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Der Wudkoklak.

In den Tälern der Donau lebt eine grauenvolle Sage und pflanzt sich fort von Vater zu Sohn, von Geschlecht zu Geschlecht. Wenn der Vollmond seinen bleichen Schein über Fels und Wald gießt, dann erhebt sich der Wudkoklak – der Vampyr der Griechen-Slaven und Moldau-Walachen – aus seinem Grabe, in dem er mit offenen Augen und starrem Blick schläft. Die Klauen und Haare wachsen im Todesschlaf, – warmes Blut rinnt durch die erstorbenen Adern; denn in den unheimlichen Nächten des Vollmondes frischt er es auf, indem er durch das Land streift, den Lebenden die Rückenader öffnet und ihr rotes Blut saugt.

Schaurig ist der Glaube des Volkes! Steht ein Toter in dem Verdacht, auf diese Weise sein Grab zu verlassen, so wird er feierlich ausgegraben. Hat die Verwesung ihr Werk getan, so begnügt sich der Pope, ihn mit Weihwasser zu besprengen; ist er aber rot und blutig, so treibt man ihm den Teufel aus und stößt ihm bei seiner Wiederbeerdigung einen im Feuer gehärteten Eichenpfahl in die Brust, damit er sich nicht wieder erheben könne. Die hungrigsten Raben fliehen den Leichnam des Verfluchten schon von Weitem, ohne zu wagen, ihn auch nur mit der Schnabelspitze zu berühren!

Aber einen anderen Wudkoklak gibt es, vor dem nicht der Segen des Priesters, nicht der blutige Pfahl durch die Brust zu schützen vermag: lebendig wandelt er unter den Lebenden, und sucht seine Opfer. Oft wird er von unwiderstehlichem Drange nach Schlachtgemetzel ergriffen und verläßt bei Tag und Nacht seine Wohnung und schweift umher, Menschen und Tiere, die ihm begegnen, mit Bissen zerfleischend. Aber das Blut junger Mädchen und Frauen ist es, worauf er besonders lüstern, – in ihr Herz schleicht er sich ein durch tausend listige Ränke, und wenn er in der Braut- oder Liebesnacht sie in die Arme preßt, schwindet ihr Bewußtsein und das Blut weicht langsam aus ihren Adern, das Antlitz wird bleich und immer bleicher, die Quellen des Lebens vertrocknen, statt frisch zu erschwellen in befruchtender Kraft; denn allnächtlich teilt der Vampyr ihr Lager und saugt der Schlummernden das Mark aus dem Gebein, das frische rote Blut aus der zitternden Brust, und das junge Leben welkt und welkt, und ehe der Mond zwanzig Mal seinen Kreislauf vollendet, deckt die Erde den frischen Leib und das gebrochene Herz, und der Wudkoklak darf nach neuen Opfern suchen.

Zuweilen auch paart er sich mit der Wjeschtitza, dem weiblichen Gnomen, dem Gespenst mit Feuerflügeln, das nachts sich auf die Brust des schlafenden Kriegers niedersenkt, ihn in seine Arme preßt und ihm seine Wut einflößt. Alsdann raubt wohl die Wjeschtitza, in Gestalt einer Hyäne, kleine Kinder und schleppt sie fort in den Wald, da die Liebe des Wudkoklak kein Leben zu zeugen vermag. Das sind dann die klagenden Stimmen, die in Fels und Wald nach den Eltern rufen, das sind die wankenden bleichen Lichter, die den Wanderer in dem Moder der Sümpfe begraben!

Der Bulgare macht drei blutige Kreuze an seine Tür, um dem Wudkoklak und der Wjeschtitza den Eingang zu sperren. Doch vergeblich, denn die Wjeschtitza senkt sich im Haß und in der blutigen Leidenschaft auf jede Menschenbrust, und über die Schwelle des Palastes und der Hütte, durch die ganze Welt schreitet der Wudkoklak und heftet den gierigen Mund an Unschuld und Tugend, an alles, was schön, vertrauend und erhaben ist, und mästet sich von dem Lebensmark der Lebendigen, die sich machtlos winden in seinen Schlangenarmen!


In einem Gemache des Selamlik von Sami-Pascha zu Widdin lag auf weichen Polstern die schöne Gräfin Helene Laszlo am zweiten Morgen nach der Schlacht von Czetate. Ihre geistige und körperliche Kraft war erschüttert von dem unerwarteten Schrecknis, das über sie gekommen. Jene unerklärliche Laune des Frauenherzens, das sich selbst vermeidet Rechenschaft zu geben, hatte sie vermocht, den Vorspiegelungen und Aufreizungen des Grafen Pisani Gehör zu geben, der ihr mit der schlauen, ganz den Interessen der revolutionären Propaganda ergebenen Freundin auf ihre Güter nach Ungarn gefolgt war und hier verstanden hatte, den exaltierten Geist der jungen Frau zu Entschlüssen und Handlungen zu erregen, deren sie sich – hätte eben nicht ein kaum bewußter Wunsch im Grunde ihrer Seele sie unterstützt – sicher enthalten haben würde. So wagte sich denn die Gräfin auf ihre Güter am Schyl und der Desneizia, mitten in die Gefahren und die Wirrnis des okkupierten Landes und auf einen Schauplatz, der jeden Augenblick selbst die Stätte der Schlacht und des Todes werden konnte, indes der sardinische Oberst sich in das türkische Heerlager begab. Die Gräfin, in steter geheimer Verbindung mit diesem Manne, der ihre politische Exaltation zu fesseln verstand, öffnete in Krajowa und auf ihrem Gute ihr Haus der Gesellschaft der russischen Offiziere und hatte die unwürdige Rolle der Spionin übernommen und seit Wochen durchgeführt, indem sie zugleich mit den zurückgebliebenen Bojaren des Fürstentums eine enge Verbindung unterhielt, unter denen Fuad-Effendi durch seine Intriguen und Versprechungen eine starke Partei für die Pforte warb.

Nur hatte der schlaue Graf ohne das Herz der jungen Frau gerechnet, dessen Geheimnis allein sie zur Übernahme jener Rolle bewogen. Nach langem und schwerem Kampf mit dem in Wien so tief verletzten weiblichen Stolz waren dem Kapitän die kurzen Zeilen geworden: »Gräfin Helene Laszlo hat die Ehre, Baron von Meyendorf ihre Anwesenheit auf Schloß Badowitza anzuzeigen und wird, wenn der Dienst ihn in diese Gegend führt, den Besuch eines Freundes mit Vergnügen empfangen.« – So kalt diese Mitteilung in ihrer konventionellen Form auch war, so genügte sie doch, wie wir gesehen haben, den Kapitän nach Krajowa zu führen.

Zweimal seither war er der schönen Frau begegnet, in Krajowa selbst und bei einem Besuche auf ihrem Gute, doch beide Male hatten der zahlreiche Hof, der die Gräfin umlagerte, und der kalte Ernst, der in dem Benehmen des Kapitäns lag, jede Verständigung, ja jede vertrauliche Annäherung verhindert.

So fern standen sich die Herzen, die einander angehörten und die geschaffen waren, sich zu beglücken, als die Schlacht von Czetate und die Intrigue des Sarden sie aufs neue trennte.

Die Gräfin war bei der gewaltsamen Entführung von Schloß Badowitza durch die Dorobandschen (walachische Milizsoldaten, eine Art Landgendarmerie), die mit einer Plünderung und einem kurzen Kampfe gegen den schwachen russischen Posten verbunden war, zwar von jeder Beleidigung verschont geblieben, aber es war ihr keiner der Schrecken, keine Gefahr ihrer Lage erspart worden. Trotz aller Bitten und Versprechungen auf eine Kerutza geworfen, von zweien der wilden Söhne des Landes bewacht, führte die wilde Jagd der Flucht sie nach den Ufern der Donau, und vergeblich ersehnte jetzt die ungarische Patriotin Hilfe und Rettung durch die Hand der russischen Unterdrücker, denn die Zahl der bis zum Feinde flüchtenden Dorobandschen war so bedeutend, daß sie die schwachen begegnenden Pikets leicht in die Flucht schlug.

So gelang es, während einige Meilen davon die blutige Schlacht tobte, Apollony, dein Agenten des Sarden, im Rücken der russischen Stellung seine Beute am Nachmittag glücklich bis ans Ufer der Donau und zu den türkischen Posten zu bringen. In einem Boote wurde hier die Gräfin über den Strom geführt und in die Festung gebracht. Sie war so erschöpft, daß sie willenlos alles mit sich geschehen lassen mußte. In einem abgelegenen Gemache des Selamlik ließ Sami-Pascha seine schöne Gefangene einstweilen einschließen, indem er wegen der Pläne des Obersten seine Gründe hatte, sie in das Haremlik selbst nicht aufzunehmen.

Mit Schrecken gewahrte Gräfin Helene, daß alle Hoffnungen auf sofortige Befreiung sie täuschten, die sie gefaßt, als sie sich in die Hände der Türken geliefert sah. Sie blieb eine Gefangene, zwischen den öden Mauern eines türkischen Zimmers eingeschlossen, von schwarzen Sklaven bedient und erst am Nachmittag erhielt sie eine weiße Dienerin, Marutza die Tochter des Handjas, die der Pascha, als am Tage vorher Vater und Tochter nach dem Befehl Iskender-Bey's von den Khawassen vor sein Gericht geführt worden, zum Dienst im Haremlik bestimmt hatte, während Gawra mit einer harten Geldbuße und dem Verbot der Hanewirtschaft belegt ward. Das Mädchen verstand ein wenig italienisch, und so konnte die Gräfin sich wenigstens verständlich machen und erfuhr, daß sie in den Händen des Pascha's von Widdin sei.

Durch Marutza, die frei aus- und einging, ließ die geängstete Frau alsbald um eine Unterredung mit dem Pascha bitten, aber der Erfolg hatte nur dazu gedient, ihre Angst und ihre Verlegenheit zu erhöhen. Der alte Moslem fand sich in der Tat gegen Abend bei ihr ein, von einem seiner Eunuchen begleitet, und nahm seinen Sitz mit aller Bequemlichkeit eines türkischen Haremsherrn auf dem Divan des Gemaches ein, indem er mit lüsternen Augen die Reize der schönen Ungarin betrachtete. Zu ihrem Schrecken erfuhr diese jetzt, daß sie nicht bloß eine Gefangene, sondern von den Dorobandschen als Beute an Sami-Pascha verhandelt worden, und daß dieser sie als eine Erwerbung seines Harems betrachtete. Vergebens berief sie sich auf ihren Stand, auf ihre Bemühungen für die türkischen Interessen, auf Graf Pisani, dessen Herbeiholung sie verlangte, der alte Moslem erwiderte ihr, daß er sie ehrlich gekauft und bezahlt habe, daß er ihren Stand nicht kenne und dieser ihm auch gleichgiltig sei, daß er von keinem Anrecht auf türkischen Schutz wisse, und wich mit großer Schlauheit den Fragen und dem Verlangen nach dem Sardinier aus.

»Mashallah!« sagte der dicke Pascha, sich den Bart streichend, »was geht dieser Dschaur mich an? Ich kenne ihn nicht, und wenn ich ihn kenne, bin ich nicht der Herr in meinem Haremlik, und was hat er dort zu schaffen? Ich weiß nicht, ob er in Widdin ist, oder in Kalafat, oder in der Schlacht gefallen. Wallah! was kümmert einen Gläubigen ein Kreuzträger?«

Gräfin Helene vermochte keine entscheidende Antwort zu erzielen. Der Pascha verließ sie, indem er ihr nochmals andeutete, daß sie sich als ein Mitglied seines Harems anzusehen habe. Die einzige Hilfe, die der Verzweifelten beifiel, war, einen europäischen Arzt zu verlangen. –

Doktor Welland hatte den Morgen nach der Schlacht bis zum späten Nachmittag im Lazarett zugebracht, Hunderte der armen Verwundeten, die sich zurück zum türkischen Lager zu schleppen vermocht hatten, Hilfe bringend und die traurigen Leistungen der ihm beigeordneten Unterärzte und Chirurgen beaufsichtigend. Zum Tode erschöpft, langte er in der Locanda Alexo's an, wo Nursah, der schwarze Diener, der jeden seiner Wünsche ihm an den Augen abzulauschen schien, ihn mit bereit gehaltenen Erfrischungen erwartete.

Nur einem hatte seltsamer Weise der Sklave sich immer bisher zu entziehen gewußt: seinen Herrn in die türkischen Bäder zu begleiten und ihn dort zu bedienen!

Der Doktor war noch mit seinem Mahle beschäftigt, das von mehreren der türkischen Offiziere geteilt wurde, und lauschte den Einzelheiten der blutigen Schlacht, als ihm von Alexo, dem Wirt, gemeldet wurde, daß ein höherer Offizier ihn zu sprechen wünsche.

Es war Graf Pisani, der ihn im selben Zimmer erwartete, in welchem er mit Apollony, dem walachischen Agenten, die für das Schicksal der Gräfin Laszlo so unheilvolle Unterredung gepflogen.

Der Arzt kannte den Grafen seit den wenigen Tagen seines Aufenthaltes in Widdin nur von Ansehen. Der innere Instinkt seiner ehrlichen Seele warnte ihn vor dem glänzenden Tiger und er erwartete stillschweigend die Anrede.

»Verzeihen Sie, Signor Dottore, daß ich Sie nach den vielen Anstrengungen noch in Anspruch nehme. Im Selamlik des Gouverneurs befindet sich eine kranke Dame, die Ihrer Hilfe bedarf. Sie ist durch Schreck und Furcht in große Nervenaufregung versetzt und es wird nötig sein, ihr ärztlichen Beistand zu leisten. Darf ich um diesen bitten? Sobald es Ihnen genehm, wird mein Diener Sie dahin geleiten.«

Der Arzt verbeugte sich.

»Ich werde in einer halben Stunde bereit sein.«

»Ich habe bei dem Besuch eine Bitte an Sie, Doktor,« bemerkte der Graf. »Man wird Sie nach mir fragen und Sie wahrscheinlich mit einer Botschaft an mich beauftragen. Ich bitte Sie nun, der Dame gegenüber zu tun, als sei ich Ihnen gänzlich unbekannt. Es versteht sich von selbst, daß ich Ihre ärztliche Mühewaltung honorieren werde.«

Die ruhigen, ernsten Augen des deutschen Mannes hatten sich finster zusammengezogen.

»Ich biete gern meine Hilfe, Herr Graf,« sagte er gemessen, »wo sie verlangt wird. Zu Intriguen und Lügen bin ich unfähig.«

Der Oberst lächelte verächtlich.

»Sie und Ihre Vergangenheit sind mir nicht unbekannt, und ich habe das Recht, Sie zu dem kleinen Dienst aufzufordern, den ich von Ihnen verlange. Sehen Sie dies!« Die Hand, die er in die Brustöffnung seiner Uniform gesteckt, zeigte dem Arzt einen kleinen Gegenstand.

Der Doktor fuhr unwillkürlich zurück.

»Immer dies unselige Zeichen!« sagte er schmerzlich und unwillig. »Wohin ich mich auch wende, überall verfolgt es mich. Doch, was Sie auch denken mögen, Herr Graf, ich bin es müde, meine Ehre und mein Gewissen unter einem Zwange zu beugen, den mir eine Torheit der Jugend auferlegt hat.«

»Sie verweigern den Gehorsam?«

»Ich weigere mich, eine Lüge zu sagen. Alles, was mir Ehre und Pflicht gestatten, bin ich bereit, zu tun.«

Der Graf, der offenbar noch andere Aufträge beabsichtigt hatte, bedachte sich einige Augenblicke.

»Ihre Weigerung, die Sie natürlich zu vertreten haben, kann in meinen Absichten nur wenig ändern. Es bleibt dabei, daß Sie sich zu der Kranken begeben, die eine in türkische Gefangenschaft geratene Dame von jenseits der Donau ist. Ich will Ihnen nicht weiter wehren, ihr zu sagen, daß Graf Pisani Ihnen bekannt und hier am Orte ist, aber ich habe das Recht, Sie zu ersuchen, daß Sie jedes nähere Eingehen auf meine Verhältnisse und etwaige Aufträge ablehnen.«

Der Arzt verbeugte sich schweigend.

»Die Dame«, fuhr der Graf fort, »mag ihre Wünsche mir auf andere Weise zugehen lassen; ich habe selbst nichts dawider, daß Sie ihr meine Adresse geben. In einer halben Stunde wird mein Diener Sie auf dem Tschardak der Locanda erwarten. Adieu, Signor Dottore.« – –

Der Morgen sog die frischen Nebeldüfte von der wallenden, wogenden Fläche des Stromes. Zu den Füßen der Gräfin Helene kniete Marutza, die walachische Dienerin.

»Deine Befehle sind erfüllt, o Exzellenza, meine süße Herrin,« berichtete das Mädchen in schlechtem Italienisch, »aber mein Herz ist schwer geworden bei Bestellung der Botschaft und meine Wange bleich. – Hast Du von dem Wudkoklak gehört, o schöne Herrin?« flüsterte sie scheu.

