Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

Ein reich ausgefülltes Leben hatte für Irmgard Glenn begonnen. In der Hingabe unter die Leidenschaft des älteren Mannes und strenger Arbeit teilte und vereinte es sich zugleich. »Ich habe noch kein Weib besessen, dessen Sinnlichkeit so durchgeistigt, dessen Geistigkeit so erfüllt von sinnlichem Scharm gewesen wäre wie bei dir«, sagte ihr Urich einmal. Des Bruders Bild versank in das Wesenlose einer abgelebten Vergangenheit.

Der mannigfachen Geselligkeit, die fordernd an Irmgard herantrat, durfte sie sich auf den Wunsch ihres Meisters nicht entziehen. Wollte sie ehrlich sein, mußte sie sich gestehen, daß sie begeistert war von diesen prunkvollen Festen mit den glühenden Farben der blumengeschmückten, in Silber und Kristall funkelnden Tafeln, der großen Säle, der schönen, glänzenden Frauen mit den nackten Schultern und Armen, den künstlichen, diamantengekrönten Frisuren, den wogenden Schleppen ihrer auserlesenen Toiletten. Auch wurde es ihr Freude, neben klugen Männern zu sitzen, den prickelnden Sekt zu trinken und das eifrige Streben zu bemerken, mit dem ihr die Männer zu gefallen suchten. Daß man von ihr als von der Geliebten Jakob Urichs sprach, verlieh ihr den Nimbus, den ihre Erscheinung allein kaum auszustrahlen vermocht hätte. Der Professor, fern von Eifersucht, sah es gern, wenn Irmgard gefiel. »Von einem Weibe, das geliebt wird«, philosophierte er, »geht ein erotisches Fluidum aus. Wie der Honig die Bienen, lockt es Männer an. Deine Lippen duften nach Küssen, und deine Augen erzählen von heißen Dingen, die geschehen sind – ob du es willst oder nicht ... Setze nicht dein prüdes Kleinstadtgesicht auf – ein großer Mensch muß wollen, was er lebt, und sich vor sich selbst nicht feige verstecken.«

»Ich bin kein großer Mensch«, flüsterte Irmgard.

»Bereust du etwa?« Er zog die buschigen Brauen drohend zusammen.

»O – nein! Nie ...«

Sie sprach die Wahrheit. Doch sie mußte sich durchringen wie durch einen Urwald von Empfindungen, die einander widersprachen. – In stilleren Stunden fragte sie sich bestürzt, ob es Liebe sei, was sie zu Jakob Urich fühle – ob es nicht nur der Drang nach Leben, nach Erkenntnis, nach Sich-selbst-Vollenden sei, der sie in seine Arme getrieben habe. Eine unbändige Eifersucht auf das wirre Abenteurerschicksal, in das sie den Bruder verstrickt wähnte? – Letztes Glück fand sie nicht, wenn der Flammensturz seines Begehrens über sie fiel. – Immer wieder: Angst, Entsetzen – der Rausch wollüstigen Grauens, als sinke sie in dunkle Abgründe, aus denen es kein Entrinnen gab, in denen sie verloren war – und ihren schmerzvollen Tod genoß. Sie ahnte, daß es gerade diese ewig neue Vergewaltigung ihrer keuschen und spröden Natur war, die Jakob Urich hinriß. Sie sehnte sich nach Zärtlichkeiten, nach seelischem Zusammenschluß. Urich war, wie starke Männer es meist sind, Zärtlichkeiten abgeneigt. Nach der ersten Werbezeit küßte er Irmgard nur noch in den Augenblicken ausbrechender sinnlicher Leidenschaft. Jedes Anschmachten, wie er sich ausdrückte, war ihm verhaßt. Die Frauen, gestand er, würden ihm durch Gefühlssentimentalität schnell zuwider. Das merkte sich die kluge Irmgard.

Sie verkehrten im nüchternen Licht des Tages kühl wie Arbeitskameraden. In sein Wesen ihr gegenüber mischte sich ein Zug von gönnerhafter Herablassung. Ihr war es natürlich, als seine Schülerin nicht nur in der Kunst, auch in jeder Lebensweisheit mit ernster Verehrung zu ihm aufzuschauen.

