist jetzt immer noch unverändert dasselbe Southwark, wie wir es zweihundert Jahre früher, zu Chaucer's Zeit, gesehen haben: eine ländliche Vorstadt mit Feld und Garten; Shakspeare'sche Erinnerungen mischen sich mit den Chaucer'schen, der alte »Talbot«, in welchem einst die Canterburypilger sich versammelt, hat eine lustige Nachbarschaft bekommen und wie Shakspeare's Genius in der »Meermaid« sich berührt mit dem Genius der Zukunft, so hier in Southwark, wo sein Theater steht, mit dem der Vergangenheit – dem ehrwürdigen »Vater der englischen Dichtkunst«, auf diese Weise gleichsam über Jahrhunderte rückwärts und vorwärts den localen, den Bodenzusammenhang darstellend. Das Globe-Theater ist ein sechseckiges Gebäude von Holz, fast wie ein Belagerungsthurm mit vielen Fenstern ringsum, die wie Schießscharten aussehen, mit zwei Breterhäuschen oben und einer Flaggenstange. Aus dem einen Breterhäuschen tritt jetzt, wo die Glocken von London dreiviertel drei schlagen, ein phantastisch gekleideter Mann mit einer Trompete, um das erste Signal zu geben. Von allen Theatern in der Runde schmettern die gleichen Töne, die sich in der Luft begegnen und die Schiffe, von denen der Themsespiegel bedeckt ist, und die Reiter, welche sich über die Brücke bewegen, zu größerer Eile treiben. Aber bis es drei Uhr ist, wird der Trompeter noch zweimal blasen, und dann mit dem Vollschlag und dem letzten Tusch wird die Vorstellung beginnen und an dem Flaggenstock wird ein rothseidenes Bannertuch erscheinen.

Inzwischen hat Boot um Boot am Ufer angelegt, das Gewieher und Getrappel zahlreicher Rosse ist rings um das Theater, und alles drängt dem Eingang und der Kasse zu – der junge Cavalier mit Degen und Federhut, der gravitätische Citymann, die sittig-schöne Bürgerin, der Gelehrte und der Bücherwurm von Klein-Britannien, der Raufbold aus den Schlupfwinkeln des Strandes, der Jurist vom Tempel, der Landgentleman, dessen Halle daheim voll ist von Falken und Dachshunden, der Lehrjunge, der Werkstatt entlaufen, und der Matrose, frisch noch vom Theer- und Seegeruch: sie alle sind Shakspeare's Publikum.

Die Eintrittspreise sind sehr verschieden. Die billigsten Plätze, damals wie jetzt, sind auf der Galerie: sie kosten nach unserm Geld etwa einen Silbergroschen. Die eigentliche Masse des Publikums drückt sich im Parterre zusammen, welches im Globe- wie in den übrigen öffentlichen Theatern der »Hof« ( yard) heißt. Der »Hof« hat kein Dach und keine Sitzplätze: hier herrscht unbegrenzte Freiheit. Regen und Sonnenschein kommen nach Belieben, und für zwei Silbergroschen hat jeder britische Unterthan die Befugniß, hier zu sehen, zu drängen und sich drängen zu lassen, Aepfel zu essen, Nüsse zu knacken, Bier zu trinken, Karte zu spielen und das Schauspiel auszuzischen. In dieser Beziehung, wenn auch in keiner andern, standen die »Gründlinge« in großem Ansehen: ihr Beifallsklatschen entschied über den Erfolg der Stücke. Aber sonst galten sie weder für respectabel noch für kritisch zurechnungsfähig, und der eigentlich gebildete Theaterbesucher nahm sich wohl in Acht, unter sie zu gerathen. Für etwa 10-20 Silbergroschen nahm er seinen Sitz in einem von den »Zimmern«, wie die Logen in Shakspeare's Theater hießen. Zuweilen miethete er sein »Zimmer« für die ganze Saison, und hatte den Schlüssel in seiner eigenen Tasche.

