Wilhelm Heinrich Riehl
Rheingauer Deutsch
Wilhelm Heinrich Riehl

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Drittes Kapitel.

Gegen drei Uhr morgens schlief endlich die ganze Gesellschaft: der Leiblakai hinter Schloß und Riegel, der Burggraf hinter der zerbrochenen Scheibe, der Schultheiß im Wächterhäuschen, der Deutschmeister und die Prinzen und Grafen in ihren Betten.

Der Deutschmeister träumte eben, er sei am kaiserlichen Hofe zu Wien in überaus glänzendem Kreise und führe die schöne Erzherzogin Klementine zur Tafel. Die Trompeten schmetterten, die Pauken wirbelten lauter, und immer lauter, zuletzt taten die Pauker drei Schläge, als wollten sie das Fell ihrer Instrumente entzweischlagen, und die schöne Erzherzogin, welche bisher in den zartesten Tönen deutsch geflüstert, begann plötzlich im tiefsten Baß französisch zu reden und zu fluchen, und die Hofdamen schrien und fluchten auch mit tiefen Männerstimmen.

Da erwachte der Deutschmeister. Die schönen Damen waren verschwunden, aber das französische Schreien und Fluchen dauerte fort, es schallte aus dem Vorzimmer herein; die Paukenschläge waren Pistolenschüsse gewesen, denen noch mehrere folgten – französische Dragoner drangen ins Schlafgemach und forderten den Fürsten auf, sich zu ergeben.

Er sprang aus dem Bett und flüchtete ins nächste Zimmer, wo seine Waffen hingen, und da von hier kein weiterer Rückzug möglich war, ergriff er ein Pistol, schoß den Hauptmann der Dragoner nieder und versuchte dann mit dem Degen sich durchzuschlagen. Sein Oberststallmeister, ein Herr von Westernach, der ihm von außen zu Hilfe kommen wollte, ward durch den Kopf geschossen und sein Mundschenk in der Türe zusammengehauen. Nach wenigen Minuten verzweifelter Gegenwehr wurde sodann auch der Deutschmeister von der Überzahl bewältigt und entwaffnet.

Die Franzosen gestatteten ihm kaum, daß er sich halbwegs ankleidete, banden ihm die Hände auf den Rücken, raubten in Hast, was ihnen von Wertsachen ins Auge fiel, und führten dann ihren Gefangenen vor das Haus, wo der Graf von Solms und der Prinz von Mecklenburg nebst drei andern vornehmen Badegästen, gleichfalls halbnackt und gefesselt, bereits von einer größeren Dragonerschar bewacht und vorwärts getrieben wurden.

Dieses war der »Überfall im Schlangenbad«, welcher damals so ungeheures Aufsehen durch ganz Europa machte, ein überaus kecker Reiterstreich. Von Weißenburg herüber waren sechzig Dragoner dreißig Stunden Wegs weit mitten durch Feindesland bis Budenheim gejagt; dort hatten sie ihre Pferde unter Bedeckung von fünfzehn Mann im Walde zurückgelassen, und die übrigen fünfundvierzig waren auf drei Kähnen über den Rhein nach Walluf gefahren, um in den anderthalb Stunden talaufwärts gelegenen Badehäusern die Fürsten aufzuheben. Der Hauptmann der Franzosen, ein sogenannter »Parteigänger« namens Kleinholz, hatte, des Landes kundig, die Truppe so rasch und sicher geführt und die Vorkehrungen zu gleich schleunigem Rückzuge auf anderen Wegen so geschickt getroffen, daß am vollkommenen Gelingen nicht zu zweifeln war. Die schwache Reichsarmee stand zur Zeit bei Graben, Philippsburg und Germersheim, wartete auf »grobes Geschütz« und hatte das ganze rückwärts gelegene Land unbesetzt gelassen. Die Bewohner der unteren Pfalz und des Kurmainzischen aber lebten wie im tiefsten Frieden, und so war der Ritt der sechzig Dragoner von Weißenburg nach Budenheim in der Tat nur ein scharfer Spazierritt gewesen.