*

Bei einem der durch malerische Pracht und barocke Einfälle berühmt geworbenen Atelierfeste Jakob Urichs bat er Irmgard, die Hausfrau zu vertreten. Sie empfing die Gäste, sorgte für deren Behagen mit der ihr selbstverständlichen anmutigen Würde, die zwischen mädchenhafter Scheu und gelassener fraulicher Ruhe mitteninne stand. Eine neue Jugend war ihr erblüht. Sie war sehr anmutig in ihrem griechischen Gewande, einem Kranz von rosa Tulpen im lichten Haar.

»Tanagrafigur« nannte man sie um der schlanken Zierlichkeit und des harmonischen Ebenmaßes der Glieder willen. Die antike Schönheit der Nacken- und Schulterlinie entzückte einen anwesenden Bildhauer, und er bat, eine Statuette nach ihr modellieren zu dürfen. – Sie wurde lebendig im Laufe des tollen farbigen Abends; im Tanz brach eine heimliche Leidenschaft gleich einer Flamme aus ihr, doch nur für kurze Zeit, dann war sie erloschen, gleich einem künstlichen Feuerwerk. Sie lachte, sie trank, sie plauderte mit den Männern und den Frauen, sie lief behende von einer Gruppe zur andern und ruhte wieder unter einem Baum, der inmitten des großen Raumes stand, und dessen Blätter vergoldet waren – sie ruhte dort auf buntem Lager als die junge Königin des Festes.

Gegen Morgen waren die Frauen häßlich, erhitzt, ihr Parfüm begann übel zu riechen, gleichsam ranzig, ihre Kleider hatten den Dunst des Zigarrenrauches angenommen, der das Atelier in Nebel hüllte, die Schminke rann ihnen von den Wangen – ihr Haar war zerzaust, die Schleppen zertreten und beschmutzt, sie taumelten aus einem Arm in den andern. Die Männer standen unter der Wirkung des Alkohols, die Gebärden wie die Worte wurden freier und schamloser. Vier junge Kerle trugen auf ihren Schultern eine schöne Person, die nur mit einem kurzen Panzer aus Goldstoff bekleidet war, durch den Saal, sie setzten sich in Galopp – lachend, kreischend strampelte die Dame hoch in der Luft mit nackten Armen und Beinen, ihre schwarze Haarmähne fegte wie eine Fahne durch die schwüle Luft. Jakob Urich, einen dicken Efeukranz auf dem gewaltigen Schädel, in einen roten Mantel gewickelt, ging durch die Menge – man hörte über dem Lärm sein dröhnendes Gelächter. Er küßte die Frauen auf die Lippen, Schultern und Arme, er goß Sekt, Rheinwein und Burgunder aus geräumigen Kelchen in seinen großen, von dem roten Flammenbart umwucherten Mund. Doch seine Augen bekamen nicht den fatalen gläsernen Blick der Trunkenen, er konnte unmäßig viel vertragen und blieb Herr seiner selbst.

So traf er auf Irmgard, die allein gegen eine weiße Säule lehnte.

»Ein wenig verstört, Kleine?« fragte er gütig. »Man ist so was nicht gewöhnt, gelt?«

Wie allein sie dort stand – wie durch eine dünne Glaswand von den ringsum lustvoll Tobenden geschieden.

»Komm – wir wollen tanzen.« Sie schwebte an seinem Arm zu einer schmeichlerischen Walzermelodie, kühl und zart sich wiegend, durch den Raum.

»Du bist der einzige Mensch hier unter den Larven«, flüsterte er ihr zu, und sie leuchtete auf.

*

Im Frühling begleitete Irmgard den Professor nach Paris, später an das nordische Meer. Er besaß am holländischen Strande ein kleines Sommerhaus. Irmgard hatte nun doch einige ihrer Farbenträume verkauft. Sie bestand darauf, die Kosten der Reise für sich selbst zu tragen. Urich lachte sie aus. »Gehören wir denn nicht zusammen?«

Irmgard senkte den Blick, hob ihn nicht vertrauend zu ihm, wie er es erwartet hatte.

