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Venus und Vatikan.

1. Der Zirkus des Caracalla.

Durch die Porta-Appia auf der berühmten Straße, welche durch die Gräberstadt und die unermeßlichen Ruinen des alten Rom nach Albano und über die pontinischen Sümpfe nach Terracina führt, hatte ein Mietwagen die Ringmauer verlassen und rollte jetzt durch die einsamen Schatten der Nacht auf diesem Felde gigantischer Erinnerungen.

Es mochte 10 Uhr sein, der Wagen hatte die Almo-Brücke in der Marrana della Caffarella bereits überschritten und die ersten Weinberge passiert, die hier von den Hügeln von San Paolo her die Straße kreuzen, als der Vetturin an der Stelle, wo ein Seitenweg sich von der Heerstraße abzweigt, um über die Ponte Pignatelli nach Marino zu führen, auf Befehl des Mannes, der neben ihm auf dem Bock saß, anhielt.

Der diesen Befehl erteilt, ein Mann von breiter, robuster Gestalt, stieg vom Bock und öffnete den Schlag des Wagens. Er trug die dem Volk so verhaßte Uniform der päpstlichen Gendarmen und ließ sich vom Vetturin das Bajonettgewehr, das neben ihm auf dem Sitz gelegen, herunterreichen.

Die Personen, die mit seiner Hilfe das Innere des Fiakers verließen, waren zwei Männer, beide in Mäntel gehüllt, aber, so viel diese und der Sternenschein der Novembernacht erkennen ließen, von sehr verschiedenem Alter und Stand.

Der Ältere war ein Mann von kleiner Figur und ruhigen, vorsichtigen Bewegungen, denen etwas Schleichendes, Gezwungenes aufgeprägt lag. Er trug den Kragen des Mantels bis zu seinem Abbate-Hut aufgeschlagen, so daß von seinem Gesicht nichts zu erkennen war, auch wenn die Dunkelheit geringer gewesen wäre.

Der Zweite dagegen war ein Mensch von hohem kräftigem Wuchs, breitschulterig und noch stattlicher, als der Gendarm, in seinem ganzen Auftreten lag etwas Kühnes, Ungezwungenes und doch Soldatisches. Er trug ein niederes Kaskett, das sein breites kräftiges Gesicht keineswegs versteckte, und der frische Brustton seiner Stimme bewies, daß er noch jung sein mußte. Der Mantel, der seine stattliche Figur umhüllte, war ein heller Militärmantel, wie ihn die Schweizergarde Seiner Heiligkeit des Papstes trug, ebenso das Kaskett.

Als der Mantel beim Aussteigen sich öffnete, zeigte sich die Uniform der Schweizer darunter, um den Leib ein Gürtel geschnallt, im Gürtel zwei Pistolen.

»Sind wir hier an der richtigen Stelle, Sergente?« fragte die scharfe Stimme des Kleineren, indem er sich an den Gendarmen wandte.

» Si, Excellenza,« entgegnete der Gefragte in der breiten deutschen Aussprache des Italienischen. »Dort das hohe Gebäude ist San Sebastiano, und der dunkle Fleck zur Linken das Grabmal, wo man uns erwarten wird. Befehlen Excellenza, daß der Vetturin bis zur Kirche fährt?«

»Nein, er mag hier warten. Sagen Sie dem Mann Bescheid, und führen Sie uns.«

Nach einigen mit dem Vetturin gewechselten Worten ging der Sergeant voran auf der breiten, in gerader Richtung durch diese kolossale Trümmerwelt führenden Straße fort. Die beiden anderen folgten ihm in kurzer Entfernung.

»Ist es nicht gefährlich,« unterbrach endlich der junge Offizier das Schweigen, »daß Euer Eminenz sich in dieser Zeit an diesen Ort wagen, der in einem so schlechten Ruf steht?«

»Ich wüßte nicht, Signor Luogotenente, Leutnant. daß ganz Rom gegenwärtig einen bessern hätte,« sagte mit kurzem spöttischen Lachen der andere. »Aber vor allen Dingen bleiben Sie mir mit der Eminenz vom Hals, die Steine hier haben Ohren, und so wenig das heilige Kollegium gegenwärtig auch gelten mag, ein Kardinalshut dürfte bei den Burschen, mit denen wir zu thun haben werden, doch immer noch einen anständigen Cours haben.«

Der junge Offizier blieb erstaunt, ja bestürzt stehen. »Wie meinen Euer Excellenz das?«

»Ei nun, daß ich Sie mit dem Signor Mascherato Der Verlarvte. bekannt zu machen hoffe.«

»Mit Ruggiero?«

»Mit Ruggiero il Mascherato! Fürchten Sie sich, ihn zu sehen, Signor Luogotenente? ich habe geglaubt, Ihr Schweizer würdet ohne Furcht selbst dem Teufel entgegentreten.«

»Aber, Excellenza, der Verlarvte ist der berüchtigste Bandit der ganzen Campagna. Die Frauen in Rom schrecken mit seinem Namen die Kinder in den Schlaf!«

»Ah bah! selbst der Teufel ist nicht so schwarz, wie er beschrieben wird, und Sie werden bei uns in Rom noch manches aus anderen Augen betrachten lernen, das heißt, wenn Sie dieselben lang genug offen behalten. Aber nun im Ernst, ich befehle Ihnen, jede Andeutung meiner Person sorgfältig zu vermeiden. Obschon ich Ruggieros Wort für unsere Sicherheit habe, ist es doch nicht nötig, daß er oder seine Gesellschaft geradezu erfahren, wer die Person ist, die mit ihnen verkehrt. Nehmen Sie sich daher in acht. Ich habe den Mann im Interesse des Staates zu sprechen und Sie zu meiner Begleitung bestimmt, erstens weil Sie die Wache im Vatikan hatten und, obschon Sie erst so kurze Zeit im Dienst Seiner Heiligkeit stehen, der Premierminister, Ihr Verwandter, Sie nicht zum Offizier gemacht hätte, wenn Sie nicht ein Mann von erprobtem Mut und absoluter Zuverlässigkeit wären.«

Der junge Mann verbeugte sich. »Ich kann Ihnen nur antworten, Excellenza, daß Sie über mein Blut und mein Leben zu verfügen haben.«

»Ich hoffe, nicht nötig zu haben, das heute in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls empfehle ich Ihnen an: was Sie auch sehen und hören mögen, keine Übereilung! Dagegen muß ich eines fordern!«

»Befehlen Sie!«

»Sie müssen mir Ihr Ehrenwort als Offizier geben, daß Sie über alles, was Sie heute erfahren, die strengste Verschwiegenheit beobachten werden. Ich bemerke Ihnen: es ist allerdings ein Dienst im Interesse des Staates, aber ein vertrauter Privatdienst, zu dem ich Sie aufgefordert habe.«

»Excellenza haben mein Ehrenwort!«

»Gut! so lassen Sie uns etwas eilen.«

Er befahl dem Gendarmen seine Schritte zu beschleunigen, und das Paar folgte diesem auf der Straße.

»Darf ich fragen, wo Sie den Banditen zu finden hoffen?« sagte nach einer Pause der Offizier.

»Da verlangen Sie zu viel von mir, Signor Luogotenente. Ich weiß nur so viel, daß er sich unter den Ruinen des alten Rom aufhält. Das ist Sache unseres Sergente.«

»Aber wenn die Polizei die Schlupfwinkel der Banditen kennt, warum hebt sie diese nicht auf?«

»Sie wird sich hüten. Die römische Polizei und die römischen Banditen sind die besten Freunde, so lange nicht irgend ein Grund zu Mißvergnügen zwischen ihnen besteht, oder die Burschen es zu arg treiben. Glauben Sie mir, nur durch dies Verhältnis ist es möglich, eine Menge Verbrechen zu verhüten oder wenigstens zu entdecken. Sehen Sie den Sergente da vor uns; er ist einer der entschlossensten und zuverlässigsten Männer der Brigade und bereits zehn Jahre im Dienst. Und ich wette, daß es zwanzig Miglien im Umkreis von Rom nicht einen Banditen giebt, mit dem er nicht schon sein Glas geleert hat, den er aber andererseits nicht eben so freundschaftlich bereit wäre, auf die Galeeren oder an die Garotte zu bringen, wenn es ihm befohlen wird.«

»So kennt er also auch den Mascherato?«

»Unzweifelhaft hat er schon oft mit ihm verkehrt. Ihn kennen? das ist eine andere Sache! Ich bezweifle es.«

»Aber Euer – Sie, Signor, wissen, wer der Mann ist?«

»So wenig wie Sie! Vielleicht lebt in ganz Rom kein Mensch, der weiß, wer er wirklich ist. Es giebt in diesem Land Geheimnisse, die auf den ersten Anblick seltsam und befremdend erscheinen, und es doch nicht sind. Die Freiheit der Maske war ein Ding, das selbst von der tyrannischen Herrschaft des Rates der Drei in Venedig geachtet wurde. Es ist eben so möglich, daß unter der schwarzen Maske des Capitano Ruggiero irgend ein verarmter Nobile, wie ein Bauer von Olevano oder ein entlaufener Galeerensträfling sein bekanntes Gesicht verbirgt. Glauben Sie mir, es sind oft die anständigsten Familien, deren mißratene Mitglieder unter den Banden leben. Für uns und für die Kugel, die sie früher oder später ereilen mag, ist das gleichgültig. Doch um Vergebung, Signor Luogotenente, ich kenne Ihre Verhältnisse nur im allgemeinen, ist Ihre Verwandtschaft mit dem Minister-Präsidenten eine nahe?«

»Die Gemahlin des Grafen Rossi ist eine geborene Schweizerin, aus Genf, die Stiefschwester meiner Mutter. Der Graf hatte die Güte, sich bei Monsignore, dem Kriegsminister, für mich zu verwenden.«

»Er hat Seiner Heiligkeit damit nur einen Dienst geleistet,« sagte verbindlich der Ältere. »Aber lassen Sie uns jetzt schweigen und aufmerken, – ich glaube, wir nähern uns unserem Ziel.«

Die kleine Gesellschaft hatte bereits die Kirche von San Sebastiano passiert und näherte sich dem berühmten Grabmal der Cäcilia Metella, hinter dem sich im Schatten und Schweigen der Nacht in geringer Entfernung die Ruinen der Giostra oder des Cirkus Romuli ( Circe di Caracalla ) erhoben.

Der Führer lenkte seine Schritte von der breiten weißschimmernden Straße zur Linken ab nach der dunklen Rotunde des Grabmals.

Plötzlich, wie aus der Erde aufsteigend, erhob sich eine drohende Gestalt vor ihnen, und eine Flinte mit der weiten trompetenförmigen Mündung der Musketons streckte sich ihnen drohend entgegen.

» Ferma! Gebt die Losung!«

» Venere i Vaticano! Sei kein Narr, Gianettino, Du kennst mich und weißt, daß der Capitano uns erwartet.«

»Guten Abend, Sergente,« sagte der Bandit, das Gewehr unter den Arm nehmend. »Bei der Madonna, es wäre närrisch, wenn ich den kühnsten Sbirren der sieben Hügel selbst in der Nacht nicht auf hundert Schritt erkennen sollte, aber wir haben unsere Ordres so gut, wie Ihr Soldaten. Sind das die Signori, von denen Du mir gesagt?«

»Sie sind es.«

» Bene! Der Capitano will sie empfangen. Aber Du mußt hier zurückbleiben, so lautet der Befehl. Cospetto! wir dürfen unsern schlimmsten Feind doch nicht mitten in unser Lager führen, nicht jeder trägt die Maschera!«

Der Gendarm wandte sich fragend nach seinen Begleitern um, der Ältere nickte. »Wir werden diesem Herrn allein folgen.«

Der Bandit zündete das kurze Ende einer dicken Wachskerze an, die das höchst verdächtige Ansehen hatte, von irgend einem Altar gestohlen zu sein. In deren Schein musterte er aufmerksam das Äußere der beiden Fremden, während diese ihn selbst betrachteten.

» Diavolo! wen hast Du uns da gebracht? Ich will ein Jahr lang keinen Ablaß haben, wenn das nicht einer der verdammten Ketzer, der Svizzeri ist?«

»Bah, was thut das zur Sache! Schweizer oder Gendarmen, das bleibt sich gleich, und die Signori da kommen sicher nicht, um mit dem Mascherato das Brevier zu lesen.«

Der Bandit ließ nochmals das Licht der Kerze auf den Gegenstand seines Zweifels fallen und beschaute ihn von oben bis unten, indes mußte das offene jugendliche Gesicht einen günstigen Eindruck auf ihn machen, denn er erklärte, wenn die Signori ihre Waffen ablegen und sich die Augen verbinden lassen wollten, werde er sie zu dem Hauptmann geleiten lassen.

Der junge Offizier war im Begriff, diese Bedingungen zu verweigern, aber ein gebietender Wink seines Begleiters beseitigte allen Widerspruch, und er legte Säbel und Pistolen nieder. Sein Begleiter öffnete den Mantel, ohne das Gesicht den neugierigen Blicken des Banditen auszusetzen, und zeigte, daß er darunter die einfache Tracht eines Abbé und keinerlei Waffen trug.

»Zum Henker,« sagte der Gendarm, »das mag für die Herren gut genug sein, aber was mich betrifft, so habe ich doch zu viel gute Freunde unter Deiner würdigen Kameradschaft, als daß ich ihnen eine so verführerische Gelegenheit geben möchte, mich wie einen Hammel abzustechen!«

» Cospetto! Du bist in der Erlaubnis auch am allerwenigsten einbegriffen. Du bleibst hier, und ich werde die Ehre haben, Dir Gesellschaft zu leisten!«

»Auf Armesweite, ich liebe das, Gianetto, es erhält die Freundschaft, und solltest Du irgend einen Ziegenschlauch mit Falerner oder selbst dem sauren Zeug von Olevano in der Nähe haben, so wird das noch besser sein.«

Der Wachtmeister untersuchte sein Gewehr, spannte den Hahn und lehnte es handgerecht an einen Säulenschaft, dann lockerte er das Pistol in seinem Gürtel und ließ sich sorglos auf dem halb zertrümmerten Marmorkapitäl nieder, das neben ihm halb versunken aus dem Boden ragte.

Gianetto oder Gianettino, wie ihn der Sbirre genannt, hatte unterdes in die Hände geklatscht, und auf dies Zeichen war sofort aus dem Schatten des Gebäudes ein anderer Mann zu ihm getreten, dem er leise eine Weisung gab. Dann bat er um die Taschentücher der Signori und schlang diese leicht um ihre Augen. Der neu herbeigekommene Bandit nahm die Kerze, forderte den ältern der Fremden auf, ihm die Hand zu reichen und die zweite seinem Begleiter zu geben, und führte sie so vorwärts, indem er sie jedesmal sorgfältig darauf aufmerksam machte, wenn einige Stufen hinauf- oder hinabzusteigen waren.

Die dumpfere Luft überzeugte den Offizier sehr bald, daß sie das Innere des berühmten Denkmals betreten haben mußten, das er bis jetzt, auf einer Wanderung durch die Ruinenmassen des alten Rom, nur von außen gesehen hatte.

Der zurückgebliebene Bandit holte unter einem Stein eine große hölzerne Flasche hervor, setzte sie an den Mund und reichte sie dann nach einem langen Zug seinem Gesellschafter, während er sich zwei bis drei Schritt von diesem entfernt auf den Boden warf.

» Ebbene, Signor Sergente, laßt uns plaudern!«

Der Deutsche begann sich eine kurze Pfeife zu stopfen, wobei ihm der Bandit zusah.

»Zum Teufel, Gianetto, ich finde Dich herzlich schlecht aussehend; ich habe gemeint, daß das Banditen-Handwerk besser ginge!«

»O, was das betrifft, Signor Sergente,« sagte der Räuber melancholisch, »das Handwerk geht ganz gut, und ich leide keine Not; aber es sitzt hier« – er legte die Hand an Stirn und Herz. – »Seit Ihr an der Thür des Hotel Grande mich von dem Wagenschlag des fremden Principe risset, der die Perle von Rom entführte, und mich ins Gefängnis stecktet, ist alles vorbei mit mir!«

»Du bist ein Narr, Gianetto! Wer wird sich an ein Weibsbild hängen? Der lustigste Bursche von Trastevere und jetzt ein Kerl, durch den der Mond hindurchscheinen könnte! Warum hast Du Dein Handwerk aufgegeben? Ich sorgte doch, daß Du am anderen Morgen von der Wache wieder entlassen wurdest!«

Der Bandit sah sich scheu um. »Er ist toll,« flüsterte er, »ich konnte es nicht mehr bei ihm aushalten, so verrücktes Zeug malte er, oder ich wäre selbst verrückt geworden. Immer ihr Bild, aber es fehlte etwas daran, bald der Kopf, bald der Leib, bald die Arme, statt deren mich Schlangen an den Busen zu drücken drohten, an dem ich so manches Mal geschlafen. Statt des wollüstigen Leibes der Schuppenschwanz einer Sirene, wie sie bei Neapel im Meere schwimmen und den heiligen Paulus auf seiner Seefahrt versucht haben sollen. Es brannte mir im Hirn, und ich wäre toll geworden, wie der Meister, wenn ich länger geblieben wäre und seine Bilder angesehen hätte.«

Der Gendarm that einen langen Zug aus der Pfeife, während sich sein Gesellschafter wie im Fieberfrost schüttelte. »Ich hörte davon, daß der Maler halbverrückt geworden,« sagte er gleichgültig, »aber ich glaubte am Ende, es wäre aus Eifersucht, weil die Dirne doch nichts von ihm wissen wollte. Du warst doch noch ein hübscher Kerl mit straffen Gliedern, ohne Dir zu schmeicheln, der schmuckste Bursche jenseits des Kapitols, und ihr Geschmack daher kein Wunder, während der Pinsler eine verkrüppelte Vogelscheuche ist. Sich einzubilden, daß die wildeste Dirne von Rom ihn heiraten sollte, während Fürsten und Grafen sich um sie rissen, war eben so verrückt, als wenn ein armer Farbenreiber wie Du, der kaum seine Melone und seine Macaroni bezahlen konnte, geglaubt hätte, sie würde ihm treu bleiben, während ein russischer Principe sie zur großen Dame machen will.«

»O,« sagte der verlassene Liebhaber, indem er mit einem gewissen Stolz den Kopf hob, »sie verachtete das Gold wie ich! Die große Dummheit war nur, daß ich sie meinem Meister zum Modell anbot. San Januario, mein Schutzpatron, hätte mich davor bewahren sollen. Aber sie wollte es, und dort hat sie dieser Barbar gesehen. Der Teufel hole diese Fremden! sie nehmen uns alles, unsern Ruhm, unsere Schätze und unsere Geliebten. Darum müssen wir sie aus unserm Lande jagen. Die ewige Roma muß wieder frei werden. Evviva Italia liberata!«

Der Gendarm lachte. »Du bist ein Narr! was würdet Ihr Lumpe denn ohne die Forestieri anfangen? Sag' aufrichtig, Gianettino, hast Du Deine Geliebte dem Meister Michele aus Liebe zur Kunst oder für einige Scudi zum Modell verkauft?«

» Cospetto, man will doch leben,« meinte philosophisch der ehemalige Farbenreiber und reichte nach einem langen Zuge seinem Gefährten nochmals die Flasche.

»Das erklärt mir aber noch alles nicht,« sagte dieser, seinem Ziele näher rückend, »weswegen Du Meister Michele verlassen hast und ein Bandit geworden bist? Obschon er so toll sein soll wie ein Märzhase, kann es ihm doch nicht an Geld gefehlt haben. Dich zu bezahlen; denn er hat seinen Verdienst im Vatikan, und die verrückten Engländer und andere Kunstnarren sind wie närrisch auf seine seltsamen Bilder und Figuren. Seine Tollheit ist ordentlich in Mode gekommen!«

»Bei der Madonna, es ist wahr,« beteuerte der Italiener, »kein Mensch zwischen den sieben Hügeln versteht es, die Bilder in den Galerieen des Vatikan so zu restaurieren, und ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, er habe mich nicht bezahlt oder sei so filzig wie der Großalmosenier Seiner Heiligkeit mit seinem Gelde. Aber die Bilder, Signor Sergente, die Bilder! Und dann die verdammten Figuren, immer sie und nur sie mit einem Drachenkopf oder einem Teufelsschwanz statt des Körpers, den ich doch oft genug und lebendig auf meiner Matratze von Maisstroh zwischen den Armen gehabt – es war nicht zum aushalten und ich lief davon!«

»Nun und wie kommst Du zu Ruggiero?«

»Ihr wißt ja, ganz Rom oder vielmehr ganz Italien spricht von ihm, und daß es das lustigste Leben bei seiner Bande ist! Bei meinem Schutzpatron, es ist wahr! ein Leben voll Aufregung und Lust, bald in den Gebirgen, bald unter den Ruinen, der Capitano ist überall, und an Weibern, Geld, Wein und Abenteuern fehlt es nicht. Aber es nützt mir alles nichts, ich bin ein unglücklicher, verlorener Kerl, obschon der Capitano ein besonderes Vertrauen zu mir hat; ich kann die Gedanken nicht los werden, und das magert mich ab zum Skelett. Selbst das Trinken hilft nichts dagegen! Wenn ich des Nachts auf Posten stehe oder mit den Kameraden am Feuer sitze, kriecht es aus den Nebeln der Marranas Feuchte Thalniederungen. und aus den Flammen des Holzstoßes zu mir heran wie gefräßiges hundertbeiniges Gewürm, und ist doch nur ihr Bild, oder es windet sich wie der Ring der Garotte um meinen Hals, und es ist doch nichts als ihr Goldhaar, an das ich denke! Es ist so weit mit mir gekommen, daß ich selbst die heilige Messe nicht mehr hören kann; denn wenn der Pfaff das Buch küßt, dann fühl' ich die roten Lippen sich an mich pressen, und wenn die Schelle geht, und ich niederfallen will auf die Knie, da ist es der Silberton ihrer Stimme, der meinen Namen ruft, und gleich darauf gellt's beim Segen wie Teufelslachen in meine Ohren! Perduto! Perduto!« Verloren!

Der Wachtmeister schwieg einige Augenblicke, den Kopf schüttelnd. Offenbar hielt er den Trasteveriner für eben so toll wie seinen frühern Meister; dann sagte er: »Du mußt zur Ader lassen, Gianetto, dergleichen kommt aus dem Blut, wie unser alter Bader in Feldkirch sagte, wenn er die Bauern schröpfte oder ihnen die Ader schlug, daß die Kerls kaum noch auf den Beinen stehen konnten! Ich habe eine Nachricht für Dich, die Dich vielleicht kurieren wird. Aber zuvor möchte ich selbst einiges wissen von Dir. Zunächst: wird sich der Mascherato zu den Radikalen oder zu der Regierung halten?«

Die Frage nach der politischen Haltung eines Banditen wäre komisch gewesen, wenn sie nicht eben in Italien gethan worden!

Der Räuber hatte den Kopf auf die Hand gestützt. »Bah, was kümmert sich der Mascherato um die Politiker, obschon sie alle zu ihm kommen, Ihr so gut, wie die anderen!«

»Die anderen, wen meinst Du damit?«

Der Bandit machte eine geheimnisvolle Miene und wies mit dem Daumen über die Achsel. »Er ist gerade bei ihm – sie werden vielleicht zusammentreffen!«

»Wer?«

»Still! die Ruinen haben Ohren, und ich möchte um aller Welt willen den Capitano nicht erzürnen, und noch weniger den Leutnant. Thut Eure Augen auf, wenn es Zeit ist und sagt mir jetzt Eure Neuigkeit!«

Der Gendarm beachtete die Frage nicht. »Da Du Dich rühmst, daß der Capitano Dir vertraut, mußt Du auch mehr von ihm wissen, als die anderen. Vielleicht hast Du gar schon sein Gesicht gesehen?«

Der Bandit schüttelte den Kopf. »Unsinn! Ich werde mich hüten! Weh dem, der versuchen würde, auch nur zufällig hinter seine Maske zu sehen! Es steht der Tod darauf!«

Der Sergente war ihm, die frühere Vorsicht vergessend, näher gerückt. »Aber Du wirst doch Deine Vermutungen haben?« fragte er vertraulich.

»Was würde es für einen Kerl, wie ich bin, nützen, seinen Kopf noch mehr mit Grübeleien zu verwirren? Der Capitano ist tapfer wie ein Löwe, und freigebig wie ein König! Es ist vielleicht eine Schrulle von ihm, daß er sein Gesicht nicht zeigen mag, wenn er einmal bei uns ist.«

»So ist er es nicht immer?«

Der Trasteveriner rückte unbehaglich, das Ausfragen schien ihm nicht besonders zu gefallen. » Cospetto! er kommt und geht, wie er will, dafür ist er der Hauptmann! Eure Fragen nützen Euch nichts, Signor Sergente, denn ich glaube, der Alte von Olevano, unser Leutnant, ist der einzige Mensch, der mehr von ihm weiß, als ich oder diese Flinte, und dem er volles Vertrauen schenkt. Aber der müßte ein verteufelt waghalsiger Bursche und von allen Heiligen im Kalender geschützt sein, der es wagen möchte, dem alten Gasparino eine Frage darüber vorzulegen! Es vergehen Wochen, daß man den Capitano nicht zu Gesicht bekommt, und dann ist er plötzlich da, wo man es gar nicht denkt!«

»Ich hörte davon; es ist keine Spur von ihm zu bekommen! Selbst in der Stadt hat er sich oft genug gezeigt, und wenn wir glaubten, zehn Spione wären auf seinen Fersen, und er könnte ihnen nicht entgehen, war er verschwunden, als hätte die Erde ihn verschlungen.«

»Jeder in der Bande würde das Leben für ihn lassen! Aber Eure Neuigkeit, Signor Sergente! Eure Neuigkeit?«

»Nun denn,« sagte der Gendarm, der einsah, daß er nichts mehr von seinem Gefährten erfahren konnte, »ich sehe, daß Du es noch nicht weißt: » Die Faustine ist wieder in Rom

Der Bandit sprang wie von einer Kugel getroffen in die Höhe und packte krampfhaft seinen Arm. »Faustina in Rom?«

» Si! ich habe sie nicht selbst getroffen, aber man hat mir gesagt, daß man sie bei den Versammlungen im Coliseo und auf der Piazza del Populo gesehen, ganz in der alten Weise.«

Der Trasteveriner machte eine Bewegung, als wolle er sein Gewehr zu Boden werfen und fortstürzen, aber die kräftige Hand des Sbirren hielt ihn zurück. »Unsinn, Gianetto, mach' keine dummen Streiche. Wer auf dem Posten steht, darf ihn nicht verlassen, sei er Soldat oder Räuber. Der fremde Principe scheint der Dirne überdrüssig geworden, oder sie des Principe, was bei ihrem launenhaften Charakter noch wahrscheinlicher ist. Wenn sie zurückgekehrt ist, wirst Du sie zeitig genug zu sehen bekommen – höre ich von ihr, so will ich Dich's wissen lassen, so wahr ich Kreuzmaier heiße!«

»Ich rechne auf Euch, Signor Sergente, aber ich werde kein Auge schließen, bis ich sie gesehen habe. Still! – man kommt, tretet zurück, Signor, dort in den Schatten der Mauer, und rührt Euch nicht.«

Der Wachtmeister folgte der Anweisung und trat zurück. Von den Ruinen des Cirkus her kamen zwei Männer, der eine eine Harzfackel tragend, nach dem spitzen Hut und der Bewaffnung ein Kamerad Gianettos, der andere eine kolossale Figur mit theatralischer Miene und Bewegung, die Kleidung den unteren Ständen Roms angehörig, aber um die Schultern einen weiten roten Mantel, gleich einer altrömischen Toga, geschlungen, den Stierkopf und das wildkrause Haar anmaßend erhoben und unbedeckt, als erwarte es den Bürgerkranz eines Brutus oder den goldenen Lorbeer der Scipionen. Das Auge war feurig und trotzig, der Ausdruck des Gesichts aber roh und ungeschlacht.

»Hier ist unsere letzte Wache, Signor,« sagte der begleitende Räuber, »und dort die Straße. Sie werden hoffentlich meine weitere Begleitung nicht nötig haben!«

» Cospetto di bacco! wer würde es wagen, an den ersten Verteidiger des römischen Volkes Hand zu legen? Ich verachte die Schergen der Tyrannei, aber es würde mir lieb sein, Bürger, wenn Du mir Deine Unterhaltung und das Licht Deiner Fackel noch bis zur Vigna Meroni schenken wolltest. In dem Hause der Winzer dort warten einige Freunde auf mich, denn das römische Volk darf seiner Tribunen nicht beraubt werden.«

Der Bandit lachte. »Wenn Ihr es wünscht, Signor, werde ich Euch begleiten, obschon es keine Gefahr hat. Der Teufel sollte den Burschen holen, der es wagen würde, auf unserm Revier sein Stilett zu zücken.«

»So wirst Du mir wenigstens leuchten, damit mein Fuß sich nicht an diesen Zeugen unserer ehemaligen Herrlichkeit stößt. Da Du gleichfalls ein Verteidiger der Freiheit bist gegen die Tyrannei, sei es auch nur die des Eigentums, so freue ich mich Deiner Gesellschaft. Aber ich bitte Dich, laß mir die Waffen zurückgeben, die ich diesem Mann anvertraute.«

Gianetto holte hinter dem Säulenschaft, auf dem er gesessen, ein altes Reiterpistol und ein langes Schlächtermesser hervor und händigte beides mit einer spöttischen Verbeugung dem Tribun ein, der sie in die dreifarbige Schärpe steckte, die er um den Leib trug, ohne es zu bemerken, daß die beiden Spitzbuben hinter seinem Rücken Gesichter schnitten und Zeichen des Spottes tauschten. Dann hüllte er sich fester in seine Toga, grüßte mit einem majestätischen Kopfnicken den Wachtposten und winkte seinem Begleiter, voran zu schreiten.

Die beiden hatten sich kaum nach der Straße hin in den aufsteigenden Nebeln der Marrana verloren, als der Gendarm neben dem ihnen nachschauenden Trasteveriner stand.

»Der Teufel soll mich holen, Gianetto,« sagte er, »wenn das nicht der Schlächter, der Ciceruacchio ist, der sich bereits für den König des römischen Pöbels hält und den man nächstens beim Kragen nehmen und in die Verließe der Engelsburg stecken wird.«

»Still, Amico, nehmt Euch in acht, daß er Euch nicht hört,« entgegnete der Bandit. »Ich bin nicht gewiß, ob er nicht der Mann ist, Euch morgen selbst in die Engelsburg setzen zu lassen und das heilige Conclave dazu!«


Die beiden Personen, denen der Gendarm zum Begleiter gedient, waren an der Hand ihres neuen Führers unterdes vorwärts geschritten. Zweimal bemerkte ihnen der Bandit, daß sie einige Stufen hinabzusteigen hätten. Die dumpfere Luft um sie her, der engere Raum, den sie beim zufälligen Ausstrecken der Hand berührten, bewies ihnen, daß sie wahrscheinlich in einem unterirdischen Gange fortschritten. Dann ließ sie ihr Führer eine Anzahl breiter Stufen emporsteigen und öffnete eine Thür. Sie fühlten, daß die frische Nebenluft sie wieder anwehte, und als der Bandit die Tücher von ihren Augen entfernte, erkannten sie in dem Schein eines entfernten Feuers, daß sie sich zwischen den Ruinen hoher Bogengänge und Gewölbe befanden, trümmerhaften Rundmauern eines kolossalen Bauwerks, und wenigstens der Ältere von ihnen wußte sogleich, daß sie in den Ruinen-Gängen des Cirkus Caracalla standen.

Durch die nahe Öffnung, die in die Arena führte, fiel, wie erwähnt, der Lichtschein eines oder mehrerer Feuer, die sich auf dem ehemaligen Kampfplatz der Gladiatoren und christlicher Märtyrer mit den Bestien der Wildnis befinden mußten. Lustiger Lärm, der Schellenklang eines Tambourins, der Gesang von Männerstimmen und das Zanken Spielender drang in wirrem Durcheinander von dort herüber, ohne daß sie den Schauplatz dieser Lustigkeit selbst zu sehen vermochten.

Der Bandit bedeutete die beiden, ruhig hier stehen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren, während er den Hauptmann von ihrer Anwesenheit benachrichtigen wolle. Aber er blieb für die Ungeduld des jungen Offiziers zu lange aus.

»Es ist auf Ihren Befehl geschehen, Excellenza,« sagte er endlich unruhig, »daß ich meine Waffen aus den Händen gegeben habe, und mir scheint, daß wir uns da in einem hübschen Nest befinden, wo man sie nötig brauchen könnte. Es kann diesen Gurgelabschneidern jeden Augenblick einfallen, ihr Metier an uns zu versuchen, und wir haben dann nichts als unsere Hände, um uns zu wehren.«

»Wenn eine solche Absicht gehegt würde, wer hätte diese Leute gehindert, dieselbe in aller Bequemlichkeit auszuführen auf dem Wege hierher?«

»Das ist wahr,« meinte der andere, »aber einem Soldaten ist nun einmal nicht wohl, wenn er seine Waffe nicht im Bereich der Hand weiß. Hören Euer Excellenz den Gesang? Der Kerl hat einen Baß wie ein Heidelberger Student, und ich glaube gar, er verhöhnt die heilige Religion, denn er brüllt eine lateinische Hymne.«

In der That drangen, von einer gewaltigen einzelnen Baßstimme gesungen, einzelne Worte des berüchtigten lateinischen Trinkliedes herüber, das zu den Ceremonien der sogenannten Saufmesse gehört – –

Bibit ille bibit illa
Bibit frater cum ancilla –

und dazwischen sprang plötzlich unter dem Gelächter der Zuhörer der wüste Gesang in eine jener erhabenen und tief ergreifenden Kompositionen ein, die Pergolese und Stradella der Menschheit geschenkt haben. Der rohe, trunkene Baß wurde zur klangvoll schwellenden Männerstimme, ein ehrfurchtsvolles Schweigen überkam die Versammlung, das Gelächter hörte auf, die wilden Flüche der Spieler verstummten und das Tambourin rollte seine Schellen nicht länger unter der wirbelnden Hand. Aber es waren nur wenige Takte, dann ging dieselbe Stimme in cynischen Dissonanzen in einen politischen Gassenhauer über, wie er damals auf der Piazza del Populo und in den Kneipen der sieben Hügel zur Verhöhnung des Oberhauptes der katholischen Christenheit und seiner Kardinale gesungen wurde. Dieselbe Meute, die sich soeben noch unwillkürlich unter der melodischen Macht des Hohen und Schönen gebeugt hatte, raste jetzt in tobendem Gelächter und Beifall und stimmte brüllend in das Schandlied ein.

»Bei der Madonna! das ist ja ein wahrer Hexensabbath,« sagte der Ältere der beiden Lauschenden. »Aber seht, Signor Riccardo, ich glaube, dort kommt man, uns zu holen. Nochmals – kein unvorsichtiges Wort!«

Aber er hatte sich geirrt, wenigstens zunächst. In der Kurve des Rundgangs kam der Schein einer Fackel daher, zwei Männergestalten tauchten aus dem Dunkel der Trümmer, flüchtig wie Schatten vorüberschreitend, ein spitzer Banditenhut, ein roter Mantel, die in einem entferntem Ausgang verschwanden. Gleich darauf stand der Mann, der sie hierhergeführt, an ihrer Seite. »Hierher, Signori. Der Capitano erwartet Euch!«

Wenige Schritte genügten, um aus dem innern Portal der Carceres in die Rotunde, die Arena, zu treten und diese riesige Trümmerwelt mit ihrer seltsamen Belebung zu überschauen.

Der Cirkus Caracalla ist der einzige von den vier ähnlichen Bauten, die das alte Rom zählte, dessen Ruinen noch in ziemlich gutem Zustand bis auf unsere Zeit erhalten sind, so daß wenigstens die Einrichtung des Tummelplatzes der alten circensischen Spiele noch zu erkennen ist. Freilich sind die um das lange Oblongum laufenden steinernen Galerieen größtenteils nur noch unbesteigbare Trümmer, und der Boden der Arena, auf dem in der Zeit des Kaiserglanzes die Wagen siebenmal um die metae In der Mitte des Cirkus lief eine Breite, etwa 5 bis 6 Fuß hohe Wand, Spina, an bereit Enden sich die drei Säulen, metae, befanden, um welche die Kämpfer lenken mußten. donnerten, ehe der Sieger den Lorbeerkranz errang, ist durch Trümmer und Schmutz zur Höhe der verfallenen Spina emporgewachsen; aber wo hat die Zeit in der gewaltigen Stadt nicht ihr noch gewaltigeres Werk gethan?

Inmitten dieser Zeugen einer stolzen Vergangenheit lagerte, vom Schein zweier Feuer beleuchtet, die phantastisch bunte und wilde Gruppe, deren lärmende Fröhlichkeit die beiden schon in dem äußern Rundgang gehört. Es mochten etwa zwanzig Männer verschiedenen Alters sein, meist von kräftiger Gestalt und dem charakteristischen Typus der Bewohner der Campagna oder der Berge von Olevano, Tivoli und Albano und der wilden Felsennester der Abruzzen, in der so malerischen und seit Salvator Rosa durch ganz Europa bekannten Tracht der Banditen. Zwischen ihnen sah man vier oder fünf junge Frauen und Mädchen.

Über dem ersten Feuer hing an zusammengestellten Stangen und eiserner Kette ein Kessel, während an dem zweiten zwei braune Burschen damit beschäftigt waren, die Teile eines frisch geschlachteten Hammels auf improvisiertem Rost an den eisernen Ladestöcken ihrer Flinten zu braten. Die Frauen waren bis auf zwei, die mit dem Tambourin in der Hand ihren Partnern gegenüber die Tarantella tanzten, an den Feuern mit der Bereitung der Mahlzeit beschäftigt, indes einige ihrer Männer oder Liebhaber das Kugelspiel trieben, und andere müßig zwei Morraspieler umstanden oder dem Gesang der Baßstimme lauschten.

Diese Stimme, die mit ungestörtem Eifer ihren Beitrag zur allgemeinen Lustigkeit fortsetzte, gehörte einem seltsamen, obschon in solcher Gesellschaft nicht seltenen Gast, einem Mönch von einem der Bettelorden, deren Klöster in und um Rom in ziemlicher Anzahl zu finden sind. Der würdige Frater war eine kurze, dicke, aber äußerst bewegliche Gestalt mit kugelrundem Kopf, lustigem, stark gerötetem Gesicht und einer Stumpfnase, deren Spitze äußerst stark ins Blaue spielte und von einigen kleinen Auswüchsen wundersam verziert wurde. Sein Maulwerk schien mehr geeignet, einen Rinderbraten oder eine tüchtige Schüssel in Öl gebackener Fastenfische zu verschlingen, als eine Mette zu singen, und doch waren aus eben diesem ungeschlachten Mund noch vor wenigen Augenblicken die herrlichen Töne gedrungen, die das liederliche Sauflied variiert hatten. Es lag in dem Gesicht des Bettelpfaffen etwas überaus Drolliges neben aller Gefräßigkeit, Unverschämtheit und Lüsternheit, und das Zwinkern der kleinen Augen war so lustig und komisch, daß er damit gewiß selbst seinen Pater Prior in der Strafrede unterbrochen hätte, die dieser ihm gehalten haben würde, wenn er das Schaf seiner Herde in solcher Umgebung und Beschäftigung gefunden.

Auf der andern Seite des Mönchs, gleichsam dem Weinschlauch neben ihm die Wage haltend, lag der magere Bettelsack des Zaunpfaffen und ein Stock aus zähem Holz.

Der ehrwürdige Bruder Pankraz O'Leary, der Abkürzung halber wegen seiner musikalischen Talente von seinen künstlerischen Freunden und Zechkameraden gewöhnlich Fra Pan genannt war, ein Sohn der glückseligen grünen Insel, die unter dem humanen Scepter der englischen Union ihre Kinder nach allen Weltteilen versendet, wenn sie nicht etwa vorziehen, im eigenen Lande wegen des patriotischen Vergnügens des Totschlags eines Gutstyrannen gehängt zu werden.

Irgend ein reisender Prälat oder Delegat war während seines Aufenthalts im »Westen« durch einen voreiligen oder gutmütigen Pfarrer auf die wundervolle Stimme des Knaben aufmerksam gemacht worden und hatte ihn, bei den neun Kindern seines Vaters eine höchst abkömmliche Person, mit sich nach Rom genommen, um ihn für den berühmten Chor der Sixtinischen Kapelle ausbilden und im Collegio Inglese dem geistlichen Stande widmen zu lassen. Der Bursche hatte auch wirklich mit seiner Stimme Aufmerksamkeit erregt und es in der That bis zu den ersten Weihen gebracht; mit den Jahren der Mannbarkeit aber waren seine sehr unkirchlichen Instinkte und Neigungen der Art gewachsen, daß nach vergeblicher Anwendung aller Mittel der Zucht den Vorstehern des Kollegiums endlich nichts übrig geblieben war, als ihn auf gerade nicht sehr ehrenvolle Weise aus diesem zu entfernen, das heißt, ihn fortzujagen! Zu faul und liederlich, um sich durch einen arbeitsamen Erwerb seinen Unterhalt zu sichern, zu sehr bereits an den angenehmen Wein der italienischen Berge und das fettgebackene Fritto gewöhnt, um dagegen den Kartoffelschnaps und die Erdäpfel der Heimat aufzusuchen, blieb Pankraz in Rom, und kam durch die Protektion einiger Freunde und durch die Spekulation des geizigen Priors auf seine trotz der Wandlung noch immer schöne Stimme in eines der Franciskaner Bettelklöster, wo er nach verschiedenen Kämpfen mit den Regeln des Ordens endlich das allen seinen Neigungen entsprechende Amt eines Terminierers oder Almosensammlers erhielt. Bruder Pan war in gewissen Schichten der Bevölkerung von Rom eine sehr bekannte und beliebte Person, und von der berühmten Kneipe des Gensano-Weins im Theater des Marcell bis zu der gemeinsten Osterie von Trastevere, in den Ateliers der Künstler, wie in den Höhlen der Laster heimisch und willkommen. Der Geiz seines Priors, wenn er auch genötigt war, zuweilen mit einer ernsten Pönitenz gegen den Bruder Liederlich einzuschreiten, sah ihm doch mehr als jedem andern nach und gewährte ihm eine höchst unkirchliche Freiheit. Denn Frater Pankraz wurde seiner Stimme wegen nicht nur wie ein Packgaul an Kirchen und Prozessionen vermietet, er wußte gar oft mit und ohne Erlaubnis bei Gesangfesten oder leichtfertigen, einer Schönen gebrachten Ständchen mitzuwirken, und war auch als Sammler eine der ersten Erwerbsquellen des Klosters. Denn wenn er auch sicher die Hälfte aller der reichlichen Gaben, die er mit seiner Originalität und Beliebtheit zu erhalten oder zu erpressen verstand, zu seinem eigenen Vorteil stahl und veruntreute, so war er doch schlau genug, um von seinen Bettelgängen stets mehr nach Hause zu bringen, als irgend ein anderer Terminierer. Auch manch hübsches von seinen Freunden, den Künstlern, ihm geschenktes Bild, manche leichtfertig verschleuderte Seltenheit wanderte durch ihn in den Klosterschatz und aus diesem für schweres Geld in die Hände der Fremden.

Der Kreis, in dem man ihn hier fand, bewies zur Genüge, daß er auch dieser Gesellschaft nicht fremd war. In der That hatte Paddys Vorliebe fürs Vagabundieren ihn schon oft in die Schlupfwinkel der Gesetzlosen gebracht, heute aber hatte ihn sogar ein besonderer Auftrag hergeführt.

Der Mönch saß, das schmierige Gewand so aufgeschürzt, daß sein muskulöses nacktes Bein vom Knie ab sichtbar wurde, auf seinem Mauersturz, während zwei andere Männer unfern von ihm mit einander sprachen.

Der dem Feuerschein Zugewandte war ein Mann von untersetzter Gestalt, dem Greisenalter nahe, mit weißem buschigen Bart und gleichen dichten überhängenden Brauen. Er lehnte während des Gesprächs auf seiner Büchse und schaute so zu der hohen stattlichen Gestalt des andern auf, der zu ihm sprach. Dieser Mann, wie die schwarze Halbmaske von Sammet, und der kurze, aus seinem Hut bis über das Kinn herabfallende Schleier bewies, war der Mascherato, Ruggiero, der gefürchtetste Bandit der Campagna.

Die beiden Männer waren fast gleich gekleidet; der spitze, mit Goldschnüren und bunten Bändern umwundene Hut, die schwarze Samtjacke mit den Silberknöpfen und die rote Weste mit dem Ketten- und Uhrenbehang schmückten beide. Sie trugen Dolch und Pistolen im Gürtel, und das Bein mit der vor Dornen und Gestrüpp schützenden Gamasche bis zum Knie hinauf umbunden.

Dennoch war schon auf den flüchtigsten Blick ein auffallender Unterschied in ihrer Erscheinung zu erkennen. Die Gestalt des Alten war plump und derb, kräftig, aber von rohen Formen und rauhen Gebärden, während über die hohe und schlanke Figur des andern eine Art wilder Eleganz und Noblesse ausgegossen war, und jede seiner Bewegungen eine gewisse aristokratische Nonchalance zeigte.

Die Hand, die er zuweilen zu dem Schleier hob, um eine lange spanische Cigarre aus den Lippen zu entfernen, wenn er sprach, war mit feinen wildledernen Handschuhen bekleidet.