»Ich verstehe Dich nicht, mein Kind. Wird Graf Pisani mir Hilfe leisten in dieser eigentümlichen Not? wird er kommen? Sprich – gib mir Antwort.«

»Er wird nicht säumen, Herrin,« sagte ängstlich das Mädchen; »wann hätte der Wudkoklak je gezögert, wenn es galt, sich auf seine Beute zu stürzen? Weißt Du auch, wem ich Dein Blatt gebracht?«

»Dem Oberst Pisani, jetzt in türkischen Diensten, einem alten Freunde von mir. Er allein kann mich retten.«

»Was kümmert mich sein Name in der Welt! Er ist ein Wudkoklak – ich sah es an dem Faltenmal auf seiner Stirn, an seiner Leichenfarbe und dem höhnischen Zug um seinen Mund!«

»Ich verstehe Dich nicht, wer ist Dein Wudkoklak?«

Das Mädchen blickte sie scheu an:

»Das ist der Vampyr, der als Mensch unter den Lebendigen wandelt und die junge Braut sucht, die er zum ewigen Verderben umstricken und deren Blut er aus den blauen Adern trinken muß.«

Die Gräfin schauderte.

»Du bist ein törichtes Kind und hängst an dem Aberglauben Deines Volkes.« – – – –


Der Oberst saß an ihrer Seite, seine Stirn bewölkt, während ihr angstvoller Blick an seinem Antlitz hing.

»Um Gotteswillen, Sie können mich doch nicht in der Gewalt dieser Menschen lassen? Nehmen Sie die Hilfe der österreichischen Behörden in Anspruch!«

Der Sarde lächelte verächtlich.

»Bei dem langsamen Wege der diplomatischen Reklame würden Sie längst verloren sein. Die Sache ist schwieriger, als Sie denken, teure Freundin. Die Stellung der europäischen Offiziere unter diesen halbasiatischen Horden ist eine ganz andere, als wir sie gedacht haben, unser Einfluß durch das Mißtrauen gegen alle Christen äußerst gering. Dazu ist Sami-Pascha unbeschränkter Gebieter in Widdin und von der Armee ganz unabhängig. Der alte Schuft ist ein eingefleischter Türke und hat nach den Sitten der Moslems ein unbestrittenes Anrecht auf Ihre Person. Er hat Sie als Kriegsgefangene gekauft. Es ist ein Unglück, daß es den schurkischen Überläufern eingefallen, Sie wahrscheinlich in der Hoffnung eines reichen Lohnes oder Lösegeldes mitzuschleppen, und noch ein größeres, daß ich nicht Kunde davon erhielt, ehe der schändliche Handel geschlossen war.«

»Aber so bieten Sie ihm das Zehn-, das Zwanzigfache dieser Summe!«

»Das ist längst geschehen, doch der alte Lüstling weigert sich, die – ich muß es aussprechen, so hart das Wort klingt – die Christensklavin zu verkaufen. Es ist eine besondere Gunst und nur seiner Furcht vor meiner Person oder seinem Trotze auf sein Recht nach dem muselmännischen Gesetz zuzuschreiben, daß er mir den Zutritt zu Ihnen bewilligt hat. Selbst der Arzt, der, wie ich höre, zu Ihnen gerufen wurde, mußte geloben, tot und taub zu sein für alles, was er innerhalb der Wände seines Haremliks erfährt.«

Die Gräfin rang verzweifelnd die Hände.

»In welche Schmach, in welches Entsetzen habe ich mich verstrickt! Ihr Rat, Oberst, führte mich nach Krajowa und zu der schimpflichen Stellung, die mein Unglück geworden. An Ihnen ist es, mich zu retten.«

»Und ich will es,« sagte ernst der Mann an ihrer Seite. »Aber hören Sie mich, Helene, hören Sie meine Beteuerung. Nicht die Selbstsucht eines Mannes, dessen Ergebenheit und Huldigung wohl Anspruch auf Ihre Gerechtigkeit hat, – die bittere Notwendigkeit allein zwingt mich, Ihnen das einzige Mittel zur raschen Befreiung vorzulegen. Ich muß irgend ein Recht haben, sei es auch nur scheinbar, auf das gestützt ich nötigenfalls die Offiziere und Führer des Heeres zu meinem Beistand gegen die Willkür Sami's aufrufen kann! O, mißverstehen Sie mich nicht, Helene, – Ihre Rettung allein legt mir das Wort in den Mund.«

Die Gräfin war noch bleicher geworden, als die Angst sie gemacht, all' ihr Blut schien zum Herzen zurückgetreten, an das sie die kleine Hand preßte, – der erste giftige Odemzug des Wudkoklaks erstarrte sie.

»Wie meinen Sie dies, Graf?«

»Hören Sie mich an, Helene! Sie wissen, daß ich Sie liebe, auch ohne daß ich wie ein törichter Knabe zu Ihren Füßen gelegen. Ich bin ein Mann und Soldat und werbe wie ein solcher um das Weib meines Herzens. Daß der Besitz Ihrer Hand das Ziel meiner höchsten Wünsche ist, fühlten Sie längst, wenn ich auch vermieden habe, diese Wünsche Ihnen geradezu auszusprechen, denn ich weiß, daß Sie nichts für mich empfinden und nur den Freund, den Mann von gleicher politischer Gesinnung, den Verteidiger Ihres tapferen und unglücklichen Volkes in mir sehen, der gegen die Fesseln der Tyrannei und für den erhabenen Gedanken der Freiheit kämpft, für die Sie in diesem Augenblick unwürdig leiden. Ich bin zu stolz, um von Ihrer Verlegenheit Nutzen zu ziehen für das Erreichen meiner Wünsche, – aber es ist notwendig, unbedingt notwendig zu Ihrer Befreiung, daß Sie eine kurze Zeit für meine erklärte Braut gelten. Dies allein gibt mir ein Anrecht auf Ihre Person, und kein Offizier wird sich weigern, Sie, wenn es sein muß, mit Gewalt dem Pascha abzuzwingen.«

Ihre zarten Hände bedeckten das Gesicht, – sie schluchzte, – nur das Weib war von der kühnen, stolzen Patriotin geblieben.

»Ich weiß,« fuhr der Graf mit schmerzlichem Tone fort, »wie schwer auch nur dieser Gedanke auf Ihnen lastet, und daß das Bild eines Glücklicheren denn ich – das Bild eines Despotensöldners in dem Herzen wohnt, das doch für die Befreiung seiner Nation schlägt. Aber hören Sie wohl, Gräfin, ich gebe Ihnen hiermit das Ehrenwort eines Edelmannes und eines Offiziers, daß die Erklärung, die Sie zu meiner Braut macht, nie gegen Sie benutzt werden soll, es sei denn,« – er hielt einige Augenblicke inne – »Sie wünschten und verlangten selbst deren Erfüllung.«

Die Gräfin sah das spöttische Lächeln des Triumphes nicht, das sein männlich schönes Gesicht verzog. Seine schwarzen Augen ruhten mit jener magnetischen Gewalt der Schlange auf ihr, die das Opfer in ihre Kreise bannt. Ein unerklärliches Gefühl drückender Angst lastete trotz des Versprechens schwer auf ihrem Herzen; dennoch empfand sie, daß sie den Vorschlag annehmen müsse, daß er der einzige Ausweg sei aus der schrecklichen Lage.

»Ich tue Ihnen weh, mein Freund,« sagte sie abgewandt und reichte ihm die Hand, »und dennoch – ich kann jetzt nicht über Ihre Bewerbung entscheiden, ich muß Ihr Wort als Unterpfand meiner freien Entschließung annehmen.«

»Sie willigen ein?«

»Wenn ich mir selbst frei bleibe – ja!«

Der Graf küßte ihr die Hand. Dann entfernte er sich für eine kurze Zeit, während der die junge Frau mit den bangen Ahnungen ihres Herzens kämpfend, das Antlitz in den Kissen des Divans verbarg. Pisani kehrte mit Schreibgerät zurück und legte ein Blatt Papier vor die Gräfin.

»Es ist nötig, gnädige Frau, daß Sie einige Worte zur Bestätigung meines Rechtes niederschreiben. Mit ihnen in der Hand werde ich sofort die nötigen Schritte tun.«

Ihre Hand zitterte, als sie die Feder ergriff.

»Was muß ich schreiben?«

»Erlauben Sie mir, Ihnen die kurzen Worte zu diktieren, Sie sind zu aufgeregt, um selbst das Zuviel und Zuwenig zu vermeiden.«

Er sagte sie ihr in französischer Sprache und ihre Finger schrieben sie langsam nieder, während aus den schönen Augen ein Tropfen auf das Papier fiel. Die Worte lauteten:

»Helene Gräfin von Laszlo überträgt dem Obersten Grafen Antonio Pisani, als Ihrem Verlobten, den Schutz und das Recht an ihrer Person und an ihrem Eigentum.«

»Die letztere Bestimmung ist nötig,« sagte der Oberst nachlässig, »um der Habsucht Sami-Pascha's Schranken zu setzen.«

Die Gräfin hatte der Worte kaum geachtet. Sie unterzeichnete und reichte dem Sarden das Blatt. Als er es berührte, zuckte es wie ein elektrischer Strahl kalt und schneidend durch Ihre Nerven.

»Ich habe Ihr Wort?«

»Wie weh tun Sie mir, Helene, mit diesem Rückhalt! Morgen spätestens werden Sie frei sein!«

Er beugte das Knie vor ihr und küßte zärtlich ihre Hand, die sie ihm schaudernd überließ. Dann erhob er sich und verließ sie. Fest trat sein Fuß auf, trotzig hob sich der Kopf und die dunklen Augen funkelten in der Gewißheit des Sieges, als er die Tür der Gemächer und den Eunuch-Khawaß, der an ihr Wache hielt, hinter sich gelassen. Er bemerkte kaum die Dienerin, die aufgeregt, scheu an ihm vorüber schlüpfte und zu der Herrin eilte.

Das Mädchen war in seltsamer Aufregung, seine schönen blauen Augen glänzten diesmal freudig, als es in die Wohnung des türkischen Despoten zurückkehrte, dessen Machtspruch sie den Ihren entrissen. Die Gräfin, zu deren Dienst man sie bestellt, hatte die abergläubische Warnerin am Mittag auf einige Stunden fortgeschickt, als sie Graf Pisani erwartete, und Marutza kehrte jetzt von dem Hause ihres Vaters zurück, wohin sie, diese Zeit benutzend, geeilt war.

Die junge Bulgarin warf sich am Ruhebette der Dame nieder, für die, obschon kaum vierundzwanzig Stunden verflossen waren, seit sie sich in ihrer Nähe befand, doch bereits ihr ganzes Herz mit jener zähen Ergebenheit schlug, die eine eigentümliche Tugend dieses Volkes ist.

»Weine nicht, schöne Herrin,« flüsterte sie schmeichelnd, »der Unheimliche ist fort und ich bringe frische Hoffnung. Du sollst frei werden, noch ehe die Sonne wieder die Minarets von Widdin bescheint.«

Die Gräfin preßte die Hand der jungen Trösterin.

»Ich weiß es, aber Du weißt nicht, welches Opfer es mich kostet. Er hat versprochen und hält sein Wort.«

»Er! – Wen meinst Du, Herrin?«

»Nun, Graf Pisani, der mich eben verließ.«

»Den Sohn der Hölle? – Unglückliche Herrin – er Dich retten? Er ist der Wudkoklak und alles, was er tut, wird Dich in den Abgrund ziehen. O, sieh her! – kennst Du dieses Tuch?«

Sie reichte der Gräfin ein feines Kantentuch, das diese forschend und ängstlich prüfte. Es trug ihren Namenszug mit dem Wappen darüber in eleganter Stickerei.

»Mädchen, um der Heiligen willen – woher hast Du dies Tuch? Es ist das meine, und dennoch brachte ich es nicht hierher?«

»Erinnerst Du Dich an die große Sultansstadt an der Donau, von der die Schiffe mit dem Rauch hier vorbeifahren?«

»Wien?«

»Ja so heißt sie. Es ist ein großer Garten darin. Doch habe ich den Namen in der Eile vergessen.«

»Der Prater?«

»Es mag sein. Ich soll Dich fragen, ob Du des Tages gedenkst, an welchem in diesem Garten Deine Pferde mit dem Wagen durchgingen, und des Mannes, der damals von Dir schied?«

»Marutza!« – die Hand der Gräfin preßte krampfhaft den Arm der jungen Bulgarin. »Mädchen – weiter – weiter!«

»Er nahm dies Tuch damals mit als Andenken und trug es in den Schlachten seines Volkes. Er ist kein Moslem, obschon er die Kleidung der Mörder trägt.«

»Er ist hier?«

»Vor einer Stunde gab mir der Fremde das Tuch. Er ist ein Freund Michael Miloje's, meines Bräutigams. Er sagt, er müsse Dich sprechen um jeden Preis, und wenn Dir hier Gefahr drohe, werde er nicht weichen, bis er Dich gerettet.«

Die Gräfin rang die Hände.

»Der Wahnsinnige, in welche Gefahr hat er sich gestürzt! Und ich – in demselben Augenblick meine Ehre, mein Leben in die Hand eines anderen gegeben, in die Hand seines Feindes!«

»Ich warnte Dich vor dem Wudkoklak!«

Ihre Blicke fielen auf das Schreibzeug, das der Oberst zurückgelassen, und sie stürzte wie auf einen rettenden Ausweg darauf zu.

»Kannst Du zu ihm gelangen?«

»Ich soll ihn in der Locanda Alexo's des Wirtes erwarten, wenn der Abend kommt; in einer Stunde ist die Zeit da.«

Die Gräfin schrieb eilig einige Zeilen auf eines der Blätter, die zurückgeblieben waren.

»Aber wird Dein häufiges Gehen und Kommen nicht Verdacht erregen?«

Marutza lachte schlau.

»Ich habe dem Schwarzen, der dieses Hane bewacht, eine Flasche vom Feuertrank meines Vaters mitgebracht und ihm das Goldstück gegeben, das ich von dem Fremden erhielt. Das eine verschließt seinen Mund, das andere trübt seine Augen! Marutza kann frei ein- und ausgehen, nur Du, Herrin, bist die Gefangene!«

Die Gräfin hatte geendet. Sie faltete das Blatt zusammen und gab es an die Bulgarin, die es in den Busen steckte, ihr Kleid küßte und eilig verschwand.

Welche Gebete, welche Gedanken Helenes begleiteten sie! –


Am Vormittag desselben Tages hatten zwei Männer in der phantastischen und willkürlichen Tracht der Baschi-Bozuks, – wie die Binden um Arm und Kopf zeigten, beide nicht ohne leichte Wunden, durch das nördliche Tor die Stadt betreten. Bei dem fortwährenden Umhertreiben zahlloser Nachzügler und dem Leben und Drängen, das überall herrschte, konnte ihre Erscheinung niemand auffallen, obschon ein schärferer Beobachter leicht bemerkt haben würde, daß einem wenigstens das unnachahmliche Phlegma des Orientalen fehlte, und sein Schritt oft hastig den straffen militärischen Gang zeigte, während sein Auge scheu und aufmerksam umherschweifte. Er trug den linken Arm in einer alten Turbanbinde, seine Wange aber zeigte die kaum geschlossene Wunde eines leichten Hiebes.

Ohne viel Worte zu wechseln, schritten beide durch die Stadt und auf dem Wege nach Ternowo hin, bis sie zum Hane des Bulgaren Gawra kamen. Der grüne Zweig vor der Tür war jetzt entfernt und der Wirt saß mißmutig auf der Schwelle seines Hofes unter den Pferde- und Ochsenschädeln und rauchte seinen Schibuk.

»Dobar stchast (gut Glück),« grüßte der Jüngere der beiden Bozuks in dessen eigener Sprache den Wirt. Dieser schaute erstaunt deshalb auf, denn er war solcher Höflichkeiten von einem Moslem eben nicht gewöhnt.

»Da bog dai!« (das gebe Gott) lautete seine Antwort. »Bist Du denn ein Bulgar, junger Mann?«

»Wir beide sind Fremde. Aber ich sehe den Zweig nicht auf Deinem Tor, o Handja. Wir wollen einkehren bei Dir und Deinen Gaourt (saure Milch) und Rakih (Schnaps) kosten.«

»Wo kommst Du her, Freund,« sagte mürrisch der Wirt, »daß Du nicht weißt, wie drinnen im Hause ein Mulassim sitzt, den ich bezahlen muß, und den Seine Hoheit der Pascha zur Aufsicht in mein Haus gelegt hat, daß ich keine Herberge mehr halte. Geht Eurer Wege, Freunde, ich bin nichts als Pferdehändler und in der Ungunst des Herrn.«

Die beiden rührten sich jedoch nicht von der Stelle.

»Bist Du Gawra, der Wirt, so wirst Dir mir sagen können, wo Michael, Dein Neffe zu finden ist?«

Der Alte schaute erschrocken auf.

»Was kümmert mich der Landstreicher. Ich bin ein treuer Untertan des Sultans, unseres Herrn.«

Der Bozuk schlug rasch mit dem Daumen das Zeichen des griechischen Kreuzes und sein listiger Blick verständigte den Bulgaren.