Daß die Schauspielhäuser auch für die zweideutigen Charaktere jener Zeit ihre besondere Anziehungskraft hatten, läßt sich denken; darin ist die Welt geblieben wie sie war, und kleine Arrangements zu Soupers nach dem Theater waren damals so gut in der Mode, als sie es heute sind. Ebenso war an Taschendieben kein Mangel; aber die Art ihrer Bestrafung war originell: wenn man sie auf frischer That ergriff, so wurden sie ohne weiteres auf die Bühne gebracht und an einen Pfahl gebunden, und dort boten sie sowol dem Spott als den Nußschalen der »Gründlinge« ein würdiges Ziel. Ueberhaupt war damals die Bühne, viel mehr als in unsern Tagen, für das Mitspiel des Publikums berechnet. Sie war nur zum kleinsten Theil für die Schauspieler bestimmt: mehr als die Hälfte diente den » gallants«, den Schöngeistern und den Männern von Fach und Bildung zur Schaustellung ihrer eigenen Person oder ihrer weißen Hand oder ihrer seidenen Mäntel. Für ein kleines Trinkgeld hatten sie hier ihren dreibeinigen Stuhl, oder sie warfen sich so lang sie waren auf den mit Binsen bestreuten Boden. Binsen waren in der damaligen Zeit, was in der jetzigen der Teppich ist; der Gebrauch, den Flur mit ihnen zu bedecken, war allgemein im Palast und im Bürgerhaus, wie wir aus den englischen Familienbildern von Holbein sehen, und sie fehlten auch auf der Bühne nicht. Decker, in seinem » Gull's Horn-Book«, gibt dem » gallant«, dem Stutzer, ganz besondere Anweisungen darüber, wie er sich beim Theaterbesuch auf der Bühne zu benehmen habe, da diese Herren sich während des Spiels nicht selten ein Vergnügen daraus machten, eine dieser grünen Pflanzen vom Boden aufzunehmen und ihre Nachbarn mit der Spitze derselben am Ohre zu kitzeln. Der vollendete Stutzer erschien niemals bevor die Trompete zum dritten male geblasen, dann, wie der genannte Decker beschreibt, »schritt er sogleich zu dem Thron der Bühne, ich meine nicht in die Herren-Zimmer (die Logen) welche nichts mehr sind als die Vorstädte der Bühne, sondern direct auf die Binsen, auf welchem die Komödie tanzen soll, ja unter dem Staat von Cambyses muß sich unser befiederter Strauß hinpflanzen, um das Zischen und Miauen der schuftigen Gegner zu bekämpfen«. Die Zeichen des Beifalls und des Misfallens waren in Shakspeare's Theater wie in den unsern. Das erste Beispiel des Hervorrufs freilich sollte erst mehr als hundert Jahre später, und einem begegnen, der es sich herausnahm, Shakspeare mit einem »betrunkenen Wilden« zu vergleichen: nämlich dem »Herrn von Voltaire«, bei der ersten Aufführung seiner »Merope«, im Jahre 1743. Lessing, der diesen Vorfall in seiner »Hamburgischen Dramaturgie« als etwas ganz Außerordentliches berichtet, scheint nicht sehr erbaut davon gewesen zu sein. »Wie die Vorstellung zu Ende war, verlangte das Parterre den Mann zu sehen, den es so sehr bewundert hatte, und rief und schrie und lärmte, bis der Herr von Voltaire heraus trat und sich begaffen und beklatschen lassen mußte.« Seit dieser Zeit hätten alle französischen Theaterdichter »an diesem Pranger« gestanden; »aber«, fügt der Dichter von »Emilia Galotti« hinzu: »ich wollte durch mein Beispiel einen solchen Uebelstand lieber abgeschafft als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben«.