»Im Vatikan und Quirinal
Regiert der rote Kardinal –
Und Pater Vaures …«

»Gott verdamm' Deine schuftigen Augen, Du Lump von 'nem Koch, daß Du die Rippe dort anbrennen läßt, ich kann's bis hierher riechen! O Jäsus! ich wette zwanzig Bajocchi, daß der Bursche zehnmal aufmerksamer mit ihr umgehen würde, wenn's eine Weiberrippe wär', an der irgend ein Stück lebendiges Dirnenfleisch hängt, statt einer saftigen Hammelniere. Schuftiges Gesindel, schuftiges Gesindel, zu schlecht fürs Fegefeuer, Signor Mascherato, was Ihr da habt! Ich entzieh' Euch meinen geistlichen Beistand und geh' unter die Demokraten!« Und der halbtrunkene Bruder begann mit einer Tenorstimme Sterbinis neue Marseillaise:

»Scuoti, o Roma, la polvere indegna!«

»Still, Mönch, hier kommen Fremde!« sagte der Hauptmann. »Mache wenigstens der Kirche keine Schande in unserer achtbaren Gesellschaft!«

Fra Pan hatte den Becher geleert, neigte den Kopf auf die Schulter und schielte von der Seite herüber nach den beiden, die mit dem Banditen sich näherten, wobei der Ältere Sorge trug, sich von dem Licht entfernt zu halten.

»Bei Sanct Patrik, Mascherato, Du hast heute viel Besuch, und ich fürchte, daß es unseren Geschäften Eintrag thun wird!«

»Sei unbekümmert, Fra Pan,« sagte der Räuber, »und sorge für unsern Braten; Gasparino wird Deine Herzogin nicht versäumen.« Er winkte seinem grauen Leutnant zurückzubleiben und trat den Fremden entgegen. »Hierher, Signori, wenn es Ihnen gefällig ist.« Er winkte sie zur Seite, indes der Bandit, ihr bisheriger Führer, stehen blieb. »Man hat mich benachrichtigt, daß Sie mich zu sprechen wünschten, und daß Sie freies Geleit von mir gefordert. Ich hoffe, daß Sie unterwegs nicht mehr belästigt worden sind, als für unsere Sicherheit notwendig ist.«

Seine Haltung war ruhig und leicht und hatte fast den Anstrich des Empfanges eines Besuches in einem Salon; seine Sprache war die eines gebildeten Mannes. Den Schleier von seinem Hut ließ den scharfen Blick nicht erkennen, mit dem er sie musterte, während er zugleich alle ihre eigenen Prüfungen vereitelte.

»Ich wünschte, Monsignore Rignano Der Kriegsminister. hielt die Armee seiner Heiligkeit in so guter Ordnung, wie Sie die Ihrige. Ich und mein Begleiter sind mit aller Höflichkeit behandelt worden.«

Der Bandit verneigte sich höflich. Mit fast unmerklicher Bewegung hatte er seine Stellung verändert und wie absichtslos die Vorsicht seines Besuches vereitelt, indem er das Licht des entfernten Feuers auf diesen fallen ließ. Der Fremde hüllte sich noch fester in seinen Mantel und verbarg das Gesicht unter dem Kragen, der Offizier achtete jedoch nicht darauf und betrachtete mit steigendem Interesse den Räuber, von dem in den Kaffeehäusern Roms so manches interessante Abenteuer cirkulierte.

»Darf ich fragen, was die Signori zu mir führt?«

»Sie sind der Mann, den das Volk mit dem Namen Ruggiero der Mascherato bezeichnet?«

»Ich habe die Ehre, Euer Excellenza die Versicherung zu geben, daß ich es bin und wenn Sie wünschen, können dort zwanzig meiner Leute sie wiederholen. Auch ein Herr Ihres eigenen Standes, denn so viel ich bemerken kann, habe ich die Ehre, mit einem Geistlichen zu sprechen?«

»Bemühen Sie sich nicht, Signor,« sagte hastig der Fremde, »am wenigsten aber jenen Mönch, der, wenn er wirklich sein Gewand mit Recht trägt, mir eine Schande für dies Gewand zu sein scheint.«

»Der arme Bruder Pan! Ich versichere, Signor, er ist nicht so schlimm, wie er aussieht, und nur durch sein gutes Gemüt in unsere Gesellschaft geraten, die zuweilen des geistlichen Zuspruchs bedarf. Aber erlauben Sie mir, zu unserm Geschäft zu kommen.«

»Ich bin nur ein armer Vikar,« sagte der Fremde, »aber mit einigem Vertrauen meiner Vorgesetzten und einiger angesehenen Leute beehrt. Von einer solchen Person habe ich einen Auftrag an Sie auszurichten, und wünsche, Sie ganz allein und unbelauscht zu sprechen.«

»Und dieser Herr?«

»Ich bin wie gesagt ein unbedeutender furchtsamer Geistlicher, dieser Herr ist einer meiner Freunde, und hat die Güte gehabt, zu meinem Schutz mich zu begleiten.«

»Ich wiederhole Ihnen, Signor, niemand würde gewagt haben, Ihnen bei dem Namen des Mascherato ein Haar zu krümmen. Aber ich weiß nicht, ob die Unterhaltung, die ich unterdes diesem Herrn allein zu bieten vermag, ihm genehm sein dürfte!«

»O, Signor Capitano,« sagte der junge Soldat lachend, »wenn Sie mich in die interessante Gesellschaft dort am Feuer einführen wollen, werde ich Ihnen sehr verbunden sein.«

» Corpo di Baccho! ich sehe, Sie sind ein Mann von Mut und Geschmack, Signor, so kommen Sie denn!«

Er ging dem jungen Offizier voran und führte ihn zu dem nächsten Feuer. »Fra Pan,« sagte er spöttisch, »ich bringe Euch einen Gesellschafter. Ein Mönch und ein Soldat, wie der Signor zu sein scheint, sind so seltene und vornehme Gäste bei uns, daß wir sie mit einander bekannt machen müssen. Macht den Wirt, Bruder Pan, und thut Euer Bestes, und Ihr, Signori, achtet die Gastfreundschaft!«

» Miraculum! miraculum!« schrie der Mönch. »Ein bordierter Mann unter den Wegelagerern und Galgenvögeln! Kommt hierher, Freund, und setzt Euch an meine Seite. Vielleicht habt Ihr Stimme, um einen Chorus zu singen zu Ehren irgend einer toten oder lebendigen Heiligen, oder es gefällt Eurer Herrlichkeit ein Spiel um hundert Dukaten mit dem achtbaren und ehrwürdigen Bruder Pankratius zu machen, der so arm ist wie eine Kirchenmaus in der Sanct Dustan-Kapelle, bis der Braten fertig ist. Nehmt diesen Becher, junger Mensch, nehmt diesen Becher, er ist für Nebel und Feuchtigkeit gut – Similia similibus! und sagt mir, wie Ihr heißt!«

» Richard Stämpfli von Stauffenbach, würdiger Pater, wenn Ihr's zu wissen wünscht,« sagte lachend der Offizier, indem er sich neben ihn setzte.

» Eheu! Ein teufelmäßiger Name für eine italienische Gurgel, um ihn hinunter zu würgen. Aber zum Glück seid Ihr an einen Mann gekommen, der ehrlicheres Blut und eine bessere Zunge hat, als das miauende, zischende und schnatternde Gesindel in diesem Lande. Seid willkommen, Signor Riccardo, und der heilige Patrik selber, vor dem all dies Lumpenpack von welschen Heiligen sich verkriechen muß, soll mich vier Wochen auf Tiberwasser setzen, wenn wir uns heute nicht amüsieren wollen!«

Der Banditenhauptmann hatte auf eine der kostbaren Uhren gesehen, die auf seinem Brustlatz hingen, und seinem Leutnant gewinkt, der mit ziemlich unfreundlichen Blicken die Soldaten-Uniform des Gastes betrachtete. »Es ist Zeit, Alter, daß Du aufbrichst. Nimm den Gasparino mit Dir und laß einen andern Mann auf dem Posten, er ist weniger rauh als die anderen und Dein eigenes die Kinder erschreckendes Gesicht, und mag die vornehme Dame in ihr Gefängnis bringen. Aber keine Gewaltthat, Gasparino – bei meinem Zorn!«

»Wenn sie uns nicht zwingen,« murmelte der Alte. »Der Henker hole all die Besorgnis um ein bißchen Blut, die Bursche könnten meinen, Ihr wäret eine zimperliche Dirne, wenn sie Euch nicht im Kampf mit den Sbirren im Albaner Gebirge gesehen hätten.«

Er winkte einigen der Männer am Feuer und verschwand mit ihnen in den Schatten der Trümmer. Der Mascherato kehrte zu dem harrenden Vikar zurück.

»Wenn Ihr nicht schwindelig seid, ehrwürdiger Herr,« sagte er, »so will ich Euch an einen Platz führen, wo nur die Sterne über uns und der Wind, der durch die Trümmer streift, unsere Worte hören können.«

»Geht voran, Signor, ich werde mich bemühen, Euch zu folgen!«

Der Räuber umging die Ruinen der Spina und die im Wege liegenden Trümmer und näherte sich an der entgegengesetzten Seite des Oblongums den Ruinen der Galerieen, die einst drei Stockwerk hoch in umlaufenden breiten Marmorstufen emporgestiegen waren. Zum größten Teil waren sie jetzt ausgebrochen und verfallen, an der Stelle aber, wo der Bandit mit dem Geistlichen sich ihnen näherte, stiegen sie noch in stolzem gigantischen Bau zu dem Nachthimmel empor, und furchtlos betrat sie der Mascherato und stieg langsam aufwärts.

Der Vikar folgte ihm mit Vorsicht und nicht ohne Besorgnis.

Sie standen jetzt auf der obersten Stufe, und der Vikar, ungewohnt der Anstrengung und schwindelnd in dieser Höhe, die als vereinzelte Spitze aufragte, während die tragenden Pfeiler und Mauern sich in den Schatten der Nacht verloren, holte keuchend Atem und blickte ängstlich umher und hinab nach der verlassenen Arena, auf der die Feuer der Banditen und die dunklen Gestalten umher einen eigentümlich phantastischen, fast dämonenhaften Anblick boten.

Der Mascherato lehnte sorglos an den bröckelnden Trümmern der Rundmauer, die einst das dritte, von Balken gebildete Stockwerk der Galerieen gebildet hatte. Sein Auge schweifte bald nach dem glänzenden Sternenhimmel hinauf, bald über die Welt von Trümmern und gigantischen Erinnerungen um ihn her.

»Ich habe einen besondern Auftrag an Sie, Capitano Ruggiero,« sagte der Vikar. »Das Kollegium der Polizei hat stets Nachsicht gegen Sie geübt, da Sie wenigstens eine Art von Zucht unter den gesetzlosen Männern aufrecht halten, die Sie befehligen, und unnütze Grausamkeiten nicht zu lieben scheinen. Man erkennt an, daß seit Ihrem Erscheinen in der Campagna die schlimmen Thaten der einzelnen Banditen abgenommen, und wenn auch die Regierung und die heilige Kirche Ihr gesetzwidriges Treiben verdammen und verfolgen muß, so ist sie andererseits doch bereit, eine gewisse Nachsicht zu üben, wenn sie versichert sein kann, daß Sie ihr gegen jene Umsturzpartei dienen wollen, die gegenwärtig jeden Glauben an Religion und Obrigkeit dem Volke zu nehmen sucht und am Heiligsten frevelt.«

Der Vikar schwieg einen Augenblick, als erwarte er eine Antwort, aber der Bandit rührte sich nicht; sein Geist schien mit etwas ganz anderm beschäftigt, als mit dem Pardon der Consulta.

»Man hat in voriger Woche einen Einbruch in das Kloster der barmherzigen Schwestern am Esquilin und den Raub einer Nonne versucht,« fuhr der Priester fort, »der nur durch die zufällige Dazwischenkunft desselben Offiziers, der dort unten bei Ihren Leuten zurückgeblieben ist, verhindert wurde. Das Gerücht sagt, daß die verwegene That von Mitgliedern der Bande Ruggieros des Mascherato verübt worden. Monsignore der Polizeiminister ist bereit, den Kirchenfrevel zu vergessen und alle weiteren Verfolgungen deshalb einzustellen.«

Der Capitano wandte sich rasch nach ihm um.

» Andiamo!« sagte er spöttisch, »was kümmert mich die Polizei? Sie kann nicht einmal hindern, daß das Volk seine Spottverse an die Mauern des Quirinal schlägt und will einen Unsichtbaren bedrohen? Aber sagten Sie nicht, ehrwürdiger Herr, daß jener junge Schweizer-Offizier der Mann war, der am Freitag die Nonne befreite und zwei meiner besten Männer erschoß?«

»So ist es, Capitano, der Signor ist ein Neffe des Premierministers!«

» Per Dio! Dann ist er ein Tapferer; ich selbst sah es, hinter den Säulen der Kirche stehend, mit an, wie er mit den Burschen umsprang und sich verteidigte, bis ihm Hilfe kam! Er soll zum Lohn für seinen Mut das Leben seines Oheims haben!«

»Des Grafen Rossi? es gehen allerdings Gerüchte –«

»Später, ehrwürdiger Herr! fahren Sie fort, ich weiß noch immer nicht, was die Regierung Seiner Heiligkeit eigentlich von uns armen Geächteten verlangt!«

»Sie stehen an Bildung offenbar weit über Ihren Gefährten, Capitano,« fuhr der Priester fort, »und ich muß daher anders zu Ihnen sprechen, als zu einem gewöhnlichen Mann Ihres Standes. Sie können einer Person einen Dienst erweisen, die wohl geeignet ist, mit ihrem Schutz zu vergelten. Außerdem …«

» Ebbene! Außerdem …«

»Bin ich beauftragt, Ihnen zweihundert Scudi für die Vollführung des Auftrags anzubieten!«

»Lassen Sie hören, ehrwürdiger Vater!«

»Diese Nacht, in der ersten Morgendämmerung, wird eine mit vier Pferden bespannte Extrapost auf dem Weg von Albano nach Rom die Appische Straße passieren.«

» Si!«

»Der Wagen ist nicht zu verkennen, ein geschlossener englischer Reisewagen, im Innern nur eine Dame und ihr Gemahl, ein gebrechlicher ängstlicher Greis, im Hintercoupé nur ein Diener und die Cameriera, keinerlei Gefahr oder Widerstand zu besorgen.«

Der Verlarvte ließ ein spöttisches Lachen hören.

»Es handelt sich darum, den Wagen anzuhalten. In dem Kasten des Fondsitzes befindet sich die Kassette der Reisenden.«

» Diavolo, sollen wir sie vielleicht für einen Dritten stehlen?«

»Machen Sie damit, was Sie wollen, das ist Ihre Sache und fällt auf Ihr Gewissen. Der Person, in deren Auftrag ich mich hierher gewagt, kommt es nicht auf die Kassette an, sondern auf ein Portefeuille von braunem englischen Leder mit vergoldetem Schloß, daß sich in demselben Kasten mit der Kassette befindet! Für die Wegnahme und Aushändigung dieses Portefeuilles bin ich beauftragt, zweihundert Scudi zu zahlen!«

»Oh! es können Banknoten darin sein vom zwanzigfachen Wert!«

»Ich schwöre Ihnen,« sagte der Priester hastig, »es ist nichts darin, als Papiere, die nur für die Person, die mich schickt, Wert haben. Die Form des Portefeuilles schon wird Sie von dem Inhalt überzeugen. Außerdem verpflichte ich mich, es in Gegenwart der Person, die es mir zustellt, zu öffnen.«

» Bene!«

»Es versteht sich, daß den Personen selbst kein Leid widerfährt. So nehmen Sie den Auftrag an?«

Der Capitano war in seine frühere legere Stellung zurückgefallen. » Cospetto! ich denke wohl! Es herrscht nur ein kleiner Irrtum Ihrerseits dabei, hochwürdiger Herr!«

»Wie so?«

»Die Frau Herzogin von Ricasoli wird nicht mit der Morgendämmerung, sondern in spätestens einer Stunde, vielleicht schon früher, die Straße passieren.«

»Wie, Capitano, Sie wissen – –«

»Wer sollte die schöne Nichte Seiner Heiligkeit nicht kennen? Aber beruhigen Sie sich, ehrwürdiger Herr, ich hatte bereits einen Auftrag in Bezug auf die Frau Herzogin, ehe Sie mich mit dem Ihren beehrten. Der Bote sitzt noch dort unten in der Arena, Sie haben ihn selbst gesehen.«

»Aber was kann die Absicht sein, sollte man gleichfalls –« Der Vikar schien, trotz seiner bisherigen Ruhe und Sicherheit, besorgt und aufgeregt über die Nachricht.

»Ich wiederhole Euer Hochwürden,« sagte gelassen der Bandit, »nichts, was mit Ihrem Auftrag kollidiert! Vielleicht irgend ein eifersüchtiger Liebhaber, der die Dame in unseren Händen einige Tage aufgehoben wünscht, bis sie sich seinen Wünschen fügt!«

Der Geistliche that einen tiefen Atemzug, als sei er von einer großen Last befreit.

» Optime! das wäre vortrefflich!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Aber, Capitano, die Herzogin von Ricasoli verschwindet nicht wie ein Milchmädchen der Campagna spurlos vor den Thoren Roms! Der heilige Vater wird die strengsten Nachforschungen befehlen, und man wird sie anstellen müssen!«

Der Räuber wies hinüber nach der dunklen Masse der Kirche San Sebastiano.

»Sie wissen, was sich dort befindet.«

»Die Eingänge der Katakomben?«

Der Mascherato nickte.

»Aber es sind Wächter dort!?«

»Ich sehe, Sie kennen die römischen Katakomben nicht, ehrwürdiger Herr. Sie bieten hundert Ausgänge und Schlupfwinkel, um eine Armee darin spurlos verschwinden zu lassen. Wie wäre es sonst möglich,« fügte er spöttisch hinzu, »einer so ausgezeichneten Polizei, wie die römische, so lange zu entgehen? Aber ich hoffe, Ihre Hoheit nicht lange ihren Bewundern entziehen zu müssen. Ihr Auftrag macht es nötig, in meinen Befehlen einige Änderungen zu treffen. Sie müssen entschuldigen, daß ich unser Gespräch unterbreche.«

Er setzte eine kleine silberne Pfeife an den Mund und ließ einen hellen, schrillen Pfiff ertönen.

»In dieser Börse,« sagte der Vikar, sie ihm hinreichend, »befinden sich hundert Scudi. Den Rest zahle ich dem Überbringer des Portefeuilles.«

Der Bandit zuckte unwillkürlich mit einer Gebärde aristokratischen Widerwillens vor der Berührung des Geldes zurück. Die Börse fiel mit Goldklang zur Erde, ohne daß er sich bückte, sie aufzuheben. »Sie haben es eilig, eine Seele zu kaufen, ehrwürdiger Herr!« sagte er mit leichtem Hohn. »Nimm das Geld hier auf und gieb es Gasparo! Höre!« Der Befehl galt einem der beiden Burschen, die vorhin am Feuer des Mönches sich mit dem Braten des Hammels beschäftigt hatten, und der auf das Signal eilig die Stufen des Amphitheaters heraufgesprungen kam. Der Hauptmann erteilte, einige Schritte entfernt, diesem mit leiser Stimme einige Anweisungen. »Was ist das für ein Lärm da unten am Feuer?«

» O Dio, Capitano! der tolle Mönch behauptet, er habe den Salvatore nicht im Spiel betrogen und hat ihn zum Ring- oder Faustkampf herausgefordert. Er macht Lärm für zehn!«

»Ich wünschte, es klopfte ihm jemand einmal den verwünschten Schädel ein, damit er Frieden hält. Der Pfaffe ist der ärgste Raufbold auf zwanzig Miglien in der Runde. Fort mit Dir und bringe Gasparino meine Befehle!«

Der Bandit sprang davon; der Mascherato kehrte zu dem Priester zurück.

»Die Sache ist abgethan! Sie werden das Portefeuille für Ihren Auftraggeber erhalten, ehrwürdiger Herr, wenn es sich überhaupt in dem Wagen der Herzogin befindet.«

»Wir sind dessen gewiß! Sie läßt es nicht von sich, andernfalls hätte man Ihrer Hilfe nicht bedurft!«

»Dann bleibt uns nur noch zu besprechen, wann und wo Sie es in Empfang nehmen wollen. Wollen Sie bei uns verweilen, bis das Geschäft beendet ist?«

»Nein, Capitano, meine Anwesenheit in Rom ist erforderlich, ich muß dem Mann, in dessen Auftrag ich komme, Bericht erstatten von dem Erfolg meiner Sendung. Überdies – habe ich das Geld nicht bei mir!«

»Das ist etwas anderes,« sagte nach einer Pause der Bandit. »Ich darf die Interessen meiner Leute nicht vernachlässigen. Es ist zehn Uhr. Um Mitternacht werde ich oder mein Bote Sie mit dem Portefeuille an der nördlichen Pforte der Kirche der heiligen Apostel auf der Piazza della Pilotta erwarten. Besitzen Sie persönlichen Mut?«

»Ich glaube, denselben bewiesen zu haben, indem ich zu dem Mascherato gekommen bin.«

» Bene! Dann können Sie vielleicht ein Unglück verhüten. Es ist mein Grundsatz, mich nicht in die politischen Parteiungen zu mengen, die gegenwärtig wieder dieses Land zerreißen. Aber ich erfahre viel; die Führer des Tages von jeder Partei glauben, daß der Mascherato das willige Werkzeug ihrer Pläne sein werde. Man täuscht sich. Ich liebe das Abenteuer, den Kampf und die Gefahr, aber ich bin kein venetianischer Bravo, der sein Stilett zollweise verkauft!«

»Was meinen Sie damit, Capitano?« fragte aufmerksamer der Priester.

Der Bandit hatte wieder seine vorige Stellung an dem Gemäuer eingenommen; seine von dem Schleier verhüllten Augen schweiften sinnend über die nächtliche Scene, er begann offenbar in die früheren Träumereien zu versinken, zu der die Umgebung der Trümmerwelt so unwillkürlich verlockt.

»Sie sind ein Priester und ein Gelehrter, ich bin nur ein armer Bandit, der mit den Reichen und ihren Gesetze kämpft. Sagen Sie mir, ehrwürdiger Vater, glauben Sie, daß die Toten, die einst diese Welt von Tempeln und Palästen bevölkert, sie ganz verlassen haben, oder daß sie aus ihren Gräbern aufsteigen und zuweilen zu den Stätten zurückkehren, die Zeuge ihrer That waren?«

»Das sind unchristliche Gedanken, mein Sohn,« sagte salbungsvoll, aber ziemlich ungeduldig, der Geistliche. »Jene Personen waren finstere Heiden, und das einzige, was von ihrer Verdammnis übriggeblieben, ist Staub. Aber sagen Sie mir …«

»Und dennoch,« unterbrach ihn träumend der Bandit, »schon oft, wenn ich an dieser Stelle gestanden, glaubte ich jene Tempel und Paläste in ihrer Marmorpracht aus den Ruinen sich neu erheben zu sehen, ich sah die Menge sich drängen auf diesen Stufen, Kerker öffneten ihre Thore auf das Zeichen des Cäsar, und aus dem Oppidum donnerten die Wagen im wütenden Lauf durch die Arena. Dort auf dem Pulvinar, wo der feiste Mönch jetzt mit den Nachkommen der Fabier und Cäcilier sich balgt, sitzt der Sieger Britanniens, der blutgeborene Marseiller. Caracalla. Um die Metae fliegt der Wagen seines Bruders zum Ziel, und das Volk von Rom jubelt dem geliebten Sohne des Sever Viktoria. Da rollt der Grimmige die Augen – da stürzen seine Prätorianer herbei, vergebens wirft sich Julia Domna, die eigene Mutter, vor den bedrohten Liebling, an ihr vorbei tauchen die Mörder den Stahl in den jugendlichen Leib, und der Purpur des Bluts bedeckt Geta statt des Purpurs des Imperators.«

»Das sind Träume, die aus bösem Blut kommen, Capitano; Beten und Fasten und Gaben an die heilige Kirche – –«

»In den üppigen Thermen weilt der Sieger der Dacier und der Germanen. Dort hinüber nach der Porta Capena sehen Sie die dunklen Trümmer vor dem Cölio – Wächter ringsum um die Stätte schwelgender Wollust! In die weichen Wollen von Tyrus ist der rauhe Leib der Feldlager gehüllt, mit den duftenden Ölen Indiens salben schöne Knaben seine Glieder! Horch – da vom Esquilin her, aus dem Tempel der Vesta, wohin die Christenjungfrauen sich geflüchtet, schleppen seine Diener sie hierher – vergebens der Anruf ihres Gottes – andere Götter hausen in diesen Räumen, zürnend der neuen Zeit! Mit finsterer Stirn blickt der blitzschleudernde Jupiter auf die Abtrünnigen, und der Venus vulgivaga schwellende Lippe ladet zur alten Herrschaft der Freude. An ihrem Bild winden sich die jungfräulichen Leiber in den Armen der Prätorianer, die Lüste des Kaisers und seiner Getreuen befriedigend, ehe sie den Bestien des Cirkus vorgeworfen werden, und die wilde Göttin der Lust streckt den Schwanenarm über Hütten und Paläste, zum Gorgonenantlitz werden die reizenden Züge, Schlangen winden sich statt der Locken, und durch die Lüfte der Myrten- und Orangenhaine schwellt ihr Wort: Mir gehört die Welt und nicht dem kalten neuen Gott! Lebend zu genießen und im Genießen sterben ist die Seligkeit, nicht im Entsagen und Hoffen.«

»Das ist Frevel gegen die heiligen Lehren der Kirche, Signor,« sagte der Priester streng. »Gehe zur Beichte, mein Sohn, und thue Buße, daß die bösen Geister Dich nicht verschlingen.«

»So geben Sie zu, daß die alten Herrscher dieser Trümmer noch um sie schweben, daß die Götter und Helden der Vorzeit mit Geisterfingern klopfen an die Pforten der neuen Zeit? – O – nicht für mich, ich bin gewaffnet und kalt, wenn ich auch träume, und die luftige helle Wirklichkeit liebe. Aber für jene träumerischen Herzen und erregten Gemüter, deren Nerven zum Zerplatzen gespannt sind, hat der Gedanke Gefahr!«

Der Vikar hatte den so ganz von den gewöhnlichen Kreisen seines Treibens abweichenden Ideengang des Räubers mit Verwunderung verfolgt, und seine Vermutung, daß unter dieser Maske eine einst den gebildeteren Ständen angehörige, durch irgend einen Umstand heruntergebrachte Persönlichkeit sich verborgen habe, nur bestätigt gefunden. Aber auch der schärfste Späherblick vermochte ihm nichts weiter von der Persönlichkeit zu verraten; das Antlitz war vollständig von der Maske bedeckt, und nur das dunkle, lange und lockige Haar, das sich an den Seiten unter dem Hut hervordrängte, bewies, daß der Held der Landstraßen noch nicht alt sein konnte.

»Es ist gefährlich, mein Sohn,« sagte der Vikar nicht ohne Würde, »sich auf das Gebiet wilder Phantasieen und einer noch vageren Philosophie einzulassen. Der einzige und wahre Halt, den wir haben, ist der strenge Glaube an die Lehren der heiligen Kirche.«

»Aber sie selbst verwirft die Lehre von Geistern nicht. Denken Sie an die Versuchung des heiligen Antonius von Padua, dem Venus in aller Schönheit der Sinnenreize erschien.«

»Es war der Teufel in eigener Person, der den Körper einen schönen Weibes angenommen. Die Kirche giebt allerdings zu, daß die bösen Geister der Verdammnis auch in sichtbarer Form sich dem Menschengeschlecht nahen und es vom Pfade des Glaubens verlocken dürfen, aber Gott und die Heiligen gestatten zum Glück in ihrer Gnade eine solche Versuchung des Fleisches nur selten. Gebet und Buße schützen davor. Aber, Signor Capitano – offen gestanden, ich finde es seltsam, daß ein Mann Ihres Standes sich in solchen Gedanken verirrt?«

Der Mascherato lachte. »Ei, ehrwürdiger Herr, es kann Ihnen schwerlich entgangen sein, daß ich in meiner Jugend eine Art von Erziehung genossen habe, die mich nicht erwarten ließ, daß ich in meinem Alter das Handwerk der Heerstraßen treiben würde. Das Schicksal spielt sonderbar. Hat es doch ebenso gut den Sohn einer Banditenfamilie zum Kirchenfürsten und zur rechten Hand des heiligen Vaters gemacht, wie seine Feinde erzählen. Der Kardinal Antonelli stammte in der That aus einer Räuberfamilie in Sonnino. Andiamo! Wir müssen den Heiligen für alles danken. Aber ich liebe es aus meiner Erziehung vom Kollegium her, manchmal zu träumen, und ich liebe das Andenken der Vergangenheit, die Schatten der Großen und Mutigen. Und weil ich den Mut schätze, deshalb soll er nicht sterben, wenn ich es hindern kann.«

»Wer?«

»Ei, per Dio! Graf Rossi, der Premierminister und neue Vertraute des heiligen Vaters. Sprachen wir nicht eben von ihm?«

»Wie kommen Sie auf den Glauben, daß dem Minister Gefahr drohe?«

» Cospetto oiò! ganz Rom spricht davon, daß morgen bei Eröffnung der Deputierten-Kammer im Palast der Cancellaria die Republicanos über ihren Feind herfallen werden.«

»Volksgeschwätz,« sagte frostig der Priester. »Die Hunde, die am meisten bellen, beißen am wenigsten. Wenn man alles glauben wollte, was die Umsturzpartei des Klub Theodoli droht, wäre Pius der Neunte an seinem Betaltar nicht sicher vor den Dolchen der Mörder.«

»Nicht sicherer, als Graf Rossi auf den Stufen des Quirinals,« sagte mit ernstem Ton der Räuber. »Ich habe Ihnen schon gesagt, ehrwürdiger Herr, daß ich mich nicht in die politischen Parteiungen menge. Ich treibe ein freies Gewerbe, und den Heiligen und der Polizei sei Dank! es nährt noch immer seinen Mann. Aber ich achte die Mutigen, wo ich sie finde, selbst unter meinen Feinden, und dieser Mann zeigt den seinen eine offene Stirn. Darum, wenn Sie dazu imstande sind, warnen Sie ihn und verhindern Sie ihn, morgen in den Palast der Deputierten zu gehen.«

»Ich bemerkte Ihnen bereits, Signor Capitano, daß ich ein zu unbedeutender Mann bin, als daß der Premierminister auf eine vage Wiederholung solcher Gerüchte, die ihm nicht fremd sein können, etwas geben würde.«

»Ich habe Sie nicht ohne Ursach' gefragt, ob Sie Mut besitzen, sich Überzeugung zu verschaffen. Dann will ich Sie und seinen jungen Verwandten dort unten in den Stand setzen, ihm die Wahrheit der drohenden Gefahr zu beweisen. Cospetto di Bacco! was hat der Bursche da unten? Wenn mich die Flamme des Feuers nicht täuscht, ist er mit dem tollen Mönch aneinander!«

»Um Gotteswillen, vielleicht ein Streit – er ist unbewaffnet und könnte ermordet werden von den Banditen! Eilen Sie, Capitano – –«

»Thorheit!« sagte lachend der Mascherato, indem er die schon erhobene Pfeife wieder sinken ließ. »Es würde niemand von den Leuten Ruggieros wagen, ihm auch nur ein Haar zu krümmen, so lange er ein Gast an meinem Feuer ist, und der Bursche sieht mir gerade aus, als sei er Manns genug, diesem tölpischen Raufbold in der Kutte eine Lektion zu geben. Aber – silencia! hören Sie nichts von da drüben her?« Er beugte horchend den Kopf nach der Seite der Straße hin, während feine Augen die Scene am Feuer nicht verließen.


Bruder Pan hatte alsbald eine höchst vertrauliche Unterhaltung mit dem jungen Schweizer-Offizier begonnen, und sie damit eröffnet, daß er ihn fragte, ob er ein halb Dutzend der berüchtigsten Schenken in Rom und eben so viel hübsche Schenkmädchen oder berufene Dirnen kenne. Als jener lachend dies verneint, sich damit entschuldigend, daß er erst zu kurze Zeit in Rom sei, hatte der Mönch sich auf eine ausführliche Anpreisung der einen und der anderen eingelassen, bald mit einem lateinischen Spruch oder einem schlechten Liedercitat sie ausschmückend.

»Aber, Fra Pan,« sagte der junge Mann, »denn ich höre, daß dies Euer Name ist, wie kommt es, daß ein heiliger Mann, wie Ihr, sich in so schlimmer Gesellschaft bewegt, die doch wahrhaftig wenig Geistliches an sich hat?«

Der Mönch verdrehte die Augen, setzte den Becher zur Seite und faltete andächtig die Hände über dem dicken Bauch. » Dominus vobiscum! Wie könnt Ihr so sprechen, junges Blut! Bei Jäsus, es sind die besten Christen darunter, die eine offene Hand haben für die Bedürfnisse eines armen Klosters, dessen unwürdiger Bruder Terminierer ich bin. Wo soll man die Barmherzigkeit suchen, beiläufig eine sehr schöne Tugend, wenn nicht in den Hütten der Armen und der Leichten.

»Es war ein Mädel, die hatt' einen Buhlen,
Sie war so gut als schön –

Der Wein öffnet der Menschen Hand und hält die Leber gesund! Verachtet den Wein nicht, o Jüngling, denn Gott und die Heiligen haben uns dieses irdische Jammerleben gegeben, und der Teufel soll mich dreimal braten, wie die Ketzer den heiligen Laurentius, wenn es nicht unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, es zu erhalten. Das Tiberwasser aber schlägt uns das Fieber in die Gebeine. Steck' noch einige Zehen Knoblauch in das Fleisch, Peppo, mein Junge, und wirf einige Oliven in das Fett, es giebt der Sauce ein gewisses Aroma!«

Der Offizier zog unvorsichtigerweise eine Börse aus der Tasche und nahm einen Goldscudo heraus, den er dem Mönch bot. »Wenn Ihr der Almosensammler Eures Klosters seid, Fra Pan, so erlaubt mir, daß ich Euch diesen kleinen Beitrag überreiche.«

Bruder Pan griff hastig danach und seine kleinen Augen schielten voll Habgier nach dem ansehnlichen Inhalt der Börse. »Die Heiligen mögen Euch die Großmut segnen und Euch das schönste Weib von Rom dafür ins Bett bescheeren, guter Jüngling. Aber thut mir einen Gefallen.«

»Sprecht, Fra Pan, zehn für einen!«

»Dann nennt mich Bruder Pankratius, wie's einem unwürdigen Diener der heiligen Kirche zukommt, nicht wie das Gesindel, das keinen Respekt hat vor dem Heiligen.«

»Mit Vergnügen, Bruder Pankratius. Aber Ihr müßt mir einen andern Gefallen dafür thun!«

»O, Akuschla, mein Liebling, fordert, was Ihr wollt. Soll ich Euch vielleicht mein famoses Lied vom Weinhändler und seiner Magd singen, das in ganz Rom berühmt ist, oder Euch den Kniff beim Morraspiel zeigen? Oder, Gott segne Eure Augen, Ihr wünscht die Wohnung von der Schelmin, der schwarzäugigen Rositta zu wissen?«

»Nichts von alledem, Bruder Pankratius,« sagte lachend der Offizier, »obschon ich meine, Euer Prior würde sich freuen, die drei Dinge zu hören. Ich möchte bloß wissen, wie Ihr an diesen Ort kommt?«

Der Mönch kratzte sich das nackte Bein, indem er von unten herauf nach seinem Gesellschafter schielte. »Interessiert es Euch sehr, das zu wissen?«

»Würde ich sonst gefragt haben?«

»Und Ihr habt doch nicht etwa vor, mich deshalb anzuzeigen?«

»Unsinn, Mann, es ist Neugier und reine Teilnahme für Euch!«

»Ich würde Euch auch sonst den Schädel einschlagen,« sagte Pan mit bewundernswürdiger Offenheit, nach dem Prügel an seiner Seite winkend. »Wenn Ihr's denn wissen wollt, Muscha, die verdammten Ketzer sind schuld!«

»Die Ketzer?«

»Giebt's ihrer nicht genug im gesegneten Rom? Ist dieser schuftige Engländer, der sich einen Viscount schelten läßt, etwa kein Ketzer, wenn er auch die halben Grafschaften im Westen besitzt?«

»Aber was hat ein englischer Lord mit dem Schlupfwinkel der Banditen zu thun?«

»Weiß ich's? Muscha! es ist eine Sünde und Schande, die heilige Kirche dazu zu brauchen, um solche gottvergessenen Spitzbuben aufzusuchen und ihnen Briefe zu überbringen.«

»Ein solcher Botendienst will sich allerdings nicht sehr für Euer heiliges Gewand schicken, dünkt mich!«

»Der Henker hole ihn! Wenn der Bursche nur nicht eine so verteufelte Küche hätte und so leichtsinnig mit der lieben Gottesgabe, dem Gelde, um sich würfe. Kein Mensch kann ihm was abschlagen, am wenigsten ein armer Klosterbruder, wie ich.«

»Aber, ehrwürdiger Vater,« meinte hinterlistig der Offizier, »mich will bedünken, der Lord – wie hieß er doch –«

»Heeresford,« platzte der Pfaffe heraus.

»Nun also, Lord Heeresford muß doch geglaubt haben, daß Ihr der Mann wäret, solche Briefe an die richtige Adresse zu befördern und daß Ihr den Aufenthalt dieser Herren kennet?«

Der Mönch kratzte sich noch eifriger die Schienbeine und brummte etwas in den Bart, das wahrscheinlich er selber nicht verstand. »Hört, guter Jüngling,« sagte er endlich, »wenn's Euch recht ist, sprechen wir von etwas anderm. Wie wär's,« er brachte aus seiner Kutte das schmutzige Spiel Karten zum Vorschein, »wenn wir ein Spielchen machten, bis dieser Schöps von Peppo endlich seinen Hammel gar hat?«

»Verzeiht, Bruder Pankratius, aber ich kenne die hiesigen Kartenspiele noch nicht!«

»O,« sagte der Pfaffe, dem die wohlgefüllte Börse seines Gesellschafters noch im Sinn lag, »das thut nichts, Akuschla. Ich will Euch und diesen Signori eine kleine Bank legen! Muscha, ein neugeborenes Kind würde es begreifen. Kommt hierher, Francesco und Du, Salvatore, Ihr könnt Eure Bajocchi eben so gut in einem Gentlemenspiele anbringen, als in Eurem schmutzigen Morra. Peppo, mein Junge, laß dabei den Braten nicht verbrennen, auch wenn Du einige Münzen setzen willst.«

Einige der Männer sammelten sich in der That um den Bruder, und die Frauen blickten neugierig und teilnehmend über ihre Schultern, während jene um den Quader knieten, auf dem der Mönch seine einfache Bank in Art des Häufelns oder Rouge et noir aufgeschlagen hatte.

»Aber höre, Pfaff,« sagte einer der Banditen, ein kleiner und blatternarbiger Kerl, »laß uns zuvor Dein Geld sehen, damit Du nicht wieder, wie das letzte Mal, davon gehst unter dem Vorwand, daß Deine Tasche ein Loch gehabt und Du jedem das Verlorene schuldig bleiben wolltest, der sich nicht mit Deinem Segen begnügen würde.«

»Und seht, ob er keine falschen Karten hat, wie damals als er den Jacopo um die goldene Uhr prellte, die er am selben Tage dem fremden Maler abgenommen!« schrie eine Weiberstimme.

»O Signora Teresa,« sagte der Mönch, die Augen zum Himmel verdrehend, daß man nur noch das Weiße sah, »wie könnt Ihr dem Paten Eures hübschen Knaben so schlimme Dinge nachreden? Der Jacopo ist ein Schuft mit seiner Verleumdung, und zur Strafe dafür hat der heilige Franciscus es zugelassen, daß er schon am andern Tage von den Sbirren gefangen wurde und auf die Galeeren kam. Ich will Euch beschämen, Signori, bei Sanct Patrik, ich will Euren schmutzigen Geiz beschämen!«

Er nestelte einen alten Lederbeutel auf und zog einige Kupfermünzen hervor, die er vor sich auf den Stein legte. Endlich, als er sah, daß dies die Gesellschaft nicht befriedigte, holte er den Goldscudo aus der Tasche, in die er vorhin die Gabe des Offiziers für sein Kloster hatte verschwinden lassen.

»Dieser edle Herr,« sagte er schmeichelnd, »der uns die Ehre seiner Gesellschaft erzeigt, wird die Güte haben, dies Goldstück in Silbermünzen zu wechseln.«

Der Offizier zog bereitwillig seine Börse und nahm zwanzig Paoli in Silberstücken heraus, die er dem Mönch aufzählte. Bruder Pan strich das Geld zu seinen Kupferstücken, vergaß aber, das Goldstück dafür zurückzugeben, das mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers in seinen weiten Ärmel verschwand. Dagegen beeilte er sich, ungeheuer zu schreien: »Ein Spielchen, Signori, setzen Sie Ihr Geld, Schwarz oder Rot, Sie gewinnen allemal!«

Der junge Schweizer machte sich das Vergnügen, einige Paoli zu setzen und zu verlieren, während er dabei die Manieren des Mönchs beobachtete, der auf das Unverschämteste betrog und mit besonderer Geschicklichkeit die Volte schlug. Die Banditen, von dem Anblick des Geldes und dem Teufel des Spiels gereizt, setzten eifrig, aber ihr Geld rollte wie ein Strom zu der Bank des Mönchs. Wenn ja einmal die Karte sich zu Gunsten des Gegners zeigte, war drei gegen eins zu wetten, daß er ihm den Gewinn streitig machte, und wenn er unter Seufzen, Zanken und Verwünschungen gezwungen war, auszuzahlen, sicher noch auf eine oder die andere Weise einige Bajocchi beiseite brachte. Die Kasse der Bank mehrte sich in überraschender Weise, aber je sichtbarer dies geschah, desto mehr wuchs die Habgier des frommen Bruders.

Die Banditen fluchten über ihr Mißgeschick, vor allen Salvatore, der eben seinen letzten Scudo auf Rot gesetzt, als dem listigen Mönch unglücklicher Weise beim Aufdecken die eben voltierte Karte in den Ärmel fiel und seinen Betrug offenbarte.

Die Faust des Banditen drückte rasch die Hand des Mönchs auf den Stein. » Cospetto! ich hab's Euch im voraus gesagt, der Halunke hat uns wieder betrogen, das rote Daus muß in seinem Ärmel sein!«

Das dicke Gesicht des ehrwürdigen Bruders wurde ganz rot vor Ärger, mehr über den drohenden Verlust, als über die Entdeckung, und seine Faust aus den Händen des Banditen reißend, wobei freilich das Corpus delicti aus dem Ärmel fiel, versetzte er ihm mit seinem Knotenstock einen Schlag, der einen Ochsen zu Boden geworfen haben würde, wenn er richtig getroffen hätte. »Heiliger Franciscus! Ich will Dich Respekt lehren vor der heiligen Kirche, Du Beutelschneider und Straßeneinnehmer! Uf! seh nur einer den Kerl! zu sagen, daß meiner Mutter Sohn ihn um seine lumpigen Bajocchi betrogen hätte, bloß weil zufällig beim Abheben eine Karte herunterfällt. O, Du braunhäutiger, ölfressender Schuft, ich will Dir das Fell gerben, daß es morgen aussieht, wie ein übel gebackener Pfannkuchen, Du Hurensohn!«

Der Bandit, der durch eine glückliche Wendung zwar der Zerschmetterung seines Schädels entgangen, aber empfindlich an der Schulter gestreift worden war, griff nach dem Dolch und stürzte wüthend auf den Gegner los. Allein die Weiber warfen sich schreiend und schützend dazwischen, und auch die Kameraden des Tobenden, die strenge Disziplin des Hauptmanns kennend, bemühten sich, ihm die Waffe zu entwinden. Bruder Pan schien sie jedoch auch keineswegs zu fürchten, denn nachdem er das Geld geschwind aufgerafft und eingesteckt hatte, trat er, seinen Prügel in der Faust, dem Gegner mutig entgegen.

»O, Muschla! kommst Du mir so. Du braunhäutiger Halunke? Laßt ihn heran den Buben mit seinem Zahnstocher und sehen, was Pankratius O'Leary für ein Mann ist!«

Der Offizier, der, trotz seiner eigenen gefährlichen Lage, bereits Anstalt gemacht, zum Schutz des würdigen Mönchs einzuschreiten, hielt sich jetzt zurück, als er sah, wie kampfgerüstet der Bruder war, um so mehr, als die anderen Männer schreiend verlangten, Ruhe zu halten, oder sich ohne Waffen zu raufen.

Fra Pan warf sogleich den Prügel zu Boden, denn er war hier in seinem Element, schlug die Ärmel seiner Kutte zurück und erklärte, mit seinem Gegner einen Gang machen zu wollen. Die Sache schien den Banditen bis auf ihren Vorkämpfer jetzt den größten Spaß zu machen; denn alle entschieden, daß beide Gegner ihren Streit in einer Faustkollation auszumachen hätten; dem unglücklichen Salvatore wurden halb mit Gewalt seine Waffen abgenommen, und er ward unter Anfeuerung seines Muts und seiner Männlichkeit in den Kreis gestoßen, wo der Mönch ihn, die Kutte aufgeschürzt, so daß sein rechtes Bein bis zum Knie entblößt war, in der Stellung eines Gladiators erwartete.