»Ich weiß nicht«, kam es zögernd. »Jedenfalls –«, und dies wurde schon mutiger gesagt, »ich möchte unabhängig bleiben.«

»Wie du willst«, sagte er kühl und verletzt. Ironisch blinzelte er zu ihr hin, während er sich den Bart strich. Über reiche Mittel verfügend und sorglos ausgebend, war er in diesem Sommer durch den Ankauf einiger herrlicher Gobelins knapp mit Geld, und es war ihm im Grunde recht, wenn Reise und Sommeraufenthalt nicht Ungemessenes kosteten.

Der Meister war heiter und liebenswürdig, aufgeschlossener als in Berlin, wo ihn Geschäfte, häusliche und gesellige Angelegenheiten irritierten, weil sie ihn unaufhörlich an der Versenkung in die Arbeit an neuen Werken und künstlerische Probleme hinderten. Solche Störungen konnten ihn in einen gereizten, bösen Zustand versetzen.

In dem Paris, das er liebte, durfte der Meister nur seinem Behagen leben. Die leichten silbernen Lüfte über der Seine, das goldene Licht, das um den Triumphbogen und die weiße Madeleine spielte, machte ihn froh. Die Gespräche mit den Kollegen in den Ateliers der großen Maler regten ihn nach vielen Seiten an, ihre Anerkennung tat ihm wohl. Das ungebundene heitere Straßenleben entzückte ihn und Irmgard in gleicher Weise. Er wiederholte ihr in diesen Tagen oft, daß er seine Ferientage noch niemals so intensiv genossen habe wie in der Gesellschaft seiner Liebsten, die ihm zugleich verständnisvolle Freundin sei. Er schätzte Irmgards unbefangenes künstlerisches Urteil. Ihre klugen, zuweilen überaus drolligen Bemerkungen, ihre Freude an den neuen Eindrücken versetzten ihn in die beste Laune, und so wuchsen die beiden Menschen in diesen Tagen scheinbar fester zusammen als bisher in den Monaten ihrer Liebe.

Doch Irmgard litt unter einer Erfahrung, die in den Pariser Aufenthalt fiel, und die sie fortan wie einen schweren, schmerzenden Stein im Herzen tragen mußte.

In dem Hotel, in dem sie als Ehepaar galten, vereinte sie auch das breite französische Ehebett enger als je zuvor.

Da war es geschehen, daß Urich, nach Irmgards Hand tastend und sie sich im Halbschlaf auf die Brust legend, einen Namen gemurmelt hatte – in einer zärtlich trunkenen Stimme, so innig, wie Irmgard sie niemals aus seinem Munde vernommen –, und es war nicht ihr Name. »Lydia«, klang es aus der Bewußtlosigkeit des Schlafes – aus einem lieben Traum empor –, Lydia, der Name der Frau, die fern hinter Mauern verblödete.

Irmgard ging an dem Tage, der dieser Nacht folgte, völlig geistesabwesend umher. Als Jakob Urich teilnehmend fragte, was ihr fehle, ob sie sich krank fühle – augenscheinlich ahnte er nichts von dem, was geschehen war–, log sie: er möge ihr Urlaub geben, ihr Verlangen hinge an einem Winkel des Seineufers, den sie flüchtig im Vorüberfahren gesehen – den sie malen möchte.

Sie mußte allein sein, um sich wiederzufinden. Ein Goethe-Wort aus Stellas Mund klang wie ein Schmerzensschrei durch ihr Herz: Und was bin dann ich?

Sie wußte noch nicht, daß auch kein am Altar geweihtes Bündnis zwischen Mann und Weib vor der Erkenntnis bewahrt, daß Bilder aus vorangegangenen Zeiten in Träumen lebendig werden und Rechte beanspruchen, die ihnen im Licht des Tages nicht gegönnt werden.

Irmgard trat in eine von den alten Kirchen, in denen sich der Duft des Weihrauchs mit dem der Lilien mischte, die vor den Altären der Heiligen Jungfrau welkten. Es war der Monat Mariens.