Nun, in Shakspeare's Theater gab es weder einen Hervorruf, noch eine Kritik: der unmittelbare Beifall entschied alles. Zwar hatten die Modeherren, welche auf der Bühne saßen, ihre Notizbücher, »Tafeln« genannt, in welchen sie während der Vorstellung eifrig nachschrieben: aber nur die Witze, die ihnen am besten gefielen, um sie hernach bei Hof und in der Taverne zu colportiren, oder gelegentlich in das Gespräch zu mischen. Solch ein Buch bei sich zu haben und mit dem Beginn des Schauspiels hervorzuziehen, galt für ein Zeichen literarischer Bildung und guten Geschmacks. Außerdem hatte der galante Mann jener Zeit sein Spiel Karten, seine Schnupftabakdose nebst dem silbernen Löffel, mit welchem er den Taback nahm, seine Pfeife und seine drei Sorten Taback, von denen »der wirkliche Trinidado« am meisten geschätzt wurde. Sich die Pfeife zu stopfen, war das erste, was der Cavalier that, nachdem er seinen dreibeinigen Stuhl auf der Bühne eingenommen; dann zündete er sie an, wobei er die brennende Lunte auf der Spitze seines Degens umherreichte oder von seinem Nachbar sich ausbat. Das Rauchen war damals eine vollkommene Kunst; man nahm Unterricht im Rauchen, wie man heute Unterricht im Tanzen nimmt, man hatte die verschiedensten Manieren, um den Dampf zu »nehmen« und wieder auszublasen, nämlich den »Whiff« und den »Sniff« und den »Euripus«, und für den besten Ort, um zu zeigen, was man bei seinem Professor gelernt, hielt man die Bühne.

Was zu Shakspeare's Zeiten eine Derbheit war, die der Sitte nicht widersprach, das nahm später den Charakter einer Unsitte an. Damen gingen damals gar nicht ins Theater, und viel später erst, im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts, mit Masken. So sah Pepys, der Diarist, im Jahre 1663 eine Tochter Cromwell's, die Gräfin Falconberg, im Theater; »aber als das Haus sich, zu füllen begann, setzte sie ihre Maske auf und behielt sie während des ganzen Stücks vor«. Bis dahin hatte es auch keine Schauspielerinnen gegeben; die Frauenrollen wurden von Knaben oder jungen Männern dargestellt, und noch unter Karl II. ereignete sich's, daß eines Tages, bei der Aufführung eines Shakspeare'schen Stücks, der Director zu dem Monarchen kam, der über die Verzögerung des Anfangs ungehalten ward, mit der Entschuldigung: »Sire, nur noch einige Minuten – ich bitte Sie; die Königin ist noch nicht rasirt!«

Als aber Frauen nicht nur im Zuschauerraum erschienen, sondern auch auf der Bühne heimisch wurden, da mußten »die Stühle der Stutzer« einen wirklichen Anstoß erregen, obwol die Moral damals weder vor noch hinter den Coulissen besonders gut war. Jedenfalls verursachte die Anwesenheit der Herren auf der Bühne mannichfache Störungen, und schon im Jahre 1664 ward die erste Verordnung dagegen erlassen, daß irgendjemand, der nicht zur Truppe gehörte, sich in dem Ankleidezimmer sehen lasse. Später griff man zu dem Auskunftsmittel, hohe Preise für einen Stuhl auf der Bühne zu verlangen, wie z. B. 1732, bei der Eröffnung vom Covent-Garden-Theater ½ Guinea (3 Thlr. 15 Sgr.). Allein das Uebel erhielt sich und ward nicht besser, als man es durch ein anderes zu corrigiren versuchte: man postirte nämlich Schildwachen auf die Bühne, »um« wie es im »Guardian« vom 2. April 1713 heißt, »die Unordnung zu verhüten, welche das unmanierlichste Geschlecht junger Männer, das jemals in irgendeinem Zeitalter gesehen wurde, häufig anstiftet«. Der Bericht erzählt alsdann von einem dieser Soldaten, welcher an einer gewissen Stelle des Stücks so gerührt worden sei, daß er in Thränen ausgebrochen, worüber sich die Gesellschaft auf der Bühne höchlichst ergötzt habe. Einige hätten laut gelacht, andere dem armen Burschen Beifall geklatscht; kurz, es habe einen solchen Lärm gegeben, daß die Vorstellung dadurch unterbrochen worden sei. Doch nicht immer beschränkten diese Wächter der Ordnung sich auf stumme Thränen ihrer Sympathie; zuweilen riß ihr Gefühl sie weiter. Einer von ihnen erschoß einmal auf offener Scene einen Darsteller des Othello, weil er es nicht mit ansehen konnte, wie dieser die Desdemona ermordete; ein anderer stürzte mitten in der Tragödie »Graf Essex«, als Lady Nottingham leugnete, von ihrem unglücklichen Liebhaber einen Ring erhalten zu haben, auf die Bühne, faßte die zum Tod erschreckte Bühnenkönigin am Kragen und rief: »Sie lügt, sie hat den Ring in ihrem Busen versteckt!« Auch in Paris dauerte der Kampf gegen »die Herren auf der Bühne« bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus. Eines Abends spielte ein gewisser Schauspieler, Namens Beaubourg, welcher durch große Häßlichkeit ausgezeichnet war, die Rolle des Mithridates, und die berühmte Adrienne Lecouvreur hatte ihm, als Monime, zu sagen: »Ah, mein Herr, Sie verändern Ihr Gesicht! ...« Da fingen die Herren, die auf der Bühne saßen, laut zu lachen an und riefen: »Lassen Sie ihn doch! Es wird ihm nichts schaden!« Diese Manifestation, welche 1759 stattfand, machte dem Unwesen ein Ende: man kaufte für eine beträchtliche Summe den bisher dazu Berechtigten ihr Privilegium ab, und um dieselbe Zeit säuberte auch Garrick, der Wiedererwecker Shakspeare's, die englische Bühne von einem Misbrauch, der unter andern Verhältnissen zu Shakspeare's Zeit einen nothwendigen Bestandtheil derselben gebildet hatte.