Durch den Tod des Hauptmanns Kleinholz ergriff jedoch die Truppe sofort nach gelungener Tat Ratlosigkeit und Verwirrung. Sie durften nicht geraden Wegs nach Walluf zurückmarschieren, wo die Einwohner wohl inzwischen durch die Schiffer, welche man zur Überfahrt gezwungen, alarmiert worden waren. Und keiner wußte jenen andern Weg, den Kleinholz beabsichtigt hatte. Der Verräter aus des Deutschmeisters eigenem Hause, der Leiblakai Kastor, konnte allein noch helfen: man fand ihn nirgends! Er hatte den Franzosen vorher die Zimmer der Fürsten brieflich genau beschrieben und die Türen leise zu öffnen versprochen. Wäre er von Anbeginn zur Stelle gewesen, so würde die ganze Gesellschaft ohne Widerstand in den Betten überrumpelt worden sein. Durch seine Abwesenheit war schon Zeit- und Menschenverlust genug entstanden, und jetzt hätte man seiner als Wegweiser so dringend bedurft!

Vergebens suchten und riefen die Franzosen nach ihm: sie mußten sich zuletzt auf eigene Faust aus dem Staube machen und wandten sich mit ihrer Beute nordwestwärts in die Waldberge, um von dort die Straße über Kiederich zum Rhein zu gewinnen. Es war dies die verkehrteste Richtung, welche sie nur einschlagen konnten, genau dieselbe, wovon Kastor so geflissentlich mit dem Schultheiß geredet, um ihn für den Fall eines Alarms auf die falsche Spur zu führen.

Mühselig klomm die schon halb entmutigte Schar die steilen Höhen hinan, ihre Gefangenen mit flacher Klinge und unter steter Todesbedrohung vorwärts treibend. Dem Deutschmeister, welcher in der Eile nur einen Schuh angezogen hatte, sollen die steinigten Bergpfade im Geschwindmarsch besonders sauer geworden sein.

Es war aber einem Jäger dieses Fürsten geglückt, vor dem Abmarsch der Dragoner zu entwischen. Spornstreichs lief er in entgegengesetzter Richtung das Tal hinab und war kaum um die erste Felsenecke gebogen, als ihm der Schultheiß von Rauenthal entgegentrat, den der ferne Lärm aus seinem kurzen Schlafe geweckt und vor die Wächterhütte gelockt hatte. In wenigen verworrenen Worten rief ihm der Jäger die Schreckenskunde zu.

»Das kommt davon, wenn man die Leute nicht reden läßt!« schrie der Schultheiß. »Hätte mich mein Gevatter aussprechen lassen, hätte der Deutschmeister mich hören mögen, dann wäre das ganze Unglück nicht geschehen!«

Doch es war wiederum keine Zeit zum Ausreden; und der Schultheiß war auch im Augenblicke ganz ein Mann der Tat. Wie ein Feldherr faßte er seinen Plan im Handumdrehen, hieß den Jäger seitwärts über den Berg laufen, um den Marsch der Franzosen von ferne zu beobachten, und bezeichnete ihm einen Platz, wo er binnen einer halben Stunde wieder zu ihm stoßen solle.

Dann flog er selber nach Rauenthal, schrie durch die Gassen: »Raub! Mord! Feuer! Bürgerrecht!« ließ Sturm läuten und rief alle Männer zu den Waffen. Der Rheingauer Landsturm war seit alter Zeit berühmt und bewährt.

Es dauerte auch keine halbe Stunde, so zog eine stattliche Schar kräftiger Männer mit Flinten, Schlüsselbüchsen, alten Spießen und Säbeln, Sensen und Dreschflegeln bewaffnet gegen Kiederich hinauf, und die größeren Schulbuben mußten in die nächsten Dörfer laufen, wohin sie mitunter wohl abenteuerlich verdrehte Botschaft brachten, aber die Sturmglocken antworteten einander doch bald von einem Kirchturm zum andern, und bewaffnete Bauern strömten von allen Seiten zum Sammelplatze.

Geraume Zeit verfloß, bis endlich der Jäger die Fährte der Franzosen meldete: sie hatten sich derart in den Waldschluchten verlaufen, daß sie anfangs gar nicht wieder aufzufinden waren. An einem steilen, engen Hohlweg, unweit Kiederich, der sogenannten »Viehtriftshohl«, postierte nun der Schultheiß seine Mannschaft folgendergestalt: ein Teil mußte sich hinter den Schlehen- und Brombeerbüschen verstecken, welche rechts und links die Ränder des Hohlwegs krönten, während er selbst sich mit den Mutigsten und Bestbewaffneten am Ausgange des Weges verborgen hielt.

