Rheiner, Walther
Kokain
Rheiner, Walther

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VII

Tobias hielt die Flasche empor gegen das Licht. Entsetzen befiel ihn. Es war nur noch ein ganz geringer Rest der Flüssigkeit darin, kaum einen Finger breit über dem Flaschenboden. Ein unnennbares Grauen klammerte sich in seinen Nacken ... Kein Kokain mehr! ...

Und der Tag kam herauf, der verhaßte Tag, der ihn unter die Menschen treiben würde, die alle seine Feinde sind und vor denen er sich maßlos fürchtete. Er wand sich auf dem Lager hin und her, in dumpfer Verzweiflung. Der Kopf erhitzte sich ihm mehr und mehr in dieser Angst; eine Art heißer Wut trieb ihn dazu, noch zwei Injektionen zu nehmen. Den Rest der Flasche trank er aus. – Das Mundinnere war fühllos wie Sammet, wie behaart. Er fuhr mit dem Finger in den Mund, ganz tief, bis in den Schlund.

Nun war die große Not da! Was sollte er nun beginnen? Was war ihm die Zeit, was war ihm das Dasein ohne das Gift, nach welchem sein Körper und seine Seele schrie, nach dem sein ganzes Wesen lechzte?

Vergessen die Furcht vor den Einbrechern oder Detektiven, erloschen die Angst vor dem Irrenhaus! Nur eines erfüllte ihn, nur eines brannte sein Inneres aus: – der unbeugsame, unerbittliche, unwiderstehliche, dieser metaphysischunergründliche Trieb, der Wunsch nach dem Gift, das ihm Atem und Leben, Luft und Trank, Sein und Zeit bedeutete!

Mit fieberischen Händen entzündete er die Kerze. Er wollte ganz genau nachsehen, ob wirklich nichts mehr in der Flasche war. Er hatte sie zwar eben, in dieser Minute noch, ausgetrunken, aber sein Wunsch siegte sinnlos über die Logik, es konnte, ja es konnte sein, daß noch ein wenig in der Flasche war! Oder, vielleicht hatte er am Abend zwei Flaschen gekauft, ohne bis jetzt daran zu denken? Oder vom letzten Male stand hier im Zimmer irgendwo noch eine verborgen?

Er hielt die Flasche gegen das Kerzenlicht. Nein, nein, nein! Nichts darin! Er stülpte sie um, er reckte tief die Zunge in den Flaschenhals hinein. Nichts darin!

Da war's wie ein ferner Donner, der das Zimmer umfah, und ein Leuchten drang rötlich durch die Fenster. Der Tag quoll mächtig empor und grollte ihm dumpf.

Er stieg vom Bett und suchte, auf den Knien rutschend, sich mit seinem Blut, das in dicken Tropfen auf dem Fußboden vor dem Bette lag, besudelnd, das Zimmer ab. Er traute nicht der Kraft seiner Augen. Er betastete jeden Gegenstand, nahm ihn in die Hand und hielt ihn dicht vor die Augen. Konnte das nicht eine Kokainflasche sein, oder jenes, oder dies? Wer sagte ihm, daß ihn seine Augen nicht trogen? War das, was wie ein Pantoffel aussah, wirklich ein Pantoffel, nichts anderes? Wer konnte es wissen?

Ach, soviel er auch suchte, er fand nichts.

Im untersten Fach der Kommode fiel ihm, als er auf dem Bauche hinrutschte, der Revolver in die Hände und eine Anzahl Patronen, die dabeilagen. Er legte beides auf einen Stuhl. Aber die Schatten waren fort.

Lieblich strahlten die Fenster in zartem Rosa, aus dem sich der junge Sommertag erhob, klar und ruhig, in majestätischer Größe. Hei, da pfiffen die lieben Vöglein wieder und lärmten im Licht.


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