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Am Jahresschluß!

Das Jahr 1861 ging zu Ende – ein ereignisreiches und bedeutsames für Preußen – das erste des neuen Königtums.

Gar manche bittere und trübe Erfahrung hatte der neue König in diesem Jahre bereits machen müssen, von der bloßen Anfeindung politischer Parteiung bis zum offenen fanatischen Mordversuch – sein redlicher, fester Manneswille mißbraucht und verkannt, sein weitblickendes Auge von kurzsichtigen Oppositionsgelüsten mißachtet, wachsende Feinde ringsum, Zwiespalt auf allen Enden, auf allen Gebieten, schwache oder falsche Freunde und Berater, schlaue Versuchungen, Undank und schlimme Beispiele – drohende Gewitter am politischen Horizont.

Zwar hatte es dem König auch nicht an glänzenden und zahlreichen Beweisen der Liebe und des Vertrauens gefehlt, so nach jenem Mordattentat, bei Gelegenheit der Krönung und des Einzugs, aber schon war durch die Schwäche jenes Ministeriums der »neuen Aera« und die systematische Agitation der wiederbeginnenden, diesmal schlaueren Revolution der Boden im Lande bereits so durchwühlt, daß der königliche Aufruf zu neuen Wahlen für das Abgeordnetenhaus mit einem Wahlausfall beantwortet wurde.

Daß durch solche Erfahrungen das Herz des Monarchen tief berührt sein mußte, läßt sich denken. Waren doch selbst in den konservativsten Teilen des königsgetreuen Westfalen die Wahlen im oppositionellsten Sinne ausgefallen.

Dazu das Unglück, das die junge Marine grade in ihrem Aufblühen getroffen hatte, denn nach den Nachrichten von der holländischen Küste und der Mission des Leutnants zur See Rubarth dahin konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß dort das stattliche Schiff mit seiner hoffnungsvollen Mannschaft, 142 blühenden Männern, seinen Untergang gefunden hatte. Mit blutendem Herzen hatte der König seine Zustimmung zu dem Bericht geben müssen, den die damalige offizielle Zeitung, die »Sternzeitung« am 16. Dezember über die Resultate der stattgehabten Ermittelungen gebracht – und da drüben in der Ecke des Vorgemachs, das die Fahnen und Standarten der Armee bewahrt, stand auch die Stange mit der Signalflagge des Tops in den preußischen Farben: Schwarz-Weiß!

Mitternacht hatte es geschlagen, der König hatte die Sylvesterwünsche der königlichen Familie in Empfang genommen, – jede größere Festlichkeit hatte die Hoftrauer für den nahen Verwandten ausgeschlossen, von dessen Beisetzung der Kronprinz erst in diesen Tagen wieder zurückgekehrt war – und war dann bald in sein bekanntes Eckzimmer in dem ihm als Gabe des verewigten Vaters teuren und deshalb auch nach der Krönung als Wohnung beibehaltenen Palais hinabgegangen und einige Augenblicke an das Fenster getreten, das die Aussicht hat auf das Denkmal des großen Ahnherrn. Von den Linden herauf, namentlich von der Friedrichsstraße her, klang der wüste Lärm, mit dem gröhlend und pfeifend der Berliner Pöbel die Neujahrsnacht durch allerlei alberne Exzesse zu feiern liebt und in diesem Jahre noch ungenierter als sonst beging, da die Energie der Polizei so gut wie beseitigt und durch den ziemlich albernen Prozeß Patzke der Mann beseitigt und unschädlich gemacht war, vor dem das Gesindel sonst einen gehörigen Respekt hatte. Justiz und Regierung hatten sich damals vereinigt, nicht bloß die Autorität der Polizei, sondern selbst die Würde der Krone in den Staub fallen zu machen.

Nachdem der hohe Herr nachdenkend einige Augenblicke am Fenster gestanden, trat er in das Garderobezimmer, hängte sich selbst den einfachen Militär-Mantel um und setzte die Mütze auf. So ging er durch das Zimmer des diensthabenden Flügeladjutanten und – mit einer Handbewegung jede Begleitung ablehnend – verließ er das Palais durch den Ausgang nach der Behrenstraße.