Er ließ die Franzosen ganz ruhig durch den Engpaß ziehen, bis sie alle darin und die vordersten schon dem Ausgang nahe waren. Dann aber rief er zur Losung die Worte, welche ihm gestern aus dem Munde des Deutschmeisters so erweckend ans Ohr geschlagen waren: – »Lümmel und Flegel!« – und die Männer oben hinter den Hecken antworteten: »Bauernübermut!« und feuerten zugleich von beiden Seiten und von hinten in den Menschenknäuel. Neun Franzosen stürzten zusammen, und es war ein rechtes Wunder, daß kein erlauchter Badegast mitgetroffen wurde. Nun erst brach der Schultheiß, mit seinen Kernleuten den Ausweg vertretend, von vorn zum Angriff los; mit einem Schwedensäbel aus dem Dreißigjährigen Krieg bewehrt, schreckte er die vordersten durch gewaltige Hiebe zurück, und die Nebenmänner streckten ihre Spieße vor.

Der Führer der Dragoner, ein junger Kornett, sah, daß alles verloren sei. In gebrochenem Deutsch rief er um Waffenstillstand und begehrte den Hauptmann der Angreifenden zu sprechen.

»Der bin ich! Anton Kayser! Ich bin der Schultheiß von Rauenthal!«

Hierauf sprach der Franzose sehr höflich: »Liebe Leute! Wir sind hier auf kurmainzischem Boden? und ihr seid Untertanen des Kurfürsten?« – der Schultheiß antwortete jedesmal »oui!«; denn er wollte zeigen, daß er doch auch etwas Französisch könne – »also«, fuhr der Kornett fort, »sind wir Landsleute, ihr lieben Freunde, und ihr tatet sehr unrecht, uns hier anzugreifen; denn euer Kurfürst ist ein Vasall unseres Königs, und wo das Land mainzisch ist, da sind wir so gut wie zu Hause, da ist Frankreich.«

»Den Grund möcht' ich doch genauer wissen, Landsmann!« rief der Schultheiß.

Etwas mühsam, doch klar genug, trug ihm der Kornett vor, daß der Kurfürst von Mainz seit zwei Jahren eine Abgabe an Frankreich zahle, und wem man steuere, dem sei man auch untertan. Es hatte sich aber der Kurfürst allerdings seit 1707 zu einer Abgabe an den König von Frankreich herbeigelassen, doch nur, um sich von den französischen Brandschatzungen loszukaufen. Dieses schimpfliche Lösegeld hatte den braven Schultheißen schon oft gewurmt; da er nun aber hörte, daß der Franzose gar Vasallenschaft, ja ein Untertanenverhältnis daraus folgerte, brach er in eine wahre Hochflut von Donnerwettern aus und rief: »Wenn ihr Schwerenöter auch gar nichts Übles getan hättet, so hauen wir euch jetzt schon wegen dieser bloßen Impertinenz zusammen, sofern ihr nicht augenblicklich die Waffen streckt!«

Der Deutschmeister, welcher vor Wut, Schmerz und Freude zugleich am ganzen Leibe zitterte, rief, da er dies hörte, grimmig lachend zu seinen Mitgefangenen hinüber: »Helf mir Gott! Jetzt legt sich der Bauer gar noch aufs Völkerrecht und verdeutscht dem Franzosen den Grotius und Pufendorf!«

Der Kornett aber, erkennend, daß hier das Parlamentieren ebenso nutzlos sei wie die Gegenwehr, zerbrach seinen Degen und warf dem Schultheiß die Stücke vor die Füße.

»Das war grob!« rief derselbe. »Doch ist mir diese Grobheit lieber als vorhin Eure Höflichkeit.«

Nun mußten die Franzosen ihre Gefangenen freigeben, ihre Waffen abliefern, und, von den Flintenläufen bedroht, so lange im Hohlweg bleiben, bis sich die Bauern durch die zuströmende Menge noch verstärkt und geordnet hatten. Dann nahmen sie die neuen Gefangenen samt den Verwundeten in ihre Mitte, um dieselben in langsamem Zuge nach der kurfürstlichen Amtsstadt, nach Eltville, abzuführen.