Der Bandit war kein zu verachtender Gegner, denn er war ein muskelstarker, abgehärteter Kerl. Dennoch schien er vor der Kraft seines Feindes ziemlich großen Respekt zu haben, und die beiden Kämpfer begnügten sich, unter dem Brava und dem Gelächter der Umstehenden, zunächst einige Minuten lang mit einem Zungenkampf und überschütteten sich mit einem wahren Hagel klassischer Schimpfreden und Beschuldigungen. Da aber selbst die geläufige Zunge des Italieners zu finden schien, daß sie in diesem Gefecht zu kurz kam, stürzte der aufs äußerste getriebene Bandit plötzlich vor und versuchte seinen Gegner zu fassen. Doch Fra Pan war ein geübter Kämpfer, der sich nicht überraschen ließ, und ein wohlgezielter Faustschlag hinter das linke Ohr warf seinen Gegner zu Boden. Im nächsten Augenblick saß der Mönch auf ihm und begann seinen Feind in einer Weise zu traktieren, die allerdings dem Kampf bald ein Ende machen mußte; denn er krallte beide Fäuste in das dicke Haar des Untenliegenden und stieß ihm trotz alles Sträubens, Kratzens und Schlagens im Tempo zu seinen Reden den Kopf gegen den Boden.

»Muscha! ich will Dich lehren, meiner Mutter Sohn zu verleumden und von der heiligen Kirche Schlimmes zu reden. Ecclesia est mater hominum! Mundus vult decipi, decipiatur ergo! O Du abscheulicher, nudelfressender Bösewicht, ich will Deinen magern Leib zu Kartoffelbrei schlagen, wenn Du nicht bekennst, daß Pankratius O'Leary Deinen Scudo mit Ehren gewonnen!«

»Hilfe! heilige Mutter Gottes, er tötet mich! zu Hilfe!« stöhnte der halb erstickte Bandit, dem Staub und Sand bereits die Kehle füllten.

Die Männer sprangen hinzu und rissen mit Gewalt den Mönch von seinem Opfer, das sie vom Boden aufhoben, während Fra Pan, seinen Kittel unterm Arm, mit geschwollenem Kamm wie ein Truthahn sich über seinen Sieg spreizte und blähte.

» Sancta simplicitas simplicitorum! Ich will Euch lehren, Respekt vor der Kirche zu haben. Kyrie eleison! Wie könnt Ihr Euch unterstehen, mich in einem gesegneten Werke zu unterbrechen, das den Burschen von der Sünde des Sacrilegiums befreit hätte? Ist es nicht christliche Barmherzigkeit von mir, wenn ich ihm sein mit Raub und Diebstahl gewonnenes Geld zu frommen Werken abgenommen? Schippen-Daus, ehrliches Spiel, ihr Jungen, und Pan O'Leary will sich mit jedem messen, der behauptet, meiner Mutter Sohn hätte sein lumpiges Geld nicht im ehrlichen Spiel gewonnen!«

» Accidente,« schrie der wieder zu Atem gekommene Bandit, »ich schwöre bei der Madonna, Du hast es doch gestohlen! Der Signor da hat es auch gesehen!«

»Die Bosheit redet aus Euch, Salvatore!« prahlte hoffärtig der Mönch. »Dieser edle Signor ist ein Gentleman und mein Freund, und er wird vor der ganzen hochachtbaren schmutzigen Gesellschaft bezeugen, daß alles ehrlich und nach der regula artis hazardi zugegangen ist!«

»Der Signor Officiere soll entscheiden!« schrieen die Versammelten. »Er wird auf seine Ehre sagen, ob Fra Pan nicht unser Geld herausgeben muß!«

Der Mönch kniff bedeutsam die Augen nach dem Offizier und steckte die Zunge in die Backe. Aber seine Zeichen halfen ihm nichts! Der Schweizer zuckte, im Innern höchst vergnügt über den Schabernack, die Achseln. »Wenn die Signori an mein Wort appellieren, würdigster Bruder Pankratius, so kann ich allerdings nicht anders sagen, als daß diese Herren ein Recht haben, ihr Geld wieder zu fordern.«

» Eheu! Muscha, Ihr wollt doch nicht sagen –«

»Daß Eure linke Hand wahrscheinlich in Gedanken fünfmal die richtige Karte verwechselt hat. Ich nehme an, daß es bei einem so heiligen Mann pure Zerstreuung war, aber so leid es mir thut, würdiger Bruder, so muß ich doch die Thatsache erklären und bin bereit, sie selbst gegen Eure Tapferkeit zu vertreten.«

»Der Teufel ist Dein würdiger Bruder, Du schuftiges Milchgesicht,« sagte vor Zorn schnaubend der Mönch. »Ich will Dich mit samt Deinem bunten Rock zu Brei dreschen, daß Du keinen ganzen Knochen zum Sanct Peter tragen sollst.«

»Ich kann mich auf einen Prügel- oder Faustkampf mit Euch nicht einlassen, würdiger Bruder,« entgegnete lachend der Offizier, indem er Mantel und Kasket fallen ließ. »Aber wenn Ihr ein ehrliches Ringen mit mir versuchen wollt, so sollt Ihr Euren Mann finden.«

»Dann will ich Dich auf den Boden legen, Du Prahlhans, ehe Du ein Ave sprechen kannst,« schrie der Mönch, sprang auf den Jüngling zu und versuchte, ihn zu umschlingen und zur Erde zu werfen. Aber den linken Fuß fest zurückgestemmt erwartete ihn der Schweizer, und ehe sich's der würdige Mönch versah, hatte er ihn an dem Strick, der seiner Kutte als Gürtel diente, und dem Schenkel gefaßt, und stemmte den Kopf gegen seine breite Brust. Einen Augenblick kämpfte der Irländer gegen die überwältigende Verbindung von Kraft und Geschicklichkeit, dann aber sah man seine runde Gestalt in der Luft zappeln und mit solcher Gewalt über den Kopf des Offiziers geschleudert und zu Boden geworfen werden, daß alle Knochen im Leibe ihm zusammen zu krachen schienen.

Ein donnerndes Brava der Banditen begleitete den Fall und dauerte noch fort, als der würdige Almosensammler sich endlich zu erheben suchte und auf seinem Unaussprechbaren sitzend, in höchst kläglicher Verwunderung umherstarrte und sich die Augen rieb.


» Silentio! hörtet Ihr nichts? Mir deucht es wie das Knallen einer Peitsche und das Rollen von Rädern,« sagte der Vikar, scharf nach der Straße zwischen den Weinbergen blickend.

»Es ist der Wagen der Herzogin, wir müssen ihn sogleich sehen! – Brava! Brava! dem Pfaffen ist sein Recht geschehen!« Der Capitano klatschte wie ein vergnügtes Kind in die Hände und schien über den Ausgang der Rauferei jedes andere Interesse vergessen zu haben.

In der That kam auf der Landstraße zwischen beschatteten Trümmern und Hügeln eine dunkle Masse daher und bewegte sich rasch vorwärts.

Der Geistliche hatte ein scharfes Auge und erkannte selbst in dieser Entfernung, von seinem hohen Standpunkt begünstigt, daß es ein großer Reisewagen mit vier Pferden sein mußte.

Im nächsten Augenblick hörte man von der Straße her einen schwachen, aber durchdringenden Pfiff, kleine dunkle Gestalten schwärmten über den Weg, und der Wagen hielt.

»Altezza, der Herr Herzog von Ricasoli werden einen sehr großen Schreck bekommen, wenn sie meine Lämmer sehen. Wahrscheinlich wird er unter den Rock seiner Frau sich verkriechen.«

»Ich hoffe, daß kein Unglück geschieht!«

»Bah! wer sollte Widerstand leisten – der alte Geck, der zittert, wenn …«

In dem Moment sah man in dem dunklen Knäuel des Wagens und der Menschen einen schwachen Blitz aufleuchten und hörte gleich darauf durch die Stille der Nacht den matten Klang eines Pistolenschusses.

» Diavolo! was ist das? Das darf nicht sein, ich muß hinunter!« Der Mascherato sprang eilig die Stufen hinab und verschwand im Dunkel, der Vikar folgte ihm vorsichtig.

Als er die Arena und die Feuer erreichte, fand er die Gruppe ziemlich unbekümmert um das, was soeben in der Nähe des Cirkus vorgegangen war. Der Mönch saß am Feuer, hatte seine Kutte abgestreift und ließ sich von zwei jungen Frauen den feisten Rücken und die Glieder mit Wein reiben. Trotz seines kläglichen Stöhnens schien ihm die Operation sehr behaglich, denn er wendete und drehte sich wie ein Sybarit und gab zwischen seiner Unterhaltung mit dem neben ihm stehenden Offizier und den feixenden Banditen den Weibern allerlei Anweisungen, wie sie ihren Liebesdienst noch wirksamer machen könnten; wobei er nicht vergaß, der äußern Einreibung eine innere Erfrischung von demselben Stoff hinzuzufügen.

»Ihr seid mir nicht böse, Bruder Pankratius?« fragte der junge Offizier, ihm die Hand hinhaltend. »Es war ein ehrliches und offenes Gefecht!«

»O, Ihr Schelm, warum saget Ihr mir nicht, daß Ihr in alle Kniffe und Pfiffe dieser abscheulichen Manier, einem Menschen die Knochen zu zerbrechen, eingeweiht wäret! Reibe ein wenig tiefer hinab, gute Maxentia, und scheue Dich nicht. Es ist ein Leib der Kirche, und seine Berührung schadet Deiner Keuschheit so wenig, als wenn Du einem Verschnittenen des heidnischen Sultans zu nahe kämst, der zwanzig Schock der schönsten Weiber der Welt zu seinem Dienst haben soll, das schändliche Ungeheuer! O misericordia Domini! was schmerzen mich meine Glieder. Es war schändlich von Euch, Jüngling, so mit einem Manne Gottes zu verfahren. Es war der Teufel des Stolzes in Euch, eine der sieben Todsünden, daß Ihr nicht unterliegen wolltet! – Reich' mir das Rippenstück her, Pepe, aber Schlingel, das fette, das Du eben beiseite steckst, und bestreue es mit dem Salz der Welt! Ich hätte Euch so sanft zur Erde gelegt, als wäret Ihr ins weiche Bett einer Marchesa gefallen! Aber den Wurf müßt Ihr mich lehren; der Henker hole Euch, aber er war teufelmäßig gut! Kraue mir etwas hinter den Ohren, Camilla, und wenn Du ein Instrument, wie einen Kamm, bei Dir hast, so bringe meine Locken in Ordnung, so weit sie mir die Heiligen nach dem Leben voll Anstrengungen und Sorgen noch gelassen haben. Haltet Euer Maul, Ihr Gaudiebe, und macht keine schlechten Bemerkungen! Es war ein Versehen von meiner Seite – mein linker Fuß war im Ausgleiten …«

»Ja, in die Luft!« lachte einer der Banditen.

»Es freut mich, Bruder Pan,« unterbrach der Offizier die Bemerkungen, »daß Ihr keinen Groll gegen mich hegt, weil ich gegen einen so gewaltigen Gegner, wie Ihr, von der Kunst des Schwingens in meinem Vaterland Gebrauch gemacht habe. Ich hoffe, daß diese zwei Gold-Scudi zusammen mit dem dritten, den Ihr mir wieder zu geben vergaßet, eine kleine Vergütung für Eure Schmerzen sein werden!«

»Reden wir nicht mehr davon, Akuschla,« meinte eilig der Mönch. »Ihr seid ein guter Jüngling und sollt meinen Segen haben, eh' Ihr uns verlaßt. Doch das Fleisch scheint mir nach dieser Probe gerade in stadio recto puo, wo es für Leib und Seele angenehm duftet, und wir wollen uns zu Tische setzen. Binde mir eine ihre Schürze um, damit ich mein Gewand nicht beschmutze!«

Aber die wieder hergestellte Gemütlichkeit, an der, von der Niederlage des Mönchs befriedigt, selbst Salvatore teil genommen, sollte ebenso, wie die Mahlzeit, bald unterbrochen werden, denn die Arena herauf, vom andern Ende des Cirkus her, kam eine Gruppe von vier Banditen, die in ihrer Mitte auf den zur fliegenden Bahre benutzten Flinten den Körper eines Mannes trugen, und mit ihnen der Mascherato.

»Legt ihn hier nieder, so sanft wie möglich! Und ihr Weiber, seht nach ihm, der Arme ist, fürcht' ich, schwer verwundet; ich wünschte, wir hätten einen Arzt zur Stelle!!«

»Wenn Sie erlauben, Signor,« sagte der junge Offizier, »ich habe zwei Jahre Medizin studiert, ehe ich Soldat wurde, und kenne wenigstens die nötigsten Hilfsleistungen!« Er kniete bereits neben dem Verwundeten und zerschnitt mit der aus einem Etui gezogenen Schere Kleidung und Hemd.

»Und nun, wie kam es, wer hat es gewagt, trotz meiner Befehle?« fragte streng der Mascherato. »Wo ist Gasparo?«

»Bei dem Weibe, Capitano, er schützt sie gegen die anderen! Accidente! Sie hat den Teufel im Leibe! Der arme Gianetto war kaum an den Schlag der Kutsche getreten und hatte ihn mit der Höflichkeit eines Kavaliers geöffnet, als sie ihm das Terzerol fast ins Gesicht hielt und abdrückte. Das Unglück kommt bloß von der Liebestollheit – der Bursche glaubt in jedem Weibsstück seine fortgelaufene Dirne zu sehen, und als das Pulver aufblitzte, schrie er wieder ihren Namen!«

» Faustine!« Von den Lippen des Verwundeten hauchte in leisem Tone der Name, um seinen Mund schwebte es wie eine Verzückung.

Dann schlug er die Augen auf und warf einen irren Blick umher, seine Hand zuckte nach der verwundeten Brust.

»Ich habe sie gesehen, sie war da – aber ich sterbe! Schafft einen Priester, einen Priester, daß ich meine Seele rette!«

»Thut Eure Schuldigkeit, Fra Pankratio,« sagte der Mascherato streng. »Schüttelt den Weindunst ab und seht zu, wie Ihr dem armen Burschen den traurigen Weg erleichtern mögt, den wir alle gehen müssen. – Ehrwürdiger Herr,« wandte er sich zu dem Vikar, der im Schatten beiseite stand, »es wird das beste sein, wenn Sie sich entfernen. Man wird Sie zu dem Posten an der Straße geleiten, aber Sie würden mir einen Dienst erweisen, wenn Sie den Signor dort zurücklassen wollten. Er scheint in der That nicht ungeschickt, und der arme Bursche ist vielleicht noch zu retten, wenn ihm gehörige Hilfe wird.«

»Ich habe einen zweiten Begleiter am Grabmal der Metalla zurückgelassen,« sagte der Vikar, »und der Luogotenente Riccardo mag bleiben, wenn Sie mir seine Sicherheit verbürgen.«

»Er soll so sicher sein, wie in Abrahams Schoß, und in einer Stunde bei unserm Rendezvous an der Kirche der heiligen Apostel. Und nun, ehrwürdiger Herr, muß ich Sie verlassen, bis wir uns wiedersehen; wollen Sie aber ein gutes Werk thun, und haben eine Minute übrig, so lassen Sie jenem Unglücklichen den Beistand der Kirche zukommen, nach dem er verlangt, denn ich fürchte, daß Ihr würdiger Confrater doch nicht ganz in dem geeigneten Zustand ist.«

Der Ton seiner Worte hatte einen leichten Klang von Spott, als er sich mit der Höflichkeit eines Weltmannes vor dem Vikar verbeugte und mit raschen Schritten entfernte.

Dieser nahte sich der Gruppe, um dem Verwundeten und dem Offizier einige Worte zu sagen, in demselben Moment, wo von der andern Seite der würdige Irländer herbeikam.

Der Bandit war jetzt zur vollen Besinnung gekommen und sein Oberkörper von der mitleidigen Hand einer der Frauen aufgerichtet und gehalten, aber sein Auge schien mit einem gewissen Entsetzen den Frater zu betrachten.

»Bei der Madonna! haltet ihn von mir! er kann meine Beichte nicht hören, denn er ist ein Sünder wie wir!«

Der Offizier, der bisher mit dem Verwundeten sich beschäftigt und ihm, so gut es ging, einen Verband angelegt hatte, war aufgestanden und zu seinem Begleiter getreten.

»Ich muß fort, Signor Riccardo,« sagte der Geistliche leise, doch mit dem Tone des Befehls, »aber ich wünsche, daß Sie hier zurückbleiben und diesem Burschen Beistand leisten. Der Capitano wird Sie nach Rom bringen an einen Platz, wo Sie mich wieder treffen werden, oder vielleicht Ihnen nur einen Auftrag für mich geben. Jedenfalls thun Sie, was er Ihnen sagt. Wie steht es mit dem Mann?«

»Ich fürchte, es ist vorbei mit ihm,« entgegnete der Schweizer flüsternd. »Die Kugel hat den Hals über dem Schlüsselbein durchbohrt, doch wäre es vielleicht möglich unter geschickteren Händen, als den meinen, ihn zu retten.«

»Dann versuchen Sie, ihn nach dem Ospedale della Consolazione bringen zu lassen; es wäre mir lieb, wenn der Mensch erhalten und in unseren Händen bliebe, wir könnten vielleicht von ihm mehr über diesen Mascherato erfahren. Für Ihre eigene Sicherheit dürfen Sie unbesorgt sein, er gab sein Wort, und das halten diese Bursche stets.«

»O, Excellenza, ich bin unbesorgt.«

»Einen Priester! holt einen Priester, der meine Seele befreien kann!« stöhnte der Verwundete.

» Absolvebo te! absolvebo te!« brummte der Mönch, der sich mit großer Bequemlichkeit an seiner Seite niedergelassen hatte und in seinem Bettelsack nach einem alten Brevier suchte. »Bin ich nicht da, Akuschla, mein Liebling, um Deine Seele so direkt nach dem Himmel fahren zu machen, als wenn der heilige Vater selber zur Stelle wäre? Spute Dich, mein Junge, und sage, wie viel Mal Du gestohlen oder vielleicht auch ein klein wenig gemordet hast und überlaß das weitere unbesorgt meinen Händen, vorausgesetzt, daß Du die heilige Kirche zu Deinem Erben machst! Muscha, sie sagen, daß Du vor Deiner Bekehrung ein etwas lockerer Bursche gewesen und den Weibsen allzuviel nachgelaufen wärest!« und er begann mit kräftiger Stimme eines jener bekannten leichtfertigen Lieder zu singen:

»Die Dirnen, ach, die Dirnen sind
Der Männer stet' Verderben …«

»Schafft den liederlichen Heckenpfaffen beiseite,« sagte der Vikar mit strengem Ton. »Er ist trunken und entweiht das Sakrament!«

Der Mönch stemmte beide Fäuste in die Seite. »Heckenpfaffe? Ei seht mir doch! Wo kommst Du denn her, der Du Dein spitzbübisches Gesicht vor ehrlichen Leuten verstecken mußt? Hat meiner Mutter Sohn nicht die drei ersten Grade empfangen und haben sie die anderen nicht bloß fortgelassen, weil sie sagten, der Pankraz hat all das Gesalbe und Stolaaufgelege nimmer mehr nötig? Heckenpfaffe? So'n schlumpiger, lumpiger Messetreter will mir meine Beichtseelen und meine Beichtgroschen stehlen! Muscha, Ihm sollen ja gleich Tausendmillionen Schock Donnerwetter in seinen Karthäusermagen fahren …«

Der Offizier verbiß mit Mühe das Lachen, das ihn trotz der traurigen Scene anwandelte, als er die beiden Geistlichen so in Streit und den Mönch seinem Gefährten die geballte Faust über dem sterbenden Banditen hinweg unter die Nase halten sah. Dann aber schob er ernstlich den Irländer beiseite und hieß ihn sein Maul halten, wenn er nicht eine neue Lektion erhalten wolle; dem Vikar aber winkte er, sich zu entfernen.

Der Verwundete hatte jedoch die Nähe des Vikars bemerkt, und seine Hand hielt krampfhaft das Gewand desselben fest.

»Geht nicht von mir, geht nicht von mir, Herr, um Gottes Barmherzigkeit willen, rettet meine Seele – dort – dort! da steht sie wieder – aber ihre Haare sind Schlangen – ihr Auge ist Feuer – das Feuer der Hölle – und dennoch, ich muß zu ihr – rettet mich – rettet mich! –«

Der Vikar riß sich los. »Der Mann liegt im Delirium, bringt ihn zur nächsten Kirche, damit er wenigstens die letzte Ölung erhält!« Er eilte davon, hinter sich her vernahm er noch lange die Scheltworte des erbosten Mönchs und das Gewimmer des Sterbenden!


Ein rundes, ruinenhaftes Gemach, ohne Öffnung als die einer von Karyatyden gebildeten Thür, nackte Wände mit den Spuren alten Mosaiks, in der Mitte ein breiter, langer Steinsockel, vielleicht der Träger des Sarges der schönen Metellerin, der jetzt im Hof des Palastes Farnese steht. Auf dem Stein saß mit ungeduldigen Bewegungen ein Weib in einem dunkel-seidenen Reisekleid und warmen eleganten Burnus vom neuesten Pariser Modeschnitt, und das Licht der Harzfackel, die in einem Ring an der Mauer brannte, fiel in rotem, gespenstigen Strahl auf den prächtigen Kopf.

Die weit geöffneten blauen Augen blickten zornig und rastlos umher, die breiten und hohen Nüstern der antik geformten Nase zuckten und schwollen in dem Gefühl ohnmächtiger Erbitterung; unter dem schwarzen Schleier, der, nach italienischer Sitte um das Hinterhaupt geschlungen, an den wunderschönen Formen des Halses herabfiel, quoll das Goldhaar in breiten Flechten und Locken zum Busen nieder.

Die Dame ballte die Hand! »Verwünscht sei dieser Aufenthalt! Morgen ist die Eröffnung der Kammern, und wenn ich hier festgehalten werde, sind sie schwach genug, Konzessionen zu machen! Es kann nichts sein, als eine gewöhnliche Banditenthat, und Torloni wird sofort auf meine Ordre jede Summe senden! Hollah! ist niemand in der Nähe? Hierher, Männer! hier!«

Sie war aufgesprungen und schlug mit der kleinen zarten Hand gegen die Thür.

Plötzlich, als wiche diese unter ihren Fingern, öffnete sie sich, und in dem dunkelen Rahmen erschien die Gestalt des Mascherato.

Die Dame wich bei diesem Anblick unwillkürlich zwei Schritte zurück; der Bandit trat ein und schloß hinter sich die Thür.

»Sie sehen, Altezza, Sie brauchen nur zu rufen, und ich stehe wie in einem Zauberspiel vor Ihnen!«

»Wer sind Sie? was wollen Sie? Wollen Sie mich ermorden?«

»Wie können Altezza einen solchen Gedanken hegen,« sagte mit einer eleganten Verbeugung der Räuber. »Im Gegenteil, ich komme, um Ihnen einen Beweis von der alles überwältigenden Macht Ihrer Reize zu geben, Signora Duchessa!«

Die Herzogin lachte mit einer plötzlichen Wendung aller ihrer Besorgnisse heiter auf! »Also ein vermummter Anbeter? Per Dio! Die Sache nimmt eine pikante Wendung! Demaskieren Sie sich, Signor, und ich werde sehen, ob ich Ihnen Verzeihung angedeihen lassen kann, vorausgesetzt, daß Sie sich hübsch artig zeigen!«

»Ich bin natürlich, wie jeder Mann, ein Bewunderer Ihrer Schönheit,« sagte der Räuber, »im übrigen nennt man mich Ruggiero, den Mascherato.«

»Mascherato? also doch nur ein ordinärer Spitzbube! Ich erinnere mich, den Namen in Neapel gehört zu haben. Sagen Sie also rasch den Preis des Lösegeldes, Signor Mascherato, denn ich habe Eile, nach Rom zu kommen!«

»Das weiß ich, Altezza,« meinte der Bandit, ohne den verächtlichen Ton zu beachten, in dem sie mit ihm gesprochen, »und deshalb müssen Sie entschuldigen, wenn der Preis etwas hoch ist!«

»Ich bitte, ihn zu nennen!«

Die Herzogin hatte sich nach der Steinbank zurückgezogen und in ihren Burnus gehüllt sich niedergelassen. Der Banditenhäuptling stand in ruhiger, ehrerbietiger Haltung vor ihr.

»Der Preis ist, wie Altezza selbst gesagt haben, Ihre Schönheit!«

»Wie, Signor! Sie unterstehen sich?«

»Was?«

»Sie haben das Ansehen und die Sprache eines über dem Stande eines gemeinen Räubers stehenden Mannes, und Sie wollten diese Lage mißbrauchen, um einer Frau Gewalt anzuthun?«

»Altezza irren! Sie werden nur nicht nach Rom gehen, bis Sie freiwillig meinem Verlangen Gehör geschenkt!«

Die Herzogin, die sich voll Entrüstung wieder erhoben, setzte sich aufs neue, die Sache begann der vornehmen Dame, die durch ihre zahlreichen Abenteuer Ruf hatte, so pikant zu werden, daß sie nicht wußte, ob sie lachen oder sich ärgern solle. »Wahrhaftig,« sagte sie, »die Sache wird interessant.« Ihre Augen musterten nicht ohne Neugier den eigentümlichen Bewerber. »Aber, Signor, es wäre in der That ein schändlicher Mißbrauch Ihrer Gewalt! Haben Sie mich denn früher gekannt?«

»Nie, Altezza, ich habe nur von Ihren Reizen gehört!«

» Oimè! Das ist seltsam, einen so stürmischen Bewunderer par distance!«

»Um so mehr als die Wirklichkeit allen Ruf übertrifft,« sagte lächelnd der Räuber, »habe ich es zu bedauern, Signora, daß ich leider nur im Auftrag eines Dritten handle!«

»Ah! das alles ist also im Auftrag eines Dritten?«

Der Ton, in dem sie dies sagte, hatte etwas merkwürdig Kühles, Frostiges.

»Ja, Altezza!«

»Und darf ich fragen, wer dieser Dritte ist, und was er von mir will?«

»Ich kenne ihn nicht, schöne Dame!«

»Wie konnten Sie es dann wagen, mich anzuhalten?«

»Altezza wissen, daß die Leute meines Schlages nur die willenlosen Werkzeuge anderer sind!«

»Aber der Auftrag! Was will man von mir?« rief ungeduldig die Herzogin.

»Die Kunst bedarf Ihrer, Altezza!«

»Die Kunst? sind Sie närrisch oder wollen Sie mich foppen?«

»Oder ein Künstler, um mich richtiger auszudrücken.«

»Was soll das heißen? Ist es ein Maler?«

»Ja!«

»So will er mein Porträt?«

»Mehr!«

»Mehr? Wie soll ich das verstehen?«

»Er ist ein moderner Michel Angelo, Maler, Bildhauer und Ciseleur!«

»Aber was will er von mir?«

»Altezza kennen die berühmte Statue der Venus auf dem Capitol?«

»Gewiß!«

»Das Volk erzählt, daß es drei Frauen in Rom gebe, in denen merkwürdigerweise der Marmor warmes Leben geworden, und die der capitolinischen Venus wie ein Ei dem andern gleichen.«

»Ich hörte davon!«

»Der Künstler, um den es sich handelt, hat das Bild der Venus begonnen, in Farben, in Marmor, in edlem Metall – aber er kann es nicht vollenden.«

»Warum nicht?«

»Das Mädchen, das jener Bildsäule auf dem Capitol gleicht und ihn zum Modell diente, ist ihm untreu geworden!«

»Bah! er biete ihr einige Scudi mehr!«

»Sie war ein bekanntes Freudenmädchen, aber sie ist spurlos verschwunden, man sagt, ein russischer Fürst habe sie entführt!«

»So mag er die andere nehmen!«

»Sie ist Nonne!«

»Ei,« sagte die Duchessa leichtfertig, »die frommen Schönheiten Roms stehen nicht in dem Ruf, unerbittlich zu sein!«

»Die Schwester Fausta kostet mich bereits zwei meiner Leute. Sie wurden erschossen bei dem Versuch, sich ihrer zu bemächtigen.«

»Von wem?«

»Von einem jungen Schweizer-Offizier Seiner Heiligkeit, Ihres Oheims. Er befindet sich in diesem Augenblick in meinen Händen.«

»Wie, Sie wollen ihn ermorden, weil er seine Pflicht gethan?«

»Sie irren! aber ich will nicht dafür bürgen, daß meine Leute nicht eine Vendetta üben würden, wenn sie wüßten, wer er ist. Sie sehen also, Altezza, daß auch ich meine Pflicht gethan, aber vergeblich! Es bleibt mir, da ich mich verpflichtet habe, Signor Michele sein Modell zu schaffen – nur die Dritte!«

Die Duchessa sah ihn starr an: »Nun also? die Dritte?«

»Sind Altezza selbst!«

Sie lachte hell auf. »Sie sind verrückt! Die Herzogin von Ricasoli einem Maler oder Bildhauer als Modell stehen in Gott weiß welcher Situation!«

»Als Venus, Hoheit!«

»Unverschämter!«

Der Capitano machte eine Verbeugung, als stimme er selbst dem Urteil zu und blieb schweigend vor ihr stehen.

Es trat eine kurze Pause ein. Die Dame unterbrach sie ungeduldig. »Ich bitte, Signor Capitano, machen Sie der lächerlichen Scene ein Ende. Wie viel verlangen Sie?«

»Altezza – ich bin bezahlt!«

»Ich sollte meinen, die Herzogin von Ricasoli würde einen bettelhaften Maler wohl noch zu überbieten vermögen!«

»Altezza irren!«

»Wie das?«

»Ich habe keinen Auftrag von Signor Michele, einem armen Künstler; ja, er hat keine Ahnung davon, daß er der Erfüllung seiner Wünsche so nahe ist.«

»Wie? wer hat Ihnen denn diesen verrückten Auftrag gegeben?«

»Ich weiß es nicht. Überzeugen Sie sich selbst, Signora!«

Er holte aus seiner Schärpe einen Brief hervor, den er ihr übergab. Die Worte, die sie las, lauteten.

»Capitano Ruggiero wird die Frau Herzogin von Ricasoli, welche diesen Abend zwischen 10 und 11 Uhr auf der Straße von Neapel eintrifft, anhalten und in die Katakomben oder sonst einen sichern Aufenthalt bringen, bis sie sich mit einem Eid verpflichtet, Rom in den nächsten sechs Monaten nicht zu verlassen und während dieser Zeit dem Maler und Bildhauer Micheli in der di S. Spirito-Straße am Vatikan an zwei Tagen in jeder Woche zur Vollendung seiner Venus mit Pinsel und Meißel als Modell zu dienen. Der Capitano Ruggiero verbindet sich mit seinem Wort zur Ausführung seines Auftrags und erhält dafür beiliegende Anweisung auf tausend Scudi.«

Die Duchessa warf das Blatt verächtlich auf den Stein. »Ich zahle Ihnen das Doppelte der Summe, und nun lassen Sie mich frei!«

»Altezza – mein Wort …«

»Also dreitausend Scudi!«

»Und wenn Sie mir hunderttausend böten, Signora Duchessa, der Mascherato ist den Kontrakt eingegangen, und eher würde die Engelsburg zusammenstürzen, als daß sein Wort gebrochen werden könnte!«

Die Herzogin sann schweigend nach; es war ihr nicht unbekannt, daß diese zuchtlosen, jedes Gesetz verhöhnenden Männer sich einem unverbrüchlich unterworfen glauben: dem gegebenen Wort!

»Und was werden Sie mit mir machen, wenn ich mich weigere, die unverschämte Bedingung einzugehen?« fragte sie.

»Altezza zwingen mich, den Worten des Briefes zu gehorchen. Sie werden dies Gemach nicht verlassen, bis Sie den Eid geleistet!«

»Aber wenn ich mich Tage, Wochen weigere?«

»So werden Altezza Tage, Wochen und Monate hier der Gast des Mascherato bleiben!«

»Man wird mich suchen und strenge Nachforschungen anstellen! Ich bin die Nichte des Papstes!«

»Die Geheimnisse der Katakomben, Signora Duchessa, spotten der ganzen Polizei von Rom!«

Sie schritt ungeduldig einige Male in dem engen Raum auf und nieder; das seltsame Abenteuer und die Hartnäckigkeit des Banditen erregten nicht allein ihren Zorn, sondern fesselten auch unwillkürlich ihr Interesse. Der Gedanke, daß hierbei offenbar doch ein geheimer Bewunderer seine Hand im Spiel haben müsse, lag nahe. Die alte Erfahrung, daß wenn bei Frauen erst das Interesse für etwas Unbekanntes, Ungewöhnliches erregt ist, sie leicht zu jedem Schritt zu bewegen sind, bewährte sich auch hier.

Die Dame blieb vor dem Banditen stehen. »Sie werden zugeben mein Herr, daß es mich für immer lächerlich machen würde, wenn die Welt erführe, die Herzogin von Ricasoli habe wie eine Dirne aus dem Volke in einem Atelier Modell gestanden!«

»Es wäre nicht der erste Fall, Altezza. Aber Sie haben volle Freiheit, dies einzurichten, wie Sie wollen, und ich bürge dafür, daß man das Geheimnis bewahren wird!«

»Wird man sich dabei meinem Willen und meinen eigenen Bestimmungen unterwerfen?«

Jede Bestimmung der Signora Duchessa wird Gesetz sein, vorausgesetzt, daß die Hauptsache erfüllt bleibt!«

»Nun wohlan! ich muß nach Rom um jeden Preis. Ich nehme die seltsame Bedingung an. Genügt Ihnen das Ehrenwort der Herzogin von Ricasoli, oder bedarf es eines Schwurs?«

Der Capitano küßte ihr galant die Hand. »Das Wort aus so schönem Munde genügt vollkommen. Altezza sind von diesem Augenblick an frei.«

»Ich danke Ihnen, Signor Capitano – Sie haben sich in dieser ganz eigentümlichen Affaire wie ein Kavalier benommen. Vielleicht, daß ich auch einmal von Ihren Diensten Gebrauch zu machen wünschte. Wo kann ich Sie dann finden?«

»Ich bin überall. Ihre Hoheit brauchen nur an einem öffentlichen Ort den Wunsch auszusprechen.«

»O, es scheint allerdings, daß Sie mit Nachrichten gut bedient sind, aber ich pflege meine Geheimnisse nicht auf dem Campodoglio oder dem Korso auszuschreien. Geben Sie mir ein anderes Mittel.«

»Altezza kennen das Forum Romanum?«

»Das Campo Vaccino? Ich bin eine Römerin.«

»Wo zwischen der Via Sacra und San Lorenzo in Miranda der Tempel der Faustina steht?«

»Gewiß, ich bin doch ihre Namensschwester, Faustella, obschon man mir schwerlich wegen meiner Frömmigkeit einen Tempel errichten wird!«

»An der dritten Säule der Vorhalle von der Curia Hostilia her befindet sich über dem Piedestal ein breiter Sprung. Da hinein bei Tag oder bei Nacht lassen Ihre Hoheit die Botschaft legen, und bei Tag oder bei Nacht: ich werde zu Ihren Diensten sein!«

»Ich rechne auf Sie, Signor Capitano, und ich bitte Sie, jetzt meinen Wagen in Bereitschaft setzen zu lassen, wenn er noch vorhanden ist!«

»Er wartet auf Altezza!«

»Hören Sie, Capitano,« sagte die Herzogin lachend mit der plötzlichen Laune eines verzogenen Kindes oder einer schönen Frau, »mir kommt da eine Idee! Es dürfte so leicht nicht wieder geschehen, daß die Herzogin von Ricasoli sich unter den freien Kavalieren der Abruzzen befindet, und ich möchte wohl etwas mehr davon sehen. Befinden sich Ihre Freunde in der Nähe?«

»Meine Leute lagern kaum zweihundert Schritt von hier.«

»Ei, Capitano, so seien Sie galant, und führen Sie mich zu ihnen. Ich verspüre eine unüberwindliche Neugier, ein Banditenlager in der Nähe zu sehen!«

»Altezza erzeigen uns eine große Ehre!« Er nahm die Fackel aus dem Wandring und klopfte an die Thür,

»Darf ich Ihro Hoheit bitten, mir zu folgen?«

Die Herzogin nickte, und sich in ihren Burnus hüllend und die Kapuze über das Haupt schlagend, folgte sie dem Banditen.

Dieser führte sie eine steinerne, in einem dicken Gemäuer laufende Treppe empor und dann durch dieselben Gänge, die vorhin der Vikar und sein Begleiter passiert hatten, in die Ruinen des Cirkus und auf die dunkle Menschengruppe am Feuer zu.

»Der Capitano!«

Auf biesen Ruf eines der Banditen öffnete sich sofort der Kreis, und die Duchessa stand vor dem Sterbenden, den der Mönch noch immer mit seiner geistlichen Hilfe malträtierte, während der Schweizer-Offizier, von den Frauen unterstützt, ihm ärztlichen Beistand leistete.

Die Dame war überrascht, und Kapuze und Rebozo fielen von ihrem Kopf zurück bei der hastigen Bewegung, so daß der Feuerschein voll ihr schönes Gesicht traf.

»Santa Madonna! was ist das?«

»Ihr Werk, Altezza,« flüsterte der Mascherato, »ich habe Unglück mit den Modellen des Herrn Michele, und Sie haben mir einen meiner besten Leute erschossen.«

»Und dieser Herr?« Ihr Finger wies mit der Ungeniertheit italienischer Damen auf den Schweizer, der halb erhoben, erstaunt, erregt in das reizende Frauenantlitz schaute.

»Die Nonne vom Esquilin, so wahr ich lebe,« stammelte er verwirrt.

»Es ist derselbe Offizier, der die beiden anderen tötete!«

Ihr Blick maß den schönen Schweizer mit durchdringendem feurigen Ausdruck, dann mit einem Neigen des Kopfes seinen bewegten Gruß erwidernd, trat sie näher zu dem Verwundeten, dessen Augen starr auf ihr hafteten.

»Zwei! um der Heiligen willen, zwei! ich sehe sie doppelt! Dahinten steht sie mit dem Schlangenhaar – sie holen mich zum Tanz auf dem Testaccio, Die Oktoberfeste vereinigen die römische Bevölkerung im Garten Borghese und am Monte Testaccio zu Tanz und Spiel. und wollen mein Leben! Wie sie schön sind, und wie sie die Leiber um mich winden! – Rettet die Seele! rettet die Seele!« – Er sank ohnmächtig zurück.

»Der Arme fiebert,« sagte mitleidig die Dame. »Ist keine Hilfe mehr möglich?«

» In Deo nulla res impossibile!« greinte der würdige Bruder. »O Sennorita! holdseligste Dame! Es steht geschrieben, daß Werke der Liebe die Toten lebendig machen könnten, warum nicht diesen jungen Spitzbuben, der in seiner Verstocktheit dahin zu fahren droht! Akuschla! solltet Ihr vielleicht einige Zechinen, nötigenfalls thun's auch einige Scudi, zu einer heiligen Stiftung spenden wollen, so ist ein frommer Mann bereit, fünfundzwanzig Paternoster und ebenso viel Aves –«

»Still, Mönch!« unterbrach ihn mit strenger Stimme der Mascherato. »Sagen Sie mir, Signor, ist dem armen Burschen nicht mehr zu helfen?«

»Die Verwundung ist lebensgefährlich, Signor Capitano,« erklärte der Offizier, »aber wenn man ihn ohne Zeitverlust nach einem Hospital oder zu anderer ärztlicher Pflege schaffen könnte, wäre es vielleicht möglich, ihn zu retten.«

»Aber wie ihn fortschaffen? San Giovanni oder die Consolazione sind mehr als zwei Miglien entfernt!«

»Nehmen Sie meinen Wagen, Signor,« sagte die Herzogin hastig. »Ich werde den Verwundeten nach dem Hospital bringen! Es ist das Geringste, was ich thun kann! Aber …«

»Befehlen Sie!«

»Ich brauche jemand, der den Kranken begleitet, und von Ihren Leuten wird sich vielleicht keiner in meine Hände geben wollen. Unter der Bedingung, daß dieser Signor den Dienst übernehmen und mich nach der Stadt bringen darf …«

»Sie vergessen den Herrn Herzog, Ihren Gemahl!«

»Ah – wahrhaftig! ich habe nicht wieder an ihn gedacht, seit er sich in die Ecke des Wagens verkroch!« sagte lachend die Herzogin. »Was haben Sie mit ihm angefangen, Signor Capitano?«

»Seine Hoheit befindet sich unter guter Bewachung an einem sichern Ort.«

»Bah! so lassen Sie Seine Hoheit dort, so lange es Ihnen beliebt, oder geben ihn frei, so bald ich fort bin. Er mag mit seinem Kammerdiener den Weg nach Rom suchen, so gut er kann, nur meine Camariera muß ich mir ausbitten. Der Wagen hat nicht Raum für mehr Personen, wenn wir den Verwundeten fortschaffen sollen.«

»Altezza übt ein Werk wahrer Nächstenliebe,« sagte nicht ohne einen leichten Anflug von Spott der Capitano, indem er der Dame galant die Hand küßte. »Der Signor Luogotenente ist allerdings die geeignetste Person, da er keine Gefahr läuft und dem armen Burschen Hilfe leisten kann. Macht eine Tragbahre aus Euren Gewehren, Männer, und legt Eure Mäntel darauf! versäumt keinen Augenblick.«

Die Herzogin war dem Offizier näher getreten. »Wie Sie auch hierher gekommen, Signor,« sagte sie leise, »ich hoffe Ihnen einen Dienst zu leisten, indem ich Sie auf gute Manier von dieser Gesellschaft erlöse, die gefährlich genug ist. Sie werden dafür bis zu meinem Hotel mein Kavalier sein und mir gleichfalls Ihren Schutz gewähren müssen!«

»Mein Leben steht Ihro Hoheit zu Diensten!«

Dem Befehl des Hauptmanns waren die Banditen rasch nachgekommen und hatten den Verwundeten auf eine aus ihren Gewehren gebildete Tragbahre gehoben. Der Mönch wollte ihn mit Gewalt begleiten, ward aber auf einen Wink des Mascherato zurückgehalten. Den Augenblick, als er aufs neue die Duchessa anbettelte und diese dem Zudringlichen eine Gabe reichte, benutzte der Banditenhauptmann, sich dem jungen Schweizer-Offizier zu nähern.

»Sagen Sie, Sie wären auf der Straße von Albano in die Hände meiner Leute gefallen, und hüten Sie sich vor der Sirene, junger Mann. Um Mitternacht erwartet man Sie an der Thür der Kirche St. Apostoli!«

Er trat zu der Dame. »Erlauben Altezza einem armen Banditen, Sie bis zu Ihrem Wagen zu geleiten?«

»Ich habe mit Ihrer Bewilligung bereits meinen Cavaliere Servente, Signor Capitano,« bemerkte die Herzogin, »aber Sie werden uns verbinden, wenn Sie uns den Weg zeigen wollen.« Sie warf ihre Börse mit hochmütiger Miene unter die noch versammelten Männer und Weiber, die mit einem » Evviva!« antworteten, und stützte sich leicht auf den dargebotenen Arm des Offiziers.

»Tausend Segen über Eurer Gnaden!«

»Die Madonna beschütze Eure schönen Augen! Benedicite! benedicite! Wenn Ihr einmal eines nachsichtigen Beichtvaters bedürft, so vergeßt den Bruder Pankratius nicht, Akuschla!«

Die Herzogin achtete wenig auf alle die Segenswünsche, die ihr folgten, und hatte mit ihrem Begleiter ein Gespräch angeknüpft, während der Capitano mit der Fackel durch die Ruinen voranschritt.

Sie folgten dem Weg, den vor einer Stunde der Offizier den Mann in der roten Toga hatte nehmen sehen, und gelangten bald auf derselben Stelle, an der Gianetto mit dem Gendarmen vorhin die Wache geteilt, auf die Straße.

Hier stand, von den Banditen umgeben, die den Verwundeten hierher gebracht, der Reisewagen der Herzogin, und an seinem Schlage harrte zitternd die Camariera, während der Postillon bereits im Sattel saß.

Ein Blick überzeugte die Herzogin, daß das Gepäck des Wagens nicht berührt worden war und nichts fehlte.

»Bei der Madonna, Signor Capitano,« sagte sie lachend, »Sie sind der galanteste Brigand, von dem ich je gehört habe, und ich werde Sie allen meinen Freunden auf das Beste empfehlen.«

»Altezza lassen uns nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn Sie uns nicht mit anderen Spitzbuben verwechseln!«

»Ich bedauere deshalb, Ihnen so viele Umstände gemacht zu haben. Aber lassen Sie uns den Kranken in den Wagen bringen, damit wir zu Ende kommen.«

Die Männer hoben den in bewußtlosem Zustand stöhnenden Verwundeten auf und legten ihn, in einen Mantel gehüllt, auf die Kissen des Wagens, der Offizier setzte sich neben ihn, ihn unterstützend, während die Dame selbst, so gut es ging, sich einen Platz suchte.

» A rivederci, Signor Mascherato! Mein Lösegeld soll gezahlt werden!«

Der Hauptmann salutierte mit der Hand, die Banditen ergossen sich in Segenswünschen über die Barmherzigkeit der vornehmen Dame, und der Wagen rasselte davon.