Das Mädchen setzte sich in eine leere Bank, schloß die Augen, sank tief in ihr eignes Innere, das zerschnitten war von unheilbaren Wunden. In dieser Stunde gelobte sie sich, von Jakob Urich niemals ein Kind zu gebären, obwohl es der heimliche Wunsch ihrer Seele gewesen war.

Muß jede Erkenntnis so hart bezahlt werden? klagte sie Gott an. Warum ist Unschuld dein schönstes Symbol, wenn doch nur Schuld zu dir führt? –

Ein seltsames Gebet, aus ihres Seins tiefsten Dunkelheiten emporsteigend zu der unsichtbaren Macht, die Menschen leitet. Das Mädchen senkte demütig den Kopf auf die ineinandergeschlungenen Hände. Und wie eine Flamme auf zerstörtem Altar stieg der Wille zum Leiden in ihr auf.

Trotzdem –! Sie erhob sich, sog tief den Duft des Weihrauchs und der Lilien in die schmerzende Brust, ging langsam aus der Dämmerung hinaus in das helle Licht des Maitages.

Sie fuhr in das knospende Grün des Parkes von Versailles, wanderte ziellos umher, schaute lange in die blitzenden, gegen den Himmel geworfenen Strahlen der Fontänen, und die gleichmäßig steigende und fallende Bewegung des Wassers mit ihrem einförmigen Getön wirkte tröstend auf ihr zerstörtes Gemüt.

In steinerner Ruhe breitete sich hinter dem Spiel der Wasser die machtvolle Front des Schlosses in seiner verlassenen Größe, vereist in langsam verwitterndem Sterben, magisch gebannt in trauernde Schönheit. Irmgard sah dies alles und sah es nicht. Später saß sie unter einer Buche im durchsonnten Schatten auf dem zarten Frühlingsgrase, das durchsternt war von weißen Anemonen. So blühten sie zu dieser Zeit auch im Stadtwald in Frohnstedt, dem stets bereiten Zufluchtsort der kummervollen Stunden ihrer Jugend.

Was dort in der Vergangenheit begraben liegen sollte, war ja nicht tot. Die Augen der geduldig sterbenden Mutter schauten sie vorwurfsvoll an. Des Bruders stille Anbetung ihrer mädchenhaften Reinheit wurde lebendig. Ihre Wangen brannten in Scham. Erich würde nicht wiederkehren – niemals – niemals – sie wollte es nicht – ihr Wille mußte mächtig genug sein, es zu verhindern. Er mußte tot sein – für sie war er tot.

Und doch brach in diesen Augenblicken der Verzweiflung unter dem im Frühlingswind zitternden dünnen grünen Buchenblättern die Sehnsucht nach Erich mit unzerstörbarer Gewalt aus ihrem hart vermauerten Grabe und wurde untragbare Qual. Seine sanften, mühsam und scheu gedämpften Zärtlichkeiten – seine lieben großen, bittenden blauen Augen, die sie so traurig fragend anschauen konnten – fragend nach allen Rätseln des Seins, als könne sie allein ihm die Lösung sagen.

Irmgard ertrug die Ruhe nicht. Von Tränen geblendet, sprang sie auf, rannte blind und gleichgültig wohin die schmalen verwachsenen Parkwege entlang. Auf den breiten Alleen fanden sich im vorrückenden Nachmittag viele Menschen ein, Fremde und Pariser Bürgerfamilien, die von den springenden Wassern angelockt wurden.

Verstaubt und sehr müde kam Irmgard aus dem weiten Parkdickicht, in dem sie jede Richtung verloren hatte, endlich wieder ins Freie. In der Nähe des Bahnhofs gab es ein kleines Restaurant, wo sie sich mit einem Glase Milch erquicken konnte.

Nach ihrer Rückkehr in das Hotel sagte ihr der Portier, Monsieur le Professeur sei von einigen Herren abgeholt worden. Nun hatte sie keine Frage nach ihren verweinten Augen zu fürchten. Im Zimmer lag ein Zettel mit einem freundlichen Grußwort auf einem Veilchenstrauß.