Dies also war Shakspeare's Theater: eine Bühne, 53 Fuß breit und 27½ Fuß tief; ein Raum von 12½ Fuß Breite rings um den Rest des Gebäudes für Logen, Galerien, Garderobe und Gänge, sodaß der eingeschlossene »Hof« etwas wie 55 Fuß zu 40 maß, die Wände von Holz und Tünche gegen 32 Fuß hoch – alles voll von rauchenden, lärmenden, trinkenden, essenden, liegenden, sitzenden und stehenden Menschen, und über ihnen des Himmels Dach, blau und sonnig heute, trüb und regnerisch morgen.

Nur die Bühne war gegen den Wechsel der Witterung durch ein Strohdach geschützt und der Raum auf derselben, wo gespielt werden sollte, von demjenigen Raume, welchen die Stutzer und Schöngeister einnahmen, durch eine Gardine von gewirktem Stoff getrennt. Sie hing, wie jede andere Gardine, in Ringen an einer Stange und ward in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen. –

Jetzt schlägt es drei, und der dritte Trompetentusch erschallt von oben. Sogleich bewegt und theilt sich der Vorhang. Der Prolog tritt auf: gewöhnlich in einem langen schwarzen Sammtmantel und ein Lorberreis um die Stirn geschlungen. Zuweilen schreibt der Dichter ein abweichendes Costüm vor, z. B. in »Troitus und Cressida«:

– Hierher komm' ich
Als Prologus im Harnisch.

Oder in »Heinrich IV.«, wo der Prolog als »Gerücht« ganz mit Zungen bemalt, erscheint. Er liest seinen poetischen Gruß an die Zuhörer, mit dem er sie gleichsam bewillkommnet und zu dem Schauspiel vorbereitet, von einem Blatt ab, welches er in der Hand hält. Sobald er geendet hat und abgetreten ist, beginnt das Spiel. Nach dem Ende desselben erscheint der Epilog, in der Regel eine von den Personen des Dramas, welche die Zuschauer einlädt, mit dem Beifall nicht zu kargen. »Nun gute Nacht«, sagt Puck als Epilog des »Sommernachtstraums«,

– das Spiel zu enden,
Begrüßt uns mit gewognen Händen!

Nach dem Epilog kam der »Jig« ein Quodlibet von Rede, Gesang und Tanz, zugleich Couplet und Ballet, voll von Anspielungen auf Ereignisse und Persönlichkeiten des Tages, ausgeführt von den »Clowns« der Gesellschaft und begleitet von Musik. Der Schluß der ganzen Vorstellung wurde damit gemacht, daß alle Mitglieder der Truppe noch einmal erschienen, vorn am Rand der Bühne niederknieten und ein Gebet für die Königin sprachen – eine Sitte, die sich im heutigen England erhalten hat, wo man kein Schauspiel, keine Oper und kein Concert verläßt, ohne daß vorher die Nationalhymne angestimmt würde.