Einige Augenblicke schaute der geheimnisvolle Anführer der Banditen dem Wagen nach, dann wandte er sich zu seinen Leuten. Die Sprache des galanten Kavaliers war verschwunden, und sein Ton rauh und fest.

»Ruft Gasparo und bringt die Pferde hierher,« befahl er, »Gasparino wird sechshundert Scudi in die Kasse der Bande legen und die anderen sechshundert unter Euch verteilen! Fort!«

» Evviva Ruggiero! Evviva il capitano!« Die Banditen verschwanden.

Eine Viertelstunde später galoppierten zwei Reiter in langen dunklen Mänteln nach Rom, verließen aber die Appische Straße und ritten durch das Thor am Lateran in die Stadt.


Der Wagen der Duchessa, von den vier Postpferden gezogen, hatte rasch die Porta San Sebastiano erreicht, bog, den Cirkus Maximus und den Palatin mit seinen Kirchen, Villen, und Ruinen zur Linken lassend, an dem Colosseum vorbei in die Straße des Forums, und fuhr am Tempel der Minerva in die öden Straßen, welche das Ospedale della Consolazione umgeben.

Die Erschütterung des Wagens hatte den Verwundeten wieder zum Bewußtsein zurückgerufen, und sein leises Stöhnen unterbrach das Gespräch seiner Begleiter.

An der Pforte des Hospitals hielt der Wagen, der Offizier sprang heraus und läutete an der Glocke des Eingangs, bis der Pförtner erschien.

»Wir bringen einen Kranken, Freund, dort im Wagen,« sagte der Offizier, sein Verlangen durch ein Geldstück begleitend. »Ruft Leute herbei, die ihn mir herausschaffen helfen, und holt einen Arzt oder eine der barmherzigen Schwestern, denn der Mann ist schwer verwundet.«

Der Pförtner verschwand, während die Herzogin gleichfalls den Wagen verließ und, sich auf den Arm ihrer Camariera stützend, vor der Pforte stehen blieb. Der Schein der im Luftzug schwankenden Laternen zeigte ihren Burnus mit Blut befleckt; schauerlich klangen durch die Stille der Nacht das leiser werdende Stöhnen des Verwundeten und seine wieder beginnenden Fieber-Phantasieen.

Aus der Richtung des Capitols her nahten sich die schweren Schritte mehrerer Männer.

»Sie kommen, sie kommen – einen Priester, daß er mich rettet! Wie ihre Augen glühen – zwei auf einmal – zwei auf einmal – und ich habe nur eine Seele!«

Die Duchessa winkte den Offizier zu sich. »Der Mensch hat in der That seltsame Phantasieen,« sagte sie ungeduldig, »und der stiere Blick seines Auges, selbst im Dunkel leuchtend, machte mir ordentlich Grauen. Mein englischer Reisewagen muß völlig verdorben sein, ich werde ihn nicht mehr benutzen können, und würde fast bedauern, daß ich mich von meinem Mitleid habe hinreißen lassen, wenn es mir nicht zugleich Ihre Bekanntschaft gebracht hätte!«

Die Pforte des Hospitals sprang auf, der Lichtstrom einer Fackel fiel heraus, die der Pförtner trug, zwei Wärter kamen mit einer Bahre, hinter ihnen eine Frau in der dunklen Tracht der barmherzigen Schwestern, den kurzen weißen Schleier über das Gesicht gefaltet; so blieb sie in dem dunklen Rahmen der Pforte stehen.

Die Männer setzten die Bahre am Wagen nieder, der eine stieg hinein, und sie hoben den Sterbenden heraus und versuchten ihn auf die Bahre zu betten.

Das volle Licht der Fackel fiel auf den jungen Offizier und die Duchessa, die gleichgültig, ihre Hand auf dem Arm des Kavaliers, auf das traurige Schauspiel niedersah – der Verwundete schien unter den Händen der Wärter während des Heraushebens seine Seele ausgehaucht zu haben, denn der Verband hatte sich bei den Bewegungen gelöst, und er lag blutbedeckt, regungslos und ohne zu atmen jetzt auf der Bahre.

»Kommt hierher, Schwester Fausta,« sagte einer der Wärter, »und seht selbst zu! Ich glaube, wir brauchen den Mann nicht erst in den Krankensaal zu tragen, sondern können ihn gleich zur Leichenkammer bringen – der Bursche ist so tot wie eine Ratte!«

Die Blicke des Offiziers und der Herzogin richteten sich bei dem Namen auf die Nonne – sie stand an den Pfeiler der Thür gelehnt, die linke Hand auf das Herz gedrückt, wie von einer innern Bewegung erzitternd.

Dann die Blicke des Kreises auf sich gewendet sehend, richtete sie sich auf und schritt langsam die Stufen des Eingangs herunter. An der andern Seite der Bahre blieb sie stehen, und mit der einen Hand den Puls des Toten erfassend, schlug sie mit der andern den Schleier zurück.

Jetzt zeigte sich den Blicken des Offiziers und aller Umstehenden das seltsame Schauspiel, unter diesem Schleier und der weißen Stirnbinde der armen Nonne ein blasses, zartes Gesicht zu sehen, das gleich einem Spiegel die schönen Züge der stolzen Herzogin ihr gegenüber zurückgab.

Zug um Zug – bis ins geringste Detail zum Verwechseln gleich, nur zarter, durchsichtiger war das Antlitz der Nonne, dem der Herzogin, das Auge von demselben tief dunklen Blau, nur der Ausdruck ein anderer: statt des herausfordernden, stolzen, herrischen Blickes ein demütiger schwermütiger und doch so redender Ausdruck; selbst das wenige Haar, das sich unter der Stirn- und der Wangenbinde hervorstahl, zeigte die blonde Farbe der Locken der vornehmen Dame.

»Die Nonne von Esquilin! sie selbst!« flüsterte in tiefer Erregung der Offizier. »O Madonna – habe ich hier das Glück, Euch wieder zu finden? …

Ein sanftes, süßes Lächeln erhellte einen Augenblick das ernste Gesicht der barmherzigen Schwester, während sie das Auge zu dem Mann emporschlug, der in so großer Gefahr sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt, dem sie damals, zum Kloster flüchtend, nicht einmal zu danken vermocht, und den sie mit der tiefen Erregung eines ihr bis dahin fremden Gefühls schon unter der Pforte des Hospitals erkannt hatte. Aber ehe sie noch ein Wort des Dankes stammeln konnte, machte ein wilder Schrei die Herzen erbeben. Bei der Berührung der Nonne zuckte der leblose Körper des Banditen plötzlich in die Höhe und der Oberleib richtete sich krampfhaft empor. Die dunklen gläsernen Augen rollten im Todeskampf gespenstisch von einer der Frauen zur andern, der Mund öffnete sich, blutigen Schaum auf den Lippen, die Arme streckten sich, wie abwehrend, weit vor.

»Da steht sie, dort, und da, sie ringen um meine Seele – und dort, zu den Füßen die Dritte! Sie ist's – ich kenne Dich wohl, Teufel mit den verzehrenden Augen und dem lichten Schlangenhaar! Tanzt den Reigen, tanzt den Reigen um mich! Eins, Zwei – Drei – Drei in einer und eine in Drei! Liebe mich, Faustine – ich komme! ich komme!«

Ein Blutstrom brach aus seinem Munde, ein Erbeben des ganzen Körpers folgte, und zurückfallend auf die Bahre streckte sich der junge Leib – der Bandit war tot!

Über den Toten hinweg trafen sich die Augen der beiden Frauen, das Auge der Nonne betrachtete mit einer gewissen Neugier diese Frau, von der sie fühlte, daß ein geheimnisvolles Band sie mit ihr verknüpfte. Die Duchessa aber sah mit fast feindlicher, drohender Miene diese Rivalin ihrer Schönheit, von der ihr der Ruf erzählt, zum erstenmal sich gegenüber.

So standen sie schweigend wohl eine Minute lang, indes die Schritte der vom Capitol Herkommenden näher und näher klangen. Dann, während die Nonne in die Kniee sank und ein Totengebet zu murmeln begann, kehrte sich die Duchessa stolz und erregt zu dem Offizier, dessen Auge sie mit nicht mißzuverstehendem Ausdruck auf der Schwester der Barmherzigkeit haften sah.

»Kommen Sie, Signor,« sagte sie rauh, »und erinnern Sie sich gefälligst, daß Sie heute mein Kavalier sind. Wir haben hier nichts mehr zu schaffen.«

Sie faßte selbst seinen Arm und zog ihn zu dem harrenden Wagen. Als er hinter ihr einstieg, und einen Blick nach der Gruppe zurückwarf, sah er vier Männer in lange Mäntel gehüllt bei den Wärtern um die Bahre versammelt, während die dunkle Gestalt der Nonne wie vorhin wieder unter dem Thürbogen des Hospitals stand und unter dem wieder gesenkten Schleier hervor ernst und traurig herüber zu blicken schien.

»Nach dem Palazzo!« befahl die Herzogin; die Peitsche des Postillons knallte und im scharfen Trabe rasselte die Equipage auf dem Weg, den die vier Männer gekommen, davon.

Diese waren neugierig bei dem Toten stehen geblieben. »Was ist hier geschehen?« fragte der eine von ihnen.

»O, Signor, etwas sehr Gewöhnliches. Der Mensch hier hat im Streit oder von den Banditen eine Kugel in den Hals bekommen, und die vornehmen Herrschaften haben ihn wahrscheinlich am Weg gefunden und hierher gebracht. Aber er ist uns unter den Händen gestorben, noch eh' der Doktor ihm hinüber helfen konnte, und wir haben jetzt nichts weiter zu thun, als den Körper in das Leichenhaus zu schaffen, bis er begraben werden kann!«

»Einen Toten? Das ist, was wir brauchen, Mann,« sagte da der Fremde im Mantel, und wechselte dann einige Worte mit seinen Gefährten. »Es war eben unsere Absicht, aus dem Lazarett einen Leichnam zu holen, und wenn Ihr uns den Burschen, der noch warm ist, überlassen wollt, sollt Ihr ein gutes Trinkgeld erhalten.«

»Aber, Signor, er ist freilich noch nicht im Hospital und geht uns eigentlich nichts an. Aber zu was?«

»Es braucht ihn der Arzt! Er will an dem Leichnam eine Probe machen für ein wichtiges, anatomisches Experiment, das ganz Rom kurieren soll. Hier sind fünf Scudi! bringt ihn dort unter den Brunnen und spült ihn ab, und nun zum Teufel sputet Euch, wir haben nicht lange Zeit und nehmen ihn sonst mit Gewalt.«

Wenige Minuten darauf wurde der Leichnam des Banditen in einen von den Fremden mitgebrachten Sack gesteckt und zwei der Männer trugen ihn fort.

Längst schon, ehe der schauerliche Handel begonnen, war die barmherzige Schwester ins Innere des Hospitals verschwunden.


2. Theatro Capranica.

Die Duchessa hatte, sobald sie allein mit dem jungen Schweizer-Offizier dem Palazzo Borgia zufuhr, die Gelegenheit wahrgenommen, ihn über das Abenteuer mit der Nonne auszufragen, und er erzählte offen den Hergang, wie er zufällig in der öden Umgebung auf dem Esquilin, von einem Besuch der Thermen des Titus kommend, den Hilferuf zweier Schwestern vernommen, die, von einem Kranken zurückkehrend, nahe der Klosterpforte von fremden Männern überfallen worden wären. Diese hätten versucht, die jüngere fortzuschleppen. Aber er hütete sich, zu erwähnen, daß er seitdem mehrmals die Kirche des Klosters besucht habe, um die durch seinen Mut Gerettete wiederzusehen.

Dennoch hatte er der vornehmen Dame den Eindruck nicht ganz zu verbergen vermocht, den ihre so seltsame Doppelgängerin auf ihn gemacht, und mit der rasch empor lodernden Leidenschaftlichkeit, die den Frauen des Südens eigen ist, war sie entschlossen, mit der eigenen Schönheit den Kampf um den Fremden gegen ihr Spiegelbild zu beginnen.

Ein teuflischer Gedanke durchzuckte sie.

Ihre Hand ruhte auf dem Wagenkissen neben der des Offiziers, der warme Strom der Berührung durchschauerte ihn.

Das Bild der schönen Nonne verschmolz in seiner Phantasie zu einem mit dem der übermütigen stolzen Aristokratin.

»Wo wohnen Sie, Signor?« fragte die Herzogin.

»In der Schweizer-Kaserne des Vatikan, Altezza.«

» Bene! Sind Sie morgen im Dienst?«

»Bis jetzt nicht, es müßten denn neue Befehle erteilt sein. Ich habe übermorgen die Wache im Quirinal.«

»So erwarte ich morgen um Mittag Ihren Besuch,« lud die Herzogin ihn ein. »Ich habe im Laufe des Vormittags einige Geschäfte, die meine schnelle Ankunft in Rom notwendig machten, aber meine Leute werden Anweisung erhalten, daß ich Sie zu jeder Zeit empfangen will.«

»Ich bitte Ihre Hoheit, über mich zu verfügen!«

Ein leiser Druck der Hand antwortete ihm, während der Wagen in den Teil des Vatikans einfuhr, in dem sich die frühere Villa Borgia befindet. Die Ankunft des Herzogs und seiner Gemahlin war offenbar erwartet, denn der Maggiordomo mit der Dienerschaft empfing sie am Portal und öffnete den Schlag. Die Launen der Herzogin schienen sehr bekannt, und niemand war verwundert, als statt des alten gebrechlichen Gebieters der junge Offizier heraussprang und der Dame die Hand bot.

Erst der Anblick des Blutes, womit der Anzug der Duchessa befleckt war, unterbrach seine Bewillkommnungs-Komplimente.

»Laß gut sein, Giacomo,« unterbrach die Herzogin lachend seine besorgten Fragen. »Ein Abenteuer ohne Bedeutung auf der Straße nach Albano. Aber es erinnert mich zur rechten Zeit, daß der Herzog schwerlich ein großer Liebhaber von nächtlichen Spaziergängen ist. Laß einen Wagen anspannen und sende ihn nach der Porta-Appia, Seine Hoheit ist mit seinem Pariser Kammerdiener auf der Straße zurückgeblieben. A rivederci, Signor, und nochmals meinen Dank für den Dienst!« Sie verschwand in dem Vestibüle.

Wie unter dem Druck einer schweren Betäubung über alle die seltsamen Eindrücke des Abends wandte der Offizier seine Schritte dem bestimmten Rendezvous an der Piazza-Pilotta zu. Unter dem Gewicht seiner eigenen Gedanken fiel ihm auch das ungewöhnlich rege Leben und Treiben in den Straßen und den Kaffeehäusern nicht auf, obschon es beinahe Mitternacht und die Witterung ziemlich rauh war.

Volkshaufen standen überall an den Straßenecken und Plätzen und perorierten über die morgende Wiedereröffnung der Kammern im Palast der Cancellaria. Aus den Kaffeehäusern hörte man Diskussionen in den verschiedensten Sprachen, Italienisch, Französisch, Ungarisch, Polnisch, Deutsch und Englisch. Redner traten auf und verlasen die Spottverse der Journale oder die entflammenden Zeitungsartikel Galettis. Die Straßen wimmelten von Müßiggängern und Politikern aller Art; Geistliche, Soldaten, Bettler, Nationalgarden und Handwerker durcheinander, überall Frauen dazwischen, vornehme Damen und Bürgerweiber mit Säuglingen auf dem Arm, und jene dunkelen, fremden, unheimlichen Gestalten, die in ruhigen Zeiten niemand sieht und niemand kennt, und die, Gott weiß woher, stets da sind, wo ein politischer Sturm sich vorbereitet.

Wäre der junge Offizier in einer andern Stimmung und weniger mit seinen eigenen Interessen beschäftigt gewesen, so würde er schwerlich die Verhöhnungen und Schimpfworte geduldig ertragen haben, die aus verschiedenen Gruppen seine Uniform, als er vorüberging, begrüßten, während andere bei seiner zufälligen Annäherung plötzlich die laute lärmende Unterhaltung abbrachen und ihn schweigend und mit finsteren, gehässigen Blicken vorüber passieren ließen. Die kühne, unbesorgte Haltung, mit der er achtlos seinen Weg fortsetzte, sicherten ihn zwar vor ernsteren Beleidigungen, indes war doch die feindselige Stimmung so unverkennbar, daß sie auch ihm endlich auffallen mußte und ihn bewog, die kleineren Straßen der Pigna Rom wird in vierzehn Riomi oder Regionen abgeteilt, deren eine, ziemlich im Herzen der Stadt, die dell a Pigna ist. zu wählen und den Korso oberhalb des Venetianischen Platzes zu kreuzen.

Es schlug bereits Mitternacht, als er um den Palazza-Colonna bog, und er beeilte noch mehr seine Schritte, um den bezeichneten Punkt des Rendezvous zu erreichen.

Plötzlich, als er an dem tiefen und dunklen Portal eines Hauses vorüberging, faßte eine Hand seinen Arm und zog ihn in die tiefen Schatten des Porticus.

»Hierher, Signor Riccardo,« sagte eine Stimme, die er als die des Banditenhauptmanns erkannte, »Ihre Uniform ist zu kenntlich und könnte hier zu leicht Aufmerksamkeit erregen. Die Fledermäuse schwärmen bereits.«

In der That bemerkte der Offizier viele dunkle Gestalten, die einzeln aus verschiedenen Straßen kommend, ihren Weg sämtlich nach der Piazza della Pilotta nahmen.

»Hier, geben Sie mir Ihren Mantel und Ihr Barett, so, nehmen Sie diesen dafür und knöpfen Sie ihn fest zu, damit er nicht die Uniform sehen läßt. Wünschen Sie eine Maske oder eine Kapuze?«

»Zu welchem Zweck?«

»Es muß sein, Sie werden uns begleiten!« sagte eine andere Stimme aus dem Dunkel des Thorwegs, und die kleinere Gestalt seines Gefährten im Cirkus Caracalla trat näher, er trug einen ähnlichen verhüllenden Mantel, wie der Banditenhäuptling ihm gereicht, und das Gesicht tief in einer Kapuze versteckt, so daß es selbst bei hellem Licht unmöglich gewesen wäre, es zu erkennen.

Erst jetzt bemerkte der Schweizer, daß noch ein vierter Mann bei ihnen war, dessen spitzer Hut und Umrisse der andern Tracht einen der Banditen von der Via Appia verrieten.

Im Hintergrund des Thorwegs hörte man die Bewegungen und das Schnauben von zwei Pferden.

»Geben Sie mir eine Maske, Signor,« entschied der Offizier.

Der Mascherato reichte sie ihm mit einem breiträndrigen, tief herabfallenden Hut.

»Sie schwören heute zu meiner Gesellschaft und müssen alle Mascherati sein! Cospetto! das ist noch nicht dagewesen, ein Offizier der Schweizer als Mitglied der Bande des Ruggiero! Aber Signor,« fügte er ernster hinzu, »der Gang, den wir thun, hat seine Gefahren und erfordert einige Vorsichtsmaßregeln. Ich verlange zunächst Ihr Ehrenwort, daß, was Sie auch sehen mögen, Sie sich bezwingen, um uns und sich nicht zu verraten, und daß kein Name einer Person, die Sie etwa erkennen mögen, über Ihre Lippen kommen soll!«

»Geben Sie Ihr Wort,« sagte der Vikar.

»Ich verspreche es!«

»Das soll Sie keineswegs hindern, von allem, was Sie erfahren, Gebrauch zu machen, um ein Unglück zu verhüten; denn ich sage Ihnen offen, das ist der Zweck, weshalb ich Sie an den Ort führe, den wir betreten werden.«

»Das ist seltsam!«

»Es mag sein, aber Sie werden es mir danken. Wollen Sie Ihr Wort also geben?«

»Ich gebe es!«

» Bene! Nun lassen Sie uns gehen und vergessen Sie nicht, daß wir stumme Zuschauer bei einem Schauspiele sind. Gasparino, Du wirst uns hier erwarten.«

Der Leutnant der Bande brummte eine unverständliche Antwort, während der Vikar den Mascherato zur Seite zog.

»Ich bin also sicher, daß ich das Portefeuille erhalte? Warum nicht gleich?« fragte er leise.

»Ich habe, was Sie verlangt, hier in der Brusttasche meiner Jacke,« sagte der Räuber. »Sie sollen es haben, sobald wir wieder auf der Stelle sind – bis dahin ist es besser bei mir verwahrt. Doch nun lassen Sie uns gehen, sonst versäumen wir vielleicht das Wichtigste.«

Der Bandit, in einen gleichen Mantel gehüllt, wie seine beiden Begleiter, schritt diesen voran und quer über die Piazza della Pilotta, nach der Seite, an welcher das Theatro Capranica sich befindet.

Wie vorhin strichen einzelne verhüllte Männer an ihnen vorüber und wandten sich nach der Seitengasse, die an dem Theater hinläuft.

Der Offizier bemerkte, daß sie sämtlich in eine dort befindliche Nebenthür eintraten.

Der Mascherato ging auf dieselbe Thür zu, sie war geöffnet, aber im Innern sperrte eine herkulische Männergestalt den Gang, in den sie führte.

Der matte Schein einer Lampe ließ erkennen, daß dieser gleichfalls verlarvte Mann bis an die Zähne bewaffnet war.

»Wer da?«

»Freunde der Freiheit!«

»Die Losung?«

»Tod Carrara!«

»Tretet ein!«

Der Offizier war bei dem Paßwort stutzig geworden, die Erinnerung, daß Carrara der Geburtsort seines Oheims, des von den Liberalen Roms so gehaßten Premierministers, war, drängte sich ihm unwillkürlich auf und erinnerte ihn zugleich an die Gerüchte, die er über die geheimen Klubs und Agitationen der Mazzinisten gehört hatte.

Aber es war zu spät, jetzt zurückzukehren – er folgte rasch den Voranschreitenden.

Über einen kurzen Gang gelangten sie an eine Treppe, die der Mascherato emporstieg, dann stieß er eine Thür auf, und sie befanden sich in dem spärlich erleuchteten, fast dunklen Korridor, der um die erste Logenreihe des Theaters läuft.

Der Mascherato wandte sich zur Linken und öffnete eine Seitenloge, er winkte ihnen einzutreten und verschloß die Thür.

Das Innere des Theaters bot ein merkwürdiges, unheimliches Bild. Der Zuschauerraum war dunkel, dennoch konnte man in dem Schein, der von der geöffneten und durch mehrere Lampen ziemlich hell beleuchteten Bühne herüberdrang, deutlich erkennen, daß im Parterre und in den Logen sich eine Anzahl Menschen, teils verlarvt und vermummt, wie sie selbst, teils das Gesicht bloß durch die Hüte beschattet, bewegten. Aus dem Parterre führten einige Stufen zu dem Podium der Bühne hinauf, und auf dieser befand sich eine große Anzahl von Menschen in unruhigen Gruppen um einen Tisch versammelt, hinter dem eine Art von Rostra oder Rednerbühne errichtet war.

Die Dekorationen der Bühne zeigten die Straßen einer Stadt, anscheinend eine Ansicht Roms. An der ersten Coulisse zur Rechten, also der Loge gegenüber, die der Mascherato mit seinem Begleiter gewählt, waren einige Stufen vorgeschoben, gleich dem Aufgang einer Treppe.

Auf der obersten dieser Stufen, an die Coulisse gelehnt oder festgebunden, befand sich ein bis jetzt nicht erkennbarer Gegenstand, den eine große mit Flittergold besetzte Tischdecke, offenbar aus der Theatergarderobe, verhüllte.

Die Menge auf der Bühne, die in fortwährender Bewegung mit den Gruppen im Parterre wechselte, bestand gleichfalls aus mehr oder weniger vermummten oder unverhüllten Personen. Um den Tisch in der Mitte saßen vier Personen, zwei davon verlarvt, die übrigen ohne Maske; ein fünfter Platz war leer. Der ihn bisher eingenommen, stand eben auf der Rostra, ein Mann in dem schwarzen Gewand der Barnabiten, die dreifarbige italienische Schärpe um die Brust geschlungen.

»Es ist der Pater Gavazzi, der eben spricht,« flüsterte der Bandit, indem er seine Gefährten auf die ersten Stühle der Loge niederzog, »wir werden eine Philippica gegen Österreich zu hören bekommen!«

»Der Abtrünnige! Der tiefste Kerker der Inquisition gehört ihm,« murmelte der Vikar.

In der That ergoß sich der Strom der Beredsamkeit des Paters, die damals in den Versammlungen des Coliseo die Massen bewegte, in donnernden flammenden Worten gegen die österreichische Herrschaft, die mit ihren Bajonetten so lange Italien in Knechtschaft gehalten. Eine Schmach für das römische Volk sei es, daß seine Legionen, statt den Po zu überschreiten und den Brüdern in Mailand und Venedig zu Hilfe eilen, unthätig die Zeit versäumt und Bologna ohne Schwertschlag dem Feinde überlassen hätten. Es sei Verrat des Volkes, der Papst habe niemals daran gedacht, die Österreicher anzugreifen; man wisse jetzt ganz bestimmt, daß der General Durando im geheimen den Befehl erhalten habe, bei erster Gelegenheit sich mit den Österreichern zu verbinden, die Vorschläge, die das Ministerium nach Florenz, Rom und Neapel für eine Konföderation Italiens gemacht, sollten nur die öffentliche Meinung täuschen, Graf Rossi denke nicht an ein vereinigtes Italien, das Statut sei in seinen Händen zu Wasser geworden, seine einzige Absicht sei, die errungenen Rechte und Freiheiten des Volkes wieder zu unterdrücken und die Souveränität des Papstes wieder herzustellen! Darum fort mit dem Ministerium, fort mit Rossi, dem Zögling des Verräters Louis Philipp, dem Sklaven der Österreicher, dem Feinde der Freiheit!

Ein donnernder Beifallssturm und der Ruf: Tod dem Unterdrücker! begleitete den Redner; man sah, daß die Versammlung in die richtige Stimmung gebracht war, die schrecklichsten Beschlüsse zu fassen.

Nach dem Pater betrat ein Mann von eleganter Gestalt und Haltung die Rednerbühne. Er trug, wohl mehr zum Schein, eine kurze Maske, denn der Name » Galetti« ging sofort von Mund zu Mund.

Der Advokat war der Typus eines Revolutionärs im Frack. Aus dem Volke entsprossen, der Sohn eines Barbiers, vereinigte er mit dem Talent eines gewandten Redners großen persönlichen Mut und brennenden Ehrgeiz. Schon in den revolutionären Bewegungen von 1831 stürmte er an der Spitze einer Freischar Cento und focht mit den beiden Prinzen Bonaparte bei Rimini gegen die Österreicher. In Cesena verwundet, ergriff er die Flucht, kehrte aber später zurück und stand im Jahre 1843 an der Spitze einer Verschwörung gegen das Leben Gregors XVI. Zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt, wurde er aus dem Kerker durch die Amnestie Pius' befreit, und gebärdete sich damals als begeisterter und dankbarer Anhänger des Papstes.

Dem aristokratischen Wesen des Mannes entsprach die glänzende Beredsamkeit, mit der er jetzt in scharfen Zügen den Gang der römischen Revolution entwickelte, die Erzwingung des Statuts vom 14. März, die Willkür und Unentschlossenheit des Ministeriums Feretti, seine eigene Verdrängung aus dem Ministerium Mamiani und mit ihr die Entfernung aller wahrhaft demokratischen Elemente; endlich die Pläne zur vollständigen Unterdrückung der Volksrechte durch den neuen Premierminister. Auf diesen, die Kardinäle und den Einfluß der fremden Gesandten wurde von dem gewandten Redner die Sinnesänderung des Papstes geschoben. Dann ging er speziell auf die einzelnen Erlasse Rossis seit seinem Amtsantritt über und wußte, wie offen und liberal auch das Programm des Grafen gewesen war, der eine italienische Konföderation und die Sicherung der weltlichen Macht des Papstes anstrebte, mit großer Geschicklichkeit jede Maßregel zu einer Anklage des Volksverrats gegen ihn zu gestalten. Ohne direkt zu einem Angriff gegen den Minister aufzufordern, gab er durch geheimnisvolle Winke und Andeutungen zu erkennen, daß, wenn man dem Grafen erlaube, mit der Deputierten-Kammer zu verhandeln, sein Einfluß auf die reaktionären und schwankenden Mitglieder so bedeutend sein werde, daß die demokratische Partei unmöglich mit ihren Forderungen durchdringen könne.

Die Rede war ein Meisterstück der Anklage und Verdächtigung, wohl geeignet, den erhitzten Gemütern einen Grund zum Hasse, die Rechtfertigung eines blutigen Beschlusses zu geben, ohne doch direkt zu einem solchen aufzufordern und die Schuld an ihm auf sich zu laden.

»Hören Sie den Schelm!« flüsterte der Vikar dem Banditen zu, »ich habe es mit angesehen, wie er dem heiligen Vater zu Füßen lag und sich selbst anklagte und schwor, für die Rechte des heiligen Stuhls künftig mit Blut und Leben zu kämpfen, bis der heilige Vater selbst ihm zurief: basta mio figlio! und ihn an seine Brust drückte.«

»Ich meine, ehrwürdiger Herr,« entgegnete spöttisch der Bandit, »daß wir in dieser Zeit schon manche merkwürdige politische Veränderlichkeit zu sehen bekommen haben.«

Der Vikar wandte sich rasch nach ihm um, aber der Mascherato schaute eifrig nach der Bühne. »Signor Galetti,« sagte er, »hat gesäet, aber der jetzt kommt, wird die blutige Saat aufgehen lassen!«

»Der Fürst von Canino! Er selbst.«

Der neapoleonische Revolutionär par force begann mit der auf die Römer nie ihren Eindruck verfehlenden Erinnerung an die alte Größe Roms, er beschuldigte die Lebenden, des erbärmlichen Zauderns und Schwankens, jetzt, wo die Zeit gekommen, diese Größe wieder herzustellen; er verlangte die unbeschränkte Souveränität des Volkes, die Herstellung einer großen italienischen Republik, die Abschaffung der weltlichen Macht des Papstes, zunächst ein demokratisches Ministerium, das mit Aufrichtigkeit an das Werk der Befreiung Italiens von den Österreichern und den Bourbonen ginge und die Revolution in der Lombardei und in Sicilien unterstütze. Er erinnerte an den Tod der Brüder Bandiera und so vieler anderer Märtyrer der Freiheit, an die Kerker der Engelsburg und an die Galeeren; dann wandte er sich gegen den jetzigen Premierminister, und indem er ihn als einen Todfeind des Volkes, als einen von Österreich erkauften Verräter schilderte, der mit dem Feinde unterhandle, um eine starke österreichische Besatzung nach Rom zu ziehen und mit der Macht der deutschen Bajonette jede Errungenschaft des Volkes zu unterdrücken und eine ärgere Knechtschaft als zuvor auf seinen Nacken zu laden, forderte er als das einzige Mittel der Rettung den schleunigen Fall dieses Feindes der Freiheit, die gewaltsame Erzwingung eines vom Volke selbst gewählten Ministeriums, die Vertreibung der Jesuiten und der reaktionären Kardinäle und die Überlieferung der Engelsburg an die guarda civica. Der Sieg, selbst in einem Kampf mit den Söldnern des Bourbonen in Neapel und den Österreichern könne ihnen nicht entgehen, er verbürge sich dafür, daß die französische Republik sich mit ihnen verbinden würde und zehntausend Mann zum Schutz Roms bereits ständen; nur das Signal der eigenen Ermannung müsse gegeben werden mit dem Sturz des Feindes. Rom habe den Cäsar nicht geschont, wo es seine Freiheit galt; sollten sie weniger thun an dem Werkzeug eines Louis Philipp und der Habsburger? Tod, Tod dem Verräter Rossi!

Ein donnerndes Jubelgeschrei antwortete dieser ganz im Geist der mazzinistischen Agitation gehaltenen Rede.

Tod Rossi! Tod dem Verräter! scholl es durch den Saal.

Der junge Schweizer-Offizier war aufgesprungen, seine Hand suchte den Griff der Waffe, seine Lippen öffneten sich, einen Schrei der Entrüstung und des Protestes hinein zu schleudern in diese fanatisierte Mörderbande, aber die Hand des Banditen drückte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zurück auf seinen Sitz.

»Wollen Sie sich und uns hundert Dolchen überliefern?« sagte der Mascherato streng. »Denken Sie an Ihr Wort, Signor, und seien Sie vernünftig. Wer die Gefahr kennt, kann sich vor ihr hüten, und deshalb führte ich Sie hierher. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Ruhe Ihres Begleiters!«

Die letzten Worte waren nicht ohne eine gewisse Ironie gesprochen. In der That bewies der geistliche Herr, der dieser sein weltliches und kirchliches Oberhaupt bedrohenden Versammlung beiwohnte, eine merkwürdige Ruhe und Gleichgültigkeit.

»Bei den sieben Wunden,« sagte er, sich zurücklehnend, »ich möchte wohl wissen, wer der Bursche ist, der so eifrig mit dem Präsidenten dieser höchst achtbaren Versammlung spricht. Seine Vermummung geht noch über die Ihre, Signor Mascherato.«

»Sie erraten den Präsidenten unter seiner Maske?«

» Cospetto – wer anders, als Sterbini! aber der andere?«

»Ich kenne ihn nicht, doch – nehmen Sie das Glas« – er reichte ihm einen Opergucker, »sehen Sie scharf nach seinen Füßen, hochwürdiger Herr, vielleicht finden Sie da einen Fingerzeig!«

»Bei der Madonna! unter dem verschobenen Mantel ein schwarzer Priesterrock.«

»So viel ich weiß,« sagte der Mascherato kalt, »tragen die ehrwürdigen Patres der Gesellschaft Jesu ganz ähnliche Gewänder. Honny soit, qui mal y pense, aber wir dürfen nichts übersehen. Jedenfalls scheint der Signor seinen Zweck erreicht zu haben, denn der Präsident rührt die Glocke.«

In der That gab der Vorsitzende an dem Tisch nach kurzer Beratung mit seinen Gefährten das Zeichen, und tiefes Schweigen trat in der Versammlung ein.

Die Mitglieder derselben hatten sämtlich das Parkett verlassen und sich um den Tisch dieses geheimen Tribunals des politischen Mordes gruppiert. Auf den Wink des Mascherato zogen sich die drei Zeugen in der Loge bis in ihren dunklen Hintergrund zurück, um desto sicherer unbemerkt zu bleiben.

Man hörte jetzt die tiefe Stimme des Präsidenten deutlich bis in die entferntesten Winkel des Saales:

»Söhne Roms, Brüder der italienischen Freiheit, es ist der Antrag gestellt, den Feind der römischen Freiheit, Pellegrino Rossi, zu verurteilen. Wie lautet Euer Beschluß?«

Ein einziges Wort, wie ein einziger Laut, hallte durch den Saal:

» Tod

»Wer für die Todesstrafe ist,« sagte der Präsident, »hebe seine rechte Hand auf!«

Wie durch einen gemeinsamen Willen warfen sich die Hände der Versammlung in die Höhe, nur Galetti war sitzen geblieben und spielte mit der Theaterklingel auf dem Tisch.

»Tod durch gemeinsamen Beschluß! bis auf eine Stimme,« entschied der Präsident. »Und wann?«

»Morgen, wenn der Verräter die Versammlung der Deputierten betritt,« schrie der Fürst von Canino. »Auf seinem Sitz selbst, ehe er sein Gift in die Ohren der Volksvertreter zu säen vermag.«

»Ich protestiere,« sagte mit Entschiedenheit der Präsident. »Die Deputiertenversammlung darf nicht durch das Schauspiel einer auch noch so gerechten Hinrichtung befleckt werden.«

»So mag er auf den Stufen der Cancellaria sterben!«

»So sei es. Aber welche Hand übernimmt die Vollstreckung?«

»Das Los möge entscheiden!«

Die Anwesenden wurden gezählt und man legte 74 Lose aus Papierzetteln in einen Hut. Auf einem einzigen derselben standen die Worte: »Gericht des Volkes,« die anderen waren leer.

Ein ruhiger Beobachter hätte aus der Schnelligkeit, mit der die Vorbereitungen erledigt waren, leicht erkennen müssen, daß diese selbst vorgesehen waren.

Als sie beendigt, trat jeder zu dem Tisch und zog einen Zettel.

Zehn waren leer, der elfte enthielt die verhängnisvollen Worte. Unter dem Ruf: Evviva Italia! Tod allen Feinden des Volkes! zeigte der Mann das verhängnisvolle Los.

Es war ein Mensch von etwa fünfundvierzig Jahren, von großer Gestalt, rotem Bart und wüstem Aussehen. Cicerucchio umarmte ihn und erklärte ihn für den neuen Brutus Roms. Alle drängten sich um ihn her, ihm die Hände zu drücken und ihre Ratschläge zu geben.

Dann erscholl die Klingel des Präsidenten und stellte aufs neue die Ruhe her.

»Es ist nicht genug, daß wir den Arm besitzen, wir müssen auch des Erfolges sicher sein. Hat jemand einen Vorschlag zu machen?«

»Wir alle kennen die Lokalität der Cancellaria,« sagte der ungeschlachte Volkstribun. »Ein Teil unserer Brüder muß sich auf dem Platz, ein anderer am Eingang selbst vor den Stufen aufstellen. Wenn der Aristokrat kommt und aus seinem Wagen steigt, drängen wir uns um ihn, und Brutus stößt ihn nieder!«

»Aber ich kenne ihn gar nicht,« meinte naiv der designierte Mörder. »Man muß mir ihn zeigen, damit ich mich nicht irre!«

»Ich werde Dir ein Zeichen geben, Bruder,« sagte einer der Verschworenen, ein alter Mann mit ausländischem Gesichtsschnitt und weißem Bart, »ich werde ihn mit dem Stock auf die linke Schulter schlagen.«

»Warum auf die linke?«

»Das wirst Du später sehen!«

»Welche Centurie der Guarda civica hat die Wache am Palast?«

»Die zweite Centurie der fünften Rioni,« erwiderte eine Stimme aus dem Kreise, »ich bürge für sie.«

»Das ist gut!«

»Es ist nicht genug,« sagte eine gedämpfte, aber dennoch scharfe Stimme.

Die Augen wandten sich nach dem Sprecher, es war der Verhüllte am Tisch, der vorhin mit dem Präsidenten gesprochen, und den der Vikar mit so großer Neugier betrachtet hatte.

Dieser schien von dem eigentümlichen Klang der Stimme merkwürdig berührt. » Santa Madre di Compostella!« murmelte er, »was bedeutet das? Sollte er ein doppeltes Spiel treiben?«

»Warum nicht, ehrwürdiger Herr,« sagte eben so leise der Bandit, dem die Worte nicht entgangen waren. »Behauptet man nicht dasselbe von ganz anderen Personen, zum Beispiel von Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal Antonelli?«

Der Vikar fuhr, wie von einer Schlange gebissen, noch einmal zurück und wandte zum zweitenmal unter der Verhüllung sein scharfes dunkles Auge auf den Banditen, der Mascherato aber schien nur Teilnahme für die Vorgänge auf der Bühne zu haben.

»Es ist der Befehl gegeben, daß eine Kompagnie der Karabiniere Spalier bis zum Eingang der Cancellaria bildet, man traut der Guarda civica nicht!«

»Welche Kompagnie wird die Wache beziehen?«

»Die zweite!«

»Dann ist der Graf ein toter Mann! Die Offiziere gehören zu den unseren, die Soldaten werden nicht erscheinen.«

»Aber,« warf eine Stimme ein, »wie nun, wenn der Verräter durch die Gerüchte, die bereits in Umlauf sind, gewarnt wird und die Deputierten-Versammlung nicht in Person eröffnet, oder auf einem anderen Wege sich in den Palast begiebt?«

»Wir werden überall Wachen aufstellen!«

»Das genügt nicht, der einzelne vermag nicht an ihn zu kommen, er würde den Schergen der Tyrannei verfallen!«

» Demonio! Das wäre allerdings ein Strich durch die Rechnung!«

Der Vermummte am Tisch hatte ein Blatt Papier beschrieben und überreichte es dem Präsidenten.

»Lassen Sie dies dem Grafen noch heute Nacht auf irgend eine Weise zugehen oder an die Thür seiner Wohnung heften, und ich bürge dafür, daß er auf unserem Wege kommen wird, ich kenne ihn!«

Es war der berüchtigte Brief, der den unglücklichen Stolz des Ministers bestärkte und ihn veranlaßte der Gefahr zu trotzen.

Der Vorsitzende las das Papier; es lautete:

»Ist es wahr, daß Graf Rossi sich von leeren Drohungen hat einschüchtern lassen und morgen nur unter dem Schutz der Bayonette oder auf geheimen Wegen es wagen wird, die Deputiertenkammer zu betreten? Der Mann der stolzen Worte ein persönlicher Feigling? Ihre Feinde triumphieren heute schon über die Nachricht, morgen wird ganz Rom über Sie lachen! Wer einen Staat retten will, sollte wenigstens den Mut haben, dem Pöbelgeschrei die Stirn zu zeigen.«

»Der Teufel oder ein Jesuit hat Ihnen das diktiert, Bürger,« sagte der Präsident, »aber ich glaube selbst, daß es seinen Zweck erfüllt, und es soll morgen früh in den Händen des Verräters sein. Bürger, die Sitzung ist aufgehoben; morgen um zehn Uhr möge jeder auf seinem Posten sein, der kein Feiger und kein Verräter an seinem Eide ist!«

»Halt! ich verlange das Wort!«

Die ungeschlachte Gestalt Ciceruacchios, der noch immer neben dem durch das Los bezeichneten Mörder und unfern der Coulisse stand, an welcher der verhüllte Gegenstand lehnte, hatte die Hand erhoben zum Zeichen, daß er sprechen wolle.

»Laßt Ciceruacchio reden – den Volkstribun! den Mann der Freiheit!«

»Brüder!« sagte der ehemalige Lohnkutscher, »wir wollen auch gewiß sein, daß der Stoß unseres Bruders trifft. Er muß uns zeigen, daß seine Hand fest und sein Auge sicher ist. Wir sind im Theater, es ist nicht mehr als billig, daß wir eine Probe halten!«

Die zum blutigen Fanatismus entflammte Menge klatschte ihm Beifall. » Brava! Die Generalprobe! Schafft eine Puppe herbei!«

»Thorheit,« schrie der Tribun, »was wollt Ihr mit einer ausgestopften Puppe? Woran lernen die Ärzte die Krankheiten des Körpers heilen?«

»An den Leichnamen!«

»So müssen auch wir an einem Leichnam die Krankheit des Staates heilen lernen! Hier!«

Er warf die Decke von dem verhüllten Gegenstand auf den Stufen an der Coulisse.

Der Kreis wich einen Augenblick in unwillkürlichem Schauder zurück, eine menschliche Gestalt in der Tracht der Gebirgsbewohner stand aufrecht vor ihnen, teils an die Coulisse festgebunden, teils durch Theaterstützen in der Stellung gehalten, als wolle sie eben die Stufen des fingierten Palastes ersteigen.

Die offenen starren Augen, der herabhängende Unterkiefer verkündeten, daß längst alles Leben entflohen, daß eine wirkliche Leiche vor ihnen stand.

Der Mascherato hatte sein Opernglas am Auge. » Diavolo! ich will nicht sein, wer ich bin, wenn das nicht Gianetto ist, den heute Abend der Schuß traf! Wie kommt der Leichnam hierher – was haben Sie mit dem Burschen gemacht, Signor Luogotenente?«

Der junge Offizier schauderte, sein scharfes Auge hatte gleichfalls in dem Leichnam den Verwundeten aus dem Cirkus, den Sterbenden vor dem Thor des Hospitals erkannt.

»Ich weiß nicht, Signor, er starb uns unter den Händen an der Thür des Hospitals; die Wärter versprachen, für seine Beerdigung zu sorgen.«

Der Vikar nahm weder an der Verwunderung noch an dem Gespräch teil. Seit die Stimme des Verhüllten an dem Tisch des leitenden Komitees Eindruck auf ihn gemacht, schien er in ernstes Nachsinnen versunken und kaum die schreckliche Scene aus der Bühne zu beachten.

» Brava, Ciceruacchio! Drauf, Brutus! mit einem Stotz! Tod dem Verräter!«

Es war, als ob die Menge sich einbilde, wirklich ihren Feind vor sich zu sehen, solcher Jubel begleitete den erwählten Mörder, als er mit einem Satze vorsprang und dem Leichnam seinen Dolch von der Seite in die Brust stieß.

Der Stoß war so heftig, daß der tote Körper mit samt seiner Stellage umfiel, zugleich mit ihm aber stürzte der Mörder, der den Widerstand und die Balance verloren, über den Leichnam her und wälzte sich mit ihm am Boden.

Der Anblick war abscheulich, aber nur das Furchtbare nahm ihm den Charakter des Lächerlichen.

In der That lachten einige Mitglieder der Versammlung, die meisten aber klatschten Beifall und schrieen: »Gut gemacht! Mögen alle Feinde der Freiheit wie dieser stürzen!« andere hoben den Leichnam auf und untersuchten die Wunde.