»Rede keine Torheit, Handja, Du hast es mit Freunden zu tun und brauchst Dich nicht zu verstellen. Der Knees wollte mich bei Dir erwarten, und ich habe mit ihm nötig zu sprechen.«

Die Gefühle des Wirts in betreff seines künftigen Eidams schienen sich in den letzten achtundvierzig Stunden sehr geändert zu haben. Der Haiduk hatte ihm die Strafe, die der Pascha ihm auferlegt, reichlich ersetzt und Gawra wußte, daß er ihm sein Leben zu danken hatte. Überdies hielt er, durch die letzten Ereignisse gewarnt, jetzt selbst für nötig, daß der junge Mann bei erster günstiger Gelegenheit das schöne Mädchen in die sicheren Berge mit sich führe. Der Haiduk befand sich daher, trotz der drohenden Nähe der Feinde, in diesem Augenblick nicht weit von dem Sprechenden. Gawra selbst hatte ihm die Rolle gegeben, die er spielte.

»Siehst Du den Knecht dort, welcher am Brunnen die Pferde Deiner Brüder, der Soldaten tränkt, die sie in meine Ställe gestellt haben? Rede mit ihm, vielleicht kann er Dir Antwort geben.«

Sein Daumen zeigte nach einem jungen Manne in dem wollenen Kittel des armen Bulgaren ohne alles auffallende in seiner Erscheinung, außer seiner kräftigen Gestalt, der mit zwei anderen Knechten mit einer Anzahl türkischer Pferde im Hofe beschäftigt war.

Die Baschi-Bozuks schlenderten in den Hof, wo bereits mehrere ihres Gelichters umherlungerten und der Tätigkeit der Bulgaren träge zuschauten. Sie traten wie von ungefähr zu dem Schimmel, welchen eben der junge Mann striegelte, den Gawra, der Wirt ihnen angedeutet.

»Wallah! Ein kräftiges Pferd – ich möchte es unter den Beinen haben auf einem Ritt gegen die Moskows. Ich grüße Dich, Knees Michael Miloje.«

Die letzten Worte wurden flüsternd zu dem bulgarischen Knecht gesprochen.

»Bei den vierzig Märtyrern!« entgegnete der Bulgare, indem er sich, die Füße des Pferdes zu reiben, niederbeugte, »Du hast lange auf Dich warten lassen, und ich wäre bereits zu dem Hochgebirge zurückgekehrt, wenn mich nicht eine Otmitza hier gefesselt hielte. Sprich, was bringst Du für Hoffnungen für die Kinder der Berge vom schwarzen Zar, unserm Vater?«

Mungo, – denn er und der Kapitän, der erst nach vielen Vorstellungen vom General-Leutnant. Anrep die Zustimmung zu dem gefährlichen Wagestück der Selbstprüfung der Verhältnisse in Widdin erhalten, steckten in den Trachten der Baschi-Bozuks, machte sich mit dem Pferde zu tun.

»Schau den Mann an, der mich begleitet, o Knees, er ist einer der vornehmen Agas der Russen und herübergekommen, mit Dir und Deinen Brüdern zu verhandeln. Er hat außerdem ein persönliches Geschäft und möchte wissen, ob und wie eine Dame von jenseits des Stromes durch Überläufer gestern oder vorgestern ins Lager gebracht worden ist? Wann und wo kann er Dich sprechen?«

Der Bulgare kraute sich am Kopf.

»Ich weiß nichts von Deiner Dame, als daß meine Moma – Fluch dem Pascha! – seit zwei Tagen eine fremde Christin im Harem oder Selamlik des Gouverneurs bedienen muß. Bei den Gebeinen der Heiligen! da kommt sie selbst über die Ebene von der Stadt her. Nimm dies Pferd und führe es mit Deinem Gefährten nach dem hintersten Stall im Hof. Dort ist ein Verschlag in den Ihr Euch begeben mögt, – ich werde in wenig Zeit bei Euch sein.«

Eine Stunde darauf saßen die beiden kühnen Späher, der Haiduk und die Moma in einer der Hütten, die dem Handja für seine Haustiere und Vorräte gedient, jetzt aber längst von den Türken geleert war und besprachen sich eifrig, indem Mungo, soweit es nötig, den Dolmetscher machte. Dem Kapitän blieb kein Zweifel mehr, daß die Dame im Selamlik des Pascha die Gräfin Laszlo war und mit Schmerz hörte er von Marutza, die eben jenes Schreiben an den sardinischen Obersten besorgt, in wessen Händen die Geliebte sich befand. Die Anwesenheit Pisanis im türkischen Feldlager machte ihm klar, wie die Gräfin zu jenen Verrätereien bewogen worden, wenn sie auf der anderen Seite ihm auch wiederum die Entführung und die jetzige Gefangenschaft der Dame als Rätsel erscheinen ließ. Dennoch lebte das undeutliche Gefühl einer großen über der geliebten Frau schwebenden Gefahr in seinem Herzen, und er beschloß, womöglich den Versuch zu machen, sie zu sprechen, und wenn es ihr Wunsch, sie zu befreien.

Freilich waren die Mittel dazu sehr gering und beschränkten sich auf die Hilfe seines Begleiters, des Haiduken und etwa Alexos, des Wirts, dessen Zuverlässigkeit erst noch geprüft werden sollte. Der junge Knees indes erklärte das Wagestück für ausführbar, und daß er zugleich die ihm verlobte Braut mit entführen und beide Frauen über die serbische Grenze bringen wolle. Der Haiduk war in Widdin geboren und kannte daher jeden Teil der Festung, in der das Konak des Paschas lag, auf das genaueste. Marutza gab ihm die Nachrichten, in welchem Teil der Gebäude das Gemach der Gräfin lag und es wurde beschlossen, daß sie beim Anbruche des Abends die Verbündeten nochmals aufsuchen sollte, um die weiteren Pläne zu hören.

Während Miloje mit seinem Schwiegervater das Nötige verabredete und diesem das Versprechen abnahm, mit vier Pferden am Tor von Ternowo zu ihrem Dienst bereit zu sein, hierauf türkische Kleider anlegte und unter deren Schutz sich keck und frei in die Festung selbst wagte, wandten der Offizier und sein Gefährte sich zu der Locanda Alexos, des Wirts, deren Umgebung stets von Offizieren und Soldaten aller Art umlagert war. Hier gelang es der Schlauheit Mungos leicht, dem Wirt ein Zeichen zu geben und sich mit ihm zu verständigen. Durch die hintere Pforte seines Gehöfts wurden die beiden Abenteurer eingelassen und in dasselbe Gemach quartiert, in dem die Entführung der Gräfin beschlossen worden.

Der Slowake, treulos gegen alle Parteien und nur auf seinen Geldgewinn bedacht, hielt es für wichtig und nötig, seine russischen Verbindungen wenigstens nicht durch einen unnützen Verrat preiszugeben, und es gelang ihm leicht, in betreff der Spionage der Gräfin sich zu rechtfertigen, indem er jede Kenntnis davon leugnete. Da er die Belohnung des Obersten bereits in der Tasche hatte, war er zu jeder neuen Intrigue gegen goldene Vergütung gern bereit und schaffte willig alles an, was man von ihm verlangte. Die Gelegenheit sollte ihm zeigen, auf welcher Seite sich ihm der meiste Vorteil bot.

Während der Kapitän hierauf allein in dem Versteck zurückblieb und Mungo in der Nähe umherstrich, um den Haiduken aufzusuchen, hörte der Offizier es in der von Alexo ihm angegebenen Weise an die Tür pochen und öffnete. Zu seinem Erstaunen stand ein schwarzer Knabe vor ihm, der eilig in das Gemach schlüpfte und wieder die Tür verschloß.

Die Brust des Knaben hob sich ängstlich und hastig.

»Signor,« sagte er auf italienisch, »ich habe alles gehört, denn meine Schlafkammer ist über diesem Gemach und nur durch eine dünne Bretterdecke von ihm geschieden. Du bist ein Russe?«

»Was willst Du damit, Bursche?« fragte der Offizier und faßte rasch entschlossen den Arm des Mohren, um sich seiner zu bemächtigen.

»Laß mich; Du siehst, ich bin Dir nicht feind, sonst wäre ich nicht hier. Ich komme, Dich zu warnen. Der Wirt dieses Hauses, dem Du Dich anvertraut, ist ein Verräter an der Sache Deines Glaubens und Deines Volkes; mißtraue ihm!«

»Wer bist Du, Knabe?«

»Ich bin der Diener eines fränkischen Arztes, Signor, und Deiner Nation ergeben. Lies hier den Beweis.« Er holte aus einem seidenen Beutelchen, das an einer Schnur unter den Kleidern auf seiner Brust hing, ein Papier. »Kennst Du Signor Oelsnero in Konstantinopel?«

Der Kapitän las.

»Ich weiß, daß er einer der Unsrigen ist und sehe, daß ich Dir trauen darf. Aber was soll ich tun?«

»Der Wirt ist habsüchtig. Biete ihm gelbes Gold, mehr als Deine Feinde, und er wird Dir helfen. Ich wollte Dich nur warnen, ihm nicht viel zu trauen. Lebe wohl, Signor; Nursah wird über Dir wachen.«

Der Knabe entschlüpfte. –

In tiefem Nachdenken erwartete der Kapitän die Gefährten, die ihm der Wirt mit Marutza, nachdem die Dunkelheit bereits eingetreten, zuführte. Das Mädchen übergab ihm das von der Gräfin geschriebene Blatt. Beim spärlichen Schein einer Lampe las der Kapitän die folgenden von einem geängsteten Frauenherzen diktierten Worte:

»Ich weiß, daß Sie hier sind, und die Gefahr, in die Sie sich um meinetwillen gestürzt, erhöht die Schmerzen, die mein Herz zerreißen. Bei den Worten der Liebe, die Sie mir einst im Prater von Wien gesprochen, beschwöre ich Sie, verlassen Sie sogleich Widdin und das türkische Gebiet, Sie wissen nicht, welchem Feinde Sie hier begegnen könnten. Sorgen Sie nicht für mich, – ich werde morgen frei sein, – der Himmel wird mich schützen und ich sehe Sie in Krajowa wieder. Fliehen Sie, bei Ihrer und meiner Liebe, fliehen Sie!

Helene.«

Die letzten Worte des Blattes ließen ihn alles andere vergessen und er preßte es stürmisch an seine Lippen.

»Um keinen Preis darf sie zurückkehren! Ich muß sie selbst sehen, sprechen, und weiche nicht eher von diesem Boden. – Höre, Wirt – auf ein Wort.« Er zog ihn in eine Ecke. »Ich weiß, Du bist ein Schurke, und tust, was Du tust, um Gold, nicht um der Sache willen! Doch höre mich! Bist Du wenigstens in dieser Sache mir treu und ergeben, so sollst Du einen Lohn erhalten, wie ihn Dir schwerlich ein Verrat einbringen würde. Hier ist ein giltiger Wechsel auf Sina in Pesth, den Du den österreichischen Konsul prüfen lassen magst. Er lautet auf fünfhundert Dukaten, und sie sollen Dir ausgezahlt werden, wenn Du mich in meinem Unternehmen unterstützest und wir ungefährdet aus Widdin kommen. Jetzt sprich, ob wir uns auf Dich verlassen können?«

Der Slowake prüfte sorgfältig den Wechsel.

»Euer Exzellenz können sich auf Alexo verlassen; ich schwöre Ihnen bei der Seele meines Vaters, daß ich alles tun werde, was möglich ist.«

»Gut, wir sind einig. Nun zu Euch. Ich will und muß die Dame sprechen, die im Konak des Gouverneurs gefangen gehalten wird, denn es droht ihr eine neue Gefahr. Habt Ihr irgend ein Mittel, dies im Laufe des Abends möglich zu machen?«

»Der Weg über den Festungswall bis zum Hause des Pascha's wird in einer Stunde frei sein,« sagte der Haiduk. »Ich kenne einen alten Winkel, durch den man ungehindert aus- und eingelangen kann.«

»Aber die Wachen?«

»Es steht eine einzige in der Nähe jenes Teiles des Selamlik, die uns hindern könnte; ich nehme sie auf mich.«

»Das würde für die Flucht genügen, wenn die nötig wird. Aber wie gelange ich zu der Gräfin selbst?«

»Wenn wir die Gewänder einer türkischen Frau hätten,« sagte Marutza, »so wüßte ich Rat.«

»Ich kann sie mit leichter Mühe anschaffen,« meinte der Wirt.

»Wohl, so tue es. Ich muß jetzt zum Selamlik zurückkehren, ehe die Tore geschlossen werden. Ich werde die Kleider in einem Packet mit mir nehmen. Der Signor Offizier folgt mir in kurzer Entfernung, es kann keinen Verdacht erregen, wenn ein Baschi-Bozuk in die äußeren Höfe eintritt, es treiben sich dort fortwährend Männer umher, bis die Tore geschlossen werden. Nur der Zutritt in das Selamlik selbst ist gefährlicher, da dort Wachen stehen, und was geschieht, muß vor der vierten Stunde (9 Uhr) geschehen, denn nach dieser Zeit kann niemand das Selamlik verlassen oder in den Höfen verkehren, ohne von den Wachen angehalten zu werden. Ich werde vor dem Capitano hergehen bis zu einem dunklen Winkel, wo er sich ruhig lagern mag. Wenn ich sehe, daß der Schwarze, unser Wächter, trunken oder unaufmerksam ist, werde ich unter einem Vorwand zurückkehren und ihn holen. In den Yaschmak und den Mantel einer türkischen Frau gehüllt, kann er mir ohne Besorgnis folgen, die trüben Augen Ali's, unseres Wächters, werden ihn nicht erkennen.«

Der Plan wurde gut befunden, und während Alexo ging, die Gewänder herbeizuschaffen, machte sich der Offizier fertig zu dem gefährlichen Wege. Mungo erhielt den Auftrag, den Wirt mit den Pferden für alle Fälle bereit sein zu lassen, und der kühne Haiduk übernahm es, den Kapitän auf dem Schlupfwege wieder aus der Festung zu schaffen und nötigenfalls die Flucht der Frauen in derselben Weise zu bewerkstelligen. Marutza trieb zur Eile und der Wirt entließ die Verbündeten, auf demselben Wege, auf dem er sie in seine Locanda geschmuggelt hatte.

Das Mädchen schritt eilig voraus durch die bereits dunkelen Gassen. In einiger Entfernung von etwa 20 Schritt folgte ihr der Kapitän, in den zerlumpten kurdischen Mantel der Bozuks gehüllt. Viele Menschen bewegten sich in den Gassen; so waren sie bereits bis zu dem Damm gekommen, welcher auf das Tor der Festung zuläuft, als zwei in Mäntel gehüllte Männer, die ihnen entgegen kamen, auf das Mädchen im Vorübergehen aufmerksam geworden schienen. Der eine, ein Offizier, blieb stehen und sah Marutza nach, und so kam es, daß er durch eine rasche Bewegung mit dem falschen Baschi-Bozuk zusammenstieß und diesem für einige Augenblicke der Mantelzipfel vom Gesicht fiel. Einen Moment lang starrten beide Männer sich an, der Kapitän erkannte sogleich den Grafen Pisani in seinem Gegner, dieser jedoch schien durch das matte Sternenlicht, das allein den Platz erhellte, getäuscht zu sein, und wenn ihm in dieser Nähe auch das Gesicht bekannt vorkam, doch im Augenblick nicht zu wissen, wo er es hin tun sollte. Der Russe hatte Geistesgegenwart genug, um sich nicht zu verraten, und den Mantel rasch wieder um sich ziehend, sprach er den gewöhnlichen türkischen Gruß und ging weiter.

Der Sardinier blieb nochmals einige Augenblicke stehen und schaute den beiden nach.

»War es mir doch, als müßte ich den türkischen Lümmel kennen,« sagte er zu seinem Begleiter, dem Banditen Sta-Lucia. »Sieh, ich glaube gar, er folgt dem Mädchen in den Konak und – Demonio! – sie macht ihm ein Zeichen!« Er lachte laut auf. »Die bulgarische Dirne hat sich einen verteufelt zerlumpten Galan ausgesucht!« Er wollte eben weiter gehen, als er auf der Erde etwas weißes blinken sah, gerade an der Stelle, wo er mit dem Fremden zusammengestoßen war. Es hatte eine Briefform und, dadurch aufmerksam gemacht, hob er das Blatt auf und behielt es in der Hand, indem beide ihren Weg fortsetzten.

Wie es häufig geht, daß ein zufällig aufgestoßenes Gesicht uns verfolgt und sich in unsere Gedanken nistet, so hatte auch der Oberst noch keine zehn Schritte getan, als ihn das Bild des Baschi-Bozuks schon wieder beschäftigte und ungeduldig darüber und um auf etwas anderes zu kommen, näherte, er sich einem Hause, aus dessen engem Fenster ein Lichtstrahl fiel, und besah das Papier, das er in der Hand hielt. Es war ein zusammengefalteter Brief ohne Aufschrift; der erste Blick jedoch, den er auf seinen Inhalt warf, schien wie ein Blitzstrahl in seinem Geiste zu zünden. – »Corpo di bacco! wo hatte ich meine Augen? bin ich blind? – er ist es, er muß es sein, diese Worte beweisen es, wenn ich meinen Augen nicht trauen wollte! – Der Tor wagt sich in die Höhle des Tigers und er soll es bereuen! – Sie stehen in Verbindung und in diesem Augenblick schon ist vielleicht alle meine Mühe umsonst, und der glücklich angelegte Plan ist vergebens!«

Seine Augen funkelten in Wut und Ärger, dann machte die Leidenschaft jedoch der gewohnten kalten Überlegung Platz und im nächsten Moment schon zuckte ein Blitz teuflischen Triumphes nach der Festung zurück. »Bin ich ein Tor geworden,« flüsterte er für sich, »daß ich nicht gleich begriffen, welche Macht damit in meine Hand gegeben ist? – Jetzt, Gräfin Helene, bist Du mein und Dein Stolz soll gebrochen zu meinen Füßen liegen! – Lucia!«

Der Bandit, der mit Erstaunen auf das aufgeregte Benehmen seines sogenannten Gebieters geblickt hatte, sprang herbei.