Traurig tat sie die Blumen in ein Glas mit Wasser, legte sich nieder und schlief sofort ein. Sie hörte den Professor eintreten, als schon der Morgen dämmerte, doch sie hob die schweren, bis in den Traum schmerzenden Lider nicht, und es rührte sie, wie der große, ungefüge Mann bemüht war, sich leise zu entkleiden, um ihren Schlaf nicht zu stören.

Sie wollte ihr Schicksal leben.

*

Das kleine Haus an der holländischen Seeküste, das Jakob Urich jeden Sommer für einige Wochen bewohnte, war nicht in einem der eleganten Badeorte gelegen. Es zeichnete sich wenig von den Fischerhütten des Dorfes aus, war von ihnen nur durch die üppigere Fülle bunter Blumen in dem kleinen Gärtchen und an den winzigen Fenstern unterschieben. Innen war es mit altfriesischen Möbeln, kostbarem Delfter Porzellan, Kupfergerät und erlesenen Handwebereien traulich genug für den Geschmack eines Kulturmenschen eingerichtet. Vor allem aber – es lag abseits von der Dorfstraße, bot einen ungehinderten Blick über den Strand mit seinen Booten und Fischergerätschaften, den braunen Netzen, Segeln und Rudern und über die weite, graugrün gegen den Strand rollende Nordsee. Die Unermeßlichkeit des Horizontes mit seinen mächtigen Wolkenbildungen, die von feuchten Dünsten verschleierten Beleuchtungen, in denen die Farbenwerte so wundervoll ineinanderklangen, zogen den Freilichtmaler unwiderstehlich an, wie die salzige Luft, die schweren Stürme, die über das Land brausten, dem starken Manne die Nerven zu äußerster Energie aufpeitschten. Hier hatte Jakob Urich die Studien zu einigen seiner geschätztesten Seebilder gemacht. Hier wurde seine Seele reingefegt von dem Gewirr der Großstadteindrücke, ihrer Freuden und Leidenschaften. Hier trug er die Friesjacke, den Südwester der Fischer, fuhr mit ihnen weit hinaus in das Wellengebrause oder segelte allein im eigenen Boot, nur von einem Jungen begleitet, am liebsten, wenn das Wetter wilde Regenböen gegen die Segel peitschte.

Erinnerungen wachten in Irmgard auf – doch war alles, was sie sah, härter, herber, kälter, als sie es einst erlebt hatte. Wieder klang manches zusammen – oft wußte sie nicht, erwartete sie Jakob zurück oder Erich, wenn sie, in den grauen Mantel gehüllt, mit wehendem Haar auf der Spitze der Mole stand, wo die heimkehrenden Segelboote anzulegen pflegten. Ihre alabasterne Haut rötete sich unter den wilden Liebkosungen des stürmischen Salzwindes, die blauen Augen bekamen inmitten des gebräunten Gesichtes einen stählernen Glanz.

»Endlich hast du das Sanfte, Kitschige verloren, Mädel«, scherzte Urich. »Es war hohe Zeit, daß du in die Hände eines tüchtigen Mannes gerietest! Nun – was gibt's? Fleißig gewesen? Zeig deine Taten ... Weißt du, daß du zuweilen farbiger siehst als ich? Das muß dein Erbe aus dem Süden sein – aber dies hier – schauderhaft gepatzt! Verflucht armselig!« Er kümmerte sich treulich um ihre Arbeit. War als Lehrer hart, unnachsichtig bis zur Grausamkeit.

Zuweilen brach sie, die nicht leicht weinte, in Tränen aus. Dann peitschte sie sein Hohn den ganzen Tag lang, und sie verwünschte ihre Frauenzimperlichkeit. Sie lernte viel. Zuweilen dachte sie, er treibe sie tyrannisch aus der eigenen Bahn, unterschlug ihm Studien, die sie besonders liebte. Stöberte er gelegentlich in ihren Mappen und entdeckte ihre Geheimnisse, tönte sein dröhnendes Gelächter durch den niederen Raum.

