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Das Ende vom Anfang.

Drei Monate waren seit dem blutigen Kampf bei Czetate vergangen.

Es war am Abend des 27. März, und unsere Geschichte führt uns nach einer kurzen Übersicht über den Gang der Ereignisse nach Paris zurück.

Am 4. Januar war die vereinigte englisch-französische Flotte, 34 Segel stark, ins schwarze Meer eingelaufen. Indem der englische und französische Gesandte dies zur Kenntnis Redschid-Paschas brachten, stellten sie das Verlangen, daß ohne vorgängiges Benehmen mit den Gesandten und Admiralen die türkische Flotte nicht die Offensive ergreife.

Dieses Verlangen muß als bloßes Blendwerk der öffentlichen Meinung bezeichnet werden, denn die türkische Flotte war nach den Verlusten von Sinope in keiner Weise zu einer Offensive geeignet. Der Wendepunkt des Krieges lag vielmehr bereits in den unterm 27. den Befehlshabern der Flotten gegebenen Instruktionen, deren Inhalt am 12. Januar in Petersburg der englische und der französische Gesandte dem Grafen Nesselrode notifizierten.

Die englische Instruktion für den Gesandten besagte, daß die Flotten auch den Türken nicht gestatten würden, einen Angriff zur See zu machen, – die französische Instruktion enthielt jedoch von dieser Garantie für Rußland kein Wort.

Die Admirale Dundas und Hamelin hatten beim Auslaufen die Fregatte »Retribution« mit Depeschen an den Fürsten Menschikoff nach Sebastopol vorausgeschickt, die dem Fürsten-Gouverneur erklärten, daß die Flotten nur zum Schutz des türkischen Gebiets sich im Schwarzen Meere befänden, daß dagegen die russische Flotte ihre Häfen nicht verlassen dürfe. Die wahre Absicht der Sendung war aber offenbar eine Rekognoszierung von Sebastopol, in dessen Hafen die Fregatte trotz zwei blinder Schüsse der Batterieen einzudringen suchte. Erst eine Kugel durch den Bug nötigte sie zum Beilegen. Sie fand die gesamte russische Flotte im Hafen versammelt. Die vereinigte Flotte hatte, trotz jeder Erklärung der Admirale, die Gelegenheit benutzt, um einen Convoi türkischer Dampfer mit Kriegsvorrat nach Batum zu eskortieren.

Während in Wien die Konferenz sich abmühte, Projekt auf Projekt zu häufen, ohne daß es irgend einem Teil, mit Ausnahme Preußens, wirklich Ernst damit war, wurden Erklärungen der Höfe von Paris, London und Petersburg gewechselt. Die russischen Gesandten in Paris und London forderten eine solche für die Instruktion der Admirale. Die ihre lautete, daß Rußland ein Auftreten der Flotten nicht als feindseligen Akt betrachten würde, daß Türken eben so wenig wie Russen angreifen dürften und daß, wenn den Türken der Verkehr zur See zwischen ihren Küsten gestattet wäre, dies auch für die Russen gelten müßte. England und Frankreich jedoch antworteten ablehnend, daß sie die Instruktionen, wie sie seien, aufrecht erhalten würden, worauf Baron Brunnow und Herr von Kisseleff den beiden Kabinetten anzeigten, daß sie sich in Folge der verweigerten Reziprozität genötigt sähen, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen und London und Paris mit den Gesandtschaftsmitgliedern zu verlassen. Dies geschah am 4. Februar. Der englische und französische Gesandte erhielten sofort den gleichen Befehl. Der erstere wurde – noch ehe dieser eintraf – von Graf Nesselrode unterm 13. aufgefordert, seine Pässe zu nehmen. Der französische Gesandte verlangte selbst die seinen.

Damit war der diplomatische Bruch entschieden, und die Bitterkeit, die im Tone des von Kaiser Napoleon an den russischen Zar gerichteten Briefes herrschte, und die Antwort des Zaren zeigten die gereizte Stimmung und was von gegenseitigen Konzessionen zu erwarten war.

In Wien war am 29. Januar Graf Orloff, der Freund und greise Vertraute des Zaren, eingetroffen, um mit Baron von Budberg den Versuch zu machen, Österreich und Preußen zu einem unbedingten Neutralitätsbündnis mit Rußland zu bewegen. Während Österreich mit eingehenden Versprechungen hinhielt, lehnte Preußen offen ein solches Bündnis als eine, wenn auch unausgesprochene Hilfe für Rußland ab, die mit seinen, durch die Protokolle übernommenen Verpflichtungen in Widerspruch stände. Die Mission des gewandten Staatsmannes scheiterte hiermit und der Graf verließ am 8. Februar Wien, worauf Österreich sich beeilte, in Serbien und dem Banat ein Beobachtungskorps von 25 000 Mann aufzustellen, unter dem Vorwande der serbischen Erregung und der in den Grenzdistrikten jetzt offen ausgebrochenen Schilderhebung der Griechen.

Unterm 9. Februar erließ Kaiser Nikolaus ein Manifest an sein Volk, worin er erklärte, daß die von England und Frankreich ihren Flotten im Schwarzen Meere gegebenen Befehle eine unter gebildeten Staaten unerhörte Handlungsweise bildeten, die ihn zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit jenen Staaten genötigt hätten, die sich zu den Feinden des Christentums stellten gegen Rußland, das für die orthodoxe Kirche streite. Rußland werde gegen alle Angriffe feststehen – wie 1812. Die Westmächte antworteten unterm 27. Februar mit einem Ultimatum nach Petersburg, das die Räumung der Fürstentümer bis zum 30. April forderte; die Weigerung sollte als Kriegserklärung betrachtet werden, und Lord John Russel hielt seine bekannte Philippika im Unterhause gegen die unredliche und eroberungssüchtige Politik Rußlands. Zugleich forderte die österreichische Regierung, der an einer Verbreitung und einem glücklichen Erfolge des griechisch-christlichen Aufstandes sehr wenig gelegen war, die Westmächte auf, demselben zu Wasser und zu Lande entgegen zu treten, und diese bedrohten die griechische Regierung mit einer Blockade und einer Okkupation, die, später wirklich ausgeführt, eine unerhörte Schmach des christlichen zivilisierten Europas und eine Beschimpfung des Königtums werden sollte. Der Zar dagegen erklärte, daß er dem griechischen Aufstande seinen Beistand und seine Teilnahme nicht versagen könne, und sollten die Kämpfe einen ähnlichen Charakter wie die Freiheitskämpfe von 1826 annehmen, so werde er unter keiner Bedingung mitwirken, diese Bevölkerung wieder unter das türkische Joch zurückzubringen.

Zu Ende Februar hatten bereits die Absendungen französischer und englischer Truppen nach dem Orient begonnen. Der Oberbefehl über das französische Heer und über die gesamte Armee der Alliierten wurde an den ehemaligen Kriegsminister, den Marschall Saint Arnaud, übertragen, das englische Korps befehligte Fitzroy Somerset, Lord Raglan. Ingenieure gingen voran, um bei Gallipoli ein Lager für die Hilfstruppen auszustecken, und die Westmächte schlossen unterm 12. mit der Pforte einen Alliance-Tractat über die Sendung von Hilfstruppen ab, wogegen sich die türkische Regierung verpflichtete, keinen Waffenstillstand oder Frieden ohne Bewilligung der beiden Alliierten abzuschließen. Am 11. war die englische Ostseeflotte von Spithead ausgelaufen.

Die Kämpfe an der Donau hatten unterdeß mit wechselndem Glück ihren Fortgang genommen, während dagegen die Russen in Asien mehrere bedeutende Siege gewannen.

General Schilder hatte am 26. Januar den General Fischbach in Krajowa ersetzt und die oberste Leitung der Operationen gegen Kalafat unternommen, die sich indeß bis Mitte März auf eine Zernierung und unbedeutende Gefechte beschränkten. Vom 13. bis 19. vertrieben die Russen wieder die Türken aus Giurgewo, wo es ihnen gelungen war, sich festzusetzen, der Versuch eines Überganges nach Rustschuk wurde dagegen zurückgeschlagen und die Türken gewannen selbst die zwischen Sistowo und Rustschuk gelegene Donauinsel, gingen am 4. März bei Kalarasch auf das linke Ufer des Flusses und zerstörten zum Teil die gegen Silistria dort errichteten russischen Batterieen. Ebenso versuchte Fürst Gortschakoff vergeblich und mit großem Verlust noch einmal bei Oltenitza die zwischen den beiden Ufern liegende Insel den Feinden zu entreißen. Die Russen waren in diesem Augenblick auf allen Punkten der Donau im Nachteil und ihr Führer offenbar mit einem neuen Operationsplan beschäftigt.


Ein ziemlich großes Arbeitskabinett, – schwere dunkle Vorhänge vor den Fenstern, durch die man auf die glänzende Beleuchtung schaute, die allabendlich den herrlichen Quai der Tuilerien mit Tageslicht erhellten; – das prächtige Bild einer Frau mit aschblonden Haaren und dunklen spanischen Augen aus dem berühmten Pinsel Désandrés; – einige Karten an den mit dunklem, mit goldenen Bienen durchwirkten, Seidenstoff beschlagenen Wänden; in einer Ecke die Uniform der »Hundert-Garden«; – Bücher und Broschüren auf allen Tischen, und Schränke mit einer ausgesuchten Handbibliothek an den Seitenwänden, in welche drei Türen mündeten; auf dem großen Tisch in der Mitte das überaus schön von Stahl und Messing gearbeitete Modell eines Geschützes nach neuem, noch unbekanntem System.

An dem Tisch in der Mitte saß ein Mann von etwa 46 Jahren, mit hoher Stirn und vorspringenden, energischen und kräftigen Zügen. Der aus hundert Abbildungen bekannte Schnitt des Bartes, der feste, stolze Ausdruck des Gesichtes, aus welchem das ursprünglich ziemlich matte Auge unter buschigen, dunklen Brauen häufig scharf und durchdringend aufflammte, konnten unmöglich die hohe Persönlichkeit verkennen lassen. Seine rechte Hand ruhte auf der Lehne des Fauteuils, während seine Linke ab und zu eine Zigarre zum Munde führte.

Er schien aufmerksam auf den abwechselnden Vortrag zweier Herren zu hören, die an der anderen Seite des Tisches ihm gegenüber standen und von Zeit zu Zeit ihm ein Papier hinüber reichten, das der Sitzende alsdann flüchtig durchsah.

Der eine der beiden trug die glänzende Uniform eines Marschalls von Frankreich, sein breites Gesicht sah aufgedunsen und ungesund aus; das Gesicht des anderen, in Zivil mit dem Großkreuz der Ehrenlegion und zahlreichen ausländischen Orden am Kordon seines schwarzen Fracks, war geistreich und anmaßend.

»Kolonel de Méricourt hat die Berichte über die Einschiffung der Truppen bis zum 22. von Marseille gebracht. In Oran und Algier stehen die designierten Zuavenregimenter bereit und warten auf die Schiffe des Admirals Dufresne. Ducos sagt mir, daß dieselben heute an der afrikanischen Küste sein werden. Das ganze Kontingent wird demnach bis zum 30. auf der See sein und vor Mitte des nächsten Monats in Gallipoli ausgeschifft. Wann, Sire, werde ich abreisen?«

»Es eilt nicht, Marschall, jedenfalls vor den Engländern. Einstweilen genügt Canrobert. Haben Sie Nachrichten von der Donau, Drouin?«

»Sehr wichtige, Euer Majestät, ich erlaubte mir nur, dem Herrn Marschall-Oberbefehlshaber den Vortritt zu lassen.«

»Geschwind, geschwind! Depeschen über Wien? Sie wissen, daß ich sie auf der Stelle erhalten will.«

»Beide sind seltsamer Weise wieder zusammengetroffen, also offenbar in Österreich verspätet worden. Ich habe unserm Gesandten bereits geschrieben, aber er behauptet, daß es außer seiner Macht stehe.«

»Der Inhalt?«

»Ein russisches Korps ist unterhalb Hirsowa über die Donau gegangen und hat die türkischen Schanzen erobert. Am 23. sollte die Belagerung gegen Hirsowa beginnen. Fürst Gortschakoff hat auf die Verschanzungen von Matschin ein starkes Feuer eröffnet und sucht offenbar den Übergang bei Braila zu erzwingen; ebenso General Lüders bei Galacz und General Uschakoff von Ismael aus nach Tultscha.«

»Ah, da haben wir den vollständigen Operationsplan, den Gortschakoff in der langen Ruhe vorbereitet hat.« Er beugte sich über eine vor ihm liegende Karte. »Matschin, Isaktscha, Tultscha und Hirsowa – sie müßten nach unseren Berichten von ihrer Stärke in ein paar Tagen genommen werden und damit ist Babadagh und die obere Dobrudscha in den russischen Händen. Es handelt sich offenbar um eine Operation ihres linken Flügels gegen Varna, als den Schlüssel zu Rumelien. Aber es wird seine Schwierigkeiten haben, ohne die Unterstützung der Flotte.«

»Es ist unmöglich, Sire, ohne den Besitz von Silistria.«

»Richtig, Marschall – der Muschir kann sonst über ihre Flanke herfallen. Doch der Fürst ist ein Taktiker und wir werden sicher in den nächsten Tagen von einem weiteren Übergang oberhalb Silistria hören, das man alsdann von drei Seiten einschließen kann.« Er verweilte einige Augenblicke über der Karte. »Jedenfalls ist der Augenblick zum Einschreiten gekommen. Wir müssen auf dem Platz sein und die Macht haben, die Ereignisse nach unserem Willen zu lenken. Die Türken dürfen geschlagen, aber nicht besiegt werden und die Balkanlinie muß unberührt bleiben, sonst haben die Österreicher Veranlassung und Gelegenheit, sich einzudrängen.«

»Silistria wird sich nicht halten können, Sire.«

»Das ist gleichgiltig, wenn es nur so lange geschieht, bis unsere Truppen in Varna stehen. Wir müssen einige zuverlässige Offiziere in Silistria haben. Sie werden die nötigen Befehle geben, Marschall. Vaillant wird mir morgen Vormittag nach dem Conseil über die Etappen berichten. Alle Maßregeln müssen beschleunigt werden.«

»Euer Majestät erlauben mir die Bemerkung,« sagte der Minister des Auswärtigen, »daß bei alle dem doch wohl erst der offizielle Schritt der Erklärung voran gehen muß.«

»Erinnern Sie sich, Herr, wie mein Oheim, der Kaiser, gegen Österreich verfahren ist. Das ist hier aber nicht nötig und wir können vor Europa alle Formen wahren. Wir haben volle Zeit. Der Beschluß wird morgen im Conseil gefaßt und Fould meine Instruktionen erhalten, um sie am Abend im Senat und der Legislative vorzulegen. Es ist mein Wunsch, daß wir den Engländern damit nicht zuvor kommen. Das nötige ist hier und in London vorbereitet und der Telegraph kann uns über die Stunde verständigen.«

»Die griechische Regierung hat auf das Ultimatum eine ausweichende und ungenügende Erwiderung gegeben.«

»Das wird uns Gelegenheit geben zu einer Etappe im Pyräus. Das weitere mögen die Briten von Korfu aus tun. Auf Wiedersehen, meine Herren.«

Der Zurückbleibende ging einige Minuten, die Hände auf dem Rücken in dem Kabinett auf und ab. Tann trat er zu einem Bilde Napoleons des Ersten, das über der Bergère an der Wand hing und betrachtete es längere Zeit. Die großen, durchdringenden Augen des berühmten Herrschers und Kriegers, des Siegers in so vielen Schlachten und drei Weltteilen blickte ehern auf ihn nieder.

»Seit 1815 zum ersten Male,« sagte der Bewohner des Zimmers langsam vor sich hin. »Die Zeit naht ihrer Erfüllung und die Demütigung von Moskau, wie die Verzögerung meiner Anerkennung werden ihre Sühne finden. Ehe zwei Jahre vergehen, wird der Thron der Napoleoniden wieder der gefürchtetste Europas sein. Das genügt, denn die Geschichte hat uns das Unerreichbare gelehrt. – Vetter Nikolaus,« ein leiser Hohn spielte um seinen Mund – »nicht Rußland oder Frankreich – ihre Interessen liegen zusammen! – sondern ich und Du!«

Er trat rasch zu der zweiten Tür, hob den Vorhang und öffnete sie. In dem Korridor, auf den sie führte, stand in einiger Entfernung ein Kammerdiener in Escarpins.

»André – führen Sie die beiden Herren zu mir ins Kabinett.«

Einige Augenblicke darauf traten zwei elegant in Schwarz gekleidete Männer ein, der eine mit spitzig hervorspringender Stirn, etwas vorstehendem Mund und scharfen grauen Augen, der zweite mit einem gewissen Embonpoint und orientalischem Gesichtsschnitt – Baron Riepèra.

Drei tiefe und ehrerbietige Verbeugungen erfolgten, dann erwarteten sie schweigend die Anrede.

»Meine Herren,« sagte nach einer Pause der Empfangende, »die Finanzoperation, die Sie mir vorgeschlagen, ist zu meiner vollen Zufriedenheit ausgefallen. Ich danke Ihnen.«

Wiederum Verbeugungen.

»Während Herr von Rothschild mit der Anleihe von 250 Millionen Umstände machte, gab Ihr Memoire der Regierung den sinnreichen Plan in die Hand, die Summe durch Nationalsubskription – was man sonst nur im Fall einer Finanznot des Staates tut – aufzubringen und den Zeichnungen bis zu zehn Franken Rente einen bedeutenden Anteil zu sichern. Ich habe sofort neben den Nachteilen auch die Vorteile dieses Vorschlages erkannt. Nicht mehr die Bankiers sondern die Nation in den untersten Schichten ist durch diese Zeichnung an dem steigenden und fallenden Wert der Rente an der Börse beteiligt. Die Anleihen der Staaten bei den Finanziers machen die Fürsten entweder zu ihren Kommis oder im Falle einer gewaltigen Maßregel zu Räubern; die Anleihe bei allen aber immer das Volk zum blinden Anhänger und Verteidiger der Regierung.«

»Euer Majestät erlaubten wir uns eine hohe Ziffer zu versprechen.«

»Sie haben sich nicht getäuscht, Herr. Binneau hat mir heut Morgen die letzten Berichte aus den Departements vorgelegt, und die Gesamtsumme beträgt 469 Millionen, trotz der kurzen Frist. Rechnen wir auch hierauf die 20 Millionen, die Rothschild, die 30 Millionen, die Ihr »Crédit mobilier« gezeichnet, die 25 Millionen der Bank von Frankreich und die 5 Millionen Sina's, so bleiben immer noch 389 Millionen in kleinen Zeichnungen, also 139 Millionen mehr, als ich haben will.«

»Euer Majestät werden sich erinnern, daß hierin gerade der weitere Vorteil liegt.«

»Allerdings, und das ist der Punkt, wo sich unsere Operationen und unsere Interessen berühren. Sie sagen richtig, daß die Nation die einmal gezeichneten Summen nur sehr ungern wieder der Spekulation entziehen und dafür jede andere günstige Gelegenheit benützen würde.«

»Wir sind dessen gewiß, Sire. Durch die Bewilligung der von uns erbetenen Konzessionen für den ›Crédit mobilier‹ erhält unser Unternehmen erst seine volle Bedeutung. Die Aktien, die augenblicklich nur neun Franken über pari stehen, werden einen bedeutenden Kurs erreichen und uns so leicht kolossale Kapitalien zufließen lassen, sodaß wir jeder späteren Aufforderung der Regierung werden genügen können.«

Der hohe Herr lächelte unwillkürlich über die jüdische Bestechung.

»Die Disposition über Ihre Kasse,« sagte er, »ist bei der Genehmigung des Kredits weniger meine Tendenz gewesen, Ihr Memoire nennt vielmehr ganz richtig die Beteiligung des Volkes an den Börsenspekulationen eine Sicherung der Regierungen in dieser umwälzungslustigen Zeit. Sagen Sie mir aufrichtig, Baron Riepèra, war der Gedanke aus Ihrem Kopfe entsprungen?«

»Eure Majestät wissen bereits, daß er das Eigentum und die Absicht der revolutionären Propaganda ist, mit welcher sie den Gewinn sichern und den allgemeinen Bankerott, also den Sturz Europas in ihre Hand bringen wollte.«

»Ich weiß – und Sie haben mir denselben Plan vorgelegt, um im Gegensatz die Ruhe Europas und die Konsistenz der Throne an meine Person und die Erhaltung des Friedens fesseln zu können, nachdem beide durch den gegenwärtigen Krieg die einflußreichsten Stellungen gewonnen. Aber ich möchte wissen, ob der Gedanke selbst zuerst von Ihnen ausgegangen ist?«

Der Finanzmann war schlau genug, die Gefährlichkeit der Frage einzusehen.

»Die erste Anregung, Sire, gab ein italienischer Abbé – die finanzielle Ausarbeitung der Idee war mein Werk.«

»Das dachte ich mir – nur ein italienischer Pfaffe konnte eine so furchtbare Idee aushecken und sie wird zur sozialen Sündflut werden, indem sie sich mit der jüdischen Spekulation verbindet. Genug davon, Herr Baron. Ich habe Ihnen den Wert gezeigt, den ich auf Ihre Enthüllungen lege, indem ich Ihrem Verwandten, Herrn Pereira, sofort die Konzession des Credit mobilier erteilt habe. Ich zweifle nicht an dessen Zukunft, aber merken Sie sich, ich will, daß diese Umwälzung der europäischen Kredit-Verhältnisse meinem Hause dienstbar bleibe, oder diese Hand, die ihr die Lebenskraft gegeben, wird sie auch zu erdrücken vermögen. Sie haben, wie ich höre, heute Ihre Zahlungseinstellung angekündigt?«

»Ja, Sire, ich beschränke mich von jetzt ab auf eine anonyme Teilnahme an der Leitung des Credit mobilier.«

»Wie hoch beläuft sich Ihr Manquement?«

»Nur drei Millionen, Sire.«

»Und wie viel verlieren die geheimen Gesellschaften dabei?«

»Eine Million und achtmalhunderttausend Franken, Sire.«

»Wie hoch rechnen Sie das Vermögen derselben?«

»Nach den durch meine Hände gegangenen Summen auf höchstens drei bis vier Millionen.«

»Indem man Ihnen also die Operationen und den Einfluß an der Börse durch Ihren Bankerott aus der Hand nimmt, wird jener Schlag ein sehr empfindlicher für die Propaganda sein?«

»Ja, Sire, denn die Beiträge fließen mit jedem Jahre spärlicher und ihre Hauptkraft war jetzt gerade die Börse.«

»Aber sie wird andere Vermittelungen dafür finden?«

»Mit Eurer Majestät Unterstützung,« sagte der Jüngere der beiden Finanziers, »wird der Credit mobilier alles überflügeln. Von der unmittelbaren Einwirkung in Paris entfernt, wird ihre Kraft gebrochen sein und bei den Nachweisungen, die mein Vetter mir gegeben, wird es mir leicht werden, der Kasse der geheimen Verbindungen Schlag auf Schlag beizubringen.«

»Das wird Ihre Sache bleiben, Herr Pereira. Die erbetene Eisenbahn-Konzession soll bewilligt werden.« Der Redner wandte sich wieder zu dem älteren:

»Wollen Sie mir aufrichtig sagen, Herr Baron, was Sie zu dieser Sinnesänderung, zu dem Entschluß gebracht hat, der Regierung jene Vorschläge und Entdeckungen zu machen?«

»Sire – eine große Nervenerschütterung – ein furchtbarer Schrecken, den ich noch nicht überwinden kann. Lassen Euer Majestät mich über die Spezialitäten schweigen.«

»Aber fürchten Sie nicht, daß diese Revolutionsgesellschaften Sie im geheimen für den Austritt strafen, sich an Ihrer Person rächen werden?«

»Der Boden, auf dem ich stand, Sire, war bereits eine Mine, die jeden Augenblick in die Luft springen konnte. Jener Vorgang, auf den ich angespielt, zeigte mir, was ich zu erwarten hatte. Ich hielt Eure Majestät für den einzigen Mann in Europa, der siegreich den Kampf mit dieser verborgenen Macht führen könnte, und wollte lieber unter Eurer Majestät Schutz mich begeben, als länger jene Lage ertragen. Meine Maßregeln sind getroffen; – indem ich Ihr Kabinett, Sire, verlasse, werde ich für alle Welt ein unsichtbarer Mann für ein oder zwei Jahre, bis ich glaube, mit Sicherheit mich wieder zeigen zu können. Man wird mich nach Amerika entwichen glauben und dort vergeblich suchen.«

»Im Interesse Ihrer Sicherheit würde es gut gewesen sein, wenn Sie möglichst vollständige Angaben über diese sogenannten ›Unsichtbaren‹ und ihre geheimen Zusammenkünfte gemacht hätten. Die Notizen, die Sie mir darüber haben zukommen lassen, sind jedoch sehr unvollständig, namentlich in betreff des Ortes.«

»Sire – es ist alles, was ich weiß; da ich nur einen sehr untergeordneten Grad hatte und allein für die finanziellen Operationen benutzt wurde, kann ich nicht mehr sagen. Die Mitglieder meines Grades wurden unter ganz anderen Vorsichtsmaßregeln an den Versammlungsort des Rates geführt, und ich weiß nur, daß er sich in der Nähe der Seine befindet.«

»Gut; zum Glück bin ich im Besitz anderer Materialien. Leben Sie wohl, Herr Baron – ich glaube, die Zeit, in welcher Sie aus Amerika zurückkehren dürfen, wird nicht mehr fern sein.«

Eine leichte Verneigung des Kopfes zeigte den beiden, daß die Audienz zu Ende; sie zogen sich unter Verbeugungen zu der Tür zurück, durch die sie eingetreten, und verließen das Gemach.

Wiederum verging eine Pause in ernstem, scharfem Nachdenken, dann legte der Gebieter den Finger auf die Feder einer Glocke und ein scharfer, durchdringender Silberton erklang. Der diensttuende Adjutant trat sofort durch die große Tür in das Kabinett.

»Ist Persigny da, lieber Graf?«

»Zu Befehl, Euer Majestät. Der Herr Minister wartet seit einer halben Stunde und überbringt eine wichtige Nachricht, wie er mir sagt.«

»Sie hätten mir das gewöhnliche Zeichen geben sollen; lassen Sie den Minister eintreten, Rognet.«

Der Minister des Innern, – jener Günstling und Anhänger des neuen Gestirns der Napoleoniden, der Graf aus Recompense trat in das Kabinett. Das feine, elegante, etwas spitze Gesicht und die zierliche Figur paßten zu seiner Haltung. Dennoch schien die diplomatische Ruhe des Staatsmanns etwas aus dem gewöhnlichen Gleis.

»Was hast Du, Persigny?«

Der Gebieter, der überhaupt für Jugenderinnerungen sehr empfänglich war, pflegte ihn in vertrauten Stunden oft ziemlich kordial zu behandeln.

»Sire – der Telegraph meldet, daß der Herzog von Parma heute Nachmittag beim Austritt aus seinem Palast ermordet worden ist.«

»Ein Bourbon!«

Der Ausdruck war fast unwillkürlich den Lippen entschlüpft.

»Sire, es ist ein politischer Meuchelmord, offenbar ein Werk der revolutionären Propaganda. Der Mörder ist entkommen und unbekannt.«

Er blickte ihn fragend an. Der Minister verstand seine Gedanken.

»Der Dolch, der sich an den legitimistischen Bourbonen gewagt, kann sich auch an den absoluten Napoleoniden wagen.«

»Du hast Recht, Persigny, und der Sache muß ein Ende gemacht werden. Das Schwert und Szepter meines großen Oheims soll regieren über Europa, nicht der Dolch alberner Republikaner. Sorge dafür, daß morgen im Moniteur die Tat in den schwärzesten Farben gebrandmarkt wird. Ich bin entschlossen und noch heute soll der erste Streich fallen.«

»Meine Vorbereitungen sind getroffen.«

»Wohl – so breche ich denn vollständig mit der Revolution und der Vergangenheit. Sie oder ich, nur einer darf herrschen. Ich habe dieses Netz geheimer Intriguen, das man seit zwei Jahren um mich gesponnen, von Anfang an durchschaut und wie Gregor VII. will ich die Krücken zu Boden werfen, denn ich kann allein stehen. Die Propaganda glaubte ein williges Werkzeug an mir zu finden, dessen Gängelband in ihren Händen blieb, aber sie hat sich getäuscht und wird ihren Herrn erkennen. Mein Oheim hat bloß die französische Revolution von 1793 zu Boden geworfen – ich werde der Revolution von ganz Europa den Maulkorb anlegen.«

»Wir haben mancherlei Vorteile von diesem Gespenst der Staaten gezogen, Sire.«

»Das haben wir, Graf, gewiß, aber die Stunde des Bruches mußte kommen. Der Thron Napoleons kann nicht von der Geneigtheit demokratischer Fanatiker oder Spekulanten abhängen. Ich habe sehr wohl begriffen, warum man mich in dieser orientalischen Krisis so schlau unterstützt, oder vielmehr, warum man von allen Seiten den Krieg herangedrängt hat. Hätte er nicht meinen eigenen Zwecken und Wünschen entsprochen, alle ihre Künste und Aventüren sollten wenig genützt haben. Jetzt werfe ich die Maske ab und will die Bewegung in meiner Hand konzentrieren.«

»Euer Majestät wissen, daß ein großer Teil des Heeres, namentlich in Algerien, republikanische Gesinnungen hegt, und daß viele unserer besten und beliebtesten Führer diese bei der Wahl offen bekundeten. General Pelissier …«

»Pelissier wird tun, was ich ihm befehle. Eben indem ich der Armee Schlachtfelder, Ruhm und Rache biete, wird sie imperialistisch sein mit jedem Blutstropfen. Die französische Armee gehört dem Namen Napoleon. Du bist kein Soldat, Persigny, und begreifst das nicht. Bédeau, Lamoricière und Cavaignac haben mir ihre Degen anbieten lassen für den Krieg, aber ich brauche und will sie nicht, ich verzeihe nie; das Frankreich unter mir soll seine eigenen Marschälle ziehen. Ich habe in meiner Hand jetzt schon den Kredit Europas, diese mächtige Waffe des künftigen Friedens. Ich werde die Besieger des Hauses Napoleon demütigen, und der einzige Mann in Europa, dessen Stolz und Energie ich achte, soll bedauern, daß er Ludwig Napoleon beleidigt und sich ihm in den Weg gestellt hat!«

Es war das erste Mal, daß dieser verschlossene Charakter sich so offen selbst gegen einen Vertrauten aussprach, und der Graf fühlte die Gefahr des Terrains.

»Der Kaiser von Rußland, Sire,« sagte er, »dürfte es jetzt schon vielfach bereut haben, daß er Ihnen die Anerkennung anfangs verweigerte. Die geheimen Anerbietungen in betreff der türkischen Frage sind Beweise dafür.«

»Sie vergessen, Graf, wann sie gemacht wurden, und das ist eben der Umstand. Durch die Spione jener Propaganda mußte ich die erste Nachricht von den Unterredungen erfahren, die der Zar mit Lord Seymour gehalten und die das englische Ministerium jetzt in dem blauen Buche vor Europa veröffentlicht hat. Dieses Übergehen Frankreichs oder vielmehr Napoleons war eine neue Beleidigung. Ich weiß, der Zar haßt mich und nennt mich einen Aventürier. Das kann ich selbst tun – aber kein anderer! Erst als die britischen Füchse ihn abgewiesen, kam Nesselrode uns mit seinen Plänen. Sagen Sie, Graf, wie nimmt man in Deutschland die Enthüllungen auf, die der Moniteur und das Journal de l'Empire über die neue Auflage des Vertrages von Tilsit gemacht haben?«

»Sire, die Zeit der Äußerungen ist noch zu kurz – die Artikel erschienen erst vor drei Tagen.«

»Ich denke, man wird sich endlich jenseits des Rheines überzeugen, was man von der russischen Freundschaft zu erwarten hat. Dieses Preußen ist blind und störrisch, wie sein Adel. Ich will keine Eroberungen, aber so lange diese sogenannte heilige Allianz besteht, bleibt sie eine Bedrohung der napoleonischen Herrschaft. Der Tag, an dem ich hier in Paris in meinen Tuilerien ein neues Bündnis an ihre Stelle setze, wird der erste meiner wahren Herrschaft sein.«

»Der Tag wird kommen, Sire.«

»Ich weiß es, Graf – über die Schlachtfelder am Schwarzen Meere dämmert es bereits. Lassen Sie Moustier in Berlin genau auf die öffentliche Stimmung merken und verkehren Sie über die Presse direkt mit ihm. Haben Sie die Nachweisungen, die ich Ihnen gab, mit den Ermittelungen Pietris genau verglichen?«

»Es ist heute Mittag mit den beiden Präfekten und Herrn Collet-Meygret ausführlich konferiert worden. Wir glauben des Platzes ziemlich sicher zu sein und unsere Agenten bewachen ihn. Der Schlag kann, wie gesagt, jeden Augenblick fallen.«

Der Gebieter sah nach der Uhr über dem Kamin.

»In einer Stunde also; ich müßte mich sehr irren, wenn nach dem Bankerott Riepéras und der Nachricht aus Parma nicht heute noch eine Sitzung stattfinden sollte. Sind die Befehle nach den Departements erteilt? – Lassen Sie besonders Lyon im Auge halten.«

»Sämtliche uns bereits bekannte Verbindungen, Sire, die Marianne, der Militante, der junge Berg und die Joseffiten sind möglichst genau überwacht, – es fehlt uns nichts, als ihr Zusammenhang.«

»Wir werden ihn heute finden. Sobald die Verhaftungen erfolgt sind, lassen Sie mir durch Haußmann oder Pietrie Bericht erstatten.«

Der Minister verbeugte sich.


Die Yella hatte in der großen Oper getanzt, die schöne russische Sylphide, die später den Mut bewies, dem französischen Kaiser gegenüber ihre Teilnahme an dem Siegesfest über ihr Vaterland zu verweigern. Das leichtherzige Volk der Künstler beunruhigte sich nicht über den drohenden Kriegssturm, sie blieben in Paris und Petersburg, denn sie wußten, daß Paris und Petersburg, die Üppigkeit und das Raffinement, bald wieder einander bedürfen würden.

Aus dem Foyer traten zwei Männer Arm in Arm und gingen plaudernd durch das Gedränge der Billethändler, der Ausrufer und Zeitungsverkäufer nach dem Boulevard des Italiens zu. Der eine trug die Colonel-Uniform der Zuaven, der andere Zivil.

»Kaufen Sie, Messieurs, les Gardes de la Porte, mit schönen Illustrationen, ein Sou das Stück!«

Der junge Mann in Zivil lachte.

»Kaufen Sie, Vicomte, um mit unserer Literatur au fait zu sein. Das nichtswürdigste und lächerlichste Pamphlet auf den Kaiser Nikolaus. Ich wette, der Bursche, wenn Sie ihn fragen, hat auch die Revision der Karte von Europa, obschon die Polizei sie angeblich konfisziert hat.«

»Ich sehe, Sazé, Sie stehen bereits wieder vollkommen in der Tagesgeschichte, obschon Sie erst seit drei Tagen aus Poiton zurückgekehrt sind.«

»Ei, mein Lieber,« plauderte der fröhliche Lebemann, »wozu hat man die Zeitungen, die Korrespondenz und seine Freunde? Sie können denken, daß ich ein eifriger Korrespondent geworden bin und der Post viel eingebracht habe, um den abscheulichen langen Herbst und Winter tot zu machen, den ich im Schloß meiner alten Tante zubringen mußte. Verwandtschaftsrücksichten, mein bester, Verwandte hat leider jeder Mensch! Zum Glück war es meine letzte, und ich kann nun tun, was mir beliebt, in die Diplomatie oder ins Militär treten, kurz, ein Mann des Staates werden, was die legitimistischen Grillen der Verstorbenen, von der meine besten Aussichten abhingen, mir bisher verschlossen. Ach, Kolonel, wenn Madame la Marquise geahnt hätte, wozu der letzte Sprößling der Sazés unterdeß alle seine viele Zeit verwandt hat, wie er in den durch Bourgeoisieregiment und das neue Kaisertum entweihten Tuilerien Hof gemacht, dem Advokatenadel, der Börsenaristokratie und der Judennoblesse viele seiner schönsten Abende und Salonstudien zu danken hat, – auf Ehre, Vicomte, die alte Dame hätte mich zu all ihren langweiligen Predigten noch gänzlich enterbt.«

Méricourt – denn der wackere und hochherzige Geliebte der schönen Fürstin Oczakoff, die wir so lange aus den Augen verloren haben, war der Begleiter des Marquis – lächelte ernst.

»Die Verbannung von Paris hat Sie wenig verändert, obschon ich glaubte, daß Pariser Luft Ihnen so notwendig zum Leben wäre, wie dem Fisch das Wasser.«

»Da haben Sie Unrecht, Vicomte, ich bin nicht ein einziges Mal während der ganzen Zeit in Paris gewesen, sondern habe alle Landkränzchen und Bälle der Provinz mitgemacht, wie ein geborener Krautjunker. Sie sehen ja aus meinen Plänen, daß ich Paris missen will und in die Fremde gehen. Im Vertrauen kann ich Ihnen freilich sagen, es geschieht, weil nach meinem Arrangement von dem Erbe meiner Tante, das wegen der leidigen wohltätigen Legate viel geringer ist, als ich und meine Gläubiger erwarteten, mir nicht so viel übrig bleibt, um das Leben in der früheren Weise hier fortführen zu können.«

»Werden Sie Soldat, Sazé, Sie dienten ja bereits früher.«

»Gewiß, mein Lieber; ein oder zwei Jahre, ich weiß nicht mehr – man muß seine Pflichten gegen das liebe Vaterland erfüllen. Auch hat ein Bekannter im Bureau des Kriegsministers mir bereits das Patent als Leutnant und zur Dienstleistung beim Stabe des Prinzen, der die 3. Division kommandieren soll, zugeschickt; – ich habe aber Lust, es doch wieder zurückzugeben, und die diplomatische Karriere vorzuziehen.«

»Im Augenblicke, wo der Krieg vor der Tür ist?« sagte der Vicomte vorwurfsvoll.

»Ah, bah, – ich glaube, Sie zweifeln nicht an meinem Mut, nur ist das Leben im Felde so – so unfashionable und ich verspreche mir mehr Spaß von den diplomatischen Operationen in der Zeit. Mit den türkischen Harems möchte ich schon Bekanntschaft machen, wenn wir nur nicht mit den schmutzigen Russen zu tun hätten. Man wird die Handschuhe alle Augenblick wechseln müssen im Gefecht! A propos, Vicomte, haben Sie nichts wieder von unserem kleinen durchgegangenen Duellanten gehört, der den Kamm so gewaltig blähte und dann spurlos verschwunden war?«

»Sie meinen den Fürsten Iwan?« entgegnete der Kolonel ernst. »Sie wissen, Marquis, daß kein Flecken auf seiner Ehre haftet und daß Herr von Kisseleff, der russische Gesandte, uns am Morgen offiziell unterrichtete, daß er den Fürsten davon abgehalten und zur Abreise als Kurier nach Petersburg gezwungen habe.«

»Ja, ich weiß, und ich begriff damals nicht, warum Sie das heimliche Anerbieten jenes russischen Obersten, für den jungen Fürsten einzutreten, ablehnten und sich mit Entschuldigungen des Gesandten begnügten. Sie schießen so wundervoll, Vicomte, und hatten die beste Gelegenheit, sich von dem widrigen Tartarengesicht Ihres Rivalen zu befreien, denn verliebt in die schöne Fürstin waren Sie doch.«

Der Kolonel schwieg.

»Haben Sie nichts wieder von der Dame und ihrem Bruder gehört?« beharrte de Sazé.

»Fürst Iwan ist, wie ich aus den Zeitungen ersehen, in den Stab des Fürsten Menschikoff gesandt worden. Sein Name hat bereits ehrenvolle Erwähnung in der blutigen Schlacht von Oltenitza gefunden. Die Fürstin ist – wie ich von einem Attaché der Gesandtschaft hörte – gefährlich in Berlin erkrankt und dann auf ihre Güter in der Krim zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit gebracht worden. Ein seltsames Ereignis erinnerte mich daran, als ich vor einigen Tagen bei meiner Rückkehr von Algier in Marseille der Einschiffung der ersten Division beiwohnte.«

»Bitte, erzählen Sie, Vicomte! – Aber was, zum Teufel, verfolgt uns denn eigentlich für ein fremdes Subjekt? Ich habe das konfiszierte Gesicht schon beim Austritt aus dem Theater bemerkt, wie es mich aus der Menge der Flaneurs mit den Augen eines Wolfes anstarrte.«

Der Kolonel sah sich um. In der Entfernung von etwa dreißig bis vierzig Schritten schlich mit auffallender Beharrlichkeit ein Mann hinter ihnen drein von finsterm, verdächtigem Aussehen. Seine Kleidung war die eines Kommissionärs, das Gesicht eingefallen, hohl, so weit es die Entfernung und die Gasflammen erkennen ließen, – und von einem dichten Bart zur Hälfte bedeckt. –

»Vielleicht irgend ein Vagabond oder Bettler,« sagte der Vicomte, »Paris wimmelt ja davon. Aber die Zeit ist noch zu früh, kaum elf Uhr und der Boulevard zu belebt für solche Nachtvögel.«

»Also Ihre Geschichte, Kolonel!«

»Ich habe bereits erwähnt, daß ich bei dem ersten Einschiffen der Truppen zugegen war, denn zu der Division des Generals Canrobert wird auch das 3. Zuaven-Regiment gehören, dem ich mich von der Garde zu aktiven Dienst habe attachieren lassen und folgen werde, so bald ich hier meine Funktionen beendet. Bei dem Gedränge der Einschiffung geriet ich plötzlich mit einer jungen, hübschen Marketenderin zusammen, die meine Hilfe in Anspruch nahm, weil, wie sie mir sagte, ihr Bruder auch jetzt bei den Zuaven stände. Das wäre nun kein besonderes Abenteuer, denn Sie wissen, Marquis, mit welcher Nonchalance unsere braven Mädchen aus dem Felde mit Offizieren umzuspringen pflegen. Aber was mich dabei reizte, war das Aussehen ihres Begleiters, der in irgend eine zusammengesetzte Uniform, wie sie der Trödler bietet, gesteckt war, und nur dazu zu dienen schien, das Gepäck der Kleinen zu bewachen. Der Bursche war jung, aber hager und bleich, dabei aber so hübsch, ja schön, wie Fürst Iwan Oczakoff, mit dem er eine so auffallende Ähnlichkeit hatte, daß dies eben meine Blicke gefesselt hielt. Wären die starren, toten Augen nicht gewesen, so hätte man die Ähnlichkeit für erschreckend halten können.«

»Der Zufall treibt oft sein merkwürdiges Spiel.«

»Das schien auch hier der Fall. Der arme Junge war blödsinnig oder wahnwitzig, ich weiß nicht was. Seine einzige Antwort, als ich ihm befahl, das Gepäck aufzunehmen, während ihn die Soldaten hin und her stießen, war der immer wiederholte Refrain: »Elf Uhr – der Zug geht ab!« und ein Lachen, das sogleich mir seinen Zustand verriet, auch wenn die kleine Marketenderin nicht hinzugesprungen wäre und mir gesagt hätte, ihr armer Vetter sei geistesschwach und sie sorge für ihn. Ich gab der Kleinen meine Karte, notierte mir ihren Namen, Nini Bourdon, und empfahl ihr, mich später in Gallipoli aufzusuchen, wenn ich ihr gefällig sein könne.«

Die Freunde setzten plaudernd ihren Weg fort, das Wetter war schön und der Marquis begleitete den Freund eine Strecke auf dem Wege nach seiner Wohnung, die jenseits der Seine lag. Sie waren über den Platz de la Concorde und bis zum Cours de la Reine am Quai gekommen, auf welchem später die Nebengebäude des Industrie-Palastes erbaut wurden. Der Colonel trat in einen der Läden, um sich eine notwendige Kleinigkeit zu kaufen, während der Marquis langsam auf den breiten Quadern am Fluß hinschlenderte.

Der Ort war jetzt verhältnismäßig einsam, wenn man dies in Paris so nennen kann, wo es zu keiner Stunde der Nacht an Flaneurs fehlt. Méricourt verweilte einige Augenblicke länger in dem Magazin, und als er sich nach dem Freunde umsah, konnte er ihn im ersten Augenblick nicht bemerken, bis der Schall von Stimmen ihn aufmerksam machte.

Im Licht der Gasflammen bemerkte er den Marquis und dicht vor ihm, mit wilden Gesten zu ihm sprechend, den Fremden, der ihnen von der Oper her über die Boulevards gefolgt war.

Der Colonel beeilte seine Schritte, denn die Sprache des Fremden klang rauh und drohend, obschon er die Worte noch nicht verstehen konnte.

Er mochte etwa noch dreißig Schritte von der Gruppe entfernt sein und bemerkte, daß außer ihm noch andere Vorübergehende aufmerksam geworden, als er sah, daß der Unbekannte sich auf seinen Freund stürzte und ihn mit wilder Erbitterung an die Brust faßte und schüttelte. Zugleich hörte er die Worte: »Sie sind sein Mörder, Herr, Ihr Blut für das seine!«

Im Nu war der Colonel an der Seite des Freundes; aber er kam zu spät, um eine unglückliche Tat zu hindern. Alfred de Sazé war von schlanker Gestalt, verbarg aber unter dem schmächtigen Äußern eine starke Muskelkraft. Im ersten Augenblick wankte er unter dem Angriff des Rasenden, dann aber hatte er ihn rasch an den Hüften gefaßt und schleuderte ihn mit Gewalt von sich. Der Unglückliche taumelte zurück, schlug an das Gitter, das den Quai nach der Seine hin abschließt, und von der gewaltigen Schwingung des Wurfs die Balance verlierend, rückwärts über die obere Stange des Gitters, und ehe die umherfassende Hand einen Halt zu ergreifen vermochte, in die Tiefe.

Ein lauter Schrei ertönte von mehreren Lippen, denn verschiedene Personen, durch den raschen, heftigen Wortwechsel herbeigelockt, hatten die Tat mit angesehen. Alles stürzte nach den Gittern.

»Um Gotteswillen, de Sazé, was gab es? Was ist geschehen?«

Der Marquis stand bleich, zitternd, atemlos, sein Gilet und seine Kravatte zerrissen von dem Griff des Fremden. »Ich weiß nicht – ich verstehe es selbst nicht – retten Sie den Menschen, es ist ein Wahnsinniger!«

Er sprang an den Rand des Stromes, an die Unglücksstelle, an der bereits das Publikum mit dem Rufe: »Ein Mord! Haltet den Mörder!« sich drängte.

»Er ist auf den Kahn gestürzt!« rief eine Stimme.

So war es in der Tat, aber wie sich erwies, zum Unglück des Mannes. Dicht unter dem Quai lag eines der größeren Seineschiffe; der Stürzende war auf das Bugspriet desselben geschlagen, jedoch so unglücklich, daß er mit dem Hinterkopf auf die Schaufel eines Ankers traf. Als die von dem Tumult herbeigerufenen Schiffer ihn aufhoben und über die schwankende Bohlenbrücke auf den Quai trugen, zuckten die Glieder bereits im Todeskampf, die Augen rollten wild, ein Strom von Blut ergoß sich aus dem Munde und wenige Augenblicke darauf war der Unbekannte eine Leiche.

Im hellen Licht der Gaslaternen lag diese auf den Quadern der Quais, umdrängt von der Menge; der Colonel untersuchte den Puls des Unglücklichen und bat einige Umstehende, ärztliche Hilfe zu holen – der Marquis starrte regungslos, verwirrt auf das bleiche Totenantlitz.

Der Offizier erhob sich endlich. »Jede Hilfe ist vergebens, der Mann ist tot. Es ist ein Unglück, Sazé, aber Sie sind außer Schuld.«

Ein Polizei-Agent drängte sich heran. – »Man bezeichnet Sie mir als den, welcher diesen Mann im Streit in die Seine gestürzt. Ich verhafte Sie und Sie werden mir folgen.«

Der Colonel entfernte ruhig die Hand des Agenten von dem Arm seines Freundes. – »Menagieren Sie sich, mein Herr. Sie sehen, daß ich Stabs-Offizier bin und dieser Herr ist gleichfalls Offizier, wenn er in diesem Augenblick auch nicht Uniform trägt. Er wurde von dem Manne angefallen und tätlich beleidigt, hatte also das volle Recht, ihn zu töten. Sie werden im Publikum leicht die Zeugen finden, einstweilen sind hier unsere Karten: Colonel Vicomte de Méricourt und Leutnant Marquis de Sazé. – Wollen Sie mir morgen weitere Nachricht geben über den Verunglückten, so werden Sie mich verpflichten; einstweilen haben wir hier nichts zu schaffen. Kommen Sie, de Sazé.«

Er zog den Arm des Freundes durch den seinen und ihn aus dem Gedränge, den nächsten Nachtwagen anrufend, der sie schnell von dem unglücklichen Schauplatz hinwegführte.

