Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

. Im September 1490 saß der Patrizier Mattheus Landauer an einem Vormittage seinem nahen Verwandten Sebald Schreyer in dessen geräumigem Arbeitszimmer gegenüber. Letzteres hatte eine ebenso vornehme wie behagliche Einrichtung, doch aus den in Schweinsleder gebundenen Büchern, welche zwei Seiten des Gemaches nahezu bis zur Decke einnahmen, sowie aus den Folianten und altertümlichen Handschriften, welche auf Tischen und Schränken umherlagen, ließ sich deutlich erkennen, daß der Bewohner mehr Gewicht auf Bildung des Geistes als auf unthätiges Genußleben legte. Derselbe, damals ein kräftiger Mann von vierundvierzig Jahren, hatte eben eine lebhafte Auseinandersetzung beendet, welche sich über seine wissenschaftliche Beschäftigung verbreitete, als Landauer also begann:

»Bewundert hab' ich Dich, Sebald, schon manchmal, daß Du in Deinen Jahren die Werke der alten Römer und Griechen, welche lange genug vergessen gewesen sind, so überaus eifrig durchforschest und Deine Hauptfreude darin findest, junge Leute, die sich solchen Wissenschaften zuwenden, zu fördern und zu unterstützen! Mich haben die Seefahrten der Portugiesen mehr gefesselt als Dein alter Kram da! Doch der Geschmack ist nun einmal verschieden, und über ihn läßt sich nicht streiten! Deine Mittel erlauben Dir ja, zu thun und zu lassen, was Dir grade gefällt! … Aber, Sebald, einen Gedanken hab' ich da gewonnen, den ich Dir mitteilen möcht': Von Deinem Vermögen könntest Du auch wieder einmal für die Kirche und Kunst etwas thun – und dabei fänden wir wohl Gelegenheit, miteinander zu gehen und etwas Gemeinsames zu stande zu bringen …«

Sebald Schreyer hatte ihn neugierig angeschaut.

»Für die Kirche und Kunst? – Mattheus, ich verstehe Dich nicht!«

»Nun dann will ich mich genauer erklären: Ich denke an unser gemeinsames Erbbegräbnis drüben an St. Sebald, wo Du doch auch Kirchenmeister bist!«

»Unsere Väter haben dorten ein ›ewiges Licht‹ gestiftet, damit die Vorbeikommenden beten könnten, und auf unsere Kosten hat Michael Wolgemut ein gut Gemäld' darüber hergestellt! – Was soll's außerdem?«

»Das Gemäld' eben ist's, Sebald, worauf ich abziele! Nicht daß ich's uns'rer unwürdig finden möcht', denn Meister Michael versteht die Kunst gar wohl, jedoch wenn Du die Malerei neuerlich betrachtet hättest …«

»Sollte jemand dieselbe verletzt haben?«

»Menschenhand zwar nicht, Sebald, doch das Unwetter, so die Farben arg zu verwischen beginnt.«

»Was sollte sich hiergegen thun lassen?«

»Als ich vor einigen Tagen dabei stand und bemerkte, daß die Stätte, die uns wohl auch einmal aufnehmen wird, immer mehr an Schmuck und Würde verliert, schien mir's nötig, Dir den Vorschlag zu machen, daß wir das Gemäld' lieber in gutem Stein ausführen lassen …«

»In Stein, meinst Du? Dazu wird sich Meister Michael schwerlich verstehen! Hast Du mit ihm darüber gesprochen?«

»Mit dem zwar nicht, aber mit Adam Krafft …«

»Und was hat er geantwortet?«

»Er meinte: Der Ort zwischen den beiden Strebepfeilern an der Außenseite von St. Sebald möcht' gar wohl ausreichen, um ein ähnliches Werk, wie Wolgemut es gemalt hat, aus Stein unterzubringen!«

Der Gelehrte verriet eine lebhafte Teilnahme.

»Du hast ganz recht, Mattheus! Meister Adam ist grade der passende Künstler dazu! Und wenn ich auch nicht so ein großes Bildwerk, wie der Ketzel ins Feld hinaus setzen lassen würd', – an unsrer Gruft und bei St. Sebald könnt' es wohl seinen Platz finden!«

»So willigst Du ein, Sebald?«

»Bring' mir Meister Adam her, sobald es geht, – wir wollen die Sache mit ihm bereden! …«

»Hätt' es kaum geglaubt,« – sprach Mattheus Landauer im Fortgehen zu sich selber – »daß ich ihn so schnell für meinen Plan würd' gewinnen können, doch nun, das weiß ich im voraus, wird er denselben emsig fördern; denn er war gleich Feuer und Flamme dafür!«