»Es gelingt dir doch nicht, mir zu entrinnen, kleines Schaf«, sagte er dann kopfschüttelnd, und seine Augen trafen sie über der niedergeschobenen Brille mit dem scharfen Beobachterblick. »Was du einmal geleistet hast, findest du nicht wieder. – Dies hier sind nur schwächliche Kopien von damals. Jetzt heißt es bei mir solide Malerei lernen – nachher kannst du meinetwegen fortlaufen und deine eigenen Wege suchen!«

»Werde ich auch«, beharrte sie eigensinnig und hielt seinem Blick mit dem harten Blau ihrer Augen stand, ihr feiner, ausdrucksvoller Mund zuckte. »Das Letzte behält man doch für sich allein!«

»Ist das so?« fragte der Riese mit einer Stimme, die plötzlich unsicher wurde. – »Ja, vielleicht hast du recht. Zuweilen bist du verdammt klug – kommst in Gebiete, die Frauen sonst verschlossen sind.«

Trotz ihres Widerstandes bewunderte das Mädchen ihren Meister bedingungslos. Wie er die Valeurs gegeneinander abwog – sein himmlisches Grau neben ein schmelzendes Rosa gesetzt, das durch einen Karminfleck vor dem Süßlichen bewahrt wurde – und den vielfachen Zauber seiner wehenden oder ruhenden Wolken, seiner feucht dunstenden Lüfte, welche die Dinge so zärtlich umspielten.

Seltsam – dieses Kosende, zärtlich Schmeichelnde der Farben gelang ihr, dem Mädchen, niemals, die ihren waren stets härter gegeneinander gesetzt. Es war, als habe in diesem einen Punkt die Natur sich den Scherz gemacht, die Geschlechter gegeneinander auszutauschen. Aber vielleicht, meinte Irmgard, sei es auch nur die größere Kraft, die Urich gestattete, zärtlich mit dem Pinsel zu spielen, während sie, das Mädchen, sich mühsam aufrecken mußte, dem Weichen zu entfliehen in die Herbheit.

*

Irmgard und Jakob saßen auf der Bank vor dem Hause. Um sie blühte es von blauem Rittersporn, gelben Studentenblumen, durchstochen vom hellen Scharlach des roten Salbei und umschlungen von allen Kupferschattierungen der Kapuzinerkresse. Sie schauten stumm in die Pracht des Sonnenunterganges, der sich nach einem heißen Tage in einer zügellosen Herrlichkeit der Farben vollzog. Links am Horizont standen finster aufgetürmte Gewitterwolken, von schwefelgelben Lichtern umrandet, die Sonne sank purpurn und sandte goldrosige Strahlenbündel in einen kristallgrünen Himmel, an dem zarte Wölklein selig-golden in einer immer stärker sie umströmenden Flut von Karmin im zartesten Rosa schwammen.

Dieses Karmin, Rosa, Gold und Grün spiegelte sich in leiser, durcheinanderspielender Bewegung auf der unheimlich ruhigen seidengrauen See. Es war, als warte der ganze sinnliche Farbenzauber auf einen wilden Ausbruch ins Grenzenlose – einer jähen Verwandlung in Tintenschwärze und rasend aufsprudelnden weißen Gischt, aus den grünsten Gründen der Tiefe geboren, überflackt von blauem Blitzgezacke und begleitet von rollendem Donnerorgeln. – – Noch wartete die Landschaft und das Meer der Erlösung durch den Sturm, und der Purpurschein der versinkenden Sonne wandelte sich mählich zu fahlem düster-drohenden Brandrot, das am breiten Horizonte drohend flammte.

Urich hob zuweilen die Hand – wies nach Stellen, wo eine bedeutende Lichtveränderung vor sich ging. Irmgard folgte gehorsam mit dem Blick, und das gemeinsame Genießen war süß wie eine Liebesvereinigung.