»Der Mensch wollte Sie offenbar berauben, und doch kann ich die Worte nicht damit zusammen reimen, die ich hörte!«

Der Marquis hatte seine Fassung immer noch nicht wiedergewonnen und war auf das heftigste angegriffen von dem unglücklichen Ausgang. – »Ich glaube nicht,« sagte er hastig. »Hören Sie den Hergang. Sie hatten mich eben verlassen,« erzählte er, »und ich näherte mich dem Trottoir am Strom, als ich hinter mir rasche Schritte hörte. Ich glaubte zuerst, Sie wären es und drehte mich um, erblickte aber zu meinem Staunen den Mann, der uns von der Oper aus lange verfolgt hatte und der jetzt rasch auf mich zustürzte mit den Worten: ›Endlich habe ich Dich gefunden – wo ist mein Herr, mein Bruder?‹ – ›Was wollen Sie von mir? ich kenne Sie nicht!‹ – Dies war in der Tat wahr, und dennoch schwebt mir dies Gesicht dunkel vor, als hätte ich es bereits gesehen, ohne daß ich weiß, in welcher Verbindung. Seine Augen rollten wie im Wahnwitz. ›Du warst es, Du warst bei ihm an jenem Unglückstage; ich weiche nicht von Deinen Fersen, bis Du mir Rechenschaft gegeben über meinen Gebieter.‹ – Ich glaubte, der Mensch sei verrückt, und wollte weiter gehen, da sprang er wie ein wildes Tier mir an die Kehle, und das andere wissen Sie und – ich bin der Mörder des Wehrlosen.«

Das überraschende Unglück schien den leichtsinnigen Dandy bis ins Innerste seiner Seele erschüttert zu haben. – »Ich kann dies Gesicht nicht los werden,« wiederholte er schaudernd, »und dennoch weiß ich nicht, wo es mir schon begegnet ist.«

»Sie werden sich vielleicht später dessen besser erinnern und die Untersuchung der Polizei über den Unglücklichen wird uns dabei unterstützen. Die Entscheidung Ihrer Wahl hat eine höhere Hand übernommen, denn es kann jetzt natürlich keine Rede von einer Rückgabe des Patentes sein; als Offizier kann man Sie nicht mit einer langwierigen bürgerlichen Untersuchung behelligen. Beruhigen Sie sich daher, denn Sie tragen an dem Geschehenen keine Schuld. Hier sind wir an Ihrer Wohnung, und wenn Sie erlauben, begleite ich Sie hinauf, um unsere notwendigen Schritte für morgen noch zu besprechen.«

Der Marquis ließ sich willenlos geleiten; Méricourt blieb bis zum Morgen bei ihm. – –

In der Morgue, dieser letzten Stätte des Elends, der Verzweiflung und des Verbrechens von Paris, lag kalt und starr die Leiche Wassili's, des treuen Dieners des fürstlichen Geschwisterpaares. Die Polizei hatte bei ihm nur einen Brief in russischer Sprache gefunden, der die rätselhaften Worte enthielt: »Den letzten Bericht erhalten; fahre fort zu suchen und zu forschen und melde auch das geringste eilig nach Sebastopol auf dem bekannten Wege über Berlin. Ein Wechsel liegt bei; spare kein Geld.« – Der Wechsel vom Bankierhause Stieglitz in Petersburg auf das legitimistische Bankhaus Leroy Chabrol in Paris und auf 2000 Franken lautend, lag bei – das Bankhaus hatte zwei Tage vorher seinen Bankerott gemacht, der die Kredite der Hauptstadt erschütterte.

Die Polizei ließ, nachdem alle weiteren Nachforschungen sich als vergeblich erwiesen, den Leichnam des »so zufällig entdeckten russischen Spions« begraben, und Herr Moustier, der Gesandte Frankreichs in Preußen, erhielt den Wink, daß die Fäden einer feindlichen Spionage von Berlin aus geleitet würden und man daher kein Bedenken tragen dürfe, sich in ähnlicher Weise zu revanchieren.


In jenen geheimnisvollen Räumen, welche den Versammlungsort des »Bundes der Unsichtbaren« bildeten, saßen nach Jahr und Tag wiederum um die rotbehangene, von Ampeln erleuchtete Tafel die geheimnisvollen Sechs in ihren roten Capuchons – keine Zeit schien zwischen damals und jetzt zu liegen, und dennoch waren unterdeß die europäischen Geschicke aus ihren Angeln gehoben, Ströme von Blut waren bereits geflossen und die Kriegsfurie bedrohte ganz Europa.

Der schwere rote Vorhang vor dem hinteren Teil des Gemaches war geschlossen. Die Mitglieder des Rates verkehrten bereits einige Zeit mit leiser Stimme und ordneten verschiedene Papiere, als der feine, scharfe Anschlag einer Glocke sich hören ließ und gleich darauf aus den Falten des Vorhanges die kleine, verwachsene Figur schlüpfte, welche wir bereits als eines der Mitglieder der »höchsten Gewalt« haben kennen lernen.

Die Sechs erhoben sich; der Verwachsene dankte mit einer kurzen Verneigung und trat zu dem siebenten leeren Stuhl.

»Der Vorstand der Sektion XII. ist noch immer nicht zurückgekehrt,« sagte die scharfe, schrille Stimme mit italienischem Accent unter der Maske hervor; »ich werde seinen Platz einnehmen, meine Brüder, und den Vorsitz der Verhandlung führen. Setzen Sie sich und lassen Sie uns rasch die Tagesgeschäfte erledigen. Wer vertritt in Stelle des Abwesenden den Bericht für Petersburg und Warschau?«

Das nächstsitzende Mitglied des Rates erhob sich. – »Der Graf Lubomirski berichtet aus Volhynien, wo er sich gegenwärtig aufhält. Die Aussichten in Polen für eine Schilderhebung der Revolution sind in diesem Augenblick ungünstig. Österreich und Preußen sind vollkommen gerüstet und würden sich sofort bekämpfen. Selbst unter den polnischen Patrioten ziehen sich viele zurück. Die Garden sollen in Polen einrücken, um das Korps des Generals Osten-Sacken zu ersetzen. Der Graf legt den kühnen Plan vor, Rußland die Hilfe der Propaganda gegen die Türkei und die Westmächte anzubieten, unter der Bedingung der späteren Herstellung einer großen slavisch-magyarischen Republik zwischen der Weichsel, der Moldau und der Donau. Die Ausführung würde hunderttausend tapfere und kriegsgewohnte Soldaten dem Zaren zuführen und den Russen sofort den Weg nach Konstantinopel öffnen.«

»Der Plan wird zirkulieren und Sie werden sämtlich Ihre Meinung beifügen. Ich bin der Ansicht, daß bei den Gefahren, die ich später erörtern werde, der Versuch gemacht werden muß. Fahren Sie fort.«

»Der Graf begibt sich nach Odessa und der Krim, wo hauptsächlich die polnischen Regimenter stehen. Er glaubt, unter diesen bedeutende Propaganda machen zu können. In Petersburg ist das Terrain besonders günstig. Man fühlt bereits, daß man sich in einen Krieg verwickelt, dem das Land noch nicht gewachsen ist. Der Eigensinn und die persönliche Kränkung, die der Tyrann erlitten, hat ihn verblendet. Zugleich macht sich der Drang nach liberalen Zugeständnissen überall geltend. Der Krieg wird Rußland gänzlich niederwerfen, wenn wir auf der Seite seiner Gegner bleiben.«

»Es handelt sich jetzt bereits darum, meine Herren, wer unser gefährlichster Feind ist, der Zar oder Louis Napoleon. Ich werde dem Grafen selbst antworten. Berichten Sie rasch aus Berlin und Wien.«

Der Vorstand der Sektion »Deutschland und Schweiz« erhob sich. – »Man hat die spanische Tänzerin genau beobachtet. In Berlin ist ihre Mission, was unsere Hauptzwecke anbetrifft, gänzlich mißlungen. Selbst der jüngere Adel und Offizierstand zeigte eine Hartnäckigkeit und ein starres Festhalten an den alten Ideen und Gewohnheiten, das einer gänzlichen Abschließung gleicht. Es tritt dies neuerdings in festem Zusammenhalten gegen die Eingriffe der Zivilbehörden hervor. Wir werden einst einen harten Stand haben mit der preußischen Armee, doch hilft auf der anderen Seite die immer mehr wieder hervortretende Absonderung des Adels vom Bürger. Die katholische Fraktion in den Kammern bereitet stets neue Zerwürfnisse und ihre Oppositionsgelüste verleiten sie selbst zur Verteidigung kommunistischer und liberaler Fragen. Das arbeitet uns in die Hände. Man protegiert jetzt das Rheinland auf alle Weise, zum Verdruß der älteren Provinzen. – Von den Anwerbungen aus der Armee und dem Volke für Freikorps ist wenig zu hoffen – nur was dort nicht fortkommen kann. Die Jugend ist zu abstrakt, zu wenig empfänglich und abenteuerlustig. – Dagegen sind wichtige Verbindungen angeknüpft, welche die diplomatischen Geheimnisse fortlaufend in unsere Hände legen werden. Man geht unvorsichtig zu Werke.

»Der Baron erstattet ausführlichen Bericht und verlangt dafür die versprochene Empfehlung seines Memoires in England.«

»Und Wien?«

»Abbé Cavelli sendet nur den Finanzbericht. Unsere Operationen haben den besten Fortgang. Der Graf hat sich mit ihm in Verbindung gesetzt und jenen Plan mitgeteilt, in Folge dessen der Abbé bis auf den Eingang weiterer Befehle die politischen Agitationen eingestellt hat. Oberst Pisani befindet sich mit seiner Gattin augenblicklich wieder in Wien.«

»Italien werde ich selbst übernehmen,« sagte der Vorsitzende, »da meine Nachrichten neuer sind, als der Bericht Mazzini's von Parma. Ferdinand Karl von Bourbon, genannt Herzog von Parma, ist heute nachmittag unter dem Dolch der Unsern gefallen.«

Alle erhoben sich. – »So mögen alle Feinde der wahren Freiheit sterben!«

»Und der Tapfere?« fragte eine Stimme.

»Die Anstalten scheinen vortrefflich, er ist glücklich entkommen. – Ich weiß die Sache vorläufig nur durch die Regierungs-Depesche. Doch zu wichtigerem. Sie sind hier zusammenberufen, um über die höchsten Interessen des Bundes zu entscheiden. Sehen Sie!«

Er riß den Vorhang hinter sich auf, – der Raum war leer.

»Ich habe die Verantwortlichkeit allein übernommen, wie Sie sich überzeugen, denn meine beiden Kollegen in der höchsten Gewalt sind augenblicklich von Paris abwesend. Der Bund hat in den letzten Tagen einen schweren Verlust erlitten. Sie wissen, daß wir bereits im vorigen Jahre dem Baron Riepèra zu mißtrauen Veranlassung hatten, der unsere Geldangelegenheiten verwaltete. Es ist ihm gelungen, bei einem wichtigen Plan, der die ganze Zukunft der Verbindung enthielt, dem Credit mobilier, einen seiner Verwandten unterzuschieben und, wie ich fürchte, die Sache uns gerade aus den Händen zu spielen. Heute morgen hat er, den Fall des legitimistischen Hauses Leroy Chabrol benutzend, seine Zahlungseinstellung erklärt und ist seither unsichtbar geworden. Die Kasse des Bundes verliert mindestens eine Million, die Verluste lassen sich noch nicht übersehen.«

»Tod dem Verräter!« klangen die sechs Stimmen.

»Ich stimme dem bei, – doch dieser Verräter ist schlau, er war gewarnt durch unsere Nachsicht und wird seine Maßregeln genommen haben. Unsere Agenten verfolgen ihn bereits. Doch, Brüder, das ist nicht das wichtigste und nicht die größte Gefahr, die dem Bunde droht. Louis Napoleon, der sich Kaiser der Franzosen nennt, und es allein durch unseren Willen geworden ist, droht die leitenden Bande zu zerreißen, mit denen der Bund ihn bisher seinen Zwecken untertan gemacht hat. Er ist ein Tyrann, schlimmer noch als die auf dem Throne geborenen, und der Todfeind der Revolution, die ihn auf den Thron erhoben, weil er fürchtet, daß sie ihn wieder hinabstürzen kann. Er ist schlau und kühn und hat unsere Pläne und unsere Hilfe benutzt, um den orientalischen Krieg zu einer neuen und festen Stütze seiner Herrschaft zu machen. Unter dem Vorwande, für die Rechte und die Freiheit der Völker zu kriegen, schlägt er die Freiheit in Fesseln. Er hat die Maske, die er schlau uns gegenüber getragen, abgeworfen und verfolgt unsere Brüder. Die strengsten Befehle sind an seine Schergen gegeben, Delescluze noch im Laufe dieses Monats durch seine Richter in den Kerker geworfen, und die Proklamation Manins in der ›Presse‹ dient ihm als Vorwand der Verfolgungen.«

»Er sterbe!« hallte es durch das Gewölbe.

»Er scheint dem Bunde auf der Spur und beabsichtigt seine Vernichtung in Frankreich. Es gibt Kampf auf Tod und Leben und ich habe den Rat versammelt, weil wir in Gefahr sind, jeden Augenblick durch einen unvorhergesehenen Schlag getroffen zu werden. Unseres Bleibens in Paris ist unter diesen Umständen nicht länger und unser nächster Versammlungsort wird London sein.«

»Er sterbe!« hallte es wiederum.

»Seine Zeit ist gekommen. Ein Kampf auf Leben und Tod mit dem Tyrannen, Er oder Wir! Die Herrschaft des französischen Adlers über Europa, oder der Sieg der kommunistischen Revolution. Sammelt die Stimmen, Brüder!«

Zwei Urnen machten eilig die Runde. Als die zweite geleert wurde, zeigten sich vier schwarze und zwei weiße Kugeln.

Der Verlarvte warf drei schwarze dazu.

»Im Namen der höchsten Gewalt: Sieben gegen zwei – die dreifache Majorität ist erreicht und dem Artikel zehn unseres beschworenen Statuts Genüge geschehen. Er ist verurteilt!«

»Wer soll das Urteil vollziehen?«

»Die Sektion drei ist an der Reihe.« Er nahm ein kleines Notizbuch und blätterte darin. »Bereiten Sie jenen Gehorchenden zu der Tat vor, den Sie im vorigen Jahre nach England sandten. Sein Gesicht fiel mir schon damals auf und er scheint die geeignete Person. Ein Römer, glaube ich?«

»Pianori!«

»Ich glaube. Sondieren Sie ihn sofort.«

»Und die gegebene Zeit?«

»Die gewöhnliche: ein Jahr, ein Monat und ein Tag, wie bei Franz von Parma. Lassen Sie uns …«

Jener leise, schrille Ton ließ sich hören, der die Tätigkeit des elektrischen Telegraphen verkündete, der von unbekannten Orten her zu dem geheimsten Schlupfwinkel der kommunistischen Propaganda führte.

Der Verwachsene stand hastig auf und eilte zu der Scheibe, unter der sich der schmale Streifen Papier hervordrängte, auf dem die Nadel der Maschine ihre ominösen Zeichen gemacht.

Sein Blick überflog rasch die Zeichen, während an der ersten der vier, der Nische gegenüberliegenden Türen ein leichter Hammerschlag erklang.

»Manigoldo!« flucht der Verwachsene, »er soll uns büßen. Der Draht meldet mit dem verhängnisvollen Wort der höchsten Not: ›Polizei beordert. Versammlungsort entdeckt. Eiligste Flucht.‹«

Die Verschworenen rannten durcheinander, an der zweiten, dritten und vierten Tür klangen kurz nacheinander die Signalschläge.

Der Verhüllte sprang auf einen Sessel – seine schwächliche, verwachsene Gestalt schien im Augenblick zu wachsen, seine Stimme schwoll, als sie die Worte donnerte:

»Ruhe! – Gehorsam!«

Alle wandten das Auge auf ihn.

»Sektion Zwei und Drei, die Kästen mit den Korrespondenzen. Das Mitglied Vier reißt den Draht des Telegraphen. Das Mitglied für Ungarn nehme die Kassette mit sich.«

Der Verschworene, der sich auf den ersten Hammerschlag entfernt hatte, stürzte herein:

»Das Magazin ist umgeben von Gensdarmen, alle Ausgänge sind besetzt!«

»Meine Herren, auf Wiedersehen, heut in vier Wochen in London!« sagte ruhig die scharfe Stimme des Verwachsenen. Der kräftige Griff seiner Faust riß die roten Behänge von der Hinterwand des Gewölbes, eine schwarze, rohe Mauer kam zum Vorschein und er zog mit beiden Händen an einem massiven Ring, der aus den Quadern hervorging. Der mächtige Stein drehte sich um eine eiserne Angel und zeigte eine schmale, gähnende Öffnung, gerade breit genug, um einen Mann hindurchzulassen.

»Fort mit Ihnen! der Chef der ersten Sektion kennt den Weg – nehmen Sie die Lampe mit, so weit es geht – das Boot wartet wie am Abend jeder Versammlung; benutzen Sie die nächste passende Stelle des Ufers und senden Sie es an den Ausgang der Leitung zurück – in zehn Minuten bin ich am Gitter! Fort! Fort!«

Sie drängten durch die Öffnung – nur eine Lampe blieb zurück und erhellte den öden, geheimnisvollen Raum. Der Kleine sprang an die Türen und öffnete sie, dann drehte er rasch den Knopf einer Röhre auf und alsbald plätscherte ein Wasserstrahl auf den Boden der Gewölbe.

»Wasser und Feuer in unserem Dienst,« murmelte er, »wir spotten ihrer Macht.«

Seine Rechte faßte nach einem ziemlich starken Rohr, das in Manneshöhe an der Wand hinlief, während er die Lampe ergriff und nach dem geöffneten geheimen Ausgange sich wandte.

»Es ist Zeit, ich kann den Schall vieler Tritte hören.«

Sein Hauch verlöschte die Lampe, während seine Hand den Hahn aufzog. Sogleich verbreitete sich der scharfe, widrige Geruch ausströmenden Gases durch das jetzt dunkle Gewölbe. Im nächsten Augenblick hörte man die große Quader in ihre Fugen zurückklappen. –


Der Präfekt selbst leitete die Arbeiten. Gensdarmen mit Fackeln standen auf dem großen gepflasterten Hofe umher, der von Lagerhäusern umgeben und mit Hölzern aller Art bedeckt war.

Mehrere Arbeiter waren beschäftigt, eine gewichtige, mit Eisen beschlagene Kellertür zu erbrechen.

»Nehmen Sie Fackeln, Herr Kommissar, und durchsuchen Sie die Souterrains.«

Die Tür war geöffnet, mehrere Polizei-Agenten, Fackeln voran, drangen in das Gewölbe, in dem große Stückfässer Wein lagerten. Einige Minuten nachher hörte man die Brecheisen gegen eine zweite Tür im Innern schlagen – dann erfolgte eine Explosion unter den Füßen der Obenstehenden, die an einzelnen Stellen das Pflaster des Hofes spaltete. – Die Fackeln erloschen von einem grellen Aufflammen und ein widriger Dunst drang aus der Erde und füllte die Luft.

Während man die Fackeln aufs neue anzündete und zu dem halb zerstörten Eingang des Kellers eilte, hörte man in der Tiefe das Rauschen von Wasser. –

Am anderen Tage enthielt der Moniteur die Nachricht, daß in den Lagerkellern der Rue …, in der Nähe der Seine, das aus den beschädigten Leitungsrohren ausgeströmte Gas eine bedeutende Explosion verursacht und dabei die Wasserleitung des Viertels gesprengt habe. Zwei Personen seien bei der Explosion verunglückt, mehrere beschädigt.

Ein anderer Artikel des Moniteur benachrichtigte das Publikum von Paris, daß die Regierung neuen revolutionären Umtrieben der geheimen Gesellschaften auf der Spur sei.

Der Minister des Kaiserlichen Hauses, Fould, überbrachte am Abend dem Senat und der gesetzgebenden Versammlung die Botschaft über die Kriegserklärung gegen Rußland.


Der Aufstand im Epirus.

Während noch der Winter mit seinen Stürmen tobte, der Gipfel und die Schluchten des Pindus und Balkan mit tiefem Schnee bedeckt und die Gebirgsbäche mit brausenden Wässern überflutet waren, loderte die Flamme des Christenaufstandes in Epirus, Albanien und Thessalien bereits in voller Glut empor.

In diesem Lande, der Heimat glühender Geister und tapferer Krieger, hatte die Perfidie des Divans seit Beginn des Jahrhunderts alles mögliche getan, nach Vernichtung der freien albanesischen Begs, durch gegenseitige Bekämpfung der griechischen, lateinischen und türkischen Stämme die Energie und die Kraft eines Volkes zu vernichten, das seit Jahrhunderten in blutigen Kämpfen immer wieder dem Joch von Konstantinopel getrotzt. Diese fortwährenden Kämpfe und Aufstände für die Unabhängigkeit waren nicht bloß von der christlichen Bevölkerung, sondern noch häufiger von den mohamedanischen Stämmen selbst ausgegangen. Seit 1850, nachdem der Verrat Mehemed-Reschids 500 albanesische Begs, an ihrer Spitze den tapferen Pascha von Zeituni, Arslar und Weli-Beg, beim Gastmahl zu Monastir gemordet und die Köpfe der Klephten eingesalzen nach Konstantinopel geschickt hatte, nachdem die Griechen den Erbschmuck ihrer Weiber geopfert, um dem Wessir gegen ihre Stammfeinde bei Prilipe beizustehen, und dreihundert epirotische Palikaren die Verschanzungen von Babussa erstürmt hatten, was das ganze Heer der Taktitis zu unternehmen nicht wagte, ließ die Pforte zum Dank für die christliche Unterstützung gegen die Aufständischen das Land wieder in die grauenvollste Anarchie versinken und führte ein Unterdrückungssystem ein, das die beklagenswerten Bewohner »die glücklichen Zeiten Ali-Tebelins, des Paschas von Janina« zurückwünschen ließ. »Wenigstens hatten wir doch damals nur einen Tyrannen,« sagten die Tosken, »der Himmel gebe ihn uns wieder, und wir wollen den Staub von seinen Füßen küssen.«

Epirus – Albanien – zerfällt in vier Gebiete. Das nördliche oder rote Albanien bewohnen die Ghegen, deren christliche – lateinische – Stämme die Mirditen sind. Südlich von den Rot-Albanesen im Gebiete der Partheni (Ur-Albanesen) wohnen die Tosken, deren muselmännische Stämme die berüchtigten Arnauten bilden und in Ali von Janina ihr Musterbild fanden. Der dritte Stamm, die Ljapis oder Japiden, durch seine körperliche und geistige Häßlichkeit unvorteilhaft von dem anderen Volk unterschieden, bewohnt die acroceraunischen Felsen längs der Adria und lebt von Raub auf Land und See. Sein Name ist ein Schimpf unter den anderen Albanesen. Der vierte Stamm, die Schamiden, hat das Reich Plutos inne, die acherontische Landschaft Aidonien, zwischen Arta, Suli, Janina und dem Pindus. In den heiligen Eichenwäldern von Dodona scheint ein ewiger Frühling zu grünen. Die Fröste Rumeliens, die Heuschreckenschwärme Mazedoniens, der Brand, der in Morea das Getreide verwüstet, das Gewürm, das die griechischen Weinberge zerstört, sind in Schamurien und den sonnigen Landschaften von Epirus, die der Meerbusen von Prevesa begrenzt, unbekannt. Die Sonnenglut wird durch frische, sanfte Lüfte gemildert, die vom Meer, von den Schneegipfeln des Pindus und den tausendjährigen Wäldern, mit Wohlgerüchen geschwängert, in die Täler niederwehen. Die unterirdischen Feuer, die das Land zuweilen erschüttern, machen es nicht ungesund; die unzähligen Bergseen strömen keine schädlichen Dünste aus, und der furchtbare Acheron selbst, der sich zwischen vulkanischen Tälern und erloschenen Kratern dahin wälzt, der Mauropotamos, bringt nicht mehr den Tod. Denn neben dem Orkus, dem Reiche der Schatten, neben dem Abgrund von Zalongas, bei den Ruinen von Cassiopea, in der sich die Heldenfrauen Sulis vor den verfolgenden Türken stürzten, liegen die elyseischen Gefilde am Fuße des Pindus, duftend von Myrthen, Quendel, Salbei und Thymian, vom hohen Lorbeer und Rosmarin, von Melisse und Orange, dem Zitronenwald und der Narzisse, aus der die griechische Jungfrau ihre Kränze windet; und mit Mairosen geschmückt zieht die epirotische Bäuerin in das duftende Gehölz, um noch immer die Hochzeit der Flora und des Frühlings mit Tänzen zu feiern!

Die türkische Provinz Epirus wird von ungefähr 312 000 Christen und 65 000 Moslems bewohnt. Der Druck aber, den die ersteren wiederum in der letzten Zeit von der Willkür des Paschas von Janina, der Begs und Agas und von ihren Werkzeugen, den türkisch-albanesischen Truppen auszustehen gehabt, war furchtbar und brachte die Bevölkerung zur Verzweiflung, und die tägliche Vermehrung der Steuern und die grausame Art der Eintreibung derselben, bei der mit dem letzten Groschen auch häufig das Leben des Mannes und die Ehre der Frauen und Töchter genommen wurde, drängte zum Ausbruch der lange verhaltenen Rache. Der Pascha von Janina hatte auf drei Jahre im voraus die Abgaben von Korn und türkischem Weizen verlangt, desgleichen 20 Drachmen für jede Feuerstelle des Hauses. Dieselbe Steuer wurde auf jede Schlafstelle, also auf jeden Kopf gelegt. Man rechne, daß das nur die außergewöhnlichen Lasten, wobei der Haradsch oder die Kopfsteuer mit 24 Drachmen für den Erwachsenen und 12 für das Kind, und die Zehnten von allen Erzeugnissen in Feld, Garten und Haustieren fortgezahlt werden mußten, und man wird begreifen, welche unerschwingliche Last dem Volke auferlegt worden. Nachdem der Pascha im August 1853 die Steuern hatte einsammeln lassen, kamen die Arnauten im Dezember aufs neue, dieselbe Steuer auf das Jahr 1854 fordernd. Ja, der Derbend-Aga Frassari ging noch weiter und verlangte außer den Steuern auch noch den Sold für 2400 Soldaten, welche die türkische Regierung ihm zu halten befahl, während er in Wirklichkeit deren nur 800 hielt und sie für ihren Unterhalt auf Raub und Plünderungen anwies.

Die Grausamkeit, mit der diese furchtbaren Lasten eingezogen wurden, war unbeschreiblich, täglich wurden Männer und Knaben ermordet und verstümmelt, Frauen und Mädchen geschändet. Da endlich brach jener Aufstand der griechischen Christen in Epirus aus, den die Westmächte, die Franzosen und Engländer, mit Gewalt unterdrückt zu haben sich rühmen dürfen, da er ihnen nicht zum Krieg gegen Rußland paßte!

Im Flecken Radobitzi griffen die verzweifelten Bewohner zuerst zu den Waffen und vertrieben die Arnauten und türkischen Aufseher. Die hervorragendsten Männer des Ortes erließen am 27. Januar eine Proklamation, die noch am selben Tage von 400 streitbaren Männern unterzeichnet wurde. Sie lautet: »Wir Unterzeichnete, Bewohner der (türkischen) Provinz Arta, sehr unterjocht und mit Abgaben überhäuft, Unsittlichkeiten gegen unsere Jungfrauen erduldend von diesen wilden und barbarischen Türken, setzen fort den gemeinschaftlichen Krieg von 1821 und schwören auf den Namen Gottes und des geheiligten Vaterlandes, daß wir unsere Waffen nicht niederlegen wollen, bis wir unsere Freiheit errungen haben. Wir hoffen bei dieser Fortsetzung des Kampfes von 1821, daß nicht nur alle freien, sondern auch die noch unter der Knechtschaft der Türken seufzenden Griechen die Fahne der Freiheit erheben werden, um den Kampf für Glauben und Vaterland fortzukämpfen. Dieser unser Kampf bleibt ein heiliger und gerechter, begründet im Nationalrecht, deshalb wird uns niemand unser Vorhaben verdenken. Wohlauf denn, Brüder in Griechenland, Epirus, Mazedonien, Thessalien und Anatolien, erhebet auch Ihr die Fahne und steht uns bei im Kampf für Freiheit und Glauben. Gott und die Heiligen mögen unser Beginnen segnen.« Dieser Erhebung schlossen sich den folgenden Tag die Laka (Kreise) von Suli, Lamara, Campoti und Zoamerka an, alle reich an jungen, waffengeübten Männern, und sofort entbrannten an zwanzig Orten kleine Kämpfe, und obschon die Christen bei Peta, der Schlachtstätte im ersten Freiheitskampf, wo die Philhellenenschaar ihren Untergang fand, von den Arnauten des Derbend-Aga gesprengt wurden, sammelten sie sich sofort aufs neue und warfen die Türken auf Arta zurück. –

Anastasius Caraiskakis hatte schon zu Ende November von Athen aus einen Aufruf an die Griechen von Thessalien, Mazedonien, Thracien, Epirus, Anatolien und den Inseln zur allgemeinen Schilderhebung erlassen. Zugleich reichte er sein Gesuch um Entlassung aus den griechischen Diensten, er war Offizier im 9. Bataillon, ein und ging mit einer Anzahl Soldaten über die thessalische Grenze, wo er zuerst die blaue Fahne mit dem weißen Kreuz erhob. Kaum erreichte ihn die Nachricht von dem Aufstand in Schamidien, als er mit seiner täglich wachsenden Schaar den Sulioten zu Hilfe eilte.

Wie ein Blitzstrahl lief die Nachricht von den begonnenen Kämpfen durch das ganze von der offen und im stillen fortwirkenden Hetäre längst vorbereitete Griechenland. Am Grabe des Sohnes des griechischen General-Leutnants Tzavellas zu Athen schloß Panajoti Sutzo mit den feurigen Worten:

»Tod oder Freiheit, Tod oder griechisches Kaisertum ist unsere Losung. Schwört bei der Leiche dieses Jünglings, daß Ihr alles unternehmen wollt, was in Euren Kräften steht, um das griechische Kaisertum herzustellen!« –

Leutnant Spiridon sammelte in Thessalien 1200 Krieger; der General Theodor Grivas, der Bruder des Helden aus dem ersten Freiheitskampfe, nahm seine Entlassung und eilte über die Grenze. Mit ihm die Obersten Stratos, Zerbas, Banakiotis, Tzamis Karatassos, Hadschi Petro, Sacho Mylios. Zeno Melios, der Bruder des königlichen Adjutanten, schlug sich mit 700 Mann nach dem Epirus, Temeli folgte ihm mit 300 Mann und 4 Feldgeschützen; 1000 Mainoten unter Kolokotroni, dem jungen Palastmarschall des Königs, Petimenzanis und Plaputos zogen herbei; auch der Vizepräsident der Deputiertenkammer Chourmonsy, eilte in den Kampf.

Die Mittel zur Erhaltung der Freiwilligen lieferten den Aufrührern die Vereine, die sich mit Blitzesschnelle nicht allein in Athen, sondern in allen griechischen Städten bildeten. Die Epiroten, die Thessalier, die Mazedonier, die Cretenser, die Samioten hielten Sammlungen, die Griechen in London zeichneten an einem Tage 25 000 Pfund Sterling, die Kaufleute in Syra 20 000 Pfund, eine einzige Provinz des Peloponnes 40 000 Drachmen.

Dieser in allen Gegenden Griechenlands aufflammenden Begeisterung gegenüber erklärten am 23. Februar die Gesandten Frankreichs und Englands dem König Otto, wie ihre Regierungen für nötig hielten, daß Griechenland strenge Neutralität beobachte und boten ihm die Hilfe ihrer Truppen gegen die Ungehorsamen an. Der König, von seiner hochherzigen Gemahlin getrieben, entgegnete, daß er stets die Neutralität beobachtet habe, und beobachten werde, daß er aber die Sympathien seines Volkes teile und die einzelnen nicht hindern könne, ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe zu eilen. Eine ähnliche Antwort gab in Konstantinopel der griechische Gesandte, General Metaxa, auf die Anfrage der türkischen Minister.

Die Abreise des türkischen Gesandten Nesset-Bey aus Athen, die spätere Besetzung des Piräus und der Akropolis und das schmachvolle Regiment des Ministers Kalergis waren die westmächtlichen Konsequenzen jener Antwort, und während der englische und französische Gesandte in Athen noch zur Neutralität rieten, segelten drei englische Schiffe bereits in den Golf von Prevesa und boten den türkischen Kommandanten der Forts ihre Hilfe gegen die Christen an.

Unterdeß schlugen sich die Freischaren mit abwechselndem Glück. Die Türken wurden bei Demorio, Domoti und an dem berühmten Engpaß der fünf Brunnen (Pente pegadia), dem Zugang von Arta nach Janina, bei Salaora und Zuros geschlagen, auf Peristera zurückgeworfen, und Zervas befestigte jenen Paß, während dessen tapferer Verteidiger Zambra Ziko sich nach Paramythia und gegen Janina wandte. Arta fiel in die Hände der Griechen, aber sie mußten die Stadt, von den Kanonen des Kastells bedroht, wieder räumen und sich auf ihre Cernierung beschränken. In Thessalien schlugen sich Zacas und Hadji Petro gegen Abbas-Pascha und den Dervent-Aga Phrassari.

Dagegen siegten die Türken bei Sankt Dimitri, verbrannten zehn griechische Dörfer und machten glückliche Ausfälle aus der Citadelle von Arta. Grivas, mit seiner Schar geschlagen, mußte mit 40 seiner Anhänger in ein Kloster flüchten und verteidigte dasselbe heldenmütig gegen die Albanesen. Zweitausend Mann ägyptischer Truppen landeten in Prevesa und eine größere Zahl war im Anzug. Zugleich erhielten die Paschas der umliegenden Provinzen den Befehl zum Anmarsch. Zu Anfang März war auch der General Tzavellas, ein geborener Suliote, zu den Aufständischen übergegangen und hatte bei Lauros 1500 Türken geschlagen. Viele Führer ordneten sich ihm unter und übertrugen ihm den Oberbefehl des Aufstandes, der sich bereits über die ganze Pinduskette bis Metzowo erstreckte. Grivas dagegen, aus dem Kloster befreit, wandte sich gegen Janina und nahm 500 Arnauten im Dorfe Kufovo gefangen. Sie ergaben sich nach dreitägiger Gegenwehr unter der Bedingung, nicht wieder die Waffen gegen die Griechen zu führen, und Grivas lagerte vor Janina und besetzte die Inseln des Sees.

Die türkische Regierung hatte unterdeß die diplomatischen Verbindungen mit Griechenland abgebrochen und den zahlreichen, in Konstantinopel und den Provinzen sich aufhaltenden Griechen befohlen, das Reich binnen 15 Tagen zu verlassen. Nur die katholischen Griechen wurden, auf Verwendung des französischen Gesandten, davon ausgenommen. General Metaxa verließ am 3. April Konstantinopel. Mit der berechnenden orientalischen Schlauheit, die ihre meisten Erfolge herbeigeführt, hatte die Pforte nunmehr Fuad-Effendi, den gewandten Unterhändler, an die Spitze der Truppen gestellt, die sie zur Dämpfung des Aufstandes nach dem Epirus und Thessalien sandte und während Abbas-Pascha, Abdi-Pascha und Dervent-Aga Phrassari und Zeinel-Pascha mit jetzt zahlreichen Truppen die Griechen von Arta, Janina und Laritza her angriffen, hatte der schlaue Exminister mit Hilfe der oberen griechischen Geistlichkeit, die, um ihren Einfluß und ihre Privilegien besorgt, schändlicher Weise für die türkische Regierung Partei ergriff, Uneinigkeit und Eifersucht zwischen die Führer der Freikorps gesäet. Tzavellas und Grivas standen sich bereits feindlich gegenüber und weigerten einander gegenseitig die so nötige Unterstützung. Zugleich erließen die Kapitäne der englischen Schiffe, welche die Küste von Epirus blockierten, drohende Proklamationen an die Führer und drohten mit dem Einschreiten der englischen Truppen.

Es war am Nachmittag eines sonnigen Apriltages, und der leichte Wind, der von den grünen, bis zu den schneeigen Gipfeln des Pindus aufsteigenden Bergen wehte, kräuselte leicht die Fluten des Sees Labchistas, dessen Lagunen unter den Felsen des Tomoros verschwinden. Auf der Hochebene am See dehnten sich die weiten Ringmauern von Janina aus, jetzt nur noch die Trümmer der unter Ali so mächtigen Festung umschließend, die jedoch noch immer stark genug sich zeigte, die aufständischen Griechen abzuhalten.

Auf dem Felsenplateau des Klosters der beiden »geldlosen Heiligen,« Cosmas und Damianus, an dem der Bergstrom Dobra-Woda (frisches Wasser), auf den Höhen des eisigen Berges Mitzikeli entspringend, vorüberrauscht, lagerte eine Schar von Griechen und Albanesen unter den Platanen, die das Kloster umgeben, kräftige Gestalten, christliche Schipetaren (Bewohner von Albanien) vom Stamme der Tosken, Hirten des Pindus und Männer aus den griechischen Grenzprovinzen und der Morea, wie von den steilen Höhen des Taygetos. Da saßen die Bukukbaschis (Führer der Freischaren) mit ihren Buren (Tapferen) des heimatlichen Phis (Stamm), die den Brokovalas (Kriegsgesang) gegen ihre ewigen Feinde, die türkischen Stämme, angestimmt. Zwischen den schlanken albanischen Kriegern, mit dem Phistan (Fustanelle) bekleidet, dessen weites, aus 122 Stücken bestehendes Gewebe über der Flokota, dem roten Unterkleid ihre Lenden umflattert, Soldaten der regulären Armee von Griechenland mit Wehr und Waffen, wie sie aus den Garnisonen desertiert waren; oder die wilden zügellosen Bewohner Spartas, die auf den ersten Ruf mit Maurokordato über den Golf von Patras gekommen und keinen anderen Herrn kannten, als den eigenen Willen, keinen anderen Zweck als das Blutvergießen. Um den Kotsche, das gebratene Schaf gelagert, hörten sie dem Kaloiatri zu, dem wundersamen Heilkünstler aus dem Bezirk Zagori, der ihnen von der Kraft seiner Heilkräuter erzählt, bei welcher der Verwundete ungestört seinen Branntwein trinken darf, damit »das Fleisch lebendig bleibe,« oder dem Pliak, (Hausherr) der die mirditische Laute spielt und von den Tänzen seiner Palikaren singt.

In einiger Entfernung am Rande der Schlucht gingen zwei Offiziere, beide in der reichen Tracht der Palikaren, im eifrigen Gespräch auf und nieder. Der eine war ein Mann von 36 bis 37 Jahren, der andere um 10 Jahre älter, von wilder, finsterer Miene, Grausamkeit und Zorn in dem blitzenden Auge: Theodor Grivas, der General der Aufständischen und Führer der Truppen von Janina, ein Stiefsohn seines Begleiters, des kühnen und edlen Anastasius Caraiskakis, dessen Züge unverkennbare Ähnlichkeit mit seinem Bruder zeigten, den wir zuletzt auf der Flucht aus Konstantinopel verlassen haben.

An ihrer Seite ging ein Knabe in griechischer Kleidung, Mauro, der Pflegesohn des unglücklichen Räubers auf dem Pagus von Smyrna.

»Bei der Agia-Glykis, der sanften Heiligen,« sagte Caraiskakis, »wir werden meinem Bruder Gregor nur trauriges zu berichten haben, wie er uns böse und trübe Kunde gesandt. Für den Tod Diona's, den Tod meines Bruders Nicolas. Der Name lebt in Dir allein noch fort.«

»So möge er mit mir sterben, ehe je wieder diese meine Heimat das türkische Joch trägt. Aber auch der Deine, Anastasius Caraiskakis, ruht nur auf vier Augen. Du und Dein Bruder Gregor, Ihr habt kein Weib genommen.«

»Unser Leben, Theodoros, gehört dem Vaterlande und dem Kampf für die Freiheit.«

»Das meine nicht minder, und Weiberliebe ist ein erschlaffend Ding für den Mann. Ich wollte, Du hättest Dich immer fern davon gehalten, statt Dein Herz an jenes Mädchen von Messolonghi zu hängen, das die Seeräuber Dir entführten. Was wirst Du meinem Neffen Gregor antworten?«

»Die Wahrheit – es steht nicht gut mit uns, ich wollte, es wäre anders. Deine Feindschaft mit Tzavellas, Oheim Theodoros, ist es, was unsere Sache schlecht macht und die Herzen der Unseren spaltet.«

»Bei dem Kakodämon dieser Berge,« fuhr der wilde Klephtenführer auf, »soll ich mich dem Sulioten untertänig zeigen, der erst von Athen gekommen, als bessere Männer, denn er, bereits die blaue Fahne erhoben und die Osmanli bis zu den Toren Artas gejagt hatten? War ich nicht der erste, der zum Epirus eilte und hat mich nicht der freie Wille der Klephten zu ihrem Führer gewählt?«

»Das hat er, Oheim, niemand leugnet Deine Verdienste. General Tzavellas aber ist in den europäischen Kriegsschulen gebildet, ein Führer des königlichen Heeres, und sein Name steht in großem Ansehen in ganz Griechenland.«

»Mag er; die Namen Grivas und Caraiskakis sind besser als der seine, denn Heldenblut hat sie geweiht. Ich bin ein Sohn des Pindus und nicht so gelehrt wie er, aber mein Mut und meine Vaterlandsliebe stelle ich nicht unter die seinen. Laß uns nicht streiten, Neffe, Theodoros Grivas und seine Freischar wird noch immer Raum zum freien Kampf gegen die Türken finden, auch wenn die Männer von Suli mir und meinen Leuten ihre Tore verschließen.«

Ein Anruf der Wache unter ihnen im Hohlweg, das albanesische »kum phis?« (weß Stammes?) und der Gegenruf »Wla!« (ein Bruder!) unterbrach ihr Gespräch.

Gleich darauf wurde von einem der eingeborenen Krieger ein Jüngling auf das Plateau und vor den Führer gebracht, um den sich alsbald der ganze Haufe mit jener Ungezwungenheit sammelte, die den freien Krieger der Berge von den geschulten Soldaten der europäischen Armee unterscheidet.

Der Fremde war ein junger Mann von ungefähr 16 Jahren, hoch und schlank gewachsen, mit einem Adlergesicht. Über dem Gunjatz, dem wollenen Untergewand der Czernagorzen, trug er die Struka, den braunen, zottigen Mantel, an den Füßen die Opanka, und von dem bis zum Wirbel rasierten Schädel fielen die Flechten schwarzen Haares, die das Vorrecht eines Kriegers bilden, auf seinen Nacken, obschon noch kein Bart Lippe und Kinn beschattete. Die Hand des Jünglings führte eine lange, reich mit Silber beschlagene Flinte und an seinem Hals hing neben einem großen Pulverhorn an einer seidenen Schnur ein getrocknetes Menschenhaupt. Seine Miene war ernst, ja finster, sein Wesen gemessen und schweigsam.

»Wer von Euch,« sagte der Fremde, indem er in die Mitte der Krieger trat, »ist der Beg Grivas, der Führer der tapferen Männer von Schamidien?«

»Ich bin es, Fremder, sage uns Deinen Namen!«

»Bogdan, der Sohn des Einäugigen, des Begs der Martinowitsch.«

»So bist Du der Sohn des Helden, dessen Brot mein Bruder bei seinem Tode gebrochen? Du bringst uns Kunde von dem Ende Nicolas Grivas'?«

»Dein Bruder fiel an der Kula des Popowitsch Gradjani, an der Seite meines Vaters und des Gatten meiner Schwester, Gabriel des Zagartschanen, seines Blutbruders, den er gerettet hatte aus dem Turme von Skadar. Der Knabe Bogdan ist jetzt der Glaware der Martinowitsch, die Moslems nahmen das Haupt Iwos des Tapferen mit von dannen, auch der griechische Gastfreund ruht nicht in geweihter Erde.«

»So hat man den Leichnam meines Bruders nicht gefunden? ich hörte noch, daß Ihr die Türken geschlagen.«

»Die blutige Wölfin von Skadar trug den Körper davon auf dem Sattelknopf ihres Rosses. Was nutzen die Kugeln der Söhne der schwarzen Berge gegen ihr gefeites Leben? Ich allein habe Schuld an dem Verderben der meinen, denn ich trug das Pulver, das sie retten konnte, mit mir davon und zur Sühne seitdem das Unglückshorn und das Wahrzeichen meines Vaters, bis daß ich sein eigenes Haupt von den Toren Skadars gelöst habe.«

»Und was bringt Dich hierher, Czernagorze?« fragte Grivas.

»Eine Botschaft und meine Rache. Die Botschaft soll ich zu den Häuptlingen der freien Griechen bringen, von Danilo, dem Vladika der schwarzen Berge; Rache aber suche ich im Kampf gegen die Mörder von Skadar, die dem Pascha von Janina zu Hilfe gezogen.«

Der junge Czernagorze wickelte aus einem seidenen Tuche das Schreiben des Fürsten Danilo, worin dieser den griechischen Führern seine Proklamation vom 16. März sandte, die das Volk von Montenegro zu den Waffen gegen die Türken rief und einen Einfall im nördlichen oder roten Albanien, dem Lande der Mirditen verhieß. –

»So ist die Nachricht wahr, daß Selim Bey von Scutari mit tausend Arnauten dem Pascha von Janina zu Hilfe gekommen?«

»Ihr müßt sie von dieser Stelle in die Tore der Stadt haben einrücken sehen.«

»Sei uns willkommen, Bure Bogdan, und mögen Deine Taten Deine Jugend vergessen machen.«

Grivas reichte ihm die Hand und führte ihn zu der Platane, unter der sich die Schar gelagert hatte.

»Nimm teil an unserem Mal und erfrische Dein Herz an unserem Wein.«

Caraiskakis setzte sich an seine Seite und reichte ihm die große hölzerne Kalebasse. Sein Herz drängte ihn, näheres von dem Schicksal des geliebten Bruders zu erfahren, den er selbst im Auftrage der Elpis nach Czernagorza gesandt. Als daher Bogdan seinen Hunger und Durst gestillt hatte, wandte er sich mit neuen Fragen an ihn und wollte zunächst wissen, ob wirklich der Körper des jungen Mannes von dem Schlachtfelde entführt worden.

Bogdan erzählte ihm, was er selbst und seine Krieger geschaut.

»Sie ist eine Zauberin,« sagte er mit allem Aberglauben seines Volkes, »und die Bewohner von Skadar sagen, daß sie ein Vampyr sei. Zum mindesten hat sie den bösen Blick und niemand kann sie anschauen, ohne ein Leid davon zu tragen.«

»Aber warum soll sie den Körper meines Bruders entführt haben, wenn er wirklich tot war?«

»Die Wilas mögen es wissen! Schlimme Geschichten erzählen sich die Weiber von Skadar seitdem von einem weiblichen Vrokoklak, den sie bei sich hat. Der böse Geist, der sie so lange als Wolf begleitet und dessen Leib wir auf der Schlachtstätte fanden, ist seitdem in den Körper einer Sklavin gefahren, von der sie sich Tag und Nacht nicht trennt. Bei den sieben Heiligen von Ostrog! ich weiß, was ich rede, Beg, meine Augen haben das Gespenst geschaut, als ich ihrem Zuge folgte. Es wurde in einer Sänfte von zwei Maultieren getragen.«

Die Erzählung des abergläubischen Czernagorzen klang so seltsam, daß Caraiskakis nicht wußte, was er daraus machen sollte. Auffallend war es ihm, daß der Körper seines Bruders von der Kampfstätte durch die Arnauten bei ihrer wilden Flucht mit fortgeschleppt sein sollte, ohne daß sie einen gewissen Zweck damit verbanden, und er schloß daraus, daß sein Stiefbruder nur verwundet und als Gefangener davon geführt sei. Für das weitere, ob er am Leben sei oder nicht, ob er später der türkischen Rache zum Opfer gefallen, oder noch in den Gefängnissen von Skadar schmachte, bot freilich die Erzählung des jungen Glawaren keinerlei Anhalt, und dennoch überkam es ihn wie eine geheimnisvolle Ahnung, als ob sie mit dem Schicksal seines Bruders im Zusammenhang stände.

Er suchte Grivas auf und teilte ihm seine Hoffnungen und Zweifel mit. So unbestimmt sie auch waren, der General der Aufständischen zeigte sich doch alsbald damit einverstanden, daß sie die Gelegenheit der Anwesenheit der Männer von Skadar benutzen wollten, um auf irgend eine Weise von ihnen zu erforschen, was über das Schicksal des jungen Griechen etwa bekannt geworden war.