* * *

Wenige Tage später kamen Mattheus Landauer und Adam Krafft mit Sebald Schreyer zusammen, und die Verständigung erfolgte so schnell, daß schon am 11. September 1490 die beiden Patrizier in Gegenwart der Zeugen Martin Haller und Endres von Watt mit unserm Künstler einen Vertrag abschließen konnten, durch den letzterer verpflichtet wurde, gegen einen Preis von höchstens 160 Gulden, von welchen als »Zehrgeld während der Arbeit« 50-60 Gulden gezahlt werden sollten, das Gemälde an jenem beiderseitigen Erbbegräbnisse »in Steinwerk zu bringen.«

Wohl müssen wir annehmen, daß unser Künstler infolge seines großen Passionswerkes derartig auch über Nürnbergs Grenze hinaus berühmt geworden war, daß es ihm an Arbeit nicht fehlte. Trotzdem scheinen die ihm gewordenen Aufträge längere Zeit hindurch nur kleinerer Art gewesen zu sein; denn sonst würden wir von ihnen etwas Näheres wissen. Unter solchen Umständen ging Adam Krafft an den ihm von Landauer und Schreyer gewordenen Auftrag mit ganz besonderer Freudigkeit heran und förderte ihn mit solchem Eifer, daß das Werk nach kaum zwanzig Monaten zur Aufstellung gelangen konnte. Der dazu nötige Sandstein war auf Kosten der Auftraggeber bei Vach, einem Dorfe in der Nähe von Fürth, gebrochen worden; das Bildwerk hatte, um den Regen abzuhalten, eine kassettierte Holzdecke erhalten, welche bis an den unteren Rand des darüber befindlichen Kirchenfensters von St. Sebald reichte.

Es war am 11. Mai 1492, als die beiden Patrizier im Beisein aller Familienglieder, Verwandten und Freunde, unter denen sich namentlich auch die vorbenannten Zeugen befanden, durch Adam Krafft das Grabdenkmal enthüllen ließen.

Den Blicken der Anwesenden stellte sich ein Reliefwerk dar, welches aus einem mittleren Hauptteile und zwei zu demselben rechtwinklig stehenden Seitenflügeln bestand, wie sich dies durch den nischenartigen Raum zwischen den beiden Strebepfeilern der Kirche von selbst ergab. Der Künstler durfte auch diesmal die Aufgabe übernehmen, sein Werk den Anwesenden zu erläutern.

»Hier, auf dem rechten Flügel, hab' ich,« sprach er, »wie Meister Michaels Malwerk gleichfalls gezeigt hat, die Kreuztragung des Herrn veranschaulicht. Unter der Last des Kreuzes ist der Heiland ermattet in die Kniee gesunken. Ein Kriegsknecht zerrt ihn am Seile vorwärts, ein zweiter hinter ihm stehender Henker hat ihn bei einer Locke gepackt und treibt ihn mit einem Knüttel weiter; ein dritter, der in der Linken drei Nägel trägt, schiebt mit einem Hammer nach; ein vierter hält das Kreuz. Zwei miteinander redende Männer und bewaffnete Landsknechte folgen der Gruppe, und drei Reiter beschließen den Zug. Vor dem Erlöser her werden die beiden Schächer mit entblößten Rücken von einem Manne mit der Peitsche vorwärts getrieben, und mehrere Krieger schreiten ihnen voran. Auf einer Anhöhe darüber erscheint die Mutter des Herrn, die bei dem herzergreifenden Anblicke niedersinkt und von dem Apostel Johannes gehalten wird. Drei Frauen stehen traurig dabei, von denen eine sich am Mantel die Thränen abtrocknet.«

»Man erkennt,« bemerkte Mattheus Landauer, »daß Ihr den Raum in bewundernswürdiger Weise ausgenutzt habt. Um Eure vielen Gestalten unterzubringen, laßt Ihr den Zug in der Mitte eine Wendung machen, und dieserhalb werden die hinteren Figuren von vorn, die mittleren im Profil und die vordersten von hinten gesehen. Daß im Hintergrunde die Türme und Gebäude unserer guten Stadt Nürnberg erscheinen, entspricht unserm besonderen Wunsche!«

Sebald Schreyer hatte lange seine Augen dem geschilderten Bildwerke zugewendet; jetzt sagte er lebhaft:

»Das ist der leidende Christus, wie er sein muß, wenn er die Herzen rühren soll! Ihm kann man die eigenen Schmerzen offenbaren und dabei hoffen, daß er sie verstehen werde! Wehmütig wendet er sein Antlitz, in dem sich die heftigsten körperlichen und seelischen Schmerzen wiederspiegeln, dem Beschauer zu. In seinem von langen Locken umrahmten edeln Antlitze ist der Mund wie zu einem Seufzer halb geöffnet.«