Dem halb barfüßigen Deutschmeister gab man ein Paar Bauernschuhe, die ihm wie Holzschuhe um die wundgelaufenen Füße schlotterten, und so schritt er denn, nachdem er seinen Befreiern herzlich gedankt hatte, mit dem Schultheißen eine ziemliche Strecke voraus. Denn dieser konnte gar nicht langsam gehen, und der Fürst hielt jetzt aus lauter Dankbarkeit Schritt mit ihm trotz aller Schmerzen, und der Rauenthaler merkte gar nichts von dieser feinen Courtoisie.

Er war glückselig, daß er sich nun doch wenigstens in aller Breite aussprechen durfte, hatte aber so viel zu sagen, daß er kaum den Anfang fand. Endlich begann er: »Wenn Eurer hochfürstlichen Durchlaucht Leiblakai, Herr Kastor, demnächst gehängt und gevierteilt wird, so bitte ich, lasset ihn vorher wieder auf den Ulrich Mottinger zurücktaufen und nehmet ihm den Kastor ab: der Kerl ist zu schlecht für einen ehrlichen Hundenamen.« An diesen Knoten knüpfte er dann seine weitere Geschichte, sie von hinten nach vorn spinnend, so daß er durch die Verräterei und die Weinprobe der Nacht hindurch schrittweise bis zu der Pfändung des gestrigen Tages vordringen wollte.

Doch kaum war er bei dem großen Wasserglas voll Sechsundneunziger angelangt, so donnerte ihm ein Halt! links aus dem Busche entgegen, und hervor sprangen Bewaffnete und ergriffen ihn.

Es war der Vizedom (der Landhauptmann) von Eltville mit seinen Häschern. »Schließt den Schultheiß krumm!« rief er, und wandte sich dann gegen den Deutschmeister, welchen er in seinem jämmerlichen Aufzuge kaum wiedererkannte, von Beteuerungen der Teilnahme überfließend, und versicherte demselben bei allen Heiligen, daß dieser Schurke von Schultheiß dem Galgen nicht entgehen werde.

Der Fürst, nicht minder verblüfft wie der Schultheiß, suchte vergebens seinen Retter zu rechtfertigen; der Vizedom wollte kein begütigendes Wort hören. Widerspruch schien ihm hier offenbar höflicher als Zustimmung. Auch der Schultheiß wollte reden, allein der Vizedom drohte ihm den Mund mit einem Knebel zu stopfen. »Herr!« rief jener, »wenn Ihr wüßtet, welches Unheil unterdrückte Aussprache heute schon angerichtet hat, so würdet Ihr den Knebel nicht einmal in Euren Mund nehmen, geschweige daß Ihr ihn in den meinigen stopfen möchtet!«

Mitten in dieser Verwirrung kamen die andern Bauern herbei und brachten die gefangenen Franzosen.

Nun war der Vizedom sprachlos vor Erstaunen. Er hatte bis zum Augenblicke gar nicht gewußt, daß Franzosen, und vollends reguläre Truppen, in das Land seines kurfürstlichen Herrn eingedrungen seien; Kurmainz lag ja noch ganz außerhalb des Kriegsschauplatzes! Dagegen wußte man in Mainz bereits seit gestern abend, daß der Schultheiß von Rauenthal den Deutschmeister gepfändet und rebellische Reden verführt habe, und hatte in dieser dringenden Sache mitten in der Nacht bereits Befehle an den Vizedom geschickt, welcher bei Tagesgrauen sofort aufgebrochen war, um den Frevler zu verhaften und nach Mainz zu führen. Wie hurtig war da alles gegangen! Dieses rasch schlagfertige Exekutionskommando war nun also in der Frühe gen Rauenthal gezogen. Da hörte der Vizedom unterwegs die Sturmglocken und griff einen von den Schulbuben auf, welche ausgesandt waren, in den andern Dörfern Sturmläuten und bewaffneten Zuzug zu erbitten im Namen des Schultheißen von Rauenthal. Der arme Junge aber erzählte, was ihm die Leute unterwegs erzählt hatten, und es war bereits von Mund zu Mund eine echte Volkssage geworden: die Bauern, so hieß es, seien aufgebrochen, den Schultheiß von Rauenthal an der Spitze, und führten den Deutschmeister gefangen nach Kiederich, weil der gnädige Herr gestern dem Schultheißen mit dem Hirschfänger ein Ohr abgehauen habe.