»Er hat genug! Mitten in die Seite! Er ist tot wie eine Ratte!«

»Ein Pfuscherstück!« sagte eine scharfe Stimme. Der Vermummte vom Tisch war näher getreten und öffnete die Kleider der Leiche; sein Finger wies kaltblütig auf die Wunde. »Wenn Graf Rossi morgen eine solche erhält, wird er, statt sofort, in acht Tagen die Deputiertenkammer mit einem Antrag auf Belagerungszustand eröffnen. Der Stoß ist an den Rippen abgeglitten und nicht einmal in die Brusthöhle gedrungen.«

Der Mörder hatte sich beschämt erhoben. »Zum Teufel, Signor, ich that, was ich konnte! Wenn Du's besser verstehst, zeige es mir!«

»Es ist immer ein unsicherer Stoß auf das Herz für einen bloßen Sonntagsjäger,« sagte mit Hohn der Verhüllte. »Für eine ungeübte Hand giebt es eine einzige Wunde, die unfehlbar tötet.«

»Welche? weisen Sie es mir!«

»Heben Sie den Körper wieder auf und lassen Sie uns ihn in dieselbe Stellung bringen wie vorhin.«

Nach einigen Augenblicken war dies geschehen.

»Jetzt, Bruder,« sagte der Verhüllte zu dem Alten mit dem weißen Bart, »geben Sie diesem Mann das Zeichen!«

Der Alte hob seinen Stock und schlug den Leichnam auf die linke Schulter.

»Der Graf,« fuhr der Verhüllte fort, indem er die That mit dem Wort verband und das Gesicht des Leichnams durch eine Berührung drehte, »wird unwillkürlich den Kopf nach der linken Seite wenden. Diesen Augenblick müssen Sie wahrnehmen. Der Hals ist dann auf der rechten Seite entblößt, die Pulsadern sind gespannt. Zeigen Sie mir Ihre Waffe!«

Der Mörder reichte ihm sein Stilett.

»Ich werde Ihnen eine andere geben, die geeigneter ist!« Er zog unter seinem Mantel ein breites, spanisches Messer hervor und reichte es ihm. »Diese Klinge wird sicherer ihren Zweck erfüllen. Treten Sie ruhig einen Schritt vor, bis an den Grafen heran, und stoßen Sie ihm hier unter dem Ohr« – er legte den Finger an die Stelle des Halses, wo die Haupt-Arterie ihre Lage hat – »von unten nach oben das Messer hinein; mit diesem Stoß tötet der Indianer der Pampas jedesmal seinen Feind so sicher, wie die Sonne im Osten aufgeht!«

Der Vikar im Hintergrund der Loge erhob sich. »Lassen Sie uns gehen, Signor, ich weiß jetzt, was ich wissen will.«

»Einen Augenblick, ehrwürdiger Herr, um unserer eigenen Sicherheit willen; unsere Entfernung in diesem Augenblick würde Verdacht erregen.«

Der Offizier saß auf seinem Stuhl, die Hände geballt, die Augen drohend auf die schreckliche Scene gerichtet.

Der Mörder war auf die rechte Seite des Leichnams getreten. Mit teuflischer Genauigkeit vollführte er den Stoß, das breite Messer durchschnitt von unten nach oben die Vene am Halse des Leichnams und drang tief in den Kopf ein.

Ein dunkelroter schmaler Streif zeigte sich um die Wunde, der Leichnam erzitterte von der Gewalt des Stoßes, aber er fiel nicht um, wie vorhin.

» Brava!« Der Verhüllte selbst stimmte in den Applaus für den Mörder ein. »Wenn Ihre Hand morgen nicht zittert, werden Sie Rom befreien! Auf Wiedersehen an den Stufen der Cancellaria!«

Als habe ein unsichtbarer Maschinist auf dies Signal gewartet, erloschen im Nu alle Flammen im Innern des Theaters und tiefe Finsternis erfüllte die Bühne und den Zuschauerraum.

Der Mascherato erfaßte die Hände seiner beiden Begleiter und zog sie auf den Korridor, der durch eine einzige matte Flamme erhellt war. Dunkle Gestalten drängten sich an ihnen und unter ihnen eilig vorüber, dem Ausgang zu. Die drei folgten schweigend dem Strom.

Als sie auf der Piazza della Pilotta sich wieder unter Gottes freiem und erfrischendem Himmel nach der Mordscene sahen, atmete unwillkürlich selbst der Mascherato auf.

Der Offizier wandte sich hastig zu ihm. »Signor Capitano,« sagte er in hoher Aufregung, »ich danke Ihnen, daß Sie mir Gelegenheit gegeben, dies entsetzliche Komplott zu entdecken und einen braven Mann zu retten. Leben Sie wohl, und wenn Richard Stämpfli von Staufenbach Ihnen je einen Dienst leisten kann, so wenden Sie sich an mich.«

»Wohin?«

»Zu meinem Oheim, ihn zu warnen, ihm die gräßliche Verschwörung zu entdecken und morgen mit meinen Vettern an seiner Seite zu sein.«

Der Vikar legte die Hand auf seinen Arm. Er hatte bisher nachdenkend geschwiegen, schien aber jetzt zu einem Entschlusse gekommen zu sein. »Einen Augenblick, Signor Luogotenente. Bedenken Sie, daß Sie im Dienst sind. Die Warnung an Ihren Oheim und die Verhütung des Unglücks übernehme ich. Ich danke Ihnen gleichfalls, Signor Mascherato, und bitte Sie jetzt, unser anderes Geschäft zu beenden.«

Der Capitano lud den Geistlichen mit einer Handbewegung ein, zur Seite zu treten. Sie waren wieder in dem Thorweg, in dem der Bandit mit den Verhüllungen auf sie gewartet, und legten diese ab.

Der Mascherato und der Vikar traten in den Porticus des Hauses, wo der Offizier sie weder sehen, noch hören konnte.

»Wollen Sie mir nun das Portefeuille aushändigen? Hier ist das Geld, Capitano,« sagte hastig der Vikar.

Ruggiero zog aus der Brusttasche ein Paket zusammengebundener Briefe und überreichte sie dem Geistlichen.

»Wie? warum nicht das Portefeuille? wie kommen Sie zu diesen Papieren?«

»Beruhigen Sie sich, ehrwürdiger Herr! Es sind gerade diejenigen, die Seine Eminenz der Herr Kardinal Antonelli um jeden Preis zurückzuerhalten wünscht. Ich habe unter meinen Leuten einen, der sich vortrefflich selbst auf die feinsten Schlösser versteht, und da das Portefeuille der Frau Herzogin außer den politischen Dokumenten auch Papiere von zarterem Interesse enthielt, so sah ich keine Notwendigkeit, das Ganze zu stehlen.«

»Wie? so wissen Sie, was diese Papiere enthalten?«

Der Mascherato verbeugte sich spöttisch. » Certamente! Wie hätte ich sie sonst auswählen können. Es ist die frühere Korrespondenz des Herrn Kardinals mit Admiral Settimo und dem Revolutions-Komitee in Neapel und Palermo, von der Indiskretion jener Staatenverbesserer der Nichte Seiner Heiligkeit sicher in die Hände gespielt, seit Seine Eminenz sich wieder der reaktionären Partei zugewendet. Die Papiere könnten allerdings sehr unangenehm kompromittierend für den Herrn Minister in den Augen nicht bloß des heiligen Vaters, sondern aller legitimen Souveräne Europas werden, da sie über die Anwendung gewisser Summen seltsamen Aufschluß geben.«

»Unglücklicher! Sie reden sich um Ihren Kopf!« Der Vikar hatte hastig die Papiere durchblättert und gezählt. »Es fehlt ein Brief, der wichtigste von allen!«

»Fürchten Sie nichts, ehrwürdiger Herr! Der Brief war dabei, aber ich habe mir erlaubt, ihn zurückzubehalten. Er ist hier! Die Frau Herzogin wird bis zum letzten Augenblick nicht einmal merken, daß diese Papiere ihr aus den Händen eskamotiert worden sind, so geschickt sind andere in den Umschlag praktiziert.«

»Geben Sie mir den Brief! Tausend Scudi dafür!«

»Ich bin ein Liebhaber von Autographen, ehrwürdiger Herr, und die Handschrift des Herrn Kardinals fehlt in meiner Sammlung!«

»Zweitausend, fünftausend Scudi! aber den Brief!«

»Auf Ehre! Sie lassen mich sehen, wie schlecht Ruggiero den Vorteil seiner sehr unheiligen Kongregation gewahrt hat! Doch ohne Scherz! Das Wort des Mascherato bürgt Ihnen dafür, daß der Brief in keine andere Hände kommt, aber Sie selbst haben mich darauf aufmerksam gemacht, daß er meinen Kopf sichert! Und somit Gott befohlen, ehrwürdiger Herr!«

Der Bandit verschwand mit einer spöttischen Verbeugung um die Säulen, der Vikar schien außer sich. »Signor Riccardo! her zu mir!«

Im nächsten Augenblick war der Offizier an seiner Seite. »Was befehlen Sie, Excellenza?«

»Wollen Sie es wagen, den nichtswürdigen Räuber zu verhaften?«

»Den Mascherato? wie? der so eben …«

»Ihn selbst – doch nein! es sind ihrer zwei! Man würde sie überwältigen. Ihre Pistolen – verstehen Sie ein Ziel zu treffen?«

»Ich schieße ein Fünffrankenstück aus den Fingern!«

Von dem Thorweg her erklangen Hufschläge, zwei dunkle Reitergestalten nahmen die Rosse zusammen.

»Er ist der erste – schießen Sie ihn herunter! das Kapitänspatent, wenn Sie ihn treffen!«

»Wen? – den Mascherato? – nimmermehr!«

Die Reiter waren dicht an ihnen.

»Feiger Thor! wenn ich befehle!« – Der Vikar riß stürmisch das Pistol aus der Hand des zögernden Soldaten, hob es und feuerte.

Der Mascherato lachte spöttisch auf. »Bemühen Euer Eminenz nicht alte Gewohnheiten, die Kugeln sind aus den Läufen gezogen! – Ihren Segen, Kardinal Antonelli, und kommen Sie glücklich ins Quirinal!«

Die Reiter galoppierten über den Platz die Straße hinauf nach der Fontana die Trevi. Der Priester schleuderte die nutzlose Waffe von sich, und mit einer gewaltsamen Anstrengung sich fassend, hüllte er sich in seinen Mantel und winkte seinem Gefährten.

»Begleiten Sie mich zum Quirinal, Signor, dann ist Ihr Dienst zu Ende!«


3. Ein Revolutionär auf dem Throne.

Pius IX., Johann Maria Graf von Mastai-Ferretti, folgte 1846 auf dem Stuhle des heiligen Petrus seinem Vorgänger Gregor XVI.

Dieser war ein Mann der starrsten orthodoxen Richtung in kirchlichen Dingen wie in der politischen Herrschaft gewesen, ein Freund der Jesuiten, die er in Frankreich und in der Schweiz beschützte, während er in Bayern die Benediktiner wieder einführte, ja in Sardinien sogar die Inquisition. Mit österreichischen und französischen Bajonetten und grausamer Härte waren die zahlreichen Aufstände im Kirchenstaat unterdrückt, unter dem Einfluß der Kardinäle Bernetti und Albani die Abstellungen der schreienden Mißbräuche verweigert und verschleppt worden, und selbst mit dem Auslande, mit Preußen in dem bekannten Streit wegen der gemischten Ehen und der Maßregeln gegen die Bischöfe Droste und Dunin, mit Portugal und Spanien wegen der Reformationen, mit Rußland wegen der Rückkehr von drei Millionen Unierter in den Schoß der griechisch-katholischen Kirche, mit der Schweiz wegen der Klosteraufhebungen, befand er sich in fortwährenden Zerwürfnissen.

Was Wunder, daß nach dieser Zeit grausamer und harter Erfahrungen der milde, wahrhaft fromme, aber schwankende und schwache Pius IX. von den Italienern mit Jubel begrüßt, daß der gute Wille zu bessernden Reformen als Bruch mit der Vergangenheit, als Mittel für die ausschweifendsten Wünsche und Ziele mit der leidenschaftlichen Überstürzung betrachtet wurde, die dem italienischen Volke eigen ist.

Es hätte einer festeren Hand, eines energischeren Charakters bedurft, um diese mit der Entwickelung der Zeit und der bürgerlichen Gesellschaft notwendigen Reformen allmählich und ohne Umsturz alles Bestehenden einzuführen.

Pius hatte in seiner Jugend keine schwere Schule der Erfahrung durchgemacht, das Schicksal hatte ihn immer begünstigt, und seine stete Beschäftigung mit dem Armenwesen hatte ihn wohl die Leiden des Volkes, nicht aber die gefährlichen Eigenschaften seiner Landsleute kennen gelehrt.

Sein erster Schritt war eine Amnestie, die Wahl einer liberalen Umgebung und das Versprechen gründlicher Reformen in der Verwaltung.

Der Jubel des römischen, ja des ganzen italienischen Volkes war unermeßlich, der Name Pius war der Feldruf des Liberalismus, die Losung der entfesselten Revolution! Mit dem Namen des Papstes wurde ein förmlicher revolutionärer Kultus getrieben, von den Alpenpässen bis zum Kap Passaro feierte der Canto di Pio nono die neue Zeit.

Der Bildung einer beratenden Staatskonsulta im April 1847 folgte die Errichtung der Guarda civica, der Bürgergarde, jenes Soldatenspielen des Volkes, das die Autorität der Waffen schwächt und die Willkür der Massen souverän macht, während es den Bürger demoralisiert.

Es giebt nichts Lächerlicheres und nichts Gefährlicheres als die Bürgergarden!

Der Nimbus der Tiara schwand unter dem kordialen und an und für sich so lobenswert humanen Verkehr des Papstes mit dem Volke.

Aus den Hoffnungen und Wünschen ehrlicher Reformfreunde wuchs das Drängen der Revolutionäre über Nacht empor, und die Wogen der Forderungen schlugen über dem Haupte des wohlwollenden und schüchternen Reformers zusammen, dem es an der Kraft und Entschlossenheit fehlte, sie wie der zur selben Zeit emportauchende politische Rivale zu dämmen und zu nützen.

Angeregt von seinem eigenen mißverstandenen Eifer loderte rings um ihn her die Revolution in lichten Flammen auf; während ihn noch gewissermaßen die Sympathie der Initiative schützte, brach der Kampf der streitenden Gewalten in den anderen italienischen Staaten los. Die revolutionäre Propaganda von London hatte, begünstigt durch die selbstsüchtige Politik und die Intriguen des Bonapartismus, jahrelang das Feuer des Hasses gegen die österreichische Herrschaft in Italien und die Bourbonischen Throne, diese Alliance dreier Jahrhunderte, geschürt.

Dem bewußten Drängen der Demokratie gegenüber mußten die unklaren Bestrebungen des Papstes bald dieser die Zügel überlassen. Die Rollen wechselten, nicht Pius IX. machte Reformen, sondern die republikanische Propaganda drängte sie ihm auf. Noch brauchte sie der Masse gegenüber das Schild seines Namens und des Namens der Kirche, aber die Macht war bereits in ihrer Hand und mit Schrecken erkannte der Papst die Gefahr.

Zu spät!

Das Statut vom 14. März, wie die römische Konstitution genannt wurde, war bereits keine freiwillige Reform des Papstes mehr, sondern ihm aufgedrungen; das liberale bürgerliche Ministerium Mamiani, das die bisherige klerikale Regierung ersetzte, war bereits ein Erzwungenes.

Den größten Einfluß auf den Papst übte der Kardinal Giacomo Antonelli.

Von dunkler, ja anrüchiger Herkunft, – er war, wie erwähnt, am 2. April 1806 in dem Banditennest Sonnino, an der neapolitanischen Grenze, geboren – aber von der Natur mit großen geistigen Fähigkeiten begabt, ward er bei der Zerstörung des Raubnestes gleichfalls aus seiner Heimat entfernt und trat nach verschiedenen, mehr interessanten, als moralisch sehr würdigen Abenteuern und Stellungen in Rom in das große Seminar, um der Verfolgung für eines dieser Abenteuer zu entgehen.

Gregor XVI. wurde auf ihn aufmerksam, erkannte in ihm ein schmiegsames und dennoch energisches Werkzeug seiner eigenen Pläne, zog den jungen Priester in seine Nähe und bestimmte ihn für die staatsmännische Laufbahn.

Antonelli wurde zum Prälaten erhoben, Delegat in verschiedenen Orten, 1841 schon Unterstaatssekretär in der Verwaltung des Innern und 1845 Großschatzmeister oder Finanzminister an des Kardinal Tosti Stelle.

Unter der Regierung Gregors ein eifriger Vertreter des geistlichen und weltlichen Despotismus, und deshalb von seinem Beschützer eben so geliebt, wie von der liberalen Partei gehaßt, hatte der Nachfolger Gregors kaum den päpstlichen Stuhl bestiegen und seine Absicht zu liberalen Reformen kund gegeben, als Antonelli ihr eifrigster Beförderer wurde. Er knüpfte mit der liberalen Partei sehr intime Verbindungen an, ja man behauptet, daß er mit Mazzini selbst in Unterhandlungen gestanden über die Vereinigung von ganz Italien unter der päpstlichen Fahne, und daß diese sich nur an den beiderseitigen Forderungen zerschlagen hätten.

Genug, der Einfluß, den seine Geschmeidigkeit auf den Papst gewonnen, steigerte sich bald zu einer wirklichen Herrschaft, die er jedoch mit dem Pater Vaures, dem Beichtvater des Papstes, teilen mußte.

Dieser Mann, dessen Name fast stets hinter den Coulissen geblieben ist, und der doch einen so bedeutenden Einfluß auf die Geschicke Italiens geübt hat, war im stillen der stete und eifrige Vertreter des Jesuitismus bei dem heiligen Vater, und seinem Einfluß auf das schwache und furchtsame Gemüt des Papstes ist die Reaktion zuzuschreiben, die Antonelli nur zu benutzen verstand.

Im Juni 1847 hatte dieser den Kardinalshut erhalten und war zuerst in den Ministerrat eingetreten, mit dem Pius seine politischen Reformen begonnen hatte. Das Widerstreben des Kardinal-Kollegiums wurde nicht ohne seinen Anteil durch die Februar-Revolten beseitigt, und auf sein Betreiben im März 1848 die Bildung des gemischten Ministeriums aus sechs bürgerlichen und drei geistlichen Mitgliedern durchgesetzt, in dem er die Präsidentschaft erhielt. Während der Papst am 14. März ein Staatsgrundgesetz, das Statut, erließ, schmeichelte sein Minister der nationalen Stimmung und schickte, ohne bestimmte Instruktion, die 10 000 Mann starke päpstliche Armee, unter den Generalen Durando und Ferrari, an die nördliche Grenze, wo das Korps zur Unterstützung der Piemontesen gegen die Österreicher in die Lombardei einrückte.

Aber hier trat der Wendepunkt der ehrgeizigen Politik des Kardinals ein.

Die Demokratie begann ihre Macht zu fühlen, ihre Führer strebten selbst das Ruder der Gewalt zu ergreifen, man warf das Werkzeug zur Seite, und der Kardinal begriff, daß er eben nur dieses und nicht der Leiter der liberalen Partei gewesen, ja, daß man nur auf die Gelegenheit warte, sich seiner zu entledigen.

Er ließ es daher zu, daß der Einfluß der österreichischen Partei, die so geschickt und konsequent von dem Pater Vaures vertreten wurde, bei dem Papst wieder Fuß gewann, billigte die Kapitulation der römischen Truppen zu Vicenza am 16. Juni 1848 und das öffentliche Verdammungsurteil des Papstes über den Krieg gegen Österreich und die Beteuerung, daß er die Truppen nicht zur Bekämpfung Österreichs abgesandt habe.

Aber obschon der Kardinal sich sehr vorsichtig bei diesem Schritt im Hintergrund gehalten, war der Unwille des römischen Volkes bei diesem Abfall von der nationalen Sache doch so drohend, daß Antonelli mit seinen Kollegen freiwillig das Feld räumte und dem liberalen Ministerium Mamiani Platz machte.

Von diesem Augenblick an begann der Kardinal sein Spiel im stillen, und ohne entschieden mit der liberalen Partei zu brechen oder zu der österreichischen überzugehen, wußte er doch eine Menge Ereignisse zu benutzen oder herbeizuführen, um der neuen Regierung zahlreiche Verlegenheiten zu bereiten.

Das Ministerium Mamiani, gedrängt von den Mazzinisten und den ausschweifenden Forderungen der Führer der Revolution, beschränkt von dem durch Vaures und Antonelli angespornten Widerstand des Papstes, vermochte sich nicht zu halten. Es fiel, verdächtigt von den Liberalen und gehaßt von der päpstlichen Partei, und die Österreicher rückten in Bologna ein.

Nach dem eben so haltlosen Ministerium Fabbri hatte der Kardinal, der wohl begriff, daß seine Zeit noch nicht gekommen, den Grafen Rossi, als den geeigneten Mann für das Ministerium, vorgeschlagen. Pellegrino Rossi, aus Carrara gebürtig, seit 1816 als politischer Flüchtling in Genf und Frankreich lebend, war durch das besondere Vertrauen des Bürgerkönigs vom Professor der Rechte zum Staatsmann gemacht und durch den Grafentitel ausgezeichnet worden, und hatte als Gesandter in Rom in der Jesuitenfrage der französischen Regierung den Sieg errungen. Der Graf war deshalb bei den Jesuiten verhaßt, aber trotzdem keineswegs bei den Radikalen beliebt, da er sich offen gegen ihr Treiben erklärte und vor allem die Autorität des Papstes geschützt wissen wollte.

Diesen Mann, energisch und furchtlos bis zur Tollkühnheit, ehrlich, aber barsch und rauh, und deshalb unbeliebt, hatte der Kardinal ausersehen, um den Republikanern und der österreichischen Partei in gleicher Weise die Spitze zu bieten und die Herrschaft des päpstlichen Stuhls wieder herzustellen, unter der er selbst ohne Gefahr die Leitung wieder übernehmen könne.

Die ehrliche, energische Natur Rossis drohte aber, es wie der Ehrgeiz der Republikaner zu machen, und hatte bereits in mehreren Dingen die Unterordnung unter die Pläne und die Leitung des Kardinals verweigert.

Es standen demnach in diesem Augenblick vier Parteien in Rom im offenen oder geheimen Kampf einander gegenüber:

Die Radikalen und Mazzinisten, welche die Aufgebung der weltlichen Herrschaft des Papstes, die Vertreibung der Österreicher und die Vereinigung von ganz Italien zu einer Republik oder mindestens zu einem konstitutionellen Staat in der lenkbaren Hand Carlo Albertos wollten; die österreichische oder päpstliche Partei, welche die Unterdrückung der Revolution mit Gewalt, die Sicherung der bourbonischen Throne in Italien und die Souveränität des Papstes unter österreichischem Schutz verlangte;

das Ministerium Rossi, gewillt, sich auf das Bürgertum und eine konstitutionelle Verfassung zu stützen, ehrlich, aber beiden extremen Parteien verhaßt;

der Kardinal Antonelli mit seinen Geschöpfen, bereit, von jeder Schwankung der Ereignisse Nutzen zu ziehen, mißtrauend den Liberalen, die ihn durchschaut, voll Besorgnis vor den Konservativen, die er verlassen, aber ohne Prinzip, als das des Grolls über die getäuschten Erwartungen.


Es war Mittag elf Uhr; die Straßen von Rom waren gefüllt nicht bloß mit jenem öffentlichen Leben, das in Italien eine so große Rolle spielt, sondern mit dem unheimlichen Wogen der politischen Erregung.

Als der Kardinal Antonelli aus den Gemächern trat, die er im Quirinal bewohnte, fand er im Vorgemach die hagere, braune Gestalt des Abbé Corpasini seiner harren.

Der Kardinal warf einen scharfen, prüfenden Blick auf seinen seitherigen Vertrauten und Unterhändler, aber das schlaffe verschlossene Gesicht blieb selbst für den feinen Beobachter unverändert, und mit seiner gewöhnlichen ruhigen Unterwürfigkeit und Demut näherte der Pater sich seinem hohen Vorgesetzten.

»Gott und die Heiligen mögen den Weg Eurer Eminenz segnen,« sagte der Jesuit. »Ich erwartete Euer Eminenz, um zu fragen, ob Sie mir vielleicht noch einen Befehl zu erteilen haben.«

»Begleiten Sie mich, Pater Antonio.« Er schritt ihm voran durch eine Zimmerreihe und den Korridor, der die Gemächer seiner Heiligkeit des Papstes auf der Seite nach den Gärten zu begrenzte, wo hinaus auch das Gemach liegt, in dem der Papst gewöhnlich Damen Audienz erteilt.

An dem letzten Fenster des Korridors, vor dem Zugang in die Vorgemächer, an dem zwei Wachen standen, blieb der Kardinal stehen und winkte dem Priester-Sekretär, zu ihm in die breite Nische zu treten, von der aus sie einen der innern Höfe des Quirinals übersehen konnten und vor den Beobachtungen der Personen, die sich im Korridor aufhielten, geschützt waren.

Zwei Wagen standen im Hof, der Kardinal erkannte an den Livreen der Lakaien die Equipagen des spanischen Gesandten Martinez de la Rosa und des bayrischen Grafen Sparr.

»Wer ist bei Seiner Heiligkeit?«

»Seine Excellenz der Herr Ambassadeur Ihrer Allerkatholischsten Majestät.«

»Und die anderen Mitglieder der geheimen Consulta?«

»Sie sind versammelt bis auf den Minister-Präsidenten und Kardinal Righetti.«

»Weswegen hat man diesen Salon zur Konferenz gewählt?«

»Euer Eminenz wissen vielleicht schon, daß die Frau Herzogin von Ricasoli gestern Abend von Neapel hier eingetroffen ist. Der heilige Vater soll wahrscheinlich seine Nichte nach der Konferenz empfangen. Man sagt, daß der Herzog, ihr Gemahl, auf der Appischen Straße von Banditen festgehalten oder verwundet worden sei.«

»Der gestrige Abend scheint reich an Abenteuern gewesen zu sein. Ich ließ Sie vergeblich suchen, Pater Antonio.«

Der Jesuit verbeugte sich. »Ich erlaube mir, daran zu erinnern, daß Euer Eminenz um die Stunde des Ave mir sagten, daß Sie meiner nicht weiter bedürften. Ich habe meine Zeit den Angelegenheiten des Kollegiums gewidmet.«

Ein leichter Zug von Spott flog über die markierten Züge des Kardinals bei dieser echt jesuitischen Antwort.

»Man sagt mir, daß Sie zu Ihren vielen Pflichten auch noch die Erziehung eines Knaben sich aufgeladen, den Sie aus der Propaganda zurückgenommen und dessen Talente Sie selbst zu einer künftigen Stütze der Kirche ausbilden wollen.«

Der Jesuit konnte sich nicht enthalten, auf den Kirchenfürsten einen kurzen beobachtenden Blick zu werfen. Diese Beschäftigung mit einer so unwesentlichen Sache in diesem Augenblick war ihm ein Rätsel.

»Der Knabe, ein Verwandter von mir,« sagte er, »war nur während der Zeit, daß ich mich in Mexiko und auf Reisen befand, in dem Kollegium, aus dem schon so Großes für unsere heilige Kirche hervorgegangen.«

»Richtig – Sie waren drei Jahre in Amerika! Ich habe die Station vergessen! Lebten Sie nicht an der Grenze des indianischen Gebiets?«

»Zwei Jahre in San Dolores am Colorado, im Gebiet der Comanchen, ehe ich nach Philadelphia und der Havanna versetzt wurde.«

»Da müssen Sie manches von den Kunstgriffen im Waffengebrauch der Wilden gelernt haben und mir einmal bei Gelegenheit erzählen, wie sie sich darin von unseren Italienern unterscheiden,« sagte der Kardinal.

Ein Blitz des Erstaunens flog über das schlaffe Gesicht des Jesuiten, aber im nächsten Augenblick war er wieder Herr seiner Züge.

»Ein Bote des Friedens wird Euer Eminenz nur schwer über solche Dinge Auskunft geben können!«

»O nicht doch, Pater Antonio; ein Mann von Geist, und der sind Sie, beobachtet auch das Geringste. Wär' ich ein Engländer, wie Lord Minto, der Protektor aller römischen Revolutionäre, oder sein Freund, der Marquis von Heresford, ich würde eine ansehnliche Summe darauf wetten, daß Sie wissen, wie Ihre alten Freunde, die Comanchen, das Messer führen, um mit einem Stoß einen Menschen zu töten.«

»Ich bin allerdings leider Zeuge von Scenen gewesen,« sagte der Jesuit kaltblütig, »in denen das Opfer eines Lebens unvermeidlich war.«

»So meinte ich es; ah, da kommt der Graf! Endlich!« Er wandte sich, dem am Ende des Korridors eintretenden Premierminister entgegen zu gehen. »Noch eins, Pater Antonio! Sie müssen Ihren jungen Verwandten für eine Zeit wieder in dem Kollegium unterzubringen suchen. Sie haben die Verhandlungen in Paris so vortrefflich geleitet, daß ich keinen andern mit einer wichtigen Mission beauftragen möchte, die eben vorliegt und die Ihre rasche Abreise erfordern wird.«

Der Jesuit zuckte trotz seiner Selbstbeherrschung zusammen. Aber nur die erste Überraschung veranlaßte ihn, das Gesetz des blinden Gehorsams zu vergessen, indem er sprach: »Darf ich Euer Eminenz fragen, wohin?«

»Sie sind zum erstenmal neugierig, Signor Secretario,« sagte der Minister, »aber ich will ausnahmsweise Ihre Wißbegier befriedigen. Sie werden sich nach Galizien und Polen begeben.«

Er schritt dem Grafen entgegen, vor dem sich die in der Galerie anwesenden Personen achtungsvoll verneigten.

Der Graf trug ein Portefeuille in der Hand. Er war schwarz gekleidet, jede seiner Bewegungen kurz und energisch, und das graue etwas krause Haar – der Graf zählte 61 Jahre – umrahmte eine breite, von Kraft, Verstand und Wohlwollen zeugende Stirn. Dennoch war sein Wesen gewöhnlich bis zum Beleidigenden rauh und brüsk.

Er war nicht allein eingetreten, der junge Schweizer-Offizier, sein Verwandter, ging neben ihm, oder vielmehr einen Schritt zurück, ihm zur Seite und sprach eifrig mit leiser Stimme in ihn hinein. Der Minister aber schien nur wenig darauf zu achten, sein Blick eilte dem Kardinal entgegen.

»Unsinn, Richard,« sagte er endlich unwillig. »Du bist noch zu kurze Zeit hier, um zu begreifen, daß diese Meute bellt, aber niemals beißt! Geh' auf Deinen Posten und überlasse es mir, für mich zu sorgen!«

»Ich beschwöre Sie, Oheim, ich weiß gewiß, daß man Sie ermorden will! Man hat sich dazu verschworen!«

Der Minister blieb stehen. »Wer? Siehst Du wohl,« fuhr er fort, als der junge Offizier schwieg, »vage Gerüchte! Zum Henker mit dem Unsinn! Wenn Dein Kapitän Dir eine Schanze zu stürmen befiehlt, die mit Kanonen gespickt ist, würdest Du Dich einen Augenblick besinnen, dagegen zu marschieren? Nun wohl, die Cancellaria ist meine Schanze! Der Minister ist auch ein Soldat, der seinen Posten hat und sich keine Feigheit zu Schulden kommen lassen darf.«

Der Leutnant wandte sich an den ihnen entgegen kommenden Kardinal. »Ich flehe Euer Eminenz an, mir den Herrn Grafen bewegen zu helfen, daß er heute den Quirinal nicht verläßt. Euer Eminenz wissen, daß ihm die höchste Gefahr droht!«

»Ich habe Seine Excellenz bereits heute Morgen schriftlich gewarnt und auf das allgemein verbreitete Gerücht des Ausbruchs einer neuen Revolte aufmerksam gemacht.«

Der Schweizer sah ihn mit Erstaunen an.

»Es war der fünfte Warnungsbrief, den ich bekam, Eminenz,« sagte lachend der Premierminister, während er mit dem Kardinal weiter schritt. »Aber eben, weil ganz Rom es sagt, daß man mir mit Dolchstichen droht, fürchte ich sie nicht! Überdies ist es Zeit, daß man der Schlange den Kopf zertritt, man hat zu lange gezeigt, daß man sie fürchtete. Ich werde Herrn Sterbini vom Ministertisch aus diese Warnungsbriefe vorlesen, um ihm zu zeigen, was ich von seinen Freunden in den Klubs halte, und morgen diese sogenannten Tribunen in die Engelsburg schicken!«

»Es wäre vorsichtiger gewesen, das heute zu thun!« sagte der Kardinal ruhig.

»Ah bah! meine heutige Erklärung in der Deputiertenkammer wird genügen, sie ruhig zu halten! Und nun auf Deinen Posten, Richard!«

»Meine Wache ist in einer Stunde zu Ende, Oheim, lassen Sie mich wenigstens Sie nach dem Palast begleiten!«

Der Minister stampfte unwillig mit dem Fuß. »Soll ich Dir Stubenarrest geben, wie den beiden ungehorsamen Burschen, Deinen Vettern? Auf Ihre Wache, Signor Luogotenente, und daß Sie Ihr Kommando selbst nach den Quartieren zurückführen, bei meiner Ungnade!«

Die beiden Schweizer am Eingang des Vorsaals präsentierten, der Majordomus öffnete die Flügelthür, und der Premierminister lud mit einer kurzen Handbewegung den Kirchenfürsten ein, voranzugehen. Der bittende, dringende Blick des jungen Offiziers wurde mit einem flüchtigen Kopfnicken des Kardinals erwidert, dann schloß sich die Thür vor ihm.

Während sie durch das mit Priestern, Kammerherren und der höheren Dienerschaft des Palastes gefüllte erste Vorzimmer gingen und der Kardinal den ehrerbietig Grüßenden seinen Segen erteilte, wandte sich der Minister zu ihm.

»Eminenz,« sagte er leise, aber mit der barschen Ehrlichkeit, die ihm eigen, »unsere Ansichten sind seit der französischen Affaire zwar viel auseinander gegangen, aber ich halte es für Pflicht, Ihnen für Ihre Warnung eine andere zu geben, die vielleicht begründeter ist.«

Der Kardinal sah ihn lächelnd an. »Was meinen Excellenza damit?«

»Ich glaube, man will Ihnen heute bei Seiner Heiligkeit einen schlimmen Streich spielen, die Partei, die wir beide bekämpften – wenigstens bis jetzt. Ich weiß nichts näheres, aber ich vermute es! Pardieu! der klügste Staatsmann, wenn auch vielleicht nicht der ehrlichste, ist der, welcher mit der Notwendigkeit geht und die Stützen sucht, wo er sie findet!«

»Ich danke Euer Excellenz für die Maxime,« sagte der Kardinal mit leichtem Lächeln, »und werde sie benutzen. Im übrigen seien Sie unbesorgt. Wollten Sie nur meinem Vorschlag mit Frankreich nachgeben, so wären wir beide sicher.«

Ehe der Minister antworten konnte, öffneten zwei Huissiers die schweren Thüren, und sie traten in das Gemach vor dem Konferenzsaal, in dem sich nur zwei Kammerherren und der oberste Hausbeamte des Papstes befanden. Dieser öffnete sofort die gegenüber liegende Thür.

»Die Signori werden bereits erwartet!«

Der Kardinal schob den schweren Vorhang zurück und trat in das Gemach.

Es war das Zimmer neben dem Saal der Konsistorien, in dem das berühmte Gemälde Van Dyks, das »Martyrium der Maccabäer,« Caraccis »Madonna« und »David und Saul« von Guercino bewahrt werden.

Der Geheime Rat war bereits versammelt, und Seine Heiligkeit der Papst Pius saß auf einem erhöhten Lehnsessel am Ende eines ovalen Tisches, der eine prächtige Platte von dunklem spanischen Marmor trug.

Der heilige Vater, ein Mann von sechsundfünfzig Jahren, von hoher Gestalt und mit klugen, milden, nicht gerade energischen Zügen, trug die halbe Ceremonieen-Kleidung, die Sottana von weißer Wolle mit dem violetten pelerinenartigen Kragen, dem Käppchen und den Pantoffeln. Nur der prächtige Diamantring an seinem rechten Daumen mit dem eingeschnittenen Symbol der päpstlichen Krone, und ein Rosenkranz von Elfenbein und Ebenholz schmückten ihn.

An der Rückwand des päpstlichen Stuhles lehnte der Pater Vaures, der von allen Parteien ebenso gefürchtete wie gesuchte Beichtvater des Papstes. Zur Linken und Rechten des Papstes waren zwei Stühle leer, für den Ministerpräsidenten und den Großschatzmeister bestimmt.

Der Pater, der zuerst selbst für die Wahl des Grafen gewirkt und ihn zur Annahme des schwierigen Postens bewogen hatte, um mit dieser trotzigen und kräftigen Natur seine Pläne durchzusetzen, war seitdem im stillen sein Feind, namentlich, seit der Graf sich offen dafür ausgesprochen hatte, die vom Volk geforderte und bereits bewilligte Maßregel der Verbannung der Jesuiten auch zur Ausführung zu bringen.

In Wahrheit war die wirkliche und einzige Stütze des Premierministers der Papst selbst, der ihn hochschätzte und wirklich liebte und seine schwanken Ansichten über die dem Volk zu gewährenden Freiheiten in dem kräftigen Charakter des Grafen vertreten und zugleich begrenzt sah.

Außer den Genannten waren nur der Botschafts-Sekretär des Papstes, der Prälat Graf v. Merode, der Sekretär Carboli, der Vize-Kämmerer Monsignore Matteucci, zwei andere Kardinäle, Ciachi und Soglia, und der bayrische und spanische Gesandte anwesend.

Es handelte sich demnach keineswegs um eine Beratung im Staatsrat oder Ministerrat, sondern nur um eine Besprechung im Kreise der Vertrautesten des heiligen Vaters.

»Sie kommen spät, mein Sohn,« sprach der Papst, indem er dem Minister die Hand zum Kuß reichte, »aber ich weiß, daß Sie mit dem Wohl der heiligen Kirche beschäftigt waren.«

»Darum sind die Augenblicke kostbar,« sagte der Graf kurz, ohne sich zu entschuldigen. »Gestatten Eure Heiligkeit, daß wir sofort zu dem Geschäft übergehen, das mir den Ruf hierher verschafft hat, nachdem die Beschlüsse des Ministerrats über die Eröffnung der Kammer bereits die Genehmigung Eurer Heiligkeit erlangt haben. Ich möchte die Herren in der Cancellaria um keinen Preis auch nur einen Augenblick warten lassen.«

Der Papst rückte ziemlich unruhig auf seinem Sessel. »Ich kann nicht leugnen,« sagte er endlich, »daß mein Geist tief beschwert wird durch die Frage, ob wir zum besten der heiligen Kirche handeln, und verständige und weise Männer, treue Freunde des Glaubens, haben neue Zweifel in meiner Seele erregt, die selbst das Gebet nicht zu lösen vermochte. Gott und die Heiligen wissen es, wie gern ich mein Leben für das Wohl dieses undankbaren Volkes hingeben würde!«

»Es ist das Werk des Satans, der die Gemüter verstockt und die Sinne verwirrt,« ließ sich salbungsvoll der Pater vernehmen. »Die Blinden müssen geleitet, und die Widerspenstigen gezüchtigt werden.«

Der Minister zuckte ungeduldig die Achseln. »Mit Phrasen, ehrwürdiger Herr, können wir den Forderungen der Zeit nicht begegnen. Seine Heiligkeit haben dem Volke notwendige Reformen gewährt, und es ist unsere Sache, das rechte Maß festzuhalten. Wer A gesagt, muß B sagen, das ist auch das ABC der Politik. Ich bitte, mich in Kenntnis zu setzen, welche neuen Bedenken gegen das Programm entstanden sind, mit dem ich vor die Kammer treten werde.«

Der Papst legte begütigend die Hand auf den Arm des Unwilligen. »Nicht so hastig, lieber Graf, ich kenne Ihren Eifer für die Sache der Kirche und für meine Person, aber bedenken Sie, daß diese Herren von gleicher Treue beseelt sind und nur die Ansichten über die Wege auseinander gehen. Geben Sie uns noch einmal einen kurzen Überblick über das, was Sie dieser verirrten Herde bieten wollen.«

Der Minister-Präsident nahm mit finsterer Miene einige Papiere aus seinem Portefeuille und warf dem Großschatzmeister einen auffordernden Blick zu, ihn zu unterstützen; der Kardinal jedoch hielt den seinen unverändert auf den Tisch gesenkt und spielt mit einer vor ihm liegenden Feder.

»Der Ministerrat Eurer Heiligkeit hat beschlossen, das Statut vom 14. März als zu Recht bestehend anzuerkennen und nur die durch die Erfahrung nötigen Änderungen der Deputiertenkammer vorzulegen. Diese bestehen in einem verbesserten Wahlgesetz nach dem Steuercensus, einem Gesetz gegen den Mißbrauch der Presse und einer Beschränkung des politischen Klubs.«

»Das sind Maßregeln, die man nur mit Vergnügen begrüßen kann,« sagte der Graf Merode, »aber diese zügellose Menge wird sie als einen Eingriff in ihre sogenannten Rechte betrachten.«

»Keine Freiheit besteht ohne Gesetz. Wenn die Regierung dem Volk beweist, daß sie es redlich mit dem Wohl und der Größe des Vaterlandes meint, wird man ihrer Strenge auch Vertrauen zeigen. Das Ministerium wird erklären, daß die Verbannung der Jesuiten aus den römischen Staaten sofort ausgeführt werden soll, und daß Seine Heiligkeit einer Konföderation der italienischen Staaten gegen das Ausland beitritt.«

»Das soll heißen gegen Österreich,« sagte der bayerische Gesandte.

»Gegen Österreich, Excellenza, wie gegen jede andere Beeinflussung. Es ist Zeit, daß Italien sich aus der unwürdigen Bevormundung befreit, und wenn Seine Heiligkeit sich an die Spitze dieser Konföderation stellt, so zweifle ich nicht, daß der Augenblick des Erfolges gekommen ist.«

»In Turin will man keine Konföderation mit Neapel.«

»Man wird sich anders besinnen, wenn man sieht, daß es dem König Ferdinand Ernst ist mit der Konstitution.«

Ein spöttisches Lächeln flog bei dem naiven Vertrauen des ehrlichen Staatsmanns über die Gesichter mehrerer der Anwesenden.

»Seine Excellenz,« sagte der Pater Vaures mit leiser durchdringender Stimme, »scheint allzusehr die Erfolge seines Ministeriums auf die Ungerechtigkeit gegen andere zu bauen. Der Orden Jesu ist von jeher eine treue und feste Stütze der heiligen Kirche gewesen, und seine Rechte im Staat sind wohl erworbene. Sie ihm zu nehmen, wäre ein Sakrilegium. Das Haus Österreich hat sich nicht minder stets als eine Vormauer des heiligen Stuhls gegen die Revolution erwiesen und treuer, als jede andere weltliche Macht.«

»Aber der Name Österreich ist verhaßt in ganz Italien, eine Verbindung mit Österreich heißt das Preisgeben jeder Popularität. Das Mißtrauen ist durch die Kapitulation des General Durando bereits aufs höchste gestiegen.«

»Ich will keinen Krieg gegen Österreich,« sagte der Papst heftig, »Sie kennen meine Gesinnungen in dieser Beziehung, Graf.«

»Ich verwahre mich vorläufig nur gegen ein Bündnis mit Österreich,« entgegnete der Minister fest. »Eure Heiligkeit mögen bedenken, daß Sie nicht bloß das Oberhaupt der Christenheit, sondern zum Wohle der Kirche auch ein weltlicher Herrscher sind und diesem Lande eine Zukunft schulden.«

Der Papst senkte trübe den Kopf. »Diese undankbaren Römer verkennen meinen besten Willen. Selbst Sie, lieber Graf, bezeichnet man als einen Feind der Freiheit, und ich muß Sie warnen, denn es sollen gefährliche Drohungen gegen Sie ausgestoßen sein.«

Der Minister lächelte verächtlich. »Überlassen Eure Heiligkeit das mir, und kommen wir zu einer letzten Entscheidung, ob Eure Heiligkeit in betreff dieser Vorlagen im letzten Augenblick Ihren Willen geändert haben?«

Der Papst sah befangen hin und her, gleich als suche er Beistand; Graf Merode kam dem heiligen Vater zu Hilfe.