»Wenn ich mir vorstelle, wie der Meister draußen in den ›Sieben Fällen‹ den leidenden Gottessohn dargestellt hat,« fügte Endres Harsdörffer, ein Freund Schreyers, hinzu, »so finde ich wohl verwandte Züge, doch diese ›Passion‹ hier ist ganz eigenartig, und vor allem noch ergreifender ist sie!«

»Gleich dem Malwerke Meister Michaels,« rief Hans Haller bewundernd, »ist diese ›Kreuzschleppung‹ bis ins kleinste mit Bäumen und Bauwerken geziert und erscheint dadurch fast noch schöner als ein Malwerk!« Wir von unserm Standpunkte aus freilich müssen sagen, daß Adam Krafft hierdurch die Grenzen der Bildhauerkunst überschritten und sich in das Gebiet der Malerei verirrt hat.

Die Blicke hatten sich dem Hauptbildwerke in der Mitte zugewendet, und der Künstler begann mit dessen Erläuterung: »Durch einen Felsen hab' ich hier eine Teilung vorgenommen, um nebeneinander zwei verschiedene Vorgänge darstellen zu können. Der größere Raum links ist der Grablegung des Herrn gewidmet. Joseph von Arimathia, Nikodemus und die Frauen sind um den Leichnam des Herrn bemüht. Joseph hält das Haupt, Nikodemus die Beine des Herrn, um ihn behutsam hinabzulegen. Maria drückt einen Abschiedskuß auf die kalte Wange des Sohnes Die Haltung ihres Hauptes ist freilich eine unmögliche.; Maria Magdalena kniet händeringend und schluchzend am untern Ende des Grabes. Eine Frau hinter Joseph legt seufzend die rechte Hand auf ihre Brust, eine zweite faltet hinter dem Leichnam klagend die Hände, eine dritte bedeckt ihr kummervoll abgewendetes Antlitz mit einem Tuche. Der Jüngling hier mit dem lockigen Haupte, welcher schmerzbewegt die Hände zusammenschlägt, ist Johannes. Etwas ferner stehend, reicht eine Frau dem Manne neben ihr eine Salbenbüchse, indem sie sich mit ihm leise über das, was zu geschehen hat, unterhält. – Daneben rechts spielt sich eine Scene ab, welche sich nach der Abnahme Jesu vom Kreuze auf der Schädelstätte ereignet. Mit grausamer Gleichgültigkeit ziehen die Krieger ab. Noch hängen die Schächer am Kreuze; zwei Gestalten im Vordergrunde tragen die Marterwerkzeuge, der eine Hammer und Zange, der andere Nägel und Dornenkrone.«

»Wieder der herrliche malerische Hintergrund!« sagte in aufrichtigem Staunen Hans Haller.

Sebald Schreyer schien diese Bemerkung nicht vernommen zu haben.

»Ich kann meinen Blick nicht von dem Leichnam des Herrn und von den ihn umgebenden Gestalten abwenden!« sagte er innig. »Wie edel und noch im Tode verklärt erscheint das Antlitz Christi, dessen ein wenig geöffneter Mund den Eindruck macht, als wolle er leise vor Schmerzen weiterseufzen! Sein Körper bildet eine schöne, aber völlig ungezwungene Linie und ist von edelsten Formen; seine Arme zeigen noch die angeschwollenen Adern. Das faltenreiche Tuch, in welches Nikodemus ihn einhüllen will, ist trefflich benutzt, um die nackten Körpertheile bedeutend hervortreten zu lassen. In Marias Antlitz drückt sich überaus ergreifend der unaussprechliche Schmerz aus, den eine Mutter fühlt, wenn sie ihren toten Sohn zum letzten Male sieht! Wie wahr ist auch die Trauer Maria Magdalenas in Gesicht und Haltung der Hände wiedergegeben! Und glaubt man nicht aus dem Munde jener Frau, die, hinter dem Leichname stehend, die Hände zusammenfaltet, den schmerzlichen Klagelaut zu vernehmen?«

»Ja, Du hast recht,« bestätigte Mattheus Landauer, »je mehr man diese Gruppe betrachtet, desto schöner findet man sie, desto mehr fühlt man mit den Leidtragenden!«

»Darüber dürfen wir,« meinte Endres Harsdörffer, »auch die hohe Kunst nicht übersehen, die der Meister auf den Vorgang hier zur Rechten verwendet hat. Wie naturwahr und fein ist die Bewegung der Pferde wiedergegeben; wie meisterhaft sind die beiden Gestalten im Vordergrunde mit den Marterwerkzeugen, besonders ihre Köpfe.«