»Was gibt es, Signor Conte?«

»Geschwind zurück nach dem Tor des Konaks und lege Dich in irgend einem Winkel in Hinterhalt. Du hast den Baschi-Bozuk gesehen, der eben der bulgarischen Dirne folgte. Habe Falkenaugen, daß er nicht wieder aus dem Konak entwischt, ehe ich bei Dir bin! Der Mann trägt den linken Arm in der Binde, als wäre er verwundet, und einen hellen Turban. Kommt er, so wirf ihn zu Boden und ruf' die Wache zu Hilfe!«

Er eilte davon, nach der Locanda Alexos zu, wo er die Offiziere wußte, den verhängnisvollen Brief in seiner Hand, den Brief, den Gräfin Helene an den Kapitän geschrieben, den dieser durch einen unglücklichen Zufall bei dem Zusammenstoß mit seinem Feinde aus dem Wams verloren hatte.

Sta-Lucia, der Korse, lief zum Eingang des Konaks, vor dem er sich gleich einem Cerberus lagerte, mit scharfem Blick jeden Ein- und Auspassierenden musternd. – –

Es war gegen acht Uhr abends, als aus einem alten Cisternenwinkel des inneren Festungshofes eine lange Gestalt in einem grünen Frauenmantel, den Yaschmak dicht über den Kopf gezogen, hinter der schönen Bulgarin herschlich, die Wasser am Brunnen des Hofes geholt. Aus dem um das Haus laufenden Tscharak führte eine Treppe zu dem Teile, den die Gräfin als Gefangene bewohnte, und in einer Art Vorgemach, aus dem ein Gang in das Innere des Hauses lief, kauerte der alte Mohr, dem die Bewachung der Dame anvertraut war, neben dem Kohlenbecken, an dem er abwechselnd Hände und Füße wärmte. An seiner Seite stand die längst geleerte hölzerne Flasche, die ihm Marutza am Mittag mitgebracht, und er war eben beschäftigt, sich seinen Kaffee zu bereiten. Es würde für einen kräftigen Mann ein leichtes gewesen sein, den Alten zu überwältigen, aber der geringste Hilferuf, jedes ungewöhnliche Geräusch hätte zwanzig seiner Gefährten herbeigeführt, von denen die Höfe und die meisten Teile des weitläufigen Baues belebt waren.

»Mashallah, Mädchen,« sagte der alte Khawaß, »Du bist zwar eine Christin und die Tochter einer Hündin, aber unter den Schweinen sind die Bulgaren noch die besten, und es ist freundlich von Dir, daß Du mir diese Flasche da gebracht hast. Ich wollte, es wäre nur mehr darinnen gewesen, und ich hoffe, Du wirst sie mir aufs neue füllen.«

»Morgen, Ali, wenn ich zur Hane gehe, ich verspreche es Dir. Doch nun halte uns nicht auf, dies ist die Massaldschi (Märchenerzählerin) aus der Stadt, die uns den Abend erheitern soll; Du weißt, die Khanum bedarf dessen, denn sie weint den ganzen Tag. Die Massaldschi wurde so lange im Harem unseres Gebieters aufgehalten und ich fand sie erst an unserer Tür.«

Der Khawaß betrachtete einen Moment die fremde Gestalt mit schläfrigen Augen, dann wandte er sich wieder zu seiner Beschäftigung.

»Geht hinein, Ihr Weiber, aber bedenkt, daß die Tore der Festung schon in einer Stunde geschlossen werden. Wallah! Auf Euer Haupt komme die Versäumnis.«

Die beiden verschwanden in dem Eingang des ersten Gemachs.

Die Gräfin lehnte in dem ihren auf dem Divan, den Kopf in die Hand gestützt. Von Marutza hatte sie das glückliche Überbringen des Briefes erfahren, das Mädchen ihr jedoch, nach dem Wunsche des Kapitäns, noch nichts von dem Wagestück verraten, das dieser unternommen, um sie zu sehen.

Als die Tür sich öffnete, glaubte die Dame daher nur ihre Dienerin eintreten zu hören, und sagte, ohne den Kopf zu wenden:

»Setze Dich zu mir, Marutza, und erzähle mir jedes Wort, das er gesagt. Mein Herz ist schwer von Angst, und ich wollte die Welt darum geben, wenn ich den Unvorsichtigen erst glücklich aus Widdin wüßte.«

»Nicht ohne Sie, Helene,« sagte eine männliche Stimme neben ihr.

Erschrocken fuhr sie empor und sah die fremde Gestalt an ihrer Seite; Feredschi und Yaschmak fielen zwar zu Boden, aber bestürzt fuhr die Gräfin trotz der bekannten Stimme zurück, als sie einen Baschi-Bozuk in seiner wilden, seltsamen Tracht vor sich sah, der sich auf das Knie geworfen und ihre Hand ergriffen hatte; ein zweiter Blick zeigte ihr jedoch die Züge des russischen Kapitäns, und der Angstschrei erstickte in ihrer Kehle.

»Um aller Heiligen willen, Sie hier? O, fliehen Sie, Sie bringen uns beide ins Verderben!«

»Ich bin hier, Sie dem zu entreißen. O, hätten Sie meiner Warnung Gehör gegeben in Wien und sich von jenem Tun freigehalten, das außer der Sphäre des Weibes bleiben soll! Ich mußte Sie sprechen, Gräfin Helene, um Ihnen zu sagen, daß die wahren Zwecke Ihres Verweilens auf Ihrem Gute bekannt sind, daß einer Ihrer Boten aus dem türkischen Lager aufgefangen worden ist. Der kommandierende General hatte in derselben Nacht den Befehl gegeben, Sie zu verhaften, an deren Morgen Sie von den Dorobandschen entführt wurden. Mein Bote, der Sie warnen sollte vor der drohenden Gefahr, traf leider zu spät ein.«

Die Gräfin sah ihm voll ins Gesicht.

»Und Kapitän Meyendorf hat das wirklich gewagt für Eine, die ihn so schwer verletzte, für die Feindin seines kaiserlichen Idols?«

Er preßte ihre Hände in den seinen.

»Was wog jener Schmerz, den Sie mir bereiteten, jener Sieg meines Nebenbuhlers gegen Ihre Rettung? Was galt die Republikanerin gegen das Weib meines Herzens? – Als ich nach der blutigen Schlacht von dem Unglück vernahm, das Sie betroffen, da zog es mich wie mit tausend Banden Ihnen nach, und ich mußte wissen, welche Gefahr Sie hier bedrohte.«

»Aber bedenken Sie auch, daß man Sie erkennen und gefangen nehmen kann?«

Der Baron schaute sie ruhig und fest an.

»Werde ich hier ergriffen,« sagte er ernst, »und bei Gott! es war vor kaum einer halben Stunde nahe daran, so werde ich ohne weiteres als Spion erschossen, und nicht allein mein Leben, auch meine Ehre ist vernichtet.«

»Für mich! für mich!« jammerte die junge Frau; »o, fliehen Sie, ich beschwöre Sie bei unserer Liebe!«

Sein Auge glänzte entzückt, als er stürmisch ihre Hände an sein Herz drückte.

»Dies Wort allein, Helene, bezahlt tausendfach alle Gefahren. Wie habe ich von diesem Augenblicke geträumt unter dem Donner der Schlachten und auf dem ruhelosen Lager, und ich sollte ihn kürzen in jämmerlicher Furcht für meine Sicherheit? O, Helene, wiederholen Sie mir das Wort, daß unsere Liebe Sie besorgt macht, daß Ihr Herz, Ihr reiches, schönes Herz wirklich das meine ist! Darf ich's wagen, darf ich's glauben?«

Sie strich ihm lächelnd die braunen Haare aus der Stirn.

»Zweifelten Sie wirklich noch daran nach unserer Fahrt im Prater zu Wien? O, wie weh Sie mir damals taten durch Ihr hartes, unverdientes Scheiden!«

»Aber Pisani – ich hörte zufällig, wie Sie ihm versprachen zu kommen …«

»Zur Baronin Czezani. Was ist mir der Oberst anders als ein Mann, mit dem mich politische Meinung verband! Ich habe in diesen Tagen, den schwersten meines Lebens, einsehen gelernt, wie töricht ich gehandelt, wie recht Sie haben, und in welch' schmähliche Stellung mich dieser politische Wahnsinn verlockt hat. Ich werfe das schnöde, unwürdige Männerwerk von mir und will einzig und allein dem Frauenherzen seine Rechte gönnen. Morgen bin ich frei – zum letzten Male will ich mich des Beistandes dieses Mannes bedienen; – ich eile nach Wien und verlasse das Haus meines Oheims nicht mehr, bis dieser unglückselige Krieg beendet ist und  …«

»O, vollenden Sie!«

Er drückte sie an das entzückte Herz. Tausend Schwüre der Liebe quollen über seine Lippen, welche die ihren suchten und fanden. –

Da schnitt der scharfe Knall von Pistolen dazwischen, wildes Geschrei, Waffenklingen, Tumult in den Höfen, das Lärmen und Rufen vieler Menschen: »Haltet den Dschaur! Nieder mit dem Spion!«

Ein Flintenschuß fiel dicht unter dem Fenster, der gellende Aufschrei eines Getroffenen folgte, dann schien eine wilde Hetze durch die Höfe zu beginnen – –

Aus dem ersten Gemach stürzte Marutza herein.

»Heilige Mutter Gottes! Sie sind hinter Miloje d'rein – alles ist verraten, die Höfe sind voll Soldaten!«

Die Unvorsichtige hatte aus dem Fenster mit dem Haiduken gesprochen, der verkleidet im Hofe umherschritt und das verabredete Zeichen gegeben.

Man hörte, wie der Strom der Verfolger hinter Miloje sich entfernte, den man wahrscheinlich für das edlere Wild hielt.

Im Augenblick hatte die Ungarin alle Energie ihrer Seele wiedergefunden. Schnell hüllte sie selbst den Geliebten in Mantel und Schleier.

»Rasch, rasch, Marutza! Fort mit ihm im Schutz dieser Verwirrung, ehe es zu spät ist. In Wien sehen wir uns wieder!«

Ein Druck der Hand, und die Frauen drängten ihn aus dem Gemach; Marutza folgte ihm.

Ali, der Khawaß, hatte sich bei dem Lärmen erhoben und stand an dem Ausgang zur Treppe.

»Mashallah! Was wollt Ihr Weiber hier? Geht zurück, das ist keine Sache für Euch!«

Schritte eilten den Gang daher, der aus dem Innern der Gebäude zur Treppe führte. Es galt einen raschen Entschluß. Mit kräftiger Hand hatte in Gedankenschnelle der Kapitän den alten Mohren gefaßt und schleuderte ihn zurück in den Winkel. Dann sprang er die kurze Treppe zum Tschardak hinunter und aus diesem in den Hof, von Marutza gefolgt. Schleier und Mantel blieben in der Hand des Mohren, der ernüchtert den ihm gespielten Betrug erkannte und hinter ihnen drein brüllte. Das Rufen vieler Stimmen belehrte sie, daß im nächsten Augenblick die Verfolger auf ihren Fersen sein würden, und die Überlegung eines Moments bewies ihnen, daß eine Flucht durch das bewachte Tor in diesem Augenblick unmöglich sei.

Kaum wissend, was sie tat, zog die junge Bulgarin den Offizier, dessen Rechte ein gespanntes Revolver-Pistol hielt, mit sich fort. Der Hof war im Augenblick menschenleer, weil alles auf den Haiduken Jagd machte. So gelang es ihnen, unbemerkt in den Schatten der Wälle und zu dem halb verfallenen Brunnen zu kommen, in dessen Winkeln Marutza vorhin den Kapitän verborgen hatte.

Beider Brust hob sich keuchend – sie konnten deutlich die neuen Verfolger sehen, die – Ali an der Spitze – jetzt aus dem Tschardak drangen und mit Verwünschungen nach den Flüchtigen suchten.

»Wir müssen in wenigen Augenblicken entdeckt sein,« flüsterte der Offizier, und seine Hand umspannte fester den Griff des Pistols.

»Still – keinen Laut!« sagte leise eine dritte Stimme in bulgarischer Sprache dicht an ihren Ohren. Marutza erkannte sie sogleich und hielt den Arm des Kapitäns nieder, der sich eben gegen den unerwartet nahen Gegner wandte und auf ihn schießen wollte.

»Ruhig, Herr, es ist Miloje, unser Freund. Um der vierzig Märtyrer willen, wo kommst Du her, Michael?«

Der kühne Haiduk lachte still vor sich hin.

»Die Knechte des falschen Propheten meinten mich zu fangen. Pah! als ob ich nicht jeden Stein hier besser kennte denn sie. Bückt Euch und folgt mir, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Er kroch ihnen voran durch die Öffnung eines Kanals, der den Abzug der Zisterne leitete. Einige Schritte weit mußten sie sich auf Händen und Füßen fortbewegen, dann wurde das Gewölbe höher, sie vermochten aufrecht zu stehen und der Haiduk ließ sie durch ein gehobenes eisernes Gitter passieren, das er hinter ihnen wieder senkte.

»Jetzt mögen sie kommen, sie werden die Vögel ausgeflogen finden! Die Öffnung geht durch den Wall dicht am Haupttor. Vorsichtig, Herr, wir haben den Graben zu durchschreiten.«

Sie kamen glücklich hinüber, und während im Konak der Aufruhr der Verfolgung und Nachforschung tobte, führte der Haiduk sie glücklich an den Wachen vorbei, durch die Lücken der Mauern und Wälle aus der Festung.

Alle atmeten leichter, als das Wagestück gelungen, während dessen nur wenige Worte gewechselt worden, da der Russe ohnehin sich mit dem Haiduken nicht verständigen konnte. Er wandte sich daher auch jetzt an das Mädchen und bat sie, den Geliebten zu fragen, wohin er sie zu führen gedächte.

»Bei der Panagia! wohin sonst, als fort aus diesem Nest in die freien Berge,« erwiderte der Sohn derselben. »Gawra oder der Zigeuner warten mit den Pferden und die Verfolger werden uns bald auf den Fersen sein, wenn sie sich im Konak müde gesucht. Ich habe meine Flinte wieder, die mir Dein Vater für schweres Geld von diesen türkischen Hunden gelöst hat, und meine Moma – was brauch ich mehr!«

»Ich muß wenigstens vorher Alexo, den Wirt, sprechen,« sagte entschlossen der Offizier. »Er wird Mittel und Wege finden, über das Schicksal der Dame das Weitere zu erfahren und mit ihr in Verbindung zu bleiben. Schickt mir Mungo zur Hinterpforte der Locanda, er wird mich in einer halben Stunde zu Euch geleiten und ich bin dann bereit, Euch zu folgen.«

Vergebens waren die Einreden des Mädchens – der Kapitän bestand auf seinem Sinn, und da die Gassen durch den Lärm in der Festung sehr belebt waren, und man sich nicht aufhalten durfte, trennte man sich eilig und der Offizier folgte der Richtung, die Marutza ihm gewiesen, auf die Dunkelheit und seine Verkleidung vertrauend.

So bemerkte er es nicht, wie aus dem Schatten der Gebäude ein Mann, der die Flüchtlinge schon bei ihrem Erscheinen beobachtet, ihm folgte, Sta-Lucia, der Bandit. Glücklich gelangte er an die hintere Pforte der Locanda, deren Tschardak und Zimmer mit Menschen besetzt war, und bis zu dem kleinen Gemach, das ihm vorher als Versteck gedient hatte, indem er hoffte, von hier aus leicht dem Wirt ein Zeichen seiner Anwesenheit geben zu können. Kaum jedoch war er eingetreten, als ein lautes, höhnisches Gelächter, das Schließen der Tür und das Vorschieben eines Riegels ihn belehrte, daß er verraten und in die Hände seiner Feinde gefallen sei.

Graf Pisani, nachdem er die Anwesenheit des russischen Offiziers in der Festung entdeckt und den Zweck derselben erraten hatte, eilte, sich von dem gefährlichen Nebenbuhler zu befreien, ohne als der Urheber zu erscheinen. Eine Mitteilung an Iskender-Bey genügte, um sofort die Verfolger in Bewegung zu setzen, und der Sarde ließ alle Anstalten der Art treffen, daß der russische Offizier bei seinem Verlassen des Selamliks ergriffen werden mußte. Der Oberst wollte absichtlich vermeiden, selbst handelnd aufzutreten, und sein scharfer Verstand hatte ihm bereits die Art und Weise gezeigt, wie er diese Gelegenheit zur Erreichung seines Hauptzweckes ausbeuten könne.

Trotz des glücklichen Zufalls, daß die Wachen den Haiduken für den Kapitän nahmen, sollte der Offizier der Gefangennahme nicht entgehen, denn Sta-Lucia, der sich in der Nähe des Tores umhertrieb, entdeckte die Flüchtlinge.