»Die Verstärkung Abdi-Paschas,« sagte Grivas, »läßt mich vermuten, daß er bald einen Ausfall aus Janina machen wird, und es wird gut sein, wenn wir die Kapitanos davon in Kenntnis setzen, und da die Türken uns überlegen sind, uns der Pässe von Metzovo zu sichern, um den Weg nach Larissa und Salonichi in unserer Hand zu haben. Dann mag Tzavellas von Arta her die Verbindung mit Janina bedrohen, während wir uns mit Chatzi vereinigen und Zeinel-Pascha am Pindus aufhalten. Begleite mich bis Dervendzista, Neffe, dort will ich die Nacht zubringen, da ich Botschaft an die Primaten von Metzovo gesandt und ihre Antwort daselbst erwarte.«

»Und mein Bruder – Dein Neffe?«

»Wir werden sicher im nächsten Gefecht einige dieser Hunde von Ghegen gefangen nehmen, und ich lasse sie lebendig verbrennen, wenn sie nicht sagen, was sie wissen.«

»Wäre es nicht besser, einen Spion an unsere Freunde in Janina zu schicken und diesem die Nachforschung anzuvertrauen?«

»Es mag sein – indes, die Türken halten jetzt scharfe Wache und es wird ein schwieriges Unternehmen sein.«

»Ich habe mein Auge auf den Knaben gerichtet, den uns Gregor, mein Bruder, von Varna hergesandt hat. Er rühmt uns seine Schlauheit, und die Weise, wie er sich durch ganz Rumelien zu uns durchgeschlagen, ist genug dafür. Ihn will ich zu meinem Boten machen; der Knabe spricht fertig türkisch und ist klug und besonnen.«

»So mache den Versuch,« sagte der General, »ich treffe unsere Anstalten zum Aufbruch.«

Mauro zeigte sich sogleich willig und nachdem er von einem der eingeborenen Albanesen eine Beschreibung der Stadt erhalten, die in den Strahlen der Abendsonne in der Entfernung von etwa anderthalb Meilen vor ihnen lag, machte er sich auf den Weg. Caraiskakis geleitete ihn eine Strecke und kehrte dann zu seinen Leuten zurück.

Der General mit etwa zwanzig Griechen war zum Abmarsch bereit, und Caraiskakis, nachdem er seinem Leutnant den Befehl des Postens anvertraut, begleitete ihn. Es war bereits am Spätabend, als sie in dem Dorfe Dervendzista nach einem scharfen Ritte anlangten. Hier quartierten sich die Führer bei dem Primaten des Ortes ein, offenbar sehr gegen dessen Willen, doch mußte er der Notwendigkeit sich fügen. In ihre Abas (Mäntel von Ziegenhaaren) gehüllt, lagen sie bald, nachdem eine Wache ausgestellt worden, in tiefem Schlaf.

Es war am anderen Mittag, als der Bote von Metzovo eintraf, der Papa oder Priester des Ortes, der einen Brief an Grivas überbrachte; während sie ihre Yahni, ein Ragout von gekochtem Fleisch mit trockenen Erbsen, verzehrten.

»Die Primaten, meldet mir der Agent,« sagte der General, »sind geneigt, uns die Tore zu öffnen. Metzovo ist ein reicher Ort, und wir können dort unseren Leuten Sold und alles nötige verschaffen, während wir hier Not leiden. Zuvor will ich Janina anzünden, daß sein Brand uns auf dem Wege leuchten soll.«

»Es wäre eine unnütze Grausamkeit,« wandte Caraiskakis ein, »Du weißt, wie viele Griechen dort wohnen und Handel treiben.«

»Was kümmerts mich,« tobte der wilde Grivas. »Bei der Panagia, dann hätten die Schufte uns längst die Tore öffnen sollen, ehe diese Hunde von Ghegen in die Festung gezogen sind, vor denen wir jetzt weichen müssen. Der Agent des Zaren, unseres Vaters, wünscht eine Zusammenkunft mit mir in dieser Nacht und schlägt mir die Palanka am Fuße des Mitzikeli auf dem Wege nach Gozista vor, eine Stunde von hier. Der Papa, den ich befragt, nennt sie ein festes Gebäude.«

»Das Antlitz des Mannes gefällt mir nicht, so wenig, wie das unseres Wirtes. Gott zeichnet in die Mienen der Menschen ihre Seele.«

»Der Pliak ist ein Japide, wie er selbst mir erzählte, und hat sich aus den acroceraunischen Felsen flüchten müssen, wegen einer Tscheta (Fehde) seines Phars (Stammes). Es sind Christen, weiter brauchen wir nichts. Der Primat scheint von dem Strandrecht Beute genug zusammengescharrt zu haben, weil sie ihn in diesem Dorfe zum Primaten gemacht, aber er scheint mitunter noch zu sehr an türkischen Gebräuchen zu hängen. Hast Du nicht bemerkt, Anastasius, daß sein Weib noch nicht vor uns erschien?«

»Vielleicht ist sie krank.«

»Bei den Unterirdischen, nein, ich habe sie vor einer Stunde über den Hof gehen sehen. So wahr ich vierzig Märtyrer verehre, ich will nicht mißachtet sein von diesem Schurken von Japiden, bei dessen Namen ein wahrer Albani ausspeit. Sie hat uns das Brot und das Salz nicht gebracht beim Eintritt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, sie soll uns wenigstens den Becher bringen zum Scheiden. Du gehst von hier zurück auf Deinen Posten am Kloster und ich denke morgen bei Zeiten wieder bei Dir zu sein.«

»Wie viele der Gefährten nimmst Du mit, Oheim?«

»Sieben der Mainoten; es sind ihrer genug zur Aufstellung der Wachen. Laß uns aufbrechen, Anastasius, und mögest Da bald Kunde erhalten von dem anatolischen Knaben aus Janina.«

Während sich die Klephten zum Abmarsch anschickten, kam der Hausherr herbei, auf einer silbernen Platte die altertümliche Trinkschale mit dem rotblauen Wein der Höhen des Tzumerka-Gebirges, um den Abschiedstrank seinen Gästen zu bringen. Der wilde Grivas jedoch warf ihm mit einem Schlage seiner Faust Becher und Platte aus der Hand.

»Räudiger Hund von einem Lapen,« fuhr er ihn an, »glaubst Du, einem freien Griechen die Ehre und Sitte Deines Hauses verweigern zu dürfen? Schaffe Dein Weib zur Stelle, daß sie uns, wie der Gebrauch es heischt, den Abschiedstrunk auf der Schwelle des Hauses kredenze.«

Die Hand des Primaten, eines wildaussehenden Mannes mit niederer Stirn und von jener abschreckenden Häßlichkeit, welche seinen Stamm charakterisiert, fuhr nach dem Pistolenknauf in seinem Leibbund, ein Blick auf die Männer umher aber lehrte ihn Vorsicht. –

»Mein Weib ist krank, Herr, mein Gebieter möge sie entschuldigen.«

»Du lügst, Primat. Es liegt uns wenig daran, ihre Häßlichkeit zu schauen, die der Deinen gleichen mag, aber ein Japide soll uns nicht Hohn sprechen. Laß Dein Weib den Becher bringen, oder Deine Fußsohlen sollen es entgelten.«

Der Hausherr schlich mit finsterem Blick davon. Einige Augenblicke nachher trat aus dem Innern des Hauses, von einer Dienerin begleitet, die Frau, zum Staunen der Krieger, welche die Häßlichkeit einer Lapin zu sehen erwartet, eine Schönheit von antiker griechischer Form, auf deren edlem Antlitz nur die Blässe geistigen Leidens die schöne Sammetfärbung und den Glanz der dunklen Augen milderte. Das schöne Haupthaar fiel, in drei Zöpfe geteilt und mit Piastern durchwunden, über den Nacken, die Halsbänder von den roten Korallen Korfus, die silbernen und goldenen Armspangen und Gürtel, das reiche, mit seidenen Troddeln gezierte Hemd und die im Luftzug der Veranda fliegenden vier um den Leib gebundenen bunten Schürzen zeigten die wohlhabende albanesische Hausfrau. Mit der edlen griechischen Verneigung, der Bewegung der Rechten nach Brust und Stirn, ergriff sie die silberne Kanne, die das Mädchen auf gleicher Platte ihr nachtrug, und war eben im Begriff, die Pflichten der Wirtin zu erfüllen, als ihr großes Auge auf Caraiskakis fiel, der bei ihrem Eintritt zufällig mit einem der Krieger sprechend, ihr den Rücken gewandt hatte und sie jetzt gleich einer Bildsäule anstarrte.

Der Krug entfiel ihrer zitternden Hand, und der rote Strom des Weines ergoß sich über die Steinplatten des Bodens.

»Anastasius!« das einzige Wort entquoll ihrem hochatmenden Busen, dann sank sie bewußtlos in die Arme des herbeispringenden Griechen.

» Aphanasia!« schrie der Offizier wild auf und preßte die Ohnmächtige an seine Brust. »Geliebte meines Herzens, Du das Weib dieses Mannes?«

Der Primat stürzte sich zwischen die beiden, seine boshaften Augen funkelten in eifersüchtiger Wut, als er sie mit Gewalt zu trennen suchte.

»Zurück, Beg, es ist mein Weib, mein Eigentum! Achtet Ihr so die Sitte des Landes, das Ihr befreien wollt? Laßt Sie los, sag' ich, oder, bei dem Gott meiner Väter! ich stoß' Euch dieses Eisen durch die Rippen!«

Eine starke Faust jedoch erfaßte den Wütenden und schleuderte ihn den umstehenden Kriegern zu.

»Haltet ihn fest und schlagt ihn zu Boden, wenn er sich rührt,« befahl Grivas. »Was ist's mit dem Weibe, Neffe, woher kennst Du sie?«

»Das Mädchen von Messolonghi, Aphanasia Dulanyi, die vor 10 Jahren die Piraten entführten!« Er suchte mit Hilfe der Dienerin die Frau ins Leben zurückzurufen.

»Die Tochter meines Waffengefährten am Asprospotamos? So ist dieser Hund von Japide der Pirat, der sie raubte. Bindet ihn, Kameraden; der Schurke hat eine griechische Jungfrau gestohlen, um sein schmutziges Blut mit ihr zu mischen. Es soll strenges Gericht über ihn gehalten werden, und wehe ihm, wenn er schuldig ist!«

Die Mainoten, die sich auf den Primaten warfen, schnürten dem Tobenden die Arme zusammen, Männer und Weiber des Phars sammelten sich um die Szene, und wie wenig auch der von den Türken eingesetzte Primat beliebt sein mochte, schüttelten sie doch bedenklich die Häupter, denn Haus und Weib sind auch dem christlichen Orientalen so heilig, daß ein Eingriff in diese Rechte bei ihm stets etwas sehr Bedenkliches und Gefährliches bleibt.

Aber Grivas war nicht der Mann, sich um das Mißfallen einer Dorfschaft zu kümmern oder seinem Willen deshalb Zügel anzulegen. Den Bemühungen seines Neffen war es unterdes gelungen, die Frau zum Bewußtsein zu bringen, und er trug sie in das Gemach zur Seite des Flurs und legte sie auf die Bank von Rohrgeflecht nieder. Mit der glühenden Leidenschaft des Südens kniete er vor ihr und küßte ihre Arme und ihre Stirn, mit hundert süßen Worten die schöne Zeit ihrer Liebe an den blauen Gewässern des Golfs von Patras zurückrufend.

Sie erzählte ihm ihr Geschick. Der Primat selbst, früher einer der berüchtigtsten jener Seeräuber der acroceraunischen Felsenschluchten an den Abhängen des Chimära-Gebirges, zwischen Cap Linguetta und Delvino, hatte sie bei einem Spaziergange am Meeresstrande mit zwei anderen Mädchen gefangen genommen und sie in die wilden Berge Ljapuriens geschleppt, wo er sie durch Mißhandlungen zwang, ihn zu heiraten. Später durch seine Seeräubereien reich geworden, hatte er seine Heimat verlassen und, durch ein Geschenk den Schutz des Paschas von Janina erkaufend, sich in Schamurien niedergelassen, wo jener Schutz ihm zu Amt und Ansehen verhalf. Aphanasia, die bei dem Raube eine sechszehnjährige Jungfrau gewesen, hatte dem aufgezwungenen Gatten zwei Kinder geboren, von denen nur das jüngste, ein Mädchen von drei Jahren, noch lebte und der einzige Trost der Frau war, die noch immer argwöhnisch von dem ehemaligen Piraten bewacht wurde.

Das war es, was die nunmehr sechsundzwanzigjährige Frau ihrem früheren Geliebten und dieser dem General mitteilte. Grivas sprach ein kurzes Urteil, obschon dergleichen Gewalttaten, wie der Seeraub von Frauen, an den Küsten Griechenlands eben nichts Seltenes sind: der Japide sollte erschossen werden; aber Aphanasia warf sich ihm zu Füßen und bat für das Leben des Vaters ihres Kindes.

Auch Caraiskakis erklärte sich auf das Bestimmteste gegen die blutige Tat. »Kenamon« (Madame), sagte der wilde Führer, »Ihr wißt nicht, was Ihr bittet, denn ich wollte Euch von Eurem Tyrannen mit gutem Blei befreien. Der Capitano Dulanyi mag selbst über Euch bestimmen, denn Eurem Vater muß ich Euch zuführen, das fordert meine Ehre, obschon er es mit Tzavellas hält und bei Arta steht. Mein Neffe wird Euch nach dem Kloster der armen Heiligen bringen, bis ich Euch weiter geleiten lassen kann. Für Euer Eigentum aber wollen wir selbst sorgen, es ist gerecht, daß der Gatte seine Frau ausstatte.«

Der General duldete keinen Widerspruch weiter, und um eine blutige Tat zu verhindern, mußte sich Caraiskakis darein finden, daß die Klephten die Wohnung des Primaten plünderten und die wertvollsten Gegenstände, nachdem die eigenen Taschen bedacht waren, auf einen Esel luden, als das Eigentum der Frau, die der Machtspruch des Führers geschieden. Dann wurde sie selbst mit ihrem Kinde auf eines der kleinen griechischen Pferde gesetzt und Caraiskakis führte es am Zügel, von dem Rest der Truppe umgeben, zurück nach dem Posten am Kloster, während der General mit den sieben Mainoten sich nach dem Gebirge wandte. Keiner der Bewohner wagte, ihrem Abzug Widerstand zu leisten, denn die langen Flinten der Klephten hatten die friedlichen Schamiden in ihre Wohnungen vertrieben, wo sie sich versteckt hielten.

Zu dem wutknirschenden Japiden, der noch immer gebunden in der Veranda seines Hauses lag, schlich der Papa.

»Es ist Dir schlimm gegangen, Freund Petros. Die Vorsicht, mit der Du Dein schönes Weib verborgen, hat Dir wenig genützt, und der griechische Kapitano wird diese Nacht an ihrem Busen ruhen.«

»Mache mich nicht wahnsinnig, boshafter Kalorgi. Was kümmert mich das Weib, wenn ich mich rächen kann an dem Hunde, der mich bestahl! Löse meine Bande, Papa, denn meine Seele dürstet nach seinem Blut.«

Der Pfaffe nahte ihm vorsichtig. »Haben die Griechen Dir alles genommen, Petros?«

»Hältst Du mich für einen Esel, Papa, daß ich mein Geld offen den Räubern hinlege? Sie haben mir viel gestohlen, aber es bleibt mir genug, um ihr Verderben zu erkaufen. Ich gehe zu Abdi-Pascha nach Janina, und meine Zechinen sollen eine Schar von Burschen zu meiner Rache sammeln, die gleich den Wehrwölfen ihrer Spur folgen sollen.« Er streckte ihm die gefesselten Arme entgegen zur Befreiung.

»Wenn Ihr mir zwanzig Zechinen gebt, Petros,« sagte der schurkische Priester, indem er langsam die Stricke zu lösen begann, »so will ich Euch ein Geheimnis vertrauen, das Euch volle Rache an Euren Feinden sichert und Euch wieder zu Eurem Weibe und Eurer Habe verhilft.«

»Du sollst sie haben.«

»Schwört bei der Panagia!«

»Bei der Panagia und bei allen Heiligen, die Du willst.«

»Wohl; ich weiß, daß Ihr in Gunst steht bei dem Pascha, aber die Nachricht, die Ihr ihm bringen könnt, wird diese Gunst noch erhöhen. Ihr wißt, daß ich für den Griechen in Metzovo war, ich mußte den Weg machen, denn der Diakon des Klosters hatte mir den Auftrag gesandt, und ich wurde bezahlt dafür. Aber ich habe unterwegs den Brief gelesen, den mir der verkleidete russische Offizier in Metzovo gab, und weiß, was ich weiß. Ihr gebt mir die zwanzig Zechinen, Petros, und teilt den Lohn mit mir, den Euch der Pascha dafür gibt, daß Ihr die Feinde in seine Hände liefert?«

»Du sollst es haben, Papa, ich schwöre es Dir mit sieben Eiden!«

»So wollen wir uns beide eilig auf den Weg machen nach Janina, denn jeder Augenblick ist kostbar!«


Durch den Hain duftiger Zitronen und roter Granaten, der den südlichen Abhang von Janina bedeckt, schlenderte der Knabe Mauro hinter einigen Seidenarbeitern drein, deren kunstvolle Webereien noch heute eine Haupterwerbsquelle der seit Alis Tode auf die Hälfte ihrer Einwohnerzahl heruntergekommenen, einst so blühenden Stadt bilden. Sie kamen von den Plantagen der Maulbeerbäume, die mit Zitronen und Oliven den südlichen Gürtel der Stadt außerhalb der Ringmauern bilden. Denn wenn auch die griechischen Insurgenten kaum anderthalb Meilen von der Stadt lagerten und bereits mehrfache Angriffe gemacht, ja sogar ein Mal innerhalb der Mauern sich festgesetzt hatten, betrieb doch die griechische Bevölkerung ungestört ihren Handel und ihre Industrie. Diese Gleichgiltigkeit bei der Gefahr, diese ungestörte Tätigkeit und Beweglichkeit neben dem Abgrunde ist einer der eigentümlichen Züge des orientalischen Lebens.

Ein großer Molosserhund, eine jener kolossalen epirotischen Doggen, in deren Begleitung die mirditischen Jungfrauen unbesorgt durch die ödeste Wildnis schreiten, sprang an der Straße daher und warf den Knaben zu Boden. Aber Mauro klammerte sich an den vergoldeten Sammetreif, der den Hals des Hundes zierte, und ließ sich furchtlos von ihm fortziehen. Das gefährliche Spiel weckte die Aufmerksamkeit der Reiter, die der Dogge folgten.

Die hervorragendste Gestalt war eine türkische Frau zu Pferde, gleich den Männern in den weiten seidenen Beinkleidern im Sattel sitzend, die goldglänzende Toka, den Flügelharnisch der Ghegen, um Brust und Schultern, auf dem Haupte den Turban mit hoher Reiherfeder, von dem ein leichter, halb durchsichtiger Schleier statt des unförmlichen Yaschmaks über Kopf und Gesicht niederhing, der die Trägerin am freien Umherschauen nicht behinderte, während er genügte, sie als Bekennerin des Propheten zu zeigen, obschon in vielen Gegenden Albaniens die Frauen auch der mohamedanischen, meist schiitischen, Stämme unverschleiert gehen.

Auf der Hand der Dame saß in seiner Kappe der Falke, während ihre Linke das weiße mutige Roß an den aus rotem Sammet und Goldtressen gebildeten Zügel bändigte.

Ihr zur Rechten, dem Ehrenplatz der Mohamedaner, ritt eine zweite Frauengestalt, die Erste noch an Größe überragend, quer auf einem Maultiere, nach europäischer Sitte. Sie war jedoch vom Scheitel bis zur Sohle in einen weiten Feredschi und Yaschmak von grüner Farbe, der heiligen der Moslems, gehüllt, aus dem allein die Augen hervorblickten. Selbst die Hände verschwanden unter den weiten Falten des Mantels. Die dritte Person der Reitergruppe war ein junger, in weite weiße, nur von einem roten Shawl zusammengehaltene Gewänder gekleideter arabischer Scheik. Das bronzefarbene Gesicht mit den großen, dunklen Augen und der schön geformten Adlernase über den schmalen Lippen schaute kühn und trotzig aus der weißen capuchonartigen Umhüllung hervor. Seine Hand führte die lange, schlanke Lanze der Araber, während die mit Silber und Perlmutter eingelegte Luntenflinte über seinem Rücken hing.

Etwa hundert Schritte hinter der eben beschriebenen Gruppe folgte bunt durcheinander ein Haufe arabischer und albanesischer Krieger, als Schutzwehr der Reiter, die an den sumpfigen Lagunen, in die der See Labchistas verschwindet, den Reiher gejagt hatten.

Die grüne Reiterin berührte leicht den Arm der glänzenden Dame an ihrer Seite, und ihre verhüllte Hand deutete nach dem gefährdeten Knaben, mit dem der große Molosserhund wie der Löwe mit seiner hilflosen Beute sich balgte.

»Ruhe, Scheitan!«

Die große Dogge, die den erschlagenen Wolf bei Fatinitza, der Tochter des Paschas von Skadar, ersetzt hatte, folgte gehorsam dem ersten Ruf ihrer Stimme und sprang an der Seite ihres Pferdes empor, ihre Füße und die entgegengestreckte Hand liebkosend. Der Knabe Mauro aber lief, als habe ihn das gewalttätige Spiel des Hundes gar nicht erschreckt, neben den Reitern neugierig her, obschon von dem Fall auf den Boden das Blut von seiner Stirn rann.

»Wende das Licht Deiner Augen auf dies Kind, dunkle Rose des Sees,« sagte der Emir. »Der Prophet sagt: Wenn Dein Sklave oder Dein Roß oder Dein Hund den Unschuldigen verletzt hat, bist Du schuldig, den Schaden zu vergüten.«

»Inshallah! Kann ich mich um jeden Bettler kümmern? Was geht der schiitische Bube nicht meinem Tiere aus dem Wege?«

»Es ist Gerechtigkeit in der Wüste,« sagte der Araber, »lasse sie mich nicht vermissen an der stolzen Blume der Felsen. Dein Hund hat diesem Knaben ein Leides getan.«

Wiederum legte sich die Hand der Verhüllten auf den Arm der wilden Schönen und die Bewegung schien eine merkwürdige Macht auf sie zu üben, denn sogleich bezwang sie ihre Heftigkeit.

»Du redest weise, und ich habe Unrecht,« sagte sie mit möglichster Milde ihrer Stimme. »Bist Du ein Knabe aus Janina, Kind?«

»Mein Vater war ein Tapferer aus Rumili, und ist im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen,« berichtete Mauro, nebenher trabend. »Ich habe keine Angehörigen und bin eine Waise, die vom Tau der Barmherzigkeit lebt, den Allah mir sendet.«

»Ich habe gesehen, daß Du mutig bist, Knabe,« sagte die Tochter des Paschas, »und Du sollst mein Oglan sein, bis Du ein Mann wirst. Gehe mit den Reitern dort und sage ihnen, Fatinitza habe es befohlen.«

Während der Knabe zurückblieb, galoppierten die Drei weiter durch das Tor der Ringmauer und ins Innere der Stadt.

Janina, vom Sebastokrator Michael Lukas gegründet und im zwölften Jahrhundert bereits durch die Normannen von Neapel aus zerstört, dann von den serbischen Königen wieder aufgebaut und durch französische Ingenieure unter Ali-Pascha zur starken Festung gemacht, zeigt seit seinem Fall innerhalb der weitläufigen Ringmauern nur wüste Stätten und verödete Straßen. Eine Kaserne des Nizam steht an der Stelle des einst über der Stadt thronenden Schlosses Litharitza, von dem nur ein kolossaler fünfstöckiger Turm noch übrig ist. Der Platz des Castro, das mit seinen Trümmern und seinen unbrauchbaren Geschützen den ganzen in den See vorspringenden Hügel einnimmt und über den die Gesellschaft jetzt zu dem schmalen Damme ritt, der die Insel Kulia mit dem berühmten Serail und dem Turbeh (Mausoleum) des Löwen von Janina einnimmt und auf dem Ali die zahllosen Opfer seiner Grausamkeit hängen, spießen, schinden und lebendig verbrennen ließ, bot jetzt ein buntes Lager der mirditischen und arabischen Hilfstruppen in tausend bunten Bildern und Gruppen. Über den Raum hinweg folgte der Knabe Mauro den Reitern in den äußeren Hof des Serails, wo Abdi-Pascha gleichfalls seine Residenz aufgeschlagen hatte. Hier blieb er bei den Arnauten zurück, denen er die Rosse füttern und die Waffen putzen half, und der schlaue Knabe verstand es bald, das Gespräch auf ihre Heimat und ihre Taten gegen die Männer der schwarzen Berge zu bringen.

Während so der junge Spion geschickt seine Zwecke verfolgte, betraten Fatinitza und ihre Begleiter das Turbeh, jenen schauervollen Ort, an dem Ali dem Verrat des Franzosen erlag, und den Abdi-Pascha seinem Kollegen Selim zur Wohnung angewiesen. Der junge, arabische Scheich, der seit der Ankunft der Mirditin am vorigen Morgen, von dem freien und seltsamen Wesen Fatinitzas angezogen, auf allen Tritten, wo sie sich außerhalb des Haremliks nach ihrer gewöhnlichen, allem Zwang Hohn sprechenden, Sitte zeigte, ihr gefolgt war, benutzte die Gelegenheit, als die grüne Khanum, wie sie die Begleiter der Wölfin nannten, vom Pferde stieg, um sich dieser zu nahen.

»Weise Frau,« sagte er eilig zu ihr, »auch in das gesegnete Arabien kommen die Zauberinnen von Oman, die die Zukunft verkünden und mit dem Reich der geheimnisvollen Geister verkehren, und Abdallah ben Zarugah hat sie stets geehrt und geschützt. Der Sohn der Hedjas ist reich an dem Goldsand seiner Heimat und den Perlen des Meeres von Persien. Bei der heiligen Kaba von Mekka! Du sollst den zehnten Teil seiner Schätze haben, wenn Du die Purpurrose des Gebirges bewegst, oder ihm einen Liebestrank bereitest, daß sie ihr Ohr seinen Wünschen öffnet.«

Die Verhüllte neigte das Haupt und folgte der Herrin, die bereits nach ihr rief, während Abdallah seine Schritte zurück zu seinen Kriegern wandte, die auf dem Platz des Castro ihr Lager aufgeschlagen.

Im innersten Gemach des Haremlik warf Fatinitza den Schleier und den Kaftan von sich und nahte der grünen Verhüllten.

»Lege Yaschmak und Feredschi von Dir, o Licht meiner Augen; Du weißt, Aejischa, der einzigen, die unser Geheimnis kennt, ist der Mund auf ewig verschlossen.«

Sie wies auf die schwarze Sklavin, die auf eine Matte im Gemach kühlenden Sherbet, Wein, die Früchte der Jahreszeit und jenes süße Backwerk und Eingemachte zum Mahl stellte, in dessen Bereitung die Bewohner Janinas berühmt sind.

Die Verhüllte warf Schleier und Mantel zu Boden und setzte sich mit gekreuzten Armen und allen Zeichen finsterer Ungeduld auf den Divan. Es war eine sonderbare Gestalt, die sich nach Entfernung der weiten Hülle zeigte, halb Mann, halb Frau, in deren Gewändern. Ein bleiches, schönes Männergesicht mit sorgfältig rasiertem Bart unter dem frauenhaft geringelten Haar, quer über der Stirn eine breite, tiefe Narbe, den Körper in ein seidenes Oberkleid, wie es die türkischen Weiber tragen, gehüllt, eben solche weite Beinkleider und gelblederne Strümpfe an den Füßen, das dunkle Auge flammend vor Unwillen über die Verkleidung, so lehnte er finster auf dem Kissen. – Nicolas Grivas, der schöne Grieche war es, der Erschlagene von der Kula des Popowitsch Gradjani an den Ufern der Moratscha.

Gleich einem schüchternen bittenden Kinde hatte sich das wilde Mädchen auf ein Kissen zu seinen Füßen geworfen.

»Will mein Herr nicht Speise und Trank genießen?«

Der Grieche schwieg finster.

»Stern meines Lebens!« bat das Mädchen; »was hat Fatinitza getan, daß Du ihr zürnst? Tue ich nicht, was der Odem Deines Mundes will? Bin ich nicht ein verändertes Weib, das sein eigener Erzeuger kaum wieder erkennt? Hab' ich nicht das wilde Blut, das durch meine Adern tobt, gebändigt, und die Schmach, die Du mir angetan im Turme von Skadar, vergolten mit Deiner Rettung?«

»Fluch über sie,« rief wild der junge Mann, »hättest Du mich sterben lassen an der Seite meiner Gefährten, die Deine Grausamkeit erschlug, blutige Wölfin von Skadar, es wäre mir besser, als daß ich lebend in der unwürdigen Mummerei eines Weibes der Sklave eines solchen bin und mich verbergen muß gleich einem Aussätzigen.«

Die Türkin sah ihn finster an.

»Undankbarer Christ,« sagte sie, »ist das der Lohn für das Herz Fatinitzas, der Du hundertmal Gehorsam und Treue gelobtest, als Du aus zehn Wunden blutend im Kiosk am See ruhtest, wohin sie Dich mit eigener Gefahr gebracht, und wo Azraël, der Engel des Todes, an Deiner Seite stand? Deine Wunden habe ich verbunden und mit heilendem Balsam bestrichen und bin täglich auf flüchtigem Roß zu Deinem Lager geeilt oder auf dem Kahn mit schwellendem Segel, zu Dir, der Fatinitza verraten hatte in der Stunde der Liebe, der schmachvoll das Heiligtum ihres Leibes den Augen des hündischen Czernagorzen preisgegeben, daß ich sie alle rächend erschlagen mußte! Als ich den Genesenden dann zu mir führte, im süßen Geheimnis, das der Tod der Sklaven erkaufte, die Dich so lange bedient, – als Du wohntest in meinen Gemächern und allnächtlich mein Arm Dich umschlang und Dich preßte an das heiße, wilde Herz, hast Du mir nicht geschworen, daß Du die Freuden der sieben Himmel des Paradieses verschmähen würdest an meiner Brust? Undankbarer Christ, Deine Liebe ist flüchtig wie die Wolke, die über den See zieht und die Rose, deren Blätter der Wind zerstreut.«

»Ich liebe Dich, Fatinitza, bei dem Kreuz meiner Väter!« sagte in milderem Tone der Gefangene. »Aber ich bin ein Mann und diese Mummerei ist unerträglich.«

»Du weißt, o Licht meiner Seele,« flehte das Mädchen, »daß es das einzige Mittel war, Dich in meine Nähe zu bringen. Die weise Frau, die ich in das Haremlik meines Vaters führte, ist sicher vor jedem Argwohn, und ihr stilles Leben fordert den Lauscher nicht heraus. Die Diener und Krieger des Paschas scheuen Deine Nähe, denn sie schreiben Dir Macht über die Geister zu und fürchten Dich, wie sie mich gefürchtet haben. Selbst ich jedoch vermöchte Dich nicht zu schützen vor dem Zorn Selims, meines Vaters, und der Blutrache seiner Arnauten, wenn sie ahnten, daß Du einer der verräterischen Czernagorzen bist.«

»Aber dies Spiel muß ein Ende haben, ein Zufall kann alles entdecken. Warum, Fatinitza, hast Du mich hierher geführt, in die Mauern von Janina? Ich habe die Fahne meines Volkes wehen sehen auf den Bergen jenseits der Stadt und kaum weiß ich noch, daß Dein Volk im Kriege ist mit dem meinen. Warum lässest Du zu mir keine Kunde dringen?«

Das wilde Mädchen saß schmeichelnd auf seinem Schoß, den Arm um ihn geschlungen, mit der anderen Hand einen Becher des feurigen griechischen Weines an seine Lippen führend.

»Habe ich nicht geschworen, Dich nie zu verlassen, und bist Du nicht allein in meiner Nähe sicher? Was kümmert uns der Kampf zwischen Deinem und meinem Volk? – sieh, Fatinitza, die Wölfin, ist eine Taube geworden auf Dein Geheiß und zieht nicht mehr in die Schlacht, wenn auch noch die Toka ihre Brust bedeckt. O, liebtest Du mich heiß und glühend, wie Fatinitza Dich liebt, Du hättest längst den verhaßten Glauben der Christen mit der Lehre des wahren Propheten vertauscht und wenn Azraël seinen schwarzen Fittig breitet über das Haupt meines Vaters, wärest Du der Herr von Skadar und Fatinitza Deine Khanum.«

Er schwieg, dem liebeglühenden Weibe gegenüber hatte er nicht die Kraft, ihre Träume von Glück und Glanz zu vernichten. Der verzehrende Hauch dieser leidenschaftlichen Glut betäubte sein besseres Selbst und entflammte stets aufs neue die Gewalt seiner Sinne. Der dämonisch-glühende Blick ihres Auges unter dem Flor sehnsüchtigen Schmerzes übte noch immer seinen geheimnisvollen Zauber auf ihn und tief im Herzen fühlte er, daß nur ein unerwartetes Ereignis ihn aus diesen Banden zu befreien vermöchte, wie einst die Hand des Blutbruders ihn vom Lager der Sirene zu Skadar gerissen.

Sie zog ihn nieder zu sich auf die weichen Kissen und Teppiche, und umstrickte ihn mit ihren Armen. Unter den glühenden Küssen des Türkenmädchens war sein Herz doch bei den Fahnen seiner Glaubensbrüder auf den Höhen von Janina, von denen ihm so lange nur dunkle Kunde geworden.

Die Liebenden weckte am späten Nachmittag der Eintritt der stummen Sklavin Aejischa, die, den Teppich des Einganges hebend, durch Zeichen der Herrin verkündete, daß der Pascha, ihr Vater, im Haremlik erschienen sei und sie zu sprechen verlange. In Eile wurde der junge Grieche wieder in Mantel und Schleier gehüllt und nahm seinen Sitz im Winkel des Divans, die Kugeln des Rosenkranzes durch seine Finger gleiten lassend, während Fatinitza die Spuren des schwelgerischen Mahles schnell verbarg.

Selim-Bey, der Pascha von Skadar, dem wir bereits in seiner Gerichtshalle begegnet sind, nahm nach der Begrüßung der Frauen in der Ecke des Divans Platz, und auf den Wink Fatinitzas brachten ihm die eintretenden Sklaven den Tschibuk und frischen Kaffee.

»Ich komme, Tochter meiner Liebe,« sagte der greise Pascha, »um Dir zwei Dinge zu sagen. Möge Dein Ohr und Dein Herz geöffnet sein, sie zu vernehmen.«

»Ich höre.«

Grivas erhob sich, um Vater und Tochter allein zu lassen; der Bey aber winkte ihm zu bleiben:

»Der Rat einer weisen Frau ist niemals vom Übel. Möge Deine Weisheit Einfluß haben auf das Herz Deiner Freundin. Ich bitte Dich, bleib.«

So aufgefordert, mußte der Grieche gehorchen und nahm stillschweigend seinen Platz wieder ein.

»Du bist die einzige, die mir geblieben, von vielen Kindern,« sagte der Bey, »und meine Liebe hat mich verführt, Deinem Willen keine Schranken zu setzen. Inshallah – es war gottlos, und ich bin gestraft dafür, da ich meinen Nacken beugen muß unter dem Pantoffel meiner Tochter.«

»Du redest unklug, Vater,« entgegnete das Mädchen unwillig, »Fatinitza liebt Dich!«

»Ich weiß es,« sagte der Alte, sich den Bart streichend, »was wäre ich sonst! Aber die Weiber können nicht im Haremlik des Vaters bleiben. Sie sind bestimmt zur Freude des Mannes. Du hast der Bewerber so viele ausgeschlagen, o Kind, daß meine Haare grau geworden vor Alter und Sorge.«

»Was kann ich tun?« antwortete die trotzige Tochter, »Fatinitza mag nicht die Hündin eines Mannes sein, den sie nicht liebt. Sie ist das Kind der freien Berge.«

»Bana Bak, ai gusum – er ist ein schöner Mann!«

»Wer – von welchem Manne redest Du, daß er es wagt, seine Augen zu mir zu erheben?«

»Mashallah! es ist Zeit, daß Du einen Mann wählst, denn Du läufst seit Jahren umher, wie eine wilde Ghegin, den Geboten des Korans zum Trotz. Der Emir Abdallah ben Zarujah ist ein Fürst im Lande Hedjas, er hat Dich in sein Herz geschlossen und begehrt Dich zum Weibe.«

Die gehorsame Tochter spreizte verächtlich alle zehn Finger aus. –

»Kommst Du nur hierher, Bey, um Deinem Kinde ins Gesicht zu lachen? Er ist nichts, er ist ein wilder Araber, ein verachteter Sohn Ismaels!«

»Du hast so viel bessere Heiraten verweigert,« sagte unwillig der Alte, »daß Du froh sein magst, wenn ein Tapferer Dich begehrt. Der junge Mann gefällt mir, wenn er auch ein Araber ist. Ich höre, er ist reich in seinem Lande und hat Schlösser im Lande Yemen. Du weißt, ich bin alt, und das Leben in diesen rauhen Bergen gefällt mir nicht mehr. Ich will meine Fahrt nach Mekka machen, zur heiligen Kaba, bevor ich sterbe, und ich werde Dich begleiten, wenn der Sultan, unser Herr, diese Ungläubigen in den Staub getreten und den Krieg beendet hat.«

»Hai! hai! ich will dies Land nicht verlassen.«

»Der Emir ist tapfer; ich habe Freunde in Stambul und bin reich,« schmeichelte der Bey; »wenn Du ihm nicht folgen willst, und es sei fern von mir, Dich zu zwingen, so wird es mir mit Allahs Hilfe leicht sein, ihn zu meinem Kaimakam (Stellvertreter des Paschas) und Nachfolger im Paschalik von Skadar oder Janina machen zu lassen, da Abdi, mein Freund, nach Rumelien geht, wenn die aufrührerischen Griechen gezüchtigt sind.«

»Wallah – was sind das für Träume? Bin ich eine Kuh, die man verhandelt auf den ersten Blick? Meint der Emir, die Frauen von Albanien seien wie die Mohrinnen der Wüste, die man auf dem ersten besten Markt kauft; oder denkt er, ich sei eine öffentliche Tänzerin, weil ich mein Gesicht nicht unter dickem Schleier zeige?«

»Delhi, der! die Weiber sind toll! es ist Unsinn, was Du sprichst, – ich will meinen Willen haben, oder ich sperre Dich ein.«

Die wilde Schöne lachte hell auf bei der Drohung, deren Wert sie vollkommen durch die Gewohnheit kannte.

»War meine Mutter eine Mirditin oder nicht? stamme ich vom Blute des großen Begs von Ak-Serai – oder bin ich eine verachtete Japidin, daß Du so zu mir sprichst? Geh – Du hast graue Haare und redest Torheit. Fatinitza wird sich eher von den schwarzen Felsen in die Wellen des Meeres stürzen oder zu dem Volke ihrer Mutter zurückgehen und eine Kreuzträgerin werden, ehe sie einen Mann heiratet, den sie nicht selbst gewählt hat.«

Der gläubige Moslem strich sich den Bart, zornig über die jeder anderen Frau den sicheren Tod bringende Drohung, aber er wagte, so tapfer und streng er im Felde oder unter seinen Tschokodars und Arnauten auch war, nichts zu erwidern, und ließ diesen Punkt des Gespräches fallen.

»Wir werden diese Nacht gegen die Feinde ziehen und sie schlagen,« sagte der Pascha. »Abdi wendet sich gegen Rapsista und das Kloster, wo der Grieche Caraiskakis steht. Mir und dem Emir hat der Prophet einen wichtigen Fang in die Hand gegeben. Ein griechischer Imam und der Primat eines Dorfes haben uns Kunde gebracht, wo der Aga der Griechen mit wenigen seiner Gefährten die Nacht zubringen wird. Die Feinde des Islam sind unter unseren Sohlen.«

»Wie heißt der Aga der Christen?«

»Ich habe es vergessen; aber er ist der blutige Feind der Moslems – Fluch über die Gräber seiner Väter; ich werde sein Haupt nach Stambul senden, wie ich mit dem Kopf des einäugigen Begs der Czernagorzen getan, und die Roßschweife sind mir sicher. Wirst Du mich begleiten, Tochter des Propheten, um die Niederlage der Feinde unseres Glaubens zu schauen?«

Eine heftige Bewegung der Verhüllten auf dem Divan machte Fatinitza erbeben.

»Die heilige Frau, die die Stimme der Engel Allah's hört,« sagte die Verhüllte, »hat mich belehrt, daß die Weiber dem Kampfe der Männer fern bleiben sollen. Ich werde für Euern Sieg beten.«

»Gesegnet sei der Rat dieses Weibes!« rief erfreut der Pascha; »sie redet weise wie Lokman, obschon sie nie zu uns Männern spricht. Die Frau gehört in das Haus und der Mann in die Schlacht; Dein wilder Sinn, Kind, hat mir oft bittern Gram gemacht. Nimm diesen Ring zum Dank für Deine Lehre, Frau, und mögen die Perlen Deiner Worte noch lange fallen in das Ohr dieses Kindes.«

Der alte Krieger warf der Fremden ein Juwel zu, das sie achtlos zur Erde fallen ließ, küßte das Mädchen auf die Stirn und verließ das Gemach.

Kaum war der Vorhang hinter ihm gefallen und sein Schritt verhallt, so riß der Grieche den Schleier vom Haupt und sprang auf die Geliebte zu.

»Laß uns dabei sein, Fatinitza, ich kann hier nicht still verweilen, indeß die Söhne meines Landes geopfert werden.«

»Unmöglich! Was kümmern mich die Kinder Deines Landes? – sie sind Christen, Fluch über sie! Du allein sollst leben für Fatinitza.«

»Höre mich, Weib: unter jenen Kriegern sind meine Blutsverwandten, vielleicht gelingt es uns, sie zu retten und – bei der Göttin der Liebe, der meine Vorfahren Altäre bauten – ich will Dir ewig dafür danken!«

»Die Verwandten Deines Blutes? Betrügt Fatinitza nicht den eigenen Vater um Deinetwillen? Setzt sie sich nicht täglich hundert Male dem Tode aus, für den Fall der Entdeckung, daß ein Christ, ein Feind, ihr Haremlik entweiht hat und ihr Lager teilt?«

»Ich weiß es, ich fühle es, und dennoch beschwöre ich Dich! Die Ungewißheit würde mich töten, ich verlange nichts, als die Deinen zu begleiten; vielleicht findet sich eine Gelegenheit, wo Deine Hilfe, Deine Fürsprache meinen Freunden nützen kann.«

Die seinem Volke eigentümliche Verstecktheit und Hinterlist ließ ihn fast unbewußt die Worte wägen, – sein Herz sann bereits auf mehr.

Das Türkenmädchen schaute ihn fest und prüfend an.

»Ich will Dein Verlangen erfüllen,« sagte sie endlich, »aber bei der lodernden Glut, die für Dich durch meine Adern strömt, täusche mich nicht zum zweiten Male, denn Fatinitzas Liebe würde zum blutigen Haß werden. Ich will mit Dir gehen zur Kampfstätte, doch nur unter der Bedingung, daß wir beide dem Kampfe fern bleiben. Möge die Schlacht walten und ihre Opfer nehmen, Allah entscheide! Fallen die Freunde Deines Blutes lebendig in die Hände der Meinen, so wird Fatinitza sie schützen. Ich gehe zu meinem Vater!«

Sie hüllte sich in den leichten Schleier und verließ das Gemach. Kaum hatte sie sich entfernt, so ergriff der Grieche den seinen und sein Haupt darin verbergend, folgte er ihr. Die Angst, die unbestimmte Hoffnung, irgend etwas für die gefährdeten Kämpfer des Kreuzes tun zu können, litt ihn nicht in dem engen Gemach und trieb ihn hinaus auf die Terrasse, von der im Strahl der sinkenden Sonne der Blick über die Stadt und die umliegenden Höhen schweifte.

An der Mauer des mit Blumen geschmückten Vorsprungs lehnte der neue Oglan der Paschatochter, der Knabe, den ihr Hund am Vormittag zu Boden geworfen und der mit diesem jetzt kameradschaftlich spielte. Der Befehl Fatinitzas hatte ihn bereits mit einem neuen Gewande versehen.

Der Grieche trat, ohne darauf zu achten, daß der Knabe ihn aufmerksam betrachtete, hastig zu der Balustrade und schaute hinüber zu den Bergen, auf denen die Schar seiner Freunde lagerte.

»Möge die Panagia sie retten, ich vermag es nicht!« sagte er unwillkürlich in griechischer Sprache vor sich hin.

Einen Augenblick darauf trafen Laute in derselben Sprache sein Ohr. Es war ein leiser Gesang, den der Knabe, ohne jetzt aufzublicken, vor sich hin summte. Dennoch war jedes Wort verständlich und Grivas hörte mit Staunen seinen eigenen Namen darin. Es war eine wilde Erzählung seines Kampfes in Montenegro, so weit Bogdan sie hatte geben können, in Form einer Piesme.

»Wer bist Du, Knabe,« fragte der junge Mann hastig, »bist Du von griechischen Eltern oder aus den Bergen Czernagoras?«

Der Knabe schaute ihn schlau an.

»Man fragt keinen, ohne selbst Antwort zu geben, sagt das Sprichwort. Gefällt Dir mein Lied?«

»Sprich, wer lehrte es Dich?«

»Ich hörte die Erzählung von Bogdan, einem Knaben der Hochlande, der bereits ein Krieger ist. Man nennt Dich die weise Frau, – kannst Du mir bessere Kunde geben von dem Tode dessen, von dem ich sang? Ich höre gern Geschichten.«

»Knabe,« sagte hastig und tiefbewegt der Grieche, »Du verstellst Dich und bist ein anderer als Du scheinen willst. Bei den Gräbern Deiner Väter, bei dem Kreuz, wenn Du ein Christ bist, – rede die Wahrheit. Was suchst Du im Lager der Türken?«

Mauro blickte hastig um sich, – sie waren allein auf der Terrasse.

»Nicolas Grivas, den Bruder des Gregor Caraiskakis und den Neffen des tapferen Generals der Krieger des Kreuzes.«

Die leidenschaftliche Erregung erstickte fast das Wort in der Brust des Griechen.

»Ist mein Bruder Gregor im Lager der Griechen? Knabe, rasch, ich selbst bin Nicolas Grivas.«

»Dann hat meine Ahnung mich nicht getäuscht,« sagte der Bursche, »die die Heiligen mir zugeflüstert bei den seltsamen Erzählungen der Arnauten von der mirditischen Zauberin, die seit der Tötung ihres Wolfes die unzertrennliche Gefährtin der Herrin von Skadar geworden. Sie meinen, der böse Dämon habe nur seine Gestalt gewechselt.«

»Rasch, rasch, was kümmert mich das Geschwätz der Toren. Sage mir schnell Deine Botschaft.«

»Bogdan, der Czernagorze, ist gestern ins Lager gekommen und hat von Deinem seltsamen Verschwinden erzählt. Das weckte die Hoffnung Deines Bruders, Herr daß Du in Skadar gefangen gehalten würdest, und ich ward auf Kundschaft ausgesandt.«

»Ist Gregor – dessen Namen Du nanntest, im Lager der Griechen?«

»Mein Herr ist in Varna – ich bin ein smyrniotischer Knabe und als Bote von ihm zu den Hellenen gesandt. Auf jenem Berge dort, in dem Kloster der armen Heiligen, weilt Anastasius Caraiskakis, Dein zweiter Bruder, der mir den Auftrag gab.«

»Ich weiß es; hast Du von meinem Oheim Grivas gehört?«

»Er zog gestern mit wenigen Leuten nach Dervendzista. Dein Bruder begleitete ihn und sollte heut zurückkehren.«

»Allmächtiger Gott, dann ist Grivas, die Hoffnung des Kreuzes, der Mann, den der verräterische Papa in die Hände der Türken liefern will. Wieviel Krieger stehen bei meinem Bruder?«

»Dreihundert. Die Hauptmacht des Generals lagert an der Arta gegen Fuad-Pascha, der mit 9000 Mann in Prevesa steht. General Tzavellas liegt in Suli, aber es ist Feindschaft zwischen ihm und Deinem Oheim.«

»Fluch über diese Uneinigkeit, sie wird alles verderben. Jetzt begreife ich den Plan der Türken, sie wollen sich zwischen die Abteilungen drängen und sie einzeln vernichten. Wer befiehlt im Lager an der Arta an Stelle meines Oheims?«

»Der Oberst Startos.«

»Mein Bruder muß benachrichtigt, Grivas muß gerettet werden. Ein Engel hat es mir eingegeben, auf meiner Teilnahme am Zuge zu bestehen. Knabe, ist es Dir möglich, die Stadt zu verlassen?«

»Ich hoffe es.«

»Es gilt die Rettung Deiner Glaubensbrüder. Suche das Kloster zu erreichen und sage meinem Bruder, im Dunkel der Nacht rücken Abdi-Pascha und der Pascha von Skadar aus, der erste auf Rapsista zu, der andere, ihnen den Weg ins Gebirge zu sperren und Grivas zu vernichten, der sich unvorsichtig vorgewagt hat. Wenn es möglich ist, soll er den General retten und Stratos benachrichtigen von der Gefahr. Lebe wohl, Knabe! Die Panagia schütze Dich!«

Er hüllte sich in den Yaschmak und eilte über die Terrasse zurück, auf der Aejischa, die Mohrin, ihn bereits zu suchen schien. – –

Die Paschas warteten das Dunkel ab, um mit ihren Truppen die Festung zu verlassen. Diese bestanden aus 2500 Mann Nizam und Arnauten, 150 arabischen Reitern und 4 Kanonen. Ein Bote war bereits am Nachmittag nach der Küste abgegangen, um Fuad-Effendi von dem beabsichtigten Ausfall in Kenntnis zu setzen und sein Vordringen zwischen die Stellung der beiden griechischen Generale anzuraten. Abdi-Pascha mit den Nizam und zwei Geschützen wandte sich gegen die Arta und die Stellung des Hauptkorps, Selim-Bei mit den Reitern und zwei Kanonen in das Tal zwischen dem Kloster und dem Fuß des Mitzikeli, so den Posten bei dem erstern zwischen zwei Feuer bringend und den verwegenen Führer der Griechen gänzlich von den Seinen abschneidend.