Ein solches Übermaß des Frevels hatte der Vizedom dem Anton Kayser gar nicht zugetraut, obwohl er ihn als einen rechthaberischen und jähzornigen Mann kannte. Rasch entschlossen zog er nun aber mit seinen Bewaffneten gegen Kiederich, und es war kein Wunder, daß er bei der plötzlichen Begegnung glaubte, der Fürst sei der Arrestant des rebellischen Schultheißen und seiner Bauern, welche ihn in solch kläglicher Verfassung durch die Wälder schleppten.

Der Knäuel dieses Mißverständnisses war in der Tat nicht leicht zu entwirren.

Endlich gelang es jedoch dem Deutschmeister, sich Gehör zu verschaffen; alle schwiegen, nur der Schultheiß räsonierte noch inwendig, halblaut, weil seine Aussprache gegen den Fürsten nun doch unterbrochen war, und er gegen den Vizedom vollends gar nicht zu Worte kommen konnte.

Der Fürst klärte den Landhauptmann vollständig auf über die unerhörten Dinge, welche geschehen waren, pries den Schultheiß über die Maßen und verzieh ihm alle Schuld von gestern. Zum Schlusse sprach er: »Welch ein Glück, daß wenigstens diese Bauern – oder Winzer! – wußten, daß Krieg im Reiche ist, und daß sie rascher zur Hand waren wie droben bei Weißenburg die Reichsarmee, und daß der Schultheiß von der französischen Lesart des Völkerrechtes nichts hören wollte! Ich glaube, wenn einmal alle Bauern Soldaten würden, dann bekämen wir Straßburg wieder –«

»Jawohl! und wenn die Fürsten mit ihnen zusammengingen, wie wir beide gegenwärtig!« unterbrach der Schultheiß.

»Will Er sein böses Maul halten!« rief der Vizedom und wandte sich dann entschuldigend gegen den Deutschmeister: »Die Rheingauer, hochfürstliche Durchlaucht, müssen immer räsonieren; sie tun das schon seit tausend Jahren, aber sie meinen's nicht böse.«

Inzwischen waren zwei Leiterwagen gekommen, und die Fürstlichkeiten fuhren, von zahlreicher Schutzmannschaft begleitet, ins Schlangenbad zurück, um dort zunächst ihre unterbrochene Toilette zu vervollständigen und zu Hemd und Strümpfen nunmehr auch Rock und Hosen anzuziehen. Die Rauenthaler aber und die andern Rheingauer marschierten nach Mainz, wo der Schultheiß nun mit seinen Gefangenen einen Triumpheinzug hielt, während er vor wenigen Stunden noch gefürchtet hatte, selber als Gefangener eingebracht zu werden.

Ein Gefangener freilich fehlte in der Gesellschaft – der Leiblakai Kastor. Sein böses Gewissen mußte ihm selbst im schwersten Rausche keinen festen Schlaf gegönnt haben: er war beim Sturmläuten aufgewacht und ausgebrochen, und man fand nirgends mehr eine Spur von ihm. Sachkundige behaupteten, die Fenstergitter des Gemeindegefängnisses seien so schlecht verbleit gewesen, daß schon seit Jahren die Gefangenen überhaupt nur aus Unwissenheit oder guten Willen darin sitzen geblieben seien. Der Schultheiß dagegen erklärte dies für Verleumdung und schwur, daß nur sein Sechsundneunziger dem Schuft die Riesenstärke gegeben habe, so feste Gitter auszuheben.

In Mainz wurde Anton Kayser vom Kurfürsten in besonderer Audienz empfangen; man verhieß ihm und seinen Bauern die glänzendste Belohnung.

Daß er hintendrein nichts kriegte, kümmerte den Schultheiß wenig. Er hatte auf eigene Faust als braver deutscher Mann gehandelt und nicht um Lohnes willen. Nur eines verdroß ihn: die Audienz war sehr kurz gewesen!

Und noch lange nachher klagte er: »Es ist eine eigene Sache mit großen Herren! Wenn man ihnen so feierlich gegenübersteht und eben zu reden anfängt, dann ist man auch gleich am Ende; – und sie selbst sind noch viel geschwinder fertig. Und ich hätte mich doch so gern einmal ausgesprochen! Im allgemeinen verstehen auch die Herrschaften das Rheingauer Deutsch nicht; aber die Franzosen haben's verstanden.«


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