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VI.

. Am Nachmittage eines trüben Januartages 1493 saß Adam Krafft in seiner Werkstatt. Das Steinbild, an welchem er vordem gearbeitet, war erst noch in den Umrissen; es schien eine Madonna werden zu wollen. Der Meister hatte, wie es schien, unlustig Schlägel und Meißel beiseite gelegt, und jetzt würde das trübe, zur Abenddämmerung übergehende Licht kaum ausgereicht haben, um die angefangene Arbeit fortzusetzen. Doch warum erhob er sich nicht? Beschäftigten seinen Geist noch neue künstlerische Entwürfe? Der düstere Ausdruck seines kräftigen Antlitzes ließ sich schwerlich hierauf deuten. Seine Stirn war in Falten gezogen, seine sonst so hellen, seelenvollen Augen schienen sich in den Nebel dieses unerfreulichen Wintertages getaucht zu haben.

Seine Gattin hatte die Thür geöffnet. Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Die Rosen ihrer Wangen hatten ihre frische Blüte verloren, die ebenmäßige Rundung ihrer Körperformen war ziemlich verschwunden; ein leidender, fast kummervoller Zug lag auf ihrem Antlitze; aber mild und seelenvoll blickten ihre Augen noch immer. Das war auch noch die sanfte, herzbewegende Stimme, welche jetzt zum Meister hinübertönte:

»Lieber Adam, Du sitzest noch immer vor dem Steinwerk, und doch ist schon längst keine Zeit mehr zur Arbeit. Weit über eine halbe Stunde ist's her, daß Deine Gesellen das Haus verlassen haben!«

Wehmütig schaute der Künstler zu der Sprecherin hinüber.

»Du siehst, Magdalena, daß ich auch nicht arbeite, obgleich es sehr not thäte!«

»Wer ist fleißiger als Du? Doch jetzt kannst Du nicht arbeiten!«

»Was soll ich machen?«

»Hinaus solltest Du gehen; Dich erfrischen und neue Lust für den kommenden Tag sammeln!«

»Magdalena, Du weißt, daß dann Leichtfüße genug vorhanden wären, um mich länger als gut ist, festzuhalten. Und der Verdienst ist schlecht.«

»Leider, Adam, ist's so! – Wie kommt's nur, daß Deine so kunstfertige und auch so fleißige Hand im Erwerben kein rechtes Glück hat?«

»Magdalen', 's hat mancherlei Gründe: Erstlich soll's seit alten Zeiten schon so gewesen sein, daß Kunstwerke mehr bewundert und angestaunt als bezahlt worden sind; wir dürfen uns also nicht unnötig darüber aufregen, wenn's heutzutage nicht anders ergeht. Sodann liegt eine große Schuld an mir selber: Leider Gottes kann ich sehr schlecht rechnen: Soll ich für ein Bildwerk im voraus meine Forderung machen, so nehm' ich Zeit und Arbeit zu gering an, und hernach zeigt sich, daß ich kaum das Zehrgeld wieder herausbekomme. Will man mir ein fertiges Werk abkaufen, so gewinn' ich's nicht über mich, eine namhafte Summe zu fordern, weil ich weiß, wie niedrig selbst unsere reichen Mitbürger gute Kunstwerke einschätzen. Auch das ist ein schlimmer Rechenfehler von mir, daß ich das gemünzte Metall nicht zusammenzuhalten vermag, wenn's gelegentlich einmal in meine Hand kommt. Ja, wenn man ein bedächtiger Kaufmann wär', wie viele unserer Mitbürger; aber ein Künstler paßt nun einmal nicht zu solchem Zahlenkram!«

»Wenn ich nur im stande gewesen wär', Dir das Rechnen abzunehmen! Aber zu meiner Schand' muß ich's eingestehen, daß ich auch lieber die Silberpfennige ausgeb', als in den Sparkasten lege.«

Er lächelte mild.

»Magdalen', weniger Sorgen würden wohl hier bei uns wohnen, wenn wenigstens eins von uns anders wär'; aber recht würd' mir's wahrlich auch nicht sein, wenn ich eine geizige Frau hätt'.«

Und damit küßte er sie herzlich auf die Stirn.