Verdrießlich und mit Vorwürfen von Sami-Pascha überhäuft, den der Tumult aus der Ruhe seines Haremliks gestört, waren die Offiziere nach langem Suchen zur Locanda des Slovaken zurückgekehrt, fanden aber hier einen Gefangenen vor, denn die türkischen Wachen, aus ihrer Schläfrigkeit erweckt, hatten Mungo, den Spion, ergriffen, als er um die Locanda schlich und seinen Herrn zu treffen suchte, und Hidaët-Aga war bereits in einem scharfen Verhör mit ihm begriffen. Der Bursche schwieg jedoch trotzig und Iskender-Bey befahl, ihn, an Händen und Füßen gebunden, in einen Winkel des Tschardaks zu werfen und ihn dort scharf zu bewachen, bis man am andern Morgen Mittel finden würde, ihm die Zunge zu lösen. Die Gesellschaft kehrte hierauf zu der gewöhnlichen Beschäftigung des Trinkens und Spielens zurück. Graf Pisani jedoch beschloß, seine Nachforschungen bei Alexo, dem Wirt, fortzusetzen, dem er in dieser Angelegenheit stark mißtraute. Er gab ihm daher einen Wink, mit ihm zu gehen, und der Slowake, vor der Entdeckung seiner Doppelzüngigkeit besorgt, folgte ihm nach dem abgesonderten Gemach, das schon mehrfach zu ihrem geheimen Verkehr benutzt worden. Die Nachricht, daß der russische Kapitän glücklich entkommen, hatte jedoch seine Furcht einigermaßen beseitigt, und er durfte hoffen, von allem Verdacht sich mit der gehörigen Portion dreister Lügen rein zu waschen.

Zu ihrem Erstaunen fanden sie jedoch an der Kammertür Sta-Lucia Wache halten, der es nicht gewagt, diese Stelle zu verlassen und den etwaigen Helfershelfern seines Gefangenen Gelegenheit zu seiner Befreiung zu bieten. Der Bandit fluchte gräulich, daß man ihn so lange hier allein gelassen, und erzählte dann lachend seinem Herrn, auf welche Weise er den Vogel erwischt.

Der Graf wandte sich mit finsterem Blick zu dem jetzt ernstlich vor Entdeckung zitternden Wirt.

»Verräterischer Hund,« sagte er, »Du hast offenbar um die Anwesenheit dieses Spions gewußt, sonst wäre er nicht hierher geflüchtet. Du wolltest am Ende gar wagen, meine Pläne zu durchkreuzen, und solltest morgen hängen, wenn das Glück Dir nicht wohlgewollt und uns dennoch die Beute in die Hand geliefert hätte. Aber nimm Dich in Acht, Alexo, ich kenne Dich, und bei dem geringsten weiteren Beweis, daß Du treulos bist, hängst Du!«

Der Wirt beteuerte mit hundert Eiden, daß er von nichts wisse, daß der Gefangene da drinnen leicht möglicherweise ein russischer Spion sei, der Graf wisse ja, daß er mit solchen verkehren müsse, um Nachrichten aus dem russischen Lager zu erhalten, daß er aber nicht das Geringste gegen die Absichten seines hohen Gönners unternommen. Der Oberst jedoch, dies Geschwätz zur Genüge würdigend, befahl ihm, zu leuchten, und Lucia, die Tür zu öffnen, indem er sich die grausame Lust nicht versagen wollte, sich durch den eigenen Anblick zu überzeugen, daß der Gefangene sein verhaßter Nebenbuhler sei.

Der Kapitän, durch seinen früheren Aufenthalt in dem kleinen Zimmer belehrt, daß dieses nur den einen Ausgang habe, und das starke Eisengitter des engen Fensters jeden Fluchtversuch unmöglich mache, hatte sich mit entschlossener Ruhe auf den Divan gesetzt, der an der einen Wand als Lagerstätte hinlief, und erwartete, die Arme über die Brust verschränkt, in finsteren Gedanken das Kommende. Im Augenblick, da er gerade das höchst ersehnte Glück genossen, gab das Schicksal ihn als Gefangenen in die Hände seiner Feinde mit der Aussicht auf einen schimpflichen Tod; denn er konnte nichts anderes erwarten, als daß die Türken ihn als Spion behandeln würden.

Der Oberst trat mit dem Wirt, der die Lampe trug, in das Gemach, während Sta-Lucia an der Tür blieb. Ein Blick überzeugte den Sarden, daß der Gefangene der verhaßte Feind sei; dennoch gab er kein Zeichen, daß er ihn erkannt.

»Dies ist der Spion, den Du gefangen?«

»Ja wohl, Signor Conte.«

»Bene! Er kann morgen früh mit seinem Kameraden in Gesellschaft sterben. Bist Du Soldat, Bursche, oder treibst Du Dein Handwerk bloß aus Liebhaberei?«

Der Kapitän, der bei der Erwähnung der Gefangennahme eines seiner Gefährten – er wußte nicht, ob Mungos oder Michaels – zusammengefahren, blickte ihn trotzig und verächtlich an.

»Ich will zunächst wissen,« fuhr der Oberst fort, »wie Du in dieses Haus kamst und in welcher Verbindung Du mit dem alten Schurken hier stehst? Daß eine solche existiert, liegt auf der Hand. Rede, Bursche, oder ich will Dir die Zunge lösen lassen.«

Der Graf hatte italienisch gesprochen. Ein flehender Blick des Slowaken traf den Baron, als dieser voll und ruhig sein Auge auf das boshaft funkelnde des Sardiniers richtete.

»Die Wahl der Sprache, Herr Graf,« sagte er stolz, »zeigt mir, daß Sie mich kennen. Ein weiteres Verbergen wäre Ihrer und meiner unwürdig. Haben Sie die Güte, diese Leute zu entfernen, ich habe Ihnen einige Worte zu sagen.«

Graf Pisani konnte trotz seiner großen Selbstbeherrschung eine kleine Verlegenheit nicht verbergen; der ruhige Stolz des Gegners hatte seine Bosheit geschlagen.

»In diesem Augenblick glaube ich Sie erst zu erkennen und bitte um Entschuldigung für meine Worte. Hinaus mit Euch und sorge dafür, Lucia, daß dieser alte Schurke nicht horcht.«

Die beiden untergeordneten Personen entfernten sich aus dem Gemach und ließen den Grafen und den Kapitän allein. Die Gegner standen sich jetzt Aug' in Auge gegenüber.

»Herr von Meyendorf, Kapitän in der russischen Armee? Wenn mich mein Gedächtnis und die flüchtige Bekanntschaft in Wien trotz dieser Kleidung nicht trügt.« Er wies spöttisch auf das Kostüm.

Der Russe verbeugte sich schweigend.

»Ich bedauere als Offizier aufrichtig, daß Sie sich zu dieser Rolle hergegeben haben, um so mehr, als es außer meiner Macht ist, Sie den Ihnen bekannten Folgen zu entziehen. Ich stehe in türkischen Diensten und der Muschir hat die strengsten Befehle in betreff der Entdeckung von Spionagen gegeben.«

Die bleiche Lippe des Russen zuckte bei dem beleidigenden Wort.

»Ich habe noch mit keiner Silbe verlangt, Herr Oberst, daß Sie zu meinen Gunsten Ihrer Pflicht untreu werden sollen und würde das Geschenk der Freiheit aus Ihrer Hand auch schwerlich annehmen. Ohne mein Tun Ihnen gegenüber rechtfertigen zu wollen, sage ich Ihnen nur, daß der Grund, der mich hierher gebracht, die Entführung einer uns beiden bekannten Dame aus den russischen Linien war – der Gräfin Laszlo.«

»Meiner Braut,« sagte nachlässig der Graf. »Ich weiß davon, denn ich selbst habe die Entführung veranlaßt.«

»Wie, Sie selbst wären der Urheber jenes Bubenstücks? Sie wagen es, die Dame Ihre Braut zu nennen?« – Das Blut quoll dem Offizier zu Kopf und Herzen, seine Augen blitzten.

»Mäßigen Sie sich, mein Herr,« sagte stolz der Oberst, »und bedenken Sie, daß Sie hier als Spion gefangen sind, und ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben habe. Um meiner selbst willen, und da ich glaube, daß auch Sie zu den Bewerbern um der Gräfin Herz gehörten, werde ich meine Worte beweisen. Sie erinnern sich vielleicht der Handschrift der Gräfin Laszlo?«

Der Kapitän wurde rot; er zuckte unwillkürlich mit der Hand nach der Tasche, in der er den Brief der Geliebten noch verborgen wähnte. – »Ich hoffe, Herr Graf!«

Pisani hatte ruhig aus seiner Brieftasche das Versprechen der Betrogenen genommen und hielt es dem Kapitän hin.

»Lesen Sie!«

Vor seinen Augen schwammen die verhängnisvollen Worte in einander, alles Blut schien nach seinem Herzen zu strömen.

»Wiederum getäuscht von ihr! Fahre hin, Glauben und Glück!« Er murmelte es zwischen den Lippen und warf sich auf den Divan zurück.

»Sie sehen, Herr Kapitän,« sagte mit Hohn der Graf, »daß ich ein Recht hatte, die Dame aus einer Umgebung holen zu lassen, die meinen Absichten nicht konvenierte. Die etwas rauhe Art ist Schuld der Verhältnisse. Ich begreife übrigens wirklich nicht, Herr Baron, mit welchem Recht Sie sich heute Abend in die Nähe meiner Braut gedrängt haben, wie ich nach den mir zugegangenen Berichten glauben muß.«

»Ich kam hierher,« entgegnete hastig der Kapitän, »um die Gräfin vor jedem Wiederbetreten des russischen Gebiets zu warnen; man hatte am Tage vor ihrer Entführung die Zwecke ihres Aufenthalts entdeckt und ihren Boten aus Widdin aufgefangen. Der Befehl zu ihrer Verhaftung ist gegeben.«

»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte, die Nachricht schnell benutzend, der Graf, »und deshalb eben ließ ich sie am Morgen der drohenden Gefahr entführen. Ihre Absicht war edel, Herr Kapitän, und ich hoffe, daß sie die Folgen Ihrer Gefangenschaft mildern wird, wenn – Sie mir Ihr Ehrenwort geben können, daß dies der einzige Zweck Ihres gefährlichen Wagstückes war.«

Der schlaue Sarde konnte sehr wohl berechnen, daß dies nicht wahrscheinlich war und der russische Offizier schwerlich für Privatangelegenheiten die Erlaubnis seiner Vorgesetzten zu dem kecken Unternehmen erhalten hatte.

Der Kapitän schwieg.

»Dann bedauere ich aufrichtig, daß ich Sie nicht retten und dem Kriegsgericht entziehen kann. Verheimlichung ist nicht möglich, da Ihre Gefangennahme bereits mehreren Offizieren bekannt ist und der Bursche, dem sie geglückt, nicht schweigen wird. Kann ich Ihnen sonst mit irgend etwas dienen, Herr Baron?«

Der Offizier verneinte durch ein Zeichen.

»Ich bitte, verlassen Sie mich.«

»Ich bin imstande, Sie wenigstens diese Nacht noch vor den Unannehmlichkeiten harter Behandlung zu bewahren und werde veranlassen, daß Sie erst morgen nach dem gewöhnlichen Gefängnis gebracht werden. Alexo wird Sie mit Erfrischungen versorgen, und ich scheide mit dem Wunsche, daß Ihre Angelegenheit einen glücklichen Ausgang nehmen möge, obschon Sie sich die Gefahr Ihrer Lage nicht verhehlen werden.«

Der Gefangene erwiderte finster die Verbeugung des Obersten, der das Gemach verließ. Seine scheinbare Fürsorge hatte einzig darin ihren Grund, daß er erst noch seine Pläne reiflich überlegen wollte, ehe er den Gefangenen aus seinen Händen gab. Das Schicksal desselben war ihm dann gewiß, und er spielte wie der Tiger mit seiner Beute. Um sich gegen alle Zufälle zu sichern und da er den widerspenstigen, selbstwilligen Charakter Lucias genugsam kannte, ließ er durch den Wirt noch Apollony herbeiholen und vertraute beiden die Bewachung der Tür während der Nacht an, Alexo zugleich erklärend, daß er selbst ihm mit seinem Kopf für den Gefangenen haften müsse. Beruhigt dann über die Erfolge, die der Zufall so glücklich begünstigt, kehrte der Graf nach der Festung zurück, in der er sein Quartier bei Sami-Pascha genommen. –

Im engen Zimmer des Gefangenen brannte mit ihrem matten Schein die Lampe; Speise und Wein, die Alexo in Begleitung Lucias gebracht, standen unberührt auf dem Tisch, und der unglückliche Bewohner der Zelle saß noch immer in derselben Stellung auf dem Divan, die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen starr vor sich hin geheftet. Der Schlag, der ihn durch jenes Dokument getroffen, wirkte vernichtend und raubte ihm die ruhige Überlegung, die sonst gar leicht ihm die vielfachen Widersprüche in dem Benehmen des Grafen gezeigt und ihn zu einer genaueren Prüfung der Umstände und zu wohl begründeten Zweifeln geführt haben würde. Nur ein Gedanke erfüllte ihn: verloren alles – Liebe – Leben und Ehre, denn der drohende Tod eines Spions befleckte ihm selbst den Glanz der letztern.

Ein – zwei Stunden vergingen, – die Lampe war am Verlöschen. Da weckte ein Geräusch, das er in seiner Betäubung schon lange vernommen zu haben sich erinnerte, ihn aus dem starren Sinnen. Es klang wie das Schneiden oder Sägen eines Messers am Holz, um eine Öffnung zu machen oder zu vergrößern. Er horchte jetzt aufmerksam und machte eine Bewegung. Sogleich hörte das Geräusch auf, und statt dessen fragte eine flüsternde Stimme über ihm:

»Bist Du wach, Signor? – Antworte leise!«

»Wer ist es? Was will man von mir?«

»Nursah, der schwarze Knabe,« flüsterte wieder die Stimme. »Tritt hierher, Signor, rechts an die Wand, ich habe Dir viel zu sagen.«

Der Kapitän folgte dem Wunsche. Im letzten aufflackernden Schein der Lampe sah er, daß der junge Mohr eine Ritze der Decke mit seinem Messer handbreit erweitert hatte und durch diese zu ihm sprach. Er trat dicht unter die Öffnung, die etwa zwei Ellen über seinem Kopfe war, so daß die Unterredung bequem in leisem Tone geführt werden konnte.

Die Lampe war erloschen – tiefe Dunkelheit umgab ihn.

»Was willst Du, guter Knabe? Mein Schicksal ist besiegelt.«

»Verzweifle nicht, Signor, noch hoffe ich, Dich auf irgend eine Weise zu retten. Kannst Du mir angeben, was ich dazu tun kann, und ob Du Freunde in der Nähe hast?«

»Meine Freunde,« sagte der Kapitän schwermütig, »sind fern und können mir nicht helfen. Ich danke Dir für Deinen guten Willen, aber das Leben hat für mich keinen Wert mehr, und ich wünsche den Stunden Flügel, damit sie mir das Ende bringen.«

»Ich weiß, Du liebst,« sagte die Stimme mit weichem, mitfühlendem Klange. »Du liebst die fremde Dame, die von jenseits der Donau entführt wurde und im Selamlik des Paschas gefangen gehalten wird. Gib die Hoffnung nicht auf, nur mit dem Leben darf sie verlöschen.«

»Armer Knabe mit der schwarzen Haut und dem warmen Herzen, meine Hoffnung ist erloschen!«

»Traue dem Manne nicht, der vorhin Dich besucht, er ist Dein Feind, wie er der Feind jener Dame ist, denn ich weiß, daß gerade sein Diener Dich gefangen nahm und noch in diesem Augenblick in Gemeinschaft mit dem Manne bewacht, der die Dame stahl. Auch dies geschah in seinem Auftrage.«

»Ich weiß es; Graf Pisani selbst sagte es mir und gab mir den Beweis, daß er ein Recht dazu hatte.«

»Er ist falsch wie die Hölle der weißen Männer. Ich hörte ihre Unterredung, aber ich hörte auch, wie der Raub vor vier Tagen in diesem Zimmer hier verabredet wurde. Der Conte hat kein Recht auf die Dame; er befahl seinem Werkzeuge ausdrücklich, mit nichts zu verraten, daß er die Hand im Spiel habe, und ich weiß vom Dottore, meinem Gebieter, daß er auch später noch sorgfältig bemüht war, sich vor ihr zu verbergen und sie glauben zu machen, daß sie die Gefangene des Paschas sei.«

»Bei allen Heiligen, Knabe, rede die Wahrheit. Ich sah selbst von ihrer Hand geschrieben die Erklärung, die sie zu seiner Braut macht.«

»Dann hat der Bösewicht sie ihr abgezwungen, vielleicht unter dem Vorwande, dieses Papiers zu ihrer Befreiung zu bedürfen.«

Der Kapitän erinnerte sich, daß das Blatt kein Datum getragen, er erinnerte sich der ihm damals unverständlichen Worte und Besorgnisse der Gräfin, und so vieles ging im Augenblicke durch seine Seele, das ihm klar und deutlich bewies, wie der Sarde ihn getäuscht und daß er es sein mußte, der seine Verhaftung veranlaßt hatte.