»Die Natur macht schon tolle Kunststücke«, bemerkte er nach langem Schweigen. »Aber was nützt sie uns mit diesem Furioso?«

»Nicht wahr?« fiel Irmgard lebhaft ein. »Dasselbe dachte ich jetzt. Hier ist man hilflos. Dies ist doch ein Drama – ein Kunstwerk in sich, das jeder Wiedergabe durch menschlichen Pinsel hohnlacht ... Höchstens das Licht, die Glut, die sich da in der kleinen Kapuzinerblüte verfängt und ihre Blätter so unglaublich durchsichtig macht, das könnte man vielleicht einfangen – ach – auch dazu müßte man ein großer Meister sein ...«

Er hatte ihr lächelnd zugehört.

»Als Junge wollte ich nun eben gerade die rote Sonne über dem Meer malen – habe es zahllose Male versucht – verzweifelt geheult – Ströme von Tränen, und die Leinwand ins Wasser geschleudert – so weit hinaus, wie ich treffen konnte in meiner Wut! – Später – wie oft habe ich mit meiner Frau hier auf dieser Bank gesessen, und immer wieder quälte sie mich: gerade das müsse ich malen – ihr zu Gefallen – ließ keine Ruhe – was war sie süß und drollig in ihrem völligen Unverständnis!«

Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, während er im Traum der Vergangenheit versank, es machte die großen Züge linde und weich.

»Du hast sie sehr geliebt –?« wagte Irmgard zu fragen.

»Ja – ich habe sie wohl sehr geliebt ...« Und nach einer Weile: »Finden sich zwei Menschen, die zueinander gehören, in der Kraft ihrer Jugend – das gibt schon Flammen!« Er deckte die Hand über die Augen, war für sich allein und ferne von dem Mädchen an seiner Seite.

Sie konnte sein Schweigen nicht mehr erfragen. Etwas Böses quälte sie, an ferne Wunde zu rühren.

»Seit wann ist sie krank?«

»Gefährliche Zeichen meldeten sich nach der Geburt des Kindes. Wir waren damals fünf Jahre verheiratet. Die ersten Kinder starben bei der Geburt. Das hat wohl ihr Gemüt mehr verstört, als ich ahnte. Wir Männer sind ja Grobschmiede ... Lange habe ich nichts bemerkt – nichts sehen wollen, ist wohl richtiger! Als sie schon diese unsichtbaren Stimmen hörte ... Immer waren es Kinder, die sie warnten. – Daraus ist mir dann klargeworden, was sie im stillen gequält haben mochte.«

Der Mann stöhnte – alles Durchlittene stürzte sich über ihn, hüllte ihn wieder ein.

»... Einmal glaubte man sie genesen«, sprach er weiter. »Sie war so rührend, als sie heimkam – schüchtern, immer gleichsam um Verzeihung bittend – wie ein kleines Mädchen, das etwas Böses getan hat. Sie war sehr schön, doch eher von einer wilden, dunklen bacchantischen Art – nun hatte ihre Schönheit etwas beinahe Durchsichtiges – nicht wie von dieser Erde ... Bald kamen die Anfälle wieder – und immer die Angst in ihren armen Augen. Es war kaum zu ertragen. Ich dachte oft, ich solle mit ihr verrückt werden. Zuletzt die Krisis. Stelle dir vor – sie nahm das Kind aus dem Bett – lief mit ihm davon – Gott weiß, vor welchen Gefahren sie es retten wollte. Ich war zu einer Konferenz abwesend – als ich heimkam, fand ich das Haus in wilder Aufregung – Stunden waren vergangen, seit sie sich fortgeschlichen hatte – und Nacht – in der fürchterlichen Stadt. Sie hatte wahrhaftig den Weg zum Wald hinaus gefunden – einen Tag und zwei Nächte haben wir gesucht –, ein großes Aufgebot von Polizeileuten und Spürhunden war aufgeboten. Spaziergänger hatten sie am Nachmittag gesehen. Und sie lief uns immer wieder davon, nachdem das Schreien des Kindes uns auf die richtige Fährte gebracht hatte. Die Hunde jagten hinter ihr her – auch sie schrie –, endlich war es möglich, ihr den Weg abzuschneiden. Sobald ich sie gefaßt hatte und im Arm hielt, verlor sie das Bewußtsein. Die Kleine konnte vor Schwäche kaum noch wimmern, von Staub und Blut beschmiert, das kleine Gesichtel, die nackten Füßchen ganz zerkratzt von den scharfen Kiefernzweigen. Carly war lange krank, und ich glaube, ganz haben ihre Nerven den Eindruck heute noch nicht überwunden. Lydia mußten wir am nächsten Tage in die Anstalt zurückbringen.«