Wie hätte sie da wohl verdrießlich dreinschauen sollen? Innig drückte sie ihm die Hand, blickte ihn glückselig an und sagte:

»Und nun komm aus der Werkstatt mit fort; die Madonna da wird früh genug fertig!«

»Und wenig genug wird sie mir einbringen! Die Leute, die sie für ihr Dorfkirchlein haben wollen, wissen die Arbeit eines Meisters und eines Lehrlings nicht zu unterscheiden! … Wenn ich doch einmal wieder einen großen Auftrag erhielte und ein Werk schaffen könnte, an welchem ich längere Zeit mit voller Lust und ganzer Kraft arbeiten müßte!«

»Dergleichen wird Dir auch einmal wieder zu teil werden. Hab' nur Geduld, lieber Adam! – Und nun hinaus aus dem dunkeln Raum und auch hinaus aus dem Hause!«

Sie zog ihn mit sich fort, und es ward ihr gar nicht so schwer, es zu erreichen.

»Also willst Du, daß ich Dich verlassen soll?« fragte er noch, indem er den Schurz ablegte und seinen Arbeitsrock auszog.

»Ich will nicht, daß Du sitzest und Grillen fängst, sondern daß Du Dich aufheiterst und für Deine schönen Werke neue Kraft und Freudigkeit gewinnst!«

»Und Du willst einsam daheim bleiben?«

»Ist's nicht der Frauen Bestimmung? Kommst Du mir froh und mutig wieder, so ist mir selbst froh ums Herz! Und vielleicht bleibst Du nicht allzu lange fort!«

Sie hatte ihn bis zur Hausthür begleitet. Als er rüstig von dannen schritt, schaute sie ihm gutherzig nach und sprach mit einem leisen Seufzer:

»Wenn ich ihm doch alle Sorgen von den Schultern nehmen könnt', daß er seiner Kunst nur leben und ungestört schaffen dürfte! …«

Nicht weit hatte der Künstler seinen Weg nach dem Innern der Stadt zurückgelegt, als ihm die muntere Stimme Peter Vischers zu Ohren drang:

»Halt, alter Freund, wohin willst Du?«

»Meinetwegen, wohin Du willst; ich habe keinen bestimmten Plan!«

»Da wüßt' ich wohl Rat; wenn Du Dich meiner Führung anvertrauen wolltest …«

»Nur zu; es würde nicht das erste Mal sein!«

Der junge Erzgießer nahm den Bildhauer unter den Arm und flüsterte: »Erst trinken wir zusammen einen Schoppen, und hernach nehme ich Dich mit zu dem Dörrerhause, Das frühere Patrizierhaus der Dörrer, jetzt Gasthaus zum Bayerischen Hofe, wurde damals von den Patriziern vielfach zu Festen benutzt. wo heute abend die Imhoffs fröhlichen Mummenschanz abhalten.«

Krafft schüttelte das Haupt.

»Mit dem ersten Vorschlage bin ich einverstanden, den andern muß ich ablehnen; denn erstlich gehöre ich nicht zu den Geladenen, und zweitens habe ich für dergleichen Vergnügen nicht die geringste Stimmung!«

Vischer ließ sich durch diese Zurückweisung keineswegs irre machen. Er stellte dem Freunde vor, daß dieser auch ungeladen bei den ebenso reichen wie leutseligen Kaufherren willkommen sein würde, und gewann den Bildhauer endlich für den Plan, daß dieser von einer Empore herab das lustige Treiben einige Zeit betrachten sollte.

