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XI.

»Weißt Du, Agathe, wenn diese Woszenskis Dir so viel interessanter sind, als Deine eigenen Eltern, dann ist es am besten, wir treten Dich ihnen ganz ab. Dein Herz ist ja doch bei ihnen geblieben.«

»Ach, Papa – so mein' ich's ja nicht ...«

»Aber lieber Ernst,« sagte die Regierungsrätin entschuldigend, »es ist doch hübsch, daß unser Kind uns von der Reise erzählt ...«

»Das wollt' ich mir auch ausgebeten haben,« sagte Heidling verstimmt, »vorläufig lasse ich sie nicht wieder fort, sonst findet sie uns nachher zu spießbürgerlich und langweilig.«

»Glaube mir nur, mein Kind,« redete der Regierungsrat weiter, »was Dich da geblendet hat, ist ein Wesen, in das Du mit Deiner soliden Natur Gott sei Dank gar nicht hineinpaßt – es würde Dir bald genug zum Bewußtsein gekommen sein. So – nun gieb Deinem alten Papa einen Kuß, wenn er auch kein Künstler ist, er meint es doch besser mit Dir, als Deine Woszenskis und wie die Leute da alle heißen.«

Frau Heidling kam eines Abends in ihrer Tochter Schlafzimmer. Sie setzte sich und sah zu, wie Agathe ihr langes braunes Haar kämmte.

»Mama, steht es mir besser, wenn ich die Flechte nicht mehr über den Scheitel lege, sondern so im Nacken trage? Eugenie sagt, es wäre viel moderner.«

Mutter und Tochter versuchten die neue Haartracht. Dabei sah die Rätin dem Mädchen in die Augen, wie sie es früher gethan, wenn sie herausbekommen wollte, ob Agathe oder Walter genascht hatten, und fragte scherzhaft obenhin:

»Sag mal – Du – war denn Herr von Woszenski so sehr interessant?«

Agathe lachte.

»Sehr, Mama – wirklich – sehr – ach, er ist entzückend. Ich hab' ihn zu gern!«

»Aber Kind – er ist doch ein verheirateter Mann ...«

Die liebe Mama seufzte und sah ganz sorgenvoll aus. »Du bist so verändert, seit Du zurückgekommen bist ...«

»Mama – nein!«

Agathe lachte noch viel übermütiger. »Du denkst, ich habe mich in Herrn von Woszenski verliebt?«

»Ein bißchen – natürlich nur ein bißchen!«

Frau Heidling legte die Arme um ihre Tochter und zog sie an sich, um ihr das Geständnis zu erleichtern.

»Sag' mir's, mein Kind!«

Agathe wand sich lachend los.

»Wirklich, Mama, davon ist ja keine Spur! Aber gewiß nicht! Ich schwärme ja nur für sie alle beide. Es sind so liebe, liebe Menschen!«

»Wenn Du's sagst, glaube ich Dir ja – und – und – er hat sich doch nie eine Freiheit erlaubt?«

»Niemals, Mama,« rief Agathe empört. »Du machst Dir eine ganz falsche Vorstellung von ihm. Er ist ja so delikat. Nein – nein.«

Und nach einer Pause ganz leise, indem sie ihre Mutter küßte:

»Es war ein anderer, Mama – ich kann nicht ... verlange doch nicht, daß ich darüber reden soll.«

Mama streichelte schweigend ihr Haar und ging mit dem Licht hinaus.

* * *

Nachdem Agathe an Frau von Woszenski geschrieben hatte, wartete sie täglich in atemloser Spannung auf deren Antwort. Vielleicht würde sie irgend etwas über Lutz schreiben. Oder wenn auch das nicht – Agathe verlangte so sehr danach, von ihr zu hören – den Poststempel der lieben, merkwürdigen Stadt zu sehen, wo ein neues Leben für sie begonnen hatte.

Endlich bekam sie einen Brief von Frau von Woszenski – sehr freundlich – aber viel zu kurz für ihre Wünsche.

Und später schrieb sie nur noch einmal wieder: sie hätte zu viel zu thun – nach dem Malen wären ihre Augen zu angegriffen, um zu korrespondieren – Agathe wisse doch, daß sie sie trotzdem nicht vergessen werde, und daß sie bald wiederkommen müsse.