Dem Unwillen ihres Vaters trotzend und unter dem Vorwand, daß sie sich nicht von ihm trennen wolle, begleitete die Amazone von Skadar den Zug, an ihrer Seite die Verhüllte, vor der die von Aberglauben erfüllten Krieger scheu zur Seite wichen. Der verräterische Primat machte den Führer und ritt an der Spitze der Abteilung, von Abdallah, dem arabischen Emir, bewacht. So gelangte der aus etwa 600 Kriegern bestehende Zug im Schatten der Nacht bis auf die Entfernung von etwa 2000 Schritt in die Nähe seines Ziels und machte hier, von einer Schlucht gedeckt, Halt. Nach dem Rat des Verräters sollte der Überfall in der Morgendämmerung erfolgen.


Wo die Quellen der Arta zwischen dem Tzumeria-Gebirge, dem Mitzikeli und den Höhen des Pindus entspringen, in einer der an Romantik und Lieblichkeit reichsten Gegenden der Welt, erhebt sich auf einem kühn vorspringenden, von drei Seiten fast unzugänglichen Felsen die Palanka oder die Kula von Protopapas. Auch der Abhang der vierten Seite ist durch Erdspalten zerklüftet, so daß nur ein schmaler Weg für Fußgänger und Reiter offen bleibt, an dessen Seite jäh der Felsenabhang hinabfällt. Zitronen- und Oleanderbäume zieren die Höhen, wilder Wein rankt an den Stämmen empor, und Büsche von Rosen, von denen das unfern gelegene Rhodostopos seinen Namen hat, füllen die Lüfte schon im Frühling mit Wohlgeruch, während die Hänge und Gründe vom dunklen Grün der Olive gefüllt sind.

Dies war die Stelle, wo Grivas mit seinen sieben Mainoten den russischen Agenten von Metzowo erwartete.

Der Ort war noch unter Ali-Pascha eine kleine Veste mit geringer Besatzung, seitdem aber gänzlich verlassen und nur von den Kolbans, den Hirten des Gebirges, benutzt. Ein eingesunkener Wall umgab im engen Kreis einen viereckigen starken Turm, von massiven Quadern zwei Stockwerke hoch aufgeführt, dessen Mauern und Zinnen Zeit und Verödung nur wenig zu schaden vermocht hatten. Durch ganz Epirus und an der Küste entlang, selbst in den acroceraunischen Gebirgen finden sich noch, zum Teil öd und verlassen, zum Teil als abgeschlossene Posten der Khawassen dienend, viele solcher festen Türme, gleich den Trümmern der alten Feudalburgen in Mitteleuropa.

Die Namen der sieben Gefährten des General Grivas im Turm von Protopapas sind dem Andenken erhalten: Hassan Stavro, Demetrios, Andunah Vati, Constantin Commodouro, Panayotti, Zanetachi, Andreas Zanet und Georg Mauromichalis, der Namensvetter und Neffe des Klephten, der 1831 den Präsidenten Capodistrias erschoß, – alle Sieben Söhne der Maina – Wölfe des Taygetos.

Nicht mit Unrecht führen die Bewohner von Bassa-Maina, des alten Gebiets von Sparta, den letztern Namen. Rauh und hart wie das Felsgestein des Taygetos, scheint ihr Sinn allen milderen Freuden des Lebens unzugänglich. Das Land, dessen Schoß keine Quelle entrinnt, zeugt Kinder, die an Wildheit, aber auch an Kühnheit und Tapferkeit alle Stämme der Erde übertreffen. Raub und Mord ist ihr Gewerbe, der Haß und die Blutrache erben unter Geschlechtern grimmiger, unversöhnlicher, als selbst auf den schwarzen Felsen Czernagoras und den Bergen Corsikas, und wenn ein Mann eines natürlichen Todes stirbt, so beklagen sie ihn, weil er nicht erschlagen wurde und daher keiner Rache bedarf.

Sie waren Räuber zur See und zu Land, unbezwungen und ungebändigt, in wildem Kampf unter einander, seit sie nicht täglich mehr mit ihren Feinden, den Türken kämpfen konnten, und noch in den vierziger Jahren war jedes Haus der Maina eine Veste und jeder Zugang durch eine Schießscharte beherrscht, die man so genau bewachte, daß nachts nicht einmal Licht gebrannt wurde, um dem Feinde nicht die an den Öffnungen vorbeigehenden Gestalten als Ziel zu verraten. Das ganze Gebiet war ein Land von Türmen. Die unteren Stockwerke wurden als Ställe benutzt, während nach den oberen Gemächern eine so niedrige Tür führte, daß man nur gebückt eintreten konnte.

Nur die Weiber gingen zum Arbeiten aus, die Greise und Knaben blieben zu Hause auf der Wacht und es gibt Fälle, daß Männer in zwanzig Jahren nicht die Schwelle ihres Turmes überschritten hatten, um nicht der Blutrache zu verfallen. Die baierischen Truppen, die im Jahre 1834 auf Befehl der Regierung in Athen diese Vesten zerstören sollten, wurden von den Mainoten zurückgeschlagen, und alle Anstrengungen der Regierung scheiterten an dem Trotz der wilden Klephten; ihre Türme blieben unzerstört.

Erst in der letztern Hälfte der vierziger Jahre hat die Zivilisation einigermaßen Wurzel in dem wilden Lande geschlagen. Noch im Juni 1483 schrieb ein griechischer Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung: »Die Blutrache wird soweit ausgedehnt, daß sie von einem sterbenden Vater testamentarisch den Kindern vermacht wird. Die Erben überblicken mit eben solcher Begier die Anzahl der aufgeführten Morde, die zu rächen sind, wie das übrige Eigentum, und haben sie durch Blutvergießen die Anweisungen des Testaments vollkommen erfüllt, so begießen sie das Grab des Vaters mit Wasser, zum Zeichen, daß jetzt seine Leidenschaft abgekühlt sein könne.

Die wilden Söhne des Taygetos gehorchten dem Sohne des Pindus. Grivas, der mit den Mainoten 1827 die Akropolis von Korinth erstürmt, konnte sicher bauen auf die Treue und den Mut dieser Krieger.

In ihre Abas gehüllt, lagen die Tapferen um das verglimmende Feuer im Innern der Kula; denn die Nächte des Orients sind oft kalt und schneidend, während am Mittag heiß der Sonnenstrahl brennt.

Commodouro und Demetrios hatten die Wache auf dem Turm und dem Wall, bis die Sonne sich erhoben über die schneeigen Gipfel des Pindus und Dodonas heilige Eichenhaine.

Aus den Schluchten und Tälern ballten in formlosen Massen die Morgennebel empor, als ahnten und fürchteten sie den nahenden Strahl der Sonne. Auf den Wolken über dem See von Janina malten sich die purpurnen und violetten Strahlen des noch hinter den Bergen verborgenen Tagesgestirns.

Da dröhnte es von Westen her in langsam auf einander folgenden Schlägen – ferne Kanonenschüsse.

Die Hand der Wache legte sich auf die Schulter des Führers – im Augenblick war der General empor und gleich darauf auf der Plattform des Turmes, um ihn sammelten sich die Mainoten. Es war die höchste Zeit – ein seltsames, abenteuerliches Schauspiel entwickelte sich phantastisch aus den ballenden Nebeln am Fuße der Höhe, auf welcher der Turm steht: – gleich Gespenstern, die der Hahnenruf des Morgens von ihren nächtlichen Wegen auf und davon jagt, stürmten durch die Schatten des Tales drei Reiter – voran auf windschnellem arabischen Roß eine Frauengestalt in fliegenden, grünen Gewändern – hinter ihr drein ein alter Moslem, den Säbel in der Faust, offenbar bemüht, der Fliehenden den Weg abzugewinnen und zuerst am Eingang des schmalen Felsensteiges anzukommen, der den Weg zum Plateau der Palanka bildete; den beiden in der Entfernung von 60 bis 100 Schritt folgend, eine zweite türkische Frau in prächtigen Gewändern, den goldglänzenden Panzer der Tosken um Brust und Schultern, den hohen Reiherbusch über dem Turban. Und hinter ihnen drein in der Ferne, aus dem Nebel und Dunkel hoben sich im Morgengrauen Lanzenspitzen, blitzten Bajonette und wogte es heran in dunklen Massen.

»Zu den Waffen, Kameraden, die Moslems sind vor der Palanka!« und an den Eingang des Walls stürzten Grivas und seine Mainoten.


Kaum eine Viertelstunde Weges von der kleinen Veste entfernt, hatten, wie gesagt, die Türken Halt gemacht, und der Bey sandte von hier aus seine Späher, die bald mit der Nachricht zurückkehrten, daß die Griechen zwar Wachen ausgestellt hätten, sonst aber keine Ahnung von der Gefahr und Nähe des Feindes zu haben schienen.

Es wurde nun beschlossen, daß die Kula durch Tirailleurs überrascht werden sollte, die sich im Schatten der Klüftungen auf das Plateau schleichen und plötzlich auf das Zeichen eines Schusses eindringen sollten, während die Hauptmacht ihnen langsam folgte. Der Emir Abdallah mit seinen Arabern erbot sich, den Versuch zu machen. Er stieg von seiner Stute, deren Zügel er um den Schaft seiner in den Boden befestigten Lanze schlang, und seinem Beispiel folgten sofort alle seine Leute. Dann untersuchte der Emir sein langes Luntengewehr, erteilte den Arabern einige Befehle und verschwand mit ihnen nach verschiedenen Seiten in den Nebel, in dem ihre weißen und grauen Gewänder verschwammen.

Der Bey mit Fatinitza und dem verkleideten Griechen waren jetzt die einzigen Reiter, die in der Nähe hielten, und er hieß sie ihnen folgen, um von einem näher liegenden Hügel den Erfolg des Überfalls zu beobachten, und dort während des Gefechts, außerhalb jeder Gefahr, zu verweilen. Im Gespräch mit ihrem Vater bemerkte das Türkenmädchen anfangs nicht, daß ihre Begleiterin zurückblieb, bis der Vorsprung des Felshügels sie verdeckte.

Plötzlich verkündete ein Schrei der Überraschung ein ungewöhnliches Ereignis. – –

In der Brust des jungen Griechen hatte ein wilder Sturm getobt – Qual und Angst um die Blutsfreunde, und Liebe und Dankbarkeit zu dem wilden Türkenmädchen. Dennoch war er von Anfang an entschlossen gewesen, jede sich bietende günstige Gelegenheit zu ergreifen, um seinen Oheim und dessen Gefährten zu retten. Der drängende Augenblick war jetzt gekommen, denn er fühlte, daß, wenn die ahnungslosen Griechen nicht gewarnt würden, der Überfall der Araber gelingen müsse.

Er wußte aus den Erzählungen des Emirs an Fatinitza, daß das Roß desselben eine Stute aus jenem berühmten Geschlecht der Nedji war, einer durch ganz Arabien wegen seiner Schnelligkeit und Muskelkraft berühmten Rasse, und als daher der Emir den Sattel verlassen und die Pferde fast unbewacht zurückgelassen wurden, war sein Entschluß rasch gefaßt. Er drängte, zurückbleibend, sein Maultier an die Seite der Stute und den Augenblick entschlossen ergreifend, wechselte er den Steigbügel und sprang in den Sattel des arabischen Pferdes, zugleich die Lanze aus dem Boden reißend und die scharfen als Sporen dienenden Spitzen der Bügel in seine Flanken pressend.

Wie ein Pfeil schoß die Stute vorwärts, und im nächsten Augenblick an Fatinitza, dem Pascha und den ihnen zum Hügel gefolgten Kriegern vorüber.

Im ersten Moment fesselte Überraschung und Verwirrung jede Lippe, da außer Fatinitza keiner die Bedeutung der seltsamen Handlung zu enträtseln vermochte, bis der Ruf der Türkin: »Verräterischer Christ! Allah verderbe Dich!« und ihr wütendes Anspornen des Rosses plötzlich das Staunen löste. Ein unterdrückter Wutschrei brach von den Lippen aller; dann folgte der ganze Haufe der wilden Jagd.

Diese ging mit Windesschnelle durch den Talgrund, auf dessen anderer Seite das Felsenplateau der Palanka sich erhob. Da der Pascha und seine Tochter die einzigen Berittenen in der Gruppe gewesen, unternahmen diese auch allein mit einiger Aussicht die verzweifelte Verfolgung. Das Pferd des Paschas war ein Tier von edlem Berber-Blut, das nur wenig dem schnellen Roß des Flüchtlings nachstand, und der greise Moslem sprengte, sobald er sein erstes Erstaunen überwunden, wütend hinter dem Griechen drein, denn der Ruf seines einzigen Kindes hatte ihm im Augenblick gezeigt, wie grausam er betrogen worden.

Die ganze Hoffnung des jungen Mannes lag darin, daß er zuerst den Felskamm erreichte, der den einzigen Weg zum Plateau der Palanka bildete, und die Augen auf die Veste geheftet, jagte er durch das Tal. Doch hatte er, um der Gruppe am Hügel zu entgehen, schon beim Fortstürmen die gerade Richtung verlassen müssen und wurde auch auf dem weiten Ritt, wenn auch nur für Augenblicke, aufgehalten. Zwei Mal trat ihm aus dem Nebel die weiße Gestalt eines arabischen Kriegers entgegen und versuchte sich ihm in den Weg zu werfen. Aber die Lanze des Emirs warf den einen, der Sprung des Pferdes den andern zu Boden, und keiner wagte es, auf das wohlbekannte Roß seines Häuptlings zu feuern.

So gelang es dem Griechen, fast gleichzeitig mit dem Bey, den Anfang des Felsenkammes zu erreichen, und ein Sprung des prächtigen Pferdes brachte ihn voran auf diesen. Er hatte den Schleier von seinem Haupte gerissen und schwang ihn durch die Luft. –

»Zum Kampf, Oheim Grivas, zum Kampf! die Moslems sind Euch nahe!«

»Verfluchter Christ! Schänder meines Harems! stirb!«

Eine rasende Anstrengung seines Pferdes hatte auf einer breiten Stelle den greisen Bey an die Seite des Griechen gebracht, und er lehnte sich zurück auf den Sattel, den Hieb von hinten zu führen, denn er befand sich zu seinem Unglück auf der rechten Seite des Flüchtlings. Ein Blick zeigte diesem die Gefahr, und daß nur das Verderben des einen den andern zu retten vermöge. Der Trieb der Selbsterhaltung war rascher als alle Überlegung, und mit aller Kraft seiner Hand und seiner Schenkel sein Pferd parierend, drängte er es nach dem Gegner, indem er den rechten Arm nach ihm ausstreckte, den Hieb aufzufangen.

Ein wilder Schrei drang an seine Ohren – die Stimme der Geliebten: »Schone meinen Vater!« – aber im selben Augenblicke schon stieß sein Knie an den hohen Sattel des Gegners, seine Hand faßte den erhobenen Arm – ein Stoß – und über die Seite der Felsenkante stürzten Roß und Reiter!

Im nächsten Moment flog das Araberpferd weiter und dem offenen Ausgang des Walles zu, auf dem jetzt, die Flinten schußgerecht in der Hand, die sieben Mainoten lagen. Hinter ihm drein gellte in seine Ohren der schneidende Zeterruf des Türkenmädchens, das Klagegeschrei der herbeieilenden Arnauten, und vor ihm am Eingang des Walles lag eine breite Kluft, über die eine einzige Bohle führte, welche die Mainoten liegen gelassen, da sie in der unerwartet andrängenden Gefahr noch keine Zeit gehabt, sie hinwegzuräumen. Aber sie war zu schmal, selbst im Schritt ein Pferd zu tragen; noch einmal preßte er die spitzen Bügel dem seinen in die Flanken, und mit langem Sprunge gewann es den jenseitigen Rand und stand zitternd und schaumbedeckt zwischen den wilden Gestalten der Griechen.

Nicolas Grivas sprang herab, sprachlos, Entsetzen auf dem bleichen Antlitz deutete er hin nach dem gefährlichen Wege, den er soeben zurückgelegt hatte. –

Dort jagte die Wölfin von Skadar heran, – der Schleier fliegend im Zuge der Luft, glutrot das Antlitz, rachesprühend das dunkle Auge, in der erhobenen Hand die Pistole. –

Kaum sah sie den Abhang, der sie von dem Verräter trennte, noch weniger ihn achtend in der wilden Leidenschaft, die jede ihrer Fibern spannte, – der Schuß knallte, indem das Pferd sich zum Sprunge erhob. Aber seine Kraft war diesem nicht gewachsen und die Hand der Reiterin hatte es nicht unterstützt; es erreichte kaum den jenseitigen Rand und brach zusammen über der Planke, welche über die wenn auch nicht tiefe doch gefährliche Felsspalte führte. Einen Augenblick hingen Pferd und Reiterin über dem Abgrund und dieser Augenblick genügte dem älteren Grivas, um vorzuspringen. Seine kräftige Faust erfaßte das Türkenmädchen und riß es empor; ein Fußtritt schleuderte die schwankende Brücke und das Roß auf ihr in die Tiefe.

Die Flinten der Mainoten krachten zu beiden Seiten und das »Allah Akhbar!«, der Kampfruf der Araber, erschütterte die Luft. Abdallah an der Spitze, versuchten die wilden Asiaten, an den Felsen und Steinen emporkletternd, das Plateau zu erstürmen, – aber die Kugeln der sechs wachsamen Spartaner warfen die kleine Zahl, die emporzuklimmen vermochte, tot oder verwundet von dem Felsrand zurück – kein Schuß fehlte bei dem leicht zu treffenden Ziel, und der Ruf des kühnen griechischen Führers belebte den Widerstand. Seine weitreichende Büchse schlug zugleich auf dem Felskamm in die Schar der dort Anstürmenden und trieb sie zurück.

Die Sonnenstrahlen brachen glänzend über die Berge, und die Palanka vergoldend, zeigten sie sicher den Schützen ihr Ziel.

Nach ihrer gewöhnlichen Kampfweise ließen die Asiaten nach dem ersten Sturm vom Angriff ab, sobald sie sich überzeugt, daß die Überraschung mißlungen und der Gegner zum Empfang bereit war.

Die Araber und die unterdes herbeigekommenen Arnauten zogen sich unter wildem Geschrei aus der Schußweite der Kugeln zurück. Von der Höhe des Walls sah der General noch, wie sie den Körper ihres greisen Führers aus der Schlucht davontrugen, doch vermochte er nicht zu erkennen, ob der Verunglückte noch am Leben.

Der General wußte, daß er vorerst Ruhe und Zeit haben werde, die Anstalten zur weitern Verteidigung zu treffen, und jetzt wandte sein Blick sich wieder auf seinen Neffen und seine schöne Gefangene.

Sechs Flinten der Mainoten hatten dem Angriffsgeschrei der Araber geantwortet. – Andunah Vati, der Siebente, lag, die Hand auf die rechte Seite gepreßt, an der Mauer der Kula, und durch seine Finger quoll in dicken Tropfen das rote Blut, während sein Auge finster und drohend auf das Türkenmädchen geheftet blieb. Die Kugel ihrer Pistole hatte bei dem Sprunge das Ziel ihrer Rache, den meineidigen Geliebten, gefehlt und den Mainoten niedergeworfen. Der schreckliche Vorgang und der Angriff der Araber waren aber so rasch auf einander gefolgt, daß keiner der Verteidiger Zeit gehabt, auf den Verwundeten zu achten oder sich um ihn zu kümmern.

In einiger Entfernung von ihm, auf einer der Quadern, saß Fatinitza; der Turban war ihr vom Haupte gefallen, und das dunkle, glühende Auge starrte finster und gleichgiltig durch die Öffnung des Walles auf die ferne Schar der Ihren. Sie schien den treulosen Freund nicht zu bemerken, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an dem Roß des Arabers lehnte. Ein einziges Mal während des kurzen Kampfes hatte er gewagt, ihr näher zu treten; aber ein wilder, stolzer Blick des Mädchens scheuchte ihn zurück, und stumm, mit niedergeschlagenen Augen, blieb er in seiner Stellung. So traf die stumme, lautlose Gruppe der General, der mit mehreren seiner Gefährten jetzt in das Innere der Umwallung sprang, während andere die Wache auf dem Wall behielten.

»Andunah ist verwundet, seht nach ihm,« befahl der Führer, »und jetzt, Neffe, nachdem die erste Blutarbeit getan, sei willkommen, trotz Deines seltsamen Aufzugs. Wer ist dies Weib?«

»Fatinitza, die Tochter des Paschas von Skadar, meine Lebensretterin. Laßt sie zum Dank dafür, daß es mir gelang, Euch noch im letzten Augenblick zu retten und auf die Nähe der Feinde aufmerksam zu machen, unbeleidigt zu den Ihren zurückkehren.«

»Sie ist die Mörderin meines Vetters Andunah,« sagte wild der Maino Commodouro. »Ihre Kugel traf ihn – sie muß sterben!« Er hob die Pistole gegen die Unglückliche.

Der General jedoch stellte sich vor sie. »Zurück, Mann! Andunah Vati wurde im ehrlichen Kampf erschossen, und die Türkin ist meine Gefangene. Wer es wagt, die Waffen gegen sie zu erheben, hat es mit mir zu tun. Du aber, Neffe, irrst, wenn Du glaubst, ihre Freiheit dafür in Anspruch nehmen zu können, daß Dein Ruf uns gerettet. Der Donner jener Kanonen über das Gebirge her, den Du hörst, und der uns die Schlacht unserer Brüder verkündet, hatte uns bereits in die Waffen gerufen. Dieses Mädchen, deren Namen und blutigen Ruf wir alle kennen, hat die Jungfrau vielleicht zu unserer Rettung in unsere Hand gegeben. Bindet ihre Hände und nehmt ihr ab, was sie an Waffen noch bei sich trägt.«

Zwei der Mainoten fesselten die Arme der Türkin und nahmen ihr den Dolch, der in ihrem Gürtel steckte. Ohne Widerstand ließ es das Mädchen geschehen.

»Bringt sie in den hintern Raum der Kula und fesselt ihr dort noch die Füße, damit sie keinen Versuch zur Flucht machen kann,« befahl der Führer. »Euer Leben bürgt mir für das ihre. Legt Andunah gleichfalls dahin und leistet ihm Hilfe, so gut es sich tun läßt. Wie hoch schätzest Du die Zahl unserer Feinde, Neffe?« wandte er sich an diesen, während die Mainis seinem Befehle Folge leisteten.

Nicolaus gab die Auskunft, so weit er vermochte.

»Du magst die Stelle Andunahs einnehmen,« sagte der General, »und Dich mit seinen Waffen versehen; der Kampf, den wir zu bestehen haben werden, wird ein harter sein. Und jetzt laßt uns vor allem daran gehen, den Zugang zu sperren, so gut es uns möglich ist, denn, verlaßt Euch darauf, wir werden bald von ihnen hören.«

Sie begannen alsbald, Steine und Trümmer vor dem Zugang des Walles aufzuhäufen. Zwei der Mainoten bestiegen auf des Generals Geheiß das flache Dach der Kula und lagen an den Schießscharten. Die anderen vier mit dem General und dem Flüchtling, der sich der Frauengewänder, so weit es tunlich, entledigt hatte, behaupteten den Wall, häuften Steine und Holzwerk im Innern der Kula zusammen zur Verbarrikadierung des offenen schmalen Zugangs und durchspähten die Umgegend.

Das Erdgeschoß des Turmes war in zwei Teile geschieden. Im zweiten, nach dem schroffen Felsabhang zu, lagen auf Lagern von Zweigen und Blättern, wie sich die Hirten des Gebirges sie bereitet hatten, einander gegenüber Fatinitza und der verwundete Krieger, dessen Waffen und Munition der junge Grivas an sich genommen.

Der letztere hatte noch einen Versuch gemacht, sich der verratenen Geliebten zu nahen, um ihre Lage möglichst zu erleichtern und sein Tun zu rechtfertigen, die Türkin hatte ihm jedoch verächtlich und ungeduldig den Rücken gewandt und kein Wort war ihren Lippen zu entlocken. Mit zerrissenem Herzen verließ er sie endlich.

Die Sonne stand nunmehr über den Gipfeln des Pindus; ihre Strahlen hatten die Nebel vertrieben und zeigten den Bedrängten klar und deutlich die Gefahr, von der sie umgeben waren. Am Eingang des Felsengrates lagerte außer Flintenschußweite die Hauptschar der Türken, und eine Gruppe von Feigenbäumen schien ihren Mittelpunkt und das Lager ihres toten oder verwundeten Führers zu bilden, denn man konnte vom Turme aus bemerken, daß Shawls und Decken dort ausgebreitet waren. Kleine Abteilungen schlossen bereits im Grunde das Plateau auf allen Seiten ein und die Mannschaft der beiden Feldgeschütze bemühte sich eben, diese am Zugang des Felsendammes zum Wall, in der Entfernung von sieben- bis achthundert Schritt von diesem, aufzustellen, da es zum Glück für die Griechen nicht möglich befunden worden, sie auf dem Felsdamm selbst durch die Bespannung weiter vorwärts zu bringen.

Zu ihrem Staunen sahen die Mainoten jedoch einen einzelnen Reiter, den Zweig eines Olivenbaumes in der Rechten – das Zeichen des Friedens oder Waffenstillstandes – herannahen. Es war der Emir, der kühn und unbesorgt bis zur Felsspalte vorritt, die den schmalen Weg zum Felsplateau der Palanka trennte, und dort den Zweig als Zeichen über dem Kopfe schwang, daß er eine friedliche Unterredung wünsche.

Der General mit Nicolas erschien sofort auf dem Wall.

»Hunde und Söhne von Hunden,« begann der Emir die friedliche Anrede, »Ihr seht, daß Allah Euch in die Hand der Gläubigen gegeben hat, die zahlreich sind, wie der Sand am Meer, und daß kein Entrinnen für Euch ist. Bist Du Grivas, der Anführer der aufständischen Griechen?«

»Nimm Dich in acht, Freund Araber, mit Deinen Worten,« entgegnete der General in türkischer Sprache: »Meine Mainoten und ich selbst sind nicht gewillt, geduldig die Schmähungen eines Götzendieners zu ertragen. Wer bist Du und was willst Du?«

»Ich bin Abdullah ben Zarugah, das Haupt meines Stammes und der Freund des Paschas von Skadar, Selim Beys, dem die Hand eines Verräters Unglück gebracht hat. Ich rede in seinem Namen und führe seine Krieger gegen Euch zum Kampf.«

»Sage mir, Emir Abdallah, bei Deinem Haupte beschwöre ich Dich, ist der Pascha bei dem Sturz umgekommen oder glücklich der Gefahr entgangen?«

»Ich erkenne Dich an Deiner Stimme, Pferdedieb,« entgegnete der Araber, »und Fluch über Dich, denn Du hast Verrat geübt an dem, dessen Brot Du gegessen. Allah hat seine Hand über dem Pascha gehalten, er ist schwer verwundet und sein Schenkel gebrochen, aber er lebt, Euch zum Verderben.«

Ein unwillkürliches »Den Heiligen sei Dank!« entfloh den Lippen des jungen Mannes. Dann verließ er hastig den Wall und eilte in das Gefängnis Fatinitzas, um ihr die Nachricht zu verkünden.

Sie nahm sie schweigend auf, kein Laut, kein Blick des Auges verkündete ihre Gefühle.


»Weshalb kommst Du, Emir? – Ich bin Grivas, der General der freien Griechen.«

»Deine Krieger,« sagte der Araber, »werden in Janina vernichtet, Du hörst den Donner der großen Büchsen. Schaue auf die Zahl meiner Tapferen; Du siehst, daß ein Entrinnen unmöglich ist. Es ist keine Schmach für den Kühnen, der Macht zu weichen. Gib Dich gefangen mit Deinen Leuten und das Urteil des Paschas wird milde sein.«

»Bin ich ein Kind oder Weib, daß Du so mit mir redest? Wir haben Kugeln in unseren Büchsen und Blut in unseren Adern.«

»Du bist ein Tapferer, ich weiß es, und Abdallah, der mit den Rotjacken vor Aden gefochten, ehrt die Tapferen, auch wenn sie seine Feinde sind. Gib mir mein Pferd Eidunih und Fatinitza, die Tochter des Paschas, nebst dem Verräter heraus, der sie beide entführt hat und liefert Eure Waffen ab, so will der Pascha Dir und den Deinen den Abzug erlauben, wenn Ihr bei dem Koran der Christen schwören wollt, nie wieder das Licht der Welt zu bekriegen.«

»Der Mann, den Du einen Dieb nennst,« sagte der General, »ist mein Neffe und ein Krieger des Kreuzes, dessen Blut nicht für die türkischen Henker bestimmt ist. Das Weib und das Pferd kannst Du erhalten, aber nicht unsere Waffen, die wir brauchen wollen, so lange ein Moslem auf griechischer Erde steht. Überdies, was bürgt uns für die Erfüllung des freien Abzuges? wir kennen die Treue der Türken.«

»Mein Wort,« entgegnete der junge Araber stolz, »der Eid Abdallahs ben Zarugah, und die Sterne würden eher in ihrem Lauf zurückgehen, als daß ein Hauch des Eides bei seinem Barte nicht gehalten würde.«

Der griechische General lachte verächtlich.

»Du magst redlich genug sein für einen Araber, aber die Türken, Deine Brüder, sind Schurken. Wir verlassen uns auf die Jungfrau und unsere Flinten, wenn Du keine besseren Bedingungen gibst. Zieht Euch zurück nach Janina, laßt die Berge frei, und ich will Dir Dein Pferd und Weib unbeschädigt zurückgeben. Willst Du nicht, so mache, daß Du fortkommst.«

»Hund! Sohn eines Juden und einer Hündin, willst Du Abdallah in den Bart lachen?« rief der Emir wild, indem er sein Roß wandte und den schützenden Zweig hinwarf. »Dein Blut komme über Dich! Allah Akhbar – zum Kampf!«

Eine Kugel pfiff dicht an seinem Haupte vorbei, aber die Bewegung des Pferdes rettete ihn, und er jagte unverletzt davon, die Griechen sparten ihr Blei für den Kampf auf Leben und Tod, der, wie sie wußten, jetzt folgen mußte.

Die Geschütze waren jedoch zu schwach, um auf die Entfernung von energischer Wirkung zu sein und sie beunruhigten und gefährdeten kaum die Verteidiger. Die Kugeln übten gleichfalls nur geringe Zerstörung an den dicken Marmorquadern des Turmes und wühlten den ohnehin halb zerstörten Wall auf; die Einnahme der Palanka konnte nur von einem Sturm mit gewaffneter Hand erwartet werden.

Dieser ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Die Mainis sahen den jungen, kühnen Führer gleich einem Pfeil von einem der Posten zum anderen jagen, die das etwa 50 bis 60 Fuß über das Tal emporragende Plateau umgaben, und ihnen seine Befehle erteilen. Die Posten bestanden größtenteils aus seinen berittenen Arabern, und diese rückten jetzt bis auf Schußweite ihrer langen Luntenflinten heran und begannen ein scharfes Feuer auf alle Öffnungen des Turmes und auf die drei ihnen zugekehrten Seiten des Walles, während eine Abteilung des Nizam an den Seiten des Felsendammes und auf diesem selbst vorrückte.

Sobald sie auf etwa zweihundert Schritt herangekommen waren, gab der General das Zeichen zur Eröffnung des Feuers; Schuß auf Schuß aus den sicheren Flinten der Mainoten schlug in die Reihe der Stürmenden, und zwölf Tote oder schwer Verwundete deckten den Weg, ehe sie bis an die Spalte herankamen, der jetzt die verbindende Brücke fehlte. Die Untenstehenden versuchten zugleich, an der hier etwa vierfache Manneshöhe haltenden Felswand heraufzuklimmen, während ihre Gefährten vom Damm aus ein heftiges Feuer auf die kleine Schar der Verteidiger unterhielten; aber Grivas hatte drei seiner besten Schützen eilig nach dem zweiten Stockwerk der Kula gesandt, und ihre Kugeln schlugen todbringend in das Gedränge der Türken auf dem Wege oder warfen Mann um Mann zerschmettert von der mit Mühe erklommenen Felswand zurück in die Tiefe, während die beiden auf dem Dach postierten Krieger unter gleichem Erfolg mit den herandrängenden Trupps der Araber im Tale Kugeln wechselten.

Die Offiziere der Türken sahen ein, daß sie ohne andere Vorbereitungen nutzlos ihre Leute dem tödlichen Feuer der Griechen aussetzten und befahlen den Rückzug.

Über zwanzig Tote lagen bereits auf dem Kampfplatz, zahlreiche Verwundete schleppten sich zurück aus dem Gefecht.

Man sah die Offiziere des abgeschlagenen Nizam und die Buluk-Baschis der Arnauten Selims um das Lager des verwundeten Paschas sich versammeln und Kriegsrat halten. Inmitten des Phistans, der bunten Kleidung der Albanesen, und der dunkelblauen Röcke der Offiziere, wehte der weiße Burnus des Arabers, und seine heftigen Gestikulationen zeigten, mit welchem Feuer er sprach.

Sein Rat schien Beachtung gefunden zu haben und ein Beschluß gefaßt zu sein, denn während seine Boten den größten Teil der Reiter um ihn versammelten, wurden die Artilleristen und eine Anzahl Nizams an die Kanonen kommandiert, und man versuchte, eine derselben durch Menschenhände auf dem Felsendamm vorwärts und dem Eingang der Palanka näher zu bringen. Mit vieler Mühe und nach langer Arbeit gelang es, eine Kanone bis auf 300 Schritt heranzubringen. Noch in dieser Entfernung trafen die Kugeln der Griechen und namentlich die aus der Büchse des Generals oft ihr Ziel, und die Türken hielten es daher für rätlich, hier Halt zu machen.

Unterdeß hatten die um den Emir Abdallah versammelten Araber sich auf die erhaltenen Befehle hin nach allen Seiten zerstreut. Der Führer der Mainoten hatte alle diese Anstalten der Feinde eifrig und nicht ohne Besorgnis beobachtet. Der entfernte Donner des Geschützes benachrichtigte ihn, daß in der Ferne gleichfalls ein harter Kampf gegen seine Truppen geschlagen wurde, die des Führers durch seine eigene Unvorsichtigkeit beraubt waren.

Mit einem kleinen Fernrohr, das er bei sich hatte, verfolgte er die Araber, die sich in die Berge zwischen Büsche und Bäume verloren, er konnte sehen, wie sie mit ihren Yatagans leichte Zweige und Äste abhieben und zu starken Bündeln zusammen banden.

Im Augenblicke stand die Absicht der Gegner vor seinen Augen – sie machten Faschinen, um die Schlucht, die sie vom Plateau trennte, zu füllen.

Seine Augen flogen umher um ein Gegenmittel zu suchen und fanden es. Zwischen dem Wall und dem Turme lag ein ziemlich großer Vorrat von trockenen Reisern, Röhricht und Binsen aus den Sümpfen, den die Hirten hier zu ihrem Gebrauch aufgehäuft.

Während zwei der Mainoten fortwährend auf dem Turme Wache hielten, traf ihr kühner Führer seine Vorbereitungen.

Eine furchtbare, entsetzliche Szene hatte im Turm der Palanka, im Kerker des Türkenmädchens begonnen, den weder Grivas noch sein Neffe wieder betreten.

Die Feder weigert den Dienst, jene Taten niederzuschreiben, mit denen die Krieger des Kreuzes die heldenmütige Verteidigung der Palanka von Protopapas entweihten; doch der Schriftsteller hat die Pflicht, und mit Grauen über die Bestialität in der menschlichen Natur muß er Szenen schildern, wie sie zwischen Völkern vorkommen, denen seit Jahrhunderten Tyrannei und Fanatismus, Rohheit und Haß das entsetzliche zum gewöhnlichen gemacht haben.

Zu dem General kam der Mainot Konstantin Commodouro und meldete ihm, daß der Engel des Todes an das Lager seines Verwandten getreten sei, und daß dieser wünsche, von ihm Abschied zu nehmen und zum Sterben eingesegnet zu werden.

Die rauhen Krieger der Maina, deren Religion noch immer ein phantastisches Gemisch von altem Aberglauben und den Lehren der griechischen Kirche ist, während sie seit Jahrhunderten bereits mutig für das Kreuz in den Tod gehen, hängen fanatisch an ihren Priestern. Wenn der Tod sie fern von denselben ereilt hat, ist es der Kapitano, der das Recht hat, jenen zu ersetzen und ihnen die Absolution und den letzten Segen zu erteilen.

Ein sterbender Krieger verlangte ihn, und der Palikarenführer zögerte nicht, den Wunsch zu erfüllen, so lange die Waffenruhe es erlaubte. –

Ein Halblicht, durch zwei enge, hochangebrachte Schießscharten der Mauer, zu denen steinerne Stufen führten, hereinfallend, beleuchtete das ziemlich große Gemach, an dessen einer Wand halb aufgerichtet der Sterbende ruhte, während auf der anderen Seite, auf dem Lager von Binsen und Laub, das gefesselte Türkenmädchen lag, mit dem Gesicht nach dem Krieger gekehrt, dem ihre Kugel den Tod gebracht. Ein Zug hohnlächelnden Frohlockens war in ihren dämonischen Augen und um den festgeschlossenen Mund.

Der General betrat allein das Gemach und setzte sich auf einen Stein an die Seite des Verwundeten. Es war ein Kakavouniot, ein Sohn des wildesten und grausamsten Stammes der wilden und grausamen Mainoten, ein Mann, der längst über das mittlere Lebensalter hinaus war und ein Häuptling seiner Familie, der bereits mit dem General in mehreren Schlachten des ersten Befreiungskrieges gefochten.

Grivas reichte dem Getreuen die Hand und verkündete ihm die Stellung des Gefechtes und die Vorbereitungen, die der Feind und er selbst getroffen, das war sein Trost zum Tode, und die Augen des alten Klephten funkelten bei der Erzählung des Empfangs, den seine Gefährten den Türken bereiteten.

»Lebt wohl, Kapitano,« sagte er, »und mögen die Heiligen Euch beschützen und die Unterirdischen Euch helfen! Ich gehe zum Acheron und die Panagia möge mir gnädig sein. Habt Ihr Zeit, so laßt ein Grab für mich bereiten, damit die Moslems, wenn der Teufel ihnen den Sieg gibt, nicht meinen grauen Kopf nehmen. Gebt mir den Segen, Kapitano, denn mein Atem ist kurz und ich habe noch von den Kindern der hohen Maina zu scheiden.«

Der General sprach ein kurzes Gebet und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn. Dann fragte er, ob er das Türkenmädchen entfernen solle, damit ihr Anblick seine letzten Augenblicke nicht störe. Der Klephte aber machte das Zeichen der Verneinung, und noch einmal ihm die Hand reichend, schied Grivas von dem Krieger.

Die wilden Gestalten der Krieger knieten um den Gefährten Commodouro, sein leiblicher Vetter unterstützte. Der sterbende Klephte sprach in leisen Worten zu ihnen, er sprach von dem Kampf, in den sie gehen würden, und von der Tapferkeit, die er von ihnen erwartete. Dann sprach er von den Seinen in der Heimat und von Tschedas – den Blutfehden – die er seiner Familie zurückgelassen. Er gab ihnen allen die Grüße an die Heimat und seine letzten Bestimmungen, damit, wenn einer von ihnen den Türken entrinne, dieser sie den Seinen überbringe. Zuletzt sprach er von seinem Tode und von der Pflicht der Rache, die er ihnen hinterlasse.

»Ich sterbe von der Hand eines Weibes, Fluch über ihr Geschlecht! Der Tod durch Weiberhand ist kein Tod im Kampf, und das Gesetz unserer Väter verlangt, daß er gerächt werde.«

»Der General ist kein Sohn der Maina,« sagte Konstantin, »er kennt nicht das Gesetz der Blutrache. Das Weib wird sterben von meiner Hand!«

Der Verwundete winkte abwehrend mit der seinen. – »Der Kapitano hat befohlen, daß ihr Leben geschont werde. Sie ist seine Gefangene, und wir sind freie Krieger, die ihm Gehorsam geschworen. Das Weib darf nicht sterben, es würde der Tod eines Tapfern sein

»Der Deine muß dennoch gesühnt werden, Andunah Vati, oder Dein Schatten wird die Unterirdischen verlassen und Fluch bringen über die Schwelle unserer Häuser.«

»Er soll es!«

Der Sterbende warf einen Blick wilden Hasses auf das Mädchen, das bisher gleichgiltig dem schaurigen Auftritt beigewohnt. Er flüsterte, das Auge auf sie gerichtet, ein Wort.

Die Klephten nickten stumm.

» Alle – alle! Fluch und Schmach über sie!«

Sie neigten alle das Haupt.

»Ich danke Euch, Brüder. – Das Auge wird dunkel – lebt wohl, Mainis, und vergeßt Euren Schwur nicht! – Heilige Jungfrau, bitte für mich und vernichte die Moslems.«

Die sechs begannen einen Gesang zu murmeln – eintönig, mit jener plärrenden, unangenehmen Weise der Griechen die sich einzig in zwei Tönen bewegt – den Sterbegesang eines Kriegers – halb Psalm, halb Hymnus.

Die Augen des Sterbenden ruhten mit glühendem Haß auf dem Türkenmädchen, starrer und immer starrer, während seine Hände über der Brust gefaltet waren. Dann begannen seine Glieder sich zu strecken – ein unheimliches Gurgeln quoll die Kehle herauf und ein Zucken erschütterte die Glieder.

Der Wolf des Taygetos war tot.

Die Wölfin von Skadar schauderte zusammen, eine furchtbare, unbestimmte Ahnung überkam die wilde Amazone der Berge. Starr haftete ihr Blick auf der Gruppe vor ihr.

Fort und fort murmelten die Mainis den Sterbegesang.

Dann erhoben sie sich alle zusammen und schlugen das griechische Kreuz, während Konstantin Commodouro der Leiche die Lider über die großen, starren Augen drückte und sie lang auf das Blätterlager ausstreckte. Der Blutsfreund des Toten leitete die Leichenzeremonieen – dazu gehörte die Rache!

Er winkte nach der Gefangenen, die noch immer mit aufmerksamen Blicken jede seiner Bewegungen beobachtete, den Tod erwartend. Sie tat es trotzig und furchtlos – ihr Auge zeigte nur Verachtung und Haß.

Er nahm aus der Tasche seiner Jacke zwei Würfel, und alle sechs kauerten im Kreise neben dem Toten.

Sie würfelten – Commodouro begann! Sollte das Spielerglück entscheiden, wer ihr den Todesstoß gab?

Commodouro warf sechs!

Hassan Stavro – acht!

Georg Zanet – elf!

Panagotti Zanetachi – fünf!

Demetri-Bey – zwölf!

Das Los fiel auf ihn – aber seltsam – was sollte das bedeuten? – er begann seine Waffen von sich zu legen, – die Waffen, die der Klephte nie von seiner Seite läßt, außer –

Die fünf zogen ihre Yatagans und nahten sich der Tür. Ein höhnisch frecher, faunenreicher und gehässiger Blick fiel auf das türkische Mädchen und den von den Würfeln Erwählten.

Der Mainote Demetri-Bey, ein Mann von wildem Aussehen und riesigen Körperformen und in der Fülle seiner Kraft, begann ein seidenes Tuch knebelartig zusammenzudrehen.

Dann nickte er den Gefährten zu. Sie verließen schweigend die Halle – hinter ihnen fiel die Tür zu. Sie gingen, draußen am Wall mit ihren Yatagans ein Grab zu schaufeln.

Die Blicke der beiden Lebenden begegneten sich – die des Mainoten bohrten sich frech auf das blasse, aber dämonisch schöne Antlitz des Weibes und die Wellenformen ihrer gefesselten Gestalt –

Die Blicke des Weibes sprachen Haß, Verachtung, aber zugleich Entsetzen.

Die Türkin sah den Mainoten auf sich zukommen, seine Linke hielt den Knebel! Schritt um Schritt – jetzt war er an ihrer Seite!

Ihre Hände rangen sich wund, die ledernen Bande zu sprengen.

Noch kam kein Laut von ihren Lippen.

Dann – – –


Das Bombardement der Zivilisation.

Es war am Nachmittag des 21. April, am Charfreitag des russischen Osterfestes, als auf der schönen Straße von Kiew nach Odessa eine der gewöhnlichen russischen Kurier-Kibitken mit dem Dreigespann, der Troika, eilig daher rollte. Der Insitzende, ein Mann in Zivil, zwischen vierzig und fünfzig, durch das Entgegenkommen zahlreicher Estafetten und Ordonnanzen während des ganzen Tages aufmerksam gemacht, hatte bereits auf der vorletzten Station die sich mit Blitzesschnelle verbreitende Nachricht erhalten, daß das vereinigte französisch-englische Geschwader unter Vize-Admiral Hamelin und Admiral Dundas am Tage vorher auf der Höhe der berühmten Handelsstadt erschienen sei, und daß man jeden Augenblick ein Bombardement erwartete. Zahlreiche Militär-Kommandos, die in Eilmärschen, durch Depeschen requiriert, auf Odessa zu rückten, hatten während des Vormittags die Straße gesperrt, und nur der Umstand, daß der Reisende, dessen Aussehen zwar den Militär verriet, der aber nur wenig russisch sprach, einen vom Kriegsminister selbst unterzeichneten Kurier-Paß und Befehl zur Pferdestellung besaß, und daß er auf der vorletzten Station einem der abgesandten Ordonnanz-Offiziere des General-Adjutanten Baron von Osten-Sacken, der in Odessa kommandierte, höflich die Mitfahrt angeboten, hatte ihm die Mittel zur Fortsetzung der Reise verschafft. Der Offizier, vom Tschugujeff'schen Lanzier-Regiment »Graf Nikitinn«, verstand in russischer Manier die Pferde zu erzwingen und gab unterwegs seinem Begleiter, den er durch den kaiserlichen Befehl als genügend legitimiert für das russische Interesse ansah, einen Bericht über die Ereignisse der letzten Tage.

Am 8. April war die englische Dampffregatte »Fourious« auf der Reede von Odessa erschienen und hatte unter Aufhissung einer Parlamentärflagge ihren Weg in den Hafen fortgesetzt, bis die Abfeuerung von zwei blinden Schüssen von der Hafenbatterie ihr Halt gebot. Sie zeigte hierauf die englische Flagge und hielt sich außerhalb der Schußweite, ohne jedoch Anker zu werfen, indem sie ein Boot mit weißer Fahne nach dem Molo absandte. Dies wurde von dem diensthabenden russischen Offizier empfangen, dem der Parlamentär, Leutnant Alexander, erklärte, daß er den englischen Konsul sprechen wolle. Der Russe erwiderte, daß – da die Kriegserklärung bereits am 22. März erfolgt sei – beide Konsuln schon vor drei Tagen Odessa verlassen hätten. Verschiedene andere Fragen nach der Anwesenheit englischer und französischer Untertanen und Schiffe, mit denen der Parlamentär offenbar Zeit zu gewinnen suchte, wurden mit der endlich determinierten Erklärung abgeschnitten, daß man jede weitere Auskunft verweigern müsse und das Boot sofort zu seinem Schiffe zurückzukehren habe.

Dies geschah; das Boot jedoch, statt den direkten Weg nach der »Fourious« einzuschlagen, beschrieb einen halben Bogen entlang den Hafenbatterien. Zugleich hatte der Kapitän der Fourious, William Loring, obschon die Maschine des Schiffes außer Tätigkeit war, die Nordwestbrise benutzt, um sich von dieser nach der Seite der Reede, dem inneren oder Quarantänehafen hintreiben zu lassen, und befand sich bereits innerhalb der Kanonenschußweite.

Es lag demnach absichtlich oder unabsichtlich dasselbe Manöver vor, das von der »Retribution« im Januar auf der Reede von Sebastopol versucht worden war, und der Kommandant der Batterie des Molo, dessen Befehl lautete, kein feindliches Kriegsschiff in Kanonenschußweite herankommen zu lassen, ließ daher auf die Fourious, die, vergeblich durch die blinden Schüsse gewarnt, sich zu nahe herangewagt hatte, ohne auf ihr Boot zu warten, von der Batterie Feuer geben. Es fielen sieben Schüsse, ehe die Fregatte sich außer den Bereich der Kanonen legte und fortsegelte.