»Ich stelle vorzugsweise auch nur ernste Dinge dar,« sprach der Bildgießer, »wie es ja wohl dieser wechselreichen Erde am meisten entsprechen mag; trotzdem huldige ich – Du weißt es am besten – der äußerst vernünftigen Ansicht, daß man nicht die Flucht ergreifen soll, wenn sich ausnahmsweise einmal eine kleine Gelegenheit zu harmlosen Freuden darbietet! …«

Hans Imhoff der Ältere, damals schon ein Greis von mehr als siebzig Jahren, hatte seinem Geschäftshause eine höchst bedeutende Stellung verschafft. An mehreren Plätzen Italiens, und namentlich auch zu Lyon und Antwerpen, hatte er Zweighäuser errichtet, durch welche große Umsätze erzielt wurden. Damals führte er noch immer die oberste Leitung der Firma, doch wurde er längst schon durch seinen Sohn aus erster Ehe, Peter, sowie durch Hans und Konrad, welche seiner zweiten Ehe entsprossen waren, thatkräftig unterstützt. Man kann nicht sagen, daß in dem Hause der Imhoffs irgendwelche Verschwendung getrieben wurde, vielmehr war das gewöhnliche Leben dort fast kleinbürgerlich einfach, doch gelegentlich wurde keineswegs geknausert und besonders bei festlichen Veranstaltungen eine wahrhaft fürstliche Pracht entfaltet und gezeigt, daß ein Nürnberger Kaufherr in der Bewirtung seiner Gäste selbst nicht hinter Königen zurückzubleiben brauche.

Die vielen Räume des Oberstocks im Dörrerhause waren in abenteuerlicher Weise aufgeputzt, und als Adam Krafft mit Peter Vischer am Eingange erschien, begannen die Gäste in allerhand fremdartigen Trachten herbeizuströmen. Peter Imhoff, welcher den Empfang derselben übernommen hatte, drückte auch dem Bildhauer, als ihm dieser von seinem Freunde zugeführt wurde, freundlich die Hand; denn als Altersgenossen waren sie sich früher nicht selten begegnet, wenn sie auch durch Stand, Beruf und Lebensführung erheblich voneinander getrennt wurden. Ein schnell herbeigerufener Diener erhielt Befehl, dem Bildhauer einen seinen Wünschen angemessenen Platz zu zeigen. Inzwischen war sein Freund Vischer verschwunden, um sich noch in aller Eile für die Mummerei umzukleiden.

Bald durchwogten die Masken im buntesten Gewirre alle Säle; heitere Weisen ertönten, nach welchen sich die Paare im Tanze drehten, und so oft die Musik vorübergehend verstummte, summten viele hundert Stimmen in reger Unterhaltung durcheinander. Man konnte an die lustigen Karnevalszeiten der romantischen Lagunenstadt erinnert werden, welche vielen der Anwesenden, besonders auch den jüngeren Imhoffs aus eigener Anschauung bekannt waren. Zur Erquickung der Gäste standen in Nebenräumen auserlesene Speisen und Getränke bereit, denen besonders in den Pausen fleißig zugesprochen wurde.

Aufmerksam betrachtete Adam Krafft dieses fröhliche Treiben, und es schien ihn auch zu fesseln. Darin hatte der Freund sicherlich nicht so unrecht, daß er die Abwechslung zu schätzen wußte, und mit ihm stimmte auch Magdalena überein, wenn sie meinte, daß ein Künstler der Anregung bedürfe. Doch nicht lange ließ er sich fesseln. Die ausgelassene Thorheit – dachte er – ist mehr für diejenigen, welche sich an ihr rückhaltlos beteiligen, als für Zuschauer; denn diese laufen Gefahr, daß sie sich in einem Tollhause zu befinden glauben und beängstigt zu entfliehen suchen.

Schon wendete er sich dem Ausgange zu, als ihm eine höchst lustige Maske auf die Schulter klopfte: »Oho, Adam, so schnell entschlüpfst Du uns nicht!«

Er erkannte seinen Freund, den Erzgießer.