»Wir bitten Euer Excellenz, uns wissen zu lassen, was geschehen wird, wenn die Verbannung der Jesuiten und die Aussicht auf ein italienisches Bündnis nicht ausreichen, die Gefahr zu beseitigen, wenn unsere Feinde, was wahrscheinlich ist, diese notwendigen Gesetze verwerfen, auf neuen Konzessionen bestehen und mit Gewalt drohen?«

»So erkläre ich Rom morgen in Belagerungszustand und schließe mit Waffengewalt die Klubs.«

»Wir sind damit einverstanden, und es stände besser, wenn dieses Mittel längst gebraucht worden wäre. Aber, um die Gewalt aufrecht zu erhalten, muß man sie haben. Wir bedürfen dazu fremder Truppen.«

Der bayerische Gesandte nahm einen Brief aus der Brusttasche. »Ich bin ermächtigt. Ihnen anzubieten, Signor Conte, daß in fünf Tagen zehntausend Österreicher hier sein sollen.«

»General Favare,« sagte der spanische Gesandte, »steht mit siebentausend Mann an der Grenze. Ich weiß, daß König Ferdinand nur der Notwendigkeit gewichen ist, und daß eine gewaltige Reaktion sich im Volke und im Heer geltend macht. Reichen die neapolitanischen Truppen nicht aus, so ist Ihre Majestät meine allergnädigste Königin bereit, die fünf Regimenter, welche bei Barcelona versammelt sind, sofort nach Civitavecchia einschiffen zu lassen.«

Der Minister sah staunend von einem zum andern. » Pardieu,« sagte er endlich rauh, »das ist ja eine vollständige Kombination! Die Österreicher nach Rom rufen, wäre die vollständige Reaktion und hieße mit jeder gerechten Erwartung des Volkes brechen. Spanische und neapolitanische Bajonette wären kaum weniger gefährlich. Ich will Wiederherstellung der Ordnung und Befestigung der Souveränität Seiner Heiligkeit, aber keine fremde Unterdrückung und Tyrannei. Ich verlasse mich auf unsere eigenen Regimenter und die Nationalgarde, und genügen diese nicht, so muß ich erklären, daß der König von Sardinien unser Verbündeter ist und das erste Recht hat, uns zu unterstützen. Nur in einem ehrlichen Anschluß an das Kabinett von Turin ist eine Entwickelung und Sicherung der Staaten Seiner Heiligkeit denkbar, und unter dieser Aussicht habe ich das Portefeuille übernommen.«

Graf Spaur wandte sich an den Papst. »Eure Heiligkeit wissen, daß ich Vollmachten habe. Die Benutzung sardinischer Truppen zur Wiederherstellung der Ruhe in den römischen Staaten würde Österreich als den feindlichsten Schritt betrachten, den der heilige Stuhl begehen kann. Man wähne ja nicht, daß die Macht Österreichs gebrochen ist durch die Rebellion in Wien. Sie ist besiegt, der Kaiser übt in diesem Augenblick ein strenges Gericht gegen die Treulosen, und die Zeit ist nahe, wo auch in Italien ein solches folgen wird.«

Der Papst wandte sich zum Kardinal Antonelli. »Ich bin wirklich in einer schlimmen Lage; Gott möge uns erleuchten. Was meinen Euer Eminenz?«

»Der Herr Kardinal,« erklärte der Minister, ehe dieser noch zu antworten vermochte, »ist, so viel ich sehe, außer mir das einzige wirkliche Mitglied des Ministerrats in dieser Versammlung. Ich fordere ihn als solches auf, seine im Ministerrat kund gegebene Meinung auch hier zu wiederholen.«

Der Kardinal fühlte, daß der Augenblick des Kampfes für ihn gekommen. Er hob langsam die Augen, und, als wäre niemand anders zugegen, richtete er sie auf den Papst.

»Ich stimme in Beziehung auf die auswärtige Politik auch jetzt noch für den Anschluß an Frankreich. Eure Heiligkeit wissen, daß, wie auch die Chancen in jenem Lande sich gestalten mögen, wir auf seine Unterstützung rechnen können. Seine Hoheit der Herzog von Harcourt, der Gesandte Frankreichs, den ich schmerzlich in diesem Rat vermisse, ist ein treuer Freund des päpstlicher! Stuhls. Der Schutz einer so bedeutenden Macht wird allein hinreichen, uns nach jeder anderen Seite hin zu bewahren.«

»Euer Eminenz vergessen,« unterbrach ihn ungestüm der Graf, »daß die Erfahrungen des päpstlichen Stuhls gerade keine besondere Empfehlung für das französische Bündnis abgeben.«

»Die Verhältnisse stehen jetzt anders. Wir haben das Pfand von Rimini und Spoleto.«

Den Vertrauten des heiligen Vaters konnte diese so einfache Anspielung nicht unklar bleiben. Als Erzbischof von Spoleto war es Pius gewesen, der nach dem Putsch und der schmählichen Niederlage von Rimini den Prinzen Louis Napoleon aus den Händen der Österreicher gerettet und ihm die Mittel zur Flucht nach der Schweiz verschafft hatte.

»Ich glaube, Euer Eminenz rechnen zu zeitig,« sagte der Minister, »das Resultat der französischen Präsidentenwahl ist sehr ungewiß. Überdies hat von dem Egoismus eines Bonaparte noch kein Mensch Dankbarkeit erfahren. Die Franzosen nach Rom zu rufen, hieße Italien unter ärgere Bajonett-Herrschaft bringen, als je die Österreicher geübt. Denken Sie an 1798 und 1809. Die Wegführung des Papstes Pius VII. nach Frankreich. Mit dem ersten französischen Regiment, das den römischen Boden betritt, ist die Souveränität des heiligen Vaters verloren und Seine Heiligkeit ein Spiel französischer Intriguen. Ich hoffe es nicht zu erleben, aber denken Sie an mich, wenn eine so traurige Zeit kommen sollte! Ich verdanke Frankreich vieles, aber ich bin ein Sohn der italienischen Erde. So lange mir dieses Portefeuille anvertraut ist, werde ich gegen die Einmischung Frankreichs stimmen!«

»Das war der Beschluß der Majorität des Ministerrats,« fuhr der Kardinal ruhig fort, »und ich habe diesem meine persönliche Meinung untergeordnet. Was die inneren Fragen betrifft, so muß ich mich allerdings mit dieser Majorität einverstanden erklären. Ich bedauere, daß die Entfernung der Gesellschaft Jesu, obschon ich unter den Mitgliedern derselben meine geschicktesten und vielseitigsten Beamten zähle« – sein Blick streifte mit einem spöttischen Ausdruck den Patre Vaures – »als eine dringend notwendige Konzession an den Volkswillen erscheint, und ich stimme für das Statut und die italienische Liga. Seine Heiligkeit sind Verpflichtungen eingegangen, die nicht gelöst werden können, es müßte denn sein, daß das Volk selbst diese Verpflichtungen zerrisse.«

Der Pater wechselte einen raschen Blick mit dem bayerischen Gesandten, und Graf Spaur erhob sich und verließ den Saal durch eine Thür, die nach der Seite des Pavillons führte.

»Es will mich bedünken,« sagte der Pater, »Seine Eminenz der Herr Großsiegelbewahrer habe vielleicht eigene Verpflichtungen, die ihn an so revolutionäre Konzessionen binden.«

Der Kardinal sah den Angreifer kalt und ruhig an.

»Ich verstehe Sie nicht, hochwürdiger Herr. Der Kardinal Antonelli kennt keine anderen Verpflichtungen, als die gegen sein gnädiges und erhabenes Oberhaupt, Seine Heiligkeit Papst Pius.«

»Dann ist es eine schlimme Verleumdung,« fuhr der Beichtvater fort, »die behauptet, daß Eure Eminenz vor Jahresfrist an die Häupter der revolutionären Partei in Neapel und Palermo das Versprechen erteilt, die Revolution in Sicilien zu unterstützen.«

»Sie haben ganz recht, hochwürdiger Herr: es ist eine Verleumdung!«

»So ist es ferner eine Verleumdung, daß Seine Eminenz 65 000 Scudi aus dem Schatz für Waffensendungen des Hauses Atkinson in Sheffield an die Rebellen von Venedig und Messina beigesteuert hat?«

»Reine Verleumdung!«

»Und der Briefwechsel mit den Häuptern der Rebellion in Neapel, der Brief an Mazzini, der bei der allgemeinen Erhebung Italiens gegen die rechtmäßigen Fürsten zu einer italienischen Republik unter dem Protektorat des Papstes die Zustimmung Seiner Heiligkeit verheißt?«

Der heilige Vater hatte die Hände erhoben. »Pater Vaures! Pater Vaures! halten Sie ein – das ist unmöglich!« Seine angsterfüllten Blicke wanderten von einem zum andern.

»Pater Vaures,« sagte der Kardinal ruhig, »wird offenbar nur von dem großen Eifer für die Ehre und das Wohl Seiner Heiligkeit hingerissen, wenn er, ohne solche Briefe zur Hand zu haben, so plumpe Verleumdungen meiner Feinde wiederholt.«

Der Pater verneigte sich demütig vor dem Oberhaupt der Christenheit. »Ich bitte Eure Heiligkeit einzig um die Gnade, eine Person schon jetzt empfangen zu wollen, die, um Eurer Heiligkeit wichtige Papiere zu überreichen, diese Nacht von Neapel eingetroffen ist!«

Der Papst hatte die Hände vor das Gesicht gelegt. »Thun Sie, was Sie wollen,« sagte er leise, »aber befreien Sie mich von dieser abscheulichen Anklage.«

Der Beichtvater schlug leicht in die Hand; sogleich öffnete sich die Thür nach dem Korridor des Pavillons, und der Gesandte führte eine verschleierte Dame ein, die ein verschlossenes Portefeuille von braunem Leder in der Hand trug.

Die Dame näherte sich mit raschem Schritt dem Sitz Seiner Heiligkeit, kniete vor dem Oberhaupt der Kirche nieder und schlug den Schleier zurück.

Es war die schöne Herzogin von Ricasoli.

»Wie, Sie, Altezza?« rief der entrüstete Papst, »wie können Sie es wagen, ohne meine ausdrückliche Erlaubnis nach Rom und in unsere Nähe zu kommen?«

»Mögen Eure Heiligkeit Ihrer Verwandten vergeben,« sprach die Dame, indem ihr reizendes Gesicht den Ausdruck der tiefsten Demut heuchelte, »aber die Dringlichkeit einer Entdeckung, die ich in Neapel gemacht, veranlaßten mich und den Herzog, meinen Gemahl, Ihren Neffen, das traurige Verbot, das Sie unserer Liebe beraubt, zu überschreiten und auf das Schleunigste hierher zu eilen, um Eure Heiligkeit vor einer großen Gefahr zu warnen.«

»Dann, Frau Herzogin, wäre es schicklicher gewesen, Ihren Gemahl, meinen Neffen, hierher zu senden,« sagte der Papst streng, indem er der knieenden Dame die Hand entzog, deren sie sich zum Kuß bemächtigt.

»Der Herzog befindet sich augenblicklich außer stand, hier zu erscheinen; ein Unfall, der ihm auf der Reise hierher begegnet, hält ihn im Bett.«

»Der Ort, wo er den größten Teil seiner Zeit verbringt,« sagte der Papst finster, während seine Gemahlin auf der Chiaja und der Villa Reale Zwei beliebte Promenaden Neapels. dafür sorgt, seinen Namen zu schänden.«

Die Herzogin erhob sich stolz, und ihr Auge blitzte mit glühendem Haß hinüber nach dem Kardinal. »Ich sehe, daß man fortfährt, mich bei Eurer Heiligkeit zu verleumden und mir und meinem Gemahl Ihre Gunst zu entziehen,« sprach sie mit zuckender Lippe, während ihre Augen in einem dämonischen Blitz auf den Kardinal flammten. »Aber ich kenne die Quelle, ich weiß, wessen Verleumdungen es waren, die mich von Rom verbannten, und ich klage diesen Kardinal, den falschen Heuchler, an, daß er mit Eurer Heiligkeit Feinden in hochverräterischer Verbindung gestanden!«

»Nehmen Sie sich in acht, Signora,« sagte der Papst streng, »ich bin Ihrer Extravaganzen müde, und wehe Ihnen, wenn Sie es wagen, gegen meine Getreuen frevelhafte Beschuldigungen auszustoßen, ohne sie zu beweisen!«

»Ich werde es, dazu bin ich hierher gekommen!« Die Nüstern des schönen Weibes blähten sich in stolzer Erregung. Ich bitte Eure Heiligkeit, mit eigenen Händen dies Portefeuille zu öffnen, und die darin enthaltenen Papiere zu lesen. Seit drei Tagen sind sie in meinen Händen, und sie werden Eurer Heiligkeit den Beweis geben, welche Schlange Sie an Ihrem Herzen genährt.«

Sie warf mit stolzer Gebärde das Portefeuille auf den Tisch. In der Ungeduld und der Leidenschaftlichkeit, die sie bewegte, riß sie die feine venetianische Kette, an der sie um den Hals einen kleinen goldenen Schüssel trug, mit einem Ruck aus einander und legte den Schlüssel vor den Papst. Dann trat sie, die Arme kreuzend, den finstern Blick fest auf den Gegner gerichtet, einen Schritt zurück.

Der Kardinal Antonelli war es in der That gewesen, der wegen des leichtfertigen Lebenswandels der schönen Herzogin, obschon man wissen wollte, daß er einige Zeit selbst zu ihren Verehrern gehört, das Oberhaupt der römischen Kirche vermocht hatte, die Dame aus Rom zu verbannen, indem er ihrem schwachen und jeder Verantwortlichkeit baren Gatten eine Mission nach Neapel gab.

»Ich weiß nicht, was diese mit so großem Eklat hierher gebrachten Papiere enthalten sollen,« sagte der Kardinal mit heuchlerischer Miene, »aber ich bitte Eure Heiligkeit zu bedenken, daß die Frau Herzogin von jeher geruht hat, mich mit einem ungerechten Vorurteil zu verfolgen.«

»Ich weiß es; und bei Sankt Petrus, es soll strenge Gerechtigkeit geübt werden.« Papst Pius hatte den Schlüssel genommen und das Portefeuille geöffnet. Ein in blaues Papier gehülltes, kreuzweis mit einem seidenen Bande umbundenes Paket Briefe und Papiere war darin enthalten, das der Papst mit ungeduldiger Hand selbst entfaltete.

Die Herzogin war, sobald sie das wohlbekannte Couvert sah, noch weiter zurückgetreten, und ihr Blick lag jetzt mit boshafter Genugthuung auf dem Kardinal.

Der Kardinal allein behielt seine volle Ruhe und Gleichgültigkeit, während alle anderen Anwesenden schweigend mit mehr oder weniger ängstlicher Spannung der Entwickelung dieser Scene folgten, selbst der sonst so rauhe und kurz angebundene Rossi.

Der Papst hatte den ersten Brief entfaltet und überflogen. »Das ist schamlos, empörend!« sagte er dumpf.

Einen Augenblick erbleichte der Kardinal leicht, er hatte geglaubt, daß in dem Couvert leere Papiere oder sonst ein ganz gleichgültiges Quiproquo sich finden würde, wie es der Mascherato ihm verheißen, und wußte nun nicht, was der Ausruf des Souveräns bedeuten sollte. Im nächsten Moment aber bedachte er, was in seinem Besitz und längst vernichtet war und gewann seine volle Fassung wieder.

»Bei der Madonna, das ist zu nichtswürdig!« Der Papst, der ein zweites Blatt in der Hand hielt, erhob sich ungestüm, das sonst so ruhige gütige Gesicht des Oberhauptes der Christenheit glühte vor Unwillen und Entrüstung, der lebendige, hitzige Geist seiner Jugend, der ihn einst zum Soldaten machen wollte, blitzte aus seinen Augen. »Schändlich!« Seine Hand ergriff die Klingel auf der Tafel und läutete heftig.

Die Thür nach dem anstoßenden Saal öffnete sich, und der Truchseß Filippani, der vertraute Kämmerling des Papstes, trat ein.

»Den Offizier der Wache! sofort, hierher, Filippani!« befahl der Erzürnte.

Der Truchseß verbeugte sich schweigend. Während er nach dem äußeren Korridor ging, streifte er an dem Beichtvater des Papstes vorüber und steckte dem Pater, nur den Luchsaugen des Kardinals nicht unbemerkt, ein kleines Papier zu.

Pater Vaures entfaltete es sogleich in der hohlen Hand und las es.

Die Blicke der Versammlung hatten sich jetzt teils mit schlecht verhehltem Triumph, teils mit Angst und Bedauern sämtlich auf den Kardinal gerichtet, den die Augen der schönen Duchessa mit dem dämonischen Ausdruck befriedigter Rache noch nicht verlassen hatten.

Dieser Genuß des Sieges war es, der ihr nicht Zeit gelassen, bis jetzt auf die Briefe selbst weiter zu achten, welche die Niederlage ihres Gegners herbeigeführt.

»Diese Briefe,« sagte der Papst mit erstickter Stimme, »sind echt, sie enthalten die Wahrheit?«

»Ich schwöre es! Ich freue mich, Ihnen, mein Oheim, endlich damit den Beweis liefern zu können, wie verschwendet Ihre Güte und Ihr Vertrauen zu der beteiligten Person war, und so diese Heuchelei zu entlarven!«

»Schamlose!« donnerte die Stimme des Empörten. »Du wagst es, zu Deiner Schande noch Hohn zu fügen? Zittere vor der Strafe Deines beleidigten Souveräns!«

Als hätte der Blitz mitten in die Versammlung geschlagen, so bestürzt und erschrocken schauten alle, mit Ausnahme des Kardinals, auf das erzürnte Oberhaupt der Kirche. Die großen, blauen Augen der schönen Römerin starrten erst betroffen auf ihren Verwandten, dann richteten sie sich, wie eine Lösung suchend, auf den Brief, den ihr halb zusammengeballt seine Hand entgegenhielt.

Eine jähe, dunkle, Röte überflog ihr Gesicht und machte eben so schnell einer fahlen Blässe Platz. Die Herzogin zuckte zusammen wie von einem Dolchstoß getroffen und sprang dann vorwärts, um der Hand des Papstes und dem Tisch die verhängnisvollen Papiere zu entreißen. »Bei der Madonna! die Briefe zurück! die Briefe her! es sind die falschen!«

Eine majestätische Gebärde des Herrschers schleuderte sie zurück. »Elende! auf die Knie und bitte um Gnade! Gott und die Heiligen haben es gewollt, daß die Schlange entlarvt werde, die aus meinem eigenen Blut gegen mich sich erhoben. Buhlerin und Ehebrecherin, die Du den Namen schändest, den Du trägst, hast Du die Zeit der Buße nur zu noch schlimmeren Verbrechen benutzt! Heuchlerisch andere verdächtigend, wagst Du es schamlos, die Beweise Deiner nichtswürdigen Buhlerei mit dem Sohn des bittersten Feindes der Kirche und des heiligen Stuhls, mit Ruggiero Settimo, mir selbst vor Augen zu bringen! Zittere vor der beleidigten Gerechtigkeit Gottes und seines Stellvertreters auf Erden!«

Die schöne Faustella warf einen flüchtigen Blick hinüber nach dem Beichtvater und dem Gesandten, dann, als sie sah, daß diese ihre Augen fest zur Erde gerichtet hielten und da sie fühlte, daß sie von ihren Bundesgenossen verlassen wurde, kehrte der alte Trotz in ihre Seele zurück, und in ihre frühere Haltung zurückfallend, statt demütig, wie der Papst erwartete, um Gnade zu bitten, schleuderte sie einen trotzigen und vernichtenden Blick nach dem Kardinal und sagte entschlossen: »Ein schändlicher Verrat ist geübt worden. Eure Heiligkeit sprechen die Wahrheit, aber nicht von mir, sondern an mir, und er wird durch Feigheit unterstützt! Dieser Mann,« sie wies auf den Kardinal, »weiß darum! aber ich biete ihm Trotz und werde mich rächen! Eure Heiligkeit mögen mein Eindringen entschuldigen und diese Briefe mir zurückgeben, die nur durch einen Betrug vor Ihre Augen gekommen sind. Mein Privatleben gehört mir, und Eure Heiligkeit sind nicht mein Gatte, um Rechenschaft darüber zu fordern!«

»Nein, aber Dein Souverän, Elende,« donnerte der Erzürnte, »das Oberhaupt meiner Familie. Die Nachsicht des Verwandten ist zu Ende, und das Amt des Richters und Rächers beginnt, und, so wahr mir Gott helfe, ich will es üben auf diesem Thron, so lange ich darauf sitze! Herein mit dem Offizier der Wache!«

»Eure Heiligkeit mögen nicht vergessen, daß ich die Herzogin von Ricasoli und aus dem Blute der Borgia bin,« sagte die Duchessa stolz.

»Gott kennt die Sünden, die dieses Blut bereits über Rom gebracht,« rief der Papst. »Ich war verblendet, als ich es mit dem meinen sich vermischen ließ. Aber ob Dein Name der stolzeste dieses Landes wäre, verbrecherisches Weib, die Macht über Körper und Seele soll die Gnade Gottes und der Heiligen nicht umsonst in meine Hand gelegt haben. Hierher, Signori« befahl er dem eben eintretenden Offizier, der von dem Truchseß hereingeführt wurde.

Der Leutnant – es war der junge Schweizer-Offizier, der im Korridor vergeblich seinen Oheim gewarnt hatte, näherte sich in militärischer Haltung bis auf fünf oder sechs Schritt von dem Sitz des heiligen Vaters und blieb hier salutierend stehen.

Die schöne Sünderin warf ihm einen halb überraschten, halb koketten Blick der Erkennung zu; der ganze Leichtsinn und Eigenwille, der ihre Handlungen leitete, gewann wieder die volle Macht in ihr.

»Wo ist der Herzog, Ihr Gemahl?« fragte finster der Papst.

»Ich habe bereits die Ehre gehabt, Eurer Heiligkeit zu sagen, daß er sich krank befindet in seiner Wohnung im Vatikan.«

»Signor,« sagte der Papst, indem er sich zu dem Offizier wandte, »Sie werden die Dame zu ihrem Wagen geleiten, an ihrer Seite Platz nehmen und, ohne ihr einen Verzug oder Aufenthalt zu gestatten, sie nach dem Pavillon Borgia im Vatikan zurückbegleiten. Sie werden Sie dort bewachen oder bewachen lassen, und bürgen mir dafür, daß sie ihre Wohnung nicht mehr verläßt, bis Sie weitere Befehle erhalten. Ich werde morgen über ihr Schicksal entscheiden!«

Die Herzogin warf mit einem spöttischen Lächeln den Kopf in den Nacken. »Darf ich dann vielleicht Eure Heiligkeit ersuchen,« sagte sie mit frivoler Keckheit, »mir diese Briefe zurückzugeben, die doch nur Eurer Heiligkeit keusche Gefühle beleidigen würden, und die mein Eigentum sind!«

Der beleidigte Pontifex warf ihr einen drohenden, erzürnten Blick zu. »Aus meinen Augen – fort! Diese abscheulichen Papiere soll mein Neffe, Ihr Gemahl, erhalten!«

Die Herzogin zuckte die Achseln. »Schade, wenn er noch Haare hätte, könnte er sie zu Haarwickeln benutzen! Nun, schöner Herr, seien Sie galant und reichen Sie mir Ihren Arm. Sie sehen, das Schicksal bestimmt Sie nun einmal zu meinem Kavalier!«

Sie machte eine hochmütige, spöttische Verbeugung, während der Papst ihr verächtlich und erzürnt den Rücken kehrte, warf dem Kardinal und ihren eigenen Verbündeten einen trotzigen Blick zu, nahm selbst den Arm des erstaunten und starren Offiziers und zog ihn nach der Thür, deren Flügel sich hinter ihnen schlossen.

Der Kardinal hatte bei der naiven Bestellung dieses Wächters durch den zürnenden Oberherrn ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken können, und Graf Rossi, der gleiche Gedanken hegen mochte, wollte in der That mit seiner gewöhnlichen Ungeniertheit Einspruch thun. Aber der Kardinal legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.

»Diese leichtfertige Schöne hat Recht,« sagte er »niemand kann seinem Schicksal entgehen, und der Luogotenente ist kein Knabe mehr. Ich dächte, wir hätten uns in diesem Augenblick mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen!«

Der heilige Vater hatte sich wieder auf seinen Sessel niedergelassen und mit einer gewaltsamen Anstrengung seine Ruhe und Fassung wiedergewonnen.

»Sie werden mir bezeugen, Kardinal Antonelli,« sagte er fest, »daß ich nie an Ihrer Treue und Aufrichtigkeit gegen mich und die heilige Kirche gezweifelt habe. Ich sehe, auf wen ich mich zu stützen habe. Ich ermächtige Sie, Graf Rossi, das Programm des Ministerrats auszuführen und die Deputierten-Kammer mit diesen Erklärungen zu eröffnen.«

Allgemeines Schweigen folgte dieser kategorischen Entscheidung. Die Stille wurde durch den Wiedereintritt des Truchseß Filipani unterbrochen, der sich dem Premierminister näherte.

»Seine Eminenz, der Herr Unterstaatssekretär,« meldete er, »lassen Eure Excellenz erinnern, daß die Eröffnung der Kammer um 12 Uhr angesetzt ist.«

Der Graf zog seine Uhr. »In der That, es ist die höchste Zeit! Ich bitte Eure Heiligkeit, diese Vollmachten zu unterzeichnen und mich zu beurlauben!«

Er hatte sich erhoben; der Kardinal Antonelli that desgleichen.

Trotz der Herrschaft über sich selbst und der großen Verstellungskunst, die ihn auszeichnete, war es ihm nicht möglich gewesen, dem Auge eines ebenso gewandten und scharfen Beobachters den Kampf ganz zu verbergen, der in seinem Innern vorging, und der sich in einem langen besorgten Blick auf den allzukühnen und furchtlosen Minister aussprach.

Ein solcher, scharfer und schlauer Beobachter war der Pater Vaures seit dem Augenblick gewesen, in dem er das Papier gelesen, das ihm der Truchseß zugesteckt.

Der Zettel enthielt nur die Worte:

»Er weiß, was geschieht und kennt das Geheimnis der Kulissen.«

Die Ruhe des Kardinals, mit der er verschmähte, bei der plötzlichen Niederlage der Anklage seiner Gegner auf diese einen Blick des Triumphes zu richten, änderte ebenso plötzlich die Pläne und Entschlüsse ihres Führers.

Der Kardinal schien jetzt zu einem Entschluß gekommen, denn indem er sich erhob, streckte er die Hand gegen den Grafen aus, als wolle er ihn zurückhalten.

Aber das Wort, das er offenbar sprechen wollte, wurde auf seinen Lippen zurückgehalten durch ein anderes, das halb geflüstert an sein Ohr drang: » Silentio!«

Pater Vaures streifte an ihm vorüber. »Auf ein Wort, Eminenz!«

Der Kardinal folgte ihm in die Fenstervertiefung; das Schicksal des Ministers, der eben seinem geistlichen und weltlichen Gebieter die Vollmachten zur Unterschrift reichte, war entschieden.

Der Pater, von der schweren Draperie des Fenstervorhangs halb verdeckt, sagte mit gedämpfter Stimme, »es sind die Abschriften der Briefe, welche die Frau Herzogin, ich hoffe für immer, verloren hat.«

»Ich danke Ihnen, indem ich vergesse, daß sie bestanden haben.«

»So sind wir einverstanden.« Der Pater wandte leicht den Kopf, sein graues, kaltes Auge deutete nach dem Grafen. »Darf ich fragen, welche Gründe Eure Eminenz haben, ihn zu retten?«

»Keine!«

»So mag er seinem Schicksal verfallen?«

»Wenn es sein muß!«

»Es muß! Nur durch eine solche Erschütterung kann Pius der Neunte aus diesem unglückseligen Wahn einer Verständigung mit dem Erbfeind der Kirche und des Stuhles Petri, dem Liberalismus, gerissen und zum offenen Bruch mit der Revolution gebracht werden!«

Der Kardinal senkte einen Augenblick sein Haupt; er begriff die ganze Wahrheit dieser furchtbaren Logik.

»Und was soll weiter werden?«

»Die österreichischen – oder wenn Sie darauf bestehen – die französischen Bajonette werden den Stuhl Petri in seiner Macht wieder herstellen, Kardinal Antonelli wird seine wahren Freunde erkennen und im Namen eines schwachen Souveräns unbeschränkt die weltliche Herrschaft üben. Ich verbürge mich für diese Zusage.«

Der Kardinal nickte mit dem Kopf. »Wir sind einig – ich wünschte längst die Umkehr und bin bereit, mit Ihnen jedem Sturm zu trotzen.« Er reichte dem Jesuiten die Hand und trat aus der Nische.

Der Graf beurlaubte sich soeben und empfing den Segen des heiligen Vaters.

»Gehen Sie mit Gott, mein Sohn,« sagte der Papst, das Zeichen des Kreuzes über ihn machend, »und mögen die Heiligen die Gemüter erleuchten und Ihrem Vornehmen Segen geben! Ich werde Sie mit meinem Gebet begleiten und erwarte Ihren Bericht nach der Sitzung!«

Der Minister verbeugte sich kurz vor den beiden Gesandten, seinen politischen Gegnern. Als er an dem Kardinal vorüberging, reichte er ihm die Hand. »Sie haben Ihre Schlacht gewonnen, jetzt kommt die meine! Adieu!«

Die Hand des Kardinals war kalt und feucht. Der Graf verließ den Sitzungssaal.

Der Pater blieb am Fenster stehen und sah ihm nach. Wer ihm nahe gestanden, hätte seine Lippen leise das » In manus tuas, Domine, commendo animam suam!«, das Gebet für die Sterbenden, murmeln hören können!


Der Offizier hatte die Dame schweigend, befangen, fast erschrocken über den so unerwarteten Auftrag, in das Innere des Palastes geführt, wo der Wagen der Herzogin wartete. Auch diese hatte geschwiegen, zwischen Ärger, Stolz und Übermut kämpfend; erst als sie beide im Fond des Wagens saßen, und sie den verlegenen Ausdruck auf dem Gesicht ihres Begleiters sah, brach sie in helles Gelächter aus. » Oimè, Signor Riccardo, Sie sehen wahrhaftig aus, als sollten Sie diese alberne Deputiertenkammer eröffnen, statt einer Dame, die gerade nicht zu den häßlichsten gehört, vierundzwanzig Stunden Gesellschaft zu leisten. In der That, Signor Luogotenente, ich beginne eine sehr schlechte Meinung von Ihrer Galanterie zu fassen!«

»Aber ich bitte Eure Hoheit, mir zu erklären …«

»Ah bah! wenn man eine Dame bewundert, bittet man um keine Erklärung, als höchstens die, daß sie Gnade für Recht ergehen läßt. Ängstigen Sie sich nicht, für Ihre Carriere, das Hauptmannspatent ist Ihnen gewiß, wenn Sie eine so gefährliche Staatsverbrecherin, wie ich bin, gehörig bewachen.«

»Altezza treiben Ihr Spiel mit mir,« sagte der junge Offizier ziemlich ernst, »ich bitte Sie zu glauben, daß ich Anteil genug an Ihro Hoheit nehme, um in Besorgnis zu sein über das, was ich hörte.«

»Thorheit! Ein kleiner Ärger Seiner Heiligkeit über Dero höchst ungeratene Nichte und ihren allzugroßen Eifer, dem gestrengen Oheim zu dienen! Ein kleiner Hausarrest bis morgen, um ein gewisses Feuer abzukühlen! Sie sehen, es ist schon ein ganz soldatisches Regiment eingeführt in Rom, und man behandelt die Herzoginnen wie die Bewohner der Kasernen. Aber wir wollen's machen, wie diese, wir wollen trinken, tanzen, spielen, singen und uns amüsieren nach Herzenslust, so lange Sie mein Gefangener sind, denn ich sage Ihnen von vorn herein, daß wir die Rollen tauschen, so lange ich die Ehre haben werde, Sie in der Villa Borgia zu bewirten.«

Die übermütige Laune seiner schönen Gefangenen nahm ihm gewissermaßen eine Last von der Seele und erleichterte seine peinliche Stellung. Dennoch blieben noch Falten schwerer Sorge auf seiner Stirn.

»Sie können scherzen, während mich die Angst verzehrt,« sagte er finster. »Meine Pflicht als Soldat bindet mich hier, während meine Ehre mich an die Seite meines Oheims ruft, um den allzu Unbesorgten gegen die Dolche der Mörder zu verteidigen.«

»Ich habe von den Gerüchten gehört, Signor, aber beruhigen Sie sich! Wer entschlossen ist, etwas zu thun, schreit es nicht vorher auf den Straßen aus. Ihr Oheim weiß, was er davon zu halten hat. Die Canaille sans foi ni loi prahlt mit ihren Dolchen, ich kenne das von Neapel. Übrigens bin ich bereit, Ihnen Urlaub zu geben, sobald Sie mich über die Tiber gebracht haben, denn ich selbst habe dort ein kleines Geschäft, bei dem ich Sie entbehren kann!«

»Ich bitte um Verzeihung, Altezza,« sagte der junge Mann ernst, »aber ich muß zunächst den Befehlen gehorchen, die ich erhalten habe.«

Die Herzogin mit ihrem Eigenwillen, der keinen Widerspruch duldete, sah ihn erstaunt an.

»Wie, Signor, Sie könnten so ungalant sein, aus diesem lächerlichen Arrest, den ich mir nur um Ihrer Person willen gefallen lasse, Ernst zu machen?«

»Ich bin Soldat, Altezza!«

»Nehmen Sie sich in acht, Signor, mein Kopf ist etwas eigensinnig!«

»Ich stelle mich ganz zu Ihro Hoheit Verfügung, aber ich werde die Ehre haben, Sie zu begleiten!«

»Aber ich kann Sie nicht brauchen dort, wohin ich gehe. Seien Sie hübsch artig, Signor, ich werde in einer Stunde bei Ihnen im Vatikan sein!«

Der Schweizer zuckte die Achseln.

»Sie wollen nicht gehorchen?«

»Ich fühle mich zu glücklich in Ihrer Nähe, um einem andern Befehl ungehorsam zu sein!«

»Starrkopf! wir wollen sehen, wer seinen Willen behält – aber, bei der Madonna, Sie gefallen mir so!«

Der Wagen hatte seinen Weg über die Piazza-Colonna und die Piazza di Monte Citorio genommen und rollte dem Tiberufer zu.

Es war ein zweisitziger verschlossener Kutschwagen, wie sie in Paris und Rom üblich sind, die offenen Fenster der Schläge und der Vorderwand durch grüne Seidengardinen geschlossen.

Die Herzogin zog die Schnur des Kutschers. »Nach der Straße di St. Spirito!« befahl sie.

Der Offizier verbeugte sich lächelnd. »Es ist unser Weg, Hoheit!«

»Ich warne Sie nochmals, Signor, mich nicht herauszufordern!«

»Altezza sind zu reizend in Ihrem Zorn, um nicht auf meinem Recht zu bestehen.«

Ein fernes Brausen, wie das Wogen und Lärmen einer großen Menschenmasse kam von der Piazza di Ponte her, als der Wagen sich dieser näherte, um über die Engelsbrücke das jenseitige Ufer zu erreichen.

Plötzlich, in der Mitte des Platzes hielt der Wagen still.

Der Offizier öffnete die vorderen Vorhänge, die Herzogin riß die an ihrer Seite auf.

»Vorwärts!«

»Es ist unmöglich, Excellenza, die Brücke zu passieren, sie ist voll von Menschen!«

In der That erkannte der Offizier, daß der Kutscher recht hatte. Eine förmliche Völkerwanderung schien aus den Stadtteilen jenseits des Tibers, dem Monte Vaticano und Gianiculo, sich nach der innern Stadt zu ergießen.

Die Stirn des Schweizer-Offiziers begann sich bei diesem Anblick zu furchen, unwillkürlich rückte die Hand die Koppel seines breiten Degens nach vorn.

»Nach der Ponte di Spirito!« befahl er kurz und entschieden.

Der Wagen fuhr die Uferstraße entlang, der Schiffbrücke zu, die unterhalb der Engelsburg über den Tiber und an dem berühmten Hospital di Santo Spirito in das Straßenquadrat vor der Peterskirche und dem Vatikan führt.

Wieder legte sich die sammetweiche Hand der schönen Frau auf den Arm des Offiziers. »Geben Sie nach, Signor Riccardo,« verführte ihre sirenengleiche Stimme. »Sie begreifen, daß Sie in diesem Augenblick schon mehr in meiner Gewalt sind, als ich in der Ihren. Ich gebe Ihnen mein Wort, in spätestens zwei Stunden im Vatikan Sie erwarten zu wollen.«

Ihre eine Welt von Wollust verschleiernden Augen hatten sich bittend, verführerisch auf den Offizier geheftet. Dunkle Glut flog unter dem Druck ihrer Hand über sein männlich schönes Gesicht, sein treuherziges Auge senkte sich vor dem brennenden Strahl der ihren.

»O, Signora, mißbrauchen Sie nicht die Gefühle, die mein Herz verzehren, seit ich Sie erblickt!«

»Thörichter Mann, haben Sie unter den Orangen und Myrten noch nicht gelernt in den Augen der Frauen zu lesen? Dem Mann, dem Faustellas Wille Gesetz ist, wird sie zu lohnen wissen!«

» Svizzero! Svizzero! Nieder mit den deutschen Söldnern!«

Die geöffneten Vorhänge hatten dem Volke die verhaßte Uniform der Schweizer gezeigt. Die Menge schien sich ihrer entfesselten Macht bewußt, rasend, jeder Zucht entblößt. Die Haufen der Trasteveriner, die in dichter Reihe von den jenseitigen Stadtteilen daherfluteten, begrüßten mit Zischen, Pfeifen und Schimpfreden den vorüberfliegenden Anblick des Schweizer-Offiziers.

In diesem hatte der höhnende Anruf des Pöbels die alte Entschlossenheit und das Gefühl der soldatischen Pflicht wieder gestählt.

Er lehnte sich aus dem Wagen. »Zum Vatikan! im Galopp!« befahl er.

Der Wagen jagte donnernd über die Brücke, begleitet von dem Hohn und Pfeifen des Pöbels, eine Schar lärmender Lungerer hinterdrein. Männer, Frauen und Kinder, die auch hier zur Stadt strömten, flüchteten scheltend, schreiend und lachend vor den Hufen und Rädern.

Der Wagen hatte die Mitte der Brücke erreicht, als der Kutscher plötzlich die Pferde zurückriß und still hielt.

Eine Menschenmauer drängte sich von dem andern Ufer her ihm entgegen und schloß von einem Geländer zum andern den Weg.

Das Gezeter und Lärmen, das Juchzen und Schreien belehrte den Offizier, daß er die verrufenste Bevölkerung von Trastevere vor sich hatte, und die brausende Melodie der Sterbinischen Marseillaise, die wie ein Nebel über diesen Wogen von Lärm und Skandal schwamm, daß es sich um eine politische Demonstration handle.

Aus diesem Chaos drang in den berauschenden blutgierigen Worten des Liedes eine gewaltige, mächtige, leitende Stimme hervor, die ihm bekannt schien.

Der Offizier beugte sich vor, um zu sehen; was er sah, überzeugte ihn sofort, daß es unmöglich war, hier mit Gewalt weiter zu kommen, ehe der Menschenstrom sich verlaufen hätte, dessen Vorläufer bereits an dem Wagen vorübertobten.

»Aus dem Wege! Aus dem Wege!« heulte die Menge. »Platz für die Göttin der Freiheit! Platz für die Venus von Rom! Aus dem Wege mit dem Aristokraten!«

»Spannt die Pferde vor die Muschel der Venus, meine Lieblinge!« sagte eine tiefe Baßstimme. » Eheu! ich werde mich neben sie setzen und im Triumph auf dem Capitol einziehen!«

Diese Stimme hatte den Offizier bewogen, nochmals sich vorzubeugen.

Ein halb lächerliches, halb erschreckendes Schauspiel zeigte sich in dieser lärmenden, lachenden Menge seinen Augen.

Vier Männer, phantastisch aufgeputzt, zogen einen jener zweirädrigen Wagen oder Karren, die der römische Bürger und Landmann zu seinen Fahrten benutzt. Dieser Wagen war, offenbar von Künstlerhand, durch Pappdeckel und Malerleinwand geschickt zu einer großen Seemuschel umgeformt, und in ihr saß in antikem Gewand, einen Helm auf dem langen, wallenden Lockenhaar, in der Rechten ein leichtes Banner mit den italienischen Farben, in der Linken das Ende einer Kette haltend, ein junges Weib als Göttin der Freiheit.

Das andere Ende dieser langen Kette war um die Glieder eines dicken, rotgesichtigen Mönches geschlungen, der, auf einem Esel reitend, hinter dem Wagen herkam, oder vielmehr von der Menge geschoben wurde. Eine Tiara aus Goldpapier, mit Flittern und Glassteinen auf seinem Kopf und ein großes Plakat, das an einer Stange hinter ihm hergetragen wurde, mit der Inschrift: »Die Herrschaft der Kirche!« verkündeten die Bedeutung dieser Gruppe. Zahlreiche Fahnen und Banner mit allerlei teils politischen, teils komischen Inschriften und Attributen, in der Menge verteilt, zeigten außerdem den Charakter des Zuges und bewiesen, daß eine reichere Phantasie als der bloße brutale Ausbruch des Volksfanatismus hier mitgewirkt und geordnet. In der That sah man auch unter der zusammengesetzten Menge aus den niedersten Klassen des Volkes viele Gestalten und Gesichter, die offenbar den Kreisen der Campanella, dem Versammlungsort der Künstler, angehörten.

Ein Blick hatte dem Offizier genügt, um in dem Darsteller des gefesselten Kirchenregiments seinen Bekannten vom Abend vorher, den Bruder Pankratius, zu erkennen.

Der Bettelpfaffe schien sich in der öffentlichen Rolle einer allegorischen Person ganz behaglich zu fühlen, bis auf die Unbequemlichkeit, welche ihm die Einschnürung seiner Arme durch die Kette verursachte. Dafür setzte ihm eine schalkhafte schwarzäugige Trasteverinerin, die mit ihrem Orangenkorb neben ihm her trippelte, in den Pausen, die er in dem kräftigen Gesang der republikanischen Hymne machte, einen Becher an die Lippen, den ein junger Maler aus dem Weinkrug, den er trug, füllte.

Aber der zweite Blick, den er auf die Hauptperson des Aufzugs, die »Göttin der Freiheit« warf, machte den mutigen jungen Offizier erstarrt und bestürzt, und er wandte sich erschrocken nach seiner Nachbarin um.

Dort auf dem phantastischen Muschelgefährt als Göttin der Freiheit saß die Frau, die er doch an seiner Seite fand; dasselbe reiche Goldhaar, das reizend geformte Gesicht mit dem üppig gewölbten Munde und dem großen brennenden Auge.

Einen Moment glaubte er, die merkwürdige Ähnlichkeit der Nonne mit seiner schönen Gefangenen vor sich zu sehen, aber der dämonische, spöttisch triumphierende Ausdruck in dem frechen Blick der Courtisane auf dem Venussitz kontrastierte ebenso sehr mit dem sanften züchtigen Strahl in dem Auge der barmherzigen Schwester, wie mit dem stolzen, kühnen und wieder so leichtfertigen Glanz der herausfordernden Augen der Aristokratin, um ihn nicht zu überzeugen, daß das seltsame Spiel der Natur, das ihm gestern im Cirkus Caracalla und an der Leiche des jungen Banditen überrascht, hier sich zum drittenmal wiederholte.

Er wollte seinem Staunen eben Worte geben, als die Dame an seiner Seite, die bisher nicht der Mühe wert gehalten, auf die einzelnen Figuren der Volksmenge zu achten und nur mit steigendem Zorn über seinen Widerstand ihn betrachtet, ihn unterbrach. »Sehen Sie sich vor, Signor, zum letztenmal, wollen Sie mich für zwei Stunden allein lassen? Ich habe mein Wort verpfändet, an einen Ort zu gehen, wohin Sie mich nicht begleiten dürfen.«

Was erst Laune, Eigensinn gewesen war, das Atelier des tollen Malers zu besuchen, wie sie dem Mascherato gelobt, wurde zum eifersüchtigen Trotz bei dem unerwarteten Widerstand des Mannes, den sie bereits für den Sklaven ihres Willens hielt.

Der Offizier zuckte die Achseln. »Ich habe den Befehl, Ihre Hoheit zu begleiten!«

»Also Kampf!« Die Augen der verwöhnten und leidenschaftlichen Frau schleuderten einen Blitz auf ihn. Dann lehnte sie sich weit aus dem Schlag.

»Zu Hilfe, Römer! Zu Hilfe einer Gefangenen!«

Die unvorsichtige That war geschehen, ehe der Offizier sie zu hindern vermocht. Jetzt, als sie die trunkenen, erhitzten und wilden Gesichter aus dem Pöbel der Vorstadt so dicht um sich sah, erschrak sie selbst über die Folgen und hätte den Ruf gern ungeschehen gemacht.

In demselben Augenblick keuchte die Meute heran, die dem Wagen über die Brücke gefolgt.

» Svizzero! Svizzero! Nieder mit den Schweizer Soldknechten! Es lebe das freie Italien!«

Zehn Fäuste, zu jedem Unfug bereit, fielen den Rossen in die Zügel, begannen sie auszuspannen und rissen den erschrockenen Kutscher unter Gelächter und Verhöhnungen vom Bock. Wilde, zerlumpte Gestalten, verwirrt durch den Hilferuf der Dame und das Geschrei ihrer Gefährten, waren im Nu auf Tritt und Rädern, und schoben die Vorhänge zur Seite. Ein bärtiges Gesicht sah in das Innere des Wagens und öffnete den Schlag. »Steigen Sie aus, Madonna! Ich nehme Sie unter meinen Schutz für einen Kuß und ein Dutzend Bajocchi!«

»Heraus mit ihnen! Sie sollen mit uns Brüderschaft trinken!«

»Man will eine Frau entführen! Haltet sie auf!«

Die Herzogin warf sich zitternd zurück auf ihren Begleiter. »Um der Heiligen willen, vergeben Sie mir, retten Sie mich vor diesem Gesindel!«

Der Offizier stieß den Schlag an seiner Seite auf und sprang hinaus, die Dame mit sich ziehend.