Am 14. erschienen bereits die drei Dampffregatten »Retribution«, »Tiger« (englisch) und »Descartes« (französisch) vor der Reede und kündigten noch vor der Forderung einer weitern Erklärung ihre Ankunft mit mehreren scharfen Schüssen gegen die Hafenbatterien an. Auf die hiernach gestellte Anfrage, warum man auf das Parlamentärschiff geschossen, gab Baron von Osten-Sacken eine schriftliche, die Anschuldigung zurückweisende Erklärung des Vorganges, indem er zugleich in einer Proklamation die Bewohner von Odessa aufforderte, im Angesicht der Gefahr einer Blockade oder selbst einer Beschießung der Stadt ihre Habe landeinwärts in Sicherheit zu bringen. Die feindliche Schiffsdivision hatte sich unterdeß außerhalb des Bereiches der Hafenbatterie aufgestellt und fing alle nach Odessa gerichteten russischen Schiffe auf. Während der Nacht gaben sie mehrere volle Lagen auf die am Hafen befindlichen Magazine, von denen eins in Flammen aufging. Am anderen Tage ging sie mit 14 Prisen in der Richtung nach Varna zurück.

Am Freitag den 20. waren hierauf die am 17., ohne die Antwort des Gouverneurs von Sebastopol abzuwarten, von Kavarna aus unter Segel gegangenen vereinigten Geschwader auf der Reede vor Odessa erschienen und warfen etwa 3 Seemeilen östlich von der Stadt Anker. Erst hier, am 21., erhielt nach dem eigenen Bericht der Admiral Dundas das Antwortschreiben des General-Gouverneurs von Osten-Sacken durch die nachkommende »Retribution«. Bis hierher lautete der Bericht des Offiziers, den der russische Gouverneur an die in der Umgegend stationierten Truppen zur Herbeiholung von Verstärkungen abgesandt.

Zahllose Fuhrwerke mit Habseligkeiten der Einwohner und diese selbst begegneten ihnen, je näher sie der Stadt kamen. Von der niederen Höhe, auf welcher die Stadt in einiger Entfernung vom Hafen liegt, überblickten sie das Meer und die feindliche Flotte. Sie zählte 28 Segel, darunter 6 Dreidecker und 9 Dampfschiffe.

Am Eingang der Stadt und in den Straßen war das Gedränge so stark, daß der Wagen oft längere Zeit still halten mußte. Der Offizier benutzte eine solche Pause, um einen vorübergehenden, ihm bekannten Militär nach weiteren Nachrichten zu befragen. Es war ein junger Mann von etwa 24 Jahren in der Fähnrich-Uniform der Artillerie, der Arm in Arm mit einem Studenten daher kam.

»He, Schtschegolew,« rief der Offizier, »Gott grüße Dich und Herrn Poel an Deiner Seite, die Ihr wie Castor und Pollux stets beieinander zu finden seid. Komm hierher und sage mir, was seit gestern geschehen ist, daß alle diese Leute so in Aufregung sind?«

Der Fähnrich mit dem charakteristisch russischen Gesicht, der breiten gepreßten Stirn und einer, Mut und Entschlossenheit verratenden Kinnbildung, trat zu der Kibitke.

»Der Himmel erhalte Dich, Gospodin (Herr) und Euer Wohlgeboren. Wir werden morgen harte Arbeit bekommen. Die Admirale haben einen groben Brief an Seine Exzellenz geschrieben und wollen eine Entschädigung, wie sie es nennen, dafür haben, daß wir vom Molo auf ihre Fregatte geschossen. Sie verlangen nur, daß ihnen alle französischen, englischen und russischen Schiffe, die bei der »Festung« oder den Batterieen von Odessa liegen, bis Sonnenuntergang ausgeliefert werden, widrigenfalls sie Gewalt brauchen würden. K tschortu! (Zum Henker!) Als ob wir eine Festung hätten! wir wolltens ihnen alsdann zeigen.«

»Ist Artillerie eingetroffen?«

»Nur wenig. Mehr kann vor morgen nachmittag nicht hier sein, wie ich mir habe sagen lassen. Die leichte reitende Artillerie Nr. 11 mit Oberst Galitzin ist angekommen, aber wir zählen außerdem nur 48 Geschütze.«

»Das ist schlimm. Hat Seine Exzellenz schon eine Antwort gegeben?«

»Ich höre nein,« sagte der Student, »Krusenstern hatte eine derbe bereit, aber Seine Exzellenz der General-Gouverneur hält es für schicklicher, gar nichts zu erwidern.«

»Ich werde meinen Weg zu Fuß fortsetzen, denn das Gedränge hält mich zu lange auf und Oberst Baschkirzoff wartet nicht gern,« sagte der Offizier, aus der Kibitke springend. »Entschuldigen Sie mich, mein Herr, und nehmen Sie meinen Dank für die Gesellschaft. Fähnrich Schtschegolew, Du wirst mich verbinden, wenn Du diesen Herrn nach dem Hotel Imperial weisest, wo er absteigen will. Sie kommen zu einer üblen Zeit nach Odessa! Adieu!« Damit verschwand er eilig in der Menge, der Fähnrich aber gab dem Postillon Anweisung, weiter zu fahren, indem er mit seinem Freunde vorangehend, dem Wagen Bahn machte. So kamen sie bald bis zum Hotel, wo gleichfalls große Verwirrung herrschte und der Fremde die beiden Herren und den Postillon verabschiedete. Nur mit Mühe konnte er des Wirtes Herr werden, der ihm Zimmer anweisen ließ, und auf die Frage, ob Graf Lubomirski hier logiere, bejahend antwortete und ihn in dessen Wohnung im zweiten Stock führte.

Der Fremde traf jedoch bloß die Nichte des Grafen, die Gräfin Wanda Zerbona, zu Hause, der er sich als ein Freund ihres Oheims vorstellte. Von ihr hörte er, daß sie sich bereits seit länger als einer Woche in Odessa aufhielten, indem sie gehofft, hier noch eine Gelegenheit zur Überfahrt nach dem kaukasischen Ufer zu finden und so den Landweg zu sparen, daß aber das Bekanntwerden der Kriegserklärung der Westmächte dazwischen gekommen sei. Bogislaw, der wackere Jäger des Grafen, wurde eiligst ausgeschickt, um seinen Herrn zu suchen, der ein Fuhrwerk zu ermitteln gegangen war, mit dem sie die bedrohte Stadt verlassen könnten.

Mit Erstaunen fand der zurückkehrende alte Pole den unerwarteten Gast, aber zu sehr Herr seiner selbst, um sich in Gegenwart anderer zu verraten, nahm er ihn alsbald bei der Hand und führte ihn in ein zweites Zimmer, wo beide sich ungestört unterhalten konnten.

»Um des Himmels Willen, General, wie kommen Sie hierher in eine russische Stadt und in diesem Augenblick? Ich glaubte Sie nach den letzten Nachrichten in Konstantinopel oder mindestens an der Donau. Wo kommen Sie her?«

»Direkt von Petersburg,« sagte lächelnd der Fremde, den der Graf mit dem Namen General bezeichnet und dem der Leser bereits in verschiedenen Szenen und Unterhandlungen mit dem türkischen Exminister des Auswärtigen begegnet zu sein sich erinnern wird. »Direkt aus dem Kabinett des Kaisers Nikolaus.«

»Sie scherzen!«

»Dazu haben Leute unseres Schlages wenig Zeit. Aber in der Tat! haben Sie denn keine Nachrichten aus Paris und ist es ein Zufall, daß ich Sie noch hier treffe?«

»Seit drei Wochen fast bin ich außer Rapport und erwarte hier Mitteilungen, die wahrscheinlich durch die nötigen Umwege verspätet sind. Mein Aufenthalt war für den April in Odessa angemeldet.«

»Das wußte ich, und darum fragte ich auf gut Glück nach Ihnen. Demnach ist Ihnen der Schlag, den Louis Napoleon am 26. März gegen den Bund zu führen versucht, auch noch unbekannt?«

»Vollständig.«

Der General gab ihm eine kurze Mitteilung des Geschehenen. »Am anderen Tage bereits ging ein Boote an mich ab,« fuhr er fort, »der mir Ihr Memoire mit dem Auftrage überbrachte, sofort an geeigneter Stelle Vorschläge zu machen. Ich war zum Glück an der Donau. Der Beschluß kam mir am 3. zu, ein russischer Paß ist leicht beschafft, und am 5. war ich bereits unterwegs nach Petersburg, was ich für das beste hielt, nachdem ich mit dem Fürsten verhandelt hatte.«

»Und der Erfolg?«

»Ich hatte zwei Unterredungen mit Nesselrode und eine mit dem Kaiser selbst. Alle unsere Pläne scheitern an dem Worte ›Republik‹. Es scheint ihm so verhaßt, daß er selbst den handgreiflichen Vorteil dagegen opfert.«

»Aber haben Sie ihm denn nicht bewiesen, daß dies mit einem Schlage die Türkei in seine Hände geben, daß es all' seine Gegner und zweideutigen Freunde vernichten, und daß es Rußland allmächtig machen würde?«

»Mehr als dies; ich bewies ihm klar, daß eine magyarisch-slavische Republik der zuverlässigste Freund und Bundesgenosse Rußlands sein, und daß das Ländergebiet ihm doppelt und dreifach ersetzt werden würde, ja, daß wir von dem größten Teile Polens ganz abstrahieren wollten. Seine Antwort war: Jede Republik wäre ein Fluch für Europa und der Kaiser von Österreich sei sein Freund und Bundesgenosse. Er wolle nur sein Reich und keine Machtvergrößerung.«

Der Graf lachte bitter.

»Das ist die Einbildung, mit der sich dieser Mann von Granit selbst täuscht. Ich habe so viel gesehen und gehört hier und auf dem Wege hierher, daß ich weiß, er muß unterliegen, wenn er unsere Hilfe verschmäht. Österreich spekuliert bereits auf die Fürstentümer und Preußen wird ihn unter keinen Umständen unterstützen, denn außer der französischen, gibt es dort bereits eine gewichtigere englische Partei, zu der sich selbst viele Ultrakonservative neigen.«

»Persien,« sagte der General, »auf das die russische Intrigue sicher rechnete, hat gleichfalls alle Rüstungen wieder eingestellt. Ich weiß bestimmt, daß von England wegen Teilnahme an dem Kriege bereits mit Sardinien unterhandelt wird, um durch dessen Kontingent ein gewisses Gleichgewicht gegen Frankreich herzustellen. Ich begreife übrigens den Kaiser nicht; bei aller seiner Konsequenz und seinem Haß gegen die Revolution stützt er sich doch hauptsächlich auf eine solche der Griechen, und sein Kabinett sucht durch ganz Anatolien die Völkerschaften gegen den Halbmond aufzuregen.«

»Die religiöse Anschauung dieses Mannes beherrscht seine politische, er haßt den Islam und bildet sich in der Tat ein, einen Religionskrieg für die Befreiung der griechischen Kirche zu führen, während seine Umgebung, von Nesselrode an, sehr wohl weiß, daß der Krieg ein rein politischer ist. Ebenso täuscht er sich über die Institutionen, die er geschaffen. Er hielt sie für genügend zu dem Kriege und wußte nicht, daß er um zehn Jahre zu früh gekommen. Doch wie sind Sie mit ihm auseinander gekommen und wie hierher nach Odessa?«

»Ich habe ihm mein Ehrenwort als Soldat geben müssen, Rußland ohne weitere Verhandlungen und Schritte auf dem geradesten Wege, für mich also, da ich nicht durch Österreich und Preußen gehen konnte, über Odessa und in der kürzesten Frist zu verlassen. Er ist Soldat und wir verhandelten wie zwei sich gegenüberstehende Feldherren mit einander. Er hat ausdrücklich jede Begleitung meiner Person verboten, sich auf mein Wort verlassend, und ich bin daher durch Ehrenpflicht gebunden.«

»Haben Sie etwas von Bakunin erfahren?«

»Er ist noch in Schlüsselburg, genießt aber größere Freiheit. Ich hörte, daß sein Onkel Murawieff sich für ihn zu interessieren beginnt.«

»Er hätte uns den Weg zur Republik bahnen können; es war ein Unglück, daß er sich in das nutzlose Spiel in Dresden mengte. Was haben Sie nun nach dem Scheitern unseres Vorschlages beschlossen?«

»Es bleibt uns nichts übrig, als vorläufig an den alten Plänen festzuhalten. Es stürzt Europa wenigstens für Jahre hinaus in Verwirrung und ermattet es. Wir haben noch immer den Vorteil, die günstige Gelegenheit ergreifen zu können, und da Rußland nicht mit uns sein will, müssen wir mit allen Kräften zu seiner Niederlage beitragen. Die höchste Gewalt richtet ihr Hauptaugenmerk jetzt auf Sardinien. Ich muß um jeden Preis sofort nach Konstantinopel, um dort jeden Verdacht zu vermeiden.«

»Das wird schwer sein,« meinte der Graf, »der General-Gouverneur hat das Embargo auf alle Schiffe gelegt, und kein Boot darf den Hafen verlassen.«

»Glauben Sie an ein Bombardement?«

»Ich erwarte es, vielleicht schon morgen.«

»Ich habe zufällig den Kapitän eines Marseiller Kauffahrers, des ›Antilles‹, aufgefunden. Er gehört dem zweiten Grade an. Sein Schiff liegt im Quarantänehafen mit voller Getreideladung, aber unter Embargo und unter den russischen Kanonen.«

»Wir müssen auf jede Chance vorbereitet sein. Lassen Sie uns ihn aufsuchen.«


Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Bombardement von Odessa eine von London her befohlene Revanche für die Schlappe von Sinope war. England konnte es nicht ertragen, daß Rußland einen Seesieg erfochten haben sollte, und die englischen und französischen Journale wetteiferten mit einander, den offenen und ehrlichen Angriff auf die feindliche, in feindlichen Handlungen beschäftigte türkische Flotte für eine Handlung von Barbarei auszugeben, »wie sie in der Kriegsführung zivilisierter Nationen unerhört sei!«

Durch diese, gegenüber dem späteren Verfahren, namentlich der englischen Flotte im schwarzen Meere und der Ostsee mehr als verächtlichen Rodomontaden, suchte man sich zu einem Rächer der beleidigten Zivilisation zu stempeln, eine Phrase, die in dem orientalischen Kriege überhaupt zum Überdruß albern gebraucht worden ist, um unter dieser Firma eine Reihe von bisher in der Kriegsführung zivilisierter Nationen wirklich unerhörter Handlungen zu begehen, indem man neben einem Raub- und Plünderungssystem zur See alle irgend zugänglichen unbewaffneten und unbeschützten Orte und Vorräte nutzlos zerstörte, die Hunderttausenden hätten Nahrung geben können!

Die englischen Schiffe betrachteten es, wie gesagt, offenbar als ihre Hauptaufgabe, die russischen Handelsetablissements zu vernichten, und mit welchem Ruhm auch die Landheere Frankreichs und zum Teil auch Englands sich bedeckt haben, die Taten der Flotte bleiben schmachvoll aufgezeichnet in dem Buche der Geschichte.

Der erste Schlag sollte gegen Odessa geführt werden, die Handelskönigin des schwarzen Meeres, die Kornkammer eines großen Teils von Europa. Die Veranlassung war leicht gefunden in der mutwillig herbeigeführten Beschießung des Parlamentärschiffes, das offenbar den Auftrag des Spionierens oder des Zankapfels hatte. Daß das Bombardement bereits vor den Erörterungen mit den russischen Behörden beschlossen war, zeigen die einzelnen Taten der Operationen und die bereits am 14. und 15. vorgenommenen Probebeschießungen.

Die Korrespondenz der Vize-Admirale war daher nur eine Sache der Formalität. Die Auslieferung der Schiffe wäre eine Feigheit gewesen, deren sich kein Soldat schuldig gemacht hätte, die angemessene und der militärischen Ehre entsprechende Konsequenz der angedrohten Gewalt aber blieb das »Herausholen« der »geforderten« Schiffe.


Auf beiden Seiten wurde die Nacht mit den Vorbereitungen zum Angriff und zum Widerstand verbracht.

Am Sonnabend den 22., Morgens 6½ Uhr, gingen, nach den Dispositionen der beiden Vize-Admirale, die zum Angriff bestimmten acht Dampffregatten, fünf englische und drei französische, gegen den Hafen vor. Zunächst legten sich die beiden französischen Fregatten, »Vauban« von 16 Kanonen (Kapitän d'Herbinghen) und »Descartes« von 16 Kanonen (Kapitän Darricau), mit den beiden englischen Fregatten, »Tiger« von 16 Kanonen (Kapitän Giffard) und »Sampson« von 16 Kanonen (Kapitän Jonas), etwa 5 bis 6000 Fuß weit von der Pratika den Batterien gegenüber.

In zweiter Linie standen die englischen Dampffregatten »Terrible« von 21 Kanonen (Kapitän Claverty), »Fourious« von 6 Kanonen (Kapitän Loring) und »Retribution« von 26 Kanonen (Kapitän Drummond), so wie die französische »Mogador« von 24 Kanonen (Kapitän de Wailly). Das englische Linienschiff »Sans Pareil« nebst der Dampfkorvette »Highflyer« hielten sich an der äußersten Grenze der Tragweite der Batterien, um nötigenfalls den Fregatten zur Unterstützung zu dienen. Außerdem stand ein Detachement von Kanonenbooten unter Kommandeur Dixen in der Kampflinie.

Der russische »Molo« und die Verteidigungslinie der beiden Häfen zählten 6 Batterien mit zusammen 48 Kanonen, die im Augenblick des Angriffs in Odessa konzentrierten Truppen an 25 000 Mann.

Die Zahl der Geschütze, die gegen einander feuerten, betrug daher ungefähr 150 gegen 50. In den obigen Angaben der Schiffsarmierung sind nur die schweren Geschütze à la Paixhans begriffen, und das Kaliber übertraf durchgängig das der russischen Geschütze in kolossalem Verhältnis, wodurch es den Schiffen möglich wurde, sich in einer großen Entfernung zu halten, so daß z. B. die Hafenbatterien Nr. 3 und Nr. 5 gar nicht tätig am Kampf teilnehmen konnten, während sie dem feindlichen Feuer doch ausgesetzt blieben.

Auf der rechten Seite der Reede lag die Batterie Nr. 1., und die Batterien liefen bis zur Vorstadt Perecop, wo sie mit Nr. 6 schlossen.

Wenige Minuten vor 7 Uhr feuerte die »Sampson« den ersten Schuß gegen die Batterien vor dem Pratikahafen ab, und hiermit begann der Kampf, indem die feindlichen Schiffe fast durchgängig das Manöver brauchten, unter Dampf zu fechten und einen beweglichen Kreis von etwa einer halben Meile Durchmesser zu bilden, so daß im Vorüberfahren jedes Schiff seine Breitseite gab, was natürlich das Ziel der Russen neben der Entfernung – zuerst zirka 5000 Fuß, später etwas über 3000 Fuß – noch erschwerte.

Dennoch antworteten die Kanonen auf dem »Molo« kräftig und nicht ohne Glück. Nach Verlauf von etwa anderthalb Stunden mußte der »Vauban« die Kampfreihe verlassen, von drei glühenden Kugeln getroffen, wovon die eine mehrere Speichen seines Schaufelrades zertrümmert und die anderen seine Windwand in Brand gesetzt hatten. Eine dieser letzten war zwischen die Radlücken eingedrungen und verglühte innen die Wand. Die Feuerpumpen der Fregatten spielten, um den Brand zu löschen, aber vergeblich – und der »Vauban« mußte sich in die Mitte des Geschwaders zurück flüchten, wo ihm von allen Seiten Hilfe kam, so daß er endlich wieder um 12 Uhr zum Gefecht stoßen konnte.

Unterdeß hatten die Admirale der zweiten Division das Signal zur Teilnahme gegeben und die vier Fregatten rückten gegen 10 Uhr in den Gefechtskreis und begannen ihr alles niederwerfendes, furchtbares Feuer, einen Hagel von Bomben und Granaten auf den Hafen und die anliegenden Stadtteile, größtenteils Magazine, schleudernd.

Dennoch war der angerichtete Schaden anfangs verhältnismäßig nicht bedeutend, und die aufflammenden Feuersbrünste waren bald wieder gedämpft, bis die sechs englischen Kanonierschaluppen den Versuch machten, am nordwestlichen Teil des Dammes, wo keine Batterie errichtet war, mit Mannschaften zu landen, indem sie zugleich eine Masse 24pfündiger Raketen auf die Schiffe des Hafens und die umliegenden Gebäude warfen.

Bald standen dadurch sechs Magazine in Flammen, und die Dampffregatten näherten sich, um das Werk der Zerstörung kräftiger zu betreiben und die im Freihafen eingeschlossenen Schiffe noch schneller zu verbrennen. Unter diesen befand sich ein einziges kaiserliches Dampfpaketboot, der »Andié«, das von dem Kapitän sofort versenkt und so gerettet wurde. Das gleiche geschah mit mehreren anderen russischen Küstenschiffen. Acht von ihnen und ein österreichisches Schiff, die »Sankta Caterina,« verbrannten. Der schöne Woronzow'sche Palast wurde durch Bomben in Brand geschossen, das Palais Royal mit der Statue Richelieus zerstört; mehrmals verließen einzelne Linienschiffe das Geschwader und legten sich gegen den Strand, um aus der Ferne das auf der Höhe liegende Landhaus des Generals Lüders zu beschießen.

In diesem gefährlichen Augenblick erschien auf der Höhe des sandigen Strandes, in der Nähe der Vorstadt Perecop, eine Feldbatterie von 7 Geschützen mit 6 Kompagnien Infanterie zur Deckung, um die Landung der Schaluppen zu hindern, und eröffnete gegen diese mit solchem Erfolg das Kartätschenfeuer, daß die Schaluppen sich mit Verlust zurückziehen und mehrere der Fregatten das Feuer aufnehmen mußten. Ein Teil der Vorstadt Perecop geriet hierbei in Flammen.

Unter der Menschenmenge, die den Quai am Morgen vor dem Beginn des Bombardements füllte, befanden sich auch der General und sein Freund. Der Hafen war bedeckt mit hin- und herfahrenden Booten.

»Sie wollen also dennoch den Versuch wagen?«

»Wenn der Kapitän seine Schuldigkeit getan hat,« sagte der General, »und während des Bombardements nicht unglücklicherweise eine Kugel gleich das Schiff segelunfähig macht, hoffe ich, den günstigen Augenblick benutzen zu können. Leben Sie wohl, Freund und fahren Sie fort in Ihrem Wirken. Sind Sie Ihrer Nichte ledig, werden Sie sich ungenierter bewegen können. Die Verbindung durch das griechische Handlungshaus haben wir besprochen, und Sie erhalten von Konstantinopel aus weitere Nachricht, wo ich das Eintreffen der französischen Prinzen abwarten werde. Behalten Sie die russischen Lieferanten im Auge, diese haben den Krieg in Händen. Und jetzt – wo ist das Schiff? Ich erkenne es in diesem Gewirr nicht.«

»Der ›Antilles‹ ist das dritte vom Ausgang des Hafens, sehen Sie dort, ein anderer französischer Kauffahrer, ›Adele‹ liegt hinter ihm. Hier ist das Boot und leben Sie wohl – die Zeit drängt.«

In diesem Augenblicke donnerte bereits der erste Schuß der »Sampson«, und der General sprang nach einem kurzen Händedruck in die Barke. In dieser Zeit der Verwirrung fragte niemand nach Legitimation oder Berechtigung, und der Quai leerte sich rasch von Menschen.

Schuß auf Schuß krachte von der Reede her und vom Molo entgegen, während das Boot an die Seite des französischen Kauffahrers flog und der Fremde an Deck sprang. Dort war alles voll Aufregung. Der russische Embargo-Beamte hatte das Schiff verlassen, und der Kapitän sofort seine Leute versammelt und ihnen den Vorschlag gemacht, die Verwirrung eines bevorstehenden Angriffes zu dem Versuche zu benutzen aus dem Hafen und somit aus der drohenden russischen Gefangenschaft zu entfliehen. Seine feurigen Worte hatten die kühnen Matrosen willig gefunden, und alle erklärten sich bereit, dem doppelten Kugelhagel zu trotzen. Als der General an Bord kam, war alles in voller Tätigkeit, das Schiff segelfertig zu machen. Ein Boot hatte den Kapitän des zweiten Schiffes von dem Vorhaben benachrichtigt, und in dem Augenblick, als durch die Demonstration der Kanonenboote die Aufmerksamkeit der Verteidiger abgelenkt wurde, verließen beide Schiffe, indem sie ihre Anker kappten, den Hafen, sobald sie außerhalb des Einganges waren, die französische Flagge aufziehend. Der »Antilles« kam glücklich, ohne erhebliche Beschädigung durch das furchtbare Kreuzfeuer und erreichte das Geschwader und das französische Admiralschiff »Stadt Paris«, wo Admiral Hamelin dem Kapitän den Rat gab, sofort nach Konstantinopel weiter zu gehen. Am 29. ankerte es mit seiner Ladung von 2500 Tschetwert Getreide glücklich im Bosporus. Das andere Schiff, »Adele«, erhielt zwar einige Kugeln im Wind und erlitt einige Havarie der Takelage, gewann jedoch gleichfalls bei dem ziemlich heftig während des ganzen Kampfes wehenden Winde die hochgehende freie See. –

Die Batterie Nummer 6 am Ende des Molo war es, die den feindlichen Schiffen den meisten Schaden tat, und auf welche diese daher bei ihrem Kreislauf ihr konzentriertes Feuer richteten. Bereits zu Anfang war eines der vier Geschütze der Batterie demontiert und dabei der kommandierende Offizier schwer verwundet worden. Der Artillerie-Fähnrich Schtschegolew übernahm sofort das Kommando; da jedoch der Feind außerhalb des Bereiches der dritten Kanone stand, so konnten nur die beiden Kanonen der linken Seite operieren, und mit diesen beiden Geschützen hielt der tapfere junge Offizier sechs Stunden hindurch Stand gegen die feindlichen Dampfboote, zuletzt gegen acht Dampfer und die Segel-Fregatte »Arethusa«.

Der Pulvervorrat bei der bereits halb demontierten Batterie wurde jedoch durch eine Rakete in Brand gesteckt und flog in die Luft. Der Artillerist, der den neuen Pulverkarren herbeiführte, fiel tötlich verwundet, und der Kugelregen über den Weg war vernichtend – die Batterie längere Zeit ohne Munition. Da ergriff der herbeikommende junge Freund des tapfern Kommandanten, der Student Poel, die Zügel des Gespanns, und den eisernen Hagel nicht achtend, führte er glücklich den Pulverkarren in den Schutz der Batterie. Seinen Rock abwerfend, blieb er hier bei dem Freunde, der nur noch von sechs Artilleristen unterstützt war, in der Bedienung der Kanonen helfend und die Kugeln herbeitragend. Auch die dritte Kanone wurde zum Schweigen gebracht, mit ihr fielen zwei Mann!

Unerschrocken setzten Schtschegolew und seine Tapferen das Feuer mit der vierten fort. Erst nachmittags 2 Uhr, als die von der Batterie gedeckten Schiffe sämtlich in Flammen aufgegangen und die Batterie selbst in Brand geraten war, verließ der Fähnrich mit dem Studenten und den letzten drei Artilleristen sein letztes Geschütz und gelangte glücklich zu den Seinen.

Die Bomben, welche die Schiffe von Zeit zu Zeit auf die Stadt geworfen, hatten außer dem genannten wenig Schaden getan, da die Entfernung zu groß und die zurückgebliebene Einwohnerschaft, die sich während des Kampfes sehr gut benommen hatte und unter dem Feuer den kämpfenden Artilleristen Lebensmittel brachte, mit Löschanstalten bereit stand. Nach 4 Uhr stellte die angreifende Division, der noch die französische Dampfkorvette »Canton« sich angeschlossen hatte, ihr Feuer ein und kehrte zu dem Gros der Flotte zurück, vier ihrer Schiffe, den »Descartes«, »Vauban«, »Mogador« und die »Terrible« im Schlepptau, wovon die Havarie zweier das Werk der Batterie Schtschegolews war. Die Verluste an Mannschaften auf der Flotte waren infolge der weiten Entfernung verhältnismäßig sehr unbedeutend, kaum nennenswert; die Russen jedoch hatten 200 Tote und etwa 300 Verwundete.

Sechszehn Schiffe und die Magazine und Etablissements des Freihafens waren größtenteils zerstört, keines der geforderten Schiffe dagegen genommen.

Das war die erlangte »Genugtuung« der zivilisierten Westmächte, deren amtlicher Bericht meldet:

»Es konnte uns nicht in den Sinn kommen, der Stadt Odessa das geringste Leid zuzufügen, ebenso wenig wie ihrem Handelshafen.«

Am andern Tage, am griechischen Ostersonntag, erwartete man die Wiederholung des Bombardements. Während der Nacht hatten die Russen so viel wie möglich ihre Batterien wieder hergestellt, neue Verschanzungen aufgeworfen und starken Zuzug erhalten.

Es näherte sich aber nur die Dampfkorvette »Fury« zur Rekognoszierung des Hafens, an dem noch mehrere Gebäude brannten, und warf einige Granaten auf den Strand, wurde jedoch mit starkem Feuer empfangen, das ihren Kapitän verwundete. Ein Dampfboot, das auf der Höhe von Sebastopol zur Beobachtung der russischen Flotte mit acht anderen Kriegsschiffen kreuzte, brachte dem Admiral Dundas die Nachricht, daß an den russischen Schiffen vor Sebastopol eine ungewöhnliche Bewegung bemerkt wurde und ein Auslaufen derselben möglich sei. Die vereinigte Flotte legte sich auf diese Nachricht weiter hinaus auf die See.

Am 6., morgens 8 Uhr, verließ die Eskadre auch diese Stellung, indem drei der havarierten Dampffregatten und ein Linienschiff die Richtung nach Varna einschlugen, der Rest der Flotte nach Süd-Osten sich wandte. Um Mittag waren die letzten Schiffe außer Sicht.


Aug' um Auge, Zahn um Zahn!

In der Kula von Protopapas hatte sich ein grauenhafter, schrecklicher Kampf entsponnen, um so schrecklicher, als er schweigend geführt wurde.

Der riesige Klephte warf sich auf die Türkin; den ersten ungehört verhallenden Aufschrei der weiblichen Angst – den Ruf: »Nicolas, herbei!« benutzte er, um ihr den seidenen Knebel zwischen die Zähne zu pressen.

Von dem Augenblicke an sprachen nur ihre Augen – eine furchtbare, jeden anderen als den wilden Sohn des Taygetos zurückschreckende Sprache.

Der Kampf des gefesselten Mädchens, dem die rohe Hand des Mainis die Kleider in Stücke riß, war lang und schrecklich! Die Brust keuchte in dem vergeblichen Widerstand gegen die riesige Kraft des Mannes, verdoppelt durch die wilde Erregung aller Nerven und Sehnen.

Dann unterlag sie endlich – ruhig, still – mit der Gleichgiltigkeit der Verzweiflung. Nur in den dunklen, krampfhaft starren Augen lag es wie ein furchtbarer Schwur.


Zu den fünf Gefährten, die mit ihren Yatagans das Grab der erschossenen Mainis gruben, trat Demetri-Bey und nickte schweigend mit grauenhaft frechem Blick dem Georg Zanet zu, indem er ihm den Yatagan aus der Hand nahm und selbst zu schaufeln begann.

Der Mainot Georg Zanet hatte elf Augen geworfen, er ging nach der Kula.


Nach Georg Zanet kam Hassan Stavro – acht Würfelaugen!

Ihm folgte der Vetter des Erschlagenen, Constantin Commodouro – sechs!

Ohne ein Wort zu sprechen, lösten sich die sechs Mainoten an der Gruft ab.

Als der letzte – Panagotti Zanetacchi – zurückkehrte, war das Grab fertig.

Jetzt entfernten sich alle sechs nach dem Turm, den Toten zu holen. Sie warfen keinen Blick nach dem Opfer der furchtbaren Rache, sondern faßten stumm den Körper und trugen ihn hinaus.

An der Wand lag die Türkin, der Knebel war längst aus dem Munde gefallen – aber kein Laut mehr hatte die grimmige Resignation unterbrochen, mit der sie nach dem erschöpfenden Kampf alles geduldet. Gleich einer Toten lag sie da – das Auge geschlossen, geisterhafte Blässe auf dem Antlitz, und ihr langes, dunkles Haar floß wirr auf den Boden. Die mitleidigere Hand des letzten hatte die leichte Decke ihres Mantels auf die Unglückliche geworfen – darunter lag sie und nur ein krampfhaftes Zucken, das von Zeit zu Zeit über ihre Glieder schauderte, verkündete das Leben in der sonst regungslosen Gestalt.

Mit demselben eintönigen Gesang, der den Tod des Kriegers begleitet, begannen sie jetzt ihn in sein Grab zu legen.

Da scholl der Ruf des Generals von der Plattform des Turmes, und Nicolas Grivas sprang von seinem Posten auf der Höhe des Walles herunter in die Umringung.

In demselben Augenblicke zischte es durch die Luft und prasselte zwischen die Erde und die Steine des Walles, und die einschlagende Kugel streute sie weit umher.

Ein schwerer Stein traf die Leiche, gleich dem rächenden Donnerstrahl des Himmels, und warf sie aus den Händen der Träger kopfüber in das Grab.

Alle Sechs waren von Splittern leicht verwundet – Schrammen nur – wenige Blutstropfen, die kein Mann achtet, am wenigsten der wilde Krieger der Maina.

Doch – sie waren gezeichnet.

»Zu den Waffen, Kameraden, an Eure Posten!« befahl der General, von der Stiege des Turmes herabeilend. »Die Feuer angezündet und dann deckt Euch hinter den Wällen.«

Zwei schon vorher bereitete Feuer von Reisig und Geröhr im Innern des Zugangs und möglichst gedeckt, qualmten alsbald empor.

Um diese lagen Bündel von trockenen Zweigen, Laub, Binsen, Gras, mit Streifen leichten Zeuges durchwunden, in die der Mantel und Schleier der Verkleidung des jungen Griechen zerrissen worden war.

Kugel auf Kugel schlug jetzt in kurzen Pausen an Turm und Wall und endlich, als die Artilleristen das Ziel gefunden, in die Stein- und Holzbarrikade des Eingangs.

Den Verteidigern der Palanka schadeten die Kugeln wenig, sie lagen teils im Turm versteckt, wohl geschützt hinter dem Wall; die Wachen aus den Schießscharten des Turmes beobachteten ungefährdet die Gegner.

Die Kanonade hatte eine halbe Stunde gedauert und die Barrikade des Einganges am klaffenden Felsenspalt war jetzt zerrissen.

Dann schwieg das Feuer und von der Höhe des Turmes tönte der Ruf der Wache:

»Sie kommen!«

Die Griechen sprangen aus ihren Verstecken empor und sammelten sich um den Führer, der bereits jedem seinen Anteil am Kampf bezeichnet hatte.

Nur einer – Panagotti Zanetacchi – wurde als Wache auf den Turm zurückgesandt, die anderen machten sich zum Kampf bereit; jeder untersuchte sorgfältig das Schloß seiner Flinte und der langen Pistolen und lüftete den Handjar.

Frische Reisigbündel wurden auf die Feuer gelegt, die andern näher zur Glut geschoben; dann nahm jeder seinen Posten am Wall ein, so gut wie möglich gedeckt und doch mit freiem Blick auf den nahenden Feind.

Und er kam heran; diesmal waren es die Arnauten Selim-Beys, geführt an Stelle des Paschas, von Abdallah, dem jungen Emir. Auf dem Felsenwall und zu beiden Seiten drängte es wieder heran in dichten bunten Haufen, jeder Mann vor sich ein oder zwei große Reisigbündel tragend, die seinem Körper zugleich Schutz gewährten gegen die Kugeln der Griechen.

Aber die Kugeln der Mainoten blieben aus; der General hatte ihnen streng befohlen, den Schuß zu sparen, bis der Feind in größte Nähe und jede Kugel ihres Zieles sicher war.

Als die Anrückenden etwa die Hälfte des Dammes zurückgelegt hatten, gab der Emir, den Säbel schwingend, mit dem arabischen Kampfruf: »Allah Akhbar!« das Signal zum Angriff, und die ganze Masse, etwa Dreihundert an der Zahl, von denen die Hälfte in dichten Gliedern den Damm einnahm, stürzte in wildem Lauf vorwärts.

Sie waren zwanzig Schritt vom Felsspalt, als die Büchse des Generals das Zeichen zur Salve gab. Fast gleichzeitig knallten die sechs Flinten, und die Kugeln warfen die Vordersten zu Boden oder hinab vom Felskamm auf ihre Kameraden. Einige Kugeln hatten in dem dichtgedrängten Haufen mehrere verwundet, keine gefehlt; aber die Arnauten hielten sich nicht auf mit der Erwiderung des Feuers, sondern stürzten mit jener Todesverachtung vorwärts, die den Moslem auszeichnet. Über Tote und Verwundete drängten die Krieger zum Rande des Felsenspaltes, auf dessen Grund zu beiden Seiten bereits die Kameraden ihre Reisigbündel empor türmten.

Zugleich warfen sie die ihren in den Grund, und viele Leiber, von den Pistolenkugeln der Mainoten in dieser Nähe durchbohrt, halfen den Spalt füllen.

In wenig Augenblicken war die Füllung bis auf einen Rest von Mannshöhe geschehen, und die wilden Krieger stürzten sich, von den Folgenden gedrängt, reihenweise hinab und begannen an der anderen Wand empor zu klimmen, an den Zacken des Gesteins sich haltend oder einer auf des andern Schultern.

In der Bresche standen jetzt Grivas, sein Neffe und drei der Mainis, mit dem Säbel, dem Kolben und dem Yatagan die Heraufstürmenden abwehrend, während die beiden Mainoten fortwährend die Pistolen luden und Panagotti Schuß auf Schuß von der Höhe des Turmes in den dichten Haufen sandte.

Das Allahgeschrei, der Kampfruf der Anstürmenden war furchtbar, sinnbetäubend; schweigend – jeden Atemzug zu einer Kraftanstrengung sparend, kämpften die Griechen. Herüber, hinüber knatterten die Pistolenschüsse, die Gegner schauten einander ins Weiße der Augen!

Und immer höher türmte sich die Füllung des Spaltes; Reihe auf Reihe stürzte sich hinab und klomm empor, und für den zerhauenen Schädel, die vom Arm getrennte Faust, die zerschossene Brust, drängten zehn andere empor!

»Allah Akhbar! Zum Kampf! zum Kampf!«

Der wilde Ruf des Führers spornte sie zu immer neuen Anstrengungen.

Die Griechen waren sämtlich verwundet bis auf den jungen Grivas, der im Handgemenge vergeblich den Tod zu suchen schien.

Demetri-Bey lag, zu Tode getroffen, am Boden; Georg Zanet kämpfte, an den Wall gelehnt, aus zwei Wunden Ströme von Blut vergießend, gleich dem sein Ende fühlenden Eber.

Zwölf Augen! – Elf Augen! Ein Teufel schüttelt die Würfel! –

Da erscholl über das Toben des Kampfes hin ein schneidender Pfiff des Generals, der im Handgemenge wie jeder seiner Krieger focht.

Die beiden Schützen am Wall sprangen zu den Feuern und rissen die flammenden Bündel heraus, mit dem Fuße neue hinein schleudernd.

Wie qualmende, rauchende Ballen flogen sie im nächsten Augenblick hinunter in die Masse der stürmenden Türken.

Die leichten Gewänder erfaßten die sprühenden Funken – die Stürzenden teilten das Feuer den aufgehäuften Faschinen, der Bekleidung der Erschlagenen mit – und von der Hand der Mainoten flog Bund auf Bund, in Flammen gehüllt, hinab in den Menschenknäuel.

Ein furchtbares Geschrei stieg zum blauen, wolkenlosen Himmel, eine Mauer von Rauch und Qualm wälzte sich aus der Felsspalte empor – in sie zurück warfen die Kolbenschläge und Yataganshiebe der Mainoten die verzweifelnd Emporklimmenden.

Noch wenige furchtbare Augenblicke, dann verstummte der Kampfruf vor dem wahnsinnigen Geschrei des Schmerzes, und die Arnauten wandten sich auf allen Seiten zur wilden Flucht.

Vergebens waren alle Anstrengungen des jungen Führers. Die Flucht der orientalischen Völker ist nie zum Stehen zu bringen.

Sie fühlten sich erst sicher im Schutz ihrer Kanonen; zahlreich waren die Opfer an Toten und Verwundeten. Acht Griechen hatten den Sturm von dreihundert tapferen Kriegern abgeschlagen, die Palanka seit neun Stunden verteidigt.

Hätten jetzt die Moslems auf die zum Tode Erschöpften einen neuen Sturm mit frischen Kräften gewagt, die ihnen zu Gebote standen, so wäre der Sieg ihnen sicher gewesen. Doch mit jener Langsamkeit, die sie charakterisiert, mußten sie erst den erhaltenen Schlag überwinden und sich aufs neue vorbereiten.

Sehnsüchtig wandte General Grivas von der Höhe der Kula den Blick nach Westen, wo seine fernen Tapfern gestanden und gefochten. Der Geschützdonner hatte aufgehört, und die Befürchtung lag schwer auf seiner Seele, daß der Angriff der Türken seine Schar zersprengt habe. Zum Wahrzeichen und als trotzige Herausforderung seiner Gegner ließ der General zugleich auf einer Stange auf der Brüstung des Turmes eine aus Stücken von Bekleidung der Gefallenen roh gebildete blaue Fahne aufstecken, an welche die Mainoten von Fetzen der Fustanellen die Form des griechischen Kreuzes geheftet hatten.

Ein wildes Geschrei der Türken und das wiederholte Feuer aus ihren Kanonen antwortete dieser Herausforderung.

In dem den Kugeln am wenigsten ausgesetzten Gefängnis Fatinitzas hatten Demetri-Bey und Georg Zanet, beide schwer verwundet, die Stelle des jetzt begrabenen Andunah eingenommen. Die Hilfe, die ihre Kameraden ihnen leisten konnten, war gering; der Krug mit Wasser, den die Mainis am Abend von der Quelle im Talgrunde geholt, längst erschöpft, und doch ist der Durst nach Wasser bekanntlich gerade das, was die Verwundeten am meisten quält. Der Wall war von den Kugeln der Türken jetzt so demoliert, daß nicht daran zu denken war, ihn zu halten, und Grivas vereinigte seine verringerten Streitkräfte in dem zweiten Stockwerk und auf dem flachen Dach der Kula, nachdem die Steine und Balken, die zur Verbarrikadierung des Wallzuganges gedient hatten, zur Befestigung der schmalen Pforte verwendet worden, die in das Innere des Turmes führte und die zum Glück durch ihre Seitenrichtung nicht den Kugeln der Geschütze ausgesetzt war.

Zu wiederholten Malen hatte Nicolas Grivas versucht, sich zu dem verratenen Türkenmädchen zu begeben, doch immer wieder war er am Eingang zurückgekehrt, von dem niederdrückenden Gefühl seines Verrats und dem Gedanken an die verächtliche Behandlung, die sie ihm erwiesen hatte, zurückgetrieben. Fatinitza, von dem Kampfgetöse aus ihrer Erstarrung erweckt, saß jetzt, den Mantel um sich gezogen, aufrecht an der Mauer. Ihr Antlitz war noch immer totenbleich, doch ihre Züge waren jetzt finster und entschlossen, wie aus Marmor gehauen. Die dunklen Augen starr und unbeweglich auf die beiden verwundeten Mainis gerichtet, funkelten und glühten noch in dämonischem Feuer.

So saß sie bereits stundenlang, ohne sich zu rühren, und die wilden Söhne des Taygetos schauderten vor dem Auge des geschändeten Türkenmädchens und kehrten ihr Gesicht nach der Wand des Turmes, um ruhiger zu sterben.

Es war am Nachmittag gegen vier Uhr, als über die Berge von Westen her von neuem der ferne Donner groben Geschützes an das Ohr der Mainoten schlug – bald darauf konnten sie selbst die Salven des Kleingewehrfeuers undeutlich hören.

Zugleich sahen sie, daß die Türken vor ihnen sich zu einem neuen Angriff rüsteten.

Der General versammelte die fünf noch kampffähigen Verteidiger um sich. »Kameraden, Brüder des heiligen Kreuzes,« sagte er, »unsere Freunde sind uns nahe, ob Sieger oder geschlagen, wir wissen es nicht, aber wir werden uns mit ihnen vereinigen können, wenn es uns gelingt, die Fahne dort oben aufrecht zu erhalten gegen den Sturm, der uns droht. Unsere Bedränger werden dann genug zu tun haben, sich selbst zu wehren. Laßt uns daher den Turm verteidigen bis auf den letzten Blutstropfen, es ist die einzige Aussicht auf Rettung und unsere Pflicht. Nur die Flinte kann uns in diesem letzten Kampfe nützen, zielt fest, laßt keinen Schuß vergebens fallen und uns jetzt noch ein Mal unsere Hilfsmittel prüfen.«

Während Zanetacchi wieder als Wache zurückblieb auf dem Dache des Turmes, stieg der General mit den übrigen vier hinab in das zweite und untere Geschoß, ihnen Anweisungen zum Kampfe erteilend. Das obere Stockwerk ragte auf breiten steinernen Trägern etwa anderthalb bis zwei Fuß über das Erdgeschoß hinaus, und die Seitenwände waren mit schiefen, trichterförmigen Schießscharten versehen, so daß von hier aus die nähere Umgebung des Turmes unter wirksamem Feuer gehalten werden konnte. Die Schießscharten der unteren dicken Mauern waren dagegen, wie bereits erwähnt, so hoch angebracht, daß von außen nicht zu ihnen zu gelangen war. Der schmale Eingang der Kula war vollständig mit Steinen und Balken verrammelt und durch die Schießscharten über ihm gedeckt. Grivas beschloß daher, seine wenigen Verteidigungsmittel in dem zweiten Stockwerk zu konzentrieren, das den Wall und den inneren Ring bestrich, und in dessen Schutz sie am wenigsten den Kugeln der Gegner ausgesetzt waren. Um die Verwundeten dahin bringen zu lassen, betrat er die hintere Abteilung – Nicolas und die drei Mainis folgten ihm.

Der junge Mann vermied, das Auge auf das Mädchen zu richten, und trat mit dem Oheim zu den beiden Verwundeten. Die Verblutung war indeß so stark gewesen, und die Beschaffenheit ihrer Wunden so gefährlich, daß ein Transport in das obere Stockwerk ihnen unzweifelhaft große und nutzlose Schmerzen verursachen mußte, der General entschied daher, daß sie gelassen werden sollten, wo sie waren, da sie hier fast eben so sicher waren. »Auch die Türkin mag hier bleiben,« befahl er, »sie ist hier am wenigsten im Wege.«

Jetzt erst wagte der junge Mann einen hastigen, verstohlenen Blick auf das Mädchen, aber so flüchtig er auch war, er zeigte ihm doch die Zerstörung in ihrem Äußeren, und er sprang wie vom Blitz getroffen auf sie zu mit dem Ruf: »Fatinitza – was ist geschehen? – um der Panagia willen, sprich!«

Mit einer rachsüchtigen Gleichgiltigkeit gegen das Heiligste des Weibes warf das Mädchen durch eine Bewegung den Mantel von ihren Gliedern und die um Brust und Hüften hängenden Fetzen ihrer Kleidung zeigten, der Scham Hohn sprechend, den furchtbaren Kampf, den sie bestanden, und verrieten das schändliche Verbrechen, das an ihr verübt worden war.

Selbst der wilde Führer der Klephten schauderte zurück.

Die Stirnadern des jungen Mannes schwollen zu roten Strängen an, nachdem Todesblässe einen Moment lang sein Gesicht bedeckt. Dann drehte er sich wild zu dem Kreise seiner Gefährten, und seine Augen schienen Blitze zu sprühen, während seine Hand das Pistol aus dem Gürtel riß und den Hahn spannte.

»Verfluchte! – Ihr!«

In diesem Augenblicke vernahm er das erste Wort von den Lippen des Mädchens, seitdem er sie verraten. Sie schnellte empor auf ihre gebundenen Füße und die gefesselten Arme von sich streckend, warf sie sich zwischen ihn und die Mainis, die bereits gleichfalls zu den Waffen gegriffen. Ihre Augen sprühten Haß und Verachtung; der Ton, mit dem sie ihm ihr »Halt ein, Verräter!« zuherrschte, schien von den Steinmauern wieder zu gellen.

»Nicht Du!« sagte sie mit bitterer Verachtung, »nicht Du, meineidiger Christ! Dein eigen ist Fatinitzas Schande, und verflucht und verfolgt seist Du dafür bis zum Ende der Tage, das Dein Prophet verkündet hat!«

Dann sank sie zurück auf ihr Lager und blieb in finsterem Vorsichhinstarren gleichgiltig gegen ihren Zustand liegen.

Der junge Mann hatte das Gesicht in seine Hände verborgen, ihm war bei den vernichtenden Worten das Pistol entfallen.