»Laß gut sein, Peter, ich habe genug gesehen und will nun heim!«

»Nicht eher, als bis Du wenigstens von dem Samier- und Cypernweine gekostet hast, der dort seitwärts in vollen Strömen vergossen, das heißt vom Fasse gezapft und getrunken wird! Solltest Du, der Du doch älter als ich bist und schon weit Größeres geschaffen hast, noch nicht wissen, daß die Kunst oder vielmehr der Künstler zum wahren Gedeihen des Göttergetränkes – die Griechen haben es meines Wissens Nektar genannt – dringend bedürftig ist? Dergleichen gedeiht namentlich nur in südlichen Gegenden: im Lande eben jener Griechen, allenfalls auch in Italien und Frankreich … Nicht will ich unsern Rhein- und Mainwein verachten, doch so warm und kräftig ist er längst nicht!«

»Ich kann mich so, wie ich bin, unter die Masken nicht mischen!«

»Dafür ist auch gesorgt!«

Der Bildgießer zog ihn in einen Seitenraum, stülpte ihm dort eine Maske über und nötigte ihn, auch eine Kutte umzuwerfen. So führte er ihn dem vorherbezeichneten Raume zu. Bald hielten die Freunde Becher mit dem gerühmten Rebensafte in den Händen und thaten einander Bescheid.

»Wie findest Du dieses Getränk?« forschte Vischer heiteren Tones.

Adam Krafft schlürfte behaglich und nickte zufrieden, doch bevor er sich noch aussprechen konnte, wurde die Aufmerksamkeit der Gäste einer Persönlichkeit zugelenkt, welche auf eine Erhöhung getreten war. Sie trug die Maske eines Schalksnarren und winkte lebhaft nach allen Seiten, während andere Vermummte in ähnlicher Tracht durch Peitschen im Kreise Platz zu machen suchten.

»Was wird das werden?« fragte der Bildhauer.

»Es wird ein Spruchsprecher Solche »Improvisatoren« pflegten damals in Nürnberg bei Festen aufzutreten; von ihnen ist später Wilhelm Weber († 1661) besonders berühmt geworden. sein!« bemerkte der Freund. »Laßt uns hören!«

Nur langsam hatten sich die Wogen der Lust ein wenig gelegt, also daß sich der Schalksnarr verständlich machen konnte, doch zuletzt war er von vielen Zuhörern umgeben, welche aufmerksam lauschten. Die Spruchrede lautete:

Schärft Eure Sinne,
Daß ich beginne:
Zu dieser Zeit,
Da es fröstelt und schneit,
Will ich Weisheit lehren
Dem, der mich will hören:
Zu ernten ohne Saat,
Zu näh'n ohne Naht,
Zu mäh'n ohne Mahd,
Ist närrische That!
Wer an Dornen sucht Früchte,
Dem gönnt dies Gerichte! …

Ein armer Wicht
Bringt's zu Reichtümern nicht,
Will er unthätig sitzen
Und die Stunden nicht nützen; –
Er muß sich erhitzen,
Muß ringen und schwitzen
Und ohne End'
Rühren die Händ',
Auch sei der Verstand
Gebührend verwandt! …

Reichtümer bewachen,
Sind thörichte Sachen;
Gemütlich zu leben
Beim Safte der Reben
Und andern zu geben,
Zu jeglicher Frist
Des Geldes beste Verwendung ist! …

Wenn Dich Sorgen umdrängen,
Laß den Kopf nicht hängen;
Jäh endet oft,
Wer zu wenig hofft.
Ein mut'ger Sinn
Ist hoher Gewinn;
Wer unter Thränen noch lacht,
Hat's noch immer recht weit gebracht! …

Und nun habt acht:
Lang' ist die Nacht;
Wenn ihr heut' sie durch wacht,
Durchscherzt und durchlacht, –
Wird's morgen eben
Noch Schlafzeit geben …
Unserm Wirte zu Ehren
Laßt die Becher uns leeren;
Bis zu frohseligem Sinken
Laßt uns weiter dann trinken! …

»Du siehst,« sagte lachend Peter Vischer, zu seinem Freunde gewendet, »daß auch im Narren mancherlei Weisheit steckt!«

Bei diesen Worten stimmte er lebhaft in den Beifall ein, welcher dem Spruchsprecher gespendet wurde.

Adam Krafft nickte zustimmend.