»Zurück, Burschen, Platz da! Respekt vor der Uniform Seiner Heiligkeit!«

» Maledetto! wahrhaftig einer der verdammten Schweizer! Er soll mit in die Prozession!«

»Er soll eine Fahne tragen! Er soll auf dem Esel reiten! Nieder mit dem Weiberverführer!«

Das Geschrei mischte sich mit Gelächter. Im Grunde war es dem Pöbel anfangs bloß um Unfug und Verhöhnung zu thun, aber der Anblick der jetzt so verhaßten Uniform mischte bald den Fanatismus politischer Leidenschaften hinein.

Dennoch scheuchte die kräftige Gestalt des Offiziers und seine entschlossene Miene die Vorlautesten zurück und hielt sie in einem Kreise um den Mann und die Dame, welche die Menge jetzt mit Verwunderung sich dicht an den Offizier anschmiegen sah, während viele wenige Augenblicke vorher sie hatten um Hilfe rufen hören.

Die Herzogin hielt den Schleier vor ihr Gesicht gezogen, sie zitterte vor Schreck und Ekel vor diesen ihr drohenden unsauberen Berührungen, während sie doch am Abend vorher so kühn dem Überfall der Banditen des Mascherato Trotz geboten. Ihre aristokratische Natur empörte sich nicht gegen die Gefahr, aber gegen die Gemeinheit.

»Warum hat sie geschrieen?«

»Wer ist das Weib?«

»Eine beleidigte Tugend!«

»So machen's die Weiber! Erst schreien sie, und wenn's dazu kommt, hängen sie wie die Kletten an den Liebhabern!«

» Cospetto! sollen wir den Schuft von Schweizer laufen lassen, während unsere Brüder den andern dahin schicken, wohin sie alle gehören?«

Die Stichelreden und Hohnsprüche kreuzten sich rasch durcheinander!

»Wenn's ein Schweizer ist,« schrie der Mönch, dessen weinselige Augen den jungen Offizier noch nicht wieder erkannt, »so geb' ich Euch meine Einwilligung ihn zu hängen oder zu ersäufen. Es sind Grobiane, und meine Knochen könnten eine Geschichte erzählen!«

»Zurück, Leute! gebt mir Raum und laßt uns unsern Weg fortsetzen, oder bei Gott, es giebt blutige Köpfe!«

Die Menge hatte den Bettelmönch mit seinem Esel vorgedrängt, und er befand sich jetzt dicht vor dem Offizier und seiner Gefährtin. » Evoe! Evoe! Ich will drei Monate über die Zeit im Fegefeuer braten,« zeterte der Frater, »wenn das nicht mein junger Riese aus dem Cirkus ist mit dem verdammt schönen Weibsbild, die unsrer Königin so ähnlich sieht, wie eine Frühmesse der andern!«

»Den Schleier fort! wir wollen sehen, wer die Schönste ist! Der Papst Pankratius soll es entscheiden!«

Die Herzogin drückte sich fester an den Offizier, der den schweren Degen von seinem Bandelier losgehakt und mit der Scheide in die Linke genommen.

» Kyrie eleison! Kyrie eleison! Ihr sollt Euch nicht vergeblich auf meine Gerechtigkeit berufen haben. Man führe die beiden Delinquentinnen vor mich, daß ich wie der heilige Paris den Apfel verteile!«

»Spitzbube!« Der Offizier stand jetzt dicht Vor ihm, und ohne sich um die ihm drohende Gefahr zu kümmern, riß er dem allegorischen Papst die Tiara vom Kopf und schlug sie ihm um die Ohren, bis er nur noch die Fetzen in der Faust hielt. »Schämst Du Dich nicht, vertrackter Weinschlauch, das Oberhaupt des Staates und der Christenheit hier zu persiflieren?«

Der Irländer staunte ihn einige Augenblicke ganz verdutzt an, dann aber, in Erinnerung an die Püffe, die er am Abend vorher bekommen, erhob er ein gewaltiges Zetergeschrei, als ob er am Spieß steckte. »Auf ihn! Auf ihn! Er lästert die heilige Kirche! Schlagt den Ketzer zu Boden!«

Der komische Zorn des Bettelpfaffen, der vergeblich sich bemühte, die Kette zu entfernen, die man ihm um Arm und Bein gewunden, wäre eher geeignet gewesen, das Gelächter der Menge zu reizen, als dem Schweizer-Offizier eine ernste Gefahr zu bereiten, wenn nicht in diesem Augenblick noch eine andre Person sich hineingemischt hätte.

Es war die Courtisane, die sich auf ihrer Muschel erhob.

»Nehmt ihr den Schleier, wir wollen ihr Angesicht sehen!«

Ehe der Offizier es hindern konnte, hatte ein junger Bursche, der sich herangedrängt, mit einem Griff den Schleier der Herzogin ergriffen und herunter gerissen. Das schöne Gesicht, bleich vor Zorn, mit den blitzenden Augen, zeigte sich jetzt zum erstenmal der Menge.

Ein Schrei des Erstaunens brach aus dem Kreise: »Faustina! Faustina!«

Das Weib auf dem Wagen schwang zum Zeichen, daß sie sprechen wolle, das Banner. »Ruhe befehle ich! Ich kenne Dich wohl, Du bist eine Aristokratin, eine Feindin des Volks, die mein Gesicht gestohlen hat!«

Einen kurzen Augenblick schaute auch die Herzogin, die jetzt zum erstenmal ihre Blicke auf die improvisierte Göttin der Freiheit richtete, mit Staunen, fast mit Entsetzen in dies Gesicht, das so merkwürdig dem ihren glich, und sie konnte sich eines Schauders vor dem leichenhaft starren und doch so dämonischen Ausdrucke dieses Auges nicht erwehren; im nächsten aber erinnerte sie sich an die Worte des Mascherato im Grabmal der Metellerin, als er ihr gesagt, daß Rom zwei Nebenbuhlerinnen ihrer Schönheit berge. Mit diesem Gedanken kehrte auch der ganze kühne Stolz und Hochmut ihres Charakters zurück.

»Elende! zittere vor der Rache der Herzogin von Ricasoli, der Nichte Eures Souverains! Wer bist Du, Weib, die es wagt, mich zu verhöhnen?«

»Ich bin die Venus von Rom! Ich bin die Freiheit und die Liebe!«

Ein donnerndes » Evviva Faustina! Es lebe die Venus von Rom!« folgte mit dem Schall der Tamburins und Beifallklatschen den Worten.

Wieder winkte die Courtisane und wieder schwieg die Menge, so daß man das Rauschen des Stromes hören konnte.

»Ich bin aus dem Volke und gehöre dem Volke! Du aber hast meinen Leib gestohlen, wie Ihr, die Ihr Euch die Herren glaubt, alles dem Volke raubt! Es ist Zeit, daß wir die Rollen tauschen!«

Der Ausdruck der Stimme, der Ausdruck der Augen der Dirne hatte etwas so Teuflisches, daß die vornehme Dame ihr Herz erbeben fühlte.

Nochmals begleitete ein donnernder Applaus den Ausspruch.

»Sie hat recht! Cospetto! Nieder mit den Pfaffen und den Aristokraten! Es lebe das Volk! Sage, was wir mit ihr beginnen sollen!«

»Sie wird meinen Platz einnehmen und ich den ihren! Ihr werdet eine Herzogin zur Trägerin Eurer Fahne haben, und wenn sie sich weigert, das Volk zu führen, mögt Ihr sie durch die Tiber schwemmen, bis ihr der Hochmut vergangen: Das Wasser kühlt alle Leidenschaften!«

Sie ließ ihre langen aufgelösten Haare durch ihre Hand laufen, und es war, als rieselten tropfende Wasserperlen daraus nieder.

» Brava, Faustina! Es lebe die Venus des Volks! Sie sollen beide Tiberwasser saufen! In den Strom mit ihnen, wenn sie sich weigern!«

»Haltet ein!«

Die Courtisane streckte die Hände aus und deutete nach dem Offizier, der entschlossen vor seine bebende Gefährtin getreten war.

» Dieser ist mein! Er gefällt mir!«

»Pfui! ein Tedesco! ein Lump von einem Schweizer!«

»Still! Ich habe das Recht zu wählen! Es ist billig, daß die Tochter des Volkes den Platz der Aristokratin einnimmt!«

»Auf den Wagen mit ihr! Es lebe Ihre Hoheit, die Duchessa Venus!«

Das tolle Gesindel lachte und heulte vor Vergnügen; hunderte Hände langten nach der Dame, um sie auf den Muschelwagen zu heben, von dem die Courtisane mit dämonischem Jauchzen heruntersprang!

» Badate! Badate! Der Teufel auf Eure schwarzen Schädel, Ihr Schufte, habt Ihr keinen Respekt vor der Kirche!«

Der würdige Fra Pan, der sich mit seinem Esel zwischen dem Paar und der Menge befand und mit den gefesselten Armen ihrem Übermut wehrlos preisgegeben war, hatte in der That bei dem Angriff viel zu leiden und erhielt manchen Knuff und Stoß zum Gaudium der Menge.

»Hinauf mit der Aristokratin! Gebt der Aristokratin die Tricolora! Schwemmt sie! schwemmt sie!«

Die Herzogin klammerte sich an den Offizier. »Retten Sie mich, Riccardo! Lieber den Tod, als die Schmach!«

Der Schweizer hatte den schweren Degen mit der Scheide in die Rechte genommen. »Halten Sie sich dicht an meiner linken Seite und lassen Sie mir den Arm frei! – Und nun zurück, Gesindel, und wehe dem, der die Dame anzurühren wagt!«

Aber schon drängte sich ein langer Sackträger in dem mehr als einfachen Kostüm eines Lazzaroni, die rote Mütze auf dem Kopf, vor und faßte den Arm der Herzogin, die einen Schrei ausstieß.

Im selben Moment schlug der Offizier mit solcher Gewalt auf den Schädel des Trasteveriners, daß das Gesicht im Nu von Blut überströmt war, und der Kerl wie ein gefällter Stier zu Boden stürzte. Zugleich warf der Schweizer mit einem kräftigen Fußstoß den Esel mit samt dem Mönch über den Haufen, daß beide mitten unter die Menge kollerten und mehrere Personen niederrissen.

Während unter dem Gelächter, dem Fluchen und Schreien der Menschen und des Tieres die Gefallenen sich am Boden wälzten und so Raum schafften, hatte der Offizier die Waffe von ihrer Scheide befreit, und mit dem linken Arm die Dame umschlingend, schlug er mit der breiten Klinge ein Rad, das den Kreis um ihn erweiterte, ihm gestattete, sich bis an das Geländer der Brücke zurückzuziehen und so sich den Rücken zu decken.

»Wenn Männer von Herz und Ehre hier sind, so mögen sie mir beistehen gegen das Gesindel!« donnerte die Stimme des Offiziers. »Nur mit meinem Leben sollt Ihr Hand an die Dame legen!«

Die Künstler und die vernünftigeren Männer, die sich unter der wilden Prozession befanden, suchten mit allen Kräften jetzt die Menge von weiteren Excessen abzuhalten, die einen so unerwarteten, traurigen Ausgang zu nehmen drohten, aber wie immer, wenn der Übermut und die Leidenschaften des Pöbels erst entfesselt sind, verhallte ihr Bitten und Ermahnen unbeachtet unter dem Gekreisch der Weiber und den Verwünschungen der Männer. Dolche blitzten und die flammenden Gesichter, das blutdürstige Geschrei bewiesen, daß die kühne Herausforderung des Schweizers angenommen worden.

In der vordersten Reihe dieser Männer stand das Weib, das die wilde Scene hervorgerufen. Ihre Augen waren mit finsterm, drohendem Ausdruck auf das gefährdete Paar gerichtet, höhnisches Lachen zuckte um den vollen, zum üppigen Kuß ladenden Mund.

»Stolze Duchessa, er trägt das Zeichen der Venus und ist ihr verfallen! Auf sie, Männer Italiens!«

Der Schweizer warf den Blick umher; vor sich die tobende Menschenmauer, die bei der bekannten Feigheit des Gesindels sein kräftiger Arm mit der blanken Waffe noch immer zurückhielt, hinter sich zwischen den Schiffsjochen der Brücke den gelben Strom. Er wußte, daß er nur auf Augenblicke noch dieser Meute, dieser Masse zu widerstehen vermochte.

Ein einziger Weg noch schien ihm Aussicht auf Rettung zu bieten.

Die Häuser oberhalb am Ufer des Flusses, nach dem Zugang der Brücke, traten eine Strecke zurück, aber stromabwärts, wo der Fluß in einer scharfen Biegung sich nach dem andern Ufer wendet, trat ein altes Gebäude von mittelalterlichem Stil, groß aber fast wüst, mit seinen Erkern und Treppen weit vor bis in den Strom, und sperrt die Aussicht von der Brücke.

Der Offizier erinnerte sich, daß dort hinauf ein Aufgang zu den Straßen um das Hospital di S. Spirito führen mußte. Es war ein Gedanke, der wie ein Blitz durch seine Seele flog, der zweite, daß sein kräftiger Arm oft stundenlang in seiner Heimat die blauen Wellen des Leman durchschnitten.

»Haben Sie Mut, Altezza, wollen Sie mir Ihr Leben vertrauend« flüsterte seine Stimme, während seine Kreuzhiebe die Menge zurückhielten.

»Nehmen Sie! töten Sie mich! Nur diesen Menschen überlassen Sie mich nicht.«

»Steigen Sie auf das Geländer! stützen Sie den Arm auf meine Schulter, aber hindern Sie nicht meine Bewegungen. Ich trage Sie sicher ans Ufer!«

Die Herzogin drängte sich dicht an die Brüstung der Brücke, der Offizier warf ihr einen bedeutsamen Blick zu, dann sprang er vorwärts und trieb mit kräftigen Schwerthieben die andrängende Menge zurück.

Der Halbkreis, der ihn eingeengt, dehnte sich aus, ein fünf bis sechs Schritt breiter Raum bildete sich, wie die Meeresflut abprallt, um dann desto gewaltiger zurückzuschlagen.

Aber der Schweizer wartete diesen Angriff nicht ab; ehe nur einer der Angreifer seine Absicht ahnen konnte, war er mit einem Sprung zurück, schleuderte den Degen in die Menge, umfaßte mit der linken Hand die Frau und stürzte sich mit ihr in den Strom.

Ein Schrei des Schreckens, der Wut, des Erstaunens brach aus der getäuschten Volksmenge, als man das Paar in den Wellen verschwinden sah, und wie eine kräftige und energische That immer den Beifall und die Bewunderung der ungebildeten Menge fesselt, so war es anfangs auch jetzt der Fall.

»Die schöne Dame! Heilige Madonna, sie müssen ertrinken! – Rettet sie!«

Aber auf der Brüstung, auf derselben Stelle, von der sich der Offizier hinabgeworfen, stand das dämonische Ebenbild der Herzogin, und wies mit spöttischem Gelächter hinunter in die trübe Flut.

»Thoren, die Ihr seid! Das Ersäufen ist höchstens für einen von Euch gut! Geht zum Teufel, wenn Ihr sie entkommen laßt und sucht Euch eine andere Närrin, als mich!«

Sie riß den Helm und den phantastischen Putz ab und warf ihn unter die Menge, dann sprang sie selbst von der Brüstung und war im Nu unter dem Gedränge verschwunden.

Der Sprung, den der Offizier mit der Dame in das Wasser gethan, war nicht hoch, und das Paar tauchte alsbald etwa zehn oder zwanzig Schritt von der Brücke entfernt wieder aus der gelben Flut. Die Herzogin hatte in der That, trotz der furchtbaren Situation und Gefahr, ihre Geistesgegenwart behalten und sich nicht an ihren Beschützer angeklammert, und als sie jetzt emporkamen und er sie losließ, legte sie, obschon schwindelnd und betäubt von dem kalten Bad, ihre rechte Hand auf seine linke Schulter, so sich über dem Wasser haltend.

Der Offizier war ein ausgezeichneter Schwimmer und es gelang ihm in der That, trotz der hemmenden Kleidung und der schönen Last, die er zu retten unternommen, eine Strecke sich von dem Fluß forttreiben zu lassen, indem er die Richtung nach dem Hause nahm, dessen Erreichung allein sie retten konnte.

Bei diesem Anblick und durch den Hohn der Courtisane aufgestachelt, erwachte die Erbitterung der Menge aufs Neue. Verwünschungen und Flüche folgten dem kühnen Paar, und hundert verschiedene Gegenstände, wie sie der Brutalität der Masse zur Hand waren, wurden ihnen nachgeschleudert.

Die meisten fielen unschädlich hinter oder neben die Verfolgten nieder, aber einmal glaubte man den kühnen Schwimmer von einem Stein getroffen, denn er zuckte im Wasser empor, und das Triumphgeschrei der Menge zeigte, daß sie es bemerkt: aber im nächsten Augenblick schwamm er weiter und war aus dem Bereich jedes Wurfs, obschon die Arbeiter der Steinbrüche und die Liebhaber des Kugelspiels den Ruf ausgezeichneter Schleuderer haben.

Zugleich verbreitete sich der Ruf, wahrscheinlich von den besseren und verständigeren Mitgliedern des Zuges ausgegangen: »Die guarda civica rückt an! Die Schweizer aus dem Quirinal kommen! Nach der Cancellaria!« und der Menschenstrom drängte, den halb zertrümmerten Wagen der Herzogin zurücklassend, so eilfertig wie möglich über die Brücke der innern Stadt zu.

Von dieser glücklichern Wendung wußten aber weder der Offizier noch seine Begleiterin.

Der junge Mann hatte riesenhafte Anstrengungen gemacht, den Strom zu durchschneiden und sich und die Dame über Wasser zu halten. Anfangs hatte es ihm die Luft, die sich in den bauschigen Gewändern der letzteren gefangen, sehr erleichtert, aber bald hatten seine und ihre Kleidung so viel Wasser gesogen, daß sie ihn wie eine bleierne Last hinabzogen.

Plötzlich fühlte er einen stechenden Schmerz am Kopf und dann eine rasch zunehmende Ermattung.

Mit Gewalt sich aus dem Wasser hervorhebend, erkannte er, daß er sich noch etwa zwanzig Schritt von dem alten Hause entfernt befand, um dessen Vorsprung er schwimmen mußte, um das Ufer zu erreichen.

Zugleich sah er, daß die Flut, die er zerteilte, sich mit einer andern Farbe vermischte und bedeckte, als ihrem gewöhnlichen gelben und trüben Aussehen – es war umzweifelhaft Blut.

Ohne an sich selbst zu denken, richtete er einen verzweifelnden Blick auf seine Gefährtin.

Ihre Kraft war zu Ende, der Strom des Wassers, der oft über sie hingeflutet, das Geschrei der Verfolger auf der Brücke hatte sie endlich betäubt, sie begann das Bewußtsein zu verlieren, wie ihm die geschlossenen Augen, die bleiche Farbe des schönen Gesichts bewiesen.

Einen Augenblick glaubte er, daß sie selbst verwundet sei, er rief sie mit zärtlicher Stimme bei Namen, aber nur ein letztes triumphierendes Lächeln, als empfinde sie selbst im Tode das Gefühl des Sieges, zeigte von einem stummen Rest des Bewußtseins. Zugleich fühlte er, wie ihre Hand seine Schulter verließ und seine eigenen Kräfte schwanden.

Noch einmal sich zusammenraffend, unterlief er mit einem kräftigen Stoß die Sinkende und schob sie empor, aber er fühlte seine Kraft am Ende, er fühlte es schwarz werden vor seinen Augen, ein letztes höhnisches Triumphgeschrei seiner Feinde drang an seine Ohren und vermischte sich mit Lauten, als riefen ihm fremde Stimmen aus den Wolken zu. Dann verschwand alles in ein Dröhnen, als läuteten riesige Glocken an seinen Ohren, phantastische Bilder und Gestalten tanzten vor seinen Augen, das Leichenantlitz der schönen Herzogin, die frommen Augen der Nonne, das Lust atmende Gesicht der Venus auf dem Muschelwagen, ihm war, als umschlinge er sinkend und immer tiefer sinkend alle drei Gestalten in einem Körper, und dann kam eine wollüstige Ruhe und Abspannung über ihn, in der jedes Gefühl und Bewußtsein erstarb.

Seine Rechte krampfte mit der letzten zuckenden Lebenskraft umher und klammerte sich an das, was sie erfaßte.

Das Leben erstarrte. – – – – – – –

Über dem Strom hinaus, von Pfählen getragen, hing ein balkonartiger großer Erker, einem weiten Gemache gleichend.

Der Raum mußte eine Art von Magazin gewesen sein oder noch dazu dienen, denn am Boden über dem Strom öffnete sich eine breite Fallthür; eine Winde, eine Art von Krahn, von starken Balken gestützt, war über der Öffnung angebracht, und Stricke und Ketten hingen vor ihr nieder.

Marmorblöcke von verschiedener Größe standen auf Holzrollen in dem nach dem Innern des Hauses sich öffnenden Gemach umher. Ein breiter Bogen nur durch einen schweren grünen Friesvorhang gesperrt, bildete den einzigen Ausgang.

Zwei Personen befanden sich in dem Gemach.

Die erste war ein hoher schlanker Mann von einigen vierzig Jahren, mit Eleganz gekleidet und von jenem unverkennbaren Typus, der unter allen Zonen den blasierten Egoismus des vornehmen Engländers begleitet.

Das Gesicht war fein und schön, wie die englische Aristokratie es häufig zeigt, aber es hatte einen schlaffen und fast weibischen Ausdruck trotz seiner dunkeln Färbung, und das von langen Wimpern verschleierte Auge war matt und blickte hinter dem Lorgnon kalt und gleichgültig auf alle Gegenstände, über die es in trägem Gange hinschweifte. Er trug kurz abgeschnittene rötliche Haare und nach englischer Sitte einen starken hochblonden Backenbart mit sorgfältig rasiertem Kinn.

Der Gentleman lehnte an der steinernen Balustrade des Erkers und schaute bald auf den Fluß, bald auf seinen Gesellschafter.

Trotz der anscheinenden Apathie und des weibischen schlaffen Ausdrucks in seinem Gesicht war doch etwas in seiner ganzen Erscheinung, das physisch eine große Stahlkraft dieses feinen aristokratischen Wuchses, moralisch eine verborgene Energie des Geistes ahnen ließ.

Die Person, die sich mit dem Engländer in diesem Gemach befand, war körperlich das Gegenteil von ihm.

Auf einem Marmorblock im Winkel saß eine zwerghafte verwachsene Männer-Figur, einen Malerstock mit der daran befestigten Reißkohle in der Hand, mit dem sie auf dem Marmor des Fußbodens allerlei Figuren und Gestalten zeichnete, ohne daß der Stein die Zeichnung festhielt.

Eine hohe Schulter, in Wahrheit mehr ein starker Buckel entstellte die verkommene und hagere Figur des Künstlers zur Karrikatur, gegen die der schöne und überaus edle Kopf um so trauriger abstach.

Das Gesicht war groß und lang, wie der ganze Kopf überhaupt in seinen Größenverhältnissen unpassend zu der kleinen Gestalt, aber von wirklich klassischer Schönheit; die Stirn hoch und breit, einen mächtigen Geist bekundend, der Mund fein und sinnig geformt und von einem braunen Bart umwallt, der in wohlgekämmten Locken bis auf den Brustkasten niederfiel. In gleicher Weise umgab jener phantastische Lockenstrom, mit denen die Künstler aller Nationen sich damals von anderen ehrlichen Menschenkindern auszuzeichnen suchten, seinen Kopf, aber dies Haar war so seidenweich, der rötliche Kastanienglanz desselben so schön, daß man dem Krüppel diese Hoffart vergeben mußte. Ein schwarzes Sammetbarett, dessen Form dem Mittelalter entlehnt war, bedeckte das Haupt.

Die gleiche Sorgfalt, wie auf seinen Kopf, hatte übrigens die Eitelkeit des Künstlers oder eine fixe Idee auf die ganze Mißgestalt verwendet. Er trug einen sogenannten deutschen Rock von schwarzem Sammet, aus dem das offene saubere Hemd in weiten Falten hervorbauschte und, halb geöffnet, die bloße haarige Brust zeigend, mit einem kurzen Kragen über die Schulter fiel. Seine Unterkleider waren gleichfalls dunkel und ziemlich anliegend.

Das Auge aber gab dem so schönen und edlen Gesicht einen ebenso merkwürdigen wie unheimlichen Ausdruck. Es war groß und glänzend. Aber dieser Glanz glich dem Flackern eines Irrwisches, und die rastlose Beweglichkeit, der in jedem Moment wechselnde Ausdruck zeugten von einem Leiden der Seele oder von Verwirrung der geistigen Kräfte.

»Signor Michele!« sagte der Engländer.

»Mylord!«

»Was macht Ihr da?«

»Ich vollende meine Venus!«

» Damned! Ich wünschte, Ihr thätet es, damit ich zu meiner Statue komme.«

Der Künstler heftete das glänzende braune Auge auf ihn. »Zum Henker, seht mir doch diese großen und vornehmen Herren! Glauben sie nicht, sie seien besser als ein andres Menschenkind? Nehmt Eure Bacchantin und packt Euch – ich schenke sie Euch, aber laßt mich Euer fatales Gesicht nicht wieder sehen!«

»Aber sie ist ja nur zur Hälfte vollendet und von der Mitte des Leibes ein bloßer Steinblock!«

Der Künstler sprang auf und focht mit dem Stock durch die Luft.

»Sagte ich's nicht,« schrie er wild, »sie dünken sich besser, weil ihre Väter die Landstraßen geplündert und ihnen aus Blut eine Grafschaft zusammengeleimt haben. Stolzer Lord, meint Ihr, daß Ihr mehr Recht habt als Michele, der Maler? Warum solltet Ihr ein Götterbild in Eure goldenen Säle stellen können und täglich im Anschauen Euch trunken machen, während ich, der Prometheus, mich in der Sehnsucht verzehre und schaffe und schaffe und keine Vollendung finden kann? Mann, was wißt Ihr von der göttlichen Harmonie der Schönheit, während ich in der Sehnsucht danach vergehe und mein Hirn sich abmartert, ein Meisterwerk zu schaffen!«

»Armer Narr!« sagte der Lord. »Ihr habt ein Talent wie Michel Angelo oder Benvenuto und fürchtet Euch, einen Arm und einen Kopf zusammenzusetzen ohne das Modell, nach dem Ihr beide gemalt und gemeißelt!«

Der Künstler faßte ihn am Arm. »Was versteht Ihr davon, goldbedeckter Lord? Wißt Ihr nicht, daß in jedem dieser Arme, in jedem dieser Köpfe ein besonderes Leben lebt, ein Wesen, das die anderen Glieder von mir fordert? Vergeblich zermartere ich meine Phantasie, an diesen Götterkopf einen Leib zu fügen, der seiner Schönheit entspricht, oder auf die Wellenlinie des Busens einen Hals und ein Haupt zu setzen, das diesem Leibe das göttliche Leben giebt! Hundert Teufel zerren diese Glieder auseinander wie mit Zangen, meine Sinne verwirren sich, aus den Gliedern wachsen Dämonen-Gestalten, und mein Hirn zermartert sich vergeblich, die göttliche Harmonie zu finden.«

» By Jove! Das ist seltsam! Aber wie erklärt Ihr das, Meister Michel?«

Der Künstler schaute ihn starr an. »Wissen Sie, stolzer Lord, was mir fehlt?«

»Sprecht!«

»Die Seele! Das ist es, was das wahre Kunstwerk schafft. Die göttliche Seele ist mir verloren gegangen über diesen Brüsten und Armen und Köpfen, die ich mit wollüstigem Triumph schuf, als das Vollendetste der Kunst. Weil ich das Fleisch anbetete und vergötterte, hat mir das Fleisch die Seele genommen – und die Arme und Beine und die Köpfe und Torsos ringeln sich wie Schlangen an mir empor und flüstern mir zu: Du gehörst uns, Du gehörst uns. Dein Pinsel und Dein Meißel schuf das Fleisch, aber es fehlt die Seele Gottes darin! Hurra für den Kultus des Fleisches! Was kümmert die Seele mich! Dem Fleische gehört die Welt! Die alten Götter sollen wiederkehren und vor Deinem Throne, Urbild der Fleischesschönheit, sollen anbetend die Völker liegen. Zum Teufel mit den Madonnen und mit dem Raphael, dem Verklärer! Es lebe die Venus Vulgivaga! Es lebe die Göttlichkeit des freien Fleisches – und der Freiheit gehöre die Kunst!«

Er drehte sich wie toll um sich selbst, die kleine verkrüppelte Gestalt schien zu wachsen und sich zu strecken, während sie den Malerstock, gleich einem Runenstab, in phantastischen Kreisen durch die Luft schwang.

»Ihr seid krank, Meister Michel!« sagte kalt der Engländer.

Der kleine Künstler warf sich ermattet nieder auf den Steinsitz.

»Krank – es mag sein! Ich fühle, daß eine innere Glut mich verzehrt, und ich kann den Trank nicht finden, der sie löscht. Hören Sie mich an, Mylord, das Fieber in meinen Adern ist in diesem Augenblick erschlafft, und ich will ihn benutzen, um Ihnen, dem einzigen Freund, den ich habe, zu sagen, was mir fehlt.«

Der arme Verrückte hatte den Arm auf das Knie gestützt und die breite mächtige Stirn in die Hand gelegt.

»Es ist ein eigen Ding um die Menschennatur,« sagte er in leisem, klagendem Ton, der seltsam abstach gegen die frühere kreischende Stimme. »Aber noch schlimmer ist's um eine Künstlernatur, in der sich's gewaltig regt mit dem Schaffen und Denken, dem Sehnen und Fühlen, zumal wenn all der gewaltige Sturm in ein so erbärmliches Gehäuse eingeschlossen ist. Ich weiß nicht, wer mein Vater war. Meine Mutter, die arme Näherin, weinte, wenn ich von ihm sprach, und die Nachbarskinder hießen mich den Baronskrüppel. Meine Mutter arbeitete Tag und Nacht, damit ich in die Schule gehen sollte, und infolge der Arbeit starb sie. Dann war ich ganz allein. Sie wissen, Mylord, daß ich in einer Stadt geboren bin, in der eine berühmte Kunstakademie sich befindet. Aber die Kunst ist wie alles andere eine Auszeichnung, deren Wege nur den Glücklichen der Welt geebnet sind. Ich putzte darum den Herren Malern die Pinsel und die Röcke, holte den Bildhauern ihr Frühstück und war die getretene Vogelscheuche in allen Ateliers. Von meinen Haaren machte ich mir Pinsel und malte in meiner Kammer auf alte Fetzen Leinwand, oder ich stahl in den Ateliers den Thon und formte in der Nacht bei dem Licht einer schlechten Lampe die Gebilde, die ich meinen Herren abgelauscht. So wurde ich ein Mann, aber ich blieb der verachtete Krüppel, das erbärmliche Spielwerk derer, von denen ich gelernt, während der Flügelschlag meiner Seele mir sagt › anch'io sono artista‹, und ein besserer als Ihr!

»Ich sah die Ahnung der Schönheit, die sich frech oder züchtig vor ihren Augen enthüllte, ich malte oder meißelte in Gedanken jedes Glied, jede Linie ihrer Modelle mit ihnen; ein verzehrendes Gift ergoß sich durch meine Adern! War die Schönheit nicht so gut mein Eigentum, wie das ihre? Genoß ich sie nicht in meinem Geist, fühlte ich diese köstliche Wollust der Linien nicht tiefer als sie, während sie den Paria vor die Thür warfen, wenn ihre Orgien begannen?

»Hundertmal hörte ich sie erzählen von jener Verlebendigung der Schönheit, wie sie auf den Gassen des Mutterlandes aller Kunst wohnen sollte, von der Vollendung der Form, wie ich sie aus den einzelnen Stücken, aus den Nasen und Beinen, den Leibern und Köpfen ihrer nordischen Modelle in dunklen Träumen geahnt, und wie sie mir noch keiner der großen Meister der Vergangenheit und Gegenwart zur innersten Befriedigung zu schaffen vermocht. Nach Italien! Nach Italien!

»Damals war es, wo der Viscount Heresford, Sie Mylord, nach der Stadt kam, in der ich Stiefel putzte und Wachs und Thon knetete.

»Sie kamen in das Atelier eines berühmten Malers und sahen sein Bild: Die badenden Nymphen. Sie boten ihm einen hohen Preis, wenn er Ihnen eine Kopie davon fertigen wolle. Er war bereit, aber er forderte zwei Monate Zeit.

»Als Sie, Mylord, am dritten Morgen Ihr Hotel verließen, um abzureisen, stand ein Krüppel an dem Schlage Ihres Wagens, ein Mensch in Lumpen und Schmutz, und reichte Ihnen zitternd ein Bild; es war die Kopie der Nymphen!«

»Ich erinnere mich ich war entzückt davon, und das Bild ist noch eine Zierde meiner Galerie zu Heresford-Abtei.«

»Sie wollten abreisen, Mylord, was weiß ich, vielleicht in die Dschungeln des Ganges, um Tiger zu jagen, oder an den Nordpol, um mit Kapitän Roß den Weg durch das Eis zu suchen. Ohne nur in das Hotel zurückzukehren, öffneten Sie Ihre Reiseschatulle und sagten: ›Das Bild ist mein, bringe das dem Maler und meinen Dank.‹ In den zwei Rollen, die sie dem Menschen gaben, auf dem wohl kaum der Blick Ihres Auges geruht, waren vierhundert Souvereigns. Ihr Wagen, Mylord, rasselte davon. Am andern Morgen war Michael, der Farbenreiber, Michel, der Stiefelputzer, verschwunden, und der Krüppel auf dem Wege nach Italien; denn ich, stolzer Lord, der seine Tausende in den Kot wirft, ich war der Maler des Bildes, und Ihr Gold war mein rechtmäßiges Eigentum.«

Der Lord hatte der Erzählung nicht ohne Zeichen der Teilnahme zugehört, die mit seiner gewöhnlichen Apathie disharmonierten. Dann lachte er laut auf.

» Damned! Die Geschichte ist mindestens nochmals vierhundert Souvereigns wert. Jetzt weiß ich, warum mir geschrieben hat der Maler einen so wunderlichen Brief, als ich ihm von Petersburg gedankt für das schöne Bild und ihm gemacht Komplimente.«

»Es sind acht Jahre her, Mylord,« fuhr der Künstler fort, »seit dies geschah. Von dem Preis des Bildes, das Sie gekauft, lernte sechs Jahre unter hundert Entbehrungen der Krüppel kunstgerecht mit Pinsel und Meißel umgehen, und alles Wissen, was ihm nötig, dann pilgerte er mit dem Rest, der ihm geblieben, nach Rom. Wenn Sie in Ihrem englischen Reisewagen durch die Porta del Popolo in diese Stadt einrollen, sehen Sie das Rom Pius IX.! Aber anders ist es mit der echten Künstlerseele. Jeder Tritt umrankt sie mit den Erinnerungen vergangener Herrlichkeit, jedes Meisterwerk, das die Augen schauen, weckt die rasende Gier, das Höchste zu schaffen. Die gemarterte Seele sinnt und sucht und strebt und kann das Höchste nicht finden.«

Der Lord trat zu dem Unzufriedenen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie sind mit sich selbst zerfallen,« sagte er ernst, »und unklar in Ihrem Ziel!«

Die Augen des Künstlers funkelten in den neu sich bäumenden Geistern des Wahnsinns.

»Mein Ziel? Mein Ziel ist die göttliche Harmonie der Schönheit. Da drinnen in der elenden Brust lebt's und träumt's! Meint Ihr, die kalten Nordländer hätten nicht auch ihren Venusberg, in dem die Schönheit den Ritter umschlingt, oder die Phantasie des Krüppels vermöchte auf jeder Strada, auf jeder Piazza dieser Stadt nicht die göttliche Form des Fleisches, die Wunderherrschaft der Vergangenheit zu begreifen, neben den kaltherzigen Linien Eures Kreuzes, des Tyrannen der Gegenwart?«

»Die römischen Modelle, Meister Michel, haben Euch das Hirn verrückt, indem sie Euer Blut entflammten!«

»Thörichter Lord! Wähnt Ihr, die römische Buhlerin teilte für goldene Scudi nicht so gut das Bett des Krüppels, wie Euer seidenes Lager? In den Augen liegt die Liebe und die Wollust des Künstlers, und durch die Augen ist der Teufel mir in die Seele gekommen, daß sie keine Ruhe mehr findet. Glaubt Ihr, wenn diese Augen das Vollendetste gesehen, was gewesen unter der Sonne, die Seele könne wieder Ruhe finden?«

»Ihr seid auf einem schlimmen Weg, Meister Michel! Das Sinnliche geht Euch über das Höhere! Ihr verliert die Seele über dem Fleisch!«

»Mann des kalten Hohns, was wißt Ihr von der allmächtigen Gewalt der Schönheit? Wollt Ihr sie messen nach der flachsfarbenen Sentimentalität Eurer spröden Ladys, der Grisettennatur des Quartier Latin oder der schlappen Lippe einer Berliner Geheimratstochter? Nur hier lebt die Schönheit, und wer sie nie gefühlt, die ganze Wollust des Fleisches, der weiß nicht, was Göttliches ist in der Schöpfung.«

»So habt Ihr hier das Modell gefunden, nach dem Ihr suchtet?«

»Modell? Wenn das Forum wieder seine Tempel öffnet und die gläubige Menge zum ewigen Kultus der Sinne herbeiströmt, dann fragt, ob die Schaumgeborene ein Modell sei, oder die Gottheit selbst, zu der die Millionen sehnsüchtig schauen!«

»Und warum, Meister Michel, hieltet Ihr die Gestalt nicht fest, von der Eure erhitzte Phantasie träumt, wenn sie in Fleisch und Bein zu Euch kam?«

»Könnt Ihr den Irrwisch greifen? Könnt Ihr die Schaumgeborene, wenn sie wieder über die Erde streift, ins Haus zwingen wie eine Bürgerdirne durch Heirat? Haltet den Orangenduft der Villa Borghese fest, wenn der Nachthauch ihn über den Monte Pincio treibt! Bannt den Sonnenstrahl in ein Netz oder fesselt den Sturmwind, der die Wipfel der Pinien schüttelt und das Schiff auf die Klippen schleudert!«

»Aber wenn Euch wirklich das Weib, das Urbild der Schönheit, diese Vergöttlichung des Fleisches, wie Ihr es nennt, zum Modell gedient, warum schufet Ihr nicht ein Ganzes statt der einzelnen Glieder? Dann wäre der Traum Eures Ideals erfüllt!«

»Nennt sie nicht ein Weib,« sagte der Künstler finster, »sie ist ein Dämon, der alten Herrschaft entstiegen, die Sinne zu verwirren! Ein Kobold war's, eine Sirene, die das Hirn sieden machte mit ihrer höllischen Laune! O, wenn Ihr sie ein einzig Mal gesehen, wie sie dastand, das Bein auf die Stufe gestemmt, keck das Gewand geschürzt, die Arme erhoben, die Bacchantin in der vollen üppigsten Lust, oder auf den Kissen lag, die teuflischen Augen verzehrend in unendlichem Verlangen, der göttliche Leib der Venus sich windend in den Schauern unendlicher Lust, der goldene Strom ihres Haares das einzige Gewand! Oder die aus dem Bade steigende Nymphe, die Wellen des süßen sinnverwirrenden Busens emportauchend aus dem faltigen Tuch, das die köstlichen Linien der Hüften umschlang: der Wahnsinn wäre auch in Ihre Seele gestiegen, wie in die meine, und niedergeworfen vor ihr, hätten Sie die Göttlichkeit dieses Fleisches angebetet!«

»Aber das beantwortet meine Frage nicht. Warum maltet, warum formtet Ihr nur die Teile der Schönheit, nicht das Ganze selbst?«

Der Maler bog sich zu ihm. »Durft' ich's? Hat sie's wohl jemals gelitten? Auf den Knieen hab' ich sie angefleht, diese ganze selige Harmonie der Schönheit mir zu gewähren, und wie ein böser Dämon höhnte sie mich und verwirrte meine Sinne. Wieder und wieder klingt mir's in den Ohren: ›Was wollt Ihr, Signor Michele? Dem Stück von einem Manne gebührt nur ein Stückwerk der Schönheit! Nur wer sich ganz mir giebt, darf ganz mich fordern. Leib um Leib, seht zu, daß Ihr mir einen zu geben habt, der der Venus von Rom würdig ist!‹ und gleich dem Hohn der Schöpfung, der diese erbärmliche elende Gestalt an die Seele gehangen, die in mir lebt und fühlt, also zwang mich's, an die Göttergestalt dieser Glieder die Mißgeburten eines tollen Hirns zu hängen.«

»Ihr werdet sie wiedersehen, ehe Ihr es denkt!«

»Geben die Gräber ihre Toten zurück? Weiß ich nicht, daß sie längst wiedergekehrt wäre, wenn sie noch unter den Lebendigen weilte? Ein Jahr forderte sie, als sie mir verkündete, es dränge sie, mit dem Russen hinaus zu ziehen in die Welt, und das Jahr war gestern zu Ende!«

»Ermannt Euch, Meister! Ihr dürft nicht untergehen unter diesen fixen Gedanken. Ich will Euch helfen, die Harmonie zu erlangen, deren Ihr bedürft!«

»Sie, Mylord?«

» Goddam! Was wollt Ihr mehr, wenn ich Euch das lebendige Modell Eurer Venus zurück schaffe?«

»Mylord Jupiter! nehmen Sie sich in acht mit Ihrem Versprechen!«

Der Lord zog ein Papier aus der Tasche; es war ein zierlich gefalteter Brief, das Couvert duftend nach Rosenbouquet, als käme es aus dem Boudoir einer Dame.

Er enthielt nur die Worte:

»Die Dame hat geschworen, und Signor Michele mag sie erwarten. Der Mascherata.«

»Macht Eure Pinsel bereit und Euren Marmor, Meister,« fuhr der Lord fort. »Aber nützt Eure Zeit. Ein halbes Jahr steh' ich Euch für das Modell, – habt Ihr dann Euren Verstand nicht wieder gewonnen, dann zerbrecht Meißel und Palette und geht in ein Narrenhaus!« – Er sprang empor. » By Jove! was ist das für ein Lärmen von der Brücke des Vatikan?«

Der Maler war ihm zu der offenen Brüstung des Steinbalkons gefolgt, von dem aus man den größten Teil der Brücke und das jenseitige Ufer übersah.

»Ein Volksauflauf, wie sie alle Tage die Straßen durchziehen!«

»Still! Das ist mehr, als ihr gewöhnliches Treiben, und der Tag hat seine schwere Bedeutung. Deshalb warnte ich Euch, das Haus zu verlassen.« Der Lord hatte das Augenglas in die Brauen geklemmt. » Damn! was hat das Gesindel vor? Sie haben einen Wagen umringt und spannen die Pferde los! Ich sehe ein Frauengewand, ein Soldat verteidigt sie! Gebt mir Euren Tubus, Meister Michele, die Sache wird interessant! Sie werden ihn totschlagen!«

Der kleine Künstler lief unruhig in dem Gemach auf und ab. »Schämen Sie sich, Mylord, die Vernichtung eines Menschenlebens ist kein Schauspiel. Lassen Sie uns ihnen zu Hilfe eilen!«

»Unsinn, Mann! man muß nie die Amüsements des Voltes stören, das ist eine Hauptlehre für die Aristokratie. Wahrhaftig, der Bursche hat Mut, er hält sich das Gesindel vom Leibe. Mein Auge müßte anfangen, schlecht zu werden, wenn das Original, jener dicke Bettelpfaffe, mit dem sich Eure Kunstgenossen des Abends in den Kneipen umherzutreiben pflegen, nicht unter dem Gewühl wäre!«

Der Bucklige preßte die Hände auf die Brust, eine kaum zu bewältigende Unruhe war in seinen zuckenden Bewegungen, in dem arbeitenden Gesicht. »Der Weinschlauch! Ich erinnere mich, die Maler wollten die Eröffnung der Deputiertenkammer mit einem Narren zu feiern!«

»Ihr seid ein ungefälliger Bursche, daß Ihr mir den Tubus nicht leihen wollt! Es ist ein Schweizer, soviel ich sehen kann, und ich gebe keinen Bajocchi für sein Leben! Wollt Ihr wetten mit mir – hundert Pfund gegen fünf! – die Farbe ist augenblicklich nicht beliebt in Rom!«

Der Künstler achtete nicht auf das Anerbieten. »Eine seltsame Unruhe verzehrt mich. Wer ist die Frau, die bei ihm ist?«

» Damn! Meister Michele! ich habe keine Luchsaugen. Wie wollt Ihr, daß ich sie auf mehr als zweihundert Schritt erkenne! Aha! nun wird die Geschichte Ernst. Bei alledem ist der Schweizer ein tapferer Bursche und verdiente ein besseres Schicksal. So viele über einen! Was ist das? Das Weib will sich doch nicht ins Wasser stürzen?« Er schlug ein lautes Gelächter auf.

»Was giebt's, Mylord? Mir ist die Brust zusammengeschnürt. Ich vermag nicht hinzusehen!«

»Der Schweizer hat den Mönch mit samt seinem Esel oder besser den Esel mit samt seinem Mönch über den Haufen geworfen und macht ihn zum Bollwerk. Gott verdamm' seine Augen! er hat sich mit der Frau ins Wasser gestürzt und – ich glaube, ich kenne den Burschen! Wo ist Euer Kahn, Meister Michele?«

»Fort! Beppo, der Farbenreiber hat ihn genommen, um nach San Bartolomeo zu fahren!«

Das blasse Gesicht des Lords hatte sich gerötet; das gewöhnliche Phlegma, das den durch ganz Europa bekannten Sonderling auszeichnete, schien ihn für einige Augenblicke verlassen zu haben.