Der General schaute finster auf die Mainis. »Wer hat das getan gegen meinen Befehl?«

»Wir alle,« sagte trotzig Commodouro. »Dein Befehl, General, lautete, uns nicht am Leben der Türkin zu vergreifen! Was wir getan, war das Vermächtnis unseres sterbenden Bruders – sein Tod ist gerächt worden an seiner Mörderin.«

Ein halb mitleidiger Blick des wilden und grausamen Häuptlings streifte die Unglückliche! dann wandte er sich schweigend nach dem Eingang und führte seinen Neffen hinaus.

Zur selben Zeit klang von der Höhe der Alarmruf Panagottis: »Zu den Waffen! Die Moslems kommen!« und die Mainoten stürzten auf ihre Posten.

Fatinitza war mit den Verwundeten allein – mit wildem Frohlocken haftete ihr Blick auf der geschlossenen Tür und hörte sie den drohend näher dröhnenden Schlachtruf ihres Volkes, das »Allah il Allah!«, das wild an allen Seiten der Palanka empor zu gellen schien.

In der Tat rückten die Türken diesmal von allen Richtungen gegen die kleine Veste, nur wenige zurücklassend, zum Schutz des verwundeten Paschas und der Geschütze. Die Flintenschüsse der Araber, der Arnauten und des Nizams krachten vereint gegen den Turm und von allen vier Seiten suchten die Moslems das Plateau zu ersteigen.

Kugel auf Kugel von den Schießscharten der Kula schlug unter die Stürmenden und jede Kugel warf ihren Mann von der erstiegenen Felswand, aber den Stürzenden folgten andere und die sechs Flinten der Verteidiger konnten die Überzahl nicht zurückhalten, der jubelnde Ruf der Arnauten und der Ansturm gegen die Barrikade des Eingangs verkündeten bald der Türkin, daß die Ihren Meister des Plateaus geworden.

Hierhin an die Schießscharten, welche die Pforte bestrichen, warf der General jetzt seine besten Schützen, während die übrigen fortwährend die abgeschossenen Flinten luden. Ein Wall von Toten lag bald vor dem Eingang.

Das wilde Getümmel der Schlacht war der Augenblick, den die Wölfin von Skadar ersehnt. Das mißhandelte Mädchen erhob sich auf die Knie, – auf den Knien rutschte sie langsam den beiden Verwundeten näher – die Augen mit teuflischer Freude auf diese geheftet.

Die sterbenden Mainoten sahen sie auf sich zukommen, näher und näher, gleich dem finsteren Engel des Todes.

Sie blickten dem großen Würger furchtlos und trotzig ins Angesicht, aber sie begannen sich zu fürchten vor dem dämonischen Auge des rächenden Weibes.

Vergeblich versuchten sie zurückzuweichen, ihre Glieder waren machtlos, die Arme bleischwer von dem vergossenen Blut; bei dem Bemühen, sich zu erheben, und der Feindin zu begegnen, lösten sich die leichten Verbände, und aufs neue quoll der rote Lebenssaft aus den geöffneten Wunden.

Jetzt versuchten sie zu schreien, der wüste Demetri-Bey rief angstvoll nach seinen Gefährten.

Ihr schwacher Ruf verklang unter dem Krachen der Flinten hoch vom Turm, rings um den Turm.

Jetzt war das Türkenmädchen am nächsten, dem Demetri; langsam, unter dämonisch befriedigtem Lächeln ihrer scharfen Züge, erhob sie die gefesselten Hände und faßte das Messer, das im Gürtel des Mainoten steckte.

Er vermochte nicht zu hindern, daß sie es hervorzog.

Dann beugte sie sich über ihn, das Auge des Dämons haftend auf dem bangen, starren Blick des Sterbenden. – –

Die gefesselte Hand stieß das Messer ihm zwischen die Zähne und bohrte es tief und immer tiefer bis zum Griff in den Hals des Mainis, die Zunge zerschneidend, die Röhren und Arterien des Lebens zerreißend.

Ein Strom dunklen Blutes quoll den zerschnittenen Hals herauf und floß über die Lippen; – auf diese bleichen und kalten Lippen, die frech und frevelnd die ihren entweiht, heftete der Dämon in Weibergestalt – der Vrokoklak – die seinen und tränkte sie mit dem Blute.

Dann erhob sie sich blutig und finster wieder auf die Knie und kroch zu ihrem zweiten Opfer.

Andreas Zanet hatte mit stierem Auge das Ende seines Gefährten geschaut – der Todesschweiß der Angst perlte auf seiner Stirn, denn er zweifelte keinen Augenblick, den bösen Geist, den Vampyr vor sich zu haben, der das Blut trinkt und die Seelen dem ewigen Pfuhl überliefert. Aller Aberglaube seiner Religion füllte seine Seele und verzweifelnd sah er sich diesseits und jenseits verloren.

Der Vrokoklak war über ihm – sein Schicksal erfüllt. –

Lautlos, nur von den Schüssen der Stürmenden umdonnert, wiederholte sich die schreckliche Szene.

Dann kroch sie zurück, die junge, schöne Megäre, das Pistol, das der verräterische Geliebte von sich geworfen, unter ihrem Lager verbergend.

Fort und fort hörte sie die Schüsse um sich her krachen – dann erhob sich plötzlich auf der Höhe des Turmes ein lautes wildes Triumphgeschrei, das über den Lärm des Kampfes hinausgellte. Denn auf den Berghöhen im Westen zeigten sich starke Scharen griechischer Krieger und begannen herabzuströmen. In ihrer Mitte flatterte die blaue Fahne mit dem weißen Kreuze.

Wie auf Verabredung schwieg für Minuten lang der Kampf an und aus der Kula.

Man konnte jetzt in größerer Nähe über den Bergen die Salven eines heftigen Gefechtes hören, das die auf dem Rückzug begriffenen Scharen des Generals Grivas gegen Abdi-Pascha lieferten.

Immer neue Abteilungen quollen über die Bergkuppen – von der Kula aus konnte man sehen, wie sie sich zum Angriff sammelten.

Deutlich konnte der General durch sein Fernrohr die Seinen erkennen – Anastasius Caraiskakis, den Czernagorzen Bogdan.

Vom Schmerzenslager des Paschas jagte Bote auf Bote dem jungen Führer der Stürmenden den Befehl zum Rückzug zu bringen. Die steinernen Mauern der Kula trotzten seinem Zorn, die melancholischen Töne der gebogenen Hörner der Nizam gaben endlich das Signal zum Sammeln, und zähneknirschend führte der Emir die Seinen zurück zum Lager des Beys, wo ihre Kolonnen gegen die anrückenden Griechen Stellung nahmen.

An hundert Tote und Verwundete hatten die Türken in den drei Stürmen auf die Palanka verloren; zwölf Stunden lang hatte Grivas mit seinen acht Kriegern dieselbe gehalten!

Aus Ästen und Lanzen war schon früher eine Tragbahre gefertigt worden für den schwer verletzten Pascha. Auf dieser wurde er jetzt weiter geschafft, und langsam traten die Türken ihren Rückzug nach der Richtung des Sees vor den andrängenden Griechen an und waren bald im Rücken der Palanka. In einiger Entfernung nahmen sie eine günstige Stellung ein und begannen von hier aus mit ihrer einen Kanone die Griechen ziemlich unschädlich in dieser Weite zu beschießen. Das andere Geschütz fiel in die Hände der Feinde, da es den Topschi's (Türkische Artilleristen) nicht möglich war, es so rasch von dem Felsengrate zurückzuschaffen, doch konnte es von jenen nicht benutzt werden, da es ihnen an Munition fehlte.

Jubelnd warfen sich die verwundeten Mainoten auf die Barrikade, die sie gegen die Feinde geschützt, und noch ehe ihre Befreier den Felsenaufgang erreicht hatten, waren die Balken und Steine fortgeräumt, in denen noch die Leichen der Arnauten lagen, und Grivas mit den Mainoten eilte den Befreiern entgegen.

Es war wenig Zeit zu verlieren, denn Abdi-Pascha, der im Laufe des Morgens Verstärkungen aus Janina an sich gezogen, bedrängte hart den Rückzug der Griechen. Er hatte am Morgen den Posten des Kapitano Caraiskakis angegriffen, als dieser eben erst von dem Knaben Mauro die Kunde von dem Leben seines Bruders und der Gefahr des Generals erhalten und eilig Boten nach dem Obersten Stratos gesandt hatte. Dieser, bald darauf von dem Nizam Abdi-Pascha's und den Ägyptern von Arta her bedrängt, ohne daß General Tzavellas ihm zum Beistand eilte, schlug sich durch die ersteren und vereinigte sich mit der stark gelichteten Schar des Caraiskakis, der bis Mittag sich am Kloster tapfer gehalten, und setzte mit ihm den Rückzug gegen Metzowo fort, beide kaum noch hoffend, den General unter den Lebenden anzutreffen.

Um so größer war der Jubel und der Feuereifer der Griechen, als sie die improvisierte Fahne von der Brustwehr der Kula wehen und zugleich die Bedrängnis der Ihren sahen, und Caraiskakis hatte alsbald zum Angriff gerüstet, während Oberst Stratos noch auf den Berghöhen die Türken in Respekt hielt.

General Grivas übernahm nach einer kurzen, freudigen Bewillkommnung seines Neffen sofort den Oberbefehl; und als ihm Anastasius und Bogdan sagten, daß sein Stiefneffe Nicolas in Janina am Leben, teilte er ihnen zu ihrem Erstaunen mit, daß dieser den Heldenkampf der Verteidigung der Palanka mitgefochten und in wenigen Augenblicken sie selbst begrüßen werde. Ein Wink jedoch von ihm, wehrte sie von der Palanka ab mit dem Bedeuten, daß jener dort noch einen Auftrag allein zu vollziehen habe.


Während der General und seine vier verwundeten Mainoten zu den Freunden eilten, trat der junge Grieche in das Gefängnis Fatinitzas. Ein kurzer Blick auf die Mainis überzeugte ihn, daß sie tot, und näher tretend, kniete er an ihrem Lager nieder und durchschnitt schweigend die Bande an ihren Händen und Füßen.

»Fatinitza,« sagte er dann weich und flehend zu ihr, »höre mich, denn wenige Augenblicke nur sind Dir und mir zur Entscheidung vergönnt. Was ich getan – meine Flucht, die Warnung an die Meinen – ich will es jetzt nicht verteidigen. Mein Bruder, mein Oheim waren unter den Bedrohten. Bei dem ewigen Gott, zu dem Christen wie Türken beten, ich konnte, ich durfte nicht anders; aber ich bin schuldlos an der Schmach, die Dich betroffen und bereit, sie mit meinem Herzblut zu sühnen oder zu rächen.«

Das Mädchen verharrte in ihrem verächtlichen Schweigen, ihr Blick war von ihm abgewandt.

»Höre mich, Fatinitza – wir sind beide jetzt frei und im Schutze meines Oheims – folge mir nach Chios, wo meine Mutter ein kleines Eigentum mir hinterlassen, fern von dieser Stätte und diesen blutigen Menschen. Folge mir und sei mein Weib.«

Dasselbe Schweigen.

»Fatinitza,« sagte er verzweifelnd, – »so laß mich Dir folgen – ich will Dein Sklave sein, – Dich lieben – ich – will den Glauben Deines Propheten zu dem meinen machen, nur gegen mein Volk kann ich nicht kämpfen!«

Die Mirditin schaute ihn durchdringend an.

»Du brauchst den Glauben Deines Kreuzes nicht zu verraten, meineidiger Christ,« sagte sie finster, »Dein Weg geht dorthin, der meine dahin! Verlaß mich!«

»Fatinitza – höre mich!«

Er lag zu ihren Füßen.

»Kannst Du vergessen,« unterbrach sie ihn mit finsterem Hohn, auf ihre zerrissenen Kleider deutend, »Fatinitza, die man die Wölfin von Skadar nennt, und die eine Taube war gegen Dich, wird es nie! Einmal verzieh ich Dir den Verrat, denn ich liebte Dich! Jetzt hat meine Seele nur Haß für Dich und Deine Christenbrüder! Sieh hin – nicht an den Kugeln der Meinen starben die beiden, Fatinitzas Hand sandte sie zur Hölle, ihre Lippen tranken ihr Blut, wie sie geschworen beim Grabe ihrer Mutter in furchtbarer Stunde. Geh'! – Vier leben noch – Du bist der Fünfte, und wir sehen uns wieder!«

Er schauderte unter ihrem Auge und barg das Gesicht in den Händen. Endlich erhob er sich – überzeugt, daß jedes seiner Worte vergeblich wäre.

»So lebe denn wohl – Weib ohne Herz und ohne Vergebung – lebe wohl und möge Allah Dir gnädig sein, wie Gott meine Schuld an Dir mir vergeben möge. Ein Dämon hat mich in Deine Arme geführt, und ein Dämon, Du selbst, treibt mich von Dir. – In dem Vorderraum der Kula steht das Pferd des Arabers, – Nicolas Grivas ist kein Dieb an fremdem Eigentum, – nimm es und kehre zu Deinem Vater zurück. In einer Stunde ist der Weg frei – ich werde sorgen, daß bis zu unserem Abzug keiner den Turm betritt, denn Bogdan, Dein Todfeind, ist unter den meinen.«

Sie sah ihn kalt und verächtlich an und deutete nach der Tür, – noch einen Blick warf er auf sie, dann ging er.

Sie war wieder allein mit den Leichen.


Allein war sie noch am Abend, als die ersten Sterne am Himmel zu funkeln begannen, denn Nicolas hatte sein Wort gehalten und jede Annäherung an die blut- und fluchbedeckte Kula verhindert. Ohnedies blieb den Griechen wenig Zeit dazu, denn der General Grivas setzte eilig den allgemeinen Rückzug nach Metzowo hin fort, wo er die Führer in Thessalien an sich zu ziehen und so verstärkt aufs neue den Türken die Spitze zu bieten hoffte, die ihn noch eine Strecke weiter verfolgten. –

Von der Höhe der Kula hatte sie den Abzug der Griechen und der Ihren verfolgt. Mit jenem raschen Übergang des Tages zur Nacht, den die südlichen Länder bieten, wölbte sich über ihr bereits der dunkle Himmelsdom mit tausend blitzenden Sternen.

Sie führte das Roß des Arabers hinaus aus dem Turm und über den Felsendamm auf dem noch die Leichen der Ihren der bergenden Erde harrten, ins Freie. Dort stand sie, an die Kruppe des Pferdes gelehnt, und schaute hinauf in die helle, schöne Nacht, als suche sie da mit den großen, brennenden Augen Trost und Frieden, und die stürmisch schwellende Brust sog gierig die kühle Luft des Abends, die Orangen- und Myrtendüfte, die der Windhauch der Gebirge von den elysäischen Gärten herübertrug.

Aber in dieser Brust blühte kein Paradies, schwarz und schwer wogte das Meer der Gedanken und Gefühle gleich einem acherontischen Strom, und in ihrem Herzen herrschten die Eumeniden, deren grauenvoller Altar einst wenig Meilen davon im pelasgischen Tempel von Paleassa, dem Palaste der Alten, an den acroceraunischen Küsten stand.

Einsam war sie und allein; sie wußte wohl, daß keine Heimkehr war zu den Ihren, und daß selbst die Liebe des Vaters ihr nicht verzeihen durfte gegen die Sitten des Volkes, die streng und unnachsichtlich jeden Fehltritt des Weibes mit dem Tode bestrafen. Einsam und allein – verraten von dem Geliebten, die dämonische Glut – allen dämonischen Haß allein im Busen tragend – kein Wesen auf der weiten Welt, das jetzt zu ihr stand, der Verlassenen, keins, das Teil nahm an ihrem Kampf. – –

Und dennoch irrte sie sich! Was raschelte durch die Oleander- und Myrthenbüsche und kam daher in langen Sprüngen und koste mit der lechzenden Zunge ihre Hand? – Scheitan, der Molosserhund, die treue Dogge, die ihr den Wolf ersetzt hatte, den Nicolas Grivas im Kampf für den Milchbruder erschlagen hatte.

Wenn der Albanese eine lange Reise antritt, wenn er auszieht, der Landsknecht des neunzehnten Jahrhunderts, der Schweizer des Morgenlandes, als Söldner zu dienen in den Korridoren des Vatikans, im Schloß von Neapel, wie in den Serails von Bagdad, Kairo und Marokko, auf den Kreidewällen Maltas und in den Hallen der moldau-walachischen Bojaren, näht ihm sein Weib in seine Kleider einige Stücke von ihren eigenen Gewändern, sowie sie ihrerseits das, was ihrem Gatten am teuersten ist, bei sich behält. Diese Gegenstände hat sie immer unter den Augen, um daraus eine Vorbedeutung zu entnehmen. Bellt dann des Nachts ohne besondere Veranlassung sein Hund, so ist sie in bangster Sorge, denn sie weiß, daß er die Wehklagen seines Herrn erwidert, der eben in der Sandwüste von Tunis oder Palmyra gefangen genommen, oder vielleicht gar ermordet wird!

Um die Mittagszeit hatte die Dogge, die im Castro von Janina bei der stummen Sklavin Aejischa zurückgelassen worden, ein jammervolles Geheul erhoben, wie die Hunde tun, die den Sterbenden wittern, und ihre Pfoten hatten an den verschlossenen Türen gekratzt. Da hatten die Wache haltenden Arnauten, das Omen ahnend, die Türen geöffnet, und hinaus und davon in mächtigen Sprüngen schoß die Dogge.

Als sie sich zu ihren Füßen schmiegte, mit jedem schmeichlerischen Zeichen der Treue und Anhänglichkeit, da wurde es zum ersten Male wieder warm um das Herz des wilden, verratenen und geschändeten Mädchens, und sie beugte sich über den Hund und erwiderte seine Liebkosungen.

Dann bestieg sie das Roß und ritt langsam, von der Dogge gefolgt, das Tal entlang, in der Richtung, wohin ihre Krieger gezogen. – – –

Die Truppen des Paschas von Skadar und Janina hatten die Griechen noch eine kurze Strecke auf dem Wege nach Gozista und Metzowo hin verfolgt und sich dann nach Dervendzista zurückgezogen. Es war in der Nacht, als Fatinitza die Nähe des Dorfes erreichte, und an den weißen Gewändern erkannte sie, daß die Araber des Emirs die äußersten Posten hielten.

Sie näherte sich dem einen, und auf seinen Anruf antwortete sie, ohne sich zu erkennen zu geben, und verlangte den Emir zu sprechen. –

»Bist Du ein Kind des Propheten,« sagte der Araber, »so bleibe an jenem Feigenbaum und versuche nicht, Dich zu nähern, denn unsere Befehle sind streng. Der Emir wird in einer Stunde hier vorüberkommen, denn sein Haupt kennt den Schlaf nicht, wenn er auf den Fersen der Feinde ist, und seine Seele ist traurig um den Verlust seiner geliebten Stute Eidunih.«

»Ich kann sie ihm wiedergeben.«

»Gesegnet sei alsdann Deine Hand. Aber bleibe, wo Du bist.«

Die Mirditin verweilte, in ihren Mantel gehüllt, stumm an der ihr angewiesenen Stelle. Nach einer Stunde erschien in der Tat Abdallah ben Zarugah, und als ihm der Araber verkündet, daß ein Bote in der Nähe, der ihm seine Stute zurückbringe, eilte er hastig dahin.

Im ersten Augenblick erkannte er Fatinitza nicht, die ihr Antlitz nach türkischer Sitte in ihrem zerrissenen Schleier verborgen, und die Freude über das Wiederfinden seines geliebten Pferdes beherrschte ihn ganz.

»Du gehörst sicher zu den guten Geistern dieses Landes, Frau,« sagte er, »daß Du mir zurückgibst, was ich verloren glaubte für immer. Wie kann Abdallah Dir danken dafür?«

»Sage mir, Sohn der Wüste,« entgegnete leise Fatinitza, »wie es Selim Bey, meinem Vater ergeht?«

»Fatinitza?!« rief der Krieger erstaunt, denn auch er hatte mit den anderen in der Ferne die Gestalt Aphanasias, der Frau des Primaten, unter den abziehenden Griechen für die Fatinitzas gehalten.

»Still, Araber! der Name sei tot für Deine Lippen. Ich gab Dir Dein Pferd, beantworte meine Frage.«

»Unglückliche,« sagte der junge Mann, »ein Zauber hat Deine Sinne verwirrt und Dich in die Arme der Christen geführt. Dein Vater ist zwar noch am Leben, aber tötlich verwundet von jenem unglücklichen Sturz. Wir haben ihn nach Janina gebracht und ihn einem weisen Hekim übergeben. Aber er hat einen Eid getan bei seinem Bart, daß sein Auge die Reuige nicht wieder schauen will.«

Das Mädchen lachte grell auf. »– Die Reuige? – Kennt Selim Bey die Tochter seines Fleisches so wenig? Ich erwartete den Fluch meines Vaters und dennoch hätte Selim nicht also handeln sollen an seinem Blut. Lebe wohl, Araber, und wenn Du den Pascha noch lebend wiedersiehst – sage ihm: Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Selims Tochter, habe das Toskenblut ihrer Mutter in den Adern und werde leben, um sich und ihn zu rächen.«

Sie wandte sich zu gehen, doch der Araber hielt sie am Mantel zurück. Der Herabfallende zeigte im Mondlicht das Mädchen im Männergewand der griechischen Krieger; die Toten in und vor der Palanka hatten ihr Kleidung und Waffen zur Genüge geliefert.

»Warte noch einen Augenblick,« sagte der Emir. »Kann Abdallah ben Zarugah etwas tun für Dich? Sein Herz ist bei Deinem Unglück.«

Sie nickte verneinend, dann, sich besinnend, deutete sie auf den Hund. »Nimm Scheitan zu Dir,« sagte sie, »und bewahre ihn mir, bis ich ihn fordern lasse. Er ist treu, aber mir hinderlich auf dem Weg, den ich jetzt gehe. Werdet Ihr die Christen verfolgen?«

»Wir erwarten die großen Büchsen von Janina,« berichtete der Emir. »Wenn die Sonne zum zweiten Male über jene Berge kommt, werden wir auf ihren Fersen sein. Nimm diesen Ring, Mädchen, er ist geweiht an der schwarzen Kaaba von Mekka und ein Kleinod der Zarugah. Wenn Du ihn einem meines Stammes zeigst, wird er Dir beistehen bis zum Tode.«

Sie nahm den Ring. »Lebe wohl!« – als er von dem letzten Gruß aufschaute, war sie verschwunden. –


Am nächsten Mittag stand Grivas mit seiner stark zusammen geschmolzenen Schar, die kaum noch zweitausend zählte, vor den Toren Metzowos. Hier hatte nach längerem Streit der türkisch und griechisch gesinnten Partei die letztere die Oberhand behalten und öffnete dem General die Tore, der sich alsbald zum Oberherrn der Stadt machte und der Bevölkerung eine Steuer von 200 000 Piastern (30 000 Mark) auferlegte, die auch willig bezahlt wurde. Die größeren Opfer jedoch, die Grivas nach zwei Tagen für die Sache des Freiheitskampfes forderte, indem er von den Notabilitäten und Reichen der Stadt die Darbringung ihrer silbernen und goldenen Luxusgegenstände als freiwillige Gabe verlangte, erregten Unzufriedenheit unter den Vornehmen.

Unterdeß rückte Abdi-Pascha auf die Nachricht von der Besetzung Metzowos hin mit frischen Truppen und einer ziemlich zahlreichen Artillerie gegen die Stadt, und die Uneinigkeit unter den griechischen Führern sowohl in Albanien, wie Thessalien, ließ sie den General nicht in der Behauptung dieses Knotenpunktes der Straßen nach dem Epirus, Mazedonien und Thessalien unterstützen.

Am 18. April kam es vor Metzowo zu einem harten Treffen; Grivas wurde vollständig geworfen und gewann kaum Zeit, sich nach der Stadt zurückzuziehen, der für den nächsten Tag schon ein ernster Angriff drohte. Der General sah ein, daß er sich hier nicht länger zu halten vermochte, und er beschloß die Verwüstung der bisher blühenden und wohlhabenden Stadt und den Rückzug gegen die Quellen des Asprospotamos und Radartzi.

Es war am Abend des Schlachttages, als der General in den Straßen der Stadt ihr Schicksal und den Befehl verkünden ließ, daß die Einwohner sich in der Hauptkirche versammeln sollten, die zugleich zur Aufnahme der Verwundeten, über 200 an der Zahl, gedient hatte. In Zeit von einer Stunde waren mehr als 4000 Personen in der Kirche und deren Umgebung versammelt, mit bleichen, angsterfüllten Gesichtern des Kommenden harrend.

In der Kapelle der Kirche, auf den Stufen des Altars lag in den Armen einer Frau ein schwer verwundeter Krieger, Anastasius Caraiskakis, der tapfere Kapitano des Postens am Kloster der armen Heiligen. Eine Kanonenkugel hatte ihm im Treffen des Tages ein Bein unter dem Knie zerschmettert und bei dem Mangel an ärztlicher Hilfe war die Amputation, die allein ihn hätte retten können, unterblieben. In seiner Nähe lagen zwei der tapferen und wilden Mainis, die den Turm von Protopapas verteidigt: Hassan Stavro und Georg Mauromichalis, und im Kreise umstanden ihn seine tapferen Kämpfer an seiner Seite Grivas und der junge Czernagorze, der mit Löwenmut die Schlacht mitgeschlagen.

Kummer und Schmerz lagen auf dem strengen Antlitz des Führers, als er sich niederbeugte zu dem verwundeten Neffen.

»Deine Krieger, Anastasius,« sagte er leise, »haben mich um die Erlaubnis gebeten, Dich auf ihren Schultern mit sich fortzutragen, beim Aufbruch.«

»Wozu?« fragte ruhig der Kranke. »Hast Du Tiere und Karren genug aufgetrieben, um alle unsere verwundeten Brüder mit mir fortzuführen?«

»Du weißt, daß es unmöglich ist; nicht den zehnten Teil derer, die uns nicht selbst folgen können, vermag ich fortzuschaffen. Unser Rückzug muß eilig sein und in spätestens zwei Stunden beginnen.«

»Du weißt alsdann, was wir beschlossen,« sagte der Verwundete ernst, »und Du wärest nicht würdig, der Führer freier Männer zu sein, wenn Du schwanken wolltest in diesem Entschluß, weil Anastasius, Dein Neffe, unter denen ist, die Euch vorangehen.«

Der General schaute ihn schmerzlich an.

»Dein Bruder Nicolas hat mich verlassen, nachdem die Jungfrau ihn uns kaum zurückgegeben. Er weigerte sich, zu kämpfen in unseren Reihen, und ich ließ ihn ziehen. Du bist der letzte meiner Anverwandten, der stets zu mir gestanden, und ich kann Dich nicht missen. Es ist noch Rettung für Dich, wenn wir den fränkischen Arzt erreichen, der den Kapitano Chatzi begleitet.«

»Kann ich gehen?« fragte der Kranke.

»Nein.«

»Ist ein Krieger des Kreuzes besser, denn der andere?«

»Nein – aber –«

»Willst Du mich lebend in die Hände der Moslems fallen lassen, die ihre Schmach von Protopapas zu rächen haben?«

»Bei der Panagia! Eher will ich selbst sterben.«

»So geh', Oheim Grivas, und tue, was wir beschlossen. Diese elenden Feiglinge von Metzowo, die, wenn sie und die verräterische Schar der Hadschi-Petros tapfer zu uns gehalten, uns den Sieg verschafft hätten, mögen wenigstens die Mittel geben, den heiligen Kampf des Kreuzes fortzuführen. Geh!«

Der General erhob sich; in den Falten seiner Stirn lag jener kalte Entschluß, der vor nichts mehr zurückbebt und dem ebenso die richtende Stimme der Mitwelt gleichgiltig ist.

In der Tat haben auch selbst die griechischen Zeitungen für die nachfolgend beschriebenen Handlungen – die wir keineswegs auch nur entschuldigen wollen, die aber eine furchtbare Notwendigkeit veranlaßte – den General auf alle Weise angegriffen und herabzuwürdigen gesucht, wie viel mehr erst die westmächtliche Presse.

Der General trat in die Kirche auf die Stufen des Hochaltars, nachdem er einigen Kapitanis Befehle gegeben. Ohne daß sie es merkte, wurde die in und vor der Kirche versammelte Menschenmasse von einer Chaine griechischer Krieger umgeben. Mit wenigen Worten verkündete Grivas den ängstlich harrenden Einwohnern, daß er in zwei Stunden die Stadt verlassen werde, daß es aber seine Sicherheit erfordere, diese zum Teil zu zerstören. Dabei wiederholte er das Verlangen der Auslieferung alles Goldes und Silbers, weil der Kampf für die Freiheit ein solches Opfer fordere. Zugleich wurden Tücher und Teppiche auf den Stufen ausgebreitet zur Empfangnahme dieser Gaben.

Dennoch flossen diese nur spärlich. Da, auf einen Wink des Generals, begannen die Klephten die Kirche zu räumen, indem sie die unglücklichen Einwohner, die natürlich bei der Nachricht von der drohenden Zerstörung der Stadt alles, was sie an wertvollem, tragbarem Eigentume besaßen, mit sich genommen, in kleinen Abteilungen herausholten, sie alles Schmucks und aller Gold- und Silbersachen beraubten, und sie dann in die Stadt jagten, unbekümmert um das Zetergeschrei, das diese Gewalttat verursachte.

Die Beute war ungeheuer. Bei der Fingerfertigkeit und Übung der räuberischen Klephten war dieser erste – wir möchten sagen merkantile – Akt des furchtbaren Dramas in einer Stunde abgespielt. Dann begann der zweite, blutige.

In vollen Pontificalibus, mit den Diakonen voran, bleich und zitternd vor dem schrecklichen Auftrag, der ihnen geworden, aber gezwungen von den ihn mit den geladenen Gewehren umgebenden Kriegern, trat der Bischof von Metzowo aus der Sakristei und schritt zum Hochaltar. Hinter ihm drein wurden der verwundete Caraiskakis und die beiden Mainoten getragen und auf die Stufen zwischen die Haufen von Kostbarkeiten niedergelegt.

Lautlose Stille trat ein, dann sprach der General mit fester, tiefer Stimme:

»Brüder des Kreuzes, die heute mit mir in der Schlacht gestanden gegen die ewig verfluchten Moslems, und verwundet in diesen Hallen liegen, ich fordere alle die auf, die Kraft genug in sich fühlen, unserm Ausmarsch sich anzuschließen, ohne uns hinderlich zu werden, jetzt die Kirche zu verlassen und an das Tor von Larissa sich zu begeben.«

Mehrere, die leichter verwundet, oder von bangen Ahnungen getrieben waren, erhoben sich und schwankten den Türen zu. Die Reihen öffneten sich vor ihnen, ohne ihnen Hilfe zu leisten; Einhundertundfünfundsechszig Verwundete blieben zurück. Auf einen Wink des Generals wurden sie sämtlich im Halbkreis um den Hochaltar gelegt.

Dann begann der Bischof eine Messe zu lesen. – Viele schauten sich befremdet an – es war eine Totenmesse.

Mit feierlicher, leiser Stimme sprach der Geistliche, ein ehrwürdiger Greis im Silberhaar, mit langem weißen Bart, am Schluß den Segen über die Versammlung.

»Brüder!« sagte hierauf der General mit dumpfer, zitternder Stimme, »unsere Zeit ist gekommen! Es ist unmöglich, Euch fortzuschaffen, mit blutendem Herzen verkünde ich's Euch – Ihr müßt hier zurückbleiben.«

Ein tiefes, schmerzliches Ächzen ging durch die traurige Versammlung.

»Wollt Ihr den Feinden Eures Glaubens, den Tyrannen Eures Vaterlandes lebendig in die Hände fallen?«

»Nimmermehr!« rief mit festem Tone Caraiskakis, »Niemals!« wiederholten die beiden Mainoten an seiner Seite und »Niemals!« klang es von verschiedenen Seiten.

»Was wollt Ihr denn? – sprecht – meine Augenblicke sind gezählt!«

»Den Tod! – Den Tod von Bruderhand! – Den Tod für die Freiheit statt der Martern der Barbaren!«

Keine Stimme wagte den festen, stolzen Worten des sterbenden Kapitano zu widersprechen, – der Stolz des Kriegers unterdrückte bei vielen die bleiche Furcht.

»So sei es denn, und mögen Euch Gott und die Jungfrau gnädig sein und Eure unsterblichen Seelen in das Himmelreich aufnehmen. Amen!«

Wiederum winkte er mit abgewandtem Gesicht dem Bischof und der Greis stieg herab, das Allerheiligste in der Hand, und begann mit seinen Diakonen die Reihen der Blutenden zu durchwandeln, und ihnen die Sterbesakramente auszuteilen.

An der Seite seines Neffen kniete der General, Abschied von ihm zu nehmen für dieses Leben. An dessen anderer Seite war Aphanasia, die Griechin, bleich und ruhig, die Hand des dem Tode sich weihenden Helden in der ihren. Mit Befremden blickte der General sie an, als sie nach dem Freunde gleichfalls die Hostie aus der Hand des Priesters empfing und ihre Lippen das heilige Blut berührten.

»Was tust Du, Frau? es ist Zeit, daß Du scheidest von dieser furchtbaren Szene. Entferne Dich, ich werde für Deinen Schutz Sorge tragen.«

Die Frau sah ihn trübe lächelnd an. »Das heilige Sakrament,« sagte sie ruhig und ernst, »das uns einst für das Leben vereinigen sollte, hat uns wenigstens zum Tode verbunden. Trenne die nicht nochmal von dem Manne ihrer Liebe, Grausamer, die Du von dem Manne ihrer Pflicht getrennt hast. Aphanasia Delanyi hat keine Wahl mehr, als zu sterben mit Anastasius Caraiskakis!«

»Wahnsinnige – denkst Du nicht an Dein Kind?«

»Du nahmst ihm den Vater – möge es auch die Mutter vergessen lernen. Bring' es an meiner Statt den Meinen und möge die Jungfrau es segnen.«

»Vertraue mir das Mädchen, Frau,« sagte eine jugendliche Stimme an ihrer Seite, »ich werde es schützen mit meinem Leben, wie ich es auf dem Wege hierher geschützt.«

Es war Bogdan, der junge Czernagorze, der gesprochen, und die unglückliche Griechenfrau nahm eine Perlenschnur und reichte sie ihm.

»Gib sie dem Kinde, und Gott lohne Dir, was Du an der doppelten Waise tust, denn ihr Erzeuger liegt unter den Toten vor der Palanka von Protopapas, wie ich vernommen habe.«

»Bei dem Haupte meines Vaters, das auf den Wällen von Skadar bleicht,« schwor der junge Mann, »Dein Kind soll einst das Weib des Hauptes der Martinowitsch werden, wenn mein Haus ihr genügt!«

Die Griechin nickte ihm freundlich zu und schloß dann den kranken Freund in ihre Arme, sich und ihn mit dem Chlamis umhüllend, und deutete nach dem Bischof.

»Unsere Zeit ist gekommen,« sagte sie, »mögen die Heiligen für Euch bitten, wie sie es für uns tun.«

Der greise Bischof wankte zurück nach der Sakristei, nochmals flehend die Hände gegen den General ausstreckend.

Vergeblich!

»Lebe wohl, Anastasius! lebt wohl, meine Brüder!«

Noch einmal stürzte er an seine blutende Brust, dann riß er sich empor.

Die dunklen Schatten der Nacht hatten sich während der heiligen Handlung auf das Gewölbe gesenkt, nur die ewige Lampe brannte in ihren silbernen Ketten, und vom Hochaltar leuchteten matt die heiligen Kerzen. Dicht zusammengedrängt hatten sich die dem Tode Geweihten.

»Griechenbrüder,« fragte die helle Stimme des verwundeten Kapitano, »seid Ihr bereit?«

»Wir sind es!« Die Worte klangen dumpf und hohl.

»Heilige Jungfrau, erbarme Dich unser! Kreuz und Griechenland – Feuer!«

Die Salve der Klephten donnerte durch das Gewölbe der Kirche und zersprengte die Fenster – dreimal wiederholte sie sich – dann war alles still – der letzte Schrei des Schmerzes war verstummt – einhundertsechsundsechzig Leichen mit der toten, ihrer Liebe gestorbenen Frau bedeckten die Marmorfliesen der Kirche von Metzowo.

Längst hatte der General sie verlassen, und die wilden Klephten, die sich von dem Tode ihrer Opfer überzeugt, waren ihm gefolgt. Aus dem Pulverdampf, der das weite Gewölbe erfüllte, schlich eine einzelne Gestalt vom Altare her, ein junger Krieger in griechischer Tracht mit krausem entstellenden Bart, die Flinte in der Hand. –

Die ewige Lampe warf ihren falben Schein auf ihn, als er unter ihr hinschlüpfte, und wurde zurückgespiegelt von dem blitzenden dunklen Auge. –

Seine Lippen waren rot von Blut.


Das brennende Metzowo leuchtete dem Rückzug des griechischen Generals – viele Bewohner der unglücklichen Stadt, die Rache der siegenden Türken fürchtend, die entsetzlich wüteten in den christlichen Phistans des Gebirges, hatten sich ihm angeschlossen.

Ein griechischer Krieger, am Fuß verwundet und außerdem den rechten Arm in ein Tuch gebunden, war zurückgeblieben von dem Hauptzuge und schwankte, auf die Schulter eines jungen Kameraden gestützt, langsam hinterdrein. Schon am Tore von Metzowo hatte dieser sich zu ihm gefunden und ihn hilfreich unterstützt. Es war derselbe, der zuletzt die Kirche verlassen.

Das Gehen hatte die Schmerzen der Wunde ärger gemacht, nur langsam kam das Paar vorwärts. Dennoch verließ der menschenfreundliche Helfer den verwundeten Mainoten nicht.

»Bei der Panagia,« schwor dieser, »ich wollte, ich läge bei den erschossenen Brüdern in der Kirche von Metzowo, so sehr schmerzt mein Bein, und so sauer wird mir der Weg. Die Heiligen mögen Deine Hilfe lohnen, Panagotti Zanetachi aber wird ewig Dein Freund sein.«

»Gib mir Deine Waffen – sie belasten Dich,« sagte der andere. Zugleich nahm er ihm die Flinte ab und hängte sie um, ebenso das Pistol und den Handjar.

Wiederum wandelte das Paar längere Zeit dahin, nur von den einzelnen Schmerzenslauten des Verwundeten ward das Schweigen unterbrochen.

»Wohin führst Du mich? – wir sind von der großen Straße abgekommen und keiner der Nachzügler ist mehr zu sehen. Wir werden den Türken in die Hände fallen.«

»Ich bin in diesen Gebirgen zu Hause, tapferer Maini, und dieser Pfad kürzt die große Straße und führt über jene Höhen uns wieder mit dem General zusammen. Stütze Dich auf mich.«

Eine halbe Stunde waren sie gewandert, dann warf der Mainote sich erschöpft auf den Boden.

»Du tust wohl daran, es ist Zeit, daß Du ausruhst.«

Der Mond schien hell auf den Berghang zwischen den dichten Büschen von Thymian, wildem Wein und Oleander – durch eine Öffnung leuchtete in der Ferne noch immer das brennende Metzowo.

»Bis hierher,« sagte der Führer. »Es ist Zeit, zu enden.«

»Wie meinst Du das? Willst Du mich hier verlassen?«

»Nicht ich, Mainote – aber Du mich.«

»Ich verstehe Dich nicht. Gib meine Waffen zurück!«

Der Führer lachte hell auf, dann schleuderte er behende Flinte und Handjar in die dichten Büsche und trat, das Pistol in der Hand, vor den Erschrockenen, der sich auf dem gesunden Arm aufrichtete.

»Kennst Du mich?«

»Wer bist Du? – sprich – bin ich in die Hände eines Verräters gefallen?«

Wieder lachte der vermeintliche Grieche höhnisch auf, dann riß er mit einem Griff sich den falschen Bart von Lippen und Wangen, den Fez vom Haupt, und die schwarzen Flechten eines Weibes rollten hernieder, Fatinitzas dunkle, dämonische Augen blitzten schadenfroh den verwundeten Krieger an.

»Weib! Teufel! Was willst Du von mir?«

»Frage Dein schwarzes Herz, Maini, und es wird Dir Antwort geben. Ich habe geschworen, Dein Blut zu trinken.«

»Dämon der Unterwelt – weiche von mir.«

»Du mußt sterben, Maini, wie Deine Brüder gestorben sind, von der Hand der Wölfin von Skadar. Zwei in jenem Turme von Protopapas, auf der Stätte meiner Schmach – einer im Schlachtgewühl vor Metzowo und zwei in der Moschee des Christengottes. Fluch über sie! – Du warst der letzte und bist der letzte – bereite Dich zum Tode!«

Er wollte empor, doch sie hielt das Pistol ihm entgegen. »Du hattest wenigstens Mitleid mit meiner Schmach und warfst den Mantel über meinen entehrten Leib. Darum hab ich Mitleid mit Dir und gönne Dir ein Gebet zu Deinem Propheten. Aber keiner darf leben, der sich der Schmach Fatinitzas rühmen darf. Eile jedoch, die Geister Deiner Brüder erwarten Dich.«

Der Maini, jung, lebenskräftig und mutig, warf sich plötzlich empor und faßte die drohende Feindin. Einige Augenblicke dauerte das ungleiche Ringen, aber es gelang ihm nicht, ihre Hände zu erfassen. Während er ihren Leib umklammert hielt und sie zu Boden zu reißen suchte, fühlte er die kalte Mündung des Pistols an seiner Schläfe, – im nächsten Augenblick zerschmetterte der Schuß seinen Schädel, daß sein Gehirn das dämonische Weib bespritzte.

Diesmal schien sie selbst zu schaudern vor dem grauenhaften Anblick und wandte sich von ihm, ohne den Todten zu berühren.

»Sie sind dahin,« sagte sie dumpf, »und Fatinitzas Schmach ist gerächt! Jetzt, Vater, der Du bereits im Schooß des Propheten weilst, gilt es die Sühne Deines Blutes und den letzten Kampf. Wehe dem Verräter!«

Sie wandte sich nach der Heimat.


Der Verrat Tzavellas' an der gemeinsamen Sache und die Eifersucht Hadschi-Petros, von dem eine Schar von 1000 Mann nahe dem Kampfplatz von Metzowo untätig gestanden, weil sie sich dem Befehl des Generals Grivas nicht unterordnen wollte, rächten sich schwer. Am 25. April erlitt Tzavellas mit 3000 Mann durch Osman-Pascha bei Peta eine vollständige Niederlage und mußte sich nach Griechenland zurückziehen. Fuad-Effendi zog in Janina ein; 8000 Gewehre, welche die russische Regierung für die Griechen in belgischen Fabriken hatte anfertigen lassen, und die bereits glücklich den größten Teil des Weges zurückgelegt, wurden an der sizilianischen Küste von einem englischen Kreuzer aufgefangen und nach Malta gebracht; die albanische Küste war von englischen Schiffen blokiert, im Golf von Volo an der thessalischen Küste schoß eine französische Dampffregatte mehrere mit Freiwilligen besetzte griechische Schiffe in den Grund, und Damoko wurde von Salim- und Schiakir-Pascha entsetzt. Theodor Grivas mit 400 Kriegern hatte sich nach Agrapha zurückgezogen und gab den Kampf auf. Im ganzen Epirus waren die Türken Sieger.

Einen neuen Zuzug zwar erhielt der griechische Aufstand durch das Herbeiströmen der aus dem türkischen Gebiet ausgewiesenen Griechen, von denen allein 20 000 von Konstantinopel und Smyrna auswanderten. Von Athen aus angefeuert und mit neuen Führern versehen, stand ganz Thessalien bald wieder unter Waffen und mit 12 000 Kriegern dem neu ernannten Gouverneur, Ali Rizza-Pascha und seinen 16 000 Mann gegenüber.

Doch alle Anstrengungen des kleinen Griechenland scheiterten an der drohenden Stellung der Westmächte, die sich nicht entblödeten, selbst über die Abdankung des Königs Otto zu verhandeln. Fürst Danilo von Montenegro, der auf seine kühne Proklamation vom 16. März, von dem russischen Agenten, Oberst Kowalenski, angefeuert, 8000 Krieger des Hochlands in Cettinje versammelt hatte, und ebenso Serbien, das bereits in voller Rüstung stand, wurden von Österreich gezwungen, neutral zu bleiben, und so der ganze große Aufstand der slavisch-christlichen Völker, südlich der Donau, unterdrückt, der offenbar sonst der türkischen Herrschaft in Europa ein Ende gemacht und Rußland den Sieg gesichert hätte. Wir haben bereits gezeigt, wie Kaiser Nikolaus die Verbindung mit der Revolution im Norden der Donau und Save zurückgewiesen, sowohl um der eigenen Grundsätze, als um Österreichs willen, das auf diese Weise seine Rücksicht lohnte. Die Karte von Europa hätte sonst sicher – nicht von der Seine, sondern von der Donau aus – eine andere Gestaltung gewonnen.


Madara.

Man kann sich unmöglich darüber täuschen, daß die durch die politischen Verhältnisse hervorgerufene und von Petersburg befohlene Haltung der Russen in den Donau-Fürstentümern und ihre anfänglich viel zu geringe Machtaufstellung das Schicksal des Donau-Feldzuges herbeigeführt haben. Erst nachdem die Absichten der Westmächte selbst der politischen Naivetät klar sein mußten, erhielt am 10. März Fürst Gortschakoff von Petersburg aus die Weisung, sich nicht länger auf die Verteidigung des »genommenen Pfandes« zu beschränken, sondern die Offensive gegen das rechte Donauufer zu ergreifen und diejenigen Punkte zu besetzen, welche allenfalls bei dem weiteren kriegerischen Vorgehen auf feindlichem Boden zu Pivots dienen könnten.

Mit einem Übergang an der Grenze der kleinen Walachei, zwischen Rustschuk und Widdin, hätte die russische Armee die türkische allerdings zu einer allgemeinen Schlacht zwingen und durchbrechen können. Es stand ihr dann, da die feindlichen Festungen dieser Operationslinie (Sistowna, Nikopolis, Rahowa) nur unbedeutend waren, die Hauptstraße im Isker Tal nach Adrianopel offen, und ein Monat hätte sie vielleicht dahin gebracht. Abgesehen aber davon, daß die Türken mehr denn doppelt so stark als 1828 und mit einer Artillerie versehen waren, die sich mindestens mit der russischen messen konnte, war damit der Rücken und die rechte Flanke der schon damals sehr bedenklichen Haltung der Österreicher und ihrem angedrohten Einrücken in Serbien Preis gegeben, und die Verpflegung einer so bedeutenden Armee bei den grundlosen Straßen auf dem langen Landwege um so schwieriger. Die Küsten des Schwarzen Meeres mußten auch hierbei von einem starken Korps besetzt gehalten werden, um eine Operation der Türken und ihrer Alliierten von dieser Seite zu verhindern. Der Aufstand in Griechenland und der erwartete in Montenegro waren noch nicht so weit gediehen, um davon bedeutende Hilfe hoffen zu können.

Der andere Weg war der schon in den früheren Feldzügen gewählte durch die Dobrudscha. Der strategische Plan des türkischen Oberbefehlshabers erleichterte sogar den Angriff auf diesen Punkt, indem Omer, auf die Flotten der Westmächte bauend, sein Hauptaugenmerk und seine Kraft nach der oberen Donau und Widdin-Kalafat geworfen, um die Verbindung mit Serbien und Rumelien zu hindern, und Mustapha-Pascha zur Besetzung der unteren Donau und der Dobrudscha nur 10 Bataillone Nizam, 8 Bataillone Redifs, 3000 Baschi-Bozuks und 4000 Reiter mit 48 Kanonen zur Disposition gestellt hatte. Bei dem Stoß gegen die Dobrudscha behielten zugleich die Russen stets ihre Basis an der Moldau und dem eigenen Gebiet.

Freilich fehlte ihnen diesmal gegen die früheren gleichen Feldzüge die Unterstützung ihrer Flotten und die Beherrschung des Meeres.

Dennoch wurde dieser Angriffspunkt gewählt und zunächst der Übergang an vier Stellen bestimmt.

Mustapha-Pascha erhielt durch die zahlreichen Spione, die sich auch im russischen Lager befanden, bereits am 22. Nachricht von den beabsichtigten Operationen, konnte sie jedoch, obschon er auf sein dringendes Verlangen 6000 Mann Verstärkung erhalten, nicht hindern, da die russische Hauptarmee hier eine Macht von 90 000 Mann hatte.

Am 20. ging Oberst Suroff mit einem Detachement von 2000 Mann durch die Donaufurt, 2 Meilen innerhalb Hirsowa, und setzte sich gegen die zum Schutze der Veste errichteten Schanzen in Bewegung. Sein rascher Angriff wurde durch das Feuer von Kanonenbooten unterstützt, mußte aber, da die Türken wütend kämpften, dreimal erneuert werden. Am 21. waren die Schanzen genommen, am 22. begann die Zernierung, am 23. die Belagerung der Zitadelle Hirsowas. Am 30. morgens wurde sie mit Sturm genommen, nachdem ein Teil durch das Bombardement ein Raub der Flammen geworden war.