»Fast alles, was der da sagte, scheint mir richtig; nur der Schluß geht mir zu weit! Wenn man so lange schon mit Sorgen und Mühen gekämpft hat, wie ich, nimmt man doch Anstand, dieser allzu deutlichen Aufforderung zur Völlerei zu folgen!«

Doch schon hatte der Erzgießer ihm einen neuen gefüllten Becher gereicht.

»Ich weiß, Adam, daß Du nicht so reichlich einnimmst, wie Du es vor anderen Künstlern verdientest; doch nimm des Schalks Worte zu Herzen:

Wenn dich Sorgen umdrängen,
Laß den Kopf nicht hängen!

Krafft stieß lebhaft mit seinem Becher an den des Freundes und sprach: »Du hast recht, Peter; ich versprech' es Dir. Was mir fehlt, ist ein großer Auftrag …«

»Ich bin gewiß, daß diese Deine Sehnsucht bald erfüllt werden wird! – Und nun will ich Dich nicht länger hier zurückhalten!«

Adam Krafft stieß nochmals mit dem Freunde an, dann leerte er den Becher, entledigte sich wieder seiner Mummerei und lenkte dann allein seinem Heim zu. Mancherlei ging ihm durch den Kopf, doch es schien ihm, als ob der Feuerwein des Südlandes wirklich auch Hoffnung und Lebensmut in ihm erneuert hätte. Unmöglich konnte in der reichen, kunstsinnigen Stadt Nürnberg die Kunst ferner unbelohnt bleiben, der Künstler Not leiden! …

Viel wurde in den nächsten Tagen von dem Feste gesprochen, welches die Söhne des reichen Kaufherrn Imhoff veranstaltet hatten; dennoch sollte ein Gastmahl, welches dieser selbst in den eigenen Räumen seines Hauses einem weit kleineren Kreise von Freunden gab, Veranlassung zu einer viel lebhafteren Unterhaltung der Bürgerschaft geben, und zwar für längere Zeit.

In einem Sälchen im Obergeschosse war die Tafel aufgestellt. Sie trug zwar nicht, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten gegenwärtig üblich ist, eine Fülle duftiger Blumen, wie sie in Treibhäusern gezogen werden, dagegen war sie mit auserlesenen Früchten des wärmeren Südens aufs reichste geschmückt. Große, silberne Armleuchter mit starken Wachskerzen ergossen ihr Licht darüber hin, und in ihrem Glanze schimmerten die Silberteller und Goldpokale, welche für die Gäste bereit standen. Dazu die behagliche Wärme, die dem großen Majolikaofen entströmte, die vornehme und doch nicht überladene Einrichtung des Gemaches, dessen Wände mit herrlichen Gobelins bedeckt waren und dem auch einige gute Gemälde nicht fehlten; die köstlichsten Speisen, die feinsten und feurigsten Weine des Südens neben den edelsten Gewächsen vom Rhein und vom Main; – es war ein Mahl, wie es Königen nicht besser geboten werden konnte. Und doch saßen hier nur Kaufherren von Nürnberg – Freunde des Hauses Imhoff aus den bekannten Familien der Holzschuher, Hirschvogel, Lemmlin, Schreyer, Haller, Harsdörffer und anderen, die damals noch immer von dem hohen und niedern Adel als »elende Pfeffersäcke« verachtet und geschmäht zu werden pflegten.