König Wilhelm ist niemals besorgt gewesen um seine persönliche Sicherheit und hat diese Sorglosigkeit bei hundert und aberhundert Gelegenheiten bewiesen. Der hohe Herr ging die Behrenstraße entlang bis zur Wilhelmstraße, und als er hier im Palais des Prinzen Friedrich von Preußen noch Licht sah, stieg er die Rampe hinauf, ging an der Schildwache, die vor dem Offiziermantel präsentierte, unerkannt vorüber und setzte leise den Klopfer des Torwegs in Bewegung. Der Jäger des Prinzen, der mit dem Portier und dem Jour habenden Lakaien der Neujahrsnacht halber noch wach in Flur und Vorzimmer saß, hatte hastig geöffnet, fuhr aber alsdann fast erschrocken zurück, als er den König erkannte, der den Finger befehlend auf den Mund legte.

»Euer …«

»Still – ist der Prinz noch wach?«

»Zu Befehl – Seine Königliche Hoheit haben noch nicht zur Nachtruhe geläutet!«

»Ich dachte es mir – der arme Herr schläft nur wenig. Bleiben Sie – ich melde mich selbst!« Und mit einer Handbewegung ging er durch das Vorzimmer und die von dem Jäger rasch und leise geöffnete Tür in das große Wohnzimmer des Prinzen und durch die Portiere in das anstoßende Gemach, in dem sich der leidende Fürst des Abends aufzuhalten pflegte.

»Bleibe ruhig, Fritz,« sagte der König, »keine Zeremonien unter uns, ich komme nur einige Augenblicke zu Dir, weil ich wußte, daß Du doch erst gegen Morgen schläfst, um Dir als der erste im neuen Jahr einen Gruß zu bringen.«

Er hatte sich zu dem Ruhebett seines Vetters gesetzt und ihm freundlich die Hand gereicht.

»O, Majestät,« sagte der Prinz, der vergeblich eine Anstrengung gemacht hatte, sich zu erheben – »diese unverhoffte Freude – und ich kann Dich nicht empfangen, wie es doch meine Pflicht wäre …«

»Still, still, Vetter! Wir sind ja beide keine Jünglinge! Es drängte mich, zu Dir, dem Senior unseres Hauses, meinem ersten Kriegskameraden und treuen Freunde zu gehen, wie Du der meines Bruders, des verewigten Königs warst – ich wollt der erste sein in dem neuen Jahr und einen Menschen sehen, zu dem ich von Herzen sagen kann: Vetter Fritz, eine Krone ist sehr schwer. Ich hatte gewünscht, sie nicht noch auf mein Haupt laden zu müssen. Bei Dir wenigstens kann ich mein Herz ausschütten, ehe ich morgen konventionelle oder heuchelnde Gesichter zur Gratulation sehen muß! Ich weiß, Vetter Friedrich, Du meinst es gut mit mir!«

»Gott weiß es – aber Du mußt Deinen Weg gehen und – Du bist der Mann dazu, der einzige, der es tragen kann!«

»Es sieht schlimm aus um mich her, Vetter Fritz. Ich habe vorhin den Erlaß des Ministeriums wegen Einberufung des Landtags unterzeichnet. Mit Ausnahme von Roon kein einziger Name darunter, auf den ich mich vertrauend stützen könnte!«

Der Prinz sah nachdenkend vor sich nieder – dann schob er dem König ein Buch zu, in dem er gelesen hatte, ehe der Monarch eintrat.

»Kennst Du dies?«

Der König schlug den Titel auf. »Tagebücher von Varnhagen von Ense. Aus seinem Nachlaß herausgegeben von Ludmilla Assing. Leipzig, bei Brockhaus! – Ich habe davon gehört und einzelnes gelesen! – Pfui der Schmach! Aus dem Grabe heraus streckt der eitle Geck, der sich einen Patrioten und den Humboldt Freund nannte, eine Schmutzkralle heraus gegen Preußen! Ein lüderliches jüdisches Weibsstück, das sich zur Vermittlerin hergab!«

»Friedrich Wilhelm der Vierte hat mehr ertragen müssen!«

»Wenn dies ein Vorwurf sein soll, Vetter Friedrich, mache ihn nicht mir, er trifft Auerswald und Schwerin, dessen Ahnherr, auch für einen Friedrich, bei Prag fiel! – Aber es ist traurig genug – auf wen soll ich anders bauen, wenn solche Namen unzuverlässig sind. Ich stehe allein gegen sie alle, die Wahl für den Landtag hat es gezeigt!«

»Stehe fest, Vetter Wilhelm! Du hast die Kraft dazu. Gott gebe Dir ein langes Leben und die Kraft, auszuhalten bis zum Ende. Wenn ich in der Gruft auf meinem lieben Rheinstein von dem Sieg Deines Königsrechts hier höre, wird mein Geist Wache halten am deutschen Strom, bis Du oder Dein Sohn das Wächteramt übernehmt. Vielleicht, Vetter Wilhelm, ist der Beistand von oben näher als Du denkst! Verzage nicht – auf Deiner Kraft, auf Deinem Entschluß ruht die Zukunft Preußens! Wenn Du morgen zur Friedenskirche fährst, grüße den, der das schwere Amt auf Deine Schultern gelegt, auch von mir – ich käme ihm bald nach.«

Der König hatte sich sehr ernst erhoben. »Ich wußte, daß ich bei Dir Stärkung finden würde, Vetter Fritz, und sei bedankt dafür! Vielleicht suche ich Dich bald auf! Gesegnetes Neujahr für uns Beide!«

Er reichte dem treuen Verwandten nochmals die Hand.