Am 23. ließ der Oberbefehlshaber, Fürst Gortschakoff, nachdem am 22. bereits ein lebhaftes Feuer auf die bei Matschin errichteten türkischen Verschanzungen vom linken Ufer aus eröffnet worden, unter dem Schutz von 24 Zwölfpfündern und 6 Achtzehnpfündern eine Pontonbrücke nach birago'schem System bei Ibraila über die Insel vor Gedschid an das rechts Donauufer schlagen, und setzte mit einem starken Korps über. Die Türken zogen sich nach Matschin zurück.

Gleichzeitig schlug General Lüders eine zweite Brücke von Galacz auf das rechte, sumpffreie Ufer zwischen Matschin und Isaktscha und überschritt unter Kanonendonner den Strom mit dem Lublinschen und Samoszkischen Jäger-Regiment und den Infanterie-Regimentern Modlin und Bragasch, nebst Kavallerie und Artillerie.

An demselben Tage erzwang auch auf dem vierten Punkt General Uschakoff nach blutigem Kampf den Donauübergang von Ismael aus, dessen weiße Mauern durch Byrons »Don Juan« gefeiert sind, oberhalb Tultscha, und nahm die türkischen Redouten mit Sturm.

Am 24. wurden bereits Matschin, Isaktscha und Tultscha belagert. Die Besatzung von Matschin, das mit bedeutendem Proviant und Munitionsvorräten versehen war, etwa 6000 Mann, ergab sich am Morgen des 27., nachdem die Festung zwei Tage lang beinahe ununterbrochen mit Bomben beworfen und zwei Mal gestürmt worden.

An diesem Tage fielen Isaktscha und Tultscha, – die Russen befanden sich also am 30. im Besitz sämtlicher festen Punkte an der Donau unterhalb des alten römischen Trajanswalles, der an dem schmalsten Punkt von der Donau zum Meere führt und an der Ersteren von Tschernawoda nach Karassu, an der See von Küstendsche flankiert wird.

Mustapha-Pascha mußte daher die Verteidigung von Babadagh, der Position im Innern der jetzt eingeschlossenen Halbinsel Dobrudscha, so eilig aufgeben, daß sämtliche Vorräte in die Hände der Feinde fielen, und sich auf den Trajanswall zurückziehen.

Nachdem in den ersten Tagen des April auch die Operationen gegen Silistria von Kalarasch aus begonnen hatten, räumte der türkische General vom 6. bis 11. auch Tschernawoda und Karussa, und zog sich auf der Straße nach Basardschick zurück, so daß sich die Russen im vollen Besitz der oberen Dobrudscha befanden. –

Kaiser Nicolaus hatte unterdeß den Veteran seiner Schlachten, den General-Statthalter von Polen, Feldmarschall Paskiewitsch, auf den Kampfplatz beordert und diesem die obersten strategischen Anordnungen übertragen.

Der Fürst traf in den ersten Tagen des April in den Fürstentümern ein und nahm die einzelnen Stellungen der russischen Streitkräfte in Augenschein, zunächst von Kalafat, das General Liprandi jetzt näher zerniert hielt, und wo in den letzten Tagen des März einige blutige Gefechte vorgekommen waren.

Aus dem Helden von Eriwan war aber auch ein Diplomat geworden – es galt nicht mehr Schlachten zu schlagen, sondern auch zu fragen, ob sie geschlagen werden durften?

Der Allianztraktat zwischen Oesterreich und Preußen mußte dem Ersteren eine drohende Stellung in Bezug auf die Fürstentümer geben, und obschon der preußische Kriegsminister, General Bonin, der offene Gegner der russischen Interessen, seinen undiplomatischen Erklärungen bei Beratung der Kreditbewilligung auf die Beschwerde Rußlands bald darauf zum Opfer fiel, war damit die freie Hand Oesterreichs nicht beseitigt. Von den Traktat-Verhandlungen und der verabredeten Sommation gegen die fortdauernde Okkupation der Fürstentümer, hatte natürlich die russische Diplomatie Kunde und diese, sowie die Unterdrückung der Aufstände in Czernagora und den türkisch-griechischen Provinzen, bewogen ihn, schon am 16. dem General Liprandi den Befehl zu erteilen, die Cernierung Kalafats aufzugeben und seine Streitkräfte auf das Ufer des, die kleine von der großen Walachai trennenden Flusses Aluta zurückzuziehen. Sofort wurden die Spitäler aufgehoben und der Belagerungspark in Sicherheit gebracht. Am 23. sammelten sich bereits die Truppen in Krajowa und setzten am 25. ihren Marsch gegen die Alma fort. Die Türken drangen sofort von Kalafat nach, setzten an mehreren Punkten über die obere Donau, und es kam, namentlich am Schyl, zu blutigen Gefechten, in denen meist die Türken Sieger blieben.

Am 16. hatte ein bedeutendes russisches Streifkorps die Donau bei Oltenitza passiert, wurde aber gleichfalls durch die Bajonettangriffe der Türken zurückgeworfen.

Auch in der Dobrudscha war es zu harten Kämpfen gekommen, General Lüders wurde in einem Gefecht bei Tschernawoda am 20. nach einem sechsstündigen Kampf geschlagen und verlor an 500 Tote, 250 Gefangene und 15 Kanonen. Doch mußten die Sieger vor der anrückenden Hauptkolonne der Russen wieder weichen. An der oberen Donau schlug Sali-Pascha die Gegner bei Turnul und Nikopoli, Suliman-Pascha erstürmte Radowan, so daß Ende des Monats die Türken Herren des größten Teils der kleinen Walachai waren. –

Am 27. April war Fürst Paskiewitsch in Kalarasch eingetroffen und die Bewegungen zur Zernierung von Silistria, in der letzten Hälfte des April von General von Schilder begonnen, konzentrierten sich. Nachdem die Verbindung zwischen Kalarasch und den Donau-Inseln hergestellt worden, beschossen die Russen die türkischen Uferbatterien und die türkische Flottille von Silistria. Die Festung, die zwar 179 Geschütze, aber keine Feldbatterie zur Disposition hatte, wurde von Mussa-Pascha anfangs mit nur 9000 Mann verteidigt. Der Sirdar eilte daher, Verstärkungen von Schumla her hinein zu werfen, und ein Teil der Korps aus Kalafat und Widdin wurde zum Ersatz eilig herangezogen.

Am 3., 4. und 5. waren bereits Truppen der Westmächte in Varna eingetroffen.


Es war in der ersten Hälfte des Mai.

Der helle Mondschein goß sein Licht über eine rauhe, wilde Gegend am Paß nach Ternowo auf der Höhe des Gebirges. In tiefen Uferwänden sprudelte ein lebendiger kleiner Gebirgsfluß, üppiges Rankengewächs überdachte die springende, von Stein zu Stein fallende klare Flut, kolossale Felsblöcke rahmten das Ufer ein und zogen sich bis zur hohen Basaltwand, die, mit dichtem Gesträuch bekleidet, emporstieg. Ahorn-, Wallnuß-, Feigen- und Maulbeerbäume umrankt und verbunden durch den kleinblätterigen wilden Wein, füllten mit ihrem frischen Laub die Umgebung, und ihre Blätter zitterten und spielten in phantastischen Effekten, bald im Mondstrahl, bald im langen Lichtschein, der von einer Stelle zwischen zwei mächtigen Felsstücken hervorbrach. Dort lagerte um ein Feuer eine bunte Gesellschaft, wie sie die wilden Verhältnisse des Gebirges und der Zeit zusammengeführt, eine Anzahl Männer und zwei Frauen, letztere hinter dem Kreis der Männer mit einem jungen Mohren mit den Resten des Mahles beschäftigt, das ihre Herren und Gebieter eben gehalten.

Acht oder neun der wilden Gestalten, die um das Feuer saßen, behaglich den Schibuk im Munde und von Zeit zu Zeit die Rakihflasche im Kreise umhergehen lassend, gehörten offenbar, ihrer Kleidung und Bewaffnung nach, zu den freien Bewohnern der Berge, den kühnen und unermüdlichen Feinden der Türken, den Haiduken, mit den weißen wollenen Röcken und dem in zwei lange Flechten geteilten Haar des Hinterkopfes. Um so mehr fiel zwischen ihnen und augenscheinlich ihnen befreundet, die Gestalt eines greisen Moslems auf, in blauen, weiten Halbbeinkleidern und roten Strümpfen, blauer Ärmeljacke und einer hohen, oben breiten, weißen Mütze, mit dem langen, roten Sack. Wer vor dem Juni 1826 Konstantinopel besucht, kannte die Tracht sehr wohl, – es war die der Jenethtschjeri oder Janitscharen, der alten, gefürchteten Krieger des Reiches.

Zur Seite des Buluk-Baschis oder Kapitäns der Haiduken, saßen zwei Europäer, Doktor Welland, der Arzt des Lazaretts von Widdin, und ein französischer Genie-Offizier, Kapitän Depuis, aus der Begleitung des Seraskiers, der in letzter Zeit wieder nach Kalafat gekommen war, um die Verschanzungen gegen die vorrückenden Russen zu verstärken.

Beide waren, bei dem Rückzuge der Russen von Kalafat und der Auflösung der dortigen türkischen Stellung, auf dem Marsch nach dem ersten Bestimmungsort des Arztes, nach Silistria, begriffen und hatten den Weg durch die Gebirge auf Schumla eingeschlagen. Ihre heutige Tagereise hatte jedoch bereits am Nachmittag ein unerwartetes Ziel gefunden, denn der Saptieh, jene Sorte türkischer Spitzbuben von Gendarmen, die als bewaffnete Wachen und Wegführer den Reisenden von Station zu Station begleiten, gewöhnlich aber, wenn ihnen nicht ein größerer Vorteil durch die Ehrlichkeit in Aussicht steht, mit den Räubern des Gebirges zur Plünderung ihrer Schutzbefohlenen in bestem Einvernehmen stehen, hatte sie auf Nebenwege geführt, eine Sache, die bei dem Zustande der Straßen in der Türkei leicht genug ist, und bei dem Erscheinen eines kleinen Trupps von Haiduken spurlos verlassen. Ein Widerstand der beiden Männer und ihrer zwei Diener gegen die wilden Söhne des Gebirges hätte nur nutzlos ihr Leben gefährdet, und so machten sie sich bereits auf eine vollständige Ausplünderung gefaßt, als zu des Arztes Verwunderung der Mohrenknabe Nursah den Anführer der Haiduken anrief und nach einer kurzen Besprechung in türkischer Sprache zu seinem Herrn führte.

»Du bist der fränkische Hekim-Baschi, der in der Locanda des Slowaken Alexo zu Widdin gewohnt hat?« fragte der Capitano.

»Ja. Kennst Du mich?«

»Ich habe Dich oft gesehen, wo Du mich nicht sahst, und weiß, daß Du ein Bulgare und unser Freund bist. Ich bin Michael Miloje, der Schwiegersohn des Handscha Gawra vor dem Tore Widdins, und weiß, daß Du der Mutter meines Weibes beigestanden in schwerer Krankheit und für den Handscha gesprochen hast bei dem Vali (Gouverneur) von Widdin. Sei mir gegrüßt, Bruder, Du und die Deinen, Ihr seid sicher unter dem Schutze Milojes und werdet seine Gastfreundschaft nicht verschmähen.«

Obschon der Arzt sich des Haiduken nicht erinnerte, war dessen unerwartete Umwandlung in einen Freund doch viel zu willkommen, um sie nicht zu ergreifen, und wiewohl die Reisenden gern ihren Weg fortgesetzt hätten, mußten sie sich doch bequemen, die gebotene Gastfreundschaft des Haidukenführers anzunehmen und ihn in das Innere des Gebirges zu begleiten.

Die kleine Karawane wandte sich demnach, unter Führung Milojes auf ungebahntem Weg zwischen Felsen und Gestrüpp nach der Höhe der Berge und kam nach einem Marsche von etwa einer Stunde auf dem prächtigen Felsenhang an, auf dem die Schar ihr fliegendes Lager aufgeschlagen und von wo sie in einzelnen Streiftrupps die jetzt sehr belebte Straße durch die Pässe belästigte und häufig selbst größeren Abteilungen der Türken ernste Scharmützel lieferte.

Da fast alle Mitglieder der Gesellschaft auf solchen Streifereien nach der Niederung entfernt waren, fanden sie unter den von Strauchwerk, Fellen und Stangen flüchtig errichteten Hütten nur Marutza, jetzt nach der kühnen Entführung, die Frau des Führers, und das Weib eines anderen Haiduken, neben dem oben beschriebenen alten Janitscharen und einem anderen Mann.

Alsbald wurden Anstalten zum Mahle gemacht, das aus dem unvermeidlichen Nationalgericht, dem Gaourt (geronnener saurer Milch) und der Hälfte eines in einer Grube gerösteten Schafes bestand. Hier, in den Öden des Gebirges, hörten die Reisenden die neuesten Nachrichten von dem augenblicklichen Schauplatz der Kämpfe.

Mit Triumph erzählte der Bulgar von der Übergabe Matschins mit einer frischen Garnison von 6000 Mann und guten Wällen an seine Freunde, die Russen. Im ganzen Volke und selbst in der Armee war damals die Fabel verbreitet, daß Omer-Pascha eine ungeheure Belohnung von den Russen bekommen, um Kalafat an sie zu verraten, und daß eben deshalb Achmet-Pascha, sein Freund, so träge und tatenlos sich in den großen Verschanzungen gehalten habe. Der Plan sei aber dadurch vereitelt worden, daß man außerhalb der Schanzen einen Brief Achmet's an den russischen General gefunden, worin er diesem die Stunde angab, in der ihm Kalafat überliefert werden sollte. Skender-Pascha, Mustapha-Pascha und Ismaël-Pascha hätten sich dem Verrat widersetzt und so sei Omer genötigt worden, seinen Freund Achmet im Kommando durch Halim-Pascha zu ersetzen und ihn als Generalstabschef zu sich nach Schumla zu berufen, worauf er alsbald die Russen am anderen Ende der Donau bei Matschin ins Land gelassen habe. In dieser Weise wurde die kluge Defensive des Muschirs in der ganzen Türkei ausgelegt und von seinen vielen Feinden in der alttürkischen Partei selbst in Konstantinopel verbreitet. Es ist bekannt, daß sein erbitterter Gegner, Riza-Pascha, auf die Nachricht von der Einnahme Matschins ein Gastmahl gab und sie seinen Gästen mit den Worten verkündete: »Ich habe es immer gesagt, der Dschaur wird uns die Dschaurs ins Land herein lassen!« –

Da Welland während des Jahres seines Aufenthaltes in der Türkei bereits ziemlich gut die türkische Sprache erlernt hatte und auch der lustige französische Kapitän das Kauderwälsch der Lingua Franca einigermaßen handhabte, ging die Unterhaltung ziemlich geläufig von Statten. Der Arzt und der Franzose mußten von den fernen Ländern erzählen, denen sie angehörten, und der erstere benutzte die Gelegenheit, möglichst viel von den Sitten und Gebräuchen des Volkes zu erfahren, unter welches das Schicksal ihn geführt.

Ihm gegenüber saß ein Mann im mittleren Alter, dessen keckes, mit mehr als einer Narbe bedecktes Gesicht von dem abenteuerlichen Leben zeugte, das er geführt, und den die Fremden bei ihrer Ankunft im Lager dort und im Gespräch mit dem alten Janitscharen gefunden hatten. Er sprach fertig italienisch, und seine Reden zeigten, daß er weit in der Welt umhergekommen. Auf sein Befragen erfuhr der Doktor, daß er einer jener Kiradschias sei, die als Agenten, Hausierer oder Spediteure der Großhändler alle Provinzen durchstreifen, bis nach Syrien, ja bis zum Kaukasus hin Waren an bestimmte Handlungshäuser befördern und von da auf ihren kleinen Balkan-Pferden und Kameelen neue Ladung mitbringen, häufig auch Hausiergeschäfte auf eigene Hand machen. Diese Menschen zeichnen sich durch ihre erprobte Ehrlichkeit aus; eher könnte man die Sonne von ihrer Bahn ablenken, als die Kiradschias vom Wege des Rechts, das heißt jenes Rechts, das unter diesen Völkern als solches gilt, denn sie kaufen und vertreiben eben so gern die »ehrlich« erworbene Beute der Räuber, was freilich nach unseren Begriffen für Hehlerei angesehen werden würde. Als weit gereiste Leute haben sie immer höchst interessante Abenteuer zu erzählen: bald serbische, walachische und moldauische Hofintriguen, bald Klatschereien von den Höfen zu Kairo, des Paschas von Bagdad und der Drusen- und Maronitenhäupter; bald wilde Räuberzüge und Kämpfe am Kuban oder aus den Öden der arabischen Wüste; kurz, sie sind das Orakel der Dorfbewohner und die Vorsehung der umherstreifenden »Freien« im Balkan, wie am Libanon. Sie kaufen zu ehrlichen Preisen ihren Raub und liefern ihnen Pulver, Waffen und alle sonstigen Bedürfnisse.

Paswan, der Kiradschia, war seit einer Woche bei der Bande des Michael Miloje, und seine Vertraulichkeit allen Mitgliedern gegenüber zeigte, daß er hier ein häufiger, sein wohlgefülltes Gepäck, daß er ein willkommener Gast sei. Er wollte am anderen Morgen zugleich mit den Fremden aufbrechen und diese bis Schumla begleiten, und er erzählte jetzt bei dem dolce far niente am Feuer von seinen Wanderschaften.

Ein zufälliges Lüften seiner Kopfbedeckung hatte den Fremden gezeigt, daß er sein linkes Ohr eingebüßt, und es war den scharfen Augen des Kiradschias nicht entgangen, daß dies bemerkt worden sei.

»Ihr müßt nicht denken, Franken, ich sei auf schlimme Weise um mein Ohr gekommen,« sagte er. »Es ist ein Andenken an diese Berge und an meine Knabenzeit, und wenns Euch gefällt, will ich Euch erzählen, warum ich Paswan, der Einohrige heiße.

In den Felsenklüften des Balkan wohnt neben dem Eber, dem Hirsch und dem Wolf auch der Bär, und er ist für die zahlreichen Hirten unseres Landes das gefährlichste Tier. Er ist der Feind des Bulgaren, denn wenn er ein Rind oder ein Pferd zu Boden reißt, so muß der Bulgare es dem Spahi ersetzen. Schon von meiner frühesten Jugend an half ich meinem Vater die großen Herden hüten, die seiner und eines seiner Vettern Aufsicht von dem Kiaja anvertraut waren. Unser Vetter hatte einen Knaben, der in meinem Alter war, – ich hatte dreizehn Winter gesehen, – wo er jetzt ist? Gott allein weiß es, und wir beide hüteten gewöhnlich gemeinschaftlich eine Herde von Pferden an dem nördlichen Abhange des Gebirges, von dem der Osma herabströmt, eine Tagereise von Ternowo, der heiligen Stadt unseres Landes, wo die Gräber unserer letzten Krals sind.

Seit einiger Zeit hatte eine Bärenfamilie, die in der Tiefe des Gebirges ihr Lager zu haben schien, den Herden unsers Celo arg zugesetzt und bereits mehrere Pferde zerrissen. Vergeblich waren alle Streifzüge, welche die Männer der Gegend nach den Schluchten unternommen hatten; eines Abends aber kam, während ich mit meiner Herde am Fuße der Berge weidete, Weliko, mein junger Vetter, auf seinem besten Schimmel angejagt und ich konnte schon an seinem frohen Aussehen merken, daß er eine besondere Kunde auf dem Herzen habe. Er war am Morgen ins Gebirge geritten, um eine entlaufene Stute wieder aufzusuchen. – ›Paswan,‹ sprach er zu mir, indem er vom Pferde sprang, ›wenn Du Mut hast, können wir das Schußgeld für einen Bären verdienen. Aber Du mußt mir versprechen, daß Du keiner menschlichen Seele ein Wort sagst, sonst behalte ich für mich, was ich gesehen habe.‹ – Ich schwor ihm dies bei der Sweta-Horata hoch und teuer, und der Junge, er war kaum ein halbes Jahr älter als ich, erzählte mir nun, daß er ganz nahe an unseren Weideplätzen zufällig auf einem Felsen das Lager eines Bären entdeckt habe, das unsere Jäger so weit im Gebirge gesucht haben.

Er hatte bei dem Suchen des Pferdes den Bären gesehen und war ihm gefolgt, bis er sich fest überzeugt, daß das Tier sein Lager gefunden. Auf die Klauen eines erwachsenen Bären waren damals von der Regierung 50 Piaster gesetzt, auf die der Jungen die Hälfte; außerdem hatte das Fell einen guten Preis, und wir Bursche glaubten in unserer Dreistigkeit, uns das Geld so gut verdienen zu können, wie ein alter Jäger, und machten danach unseren Plan, indem wir beschlossen, am anderen Tage das Lager aufzusuchen.

Die Heiligen seien mir gnädig, aber ich war damals ein wilder Bube. Mein Vater hatte eine alte Trombole in seiner Hütte – er ist längst im Paradiese, wie mir der Papa gesagt, der mich schwere Dukaten dafür zahlen ließ – und niemand achtete mehr darauf. Weliko, mein Vetter, übernahm es, seinem Vater Pulver und einige Kugeln zu stehlen, während ich das Gewehr beiseite zu bringen versprach. Nachdem wir alles aufs beste verabredet, trennten wir uns; ich trieb meine Pferde in den Pferch, und es gelang mir glücklich, die Trombole wegzubringen und in der kleinen Hütte von Weidengeflecht zu verbergen, in welcher ich gewöhnlich mitten unter den Pferden die Nächte zubrachte. Als ich am anderen Morgen mit Hilfe meines Vetters die mir überwiesene Herde ausgetrieben und dieser sich mit der seinen nach der anderen Seite entfernt hatte, kehrte ich rasch zurück und holte mir das Gewehr. Es war am Mittag, als Weliko zu mir stieß, der einen anderen Buben beredet hatte, während unserer Abwesenheit die Pferde zu beaufsichtigen und sie nötigenfalls heimzutreiben. Wir machten uns daher sofort auf den Weg nach der Richtung, in der Weliko das Lager des Bären wußte, ohne daß eine menschliche Seele weiter von unserem Anschlag erfahren hatte. Unterwegs luden wir das Gewehr mit dem ganzen Pulver, das mein Vetter gestohlen, und zwei Kugeln und füllten die Mündung außerdem bis an den Rand auf mit Kieselsteinen. Triumphierend schleppten wir die Waffe auf unseren Schultern und stiegen so die Berge und Felsen hinauf. Die Sonne war bereits stark im Sinken, als wir uns endlich dem von Weliko bezeichneten Platze näherten. Der Felsen, auf dem er sich befand, war ziemlich hoch und mit dichtem Gestrüpp und Buschwerk bewachsen. In diesem krochen wir fort, bis wir eine ziemlich freie Stelle erreichten, wo mich Weliko festhielt, und nach dem Hintergrund zeigend, an dem eine hohe Felswand den Platz abschnitt, mir zuflüsterte, daß dort das Lager des Bären sei. Wir lauschten eine Weile, ohne indes eine Spur von der Bärin zu merken, und faßten endlich Mut genug, uns näher an das Lager zu wagen. Hier trafen wir richtig in einer Vertiefung des Felsens und in einem von Buschwerk und Gras förmlich zusammengebauten Nest zwei junge Bären, etwa sechs Wochen alt, die munter wie Kätzchen mit einander spielten. Wir berieten, ob wir nicht lieber mit diesem Fang uns begnügen und eilig das Weite suchen sollten und waren dazu schon entschlossen, als uns ein leises Brummen vom Fuße des Felsens herauf die Gewißheit gab, daß die Bärin in der Nähe und uns also der Rückweg abgeschnitten war. Es blieb uns demnach nichts übrig, als an unserem ersten Plan festzuhalten und nach der Bärin zu schießen. Wir sahen uns zunächst nach einer geeigneten Stelle um, von der wir unbemerkt das Tier belauschen und unsern Schuß anbringen könnten, und glaubten eine solche hinter einem Felsblock gefunden zu haben, an dessen Seiten ein junger Wallnußbaum in die Höhe wuchs. Schon vorher war großer Streit zwischen uns gewesen, welcher von uns beiden den gefährlichen Schuß tun solle; ich behauptete, das Anrecht darauf zu haben, weil ich das Gewehr geschafft, Weliko dagegen, weil er Pulver und Blei geliefert und der ältere war. Trotz unserer wenig sicheren Lage zankten wir uns daher jetzt aufs neue, als plötzlich ein lautes Brummen, eben nicht mehr sehr weit von uns entfernt, dem Streit ein Ende machte und ich erschrocken das Gewehr fahren ließ, das in Welikos Händen blieb. Wir waren kaum hinter das Felsstück gekrochen, als wir von der anderen Seite die Bärin herauftraben sahen, die zuerst nach ihren Jungen ging, gleich wie eine Baba besorgt nach den Kindern schaut, dann aber schnüffelnd auf unser Versteck zukam. Ich rief Weliko zu, fest zu zielen und sich nicht zu übereilen; doch die Furcht mochte ihn in diesem Augenblick auch wohl stark erfaßt haben, und die Trombole entlud sich alsobald mit einem großen Knall und mit einem durch die unvernünftige Ladung so heftigen Stoß, daß er uns beide, die wir dicht an einander kauerten, zu Boden warf. Der Bär zuckte zusammen und hob sein linkes Vorderbein in die Höhe, das von dem Schuß ganz zerschmettert war; außerdem hatten wir ihn aber auch nicht weiter verletzt. Zugleich sprang Weliko auf, warf die Flinte von sich und begann so eilig als möglich das Felsstück und den jungen Nußbaum hinaufzuklettern; ehe ich aber noch aufstehen und ihm folgen konnte, war das Tier bereits zur Stelle und hob sich auf den Hinterfüßen an dem Baum empor. Sie können denken, daß dies nicht wenig dazu beitrug, die Schnelligkeit meines Vetters zu vermehren, der mich so kläglich im Stiche ließ. Meine Lage war in der Tat schlimm genug, denn jede Bewegung mußte sofort die Aufmerksamkeit der Bestie auf mich ziehen. Der Bär gab auch bald den Versuch auf, den Baum zu erklettern, wahrscheinlich weil er mit seiner zerschossenen Pranke nicht mehr fort konnte, und wandte sich nun gegen mich. In diesem Augenblick, Gott allein weiß es, wo ich ganz rat- und hilflos war, fuhr mir plötzlich die oft gehörte Erzählung durch den Sinn, daß der Bär nie einen toten oder odemlosen Menschen berühren soll, und indem mich das Tier bereits mit der Schnauze anstieß, beschloß ich, mich tot zu stellen und hielt den Atem an. Ich konnte, indem ich die Augen geschlossen hielt, den heißen Atem des Tieres und seine feuchte kalte Schnauze auf meinem Gesicht fühlen und nur mit Anstrengung aller Willenskraft gelang es mir, die Augen geschlossen zu halten. Schon fing die Kraft, den Atem zu halten, an, mir auszugehen, als ich mich plötzlich von der gesunden Tatze der Bestie gestoßen und mich um und um gerollt fühlte. Das wiederholte sich mehrere Male, bis mir die Luft völlig ausging und ich es nicht länger auszuhalten vermochte. Ich öffnete daher zugleich Mund und Augen und sah mich zu meinem Entsetzen dicht am Abhange des Felsens, der hier in einer fast senkrechten Wand wohl über fünfzig Ellen tief in eine Schlucht fiel. Das boshafte Tier hatte, keinen Atem an mir spürend und dennoch mißtrauisch, versucht, mich mit seiner gesunden Tatze an den nahen Abhang zu rollen und gab mir eben den letzten Stoß, der mich hinunter werfen sollte. In der Todesangst faßte ich zu und ergriff im Fallen glücklich die wunde Klaue der Bärin. Der Ruck meines Falles war so heftig, daß ich meinen dicht am Abgrund stehenden Feind mit hinunter riß und er nur noch Zeit hatte, sich mit der rechten gesunden Klaue an einer vorlaufenden Wurzel des Randes festzuklammern. Er brüllte grimmig vor Schmerzen in dem wunden Bein, an dem ich mich festhielt, und versuchte vergeblich, nach mir zu schnappen, oder mit seinen Hinterfüßen an der glatten Felswand einen Halt zu fassen; während dem gelang es mir, mit den Beinen und Armen den Rücken des Bären zu umklammern und so einen besseren Halt zu gewinnen. Ich rief Weliko aus allen Kräften zu, mir zu Hilfe zu kommen, sah ihn aber nur von dem Gipfel des Baumes herunterrutschen und hörte ihn dann eilig davonlaufen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, mir in meiner gefährlichen Lage beizustehen. Der Bär bemühte sich nun, mit seiner linken Pfote gleichfalls den Felsrand zu fassen, doch ließ ihn der Schmerz der zerrissenen Muskeln nicht dazu kommen. Dagegen sah ich, daß seine Kraft unmöglich lange die doppelte Last an seiner Tatze würde tragen können und glaubte uns beide in wenig Augenblicken schon zerschmettert auf dem Grunde der Schlucht. Meine Augen rollten in der verzweifelten Lage hilfesuchend umher, als sie plötzlich, etwa sechs Fuß unter mir und etwas zur Seite auf einen dort aus der Felsenritze hervorgewachsenen, jedoch vom Sturm wenige Fuß über dem Boden abgebrochenen jungen Baum fielen. Ich begriff im Augenblick, daß hier die einzige Möglichkeit der Rettung lag, und ohne mich weiter zu bedenken, ließ ich mich an dem Körper des strampelnden und arbeitenden Tieres hinunter gleiten. Während ich den nach der Seite des Baumes hin gerichteten Hinterfuß umklammert hielt, suchte die Bestie mich mit dem anderen von sich abzustreifen und riß mir dabei mit der Klaue das linke Ohr vom Kopfe, verletzte mich auch sonst im Gesicht und an den Armen, daß meine Kleidung ganz zerfetzt war, und das Blut aus vielen Wunden und Schrammen herausfloß. Dennoch gelang es mir, mit meinem Fuß den Stamm des Bäumchens unter mir zu erfassen und, mich allen Märtyrern empfehlend, ließ ich den Bären los und mich rittlings auf den neuen Stützpunkt niedergleiten. Der Stamm war glücklicher Weise zähe und fest genug, um den Stoß und meine Last zu tragen, und ich fand mich, auf ihm reitend, in einer, wenn auch nicht sehr bequemen, doch wenigstens vorläufig gesicherten Lage. Ich schaute nun nach meinem Feinde hinauf und bemerkte bald, daß, obschon von meinem Gewichte befreit, seine Kraft doch nicht mehr zureichte, ihn länger zu halten. Nach einem letzten, verzweifelten Versuch, empor zu klimmen, ließ die Tatze los. und der Bär stürzte dicht neben mir und mich im Falle berührend, in den Abgrund, aus dessen Tiefe sein Aufprallen dumpf emporschallte. Gott gab es, daß ich mich in dem verhängnisvollen Augenblick fest an meinen Sitz geklammert hatte, so daß mich die streifende Masse nicht aus dem Gleichgewicht brachte. So war ich nun zwar meines grimmigen Feindes los, doch meine Lage wahrlich nicht um vieles besser; denn vom Blutverlust und von der Angst ermattet, saß ich hier zwischen Himmel und Erde auf einem schwankenden Baumstamm, der jeden Augenblick nachgeben konnte, und ohne fremde Hilfe war es mir unmöglich, den Felsenrand zu gewinnen, der mehr als fünf Ellen über mir lag.«

»Der lose Mund der Weiber hat Dir also mit Unrecht nachgesagt,« meinte Miloje, indem er gleichmütig den Schibuk aus dem Munde nahm, »daß die Moslems Dir in Konstantinopel das Ohr abgeschnitten, weil Du ihnen falsches Gewicht verkauft!«

»Fluch über sie!« murrte der Kiradschia ärgerlich, indem er nach dem Handjar in seinem Gürtel faßte. »Ich wollte, es wagte es ein Mann, um ihm die Lästerzunge auszureißen.«

Die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme des alten Janitscharen, lachte bei dem listigen Augenzwinkern des Anführers, aber Kapitän Depuis, der sich als Jäger für die Geschichte interessierte, bat eifrig den Gekränkten, fortzufahren. Nachdem er ein paar lange, beruhigende Züge von Rauch aus Mund und Nase von sich geblasen, erzählte er weiter:

»Gott weiß es, mir war schlimm zu Mute, aber ich hoffte, daß Weliko, obgleich er mich so feig verlassen, bald mit herbeigeholter Hilfe zurückkehren werde, um mich aus meiner verzweifelten Lage zu befreien, und suchte unterdeß eine möglichst bequeme Stellung anzunehmen, das Blut zu stillen und den Kopf mit einem Lappen meiner Kleider fest zu umbinden. Aber Zeit auf Zeit verging, die Sonne war schon gesunken und der Mond warf bereits sein Licht über die Felsen, ohne daß sich von Weliko oder einer menschlichen Hilfe etwas sehen ließ, und mein Geschrei verhallte ungehört im öden Gebirge. Dagegen kam es mir vor, als hörte ich ein leises Brummen immer näher und näher kommen, und bald konnte ich mich nicht länger täuschen, der Bär, an den wir gar nicht gedacht hatten oder der nach seiner Gewohnheit auf eigene Hand jagend entfernt gewesen war, befand sich in der Nähe und kehrte zu seiner Familie zurück. Das Brummen erscholl jetzt laut und als ich empor blickte, sah ich über dem Rand des Felsens den Kopf des Tieres hervorragen, das mich mit grimmigen Blicken und die Zähne nach mir hinunterfletschend, betrachtete. Es war der Blutwitterung seiner Gefährtin gefolgt und fand mich hier in meiner hilflosen Lage; freilich war ich außerhalb des Bereichs seiner Klauen und Zähne, aber schon der grimmige Anblick des Tieres, wie es so auf mich hinstarrte, war hirnverwirrend, und ich mußte alle Kraft aufbieten, um meinen Verstand zu behalten. Ich schloß die Augen und blieb lange stumm sitzen; wenn ich aber unwillkürlich, ja, halb gezwungen, wieder emporblickte, sah ich stets über mir den Rachen des Bären und seine grünlich gleich leuchtenden Käfern funkelnden Augen. Stunde auf Stunde verging so in dieser entsetzlichen Lage, ohne daß mein Feind wich, endlich tauchte das erste Morgengrauen über die Felsen und Wälder auf. Mit allen Gebeten an Gott und die Heiligen, die ich irgend auswendig wußte, begrüßte ich das Licht und schöpfte neue Hoffnung, als ich das Tier sich jetzt bedächtig zurückziehen sah. Aber es geschah nur, um einen ebenso boshaften wie wohlüberlegten Plan vorzubereiten, und es sage mir keiner, daß der Bär nicht Verstand hat, er hat mindestens so viel wie ein Türke. Es dauerte nämlich nicht lange, so kam mein Gegner zurück und trug in seinen Vordertatzen einen Stein, den er über den Felsrand nach mir herunterstieß. Das wiederholte er mehrere Male, zum Glück aber waren die Steine entweder klein, oder es gelang mir, durch Bewegungen nach rechts oder links ihnen auszuweichen, so daß ich nur unbedeutend beschädigt wurde. Jetzt aber hörte ich deutlich, wie die Bestie sich bemühte, ein größeres Felsstück zu der Stelle zu schieben und in meiner Angst schrie ich laut auf als plötzlich ein Schuß und ein Freudengeschrei diesem Hilferuf antwortete, worauf noch ein zweiter Schrei und ein Schmerzensgebrüll des tödlich getroffenen Bären folgte, und mein Vater mit mehreren Nachbarn an den Rand des Felsens geeilt kam und mich so unverhofft in meiner freilich kläglichen Lage wieder erblickte. Sofort wurden mir Stricke zugeworfen, die ich um mich knotete und an denen man mich in die Höhe zog. Ich war so schwach, daß ich nicht stehen konnte, und man mußte mich die Felsen hinunter bis dahin, wo die Pferde hielten, tragen.

Alle hatten mich längst verloren und nur meine Gebeine zu finden geglaubt,« fuhr der Kiradschia nach einer kleinen Pause und einem tüchtigen Schluck Rakih fort, »aber Gott und die Heiligen hatten es anders gewollt. Weliko hatte sich nach seiner Flucht still nach Hause geschlichen und dort, ohne ein Wort zu sagen, voll Angst über das angestiftete Unheil versteckt. Erst als ich bei Einbruch der Nacht noch nicht wieder erschienen, wurde mein Vater aufmerksam. Er ging nach dem Pferch und fand zwar die eingetriebenen Pferde, aber mich nicht. Erst später gelang es ihm, zu ermitteln, wer diese zurückgebracht und der Bursche erzählte nun, daß er mich und Weliko mit einer Flinte habe nach dem Felsen gehen sehen. Weliko wurde endlich aus seinem Versteck hervorgeholt und eine tüchtige Tracht Schläge brachte ihn bald zu dem Bekenntnis unseres Unternehmens und des ganzen Vorganges, wobei er denn angab, daß er erst dann geflohen sei, als er mich hätte von der Bärin zerreißen sehen. Mein Vater und die Nachbarn brachen alsbald auf und schleppten ihn mit sich bis zu der bezeichneten Stelle, wo sie glücklich noch zur rechten Zeit eintrafen. Den mit so vielen Gefahren verdienten Preis für die beiden Bären und die drei Jungen erhielten nun freilich weder Weliko noch ich, sondern den steckten wohlweislich unsere Väter ein. Dafür aber wurden wir beide, nachdem erst mein Kopf geheilt war, noch weidlich ausgepeitscht, zur Warnung, daß es uns nicht wieder einfallen möge, auf eigene Hand auf die Bärenjagd zu gehen. – So bin ich um mein Ohr gekommen!«

»Und zu einer Tracht Schläge,« sagte Miloje. »Schade, daß Du nicht Jäger geworden bist!«

»Gott wollte es so,« meinte der Erzähler seufzend. »Ich habe später manchen Bären geschossen, aber es hat mir keiner so viel Angst gemacht, und bei jedem dachte ich an die Prügel, die mir mein Vater gegeben. Es war ein echter Bulgare, mögen die Heiligen gut gegen ihn sein.«

»Wallah!« sagte der Janitschar, »was hilft es zu klagen, wir müssen alle sterben. Mir ist der Tod näher als Dir gewesen, und ich bin ihm entgangen. Das Schicksal wollte es, und da sitze ich auf meine alten Tage, der ich ein Länderbesitzer war und ein Haus in Konstantinopel hatte, und rauche mit den Djaurs!«

»Erzähle uns, Effendi,« bat der französische Kapitän. »Meinst Du Dein Entwischen bei der Niedermetzelung der Janitscharen? – Ich wünschte schon lange den Hergang etwas umständlicher zu erfahren, als damals die Zeitungen meldeten und die Bücher erzählen.«

»Mashallah,« entgegnete der alte Türke melancholisch, »was ich Euch erzählen will, Fremdlinge, regt eine Wunde in meinen Eingeweiden auf, die das Alter und fast dreißig Sommer nicht haben schließen können. Allah sende ihm Unglück, der dies getan – es liegt Staub auf dem Grabe des Großherrn Mahmud und die Inglis und Franken wären nimmer nach Stambul gekommen, wenn die heiligen Ortas nicht vertilgt worden wären aus dem Strahl der Sonne! – Der Prophet zürnt mit den Gläubigen und hat ihr Land in die Hände der Dschaurs gegeben.

»Wißt Ihr, wer mit Euch spricht, Fremdlinge? Melek-Ibrahim, der Oda-Baschi (Leutnant) der Zagrandschis von der 64. Orta (Unterabteilung) des heiligen Stambul.

»Ich hatte ein Weib genommen und zwei tscherkessische Sklavinnen, denn mein Einkommen war reichlich und der Tschor-Baschi (Hauptmann der Orta) mein Freund. Wir wohnten in einem eigenen Hause in Cassim-Pascha (Vorstadt Konstantinopels) und nur im Sommer zog ich alljährlich nach dem Balkan auf mein Spahilik, das ich von Selim, meinem Bruder, geerbt im Ejalet (Gouvernement) von Widdin. Mein Weib und die Sklavinnen vertrugen sich anscheinend gut bis auf kleine Zänkereien, denn ich führte kräftig den weißen Stab und litt es nicht, daß die Frauen mir in den Bart lachten. Zwei Kinder erfreuten mein Herz, ein Knabe und ein Mädchen, die mir beide meine Lieblingssklavin geboren, denn mein Weib war unfruchtbaren Leibes. Irene, die Mutter meiner Kinder, war schön wie die guten Geister, die den Gläubigen umschweben. Ihr Antlitz war wie die Mandelblüte und ihre Lippen glichen den roten Granaten.

»Aber das Kismet läßt sich nicht abwenden. Schwarze Wolken zogen auf am Himmel der Jenethtschjeri und das Antlitz des Großherrn verdunkelte sich gegen seine tapferen Kinder vor den Einflüsterungen falscher Franken, und man nahm uns unsere Rechte und wollte uns zwingen, zu fechten gleich den Christen.

»Der Bluttrinker hatte den Nizam gemacht und die Topschis (Artilleristen), die unsere Feinde und Neider waren von Anfang an. Es kam damals viel Unheil über die Müsselmans, denn alles sollte anders werden, als die Väter hinterlassen, und der Großherr haßte uns, weil wir dem widerstanden und man ihm fälschlich hinterbracht, daß viele aus den Orta's des Buluk (Hauptabteilung) den Glauben des Propheten schmähten und heimliche Christen wären.«

»Fluch über die Gräber der Lügner!«

»Ich wohnte, wie gesagt, im eigenen Haus, wie viele meiner Brüder, und nicht in der Oda (Kaserne) unseres Korps. Aber täglich war ich bei meiner Orta und wußte, was vorging. Es war im selben Mond, den wir jetzt schreiben, im Jahre Zwölfhundertvierundvierzig der Hedjira (1826) als der Bluttrinker die neuen Krieger machte, die man Askeri-Muhammedije nannte. Wir sollten unsere Kaserne hergeben oder alle in ihr wohnen, keine Reiskuchen mehr vor den Toren des Divans erhalten, und andere Führer haben, als die wir selbst erwählt.

»Der Aga der Jenethtschjeri war ein Verräter, ohne daß wir es wußten, und er hatte uns dem Hunkiar längst verkauft, bevor wir es ahnten. Aber der Kjetchuda-Bey (zweiter Befehlshaber) Mohamed und sein Kul-Kjetchuda (Oberleutnant) waren treue Jenkridscharis und standen zu uns mit ihrem Blut. Es war am Abend des 13. Juni, als ich, zu meiner Oda vor dem Tore kommend das nach Therapia führt, die kupfernen Kessel ausgehängt und die Männer des Buluk in wilder Aufregung fand. (Zeichen einer Versammlung). Ein Hat (Befehl) war verkündet worden, worin uns Hussein-Aga befahl, die Waffen, die wir schon längst nicht mehr tragen durften in den Straßen Istambuls, abzuliefern ins Arsenal, und daß ein jeder sich einschreiben lassen solle in die Bataillone der Askeri-Muhammedije, oder keinen Sold empfangen werde, wie Sultan Orkan seligen Angedenkens doch bestimmt hat. Da zerrissen wir unsere Jacken und schwuren bei den Kesseln, daß wir den Schimpf und die Unterdrückung nicht länger dulden wollten. In allen Oda's Konstantinopels waren die Koridschi's (Janitscharen, die in Konstantinopel standen) diese Nacht versammelt und es kamen und gingen Boten von einer zur anderen. Als der große Halbmond der Aya-Sophia gerötet war vom ersten Sonnenstrahl, da zogen von allen Seiten herbei die Orta's: die Zagrandschi's oder Aufseher über die Hunde, die Samsondschi's, die Aufseher über die Bullenbeißer, die Tumandschi's, die Wächter der Windhunde und Falken, und die Orta's der Sumangs, der Schützen. Am Platz der Oda, die der gesegneten Moschee der Fürstin Schekzade gegenüberlag, stießen die Orta's zusammen und die Straßen waren von mehr als zwanzigtausend Jenethtschjeris gefüllt. Dann erhob sich eine Stimme aus der Menge und rief uns auf, zum Palast des Hussein-Aga zu ziehen, der uns verraten, und von ihm unsere Rechte zu fordern. Der Palast lag unfern des Turmes der Feuerwächter und wir zogen dahin und zerstörten ihn, bis er der Erde gleich war. Dann nahmen wir den Weg gegen das Serail und lagerten vom Horn bis zur goldenen Pforte und forderten Gerechtigkeit von dem Großherrn.

»Wir waren die Herren von Konstantinopel, aber wir waren Kinder in unserem Willen und Staub vor dem Hauch der Verräter. Die Boten des Sultans erschienen vor uns und verkündeten uns, daß alle Beschwerden untersucht und abgestellt werden sollten, wenn die Ortas sich in ihre Kasernen zurückziehen und dort verhandeln wollten. Wir glaubten den Versicherungen und gingen, obgleich viele von uns ein bedenkliches Gesicht machten, denn sie wußten, daß die Topschis, unsere Feinde, bereit standen, und die Schiffe des Kapudan, mit dessen Galiondschis wir stets im Streit lagen, hatten sich vor die Stadt gelegt. Dennoch gehorchten wir dem Befehl unserer Führer. Fluch dem Teufel, der uns blendete, es war unser Verderben. Das Schicksal wollte den Untergang der Jenethtschjeris.

»Während wir in den großen Höfen der Oda's lagerten, kamen Boten des Großherrn zu uns und redeten mit uns, Bismillah! Einer so und der andere anders, alles Wind, was von ihren Lippen kam. Sie sollten uns nur hin halten, bis die Mörder bereit waren: was kann ich sagen, – sie brachten uns einen Sack voll Lügen, und auf dem Grunde war der Tod.

»Auf dem Atmeidan hatte der Sultan indeß die geheiligte Fahne des Propheten erhoben gegen die Jenethtschjeris, und das Volk glaubte der Verleumdung, daß wir heimliche Christen wären, und war gegen uns. In großen Haufen zogen sie heran, an ihrer Spitze die Topschis mit den Kanonen, und der Scheik ul Islam schleuderte seinen grimmigsten Fluch gegen unsere Häupter.

»Zu spät sahen wir ein, daß wir Toren gewesen waren, und wir beschlossen, wenigstens als Männer zu sterben. Ich habe nicht das Verderben meiner Brüder in Stambul geschaut, wie sie niedergemetzelt wurden, gleich einer Herde von Schlachtvieh, aber wir hörten das Geheul der Schlächter hinauf zu uns dringen auf die Höhen der Griechenstadt. Durch die Straßen Stambuls floß das Blut in roten Strömen und auf dem Atmeidan, der so oft unsere Spiele gesehen, lagen die Leichen der Tapferen hoch übereinander, und das Volk spie sie an und verunreinigte die Gräber ihrer Väter.

»Inshallah! es war um die Stunde, da der Imam am Abend den Azan vom Minaret singen soll, aber es dachte niemand der heiligen Pflicht, als die Würger sich gegen uns kehrten. Wir hatten selbst das große Tor der Oda verrammelt und hielten uns in den Gemächern und auf dem Hof, als sie vier Kanonen herbeiführten und vor dem Tor aufstellten. Schande, Schande! es waren ihrer viele, und sie umgaben das ganze Haus in einer langen Reihe.

»Wir hatten zwar Waffen, die Pistolen in unseren Gürteln und die Flinten auf unserem Nacken – aber das Pulver hatte man längst aus den Odas geholt, und es blieben uns wenige Schüsse zur Verteidigung des Lebens.

»Man forderte uns auf, einzeln herauszukommen und die Waffen abzulegen. Viele von uns glaubten ihnen und gingen hinaus, aber als sie entwaffnet unter ihnen standen, fielen die Topschis über sie her und schnitten ihnen die Köpfe ab.

»Da beschlossen wir zu sterben – tausend tapfere Krieger, tausend Männer von Kraft und Mut!

»Wir schlugen uns auf die Becken und häuften Kot auf die Gräber ihrer Väter. Darauf befahl Hussein-Aga, der Verräter, der selbst herbeigekommen, Feuer anzulegen an die Oda des Buluk.

»An vier Seiten wurde das Feuer gehäuft und die rote Flamme stieg lustig in die Höhe, wie grimmig wir auch gegen die Mordbrenner kämpften. Viele versuchten, aus den Fenstern zu entkommen, aber die Kugeln und Bajonette unserer wachsamen Feinde töteten sie. Immer unerträglicher wurde die Hitze, und der Qualm und die Flammen füllten den Raum. Viele der tapferen Jenethtschjeri gingen im Feuer in des Propheten Schooß.

»Dann räumten wir selbst die halbverbrannten Balken fort, mit denen wir das Tor verrammelt, und öffneten weit die Pforte. Ein dichter Haufe von Kriegern ergoß sich hinaus, um sich den Weg mit dem Säbel in der Faust zu bahnen. Dreimal versuchten wir es, dreimal warf der Strom der Kartätschen aus ihren Geschützen den Strom der Menschen zurück und hohe Wälle von Leichen türmten sich vor dem Tore.

»Ein altes Gesetz heißt die Jenethtschjeri drei Mal gegen den Feind anrennen. Als wir es zum dritten Male vergeblich versucht, ohne daß Allah uns Sieg und Rettung gegeben, fügten die meisten sich in das unabänderliche Schicksal und erwarteten ruhig das Ende.