Bei der Tafel wurden nicht, wie jetzt üblich, große Prunkreden gehalten und viele Lebehochs ausgebracht; denn hierzu nahm man sich dazumal nicht die Zeit, indem man sich angelegen sein ließ, die Speisen warm und schmackhaft, wie sie aus der Küche kamen, unmittelbar auch zu verzehren, statt sie nach andächtigem Anhören langer Zungenergüsse auf diesen und jenen nachträglich in aller Eile kalt hinunterzuwürgen. Wer indes denken wollte, daß an solcher Tafelrunde des alten Nürnberg nur schweigsame Schlemmer gesessen, würde sich gar sehr irren. Denn hin und her flog während des Mahles die munterste Unterhaltung, an welcher die jüngeren und die älteren Tischgenossen in gleicher Weise teilnahmen, ohne darüber zu vergessen, weshalb Speisen und Getränke in nimmer endender Aufeinanderfolge angeboten wurden. Dabei wurde selten ein Zwiegespräch zwischen Nachbarn geführt, sondern es fand meist ein allgemeiner Meinungsaustausch statt, dessen Leitung einzelne bedeutendere und besonders unterrichtete Männer übernahmen. An Stoff dazu konnte es denjenigen, welche die Regierung einer Reichsstadt in den Händen hatten, natürlich nicht fehlen. Jederzeit lagen wichtige Fragen vor, welche der Erledigung bedurften und über die man sich lieber in solchen ungezwungenen Vereinigungen als in steifen Ratssitzungen rechtzeitig zu verständigen suchte. Und auch sonst gab es allgemeinere Angelegenheiten genug, mit denen ein reichsstädtischer Handelsherr sich auf das lebhafteste beschäftigte. Zwar danach fragte man wenig, daß neuerdings der alte Kaiser Friedrich III., wie das Gerücht ging, ein baldiges Ende erwarten ließ Derselbe starb am 19. August 1493.; denn man war längst im ganzen heiligen römischen Reiche einmütig in der Mißachtung dieser »kaiserlichen Schlafmütze,« und überdies hatte dessen Sohn, der römische König Maximilian, schon seit fast drei Jahren die Reichsregierung übernommen, von dem man in mancherlei Beziehungen bessere Zustände erhoffte; dagegen zogen die Meerfahrten, welche seit einer Reihe von Jahren aus Portugal und neuerlich auch aus Spanien ihren Ausgangspunkt genommen hatten, die gespannte Aufmerksamkeit der Nürnberger Handelsherren auf sich. – Gerade der greise Hans Imhoff der Ältere war es, welcher diesen Gesprächsstoff im Kreise seiner Gäste zur Anregung brachte.

»Der Seeweg nach Indien,« begann er, »ist sicherlich der Angelpunkt aller größeren Unternehmungen der Gegenwart. Noch sind wir an die Venetianer gebunden, die auf Umwegen und keineswegs aus erster Hand für die Bedürfnisse des Abendlandes an Erzeugnissen wärmerer Zonen sorgen. Die Portugiesen hoffen den Weg um Afrika herum nach dem Wunderlande Indien noch finden zu können, um dann die Vorherrschaft jener Handelsrepubliken brechen zu können. Ihre Aussichten sind sehr gewachsen, seitdem sie die Südspitze Afrikas gefunden und umfahren haben. Was soll man nun aber von der wunderbaren Nachricht sagen, welche von den Spaniern zu uns dringt? Kaum haben sich die Kronen Kastilien und Aragonien durch Vermählung Isabellas und Ferdinands zu einem großen Reiche vereinigt, kaum ist auch mit Granada der Überrest der Maurenherrschaft daselbst gefallen, als man von einem wunderbaren Schiffsunternehmen der Spanier vernimmt!«

»Es ist sicher,« bemerkte Jörg Holzschuher, »daß ein kühner Seefahrer, seiner Abstammung nach ein Genuese, Christoph Colon oder Columbus mit Namen, ausgesandt worden ist, um auf dem Wege nach Westen, mitten durch das Atlantische Weltmeer hindurch, Indien zu erreichen.«

»Von zwei Seiten also,« sagte Michel Lemmlin nachdenklich, »von den Portugiesen um Afrika herum und dann weiter gegen Morgen, von den Spaniern fast entgegengesetzt, nach Westen zu, soll der neue, unmittelbare Weg nach dem Lande der Gewürze gesucht werden! … Was machen unsere deutschen Kaufleute hernach, wenn die neuen Seepfade wirklich entdeckt werden sollten?«

Der alte Imhoff lächelte.