»Dabei mögt Ihr,« fügte Hans Haller hinzu, »auf diesem Hauptbildwerke die Gestalten der Stifter und ihrer Verwandten nicht übersehen, die unten mit ihren Wappen angebracht sind! Sie erscheinen in so feiner Darstellung, daß man gar nicht begreift, wie sie durch den Meißel haben geformt werden können, und doch lassen sich nicht wenige von ihnen an der Ähnlichkeit herauserkennen, also daß ich sie mit Namen zu nennen weiß.«

»Darf ich Eure Blicke,« hob Adam Krafft wieder an, »nun auch dem linken Flügel des Grabmales zuwenden? Dort ist die Auferstehung des Heilandes zur Darstellung gebracht. Als Siegesfürst schreitet derselbe mit der Fahne zum Grabe heraus, in dessen Umgebung die Landsknechte schlafen. Auf dem Grabesdeckel sitzt ein Engel, welcher denselben vor der Auferstehung zurückgeschoben hat. Im Hintergrunde nähert sich Maria dem Eingange des Kirchhofs; noch weiter zurück erblickt man zwei Frauen mit Salbenbüchsen. Oben in einer Ecke habe ich noch Christus mit den Emmausjüngern angefügt.«

»Es ist in der Sache begründet,« urteilte Sebald Schreyer, »daß dieser linke Flügel des Bildwerkes nicht so tief ergreift wie der rechte Flügel und das mittlere Relief. Hier schauen wir den sieghaften Fürsten des Lebens; seine Getreuen können in diesem Augenblicke noch nicht vor Freude erglühen, weil sie ihren Heiland noch in dem Grabe wähnen, den Lebenden noch bei den Toten suchen … Hier also ist mein Wappen angebracht; Landauers Wappen hingegen auf dem entgegengesetzten Flügel; dazwischen diejenigen unsrer beiderseitigen Sippen.«

»Mehr als an anderen Stellen,« bemerkte Landauer, »finde ich auf diesem linken Flügel Beziehungen, die mich an Michael Wolgemuts Bilder erinnern.«

Relief an dem Landauer-Schreyerschen Erbbegräbnis.

Adam Krafft lächelte still.

»Habt Ihr mich nicht beauftragt, Meister Michaels Gemälde ›in Steinwerk zu bringen‹? Wenn ich dies also von Anfang an ins Auge gefaßt hatte, so zielte ich im Laufe der Arbeit immer noch mehr darauf ab, weil Ihr mir wiederholt sagtet, jenes Malwerk sei ganz nach Euerm Sinne gewesen. Wie Ihr draußen an meinen ›Siebenfällen‹ ersehen könnt, füg' ich sonst meinen Bildhauerarbeiten solchen Schmuck nicht hinzu, weder Landschaft mit Bäumen und Strauchwerk noch Gebäude; hier jedoch schaut Ihr unsere alte Burg auf der Höhe.«

»Ja, Ihr habt, man merkt's wohl, Eure Vorlage so, wie wir wünschten, benutzt!« bestätigte Sebald Schreyer. »Gern möchte ich von Meister Michael nun ein Urteil vernehmen, wie er darüber denkt! … Wir hatten ihn gleichfalls hergeladen, doch vorhin war er noch nicht anwesend. …«

Da trat Wolgemut aus dem Kreise hervor. »Ich hab' lange schon,« sprach er, »hier gestanden, geschaut und gelauscht!«

»Und Ihr seid mit dem, was unser Bildhauer nach Euerm Vorbilde geschaffen hat, nicht unzufrieden?« forschte Landauer.

»Was soll ich darauf antworten? … Hätt' ich einem meiner Gesellen den Auftrag gestellt, genau nach Vorschrift ein Bildwerk zu machen, so würde ich nun sprechen: ›Nur sehr ungenau seid Ihr meinem Willen nachgekommen!‹ Aber hier steht ein Meister, und zwar ein großer, gewaltiger Meister, neben mir, der ich schon vor ihm auch ein Meister gewesen bin. Und nun sag' ich Euch: Wie Ihr gewünscht, hat Meister Adam besonders im bildnerischen Schmuck an mir sein Vorbild genommen; aber sein Werk ist doch ganz neu, aus ihm selber entsprungen! Bewundernd habe ich mich mit Euch andern in seine Gestalten vertieft, besonders in die schmerzensreichen, die er geschaffen hat, und preise neidlos dies ganze Werk als eins der größten und besten, welche die deutsche Kunst hervorgebracht hat!« Es war an dem nämlichen 11. Mai 1492, als Sebald Schreyer, Mattheus Landauer und Adam Krafft sich in Gegenwart der Zeugen Endres Harsdörffer und Hans Haller der gegenseitigen Verpflichtungen quitt, ledig und los sagten.


 << zurück weiter >>