»Und – es ist freilich eine Geringfügigkeit in dem Schicksal der Millionen, das jetzt in Deiner Hand liegt,« sagte der Prinz, »aber nimm meinen Dank für die Freundlichkeit, mit der Du so aufmerksam meine Bitte erfüllt, – ich danke Dir für die Begnadigung eines braven Soldaten.«

Der hohe Herr sah ihn fragend an, dann entsann er sich. »Wenn Du den Unteroffizier Krause meinst,« sagte er, »so danke ich Dir, daß Du mir dazu Gelegenheit gegeben hast. Ich habe befohlen, ihn in ein anderes Regiment zu schicken – als Feldwebel! Er mag sichs bei günstiger Gelegenheit verdienen. Gute Nacht, Fritz – meine Arbeit ist für die heutige noch nicht zu Ende!«

Der König verließ das Palais so unbemerkt, wie er gekommen und betrat ebenso das seine, wo er dem ängstlich harrenden Kammerdiener Mantel und Mütze reichte und in seine Arbeitsstube ging, in der noch die zwei Lampen wie gewöhnlich auf den Tischen standen, auf deren einem die während des Nachmittags und Abends eingegangenen Rapporte, Telegramme, Zeitungs-Exemplare und Briefe lagen.

König Wilhelm hatte sich, wie alle mit seiner Lebensweise vertrauteren Personen melden, zur strengen Regel gemacht, nicht eher die Ruhe zu suchen, bis alle den Tag über eingegangenen wichtigen Meldungen erledigt worden waren.

Auch jetzt trat er zu dem Tische, auf dem er am Morgen wie am Abend die eingegangenen Depeschen zu finden gewohnt war.

»Sieh da, die Ausfertigungen von Bernstorff,« sagte er, das Portefeuille vom auswärtigen Amt herbeiziehend und es mit dem Schlüssel öffnend. »Vielleicht der Bericht von Paris? – Ich dürfte morgen, oder vielmehr heute wenig Zeit dazu haben. Erledigen wir ihn also!« Er zog mehrere Papiere aus dem Portefeuille, setzte sich und las.

»Es ist, wie ich dachte, also man wünscht Reuß zu behalten! Später! Er wird jetzt besser in Petersburg am Platz sein. Man darf wohl erwogene Beschlüsse nicht ändern. – Ah – hier ist die Abberufungsordre – und hier die Ernennung! – Es mögen die ersten Akte im neuen Jahr sein!« Und er vollzog rasch die beiden Unterschriften mit der bekannten feinen und zierlichen Unterschrift, die ihn vor allen früheren seiner Vorgänger auf dem Thron auszeichnete.

»Einige Worte an den Kaiser Alexander!« sagte der König, einen kurzen Brief schreibend und siegelnd. Dann nahm er ein zweites Blatt, beschrieb es und legte beide in ein Kouvert, das er gleichfalls verschloß und mit seinem Privatpetschaft versiegelte.

»Es soll meine erste Regierungshandlung sein im Jahre 1862,« sagte der König leise vor sich hin. »Möge sie Preußen und meinem Hause Segen bringen. Der gute Fritze wußte wohl nicht, daß seine Ahnung sich so bald erfüllen werde!« Und nachdem er selbst die Adresse geschrieben:

 

Dem Preußischen Gesandten
Herrn von Bismarck-Schönhausen
in Petersburg.

Sofort durch Kurier!

 

legte er den Brief an die Stelle, wo der diensthabende Adjutant wichtige Sachen am Morgen zu suchen und sofort zu expedieren hatte.

»Herrn von Bismarck-Schönhausen!«

Mit dem Wort hatte der König Preußens Zukunft entschieden! – Er warf noch einen Blick zu dem Bilde seines Vaters und der unvergeßlichen Mutter hinüber nach der Wand am Schreibtisch, und ruhig, und mit sich selbst einig ging er nach seinem einfachen Schlafzimmer.


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