Wie aber sah es nun auf Shakspeare's Bühne während der Vorstellung aus? Sehr primitiv, die Leser können sich darauf verlaßen! Da war keine Decoration und keine Scenerie, da war nichts als ein großes Bret im Hintergrund, mit der Inschrift: »France«, wenn die Scene in Frankreich lag, oder »Venetia« und »Verona«, wenn der Dichter uns in das Land versetzen will, wo Othello sein Weib aus Eifersucht erwürgt, wo Romeo und Julia geliebt haben und gestorben sind um ihrer Liebe willen. So rasch wie dieses Bret gewechselt wird, wechselt auch der Schauplatz: Puck selber kann nicht schneller fliegen; in einem Act sind wir zuweilen an sechs verschiedenen Ecken und Enden der Welt, und alles durch ein Bret! Dieses daher, in Shakspeare's Sinne, sind »die Breter, die die Welt bedeuten«. – Der Boden der Bühne, wie bereits gesagt, ist mit Binsen bestreut, die Wände sind mit Teppichen behängt, ein Balkon ist da und mehrere Vorhänge im Hintergrund. Der Balkon ist für die Belagerungen, wenn die Bürger »auf den Mauern«, oder die Soldaten »auf den Thürmen« erscheinen; die Vorhänge, »Traversen« genannt, sind für die Herstellung eines zweiten Zimmers auf der Bühne, wo es erfordert wird, oder wo, wie in »Hamlet«, ein Spiel im Spiele vorkommt. Man half sich in allem so gut es anging. In einem Stücke soll ein muselmännischer Held begraben werden; das Einzige, was der Dichter thut, um der Einbildungskraft des Zuschauers zu Hülfe zu kommen, ist die Notiz: »Man stelle sich den Tempel Mohammed's vor.« In einem andern Stücke soll ein Bauer seinen Nachbar einladen; um die Zuschauer zu unterrichten, daß die Einladung angenommen sei und daß die beiden in die Hütte treten, lautet die Bühnennotiz: »Hier bellt ein Hund«, und der scenische Effect ward dem Schauspieler überlassen, welcher am besten bellen konnte. Zuweilen war auch nicht einmal soviel gethan, um das Publikum über das Wo? und Wie? der Handlung zu unterrichten. In einem Lustspiel von Greene z. B. fordert ein gewisser Jenkins einen Schuhmacher, der ihn gestoßen hat, auf, »eine oder zwei Meilen weit« mit ihm zu gehen und sich dann mit ihm zu prügeln. Der Schuhmacher willigt zuletzt ein, will sich aber sobald als möglich schlagen. »Kommen Sie, mein Herr, wollen Sie mit mir vor die Stadt kommen?« Worauf Jenkins sogleich erwidert: »Ja, mein Herr, kommen Sie!« In der folgenden Zeile sind sie schon an Ort und Stelle: »Nun sind wir vor der Stadt, was sagen Sie nun?« – Ohne Zweifel beginnt hier die Prügelei, denn ein oder zwei Schritte auf der Bühne haben die beiden Helden sowie das Publikum über eine oder zwei Meilen Landes getragen. Aber doch war das Shakspeare-Theater nicht ganz ohne Vorrichtungen für eine bescheidenere Art der Effecte. Es hatte z. B. Fallthüren, welche die Stelle unserer Versenkungen einnahmen. Der Hexenkessel in »Macbeth« versank durch eine solche Fallthür. In einem andern Stücke heißt es: »Die Magier schlagen mit ihren Stäben auf den Grund und von unten herauf kommt ein braver Baum.« Es gab auch Mittel, die Figuren nach oben entschweben zu lassen: aber sie waren von einer derbern Substanz als die unsichtbaren Drähte unsers Zauberballets. So heißt es in einem Stücke jener Zeit: »Venus geht ab; oder, wenn man es einrichten kann, lasse man von oben eine Kette herab und ziehe sie hinauf.« In einem Bühneninventarium aus dem Jahre 1598 finden sich folgende Gegenstände, welche theils zur Garderobe gehörten, theils den Mangel an Decorationen ersetzen mußten: » Item: ein Felsen, ein Gefängniß, ein Höllenrachen, ein Grab Dido's. Item: acht Lanzen, eine Treppe für Phaeton (um in den Himmel zu steigen). Item: zwei Biscuitkuchen und die Stadt Rom. Item: ein goldenes Vlies, zwei Galgen, ein Lorberbaum. Item: ein hölzerner Himmel; dem alten Mohammed sein Kopf. Item: Cerberus' drei Köpfe, ein Drache in Faustus, ein Löwe, zwei Löwenköpfe, ein großes Pferd mit seinen Beinen. Item: ein Paar rothe Handschuhe, eine päpstliche Mitra, drei Kaiserkronen, ein Gestell, um im »Schwarzen Johann« zu köpfen; Item: ein Kessel für den Juden. Item: vier Röcke für Herodes, ein grüner Mantel für Mariamne, ein Leibchen für Eva, ein Anzug für den Geist und drei Hüte für die spanischen Dons.« –