»Denn die Mörder wollten uns nicht lebendig, und während die Mauern umher brannten, sandten fort und fort die Kanonen ihren eisernen Hagel durch das Tor und die züngelnden Flammen.

»Aman! Aman! In Bergen lagen die Leichen umher, und der Gestank der verbrennenden Leiber und die Hitze waren fürchterlich. –

»Was soll ich noch sagen? Wir waren unserer an Zwanzig, die sich im Schutz einer Mauer im Innern des Hofes zusammengefunden, viele, darunter auch ich, zu Pferde, wie wir in die Kaserne gekommen. Wir beschlossen, fechtend zu sterben, oder uns durch die Feinde zu schlagen, und als das Feuer der Kanonen einen Augenblick schwieg, brachen wir durch ein Seitentor über Leichenhaufen und Trümmer hervor. Rauch und Qualm umgab uns, und wir waren mitten unter ihnen, ehe sie es wußten. Was soll ich Euch erzählen von dem Schlachten, das erfolgte, – Mashalla! es war ein Meer von Blut, von blitzenden Säbeln, von Bajonetten und pfeifenden Kugeln um mich her, – was kann ich sagen? Als ich wieder von mir selbst wußte, jagte ich über die Felder von Demetri mit einer tiefen Wunde in der Schulter, ohne Mütze und Waffen, und um mich war Nacht, nur in der Ferne erhellt durch die Feuerströme gen Himmel, in denen der Großherr die alten Stützen seines Reiches verbrannte. Auf dem Campo zwischen den weißen Gräbern stürzte mein Pferd – Bismillah! – es war ein treues Tier und hatte mich aus der Gefahr getragen. Ich setzte den Weg zu Fuß fort nach meinem Hause, und es war mein Glück, daß Angst und Furcht noch alle Türen und alle Fenster verschlossen hielt. Der Morgenstern begann bereits zu erlöschen, als ich in die Nähe meiner Wohnung kam; aber ich war so schwach, daß ich auf einen Stein niederfiel. In der Ferne hörte ich wilden Lärm durch die Straßen, und meine Eingeweide erzitterten. Da stand plötzlich ein Mann vor mir und rief meinen Namen. Ich wußte, daß ich verloren war und beugte mein Haupt zum Todesstreich. Aber eine freundliche Hand half mir empor und zog mich fort. Es war Paswan, der Kiradschia, der jetzt an meiner Seite sitzt. Sein Haar war damals schwarz, seine Haut jung und glatt, und obschon er ein Dschaur war, hatte er doch das Herz eines Gläubigen.«

Der greise Janitschar unterbrach seine Erzählung und nickte freundlich mit dem Haupt nach dem Genannten.

Dann fuhr er fort:

»Zwei Jahre vorher hatte das Kismet es gewollt, daß ich dem Kiradschia begegnete und ihn aus der Hand schlimmer Albanesen befreite, die seine Waren in Beschlag genommen und ihn töten wollten eines Zankes halber. Seitdem waren wir Freunde geblieben und er kam zu mir, so oft seine Geschäfte ihn nach Stambul führten.

»›Unglücklicher, wo willst Du hin?‹ fragte mich mein Freund, ›weißt Du nicht, daß der Tod auf Dich lauert bei jedem Schritt?‹ – ›So will ich Abschied nehmen von den Meinen und sterben. Der Zorn des Würgers ist über uns.‹ – ›Komm,‹ sagte Paswan, ›ich werde Dich retten. Man wird die Häuser aller Jenethtschjeri durchspähen, und Dein und der Deinen Verderben wäre dann sicher. Ich war bereits an Deinem Hause, um Dich zu warnen, und will Dir jetzt helfen, da Gott Dich bewahrt.‹ –

»Er verband, so gut es ging, an der einsamen Stelle, an der wir uns befanden, meine Wunde, hüllte mich in seinen Mantel und setzte mir seine Mütze auf. So führte er mich in die engen Gassen des Griechenquartiers bis zu dem Schuppen eines Handelsfreundes. Dort verbarg er mich zwischen Ballen und Koffern.

»Es war ein böser Tag, den ich da zubrachte, und wohl zehn Mal wollte ich mich hinausstürzen, um das Verderben meiner Brüder zu teilen, das noch immer, gleich dem schwarzen Engel, seine Flügel über Stambul breitete. Ich hörte das Umherziehen der Würgerscharen, wie sie die Häuser erbrachen, um die versteckten Jenethtschjeri aufzusuchen, und das Geschrei der Weiber und Kinder. Christen, an diesen drei Tagen, denn ich blieb zwei Tage und zwei Nächte in meinem Versteck, waren achtzehntausend Jenethtschjeri im Kampf umgekommen und hingerichtet worden. Der Scheik ul Islam hatte durch einen Fetwa den Fluch auf unser Geschlecht geworfen.

»Zwei Mal im Laufe der zwei Tage erschien Paswan in meinem leichten Versteck, aus dem er mich doch nicht ohne Gefahr fortführen konnte, wusch meine Wunden und brachte mir Nahrung. Mein Herz dürstete aber nur nach Kunde von den Meinen. Endlich, am dritten Morgen, kam er, und sein Auge war trübe, sein Antlitz bleich.

»›Freund Ibrahim,‹ sagte er zu mir, ›die Stunde ist da, wo Du zeigen mußt, ob Du ein Mann bist. Ziehe diese Kleider an, färbe Deine Arme und Dein Gesicht mit dieser Schwärze und laß mich Deinen Bart abschneiden. Die Soldaten des Großherrn halten scharfe Wache, und ein Zucken Deines Auges kann mich verderben, wenn Du nicht genau meine Worte erfüllst.‹

»›Aber meine Frauen und meine Kinder! Ich schwöre bei meinem Bart, daß ich Stambul nicht verlassen will, wenn ich nicht zuvor mein Haus wieder gesehen.‹ –

»›Wenn Du bei den Kesseln der Orta gelobst,‹ entgegnete Paswan, ›daß Du damit zufrieden sein und erst weiter forschen willst, wenn wir Stambul im Rücken haben, soll Dein Verlangen erfüllt werden.‹

»Ich gelobte und litt geduldig die Schmach, daß der Christ meinen Bart abschor und mir die Kleidung eines schwarzen Sklaven anlegte. Dann führte er mich heraus aus meinem Versteck und bis zu einem entfernten Hofe, in dem zwei beladene Pferde standen, nebst zwei anderen für uns bestimmt. Wir schwangen uns in die Sättel und nahmen jeder den Zügel eines der Packtiere; so ritten wir auf die Straße.

»Es war ein schlimmer Anblick für mich. Auf den Plätzen, über die wir kamen, sah ich überall die abgeschlagenen Köpfe meiner Brüder aufgesteckt und hörte die Verwünschungen des betrogenen Volkes gegen uns. Meine Eingeweide zitterten, als mein Freund zur Straße einbog, die zu meinem Hause führte. Ein Blick von ihm mahnte mich zur Vorsicht; aber obschon ich ein Mann war und in Schlachten geprüft, schrumpfte mein Herz zusammen, als ich von Ferne vieles Volk um die Stätte versammelt sah, da mein Haus gestanden hatte. Denn meine Augen suchten vergeblich nach ihm, es war von der Erde vertilgt und nur eine Brandstätte noch, von der der Dampf empor qualmte. Zwischen den rauchenden Trümmern stand auf einer Stange eine Tafel mit den Worten:

»›Melek Ibrahim, der Oda-Baschi der verfluchten Jenethtschjeri, ist verflucht mit allen seines Geschlechts!‹

»Das Kismet hatte mich schwer getroffen, und ich wollte mich herabstürzen vom Pferde und die Asche meines Glückes streuen auf mein Haupt; aber Paswan war an meiner Seite und mahnte mich an mein Gelöbnis, und seine Hand faßte die Zügel meines Pferdes und führte mich davon. Inshallah! Es war mein Schicksal und das Unglück über mir. Erst als wir die süßen Gewässer hinter uns hatten und auf der Straße von Edrene davonritten, die wir bald wieder ins Land hinein verließen, um aller Verfolgung zu entgehen, erzählte mir der Bulgare von dem Schicksal der Meinen. Die Khanum, die ich an meinem Herzen gehabt, mein rechtmäßiges Weib, war der Teufel gewesen, der mein Glück zerstört hatte. Schon lange hatte sie still in der Brust, ohne daß ich es bemerkt, Eifersucht und Haß getragen gegen die griechische Sklavin, die mir zwei Kinder geboren, und als die Verfolgung der Jenethtschjeri begann und sie wußte, daß sie nichts von mir zu fürchten hatte, da war sie davongegangen und hatte mich angeklagt als heimlichen Christen und die Würger selbst in mein Haus geführt. Die Mutter meiner Kinder hatten die Henker als Sklavin verkauft, meine Diener waren verjagt und meine Kinder verschwunden, verkauft vielleicht auf einem fernen Sklavenmarkt, trotz des Propheten Gebot, und keiner wußte ein Wort von ihnen zu sagen, ich war ein entblätterter Stamm.

»Was soll ich weiter sagen – mein Schicksal ist besiegelt. Mein Retter führte mich glücklich durch den Balkan und ich fand Schutz bei Mullah-Paschah, dem Vali von Widdin, der den Jenethtschjeri heimlich Freund war und gegen die Neuerungen des Großherrn kämpfte. Aber der Würger meines Stammes selbst kam ins Land, Hussein ward vom Sultan zum Dank für die Vernichtung meiner Brüder zum Paschah von Widdin gemacht, und ich mußte nochmals fliehen aus meinem Spahalik vor meinem grimmigsten Feinde. Wiederum war es Paswan, der mir die Kunde der Gefahr brachte und mich zu seinen Verwandten ins Gebirge führte. Mein Schicksal wollte es, ich habe mit ihnen gefochten gegen die Krieger des Großherrn, bis ich alt geworden bin und das, was Ihr sehet. Ich werde bald eingehen zum Paradiese des Propheten, denn siebenzig Winter lagern auf meinem Haupte. Aber wenn ich ihrer noch siebenhundert lebte, das Herz Ibrahims, des Jenethtschjeri, würde dankbar bleiben für Paswan, den Bulgaren.«

Der alte Janitschar schwieg. Er war vielleicht der Einzige, der noch übrig geblieben von jener einst so furchtbaren Schar, dem Schrecken Europas. Sein Freund, der Kiradschia, noch im kräftigen Mannesalter und wohl fünfzehn Jahre jünger als er, reichte ihm die Rakihschale. »Es war Dein Kismet, Freund Ibrahim, – wer kann es ändern?«

»Und hast Du auch später keine Kunde erhalten, was aus Deinem verräterischen Weibe und den Kindern geworden ist?« fragte teilnehmend der Arzt.

»Allah bilir! Gott allein weiß es. Ich habe vernommen, daß vor einiger Zeit ein altes Weib in Madara gestorben ist, deren nachgelassene Habe die Zeichen des 64. Orta der Jenethtschjeri und den Namen Ibrahim trägt. Ein altes Weib ist ein großes Übel; aber dennoch wird es Paswan nicht versäumen, nachzuforschen, wenn er morgen mit Euch in Madara übernachtet.«

»Das Ziel unserer nächsten Tagesreise ist das berühmte Dorf Madara?« fragte der französische Kapitän.

»So ist es. Es liegt abwegs im Gebirge, aber Ihr werdet sicherer reisen in meiner Begleitung,« sagte der Kiradschia.

»Ei, ventre bleu!« lachte Depuis, »ich würde auch einen stärkern Umweg nicht scheuen, um das berühmte Amazonennest zu besuchen. Sie kennen seine Geschichte, Doktor?«

»Ich bin nicht so glücklich.«

»Dann rüsten Sie sich, Doktor, und schicken Sie vorläufig alle Prüderie und Keuschheit zum Henker. Madara ist das Paradies der türkischen Frauen in dieser Welt und die Opferstätte der Männer. Es ist der einzige Ort in der ganzen Türkei, wo die Frauen Frauen sein dürfen und lieben, wen sie wollen, ohne gleich fürchten zu müssen, dafür gesackt oder geköpft zu werden. Madara ist das Capadocien der alten Amazonen und die Wlaskaburg der böhmischen Mägde. Weiß der Teufel, ob seine Rechte sich noch aus der alten Heidenzeit herschreiben, so viel ist aber sicher, daß weder Christ noch Türke die Vorrechte dieses seltsamen Asyls je zu brechen versucht. Es ist ein Weiberstaat im Kleinen. Hierhin flüchten sich alle Frauen und Mädchen aus der ganzen Türkei, die irgend einem grimmigen Vater oder Mann entlaufen sind. Wenn sie die Grenze dieses kleinen Reiches überschritten haben, sind sie freie Bürgerinnen desselben bis zu ihrem dreißigsten Jahre. Kein Mensch, selbst der Sultan nicht, darf sie zurückfordern, aber ebenso wenig dürfen sie vor jener Zeit freiwillig das Asyl wieder verlassen. Mit ihrem dreißigsten Jahre hört die Zeit des Vergnügens und der Freiheit auf, die Älteren müssen, wollen sie den Ort nicht verlassen, die Geschäfte der Dienerinnen versehen und für ihre jüngeren Schwestern putzen, waschen, kochen, braten und backen, säen und ernten, was weiß ich! Kurz, so viel ist sicher, daß es junge Schönheiten und alte Weiber zur Genüge in Madara gibt.«

»Und sind die Männer ganz daraus verbannt?«

»Ei, mit nichten! Das ist eben das Vortreffliche an der Sache. Man munkelt darüber höchst seltsame Geschichten, die meine Neugier aufs äußerste gespannt haben. Ventre bleu! Man wird mich beneiden in der ganzen französischen Armee, wenn ich eine Nacht wirklich und wahrhaftig in Madara zugebracht habe. Effendi Paswan, Ihr, zernarbtes Spitzbubengesicht, wißt gewiß mehr von den Geheimnissen des Amazonendorfes zu erzählen. Heraus damit!«

Der Kiradschia lächelte.

»Als ich noch jünger war,« sagte er, »führte mein Weg mich wohl öfter dahin, ich will es nicht leugnen. Ich war gern gesehen unter den Frauen und bin es noch, denn ich bringe ihnen Seide von Brussa, Stickereien von Konstantinopel, die Wohlgerüche von Edreneh und die Leckerei von Chios. Nicht jeder darf über die Grenze der Frauen; aber wer mit einem Freunde kommt und ein freier Mann ist, ist ihnen willkommen.«

»Aber die Bedingungen? die Bedingungen des Eintritts, Alter?« forschte eifrig der Kapitän.

»Was soll ich sagen – Ihr werdet es selbst schauen. Wer eintritt in Madara, muß sich den Gesetzen des Dorfes fügen – Ihr seid beide noch jung und werdet schwerlich ein Nachtlager auf dem Grase der Berge vorziehen. Doch ist es nötig, daß wir das unsre halten, denn wir müssen aufbrechen, ehe die Sonne die Gipfel der Berge rötet. Schlaft wohl, Franken!«

Er hüllte sich in eine große wollene Decke und stützte sein Haupt auf eines seiner Warenpakete. Wenige Minuten darauf war er in tiefem Schlaf, indes Ibrahim, der greise Janitschar, unverändert an seiner Seite sitzen blieb und Wolke auf Wolke hinaus in die Luft qualmte.

Miloje, der Capitano der Schar, lud gleichfalls seine beiden unfreiwilligen Gastfreunde ein, die Ruhe zu suchen und führte sie nach einer der leichten Hütten, die er ihnen allein zu ihrer freilich sehr geringen Bequemlichkeit überließ. Bald war das Feuer erloschen und heilige Stille um die Schläfer her, nur unterbrochen von den plätschernden Wellen des Gebirgsbaches oder dem Schrei eines Nachtvogels. – –

Mit dem ersten Tagesgrauen weckte der Kiradschia seine Reisegefährten. Ehe sie ihre Hütte verließen, hatte er bereits seine zwei Packpferde mit ihrer Last versehen, und Nursah und die Haiduken hatten die Pferde gesattelt. Paswan drängte zum Aufbruch; das Frühstück, aus Kaffee und hartem Brot bestehend, war bald verzehrt, und nach wenigen Augenblicken saßen sie im Sattel.

Miloje und einige seiner Gefährten begleiteten sie zurück bis in die Nähe der großen Straße, dann schieden sie mit herzlichem Händedruck. Die kleine Gesellschaft war auf dieser erst eine kurze Zeit vorgegangen, als ihr Führer sie wieder verließ und einen kaum erkennbaren Seitenweg einschlug. Doch schien er mit dieser Gegend auf das genaueste vertraut, denn die wilden Pfade, die er sie führte, wurden von ihm ohne die geringste Zögerung gewählt und waren, wenn auch mühsam, doch gangbar für die Pferde. Unter verschiedenen Gesprächen, zu denen die eigentümlichen Sitten ihrer nächsten Lagerstätte nicht den wenigsten Stoff abgaben und die vielfach durch die Erzählung eines Abenteuers des Kiradschia in den verschiedenen Ländern gewürzt wurden, kamen sie vorwärts, und als die Sonne sich zu neigen begann und die türkische Tagesrechnung ihrem Ende nahte, sagte der Führer ihnen, daß sie nahe am Ziele wären.

Obschon die wilde, oft Grausen erregende Natur des Hochgebirges, rauhe Felsmassen, abwechselnd mit üppig grünen Matten, seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahmen, war es doch dem Arzt nicht unbemerkt geblieben, daß sein Diener Nursah wieder während des ganzen Tages ein unruhiges, seltsam befangenes Wesen zeigte. Bald ritt er träumerisch dahin, in tiefe Gedanken versunken, bald drängte er sich hastig und auffallend an seinen Herrn, und seine Blicke hingen ausdrucksvoll und doch mit einer gewissen Scheu an diesem.

Sie hatten den Gipfel des Balkans überstiegen und befanden sich bereits, wenn auch im Hochgebirge, auf den südlichen Abhängen desselben, die schon von den milden Winden des Aegeischen Meeres bestrichen werden und auf denen die Rose, der Wein, die Myrthe und die Feige in üppiger Fruchtbarkeit gedeihen. Zwischen rauhen Felsenmassen dahin reitend, dem Zuge eines Gebirgsbaches folgend, öffnete sich plötzlich vor ihnen ein weites Gebirgstal mit aller üppigen Vegetation der tiefer liegenden Landschaft Zagora. Von hohen Bergen umschlossen und geschützt vor den rauhen Stürmen des Hochgebirges, lag es da in seiner grünen Pracht, die Prärie mit ihrem fast mannshohen Grase, üppige Getreidefelder von Myrthen und Feigenhecken eingehegt, an den Platanen und Eichen die Ranken des Weins emporstrebend, weite Gärten von Rosen und wohlriechenden Kräutern, ein Hauch wollüstigen Duftes und lieblicher Schönheit über dem ganzen Eden!

Madara!

Es war die Kolonie der türkischen Frauen, jenes so selten erreichte Zauberland für die Reisenden im Balkan.

Von der Höhe, auf der sie hielten, konnten sie das aus zahlreichen, im Grünen versteckten und zierlich gebauten Häusern bestehende Dorf und die seltsamen Bewohnerinnen in Gruppen versammelt sehen – in dem klaren Gebirgsstrom ihre Abendwaschungen verrichtend, auf munteren Pferden umherjagend durch das Tal, oder durch die Felder schweifend, Kränze windend von duftenden Blumen – alle bunten Trachten des Orients, wallende, farbige Gewänder, die Schönheit unverhüllt prangend im Strahl des Lichts.

Reizendes Madara! Oase im Frauen- und Liebesleben des Orient!

Sie lenkten ihre Pferde zum Tal, bezaubert von dem wunderlieblichen Anblick; aber schon waren auch sie bemerkt, und die Gruppen der Frauen und Mädchen in der Tiefe begannen sich zu sammeln. An den Trümmern eines Turmes, der weit über das Tal ragte, sprengte ihnen eine Gruppe Frauen entgegen, Frauen, die, obschon teilweise noch schön und frisch, doch offenbar schon jenen Wendepunkt überschritten hatten, den die Erzählung des Kiradschia als die Trennung von ungezügelter Freiheit zum Leben der Arbeit und der Mühen des kleinen seltsamen Staates angegeben hatte. Ihre Hand führte keck den Zügel, die Flinte hing am hohen Sattel, im Shawl, der die Hüften umschlang, steckten blanke Feuerwaffen. Schon von fern ertönte ihr Haltruf.

Als sie näher heran kamen, ritt ihnen Paswan, der Kiradschia, entgegen, und kaum, daß sie ihn erkannt, erhob sich ein gellendes Freudengeschrei, denn wo in öden Ländern wäre der wandernde Kaufmann nicht willkommen, der Kunde bringt von dem Leben draußen hinter den Bergen oder den Wäldern, der Putz und Zier, Schmuck und alle jene hundert Gegenstände mit sich führt, die Frauenaugen lieben und bewundern.

»Seid gegrüßt, Kiradschia Paswan, Du und Deine Gefährten,« sagte die Führerin des Zuges. »Mögen sie eintreten in Madaras geheiligte Grenzen und Brot mit uns brechen, wenn sie unseren Gesetzen sich fügen wollen. Sage uns, ob Deine Freunde freigeborene Männer sind, die allein Anspruch haben auf die Rechte unserer Gäste?«

»Sie sind es, o Khanum, bis auf einen armen nubischen Sklaven.«

»Möge er zur Bedienung seines Herrn mit ihm gehen. Die Weiber von Madara werden ihm ihren Leib, aber nicht ihr Brot verweigern. Deine Freunde sind bereit, unser Gesetz zu erfüllen?«

»Sie werden es, Licht meiner Augen!«

»So seid uns willkommen und möge Euer Eingang gesegnet sein!«

Sie schoß ihre Flinte in die Luft ab und wandte ihr Roß; ihre Gefährtinnen folgten dem Beispiel, und alle jagten den Abhang hinab, während die Fremden langsam folgten, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das nun kommende Schauspiel. Bald darauf verkündete ihnen ein lautes Freudengeschrei, daß die Wächterinnen des Tales dessen Bewohnerinnen wahrscheinlich die frohe Nachricht gebracht, daß ein Kiradschia mit seinen Waren komme, sie zu besuchen; denn von allen Seiten sah man die Frauen zu dem Eingang des Dorfes eilen.

Als die Reisenden um ein dichtes Gebüsch bogen, das ihnen einige Zeit die Aussicht auf das Dorf benommen hatte, kam ihnen von dessen Eingang her ein seltsamer, überraschender Zug entgegen, eine Anzahl junger und schöner Frauen oder Mädchen, einige das Tambourin oder Becken schlagend, andere aus zierlich geflochtenen Körben mit Rosen den Weg bestreuend und alle ein bulgarisches Lied singend, das mit seinen eigentümlichen melancholischen Klängen sie willkommen hieß.

Die Frauen umringten die Pferde der Reisenden und, Blumenkränze durch die Zügel schlingend, führten sie die Gäste im Triumph in ihr merkwürdiges Dorf und bis in die Mitte desselben auf einen freien Platz. Es kam dem Arzt ganz eigentümlich vor, sich hier umgeben von mehr als drei- oder vierhundert schönen Frauen zu sehen, alle redend, durcheinander schnatternd, alle ihn mit offenen Blicken musternd, unverhüllt durch den häßlichen Yaschmak, ihren Putz und ihre Schönheit zur Schau tragend, beweglich, froh und frei, statt der trübseligen, bewachten Gestalten, die er seit Jahresfrist fast allein zu sehen bekommen hatte.

Der französische Kapitän wußte sich vortrefflich in die Lage zu finden und kauderwälschte und scherzte bereits nach allen Seiten hin, so gut es ging. Auf dem Platz, an dem der Zug hielt, stiegen sie von den Pferden, und alsbald wurden diese, nachdem sie des Gepäcks entledigt worden, nach einem offenen Schuppen geführt und mit reichlicher Nahrung versehen. Wie die beiden von dem Kiradschia erfuhren, waren sie, obschon in der Kriegszeit das Tal häufiger besucht war als sonst, ja einmal sogar mit Einquartierung belegt wurde, doch heute die einzigen Gäste, und der Eifer, sie zu bewirten und zu unterhalten, daher desto größer.

Es schien zur Aufnahme der Fremden eine Anzahl zierlicher Wohnungen in dieser seltsamen Republik in Bereitschaft gehalten zu werden, denn der Kiradschia, der Arzt und der Kapitän, sowie dessen Diener, wurden jeder zunächst in ein abgesondertes Häuschen geführt, um von demselben Besitz zu nehmen, und dann eingeladen, ein türkisches Bad zu nehmen, in dem alte Frauen sie bedienten. Nur der schwarze Sklave Nursah durfte das Haus seines Herrn teilen, da die orientalischen Frauen das Prinzip haben, das auch in der zivilisierten Welt zur Anwendung kommt, den Sklaven oder Diener nicht für einen Mann anzusehen.

Als sie, von dem Bade nach dem langen Ritt gestärkt, wieder auf dem Platz erschienen, waren Teppiche für sie ausgebreitet, und während der Kiradschia seinen Warenballen öffnete und dessen Inhalt vor den funkelnden Augen der Menge enthüllte, die Waren und Geschmeide von Hand zu Hand gingen und der Kauf- und Tauschhandel geschlossen wurde, umgaben andere Frauen den Arzt und den Offizier, ihnen Kaffee, Sherbet und Früchte vorsetzend, die Nargileh's in Brand haltend und sie mit tausend neugierigen Fragen bestürmend.

Zugleich wurden von den älteren Frauen Anstalten für die Abendmahlzeit gemacht. Jeder Franke gilt im Orient für einen Hekim-Baschi oder Arzt, und als der Kiradschia verraten hatte, daß der eine seiner Begleiter ein berühmter Doktor der Armee sei, wurde der Sturm der Fragen, die für allerlei eingebildete Übel Heilmittel verlangten, immer größer, teilte sich aber komischer Weise zwischen den Kapitän und den Arzt, denn da beide militärische Kleidung trugen, schien es den schönen Hilfesuchenden ziemlich gleich, welcher von ihnen der Rechte sei.

Der Schlag auf ein großes Becken verschaffte ihnen endlich Ruhe, indem er den Beginn der Abendmahlzeit verkündete, und die schönen Bewohnerinnen des seltsamen Dorfes lagerten sich in Gruppen und Kreise um die Gäste, während alte Frauen, die allein das Gesicht in türkischer Weise verhüllt trugen, die Platten und Schüsseln mit Pillaw und gekochtem und gewürztem Geflügel oder die mit gehacktem Fleisch gefüllten Gurken herbeitrugen.

Die zierlichen, oft nicht allzu reinen Finger der Schönen fielen nach türkischer Sitte alsbald über die Gerichte her, und für einige Zeit herrschte Stille in der sonst so lebendigen und lauten Gesellschaft, da die ewig beweglichen Zungen und Lippen mit der Mahlzeit beschäftigt waren.

Die Fremden, reichlich und mit dem besten bedient, ließen es sich gleichfalls schmecken und Welland beobachtete mit Vergnügen, wie der martialische Kapitän von zwei schönen, ihm rechts und links sitzenden Frauen, deren offene Kleidung seine lüsternen Augen in Bewegung hielt, gleich einem sybaritischen Pascha sich füttern ließ.

Die beiden Frauen rollten die Kugeln des Pillaw in der Fläche der Hand und stopften sie mit großen Fleischstücken und Oliven ihm unbarmherzig in den Mund, und der galante Franzose warf dankbar verliebte Blicke nach rechts und links, während er fast erstickte.

Als die Mahlzeit vollendet war, und man wieder Pfeifen und Kaffee zur Hand nahm, wobei der Kreis der Frauen den Männern Gesellschaft leistete, begann der Tanz. Aus den Reihen um sie her traten blumengeschmückte schöne Mädchen hervor, faßten einander an weißen Tüchern an und tanzten den Rundtanz um die in der Mitte stehende Koryphäa oder Vortänzerin, indem sie in türkischer, griechischer und bulgarischer Sprache improvisierte Lieder sangen und andere das Tambourin oder eine kleine Trommel dazu schlugen. Dann ergriff eine oder die andere die Guzla, lagerte sich im Kreise ihrer Gefährtinnen und sang in monotonem Deklamieren ein Gedicht voll Sehnsucht und Liebe, voll Schwermut und wollüstigem Hauch, in das der Schlag der Nachtigall einstimmte, die aus den Wipfeln der überall einzeln oder in Gruppen durch das Tal verstreuten Kastanienbäume, Eichen und Cypressen ihre lockenden Töne flötete. Die Rosen hauchten ihren Duft durch die würzige Abendluft, leuchtende kleine Käfer funkelten durch die Gebüsche und schwebten umher gleich beflügelten Sternen.

Dazu klang das heitere Lachen silberner, jugendlicher Frauenstimmen aus den zahlreichen Gruppen und Kreisen auf dem großen Platz, leichte Gestalten eilten umher, bald dem eintönigen Vortrag einer Massaldschi oder Märchenerzählerin lauschend, bald eintretend in die Kreise der Tanzenden, oder neugierig sich herandrängend in jene, die sich um die Fremden gebildet hatten. Und wenn ein Tanz oder Lied beendet war, dann traten die Tänzerinnen und Sängerinnen näher zu den Gästen, knieten nieder vor ihnen und breiteten ein weißes Tuch vor ihnen aus, in das jene einige Piaster warfen, oder sie boten ihnen knieend Blumen zur Auswahl, und wenn die Hand der Wählenden glücklich die Blume getroffen, die sich die Darbietende zum Sinnbild erwählt, klatschte sie fröhlich in ihre Hände und ihre schönen Gefährtinnen sandten ihr neidische Blicke zu.

An der Tür des bescheidenen aber zierlichen Hauses, das dem Deutschen zum Aufenthalt bestimmt worden, stand der schwarze Knabe Nursah und schaute eifrig nach der Gruppe um seinen Herrn.

Sein Auge leuchtete mit einer gewissen Angst und Glut, – die Blume, die sein Herr zog, – das Jauchzen der Frauen, wenn er, was zweimal geschah, die richtige getroffen, schien wie ein scharfer Stahl durch sein Herz zu dringen, so zuckte die ganze Gestalt zusammen, und die kleine Hand preßte fest in der ihren die welke des alten Weibes, das neben ihm stand und mit Luchsaugen die Vorgänge beobachtete, und bald anregende, bald beruhigende Worte dem Mohrenknaben ins Ohr flüsterte. Dazu klimperten die Finger der Alten lustig und gierig in ihrer Tasche und der helle, scharfe Klang verriet die Goldstücke.

Immer lustiger, immer munterer wurden die Kreise auf dem Platz. Der Kapitän leerte seine Börse, um Putz- und Schmucksachen für die tanzenden Schönen zu kaufen und die Mädchen und Frauen drängten ihm jubelnd die Blumen auf, ihm selbst die symbolischen Blüten in die Hand drückend, daß der galante Franzose mit den duftigen Frühlingskindern wie überschüttet war. Die weißen Hände der jungen Frauen und Mädchen kredenzten Wein in Schalen und Bechern, den goldenen, süßen, milden Wein, der an den Höhen des Balkan und drüben auf den Hügeln der Walachei wächst, das dunkle Purpurblut von Gallipoli, den schwarzen Traubensaft vom Olymp, den milden Duft von Brussa oder das glühende Feuer von Chios und den Vulkanen Santorins.

Und immer höher schwoll und stieg die Lust – bacchantisch rasten die Frauen, durch die schwarze Nacht summten leuchtend die glühenden, lüsternen Käfer, aus dem Platanengipfel schlug die Nachtigall girrende, verlangende Töne, das Tambourin klang zum lustigen Tanze, die Düfte der Rosen, der Myrthen und der hundert würzigen Kräuter verdichteten die Luft – die bunten Papierlaternen, die den Gruppen geleuchtet, verloschen – der Kiradschia war in sein Haus gegangen; zwei Mädchen im Arm, das Kind eines Paschas und das junge entwichene Weib eines alten Griechen, jubelte der Kapitän und brüllte französische Opernarien und lockere Grisettenlieder, – stiller und stiller wurde es auf dem weiten Platz, – auf die ausgebreiteten Teppiche, in ihre Decken und Schleier gehüllt, lagerten die süßen Amazonen von Madara, oder legten ihr Haupt in den Gemächern und den Tschardaks auf den weichen Polstern oder dem harten Holze zur Ruhe – stiller und stiller wurde es ringsum – nur einzelne verhüllte Gestalten nahten in der duftigen, warmen, üppigen Mailuft den vier Häuschen, die den Fremden zur Wohnung angewiesen waren.

O Madara, süßes, phantastisches Madara, poetische Oase im Schmutz des Orients!

Lange schon hatte der Deutsche sich in sein Gemach zurückgezogen und ausgekleidet auf die weichen Kissen geworfen, die sein Lager bildeten. Er hatte es kaum bemerkt, wie sorgfältig die Jalousien geschlossen waren, wie tiefes Dunkel um ihn herrschte, als er die Lampe ausgelöscht.

Er wußte, was folgen würde, er kannte jetzt die Gesetze und Gebräuche der seltsamen Republik, und er war kein prüder, engherziger Tugendprahler, der sich den Sitten und Gebräuchen des Landes entzog. Durch seine Adern rollte feurig und kräftig das unverdorbene Blut, die Phantasie malte ihm süße, köstliche Bilder des Naturgenusses, und vor ihm gaukelten die dunklen, feurigen, mandelförmigen Augen, die schmachtend in die seinen gesehen, die Reize, die zum ersten Male ihm unverhüllt erschienen waren.

Leise Schritte schlürften heran, ein Flüstern ward laut, dann hörte er, wie der Besuch die klappernden Pantoffeln als Zeichen der Anwesenheit vor der Tür stehen ließ und hereinschlüpfte in das mysterienvolle Gemach.

Die Tür ward verschlossen, alles dichte Finsternis, dichtes Geheimnis ringsum.

Ein betäubender Rosenduft erfüllte die Luft des Gemaches; ihm war, als hörte er das wogende Atmen eines Busens, den leise sehnsüchtigen und dennoch ängstlichen Seufzer, der über halbgeöffnete Lippen quoll.

Er hatte sich halb aufgerichtet auf dem Lager – seine Pulse schlugen fieberisch!

Sein halb erstickter Ruf verkündete seine Erregung, im nächsten Augenblick warf sich ein voller, weicher, warmer, üppiger Körper an seine Brust, zärtliche Arme umfingen ihn, heißer Odem mischte sich mit dem seinen und glühend trunkene Lippen preßten ihm den Mund.

Dazwischen aber klang es wie leises Weinen und ängstliches Schluchzen.

Aber der Sturm der Leidenschaft, der erregten Sinne ließ ihn nichts achten und hören, als deren glühende Befriedigung; Brust an Brust, Lippe auf Lippe sanken sie in die Kissen.

Er verwünschte das Dunkel der Nacht, das ihn hinderte, die leuchtenden Augen, die süßen Züge zu sehen, aber er wußte, daß sie jung und schön war, denn nur Jugend und Schönheit tragen den Hauch und Duft der Liebe. Voll glühender Zärtlichkeit umschlangen ihn ihre Arme, und dennoch fühlte er, wie er sie in den seinen hielt, daß sie zitterte in Scham und Angst.

So vergingen die Stunden – wie Minuten flogen sie ihm dahin. Zweimal im Laufe der Nacht hörte er, wie draußen an der Tür Schritte trippelten, Stimmen flüsterten, erst leise, dann erregt und zornig, dann wieder beruhigt und sich verloren im geheimnisvollen Schweigen der Nacht und jedes Mal fühlte er, wie das Weib in seinen Armen heftiger zu zittern begann, wie ihre Brust sich in ängstlicheren Atemzügen hob und sie das Gesicht furchtsam an seiner Brust verbarg, ihn umschlingend, als wolle und könne sie nicht von ihm lassen oder ihn einer anderen preisgeben.

Mit Schmeichelworten suchte er sie zu beruhigen, und als ihr Mund in türkischer Sprache ihm zuflüsterte, daß sie ihn liebe, daß diese Nacht ihr höchstes Glück sei, daß sie seiner gedenken werde immer und ewig, so lange sie lebe: da war es ihm, als wehten ihn bekannte Klänge an, als öffne sich ein lange verschlossener Schrein in seinem Herzen, als sei ihm diese Liebe und Wonne, die wie die Rose sich entfaltet im wollüstigen Hauch der warmen Abendsonne, entsprossen aus dem Sturm der Sinne, aus den unsichtbaren, mystischen Reizen der dunklen Nacht, etwas längst vertrautes und bekanntes und empfundenes. Die Stimme des Weibes in seinem Arm war leise und zagend, aber süß und wohllautend, und ihre Worte zeugten von tiefem, natürlichen Gefühl und einem Denken und Empfinden, das gewöhnlich den jeder Bildung des Herzens und Geistes ermangelnden, in launenleerem Geplauder sich ergehenden türkischen Frauen fehlt.

»Wer bist Du, seltsames Wesen?« fragte der Deutsche in diesem seligen Rausch, »Du, die mir Liebe so zärtlich beteuert, und mir dennoch erst vor wenigen Stunden zum ersten Mal im Leben begegnet ist, die mein Auge nicht einmal unterschieden hat im Kreise ihrer Gefährtinnen, die ich nicht wieder kennen würde, wenn der Morgenstrahl mir nicht Deine Züge verriete, und die dennoch ein Gefühl in mir weckt, wie es der ruhige, verständige Mann, über die Jahre der Leidenschaft hinaus, noch nie empfunden?«

»Sage mir,« flüsterte die Stimme, »bist Du glücklich, o Franke, an meinem Herzen?«

»Ich bin es – aber …«

»Forschest Du dem milden Hauch der Abendluft nach, der Dein Gesicht kühlt? Kannst Du den Duft schauen, der Deine Sinne erfreut?«

»Und dennoch sehne ich mich, Dir ins Auge zu sehen, Deine Züge in mein Herz zu prägen für immer. Ich werde es, wenn der erste Sonnenstrahl dies Gemach erhellt.«

Sie antwortete nicht.

»Nimm diesen Ring, Mädchen,« sagte er, indem er einen einfachen Granatreif von seinem Finger zog und an den ihren steckte, »er ist ein Geschenk meiner Schwester und mir lieb. Ich möchte, daß, wenn ich fern von Dir bin, Du Dich meiner erinnern mögest, wie ich Deiner gedenken werde.«

Er fühlte, wie sie die Hand emporhob und den Ring an ihre Lippen drückte, und zog sie an seine Brust.

Lange, ehe das Morgengrauen durch die Jalousieen des Gemaches schimmerte, lag er in tiefem, festem Schlaf.

Als der Ruf des Kiradschia ihn später aus wilden aber süßen Träumen weckte, streckte sein Arm sich vergeblich nach der Gefährtin der wonnigen Nacht aus – sein Lager, das Gemach war leer.

Er sprang empor – sollte denn alles ein Traum gewesen sein? Unmöglich – er war in Madara – dort auf den Kissen noch der Eindruck des Hauptes der seltsamen Geliebten; er kannte jetzt die Rechte der Republik, er wußte, daß eine Frau bei ihm gewesen.

Die Mahnung des Kiradschia hieß ihn sich beeilen. Er rief nach Nursah, seinem Diener, aber erst auf wiederholten Ruf erschien dieser, und es war, als scheute sich der sonst so zutrauliche, auf jeden Wink merkende Knabe vor seinem Herrn.

Bald saßen sie auf; Kapitän Depuis mit seinem Diener kam von dem Hause her, in dem er die Nacht zugebracht. Sein Aussehen war erschlafft, matt und zeugte von den Schwelgereien der Nacht; sein Faunenblick traf den deutschen Arzt und jagte diesem das Blut in das Männerangesicht.

Aber man hatte wenig Zeit zur Verständigung – der Kiradschia drängte zur Abreise, denn sie mußten am nächsten Tage Schumla zu erreichen suchen, und aus den Hütten und Häusern des seltsamen Dorfes strömten bereits wieder die heiteren Bewohnerinnen zusammen und umgaben mit jubelndem Morgengruß die Reisenden. Vergeblich schaute der Arzt nach irgend einem Erkennungszeichen seines nächtlichen Besuches sich in der Menge um, überall schöne, heitere, neckende Gesichter, aber nirgends ein seiner Frage begegnender Ausdruck, nirgends ein Bild, das zu dem seiner aufgeregten Phantasie paßte. Zu fragen scheute er sich, denn er fürchtete den Spott des Offizieres und des Kiradschias, und so mußte er denn mit ungestillter Neugier sich ihnen zur Abreise anschließen.

Ein ähnlicher Zug wie der, welcher sie empfangen, geleitete sie bis zum Ausgang des Tales, wo das Gebiet des seltsamen Weiberstaates endete, und die Reisenden schieden hier, nachdem sie die Begleitung nach ihren Mitteln reichlich beschenkt hatten. Die Frauen schossen wiederum ihre Pistolen und Flinten in die Luft und jagten davon.

»Nun, Doktor,« sagte der lustige Kapitän, als sie einen Augenblick auf der Höhe des Bergpasses hielten und zurückschauten auf das ferne Tal, »was denken Sie von unserem Abenteuer, und wie haben Ihnen die Gebräuche der höchst ehren- und achtungswerten Republik gefallen? Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht, aller Zensur zum Trotz, eine verlockende Beschreibung in dem Moniteur einrücken lasse. Ich bin überzeugt, die Sitte findet in Frankreich Nachahmung.«

»Gut für Ihre orientalischen Hilfstruppen, Kapitän, daß es nur ein Madara in der Türkei gibt. Sie könnten sonst Ihr Kapua finden, nach Ihrer eigenen Miene zu urteilen.«

»Pah! Es sind wahre Teufelsweiber, eine Pariser Grisette ist eine Vestalin dagegen. Aber sorgen Sie nicht, Doktor, unsere Soldaten werden aus den wohlverbarrikadierten Harems unserer werten Bundesgenossen Madaras genug zu machen verstehen, trotz aller Tagesbefehle des Marschalls. Tausend Donnerwetter, ich denke mir ein Regiment unserer Jäger oder der Zuaven in unser eben verlassenes Nachtquartier einmarschieren. He, Monsieur Kiradschia, alter Sünder! wie ists Euch ergangen in dieser Nacht?«

»Hast Du etwas erfahren in betreff des Auftrages Deines Freundes, des Janitscharen-Baschis?« fügte der Arzt hinzu.

»Wenig genug!« sagte der Führer, »und dennoch hat uns das Gerücht nicht getäuscht. Das alte Weib, von dem wir hörten, daß es in Madara gestorben, muß in der Tat das verräterische Weib Melek-Ibrahims, meines Freundes gewesen sein. Sie war seit länger als zwanzig Jahren in Madara und muß mich oft dort gesehen haben, wenn ich sie auch nicht wieder erkannte; denn der Oda-Baschi hielt streng das Geheimnis seines Haremliks, und ich habe sein Weib nur im dichten Schleier gesehen.«

»Woher schließest Du dies alles?«

»Höre weiter, Signor. Das Weib hatte einen bösen Ruf, selbst in Madara und war zänkisch und boshaft. Die jungen Frauen fürchteten sie wie den Teufel. Sie war schwer erkrankt und mochte ihr Ende fühlen, obschon sie zwanzig Jahr weniger zählt, als der Jenethtschjeri, ihr Gatte. Ich weiß nicht, ob sie je erfahren hat, daß er gerettet wurde aus dem Gemetzel zu Konstantinopel, aber ich vermute es jetzt, daß sie Kunde bekommen von unseren späteren Nachforschungen, und deshalb sich nach Madara geflüchtet hat. Als der Tod ihr auf der Zunge saß, hat sie einen Schreiber aus der Nachbarschaft kommen und ihn einen Brief schreiben lassen. Diesen und ein Paket hat sie den Ältesten des Dorfes übergeben, die sie mir aushändigen sollten, wenn ich wieder nach Madara käme. Also ist es geschehen.«

»Zum Donner! die Sache wird ja ordentlich romantisch. Und was enthält der Brief, Freund Kiradschia?«

»Gott weiß, wie die Moslems sagen!« entgegnete der Alte. »Ich habe ihn noch nicht geöffnet, es hat Zeit, bis unsere Pferde Rast halten in der Mittagsstunde. Die Botschaft eines Unheils kommt immer noch früh genug, und was kann ein altes Weib anders bringen als schlimmes!«

Mit diesem Trost mußten seine Gefährten sich denn auch begnügen bis zu der festgesetzten Zeit. Als sie in der brennenden Mittagssonne im Schatten riesiger Kastanienbäume an einer Quelle die Pferde fütterten, und im Grase ausruhend, ihr einfaches Mahl verzehrten, öffnete der Kiradschia sein in ein Lammfell gebundenes Paket.

Es enthielt außer dem erwähnten Briefe ein Kästchen von jener Art, wie sie in Konstantinopel so vorzüglich gemacht werden. Der Schlüssel lag in dem Brief, dieser aber lautete:

»An Paswan, den Kiradschia, einen Bulgaren und in Ewigkeit verfluchten Christen.

Vernimm meine Worte, o Paswan, der Du ein Freund meines Gatten warst und, wie ich vor Jahren gehört habe, ihn gerettet hast vor dem Zorn des Padischah und der Vernichtung der verfluchten Jenethtschjeri. Auf Dein Haupt komme es. Ich weiß nicht, ob der Höllensohn noch lebt, aber ich glaube es nicht, und setze Dich darum zu meinem Erben ein, statt dieser alten Weiber, die mich schlecht behandelt haben und nun nur behalten mögen, was wertlos ist. Ich habe Melek-Ibrahim, den Oda-Baschi, gehaßt und dies mit Recht, denn er hat mir viel Übles getan, und die schlechte Sklavin war über mir in seinem Hause, bloß weil sie ihm Kinder geboren hat. Wah! war ich nicht seine rechtmäßige Freude? Er hat meine Rache empfunden. Nun aber will der Prophet, daß man böses gut mache vor seinem Tode und ich habe mich dazu entschlossen, da Eblis, der schlimme Engel, hinter mir sitzt. Ich habe den Kindern meines Gatten übles getan, aber das Schicksal wollte es so. Sie sind verkauft worden als Sklaven, Jussuf, der Knabe, der zehn Sommer zählte, auf ein maltesisches Schiff, das die Rosalba hieß, und ich weiß nicht, wo er geblieben ist. Aber der Wille Allahs kann Dich ihn finden lassen, und ich sage Dir, daß er ein Kennzeichen hat, die Anfangsbuchstaben des Namens seines Vaters auf der linken Schulter eingezeichnet mit einer Nadel und eingerieben mit Pulver und Salz, daß sie fortwachsen mit seinem Leben. Das Mädchen Zuleika zählte erst vier Jahre, und ich hörte, daß sie gestorben sei. Was aus ihrer Mutter geworden ist, weiß ich nicht, – Fluch über sie und die Gräber ihrer Eltern. Aber die Habe, die ich mitgenommen, gehörte nach dem Gesetz den Kindern meines Mannes, und so gebe ich sie Dir, o Kiradschia, von dessen Redlichkeit die Leute Großes erzählen, obgleich Du ein Dschaur bist, damit Du sie dem Knaben wieder erstattest, wenn er sich finden sollte. Gott ist groß, und in seiner Hand ruht alles. Ist Deine Mühe vergeblich, so siehe das Erbe als das Deine an. Besser in den Händen eines Dschaurs, als dieser tollen Weiber, deren Dienerin ich geworden bin. Allah beschütze Dich und gebe mir ein gutes Ende. Am fünften Tage des Monats Zilkadè, im Jahre Zwölfhundertneunundsechszig (1. Juli 1853). Unterschrieben von Zulmah, der Frau des Melek-Ibrahim.«

In dem Kästchen lagen eine Menge sehr wertvolle Geschmeide, Rosenkränze und Amulets, nebst einer nicht unbedeutenden Anzahl Goldstücke.

»Beim Henker!« sagte der Kapitän, »ich möchte der Erbe der alten Verräterin sein. Schade, daß meine Abkunft auf der Mairie registriert ist! Was wollt Ihr nun tun in der Sache, würdiger Kiradschia?«

»Was ich tun will, Signor Kapitano?« fragte erstaunt der Bulgare. »Was kann ich anders tun, als meinem Freunde Ibrahim sein Eigentum zustellen. Es kann Sonnenstrahlen werfen auf die Tage seines Alters. Mögen die Märtyrer mir beistehen, daß ich ihm einst von seinem Sohne Kunde bringen kann.«

»Das möchte schwer halten, alter Freund, nach achtundvierzig Jahren und bei dieser Völkerwanderung durch drei Weltteile. Wer weiß, an welchem Galgen der Bursche hängt, oder wo er gespießt worden. Ich rate Dir, mach Dir keine vergebliche Mühe und Kosten, sie sind weggeworfen.«

»Wie Gott will,« sagte der Kiradschia treuherzig. »Die Wege der Heiligen sind wunderbar, und ich werde sein Erbe bewahren. Laßt uns aufbrechen, Freunde.«

Nach wenigen Augenblicken waren sie in den Sätteln und auf dem Wege nach Schumla.

Hinter dem sinnenden Gebieter ritt der Knabe Nursah, und sein Auge hing mit seltsamem, fast zärtlichem Ausdruck an der Gestalt seines Herrn.


Schluß des dritten Bandes.

 


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