Ja – ja – ja –. Agathe versuchte, sich mit der Hoffnung auf das Wiedersehen zu trösten.

Gott im Himmel! Warum gab sie nur immer gleich so viel von ihrem Herzen? Die Leute wollten es ja gar nicht haben! Wenn sie doch nur stolzer wäre!

* * *

Am 5. September las Agathe frühmorgens in der Zeitung eine Notiz: Fräulein Daniel war als Naive für das Theater in M. engagiert worden.

Sie hob das Blatt auf und barg es im Schreibtisch bei ihren Reliquien: einer Calicanthusblüte aus Bornau, die immer noch ein wenig duftete, der Manschette ihres Konfirmationsbouquets, Lord Byrons Photographie und einer Rezension über die Berliner Ausstellung, in der Lutz erwähnt wurde. Tausendmal hatte sie den gedruckten Namen schon geküßt.

Ob Lutz am Ende seine Freundin bewogen habe, nach M. zu gehen, um sie hier zu besuchen und Agathe wiederzusehen?

Agathe hatte viel über das Verhältnis der beiden zu einander gegrübelt. Es war doch höchst unwahrscheinlich, daß zwei Menschen, die sich liebten, sich nicht schleunigst heirateten. Also liebte Lutz jedenfalls Fräulein Daniel nicht. Irgend etwas Besonderes mußte dahinterstecken – ein Geheimnis. Konnten sie nicht Geschwister sein? Sie sahen sich doch wirklich ähnlich. – Wie schön – wie edel von Lutz, eine Schwester, die er aus Achtung vor der Ehre seines Vaters oder seiner Mutter nicht öffentlich anerkennen durfte, mit so heimlicher, zarter Sorge zu umgeben, in ihrer gefährlichen Laufbahn ritterlich über sie zu wachen! Ja – er würde kommen – sicher, sicher!

Die matte, trübe Zeit war zu Ende! Er würde kommen!!

* * *

Zuerst hörte sie bei Wutrows von ihm reden.

»Ich bin heute dem Maler begegnet, der der Daniel nachgereist ist,« sagte Eugenie, während Agathe ihr half, die Brautwäsche mit blauen Bändern zu umknüpfen, denn die Hochzeit sollte nun bald sein. »Hertha Henning zeigte ihn mir. Sie will bei ihm Unterricht nehmen. Ihre Mutter ist froh, daß sie sie nun nicht nach Berlin zu schicken braucht – wenn sie miteinander hungern, kostet's doch weniger. Ich finde es ziemlich unpassend – er ist noch ganz jung – höchstens achtundzwanzig – na – und der hat schon manches hinter sich.«

»Wieso meinst Du?« fragte Agathe beklommen.

»Ach, das sieht man doch. Aber was ist Dir denn? Mädchen – Du bist ganz blaß! Kennst Du denn Herrn von Lutz?«

»Ich war mit Woszenskis in seinem Atelier,« stieß Agathe in ihrer Fassungslosigkeit hervor.

»So – warum hast Du mir davon gar nichts gesagt? Aber so setze Dich doch – Du wirst wahrhaftig ohnmächtig! Nein – dies Mädchen! – Er sieht sehr gut aus – so ein weltmännischer Chic, den die Herren hier bei uns immer nur imitieren. Komm – trink ein Glas Wein!«

– – Hertha Henning hatte also Unterricht bei ihm ... Nein – eifersüchtig konnte Agathe auf Hertha nicht werden – dazu war deren Nase zu lang und zu spitz.

Sie versuchte, einen Stuhl zu zeichnen – eine Blume – es mißglückte vollständig. Sie hatte gar kein Talent – keinen Funken. War das nicht jammervoll? Zu nichts hatte sie Anlagen – konnte nicht den kleinsten Vers zu stande bringen. Sie war im Grunde doch ein ganz gewöhnliches Geschöpf.

Und Lutz erkannte sie auch nicht wieder ... Als er im Wandelgang des Theaters auf sie traf, sah er sie flüchtig an und grüßte nicht.


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