Von Shakspeare's Theatern stand das in Blackfriars eine lange Zeit, bis es vor Altersschwäche in sich zusammenbrach; aber der Globe hatte nur ein kurzes Leben. An einem Abend, im Jahre 1613, als Shakspeare's »Heinrich VIII.« aufgeführt ward, fiel ein brennender Spahn auf die ausnahmsweise mit einer Strohmatte bedeckte Bühne. Die Flammen griffen reißend um sich in dem hölzernen Gebäude, und es ward bald zu Asche verbrannt.

Dieses Feuer, welches eins von Shakspeare's Theatern noch bei seinen Lebzeiten verzehrte, sollte symbolisch sein für das andere größere, welches fünfzig Jahre nach seinem Tode fast die ganze City zerstörte, welche wir als Shakspeare's London geschildert haben. Von diesem London ist sehr wenig geblieben; nur noch die Erinnerung kann hier die Stellen bezeichnen, welche in Verbindung mit der Geschichte von Shakspeare's Leben stehen. Was das Feuer verschonte, ist in den beiden folgenden Jahrhunderten ein Stück nach dem andern zusammengestürzt und weggeräumt. Von dem Palast zu Whitehall, in welchem Shakspeare vor der Königin Elisabeth Komödie spielte, steht nur noch der kleinste Theil, und der ist in eine Kapelle verwandelt worden. Von den Häusern, in welchen er und seine Freunde, seine Zeitgenossen und sein Publikum gewohnt, ist gewiß kein einziges mehr zu sehen. Kein besseres Schicksal haben die Theater gehabt, in welchen alle seine Stücke zum ersten mal aufgeführt wurden; aber ein Gebäude aus Shakspeare's London steht noch in seiner alten Glorie – in Shakspeare's Tagen schon über sechshundert Jahre alt, ist es seitdem um dreihundert Jahre älter geworden: die Abtei von Westminster. Der Ruß und Rost, das Moos und der Epheu von fast einem Jahrtausend sitzen an den Außenmauern, an den Strebepfeilern und den Spitzbogen dieses ehrwürdigen Münsters: und in dem heiligen Dunkel, das seine Wölbungen erfüllt, in dem feierlichen Schweigen, das in seinen Chören und Seitenschiffen immer herrscht, sind die Gräber der Könige und Königinnen von England. Hier auch, in dem Poetenwinkel, nicht weit von dem Grabe Chaucer's, steht ein Monument von weißem Marmor, welches einen Mann zeigt, der die malerische Tracht aus dem Zeitalter der Königin Elisabeth trägt, den breiten Spitzenkragen, das reichverzierte Wams und den kurzen, ritterlichen Mantel. Er lehnt sich leicht auf den rechten Arm, welcher auf einem Säulenstück ruht, und in seiner Linken hält er eine Schriftrolle, welche, halb geöffnet, folgende Verse zeigt:

Die wolkenhohen Thürme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur theil hat, wird vergeh'n –

Diese Verse, welche leise zu verhallen scheinen in der Dämmerung, die über den Gräbern schwebt, sind Shakspeare's Verse; und dieses Monument, zu welchem die Büste Milton's hinüberblickt, als ob sie die Worte auf den Lippen habe: »What needst thou such weak witness of thy name« – ist Shakspeare's Monument.

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