»Schade!« sagte er, »ich sehe, daß der Bursche die Ecke des Hauses erreichen will. Aber es wird zu viel für ihn. Ich selbst vermag keine halbe Stunde in voller Kleidung zu schwimmen, und ich habe mich doch mit den Tauchern von Cerralbo und Espiritu Santa Zwei Inseln am Eingang des Golfs von Kalifornien, berühmt wegen ihrer Perlenfischerei. gemessen. – Und nun noch dazu mit dieser Last!«

»Wo ist das Weib, ist sie ertrunken?« Der Künstler kauerte am Boden, das Gesicht mit den Händen bedeckt.

»Noch nicht, er trägt sie durch das Wasser, wie ein geschickter Schwimmer. – Die Schurken!«

»Was ist!«

»Sie werfen mit Steinen hinter ihnen drein!«

Der Künstler sprang plötzlich empor. »Retten Sie die Unglücklichen, Mylord, ich beschwöre Sie!«

Einen Augenblick schien der Excentric wirklich zu einer jener kühnen Thaten entschlossen, durch die er sich in vier Weltteilen berühmt gemacht, aber schon der nächste änderte seine Gedanken.

»Es tut mir leid,« sagte er kalt, »aber ich habe Lord Minto Der damalige politische Agent Englands in Rom. Sein Haus war häufig ein Sammelplatz der Radikalen. mein Wort gegeben, mich nicht handelnd in den Streit der Herren Republikaner und Päpstlichen zu mischen. Jetzt haben die Halunken sie wirklich getroffen – ich sah den Mann zusammenfahren. Es ist aus mit ihnen, seine Kräfte verlassen ihn! Zweihundert gegen eins, Maestro, daß er die Ecke nicht erreicht!«

Der Maler rannte in dem Gemach umher. »Mir wirrt es vor den Augen, mein Gehirn brennt, mir ist's wie damals, als ich Venus Faustina zum erstenmal gesehen!«

Plötzlich sprang der Lord von der Balustrade und faßte den kleinen Maler an der Schulter. »Die Fallthür auf! an die Winde, Michele! laßt das Seil nieder!« Mit der Kraft eines Riesen hatte er die beiden schweren Flügel der Fallthür im Fußboden emporgerissen, durch welche die Marmorblöcke von dem Fluß in das Atelier gehoben wurden.

Die Winde rasselte nieder in die Hand des Zwerges, der willenlos dem Befehl folgte, der Lord warf seinen Rock ab, bereit, an den Ketten hinunter zu gleiten, als ihn ein gellender Ruf des Künstlers zurückhielt.

»Aus dem Meerschaum! Aus dem Meerschaum! Venus ist erstanden!«

Wie rasend tanzte und sprang der kleine Mann um die gähnende Öffnung und kreischte und schlug die Hände zusammen!

Drunten rauschte die gelbe Flut des Tiber; aus einer Welle von Blut, in hundert Blasen emporquellend und im Nu davongespült, tauchte goldenes Lockenhaar empor, ein bleiches Frauenantlitz, eine Männerfaust, festgeklammert um die Kette des Krahns, als halte sie noch das treue Schwert.

Der sonst so kalte, gemessene Brite stürzte sich auf das Rad der Winde! »Fest! Fest! Tanzt nicht wie ein Narr umher, Meister Michel, und rettet Euren Verstand!« Der kleine Künstler hängte sich mit aller Macht seines verkrüppelten, aber muskelstarken Körpers an die Rollen, aus der Luke tauchten zwei ohnmächtige Gestalten, der Schweizer-Offizier, die Rechte krampfhaft um die Kette, mit dem linken Arm die Frau umschlungen haltend.

»Sie ist tot – sagt' ich's Euch nicht! sie ist tot, aber von dem Grunde des Stromes kommt sie wieder, ihr Wort zu lösen!« sagte der Künstler.

»Stoß den Zapfen ein, aberwitziger Thor, sonst möchte wirklich geschehen, was Du sagst!« Die kräftige Hand des Lord faßte, als Meister Michel dem Befehle gehorcht, die Gestalten, zog sie herüber aus der gefährlichen Schwebe auf den Boden der Halle und löste die Faust des Offiziers von dem rettenden Halt.

»Beschäftigt Euch mit der Frau, Meister Michele, und bringt sie ins Leben zurück. Es ist unmöglich, daß sie tot ist.«

Er hob die schwere, große Gestalt des Soldaten mit Leichtigkeit in seinen Armen empor und verschwand mit ihr durch den Vorhang, der die Halle oder den Erker von dem Atelier des Künstlers trennte.

Einige Augenblicke betrachtete dieser die vor ihm liegende ohnmächtige Frau, dann flammte sein Auge in wildem Glanz auf; er hatte das Heben ihres Busens gesehen.

»Sie lebt! Venus wird mein sein!«

Er hob sie empor und trug sie davon.


Ein Dämmerlicht, hervorgerufen durch die Gardinen über den Scheiben des Kuppelbaues, lag über dem Raum, obschon draußen die Mittagsonne ihre Strahlen über die Stadt der alten und neuen Welt goß.

Ein viereckiges, weites, von jener Kuppel überwölbtes Gemach, das Atelier des Bildhauers. Die Wände mit dunklem spanischen Marmor getäfelt.

Ein unheimlicher Eindruck das Ganze! An den Wänden ringsum Postamente mit Bronze- und Marmorgruppen, Statuetten und Köpfen. Zwischen den strengen alten Römerhäuptern, den antiken Torsos und den Vasen aus den Kaisergräbern und den Ausgrabungen von Pompeji Werke der neuen Kunst, Gebilde von der Meisterhand des verkrüppelten Künstlers!

Aber ein unheimlich Gestalten waltete in vielen der Stein- und Thongebilde, in den Büsten und Statuetten, den prächtig ciselierten Schilden und Kelchen. Dort von dem Piedestal wand sich in wirren Ringen eine geflügelte Schlange empor und der züngelnde Kopf gestaltete sich zum wunderbar schönen Frauenhaupt mit üppig schwellender Lippe. An die springenden Tatzen und den weitgeöffneten Rachen rankte sich ein köstlicher Weiberleib; Dämonen der Hölle mit den Gliedern einer Aphrodite wandten sich an der Silberschale als Henkel empor; zur wilden Lust empor bäumte sich der Weiberleib, und die kräftig gerundeten Schenkel und Arme liefen zu Teufelskrallen aus.

Mitten im Gemach, auf einer breiten Stufen-Unterlage, erhob sich ein Block parischen Marmors.

Aus diesem Block empor, wie ein phantastischer Traum, wuchs die kecke, frivole Gestalt einer Bacchantin von den breiten zum Liebesgenuß sich wölbenden Hüften aus.

Über den schwellenden, kräftigen Brüsten hoben sich im lockenden Schwung die Arme; der Kopf leicht zur linken Seite geneigt und zurück gebeugt, zeigte die klassischen Proportionen der oberen Gesichtsteile, die niedere sinnliche Stirn, die edle Linie der Nase, während Mund und Kinn noch zu einem Steinblock auslief, dem die wilde Phantasie des Künstlers die rohe Form einer Tierschnauze gegeben hatte.

Die Halle oder das weite Gemach hatte vier Zugänge, die sämtlich mit großen wallenden Vorhängen von grünem Wollenstoff geschlossen waren. Dem Zugang von dem hintern Erker gegenüber befand sich der Ausgang nach einem äußern Vorsaal des Ateliers, links das Schlafgemach des Künstlers selbst, rechts öffnete der halb emporgeschlungene Vorhang die Einsicht in ein zweites Atelier, das der Malerei gewidmet war. Mehrere halbvollendete Gemälde, Skizzen und Studienköpfe hingen zwischen Waffen, Kostümen und Kunstgegenständen aller Art an den mit Rot ausgeschlagenen Wänden. Wie in dem Atelier des Bildhauers bildete auch hier eine Staffelei den Mittelpunkt.

Ein großes, halbvollendetes Bild stand auf dieser Staffelei, der gegenüber die schweren Falten eines Vorhangs einen Alkoven oder eine Nische verschlossen.

Das Bild stellte in leichten, zum Teil noch verschwimmenden Umrissen die ganze Figur einer auf üppigem Lager des Mars harrenden Venus dar.

Der goldene Strom der Locken bildete die einzige Bekleidung dieses wunderschönen Körpers. Verschieden von den gewöhnlichen Auffassungen des Vorwurfs war die Schaumgeborene nicht in der trägen Ruhe sinnlich ermatteten Liegens dargestellt, sondern saß halb aufgerichtet leicht auf den rechten Arm gestützt, während die verführerischen Wellenlinien des linken Beines von dem dunklen Stoff des Lagers herabsanken, und der linke Arm sich vorstreckte, als wolle er den nahenden Geliebten umfassen und an sich ziehen.

Die Schönheit dieser Linien, die köstliche Inkarnation dieses Fleisches, so weit sie vollendet, war wahrhaft entzückend und sinnverwirrend, und man begriff bei seinem Anblick, was der Künstler von der Vergöttlichung des Fleisches träumte.

Dennoch erregte dieser Entwurf, dessen reizendes Haupt Zug um Zug das Konterfei des geheimnisvollen Naturspiels jener dreifachen Frauenschöne trug, bei einem näheren Blick unwillkürliches Entsetzen.

In leichten Konturen ringelte sich, den Hintergrund bildend, eine riesige, drachenartige Schlange empor, deren weit geöffneter gähnender Rachen über dem Haupte der Venus schwebte, als wolle er diesen süßen Leib der Wollust verschlingen oder habe ihn ausgespieen, dem Menschensinn zum Verderben.

Der Eindruck der gräßlichen Augen mit ihrem grünroten giftigen Strahl, wie sie aus dem Schatten des Hintergrundes hervortraten, das Fletschen der Zähne, als wollten sie hinein in dies üppige, sammetartige und so lebendige Fleisch beißen, gegenüber der leidenschaftlich warmen Lebenskraft, dem Hauch der Sehnsucht und Lust, die über die ganze Gestalt ausgegossen, war entsetzlich und die Fibern des Beschauers bis zum Zerreißen erregend!

Die Räume der beiden Ateliers schienen in diesem Augenblick von dem Herrn derselben allein belebt.

Der mißgestaltete Künstler saß auf seinem Schemel vor dem Marmorblock, an dem er gearbeitet, in tiefen Gedanken. Das so wenig zu dem verkrüppelten Körper passende Haupt war in die hagere, noch den Meißel haltende, linke Hand gestützt; seine großen, starren Augen hafteten in trübem Sinnen auf dem Vorhang, der im Atelier des Malers die Nische verschloß, aber seine Seele schien in ganz anderen Regionen zu schweifen.

War der Körper vielleicht durch irgend eine Pflicht in diesen Räumen gefesselt, während der Geist draußen mit dem erregten Volk durch die Gassen tobte und in den Wellen des Aufruhrs an die Mauern des Quirinals schlug?

Von Zeit zu Zeit drang stoßweise fernes Gebrüll wie das rasende Branden der Wogen bei Sturmflut, der Knall von Flintenschüssen, der Triumphruf siegenden Hasses in die Einsamkeit dieser Künstlerwerkstatt.

Ein fester Mannestritt unterbrach die Stille dieser seltsamen Werkstätte der Kunst und das Träumen des Künstlers.

Es klopfte in regelmäßigen Pausen dreimal scharf an die Thür des äußern Vorzimmers.

Der kleine Künstler stand auf, nahm Meißel und Schlägel in die Hand und ging, um zu öffnen. Einen Augenblick darauf kam er zurück, die hohe Gestalt des Lords, in einen weiten englischen Sürtout gehüllt, folgte ihm.

Das Gesicht des Engländers war ein wenig gerötet, man konnte leicht erkennen, daß er von Scenen kam, die seinen sonst so unverwüstlichen Gleichmut gestört.

Meister Michele hotte seinen frühern Sitz wieder eingenommen, der Lord warf sich ihm gegenüber in einen altertümlichen Lehnsessel, indem er suchend einen kurzen Blick durch die beiden ihm geöffneten Räume schweifen ließ und sich den Schweiß von der Stirn trocknete.

» Goddam, Meister Michele! Ihr sitzt hier wie eine Auster in ihrer Schale, scheint von alledem nichts zu wissen, was um Euch her vorgeht und überlaßt es Euren Freunden, für Euch zu sorgen.«

Der kleine Maler blickte ihn vertrauensvoll an. »Ich stehe unter Ihrem Schutz, Mylord, das genügt.«

»Bah! Als ob ich die ganze Meute der vierzehn Rionis aufhalten könnte, wenn einer von ihnen witterte, daß der Schweizer-Offizier, der gestern zwei von dem Gesindel zur Hölle geschickt, hier verborgen wäre. Ihr habt doch keinem Menschen geöffnet?«

»Niemandem, Mylord, als der barmherzigen Schwester, die Sie zur Pflege des Verwundeten hierher geführt. Ich habe Beppo, meinem Diener, verboten, die Ateliers zu betreten, und er ist bei meiner Stimmung an solche Befehle gewöhnt.«

» By Jove! ich wette, daß der langbeinige Bursche sich in diesem Augenblick auf dem Monte Cavallo mit Tausenden seines Gelichters umhertreibt. Was macht der Offizier?«

»Das Wundfieber ist bei ihm ausgebrochen. Der deutsche Arzt, den Sie gestern Abend sandten, hat der Nonne die nötigen Anweisungen hinterlassen und wird um zehn Uhr wiederkommen. Der Mann könnte keine bessere Pflegerin haben als diese Frau, sie ist besorgt um ihn, als wäre es ihr eigener Sohn.«

»Ich sehe, daß auch die alten Nonnen zu etwas gut sind.«

»Ich weiß nicht, ob sie alt oder jung ist,« sagte der Maler mürrisch, »sie hat ihren Schleier noch nicht gehoben, seit Sie, Mylord, sie von dem Hospital di Santo Spirito gestern hierher geführt. Ich habe ihr den Schlüssel zur Thür gegeben, die aus meiner Wohnung auf die Straße führt, und sie geht und kommt, wie sie's für nötig findet, denn sie hat darauf bestanden, daß nur sie allein den Kranken pflegen wolle.«

»Wir müssen ihr vertrauen, es bleibt uns keine andere Wahl. Und die Dame, Meister Michele?«

Die Augen des Malers entflammten sich; er hob seine Hände empor und machte eine Bewegung, als wolle er vor dem Engländer niedersinken.

»O, Mylord,« sagte er leidenschaftlich, »Sie haben mir das Leben zurückgegeben, und dennoch weiß ich kaum, ob ich's Ihnen danken soll!«

»So weigert sich die Dame, Ihr Modell zu sein?«

»Nein, Mylord, das ist eben das Merkwürdige. Ihre erste Frage, als sie zum Bewußtsein gelangt, war, wo sie sich befände und ob Signor Riccardo, jener Offizier, der sie beschützt, gerettet sei! Dann, als sie erfuhr, daß dies der Fall, daß aber ungestörte Ruhe ihm verordnet worden, behandelte sie mich, wie eine Fürstin ihren Sklaven, trieb mich aus jenem Atelier und sagte, der Schweizer habe sein Wort verpfändet, sie nicht zu verlassen, und da er es nicht lösen könne, werde sie es thun.«

»Und wo ist sie jetzt?«

Der Künstler wies nach dem Vorhang, der den Alkoven bedeckte. »Still, Mylord, Venus schläft! Man darf sie nicht wecken!«

Seine Augen begannen bei dem Gedanken wieder in den wirren Blitzen des Wahnsinns zu leuchten.

Das Auge des Lords richtete sich fest auf ihn. »Gebietet den Geistern Eurer Tollheit, Meister,« sagte er streng, »das Spiel der Wirklichkeit ist toll genug, als daß man noch selbst die unheimlichen Geister beschwören dürfte! Benutzt die Gelegenheit und haltet das Urbild Eurer wilden Phantasieen fest, bis Pinsel oder Griffel Euch die Vollendung des Ganzen gegeben.«

»Kann ich die Luft halten? Sie ist ein Irrwisch, ein Dämon!«

»Unsinn, Mann, es ist Fleisch und Blut, wie Ihr und ich! Wäret Ihr nicht ein Kind in allen anderen Dingen, außer Eurer Kunst, Ihr würdet wissen, daß in diesem Augenblick dies Atelier ihr einziger und bester Schutz ist!«

»Was wollen Sie sagen? Wer ist sie?«

»Was kümmert's Euch, Meister Michele, wenn Ihr den üppigen Leib für Eure Kunst besitzt? Laßt Euch genügen damit, sie ist die Eure. Draußen droht ihr Schmach und Verderben, wie Eurem anderen Gast der Tod, wenn ein Laut davon offenbar wird, daß sie hier verborgen. All mein Einfluß würde sie in diesem Umsturz aller Autorität nicht eine Stunde zu schützen vermögen. Ganz Rom steht auf dem Kopf.«

»Um Gotteswillen, Mylord, was ist geschehen?«

Der Brite lachte spöttisch auf. » By Jove, Meister Michele, Ihr seid wahrscheinlich der einzige Mensch auf den sieben Hügeln, der eine solche Frage thun kann. So wißt Ihr wirklich nicht, daß Graf Rossi, der Premierminister, gestern Mittag auf den Stufen der Cancellaria, von einem Dolchstich in den Hals getroffen worden und wenige Minuten nach der That in den Zimmern des Kardinal Soglia verschieden ist?«

»Entsetzlich, Mylord! ich weiß kein Wort davon! Aber man hat doch die Meuchler ergriffen? Sie werden ihre Strafe leiden!«

»Das Volk trägt sie im Triumph durch die Straßen!«

»Und die Deputiertenkammer?«

»Der Präsident Sterbini eröffnete sie mit den Worten: ›lassen Sie uns zur Tagesordnung übergehen!‹ Nur der französische Gesandte hatte den Mut, mit der offenen Erklärung, daß er mit Mördern nichts zu thun haben wolle, die Cancellaria zu verlassen!«

»Aber der Papst? Das Kollegium? Man wird strenge Vergeltung üben!«

Der Engländer beugte sich lauschend vor nach der Thür zur Linken; es war, als komme ein schweres Stöhnen von dort, aber es wurde im Augenblick übertönt durch ein Gebrüll, das von außen her in die Stille des Ateliers schlug: » Evviva Italia! Evviva la republica romana!«

Das Geschrei des auf der Straße vorüberziehenden Haufens, zwischen das sich Flinten- und Pistolenschüsse mischten, erstarb in der Ferne.

»Seine Heiligkeit der Papst,« sagte der Engländer ruhig, »würde sich sehr glücklich fühlen, in diesem Augenblick da drinnen an der Stelle des jungen Offiziers zu sein.«

»Was ist geschehen, Mylord? Der heilige Vater …«

»Ist in diesem Moment im Quirinal belagert und so gut wie Gefangener. Eine Deputation der Massen auf der Piazza del Popolo hat Proklamation der italienischen Nationalität, Krieg gegen Österreich und ein Ministerium Galetti, Sterbini und Mamiani gefordert.«

»Und der Papst hat die Forderung bewilligt?«

»Er hat sich anfangs wie ein Mann benommen und geantwortet, es sei unter seiner Würde, mit Rebellen zu unterhandeln. Der spanische Gesandte, Martinez de la Rosa flößte ihm Mut ein und drohte mit dem Zorn der europäischen Souveräne, die wahrlich jetzt selbst genug mit ihren eigenen Thronen zu thun haben. Die Carabiniere und die Linientruppen, die vielleicht gestern noch ihre Schuldigkeit gethan, haben sich heute dem Volk angeschlossen. Antonelli und Soglia, der Kammerherr Medici, Vaures, der Graf von Malherbes und der Marquis Sachetti unterstützten zuerst mit den Gesandten den Entschluß des Widerstandes. Die Schweizer erhielten den Befehl, die Eingänge des Palastes und den Papst bis an den Fuß seines Betaltars zu verteidigen! Aber man hatte vergessen, daß die ganze Wache des Quirinals nur aus siebzig Mann bestand, die nicht einmal Munition zu mehr als drei Schüssen hatten. Die Treue der Schweizer, so lange sie bezahlt werden, ist weltbekannt, und der Säckel der Mutter-Kirche ist einstweilen noch nicht erschöpft. Das Volk umdrängte die Wachen am Hauptthor, verhöhnte die Gardisten und versuchte ihnen die Waffen zu entreißen. Das Geschrei: Tod den Schweizern! Es lebe die Republik! vergrößerte sich mit jeder Minute. Ein Schuß fällt! zu den Waffen! brüllt es durch die Straßen! Se. Hoheit der Großprinz der Rebellion, dieser würdige Bonaparte von Canino, mit einer Muskete auf der Schulter, führt die Zöglinge der Sapienza herbei, die abgefallenen Truppen schleppen eine Kanone gegen das Quirinal, die das Volk in seinem Hohn den ›heiligen Vater‹ tauft und richten sie gegen das Hauptportal. Der ganze Platz ist Kopf an Kopf mit Bewaffneten besetzt, von Santo Carlo heult die Sturmglocke, und die Trommeln der Guarda civica Wirbeln die Empörung durch alle Straßen!«

»Entsetzlich! und ich wußte von alledem nichts!«

Der Lord lachte. »Ihr müßt in der That merkwürdige Ohren haben, Meister Michele, oder Euer neues Modell hat Eure Sinne so umstrickt, daß die Mauern dieses alten Hauses über Euch zusammenstürzen könnten. Ihr merkt es nicht!«

»Weiter, weiter, Mylord!«

»Dasselbe Volk,« sagte der Engländer mit dem Hohn tiefer Verachtung, »das ich vor zwei Jahren sich fast zerreißen sah, um denselben Papst auf Händen zu tragen, sah ich heute Feuer an das Thor seines Palastes an der via Pia legen. Die Schweizer trieben das Gesindel mit Musketenschüssen fort und löschten den Brand. Aus der Scanderbegstraße fielen Schüsse auf die Fenster des Papstes, ein Musketenschuß vom S. Carlo tötete den Sekretär des heiligen Vaters, Monsignore Palma, in seinem Zimmer.«

»Aber wie hat das alles geendet?«

»Geendet? Ei Goddam, es wird für heute zu Ende sein, wenn Se. Heiligkeit in die bescheidenen Forderungen willigt und die Regierung im Café der schönen Künste bestätigt! Morgen und übermorgen werden die Klubs sich dann wohl auf neues besonnen haben, und in vierzehn Tagen wird die Historie des Papsttums zu Ende sein!«

»Und die Schweizer?«

»Sie werden geopfert werden, entweder von dem Volk oder von dem Papst selbst. Sie sind bezahlt, zu sterben, und tapfer genug, um es, wie die Gladiatoren, mit lächelndem Munde zu thun!«

»Aber der junge Offizier dort drinnen?«

»Seinetwegen komme ich eben. Da wir uns einmal mit ihm befaßt, wird nichts übrig bleiben, als daß Ihr ihn hier verborgen haltet, auch nachdem er wieder seine Besinnung erlangt hat. Jeder Schritt über die Schwelle des Hauses würde bei der Stimmung des Volkes gegen die Schweizer sein Tod sein. Keine Seele darf ahnen, daß er hier verborgen ist, der liebenswürdige Pöbel von Trastevere würde sich ein Vergnügen daraus machen, den Wehrlosen heraus zu holen und als Beweis seiner Courage an den Freiheitsgalgen zu hängen. Also das tiefste Geheimnis und Vorsicht, bis ich Mittel gefunden habe, für seine Sicherheit zu sorgen! Auch die Dame dürfte wohlthun, einige Tage diesen Aufenthalt nicht zu verlassen; aus Ursachen, die Euch weiter nichts angehen, Meister Michele, wenn Ihr nur den Vorteil davon habt. Ich rate Euch, nützt die Zeit mit Pinsel und Meißel, Ihr kennt die Mythe vom Glück. Hütet den Schweizer und die Venus und lebt wohl! Ich will sehen, ob unterdes vielleicht Herr Sterbini Papst, oder Rom eine Republik geworden ist!«

Der Excentrik schlenderte so sorglos und gleichgültig hinaus wie er gekommen war, und der Maler folgte ihm, die Thür noch sorgfältiger zu verschließen, als es vorhin geschehen war.

Der Vorhang der Thür war kaum hinter ihm zusammengefallen, als der des gegenüberliegenden Ausgangs nach dem Balkon gemach zur Seite geschoben wurde und ein Paar dämonisch leuchtende Augen herein lauschten. Dann schob sich ein wunderschön geformtes Haupt nach, das den fertigen Teilen der Bacchantin aus Marmor und der Venus des Bildes glich, und nachdem der lauschende Blick sich überzeugt, daß niemand im Atelier sei, schlüpfte die zierlich üppige Gestalt einer Frau herein.

Es war die Göttin der Freiheit, die Venus mit der Trikolore Italiens aus dem Muschelwagen vom Tage vorher, die Frau, welche in zügelloser Libertinage den Schweizer-Offizier für sich beansprucht und das Paar in die Fluten der Tiber getrieben hatte.

Der Blick der Courtisane, als sie sich in dem Atelier wie in einem ihr wohlbekannten Raum umschaute, war spöttisch und triumphierend. Sie trug die Kleidung von gestern, jedoch ohne die phantastischen Embleme des Charakters, den sie in dem Zuge der Trasteveriner vorgestellt. Nachdem ihr Auge prüfend umher geschweift, trat sie vor die halbvollendete Marmorgruppe und betrachtete höhnisch ihr Konterfei.

In diesem Augenblick drehte sich der Schlüssel im Schloß der Thür. Im Nu hockte sie neben dem Piedestal, das früher das Modell der Marmorgruppe getragen, und hatte den darüber hängenden Teppich über sich gezogen.

Meister Michele, der Künstler, trat ein und ging nachdenkend, mit gesenktem Haupt, dem Bogen zu, der das Atelier des Malers von dem des Bildhauers trennte.

Er blickte einige Augenblicke nach dem Alkoven, dann sagte er leise:

»Madonna, schlafen Sie noch?«

»Nein, Signor, ich habe alles gehört und muß Sie sprechen,« antwortete eine Stimme aus dem Klosett. »Öffnen Sie die Vorhänge.«

Der kleine Buckelige schlich auf seinen Fußspitzen nach dem Alkoven und zog an einer Schnur den Vorhang auseinander. Seine Glieder zitterten wie in leichtem Fieber auf dem kurzen Weg und bei der geringsten Bewegung.

Die aufrauschende Gardine zeigte ein im Halbbogen gerundetes Klosett, mit dunklem Stoff ausgeschlagen, an dessen Wand sich ein großes, diwanartiges Ruhebett, etwa zwei Fuß vom Boden, erhob.

Auf diesem Lager von violettem Sammet ruhte, in einen weiten golddurchwirkten Shawl gehüllt, eine Frau, die Herzogin von Ricasoli.

Die schweren, um die köstliche Gestalt gezogenen Falten des Shawls zeigten ohne prüde Verhüllung oder kokettierende Blöße, daß die Dame sich in jenem Zustand befand, in der die Eltermutter des verführerischen Geschlechts sich zuerst dem Manne zeigte, und die Göttin der Schönheit dem Meerschaum entstieg, sie war nackt, und der Shawl ihr einziger Ersatz für die vom Tiberwasser schwer durchdrungene und noch nicht ersetzte Kleidung.

Die Herzogin hatte sich halb von dem Lager erhoben, ihr linker Arm, aus den Falten hervortretend, stützte sich leicht auf die Kissen zurück, der reizend kleine Fuß hatte sich unter der improvisierten Hülle neckisch hervorgestohlen und berührte mit seiner äußersten Spitze das Pantherfell, das vor dem Ruhebett lag.

Ein Strom von goldenen Locken, in dem krausen Gewirr der noch entbehrten Pflege nach dem gefährlichen Bad des vergangenen Tages, umrahmte den Kopf und floß bis auf den Sammet der dunklen Polster nieder. Man erkannte, daß die Not ihre Kammerfrau und die Gelegenheit der Junggesellenwirtschaft ihr Garderobemeister gewesen war.

Das schöne Gesicht der vornehmen Dame hatte wieder den kühnen, sichern Ausdruck angenommen, der es früher auszeichnete.

»Bleiben Sie dort stehen, Signor,« sagte sie gebieterisch.

Der Künstler neigte sich vor ihr in demütiger Haltung wie ein Sklave.

»Dies Haus ist unbewohnt, außer von Ihnen?«

»Von mir allein, Madonna!«

»Es weiß keiner von Ihren Leuten oder Kameraden, daß wir hier sind?«

»Mein einziger Diener war entfernt; seit mehreren Tagen hat mich keiner meiner Freunde oder Gönner besucht, außer dem Mann, der Sie gerettet.«

»Sie nannten ihn Lord; wer ist es?«

»Der Marquis von Heresford, ein vornehmer Engländer. Man nennt ihn einen Sonderling.«

»Ich kenne ihn durch den Ruf. Wir werden später weiter von ihm sprechen. Wollen Sie uns Schutz und Verborgenheit in Ihrem Hause gewähren, bis dieser Sturm vorüber ist?«

»Oh, Madonna, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß alles, was ich besitze und vermag, zu Ihrem Befehl ist. Wer Sie auch sein mögen, Sie sind für mich das Ideal des Schönen, das mir der Himmel wiedergegeben! Nehmen Sie mein Leben, aber lassen Sie mich zuvor mein Werk vollenden!«

Er stürzte sich in wahnsinniger Begeisterung an die Staffelei und ergriff Pinsel und Palette, die Augen glühend auf das schöne Weib gerichtet.

»Signor Michele,« sagte sie streng, »es gilt in diesem Augenblick wichtigere Dinge, als mein Bild! Er muß gerettet werden um jeden Preis!«

»Wer?«

»Thörichte Frage! Der Mann, der mich durch die Tiber getragen, Signor Riccardo, der Schweizer-Offizier!«

Der Künstler warf einen funkelnden, eifersüchtigen Blick nach jener Seite. »So lieben Sie ihn, Madonna?«

»Was kümmert das Sie? Schwören Sie mir, daß er sicher ist in diesem Hause, schwören Sie mir, ihn zu retten, es mag geschehen, was da wolle!«

»Ich …«

Ein leichtes spöttisches Lachen unterbrach das Gelöbnis des Künstlers.

Er wandte sich um, an dem Piedestal des ersten Ateliers stand, in den dunklen Faltenwurf des Teppichs, der sie bisher verborgen, gehüllt, die Frau, die auf so geheimnisvolle Weise in sein Atelier gedrungen war.

»Kennst Du mich, Signor Michele?«

Der Künstler schaute entsetzt, bald auf die eine, bald auf die andere der beiden Frauen.

»Faustina!«

»Recht so, Carissimo! Ich sehe, daß Du Deine alten Freunde nicht vergessen hast über den neuen Bekanntschaften. Ich versprach Dir, wieder zu kommen, und hier bin ich!«

»Faustina, wie kommen Sie hierher, ich glaubte Sie tot!«

»Bah! vielleicht! aber was kümmert's Dich! Avanti amice! Gieb mir ihn heraus, ich muß ihn haben!«

»Wen? Von wem sprichst Du?«

» Demonio! von wem anders, als von dem hübschen Offizier, den Du dort verborgen hältst!«

»Unsinnige, Du irrst Dich!«

»Höre, Freund Michele,« sagte spöttisch die Courtisane, indem sie ihren Fuß aus der Hülle der Decke, die ihre ganze Gestalt verbarg, vorstreckte und auf das Piedestal setzte, das sie einst als Modell getragen, »es ist besser, Du redest Dich nicht um den Kopf! Ich bin die Freiheit, merke Dir das, und ganz Rom liegt in diesem Augenblick zu meinen Füßen! Ein Wink von mir, und man hängt Dich an den ersten besten Laternenpfahl, oder läßt Dich Tiberwasser trinken und jene auch. Es schmeckt schlecht, ich kann es Dir sagen! Wähle!«

Der Fuß, den sie auf das Piedestal gesetzt, der Arm, den sie ihm gebietend entgegenstreckte, waren jetzt nackt; das volle üppige Fleisch, die wollüstige, verlockende Form!

»Faustina, göttliches Weib! was willst Du?«

»Den schönen Svizzero! hörst Du nicht! Glaubst Du, daß die Göttin der römischen Freiheit sich mit einer Vogelscheuche begnügen will, wie Du bist? Er ist dem Volke verfallen durch das Recht des Bluts, das er vergossen, und ich bin das Kind und die Herrin des Volkes! Jener Mann ist mein, gieb ihn heraus, er gehört mir!«

»Schützen Sie ihn vor dieser Rasenden, Signor Michele! Sie will ihn verderben!«

Die Courtisane lachte höhnisch. »Rührst Du Dich auch, stolze Aristokratin? Willst Du kämpfen mit der Tochter des Volkes um ihr Eigentum, wie sie kämpfen draußen auf den Gassen, die hochgeborenen Tyrannen mit der freien Natur des Volkes, die Gegenwart mit den mächtigen Geistern der alten Größe dieser Stadt!«

»Signor Pittore, hören Sie mich! Ich bin die Herzogin von Ricasoli, eine Borgia, die Nichte des Papstes! Ich will Sie reich machen für Ihr Leben, aber retten Sie den Offizier!«

»Gold! wiederum Gold! Mit ihrem Gelde glauben sie, diese Herren der Erde, die Seelen und die Körper zu kaufen! Pfui über die Makler! Nur das Leben ist des Lebens Preis. Signor Michele, wähle zwischen dem warmen Fleisch und dem kalten Gold? Welchem Götzen dienst Du?«

Der Maler stand verstört zwischen den beiden Frauen, seine Blicke von einer zur andern werfend. »Meine Sinne verwirren sich! Habe Mitleid mit mir! Was willst Du mit dem Mann?«

»Er gehört mir! Ich kaufe ihn von Dir! Erinnere Dich, Mensch mit der Feuerseele und dem mißgeborenen Körper, daß ich ein Leben von Dir fordern wollte für meine Rückkehr. Ich gebe Dir das Leben dieses Steins für das jenes Mannes. Sieh her!«

Und auf das Piedestal springend, ließ sie die verhüllende Decke bis zur Hüfte fallen, und warf mit einer leichten Bewegung das tunikaartige Gewand zurück, das sie noch bekleidete.

Dann mit der einen Hand den goldenen Strom ihrer Haare erfassend, drehte sie dieselben in raschem Schwung zusammen und schlang sie zum losen Knoten um das Hinterhaupt, wie jenen, den die halbvollendete Statue der Bacchantin trug.

Der Zwerg preßte die Ballen seiner Hände auf die brennenden Augen, und dennoch blieb vor ihm das entzückende Bild dieser Schönheit, dieses wollüstig dämonische Gesicht, die kräftige Kontur des Halses und des kühn geschwungenen Armes, die Wellenlinie der Büste mit der breiten, zu der üppigen Rundung des Busens verschwimmenden Brust, bis zu der frischen, kraftwogenden Wölbung der Hüften; Fleisch, lebendiges, warmes, liebehauchendes Fleisch, Feuer in seiner atmenden Wärme, ein Götterbild in göttlicher Schöne!

»Erbarmen! Erbarmen!« Der arme Hirnverwirrte sank in die Knie und streckte flehend die Hände empor.

»Schändliche Buhlerin, Du sollst ihn nicht haben,« zürnte die Herzogin, »und sollte es mein Leben kosten. Bedenkt Euer Wort, Signor Pittore, rettet ihn, und ich schwöre Euch, daß die Herzogin von Ricasoli Euren Wunsch befriedigen wird!«

»Wählst Du das Eis für der Lava Glut, thörichter Künstler? Wohlan denn, sie mögen es wagen, wenn der stolze, auf Seide gebettete Körper der Aristokratin sich schöner glaubt, als der Leib des Weibes aus dem Volk! Venus ist überall, und nicht in die Paläste der Reichen gebannt! Hörst Du ihn, wie mein Ruf in sein Ohr gedrungen! Wähle, ehe es zu spät ist, und er selber wählt!«

Zu dem Drama wollüstiger Künstler-Phantasieen, das in den Räumen der beiden Ateliers spielte, schien sich, nur durch die Thür getrennt, in dem Krankenzimmer des Verwundeten eine Tragödie des Fieberwahnsinns zu entspinnen!

»Haltet die Mörder! Haltet die Mörder! Verflucht sei der Kardinal! Schweizer, her zu mir! Fertig! Feuer auf das Gesindel! Wo ist mein Schwert? Ich muß hinaus!«

Ein leiser Klagelaut zwischen dem Toben des Fiebernden, ein Geräusch wie ein Ringen – –

Der kleine Künstler sprang auf: »Erbarmen! Ihr tötet mich mit diesem Glück!«

»Das Kind des Volkes hat kein Gold, aber es giebt sich selbst! Faustinas Leib für den seinen, Seele um Seele, Fleisch um Fleisch!«

»Signor Michele! Signor Michele!«

Der golddurchwirkte Shawl war gefallen, aus dem dunklen Hintergrund der Nische, den Fuß auf den Teppich gesetzt, den linken Arm ihm entgegen gestreckt, als wolle er ihn herbeiziehen, leuchtete der wonnige Leib ihm entgegen, das verlebendigte Bild seiner Venus, wie seine Phantasie es dort auf der Leinwand angedeutet, diese warme, rosige Farbe, eingehüllt in den goldenen Rahmen der Locken, diese göttliche, sinnverwirrende Schöne, diese gewaltige Macht des Fleisches in ihrer üppigsten Verherrlichung! –

Der verkrüppelte Künstler mit seiner Mißgestalt taumelte auf das göttliche Bild zu …

»Her zu mir! nicht die Farbe, die Form ist das wahre Leben!« und mit frechem Griff riß die andere die Decke von dem göttlichen Leib, und die Arme in die Höhe geworfen, wie im rasenden Tanz, stand die nackte Bacchantin vor den Augen des Zwerges, als sei, gleich Pygmalions Statue, das volle üppige Leben aus dem kalten Marmor seines Werkes emporgewachsen.

Das Haupt zur Seite geneigt, die köstliche Wellenlinie der Hüfte geschwungen zu dem üppigen Tanz, das linke Bein mit seiner vollen, üppig gerundeten Kraft zurückgestützt, das Auge lusttrunken erhoben, so stand sie vor seinen zitternden Sinnen, – das Leben in der vollen Gier der Lust, greifbar, fühlbar jedem dieser Sinne, nicht dem Auge allein, die Vergötterung des Leibes in seiner üppigsten Pracht.

»Venus! Venus vulgivaga!«

Wie ein Trunkener schwankte der Mißgestaltete – dann öffnete er die Arme und eilte auf sie zu … »Nimm, o nimm, Du Göttliche …«

Mit einem mächtigen Krach brach die Thür zusammen, der wallende Vorhang zerriß unter der Faust des Fieber-Rasenden –

»Meine Ehre! Meine Ehre! Nieder mit den Mördern!«

Die hohe Gestalt des Schweizer-Offiziers, halb bekleidet, dem Lager entsprungen, die Faust erhoben, als halte sie die treue Waffe, stürzte sich in den Raum, die großen fieberglühenden, sonst so milden und treuherzigen Augen rollten umher, der Blick schien alles zu umfassen, die Courtisane und die Herzogin, die Bacchantin, den Marmor, die Farbe, und das Venusbild, den Künstler und seine Werkstätte.

Und hinter ihm – – –

Die letzten Strahlen der Sonne brachen über die mächtige Kuppel Sanct Peters her mit vollem Strom durch das Fenster auf der Rückwand des Gemaches und umkleideten die knieende Frauengestalt in dem Rahmen der Thür.

Der verhüllende Schleier, die bergende klösterliche Haube war in dem Ringen mit dem Kranken von ihrem Haupt gefallen, das züchtige schwarze Gewand zerrissen, Schulter und Brust zum erstenmale in ihrer blendenden Weiße dem frevlen Blick preisgegeben; nicht im phrygischen Knoten der Bacchantin oder im goldenen Strom der Venus des Bildes umwallte reiches Lockenhaar das erhobene Antlitz der Nonne, ins keusche Spiegelbild jener beiden entzückenden Gesichter, aber der Sonnenstrahl umkleidete das kurze Haar der Braut Christi mit einer goldenen Glorie, als flösse der köstliche Mantel dieses Lockenstroms noch unberührt von der strengen Sitte der Kirche um die jugendlich züchtige Gestalt, und erhöhte die wunderbare Schönheit, die das Spiel der Natur ihr wie ihren zwei Ebenbildern gegeben.

Aber wenn die Schönheit der Courtisane aus dem Volk all die Glut und den Kultus des zügellosen Genusses, wenn die Schönheit der Aristokratin den Leichtsinn des Herzens und den Stolz des Blutes versinnlichte – dann verklärte strahlend der Odem des Himmels, der göttliche Adel der Tugend und Keuschheit von Seele und Leib jene irdische Schönheit, mit der die Hand Gottes Fausta, die Samariterin, geschmückt, und die sie ihm mit den irdischen Schwächen und Leidenschaften auf seinem Altar als Gabe gebracht hatte.

Das Auge der knieenden Nonne war in schwärmerischem Ausdruck erhoben; erhabene Angst, erhabene Liebe und erhabener Glaube sprachen sich in diesem Auge aus.

»O Madonna, barmherzige Mutter der Schmerzen! errette ihn aus den Gefahren der Bösen, wie seine starke Hand Deine Magd errettet hat, und nimm ihn in den Schutz Deines göttlichen Sohnes, dessen Macht über der der Menschen ist!«

Der Fiebertobende drehte sich im Kreis um sich selbst, seine Hand riß den altertümlichen Morgenstern aus der Waffentrophäe der Wand und schwang ihn wie ein Rohr durch die Luft, seine Augen glühten in wilder Raserei …

»Herbei zu mir! Hirten von Uri! nieder mit den italischen Schlangen! Ihre Freiheit ist Mord! ihre Treue Verrat! Rettet die Ehre! Rettet die Ehre! Schützt den Vatikan!«

Und mit gewaltigem Schwung der Keule stürzte er gegen das nackte Weib auf dem Piedestal, die Göttin der zügellosen Freiheit, und hob sie zum vernichtenden Schlag.

Da öffnete die Bacchantin ihre Arme, bannte ihn mit wollüstig verzehrendem Blick und warf die schwellende Brust ihm entgegen.

»Riccardo!«

Seine Augen flammten sie an, der Morgenstern entfiel seiner Faust, auch er öffnete die Arme und streckte sie dem reizenden Leib entgegen –

»Ich kenne Dich, Du bist die Venus! Du bethörst die Menschen und nimmst ihre Seele! Venus, Venus vom Vatikan!«

Die mächtige Gestalt stürzte regungslos, bewußtlos zu Boden, die Wunde am Haupt öffnete sich, ein Strom dunklen Bluts färbte die Quadern des Marmors!

»Heilige Madonna, erbarme Dich sein!«

Wie die Tigerin auf ihre Beute, stürzte sich die nackte Courtisane auf den begehrten Mann und umschlang ihn! »Er ist mein! mein! Herbei, Ihr Getreuen!«

Und auf das dreimalige Klatschen ihrer Hände öffnete sich der Vorhang des Erkers, und zwei Männer, in dunkle Gewänder und schwarze Masken gehüllt, traten ein, hoben auf das Zeichen der Buhlerin den Körper des Offiziers empor und verschwanden mit ihm hinter dem Vorhang des Altans, wo die Fallthür zum Strom sich öffnete.

Mit rasender Hast hatte das dämonische Weib wieder das leichte Gewand über die mißbrauchte Schönheit ihres Leibes geworfen und schüttelte hohnlachend die Hand gegen den erstarrten Künstler.

»Dank Dir, Meister Michele! Ich gab Dir den meinen, ich nehme den seinen! Venus regiert in Rom – es lebe die Religion der Freiheit!«

Der Vorhang schloß sich hinter ihr und ihrem Opfer.

Der Künstler schaute wie betäubt umher, das Postament, das die Göttin des Fleisches, die üppige Gestalt der Bacchantin getragen, war leer; der Vorhang vor der Nische des lebendigen Venusbildes, der schönen und stolzen Tochter des fürstlichen Geschlechts, war längst zusammengefallen und barg ihren Schmerz und ihre Schmach. Dann fiel sein Blick auf die Nonne.

Dort kniete sie noch in dem Rahmen der Thür, die Hände zum Gebet erhoben, und Thränen um den Verlorenen rannen aus den großen Augen.

Lange haftete sein Blick auf ihr, ein anderer Geist schien durch das Auge in seine verstörte Seele zu ziehen, ein heiliger Friede, ein erhabener Gedanke.

Dann stand er auf aus der unwürdigen Stellung vor dem Piedestal der Wollust und raffte die schwere Waffe auf, die der Hand des kranken Offiziers entfallen. Ein Schlag, und in Stücke zertrümmert rollte der Kopf des Marmorbildes in den Staub; wenige Schnitte – die scharfen Spitzen der Waffe zerrissen vernichtend die Leinwand des Venusbildes, seine Hand stürzte es verächtlich von der Staffelei und hob einen neuen Rahmen hinauf.

Mit der Kohle waffnete sich die Hand statt des Morgensterns, der seine Dienste gethan, und begann in flüchtigen begeisterten Konturen ein Bild zu entwerfen, wie es vor seine geläuterte Seele getreten.

Noch kniete betend die Nonne, und der letzte Strahl der Sonne, die hinter dem heiligen Dome der Christenheit versank, warf die Glorie der Heiligen um ihr Haupt!

 

(Schluß des dritten Bandes).

 


Herrose & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.


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