»In diesem Falle würden sie ebenfalls den neuen Bahnen folgen! – Noch ist's freilich nicht so weit, Columbus' Rückkunft erfolgte erst im März 1493. wiewohl ich namentlich den Portugiesen, unter denen es sehr tüchtige Seeleute giebt, einen endlichen Erfolg wohl zutrauen möchte.«

»Mein Freund Martin Behaim,« Martin Behaim, der berühmte Seefahrer und Forscher, geboren 1459, welchem 1891 in der Theresienstraße zu Nürnberg ein Denkmal errichtet worden ist, weilte seit 1494 lange Jahre in Portugal und namentlich auf den Azoren; aufbewahrt wird noch der von ihm hergestellte Globus. nahm Hans Imhoff der Jüngere das Wort, »ist gleichfalls dieser Meinung. Er wird sich nächstens nach den Azoreninseln begeben und hat große Neigung, sich auch an den portugiesischen Unternehmungen zu beteiligen.«

»Als ein großes Unglück,« begann Lemmlin wieder, »müßt' ich's betrachten, – dabei bleib' ich stehen – wenn die alten Handelswege derartig aufgegeben werden müßten! Nürnbergs Reichtum beruht auf seinem Handel mit den Venetianern. Von der Lagunenstadt her beziehen wir Spezereien, Öl, Südfrüchte, Wein, italienische und türkische Gewebe aus Baumwolle und Seide und ähnliche Waren, welche wir über Erfurt nach den Seestädten am baltischen und deutschen Meere weiter vertreiben, während wir Tücher, Waffen, Eisen- und Manufakturwaren über Venedig nach dem Oriente hin absetzen. Nun soll dies plötzlich anders werden? Vorsehen müssen wir uns, es ist wohl wahr, mit den Italienern immerdar, denn der Schurken giebt's genug unter ihnen, doch man kennt sie genau und verfährt danach; – wer aber kennt die Portugiesen und vollends die Spanier, die erst kürzlich zu einem ordentlichen Staatswesen gekommen sind?«

Eifrig hob Jörg Holzschuher an:

»Solche Anschauung, mein' ich, ist eines guten Nürnbergers wenig würdig! Haben wir uns zu dem, was wir sind, unter mancherlei Schwierigkeiten – denn oftmals hat's im römischen Reiche Streit zwischen Gegenkönigen und zwischen Kaisern und Fürsten gegeben, und die Landstraßen sind meist durch Wegelagerer unsicher gewesen – rüstig emporgerungen, und behaupten wir wider die Markgrafen mannhaft unsere Rechte, Krieg mit Albrecht Achilles (1450). nun, so werden wir uns den neuen Zeiten, die sich durch die portugiesischen Seefahrten vorbereiten mögen, auch wohl gewachsen zeigen! Wir senden dann unsere Vertreter statt nach Venedig nach Lissabon, und wenn die Spanier ihre Absichten erreichen sollten, meinetwegen auch nach Barcelona und Cadiz – und ich wette, daß der Aufschwung, der dort beginnen mag, uns selber zu statten kommen wird!«

Eine eigentümliche Erregung bemächtigte sich der Gemüter. Denn zwei Parteien standen jetzt gegeneinander; die eine hielt die bisherigen Handelsbeziehungen für unübertrefflich und wollte von den neu in Aussicht stehenden Wegen nichts wissen, die andere trat mit Jörg Holzschuher für letztere ein. Vergeblich suchte der greise Wirt, obwohl er mit seinen Söhnen auf Holzschuhers Seite stand, zu vermitteln; denn er meinte, daß die erörterte Frage zwar wichtig, doch nicht danach angethan sei, um die Genüsse eines guten Gastmahles zu stören und alte Freunde gegeneinander zu verbittern. Gerade dadurch indes, daß er in heiterem Tone zum Trinken anregte, steigerte er wider Willen die Erhitzung der Gemüter, und so kam es, daß das Gastmahl zwar bis zu sehr später Stunde währte und sehr erhebliche Mengen guten Weines erforderte, aber einen wenig erfreulichen Ausgang nahm. Die Gegner beharrten trotzig auf ihrem Standpunkte und schieden fast feindlich voneinander, also daß dem alten Hans Imhoff nur die Hoffnung blieb, sie wieder versöhnen zu können, sobald sie sich etwas beruhigt und den Weinrausch ausgeschlafen hätten.


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