»Knabe, ich glaube, Du hast Recht, und ich bin ein Tor, daß ich mich täuschen ließ. Zur Hölle mit dem Schurken! Warum habe ich ihm nicht eine Kugel durch den Kopf geschossen, als er mir hier gegenüberstand, dann wäre sie wenigstens gerettet gewesen! Und gefangen, widerstandslos in seiner Hand und einem schimpflichen Tode verfallen! Es ist entsetzlich!«

»Hoffe, Signor, und bete zu Deinem Gott, der bald auch der meine sein wird, denn täglich lehrt mein gütiger Gebieter mich ihn kennen. Auf den Knieen will ich ihn anflehen, daß er mir helfen soll, Dich zu erretten. Das Wie? weiß ich noch nicht, denn ich bin machtlos, aber Allah oder Gott wird mir helfen, Dich und Deine Liebe zu retten.«

»Knabe, Dein Glauben beschämt mich!«

»Hast Du etwas bei Dir, das Dir morgen schaden kann, so vertraue es mir an.«

Der Kapitän holte aus dem Leibbund eine dort verborgene Brieftafel.

»Ich gebe sie Dir, obschon Du mir unbekannt bist. Es sind wichtige Papiere darin, die vieler Leben gefährden könnten, wenn sie in unrechte Hände fielen. Noch wollte ich sie nicht vernichten. Bewahre sie wohl auf.«

Es gelang ihm, indem Nursah eine Schnur durch die Öffnung ließ, sie daran zu binden.

»Bei dem Grabe meiner Eltern an den Quellen des Nil, schwöre ich, sie treu zu bewahren.«

»Hier ist meine Waffe und noch ein Brief, so schwer es mir wird, mich jetzt von ihm zu trennen – aber es muß sein, denn wenn die Schurken Hand an mich legen, würde ich eine teure Person kompromittieren. – Hölle und Teufel!« fuhr er fast laut auf, indem er vergeblich nach dem Blatt der Gräfin suchte, »er ist fort – ich muß ihn verloren haben! Fahrlässiger Tor, der ich bin!«

»Ruhe – mäßige Dich!« bat der Knabe. »Noch sind viele Männer im Hause, denn eben erst ist die siebente Stunde (Mitternacht) vorüber, und ich muß jetzt fort, meinen Herrn zu sprechen. Du wirst das Verlorene wohl bei Tageslicht wiederfinden. Lebe wohl, Signor, und vertraue auf den Gott Deiner Liebe.«

Der Kapitän hörte einen leisen Schritt über seinem Haupt, dann war alles still und er wieder allein.

Er trank jetzt den Wein und nahm, so gut es ging im Dunkeln, einige Speise, denn er hatte seit dem Morgen nichts genossen. Dann warf er sich auf den Divan, entschlossen, wachend den Morgen zu erwarten, um keinen Ruf des schwarzen Schutzengels zu versäumen, an dem allein jetzt sein Hoffen hing. Denn das Leben war ihm wieder teuer, seine Zweifel wurden Gewißheit, und über der Nacht des Unheils und des Verrats, über dem Blutmeer der Schlachten und Gefahren strahlte gleich einem Stern wieder der Glauben an ihre Liebe. Goldene Träume von künftigem Glück umgaukelten ihn und unter ihren Schwingen umfing der heilende Schlaf die erschöpfte Natur. – – –

Das erste Tagesgrauen dämmerte durch die Gitter des Fensters, als die Stimme des Knaben ihn weckte.

»Wache auf, Signor, es gilt Dein Leben.«

Der Kapitän war mit jener, dem echten Soldaten eigenen Beherrschung der Sinne im Augenblick munter. Dennoch galt sein erster Blick dem verlorenen Brief der Geliebten. Dann erst eilte er leise zu der Stelle, an der der Mohrenknabe ihn erwartete.

»Der Schlaf überwältigte mich,« sagte er entschuldigend: »sprich rasch, bringst Du Gutes oder Schlimmes?«

Eine andere Stimme als die des Knaben antwortete ihm, die tiefe, ruhige Stimme eines Mannes, die er noch nie gehört.

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sprach diese, »aber es ist nötig, daß ich sogleich für Nursah das Wort nehme, denn die Zeit drängt, und wir dürfen die Augenblicke, die uns vielleicht zu Ihrem Beistand noch gegönnt sind, nicht versäumen.«

»Ich kenne Sie nicht, mein Herr!«

»Es ist dies auch nicht nötig,« entgegnete der andere, »ich bin ein ehrlicher Mann wie Sie und bereit, einem solchen gegen die Intrigue und die Bosheit beizustehen. Nursah, mein Diener, hat mich von allem in Kenntnis gesetzt, und daß Sie nur in Angelegenheiten einer Dame sich törichter Weise in das türkische Lager gewagt haben. Dennoch fürchte ich, daß Ihnen der Tod gewiß ist, denn die Befehle des Muschirs sind streng und ich glaube, daß Graf Pisani, dessen Gefangener Sie jetzt sind, Sie sicher den Türken ausliefern und so sich von einem Nebenbuhler auf die leichteste Art befreien wird. Er muß seine besonderen Zwecke haben, daß er dies nicht sogleich getan, aber ich hörte, wie er gestern Iskender-Bey sagte, er spare ihm für heute Morgen eine besondere Überraschung auf.«

»Ich kenne mein Schicksal und werde ihm als Soldat begegnen. Nehmen Sie meinen Dank, mein Herr, für Ihre Teilnahme, wenn sie mir auch nicht helfen kann.«

Der Arzt – Nursahs Gebieter – schwieg einige Augenblicke, dann fragte er leise:

»Haben Sie Mut?

Mißverstehen Sie mich nicht. Ich meine nicht den Mut in der Schlacht, der im Pulverdampf Gefahr und Tod kühn ins Auge schaut. Ich meine einen höheren Mut, der dem Schrecken des Todes in anderer furchtbarer Gestalt mit festem Herzen ins Angesicht blicken kann, – dem Tode in seinem martervollsten Gewande.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Ich muß zu Ende kommen,« sagte der Arzt, »es ist der einzige mögliche Weg der Rettung, den ich ersonnen. Sie müssen in die Hölle eines türkischen Typhus-Lazaretts; der Vorschlag ist schrecklich und gefährlich, ich weiß es, aber es ist der einzige, den ich Ihnen machen kann. Was die menschliche Kunst tun kann, Sie gegen Infektion zu schützen, soll geschehen, das meiste aber muß der Mut in ihrer Brust tun, denn Sie müssen mindestens einen Tag und eine Nacht in dieser schrecklichen Umgebung zubringen, und verläßt Sie der Mut, so nützen alle Präservative der Medizin nichts und die Krankheit erfaßt Sie.«

»Aber wird man mir glauben, daß ich krank bin?«

»Das werden Sie sogleich erfahren, wenn Sie ihren Entschluß gefaßt.«

»Und glauben Sie, wenn ich mich der Gefahr unterwerfe, mich retten zu können?«

»So weit es in menschlicher Voraussicht steht, ja.«

Der Gedanke an Helene überwand den so natürlichen Schauer.

»Ich bin entschlossen; sagen Sie mir, was ich zu tun habe.«

Eine Schnur senkte sich durch die Öffnung, ein Fläschchen und ein Päckchen hingen daran.

»In dieser Leinwand ist Wolle und dunkelrote Schminke. Sie werden damit sich das Gesicht an einzelnen Stellen betupfen, namentlich Stirn und Schläfe, auch die Gelenke der Hände. Dann trinken Sie den Inhalt des Fläschchens, und fürchten Sie nicht die Folgen, wenn auch besondere Symptome eintreten werden.«

»Doktor, – ehe ich Ihren Willen erfülle, versprechen Sie mir eines, bei Ihrer Ehre als Mann.«

»Bei meiner Ehre!«

»Geschehe mit mir auch, was da wolle, Sie werden die Gräfin Laszlo von meiner Rettung oder meinem Tode in Kenntnis setzen.«

»So wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, wie Ihnen in dieser schweren, – es wird geschehen.«

»Dank. Jetzt, Herr, – liegt mein Schicksal in Ihren Händen.«

»O, vertraue ihm, Signor,« flüsterte die Stimme des schwarzen Knaben, »er ist der beste der Menschen!«

Der Kapitän setzte das Flakon an die Lippen und trank es aus. Ein leichter Schauer rieselte durch seine Adern – einige Augenblicke wallte es wie Nebel vor seinen Augen und seine Sinne verwirrten sich.

»Mir wird so eigentümlich!«

»Es ist die Wirkung der Medizin,« sagte der Arzt, der sorgfältig die Gegenstände wieder in die Höhe zog. »Vertrauen, Herr, es ist das einzige, was Sie retten kann. Übergeben Sie sich den Wirkungen des Laudanums unbesorgt, ich werde über Sie wachen.«

Der Offizier, von plötzlicher, hinreißender Mattigkeit befangen, war auf den Divan getaumelt, seine Glieder streckten, seine Augenlider schlossen sich.

»Leben Sie wohl!«

Nur unklar noch hörte er den Scheidegruß, seine Sinne versagten den Dienst. – – – – – – – – – –


Es war noch früh am Morgen, als Oberst Pisani bei der im Selamlik gefangenen Gräfin eintrat. Der Eunuch hatte sie nach dem Lärm eingeschlossen und ihr auf keine ihrer Fragen Antwort gegeben, die ohnehin nicht verstanden wurden. In tausend Ängsten und unter schweren Tränen hatte sie die Nacht hingebracht, – Marutza war nicht zurückgekehrt, – das Schießen und der wilde Lärm der Verfolgung hatten sie erschreckt und sie mußte glauben, daß beide in die Hände der Türken gefallen, vielleicht ermordet seien.

Es war daher eine Erleichterung für ihr Herz, als sie Schritte vor ihrer Tür hörte und den Grafen eintreten sah. Bleich und abgespannt, mit fragenden Blicken trat sie ihm entgegen; der Graf aber faßte mit ernster, schmerzlicher Miene ihre Hand und führte sie schweigend zu dem Divan zurück.

»O, sprechen Sie, mein Freund, reden Sie, was ist geschehen?«

Der Oberst lächelte bitter.

»Sie nennen mich Ihren Freund, und im Augenblick, wo Gräfin Helene mir die Ehre erzeigt, sich meinem Schutze anzuvertrauen, hält sie einen zweiten für notwendig und knüpft eine Intrigue an mit meinem Gegner, der bestimmt scheint, mir überall in den Weg zu treten.«

»Der Unglückliche – Sie wissen alles?«

»Ich weiß es, Gräfin, ich habe den Verkleideten erkannt, es ist der russische Kapitän, mein Feind von Wien her.«

»Allmächtiger Gott – so ist er in den Händen der Türken?«

»Der russische Spion ist gestern Abend gefangen worden.«

»Aber da Sie ihn kennen, wissen Sie, daß er sich allein meinetwegen in diese Gefahr gestürzt hat, daß Besorgnis um meine Person ihn hierhergetrieben, daß er mich warnen wollte vor der Gefahr, die mir in Krajowa droht durch die Entdeckung meines Tuns, zu dem ich mich durch Sie verleiten ließ.«

»Ich weiß von nichts,« sagte stolz der Oberst, »ich weiß nach meiner Soldatenpflicht nur, daß ein Mann, der verkleidet in dem feindlichen Lager ergriffen ist, in der ganzen Welt als Spion behandelt werden wird, die Gründe, die ihn zu dem kühnen Unternehmen bewogen, seien, welche sie wollen. Wenn Gräfin Helene es für gut findet, an einem Opfer, das sie ihrer politischen Überzeugung gebracht, ihrem treuesten Freund jetzt alle Schuld beizumessen, so habe ich nichts dagegen zu sagen. Ich kam, um Ihnen anzuzeigen, daß Sie frei sind, Ihre Befehle in Empfang zu nehmen für Ihr Bleiben oder Gehen, und Ihnen dies traurige Blatt zurückzugeben, mit dessen Hilfe allein es mir gelang, Ihre Befreiung aus dieser unwürdigen Lage so rasch zu bewirken.«

Er legte das verhängnisvolle Papier auf den Tisch und trat mit einer Verbeugung nach der Tür zurück. Die Dame stürzte ihm nach und erfaßte leidenschaftlich seinen Arm.

»Bleiben Sie, – ich muß alles wissen. Was ist aus Marutza, meiner Dienerin, geworden?«

»Die Dirne muß mit den Helfershelfern des Gefangenen entwichen sein, den offenbar noch andere Zwecke hierherführten, als die Besorgnisse eines Liebhabers. Das Verschwinden des Mädchens beweist, wie gute Freunde und Verbindungen der Russe hier hatte. Sie selbst, Gräfin, haben ihn ins Verderben geführt, indem sie ihn in diese Mauern beriefen.«

Ein stolzer Blick antwortete der bitteren Rede. Im nächsten Moment jedoch schon siegte die Angst des Weibes.

»Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir die Wahrheit, was wird sein Schicksal sein?«

»Der Gefangene,« sagte der Oberst langsam und sein Auge betrachtete lauernd sein Opfer, »wird heute noch vor ein Kriegsgericht gestellt und – eine Stunde darauf erschossen werden.«

Sie rang verzweifelnd die Hände.

»Ich habe seinen Tod veranlaßt! Allmächtiger Gott! gib mir ein Mittel seiner Rettung! Graf, ich beschwöre Sie, bei allem, was Ihnen heilig, bei Ihrer Liebe zu mir, helfen Sie, retten Sie!«

Sie sank auf die Knie und streckte die Hände flehend zu ihm empor. Er hob sie auf und führte sie zu dem Divan zurück, an den er sie niederließ.

»Was verlangen Sie von mir – es ist unmöglich!«

»Nein, es ist nicht unmöglich, wenn Sie wollen,« flehte die verzweifelnde Frau. »Ich weiß, welche mächtigen Verbindungen Sie überall besitzen, ich habe oft genug die Beweise davon gesehen. O, retten Sie mir den Frieden meiner Seele, retten Sie ihn

»Um ihm einst glücklich in die Augen zu sehen,« sagte bitter der Graf, – »nein, Helene, dieses Opfer wäre zu schwer. Er selbst hat sich in dies Verderben gestürzt, ohne daß ich das geringste dazu getan, ich lasse nur das Schicksal seinen Weg gehen und es befreit mich von meinem gefährlichsten Gegner. Ihn selbst zu retten, wäre eine Torheit.«

»Graf, das ist unedelmütig gedacht!«

»Ich verachte einen unnützen Edelmut, wo es sich um Ihren Besitz handelt. Toren können alle ihre Hoffnungen und Wünsche zum Opfer bringen, ein Mann von Verstand wird es nie tun. Ich mache mich nicht besser, als ich bin vor Ihnen, Gräfin, aber den Feind ohne Zweck zu retten, ist ein Frevel gegen sich selbst.«

»Ja, das ist die Lehre des hohlen Egoismus,« sagte finster die junge Frau, – »die unser Frevel gegen alles, was würdig und heilig war, in die Gemüter gepflanzt!« – Ihre Hand hatte unwillkürlich das Papier ergriffen, das der Graf vorhin neben sie gelegt, und ihre Finger entfalteten es bewußtlos, während ihr starrer Blick darauf haftete.

Plötzlich zuckte sie zusammen.

»Bei Ihrer Ehre und Seligkeit, Graf, so ist er verloren?«

»Er ist es – nur außergewöhnliche Mittel vermöchten ihn zu retten.«

»Und – glauben Sie – wenn ich Sie dazu bewege, ihn retten zu können?«

»Ich hoffe es.«

Sie war blaß, aber ruhig und gefaßt während der folgenden Worte, nur ihre Hand zitterte leicht, als sie ihm das verhängnisvolle Papier reichte.

»Nehmen Sie, ich bin bereit, den Inhalt zu erfüllen, unter der Bedingung, daß Sie den Unglücklichen retten.«

Sie sah nicht den Blitz wilder Freude, der über das Antlitz des Sardiniers flog, ihre Augen waren starr auf das Papier geheftet.

Dennoch nahm er es nicht – mit der Berechnung eines Schauspielers seine Rolle verfolgend, wich er zurück und sagte leise:

»Gräfin Helene würde es später bereuen, und ich mag sie nicht an die Erfüllung ihres Wortes erinnern.«

Ihre stolzen Augen blitzten ihn unwillig an.

»Was ich gesagt, werde ich halten. In dem Augenblick, wo Sie mir die Nachricht von seiner Rettung bringen, bin ich bereit, Ihre Gattin zu werden. – Ist Ihnen dies genug?«

Er beugte sich auf ihre Hand und küßte sie zärtlich.

»Ehe der Abend da ist, hoffe ich, den Priester zu Ihnen führen zu dürfen, der diesen Tag zum glücklichsten meines Lebens macht. – Ich werde das nötige anordnen, damit Sie wieder weibliche Bedienung erhalten; ich halte es für das beste, daß Sie vorerst noch hier verweilen, statt daß ich Sie etwa in das Haus des österreichischen Generalkonsuls führe. Ihr Aufenthalt ist nur wenigen hier bekannt geworden, und Sie werden auf diese Weise aller lästigen Neugier der österreichischen Behörden entgehen. Die Gräfin Pisani wird niemand mit einer Frage belästigen.«

»Ich überlasse Ihnen alle Bestimmungen, nur – eilen Sie!« Ihre Stimme klang gebrochen.