»Ich habe nie von diesen Dingen gesprochen«, sagte er leise ... »Ich will sie vergessen – es gelingt mir auch oft – für lange Zeit.«

Irmgard bereute, legte ihre Hand auf die seine, die schwer auf dem Knie ruhte.

Er zog bald die Hand unter der teilnehmenden Berührung fort.

»Eins muß ich dir noch sagen, Irmgard. Als sie an meinem Halse hing und so jammervoll weinte und mich anflehte, sie nicht allein zu lassen, habe ich ihr versprochen, daß ihr Heim bei mir immer für sie bereit sein solle – immer, solange sie lebe. Und – wenn die Ärzte auch wenig Hoffnung auf Wiederherstellung geben – es geschehen doch wunderbare, unvorhergesehene Dinge bei diesen Geisteskranken.– – – Du versiehst mich?«

Irmgard neigte den Kopf über die Hände, die sie in einer Art von feierlicher Erwartung an die Brust gedrückt hielt.

»Ich verstehe«, wiederholte sie leise. In diesem Augenblick liebte sie Jakob von ganzer Seele. Mit derselben Liebe, mit der sie Erichs blutende Pulse in ihren Händen gehalten hatte.

Der Mann nahm, als sei etwas Endgültiges nun abgeschlossen, seine kurze Tonpfeife, die auf der Bank neben ihm ausgegangen war, zog den Tabaksbeutel aus der Tasche und begann sie mit bedächtigen Bewegungen neu zu füllen und in Brand zu setzen. – Irmgard erhob sich behutsam und ging zum Strand hinunter.

Das dräuende Gewitter war vorübergezogen. Der Himmel hatte sich in ödes kaltes Grau gehüllt, aus dem Wasser rauschte es stärker empor – die Blumen in dem kleinen Garten verloren ihre Farben in der Dämmerung. Aus den fernen Wolken züngelte ein schwaches Leuchten.

Als Irmgard nach dem schweigsam verzehrten Abendessen Urich gute Nacht bot und sich anschickte, in ihre kleine Giebelstube hinaufzusteigen, legte er seine starke weiße Hand mit den feinen Fingerspitzen um ihr Kinn und hob ihr den Kopf: er hatte die scharfe Brille abgenommen, sein Gesicht bekam dann etwas Hilfloses, Knabenhaftes.

»Du entbehrst nichts bei mir?« fragte er unsicher.

Das Mädchen mußte seine ganze Kraft darauf verwenden, nicht zu weinen. So antwortete sie nur mit einem Lächeln, das weh und zärtlich über ihre Züge glitt.

»Jede Frau wird mit einer andern Liebe von dem Mann geliebt und jede mit der Liebe, die ihrem Wesen entspricht«, sagte er warm und tröstend. »Du weißt, was du mir bist?«

Nun kam doch ein Seufzer von ihren Lippen. Sie war noch nicht befreit von der Überzeugung, daß es nur eine Liebe geben könne und keine andere.

»Oft denke ich in dir die Schwester gefunden zu haben, die ich niemals besaß und mir immer gewünscht habe.«

»Ach – Schwester?« Sie murmelte es kummervoll. »Vielleicht bin ich nur Schwester – meinem innersten Wesen nach.«

»Bis auf die Stunden, in denen du auch anderes gibst – gar nicht schwesterlich bist«, lachte er freundlich und strich ihr über die Wangen.

Doch schied sie heute ohne Kuß von ihm, und er kam auch nicht, wie sonst oft, zu ihr hinauf, die schmale knarrende Treppe, auf deren Geräusch sie so gern lauschte.


 << zurück weiter >>