Rheiner, Walther
Kokain
Rheiner, Walther

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II

Federnden Schrittes ging er hin und ließ sich am beglänzten Marmortisch voll plaudernder Frauen und Herren nieder. Er bestellte und entzündete die herbe Zigarette, den Gefährten in Trauer und Glück.

Doch da er aufschaute, sah er die Nacht drohen hinter dem aromatischen Qualm, den sein Mund ausstieß – jene Nacht, seine Nacht, die mit schwarzem Faustschlag diese kurzen Minuten des heiteren Rausches zertrümmerte und sich selbst unerbittlich heranschob mit jenem neuen düsteren Qual-Rausch, dessen rhapsodischen Gesang, endlos gedehnt, sie ihm von jetzt an in die Ohren gellte.

Was verzerrten sich die Antlitze ihm gegenüber am Tisch, die eben noch lächelten? Woher die schielende Bedeutung in den Blicken, die diese Menschen ihm zuwarfen und dann untereinander austauschten, vielsagend und unwillig?

Und da beugten sie sich auch schon zueinander und flüsterten ...

Angestrengt horchte er hin ... und da, war es nicht da? Hatte er nicht eben deutlich das Wort vernommen, das fatale Wort, das riesenhaft über die Firmamente dieser seiner Nächte gespannt war und (im Klang schon erbarmungslose Maschine) ihn langsam zerhackte: – Kokain! ... Ko-ka-in!

Stück für Stück hackte es ab von ihm, bis er dereinst bald ganz zermalmt sein wird.

Da, jener Herr (... bleich sprang Tobias der Schreck in die Augen ...): ganz deutlich, unerhört leise und klar zugleich, hatte er gesagt: »Diese Bestie pumpt sich jeden Abend mit Kokain voll!«

Ach, da schlug das Herz in rasendem Getrommel, da würgte etwas den kalten klammen Hals, da fuhr eine geisterhafte Hand durch das Haar, das zitterte, und ein kalter Schweiß brach über dem Rückgrat aus.

Auf! Fort von hier! Schon schwirrte die große Peitsche in der Luft über seinem Haupt. Es knallte und klatschte laut. Bebend bezahlte er, erhob sich wankend und wie gelähmt und floh, floh aus diesem Kessel hinaus.

Ein Blick zurück im Hinausstürzen zeigte ihm noch, wie alles Publikum schon aufmerksam geworden war. Man lachte, man deutete auf Tobias.

Ein fetter Herr, ganz rot im Gesicht, schlug sich brüllend vor Lachen auf den Schenkel und bog sich zurück, der rote Kopf drohte abzubrechen und hinter die Stuhllehne zu kollern. – Gräßlich! – Die Wirbeltür spie Tobias auf die Straße.

Aber auch hier war kein Rasten für ihn.

Die Menschen blieben stehen und schauten ihn an. Harmlose Spaziergänger schüttelten die Köpfe und ließen Tobias herankommen, um ihn genauer zu betrachten. Hier konnte er nicht bleiben!

Er drückte sich eilig die Häuser entlang, die Joachimsthaler Straße hinauf, zum Bahnhof: schon gehetztes Wild, verscheucht von jedem Fensterladen, der sein Licht auf ihn warf.

Was blieb ihm übrig in solcher Not, da Gott ihn höhnisch auf den nächtigen Wolken anschrie und Erzengel eherne Fäuste schüttelten, daß die Straßen klirrend widerhallten? Was blieb anderes als das gebenedeite Gift, das er in der Tasche trug?

Die Tränen stiegen ihm bereits in die Kehle, als er in der Bahnhofshalle verschwand. Wieder kehrte er ein bei den Aborten, er, der stete Gast, er, die stinkende Kellerassel, das Klärichtvieh.

Hei, da pfiffen, den lieben Vöglein auf der Dämmerung gleich, die Bahnhofsbeamten auf ihren Signalpfeifen – oh, da klappten die Schaltertürchen der Fahrkartenausgabe auf, und alles schaute diesem Menschen nach, der, einem Betrunkenen ähnlich, zu den Aborten torkelte.

Er riegelte sich auf einem der Klosetts ein. Was war das für ein Leben? Ein Aasleben! O du verhaßt-geliebtes Gift, Kokain, Kokain (... die Maschine stampfte: klick-klack, klick-klack: wieder ein Stück ab ...).

Oben donnerte der Zug in die Halle (... sicherlich, dachte Tobias, Expreß zur Riviera, weiß schon: blaue Gestade, taubenumflattert, Pinien- und Orangenhain und der selige Berg: Santa Margherita ...), und er nahm zwei neue Injektionen vor, in beide Oberschenkel je eine.

Das erleichterte einen Augenblick: ... Riviera, dachte Tobias, Riviera, Santa Margherita ...

Dann betete er, murmelnd: Gib, lieber Herr von Gott, du selige Exzellenz, gib, daß ich bei der nächsten Injektion lautlos verrecke!

Als er die Waschräume der Bahnhofshalle verließ, schien ein Rauschen den riesigen gewölbten Raum zu erschüttern. Normaluhr drohte mit aufrechtem Finger: zwölf Uhr.

In der Vorhalle war ein tosender Verkehr. Gekreisch einer Horde von Satanen stürzte in Tobias' Ohren, der sich durch die (vermeintliche) Menschenmenge drängte, schamerfüllt, als sei er nackt.

Hatten diese Menschen, dieses Gebräu aus Hohn und Schadenfreude, nichts anderes zu tun, als ihm aufzulauern, sich am Bahnhof aufzustellen um Mitternacht, um dies Schauspiel zu genießen: – wie er, der Kokainist, aus seiner Kloake gekrochen kam, mit blutenden Armen und Beinen, an die sich das Hemd festklebte? Fluch über sie! Fluch über seinen hellen Anzug ... Da: waren das nicht schon Blutflecke?

Er feuchtete die Fingerspitzen an und wollte so die Flecken fortreiben.

Am Ausgang wollte er sich in die Brandung der Straße stürzen, doch plötzlich schwenkte er ab und versteckte sich unter der Bahnüberführung.


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