»Leben Sie wohl, Helene – meine Braut!« Er drückte ihre kalte Hand ans Herz und verließ das Gemach, in dessen Mitte sie gleich einer Statue der Resignation mit starren Augen stand.

Dann zuckte ihre Hand nach dem Herzen und mit einem Schrei sank sie zu Boden. –

Der Wudkoklak hatte den scharfen Zahn in sein Opfer geschlagen.


In der Locanda Alexos waren bereits zeitig viele Offiziere versammelt, um dem Verhör und Kriegsgericht über den Gefangenen beizuwohnen. Da er in Widdin ergriffen worden, gehörte die Sache zur Entscheidung Sami-Pascha's, des Gouverneurs, auf den Betrieb Pisanis jedoch, der die Sache möglichst aus der Nähe der Gräfin zu entfernen wünschte, hatte der Pascha, statt selbst die Untersuchung zu führen, nur einige Offiziere abgeordnet, um dem Kriegsgericht beizuwohnen, und Iskender-Bey um dessen Abhaltung ersuchen lassen.

Als Pisani die Locanda betrat, lag zwischen seinen dunklen Brauen eine tiefe, Unheil verkündende Falte. Es fiel ihm nicht ein, den verhaßten Nebenbuhler entwischen zu lassen, aber es galt List und Schlauheit, der Gräfin den Beweis zu bringen, daß er sein Wort gehalten, und der Gedanke, daß ihm dazu eine Verwechselung der Person beider Gefangenen helfen konnte, lag sehr nahe. Bei der rauhen, wilden Geradheit des ehemaligen Grafen Ilinski fühlte er, daß er vorsichtig zu Werke gehen mußte, um nicht des doppelten Erfolges verlustig zu gehen.

Das Kriegsgericht war bereits vorüber, man macht in der Türkei nicht viel Umstände mit einem Menschenleben, – und Mungo, der bei seinem Leugnen geblieben war, kauerte zwischen seinen Wächtern im Tschardak, zum zweiten Male unter dem traurigen Todesurteil sich beugend, nur mit dem Unterschied, daß ihm diesmal die Kugel statt des Strickes zuerkannt worden. Dafür sollte die Exekution schon in einer Stunde vollstreckt werden, und keinen helfenden Freund vermochten seine sehnsüchtigen Blicke zu entdecken.

Der sardinische Graf nahm den Polen, der den linken Arm noch immer in der Binde trug, bei Seite.

»Ich habe Sie gestern bereits auf einen besseren Fang vorbereitet, Bey,« sagte er ihm, »als Ihre Wachen an dem elenden Kerl dort getan haben. Der russische Offizier, auf dessen Fährte ich Sie gestern brachte, und der sich als Spion in die Festung eingeschlichen, ist durch einen glücklichen Zufall selbst in meine Hände gekommen, und mein Diener bewacht ihn. Ehe ich jedoch Ihnen diesen überliefere, möchte ich Sie um einen anderen Dienst bitten.«

»Sprechen Sie, Freund,« sagte der Bey, dessen Augen bei Erwähnung des gefangenen Russen funkelten.

»Der Bursche, den Sie eben verurteilt haben, behauptet, wie ich höre, ein walachischer Zigeuner und nur auf das bulgarische Ufer gekommen zu sein, um hier Beschäftigung und Unterhalt zu suchen. Der Kerl mag immerhin ein russischer Spion sein, aber er ist jedenfalls von so untergeordneter Natur, und schwerlich den Strick oder das Pulver wert, das an ihm verschwendet wird. Ich habe wichtige Gründe, daß er am Leben bleibt und bitte Sie, begnadigen Sie ihn und lassen Sie ihn laufen.«

»Zum Henker! was haben Sie mit dem Lump? Sie wissen, daß nur der Oberbefehlshaber oder der kommandierende General dies jetzt noch tun kann.«

»Ich werde bei Sami-Pascha das nötige besorgen. Geben Sie nur den Befehl, die Exekution zu verschieben.«

»Das ist leicht, mir liegt an dem Hallunken nichts.«

Er rief Jacoub-Aga und erteilte ihm den Befehl.

»Und nun zu Ihrem Russen!«

»In Beziehung auf diesen habe ich Ihnen gleichfalls einiges zu sagen. Die Offiziere sind noch versammelt und das Kriegsgericht wird daher keine Weitläufigkeiten weiter verursachen und kann im Augenblick stattfinden. Ich wünsche jedoch, mein Zeugnis davon ausschließen zu dürfen, das meines Dieners wird genügen, und bitte Sie, die ganze Sache möglichst der Öffentlichkeit zu entziehen, da Gründe vorliegen, welche das zu frühe Bekanntwerden der Gefangennahme und des Schicksals des Russen sehr nachteilig machen.«

Der Bey schielte ihn von der Seite an; er kannte sehr wohl die geheimen, propagandistischen Verbindungen des Sarden, wenn er auch selbst nicht zu den Eingeweihten gehörte, da seiner rauhen Soldatennatur das Intriguieren zuwider war.

»Meinetwegen. Ich sehe nichts, was Ihren Wünschen entgegenstände. Aber wo ist der Spion?«

»In der Locanda selbst, – ich lasse ihn in einer der hinteren Kammern bewachen.«

»Vorwärts denn, ich will ihn sehen, und dann wollen wir ein kurzes Ende machen. Meine Agas, haltet Euch bereit zu einer zweiten Auflage unserer Justiz!«

Er winkte Hidaët und ein paar Offizieren und folgte mit ihnen dem Sardinier, der sie mit Alexo, dem Wirt, zu dem Anbau des Hauses führte, in dessen Gemach der unglückliche Offizier eingeschlossen war.

Sta-Lucia und Apollony hielten noch immer hier Wache.

»Diavolo!« fluchte der Bandit, »es ist Not, daß Sie uns ablösen, Signor Conte, die Zeit wird uns verflucht lang. Der Bursche spürt, was ihn erwartet, und hat in den letzten Stunden gestöhnt, als fühle er bereits den Strick um den Hals. Jetzt erst ist er ruhig geworden.«

Der Gesellschaft der Offiziere hatte sich wie zufällig Doktor Welland angeschlossen. Als der Graf den Bericht seines Dieners hörte, empfand er eine jähe Freude, indem der Gedanke in ihm aufblitzte, Kapitän Meyendorf könnte selbst seinem Leben ein Ende gemacht haben, um der Verurteilung als Spion zu entgehen.

»Öffne die Tür!« gebot er.

Sta-Lucia schob die Riegel fort und stieß die Tür auf; der Bey, Pisani und einige Offiziere mit den beiden Wächtern traten ein. –

Ein unerwarteter, schrecklicher Anblick bot sich ihren Augen.

Auf dem Divan lang ausgestreckt, lag der Gefangene, die Hände krampfhaft geballt, die Augen starr, weit aus den Höhlen hervorgetreten, von blauen Rändern umgeben, sonst das Gesicht totenbleich mit einzelnen roten Flecken auf Stirn und Wangen. Leichte krampfhafte Zuckungen erschütterten zuweilen die ganze Gestalt.

»Przeklecie!« rief der Bey; »hier kommen wir zu spät, der Bursche hat die Pest oder den Typhus!«

Er blieb schaudernd an der Tür stehen.

Durch die erschrockene Gruppe drängte sich der Arzt und trat zu dem Kranken, dessen Puls er alsbald ergriff.

»So hat der Tod seine Beute und erspart Ihnen eine Mühe,« sagte der Sardinier hämisch, indem er die traurige Gestalt seines Opfers aus der Ferne betrachtete. »Lassen Sie den Leichnam verscharren, ehe er durch Ansteckung noch Unheil schafft.

»Nein,« sagte fest der Bey und trat trotz des Schauders in seiner Brust einen Schritt näher, »ich bin zwar jetzt ein Moslem, aber niemand soll sagen, daß Ilinski die Christenpflicht gegen einen wackeren Feind vernachlässigt. Ich erkenne ihn wieder trotz der Verkleidung und Entstellung an der Wunde auf der Wange, die meine Säbelklinge ihm schlug; es ist der tapfere Offizier, der im Gemetzel des Hohlweges von Czetate mir Stand hielt und vielleicht mein Leben rettete. Doktor, wie steht's mit dem Mann?«

»Ich fürchte, er ist ein Kandidat des Todes, das Faulfieber ist bei ihm ausgebrochen.«

»Dennoch soll er nicht sterben wie ein Hund, ohne daß ein Versuch zu seiner Rettung gemacht worden, obschon es das beste für ihn wäre, statt des Schimpfes, als Spion zu enden. Sorgen Sie nach Kräften für ihn.«

»Dann muß ich ihn ins Lazarett bringen lassen, hier kann er nicht bleiben ohne Gefahr, Ansteckung zu verbreiten.«

»Tun Sie das, Doktor, – ich werde sogleich Befehl geben, daß Träger bereit seien.«

Der tapfere Bey blickte noch einmal mitleidig und schaudernd auf den Kranken und verließ das Gemach; alle folgten ihm eilig, bis auf den Arzt, der – die Hand des Gefährten in der seinen, – einen dankbaren Blick zum Himmel warf. – –

Stunden waren vergangen, wiederum war der Abend gekommen.

In seinen Mantel gehüllt, schritt Doktor Welland durch die schmutzigen Gassen der Stadt hinauf zur Festung. Ein Billet Oberst Pisanis hatte ihn dringend ersucht, um diese Stunde sich einzufinden, die Ursache war ihm noch unbekannt. Nur kurze Zeit war er während des Tages in seiner Wohnung, der Locanda, gewesen, um Nursah einige Aufträge zu geben; die übrige hatte er in dem Lazarett zugebracht.

Pisani war anfangs im Zweifel gewesen, ob er die plötzliche Erkrankung seines Nebenbuhlers für einen glücklichen Zufall halten sollte, der ihm eine schlimmere Tat ersparte; die Meinung des Arztes jedoch, daß der russische Offizier in der höchsten Gefahr schwebe und die Kenntnis vom Zustande der türkischen Heilanstalten ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Tod ihn von dem Gegner befreien werde, und so richtete er sein Augenmerk allein auf die Täuschung der Gräfin.

Gleich nach der Fortschaffung des Kranken hatte er sich zurück ins Selamlik begeben und dort leicht von Sami-Pascha, mit dem er in sehr genauem Verkehr stand, die Begnadigung des vom Kriegsgericht als Spion Verurteilten erlangt. Die Ordre dazu wurde auf seinen Wunsch in türkischer und französischer Sprache niedergeschrieben, und da die Person darin im allgemeinen nur als des Spionierens angeklagter Gefangener bezeichnet worden, war es ihm leicht, sie zu seinen Zwecken zu benutzen.

Mit dem Papier in der Hand, betrat er das Gemach der Gräfin, in dem diese am Morgen von den zu ihrem Dienst befohlenen türkischen Frauen am Boden gefunden und mit Essenzen wieder zum Bewußtsein gebracht worden war. Stillschweigend legte er es vor ihr nieder und als ihre Hand hastig danach griff, ihr Auge den Inhalt überflog und ein leiser Schimmer von Rot wieder die blasse Wange färbte, verriet nichts in seinem Gesicht die Gefühle von stolzem Frohlocken und bitterm Groll, die in seiner Brust tobten.

»Sie haben Ihr Wort gelöst – vollenden Sie Ihr Werk und geben Sie dem Unglücklichen die Freiheit wieder. Er möge fern sein, ehe ich – das meine halte. Ich bin bereit dazu – nur gönnen Sie mir Zeit bis zum Abend und – lassen Sie uns dann sogleich diesen Ort verlassen.«

Er versprach mit kurzen Worten, ihre Wünsche zu erfüllen, und schlug ihr vor, daß sie sich nach der Trauung sofort nach Belgrad auf den Weg machen und dann auf ihre Güter am Maros begeben wollten, um dort die Verhältnisse zu ordnen, indem er eines Urlaubs weiter nicht bedürfe. Sie willigte in alles und fügte nur die Bitte hinzu, den deutschen Arzt ihr mitzubringen, dessen offenes, ehrliches Gesicht ihr Vertrauen eingeflößt zu haben schien. Der Oberst versprach, daß er einer der Zeugen sein solle. Dann entfernte er sich und überbrachte die Begnadigung Sami-Pascha's dem Bey, der – kurz angebunden in seinen Beschlüssen – dem Zigeuner eine genügende Tracht Schläge mit dem Steigbügelriemen aufzählen und ihn dann durch zwei Soldaten aus der Stadt transportieren ließ mit dem Bedeuten, daß, wenn er sich je wieder darin blicken lasse, ihm Kugel oder Strick gewiß seien.

Nursah – der schwarze Knabe – folgte von fern dem kleinen Zuge. – –

Der Wind vom Flusse her strich eisig durch die winkeligen Straßen und über die Wälle und Mauern her, als Welland das Konak des Paschas betrat. Der große Hof war durch Fackeln erhellt, eine Anzahl von Soldaten und Dienern des Gouverneurs auf den Beinen und der Arzt bemerkte nicht ohne eine heimliche Freude eine bespannte Araba, möglichst bequem mit einem Deckschirm eingerichtet und in ihrer Nähe eine Eskorte von zehn türkischen Kosaken unter einem On-Baschi haltend, denn er hoffte nicht mit Unrecht, daß das Fuhrwerk die ungarische Dame aus Widdin führen solle. Noch ahnte er nicht, in wessen Begleitung.

Es war dem Golde und den Bemühungen des Obersten gelungen, einen bosnischen Franziskaner-Geistlichen, der sich in Widdin aufhielt, aufzutreiben und diesen durch ein reichliches Geschenk zu vermögen, die Trauung zu vollziehen; denn er kannte den Wert des Augenblickes und der günstigen Gelegenheit zu gut, um sich durch irgend eine Schwierigkeit zu einem Aufschub bewegen zu lassen.

Der Doktor wurde auf die Frage nach dem Grafen in das Gebäude zur Seite gewiesen, vor dessen Tschardak die Araba hielt. Als ihn Sta-Lucia, der hier Wache zu halten schien, erblickte, eilte er ins Haus und der Oberst kam ihm alsbald entgegen und führte ihn in ein Seitengemach.

»Welche Nachricht, Doktor, bringen Sie von dem Kranken?«

»Er ist in diesem Augenblick vielleicht schon verschieden.«

»Sie haben mir gestern zwar eine Bitte ziemlich rauh abgeschlagen, ich hoffe aber, daß Sie mir eine andere aus Rücksicht auf die Nerven einer Dame erfüllen werden. Wenn die Gräfin sich nach dem Gefangenen erkundigt, so verschweigen Sie ihr, in welcher Lage er sich befindet, und sagen ihr vielmehr, daß er gerettet sei.«

»Ich werde Ihren Wunsch erfüllen.«

»Haben Sie irgend ein flüchtiges Salz, eine Essenz zur Stärkung der Lebensgeister bei sich? Die Gräfin ist nicht wohl und bedarf Ihres Beistandes.«

Der Arzt bejahte.

»Wohl, so bitte ich Sie, mir zu folgen. Doch erinnern Sie sich, daß Sie wenigstens im Schweigen mir Gehorsam schuldig sind.«

Er führte ihn in ein größeres Gemach, in dem bereits mehrere Personen versammelt waren. Iskender-Bey mit seinen beiden Adjutanten und der Kolassi Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken mit einem seiner Offiziere. Alle grüßten ihn freundlich und der Bey erkundigte sich sogleich nach dem russischen Kapitän.

Der Doktor wiederholte die Worte, die er dem Grafen gesagt.

Es blieben ihnen nur wenige Augenblicke der Unterhaltung, dann führte der Oberst, der sich durch eine zweite Tür entfernt hatte, an seiner Hand die Gräfin Helene in das Gemach. Hinter ihnen drein kam der Franziskaner; – erst jetzt bemerkte der Doktor, daß in einer Ecke des Zimmers ein weißbehangener Tisch mit Lichtern und einem Kruzifix aufgestellt war.

Die schreckliche Ahnung der Wahrheit überkam ihn.

Mit fester, klarer Stimme nannte der Oberst den Namen der Dame und stellte ihr die anwesenden Männer vor, die sie – die türkischen Manieren abstreifend – mit aller Kourtoisie ihrer Nationalität begrüßten und die peinliche Pause der Vorbereitungen mit einer leichten Unterhaltung zu füllen suchten.

Helene Laszlo war bleich und ruhig, nur der aufmerksamste Beobachter hätte beobachten können, daß in dem unruhigen Heben ihres Busens, in dem Zucken der blassen Lippe der Schmerz kämpfte. Ein feiner, türkischer Schleier, von dem Scheitel ausgehend, und die zierliche Gestalt fast bis zu den Füßen in leichter Wolke umfließend, war das einzige, was sie schmückte.

Plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen – und den Gegenstand der Konversation abbrechend, wandte sie sich an den Bey und sagte rasch:

»Sie haben heute Morgen ein trauriges Geschäft gehabt, Herr, eine Verurteilung – ich höre, der Gefangene ist jedoch begnadigt?« Ihre Stimme zitterte bei der Frage.

»Begnadigt und frei, – ein höherer Wille machte, daß er seiner Strafe entging.«

»Auf Ihr Ehrenwort also – er ist frei?«

»Gewiß, aber was interessiert Sie der russische Spion, Gräfin –«

Der Oberst unterbrach ihn, besorgt, daß ein Wort zu viel gesagt werden könne.

»Die Gräfin hörte davon und ersuchte mich aus Mitleid um meine Verwendung. – Doch es ist Zeit, wollen Sie Ihren Zeugen wählen, Helene?«

Die Renegaten traten unwillkürlich einen Schritt zurück, die Heiligkeit des verlassenen Glaubens überkam sie, – nur der Major der Kosaken mit seinem Adjutant und der Arzt waren Christen unter der Gesellschaft.

Zu dem letzteren trat die Gräfin und bot ihm die Hand. Er stand etwas entfernt von der Gruppe der Offiziere und hatte die schöne Frau mit großer Aufregung betrachtet, offenbar ungewiß, was er beginnen sollte.

»Wollen Sie mir Ihren Beistand leihen, mein Herr, auf diesem schweren Gange?«

»Um Gotteswillen, Gräfin, haben Sie meinen Brief durch meinen schwarzen Diener nicht erhalten?«

»Ich habe nichts erhalten, mein Herr! – Oder täuscht man mich,« ihre Augen belebten sich, »ist er nicht gerettet – ist er gemordet?«

»Er ist gerettet, Gräfin, auf das Wort eines ehrlichen Mannes, aber …«

»Das ist genug,« unterbrach sie ihn bitter, – »weder Sie noch ich ändern mein Schicksal, das ich freiwillig gewählt, – so kommen Sie denn.«

Sie reichte fest und entschlossen dem mißtrauisch herantretenden Obersten den Arm. Im Vorübergehen traf sein dämonisches Auge finster und drohend den Arzt, der schon den Fuß erhoben, die Lippe geöffnet hatte, um sie nochmals zu warnen. Er fühlte, daß er hier kein Recht mehr habe, daß jedes Wort ihn selbst und den Mann, der sich ihm anvertraut, verderben konnte.

Ein bitterer, teilnehmender Schmerz wühlte in seinem redlichen Herzen, während er die Stimme des Mönchs die Gebete der katholischen Kirche murmeln hörte. –

Der Wudkoklak hatte sein Opfer! –


In einem scheunenartigen Gebäude, das früher zu einem Kavalleriestall gedient, war das Lazarett für die Truppen von Widdin und Kalafat aufgeschlagen. Das Gebäude bestand aus einem nach der Donau zu offenen Quadrat in der Nähe von Negotin. Erst dem energischen Einschreiten des deutschen Arztes war es gelungen, diese Räume einigermaßen zu sichten und in zwei Abteilungen zu sondern. Die eine war jetzt für die Verwundeten – die andere größere für die Kranken bestimmt. Es ist Tatsache, daß in den sechs Monaten der Besetzung von Kalafat zehntausend Mann hier an Typhus und anderen schrecklichen Krankheiten starben!

Ein Binsendach deckte den wohl hundert Schritt langen Raum, von nackten Balken getragen, die sich auf die leeren Wände stützten. Hin und wieder hingen an diesen noch die Krippen und Raufen der Pferde.

Es war kalt, schauerlich kalt in der Januarnacht in diesem öden Raum! Rechts und links befanden sich lange Strohlager, mit Decken und Mänteln überdeckt – hin und wieder einzelne Kissen.

Aber das Stroh war faul, modrig, stinkend, es wurde in Wochen kaum erneuert, und durch Decken und Wände pfiff der Wind, brachen Regen und Schnee herein. Die Feuchtigkeit rieselte in der Mitte zusammen und bildete modrige Tümpel.

Draußen unter dem Sterndach des Winterhimmels lag eine frische, durchsichtig dunkle Luft über der Erde – im innern dieser Höhle des Jammers aber lagerte eine dumpfe, schwüle Atmosphäre, der giftgeschwängerte Dunst des Todes und der Ansteckung, ein gelbgrauer Nebel, den die zahlreichen Lampen, die im innern des Gebäudes brannten, nur matt zu erhellen vermochten.

Man hatte im Anfang den Versuch gemacht, die Einrichtung der europäischen Lazarette nachzuahmen und über den Kranken schwarze Tafeln anzubringen, die das Stadium der Krankheit und die angewendeten Heilmittel notifizieren sollten – es war jedoch bei dem Versuch geblieben; denn die täglich wachsende Anzahl der Kranken und die Fahrlässigkeit und Ignoranz der türkischen Ärzte hatte der Anordnung gespottet.

Auf diesem Stroh in langer Reihe neben einander lagen in diesem Augenblick dicht zusammengedrängt, an vier- bis fünfhundert Menschen in jedem Stadium der körperlichen Auflösung. Das Lazarett lieferte durchschnittlich täglich 40 bis 50 Tote.

Der Schmerz in jedem Ton, vom leisen Wimmern bis zum gellenden Aufschrei des Unerträglichen; das Leiden von der Apathie bis zur gotteslästerlichen Verzweiflung; – das Sterben von dem stillen Hinschwinden aller Kräfte bis zum wütenden Kampf der Muskeln und Nerven gegen den Allesverschlinger, – alles war vereint in dieser feuchten, pestschwangeren Atmosphäre.

Größtenteils in ihren Kleidern – Lumpen, die vom Leibe faulten, von Ungeziefer wimmelten, – lagen die Kranken; glücklich, wer eine Decke gewann, in die er sich hüllen konnte gegen den Frost. Vom Leibe des Sterbenden riß sie die Hand des Nebenmannes, – dem tapferen Kameraden, der vielleicht noch vor wenigen Tagen in der blutigen Schlacht den toddrohenden Hieb aufgefangen, gönnte der Gerettete jetzt nicht die – letzte Bequemlichkeit des Sterbens!!

Da lagen sie nun mit den hohlen Gesichtern, den dunklen Ringen um die starren Augen, und die gräuliche Krankheit färbte sie alle, ob braun, gelb weiß oder schwarz, mit dem furchtbaren aschgrau.

Wo die Flügel des Gebäudes, die beiden langen Gänge voll Leiden und Verwesung zusammenstießen, standen nach jeder Seite hin fünfzig eiserne Feldbettstellen mit Matratze und Decke. Die türkische Verwaltung mußte doch etwas tun, und diese hundert Lagerstätten waren für das Lazarett einer Armee von 40 000 Mann bestimmt, einer Armee, die täglich 500 Kranke hatte außer den Verwundeten. Was nutzten aber den Günstlingen der Ärzte, den On-Baschi's und Mulassims, die darauf Anspruch hatten, diese Lagerstätten bei dem Schmutz und der Unreinlichkeit des türkischen Wesens? Zwischen die Leichentücher, auf die feuchte modernde Matratze, auf der eben der eine in ekler Krankheit gestorben war, mußte eilig der zweite gelegt werden, – der Tod hatte keine Zeit für Wäsche und Reinigung.

Der Typhus ist eine schreckliche, die Säfte des Lebens zersetzende Krankheit, aber auf die Seele wirkt er gleich dem Traum der Fata Morgana, und das Delirium führt die Phantasie in die unermessenen Räume. Visionen, Wahrsagungen, erotische Bilder, somnambule Kräfte und Erscheinungen wechseln bunt in der Glut des Fiebers oder der Abspannung der Nerven.

Über alle diese schrecklichen Erscheinungen siegte jene furchtbare Resignation des Leidens und des Todes, die der echte Moslem besitzt, denn seine Religion ist von Jugend auf: »Es war mein Kismet!« und ruhig – wenn die Fieberglut gewichen und die unfreiwillige Exaltation erschöpft hat – streckt er sich zum Sterben. Selbst in dieser Exaltation, in diesen rasenden Phantasieen schwebt ihm dieser Glaube vor.

Welcher furchtbare Unterschied in diesem apathischen Hingeben mit dem verzweifelten Ringen des Renegaten an seiner Seite, – des Kranken, der Glaube und Vaterland verlassen, der keinen Trost mehr hat, als die schreckliche Hoffnung auf das ewige nichts.


Was sollen unter diesen fünfhundert Kranken höchstens zwei wirklich wissenschaftlich gebildete Ärzte, von denen noch dazu der eine als Oberarzt die Station der Verwundeten zu beaufsichtigen hatte? Die Anstrengungen, die Doktor Welland gemacht hatte, um einige Ordnung in dies Chaos von Leiden und Schmutz zu bringen, waren riesenhaft, aber sie erlahmten an der gänzlichen Unfähigkeit seiner europäischen Gehilfen und der Gleichgiltigkeit und dem Egoismus der türkischen. Wie erwähnt, bestanden die Unterärzte und Apotheker im glücklichsten Falle aus verlaufenen Barbiergesellen, größtenteils aber aus Leuten der verschiedensten Stände, die ohne alle und jede Kenntnis zu Ärzten und Wundärzten geworden waren, nur weil sie die Eigenschaft eines Franken besaßen, und der Türke glaubt, jeder Franke sei ein Hekim-Baschi.

Dennoch richtete selbst ihre Unwissenheit – und sie starben hin wie die Fliegen in diesem traurigen Beruf – weniger Unheil an, als die Nichtswürdigkeit und die Betrügerei der türkischen Lieferanten – zum Teil Griechen. Die Feldapotheken waren auf das jämmerlichste versorgt. Bis auf einige Brechmittel, Chinin und Calomel war fast nichts darin zu haben. Zum Glück waren Chinin und Calomel gerade die Arzneien, die am besten gegen Typhus, selbst in der unkundigen Hand, wirkten; aber das Chinin war pulverisierte Eichenrinde und das Calomel mit Kreide und Kalk vermischt.

Über die Lieferung der Lebensmittel haben wir bereits gesprochen.

Man muß es dem Muschir zum Ruhme nachsagen, daß er in der Organisation der Armee, ihrer Bewaffnung und Einübung riesenhaftes leistete, aber an der Verpflegung und namentlich an dem Medizinalwesen, von dem er nichts verstand, und das überhaupt in der türkischen Armee wenig beachtet wird, scheiterte selbst seine Energie. Von Zeit zu Zeit griff er zwar mit energischer Hand ein, einige Lieferanten wurden erschossen, andere erhielten fünfzig oder hundert Stockprügel, aber das alles änderte nichts an dem durch und durch korrumpierten System.

Weil die Exekutionen vor der Front der Truppen vollzogen wurden, glaubte der Soldat an eine rächende Hand über seinen Peinigern, und stellte in wahrhaft heroischer Geduld in Ertragung der Leiden das weitere dem Kismet und dem Muschir anheim.


Die dunklen Gestalten der sogenannten Wärter, meist Mohren, huschten durch das Lazarett. Ihre Ohren waren taub gegen das Flehen des einzelnen um einen Trunk Wasser, um irgend eine Erleichterung seines hilflosen Zustandes. Von Strecke zu Strecke stand eine Bütte mit trübem Donauwasser, die Moslems krochen still dahin und tranken, wer nicht mehr die Kraft hatte, verdurstete. Aber die dunklen Wärter waren nicht ohne Beschäftigung. Der Tag hatte aufgeräumt unter den Kranken und die Leichen mußten entfernt werden, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen. Die Umstände mit den Todten waren gering. Ein eiserner Haken in den Bund oder das Gewand – wenn nicht ins Fleisch – geschlagen, ein Strick daran oder um die Füße gebunden, so wurden sie durch den langen Gang der Mitte bis zum Ende des Gebäudes geschleift, wo ein großer Verschlag zur Aufnahme der Leichen bestimmt war, bis sie am andern Morgen die Totengräber auf ihren Karren holten und in die weiten Gruben auf dem offenen Felde warfen, die zu diesem Zwecke von den bulgarischen Bauern gegraben werden mußten.

Um sie her irrte des Nachts der Schakal, den der Schnee, die Kälte und die Witterung aus den Gebirgen herab in die Ebene führte, und sein klagendes Geheul war das einzige Todtenlied der Begrabenen! –

Zwei Männer, ein älterer Moslem und ein blutjunger, kaum achtzehnjähriger Franke, schritten im Gespräch durch die Aristokratie dieses Jammers, die Abteilung der Feldbetten. Beide waren in lange, talarartige Wachstuchmäntel gehüllt und trugen einen Schwamm mit Essig getränkt in der Hand. Aber ein besseres, beliebteres Hilfsmittel, die Rum- oder Rakihflasche lugte aus den Taschen ihres Sürtouts, und der schwankende Gang, das gerötete Antlitz des jüngeren, wie der starre Blick des anderen verkündeten, wie häufigen Gebrauch sie bereits davon gemacht.

Bei dem vorletzten Bett in der Reihe nach dem allgemeinen Lager hin blieben sie stehen, – es war durch die Vorsorge des Oberarztes in etwas besserem Zustande als seine Nachbarn. Neue reine Linnen waren über eine frische Strohunterlage gebreitet, eine zottige siebenbürgener Decke schützte den Kranken gegen die Kälte.

Dieser Kranke war der russische Kapitän, Baron von Meyendorf.

Bald nach seinem Transport in das Lazarett war der Offizier von dem Arzt durch die Anwendung narkotischer Mittel aus dem krampfhaften Zustand erweckt worden. Als er zur Besinnung kam, betäubt und angegriffen, war der deutsche Arzt an seinem Lager mit den beiden Männern, seinen Gehilfen, die eben jetzt wieder dem Bett sich nahten. Ein rasches Zeichen der Verständigung hatte dem Offizier Schweigen empfohlen, und er hörte mit an, wie der Doktor jenen seine Krankheit als eines der furchtbaren Faulfieber beschrieb, die namentlich in den russischen Lazaretten zu wüten pflegten.

Hier nun lag der Offizier den ganzen Tag, so viel als seine Tätigkeit es erlaubte von dem Arzte unterstützt, der unter der Form von Medizin ihm häufig starken Wein zur Erfrischung brachte. Alles Elend der Welt schien sich um ihn konzentriert zu haben, und wie der Aufenthalt unter den Wahnsinnigen selbst den gesundesten Geist an sich selbst irre macht, so weckten die wilden Fieberphantasieen der Kranken und Sterbenden um ihn zuletzt seine eigene Phantasie zu wirren, ausschweifenden Bildern, denen er sich mit Aufbietung aller Seelenkräfte kaum zu entreißen vermochte.

Noch schrecklicher, gespensterhafter wurde diese Umgebung, als der Abend nahte. Der Doktor hatte ihm angekündigt, daß er ihn verlassen müsse, um alles zu seiner Flucht vorzubereiten, und daß er zu einer bestimmten Stunde ein neues, ihn nach und nach betäubendes Mittel erhalten solle, das ihn in jenen Zustand versetzen würde, den er zur Ausführung seines Planes nötig hatte.

Jetzt war die Stunde gekommen, und die Gehilfen des Doktors, die während seiner Abwesenheit die Aufsicht und Wache hatten, nahten in ihrem an und für sich schon schauerlichen Aufzuge, gegen den die Ärzte im Vorgemach des Lazaretts ihre Oberkleidung vertauschten, seinem Lager.

»Es sind ihrer heute nur achtundvierzig gestorben, Brüderchen,« sagte der junge Gehilfe mit schwerer Zunge, indem er sich auf den Moslem stützte. »Schade, daß das halbe Hundert nicht voll ist. Aber ich rechne darauf, ehe der Doktor kommt. Schau' den da an, – was nutzt ihm die Medizin, die wir ihm noch geben sollen? – morgen früh tanzt er doch mit Deinen Houris im Paradiese.«

»Was für Kot sprichst Du da, Freund,« erwidert« der Türke. »Die Gläubigen sind nicht da, um zu tanzen, das überlassen sie den tollen Christen und den Almes. Die Gläubigen sitzen auf weichen Kissen und lassen sich von zehntausend der schönsten Houris bedienen und schlürfen den goldenen Wein von Cypern.«

»Das muß höllenmäßig schön sein! Als ich noch Schneider und Bartkratzer in Livorno war, hätte ich mirs im Leben nicht träumen lassen.«

»Unsere berühmtesten Wessire waren in ihrer Jugend Barbiere,« entgegnete andächtig der Türke. »Mashallah! was willst Du noch mehr? Ich habe gesprochen.«

»Und diavolo, ich durste ganz verzweifelt in dieser abscheulichen Luft. Bana bak, Freund Ali, gib mir Deine Flasche her, die meine ist leer. Du hast sie mir ausgetrunken.«

»Ali Gusum, Du tatest es selber!«

»Das ist eine Lüge! Du hasts getan!«

»Du bist ein Esel, Freund, besinne Dich!«

»Höre, Ali, ich bin Dein Vorgesetzter, gib die Flasche!«

Ein wilder, verzweifelnder Schrei furchtbaren Schmerzes gellte zwischen den eklen Zank, – ein junger Soldat vom Korps der türkischen Kosaken, der zwei Betten von dem Kapitän entfernt lag, hatte ihn ausgestoßen.

»Wasser – bei der Barmherzigkeit Gottes – Wasser!«

Der ehemalige Barbierbursche stieß trunken seinen Gefährten an.

»Ich kenne das, – erst haben sie Durst, dann kommt das Delirium und dann holt sie der Teufel. Es ist was trübseliges, solchen Durst zu haben. Nummer neunundvierzig!«

Er dachte nicht daran, dem Flehenden die Labung zu reichen.

»Gott will es.«

Der Jammerruf des Soldaten wiederholte sich und verstummte dann in ein stöhnendes, wimmerndes Gurgeln.

»Es ist Zeit, daß wir dem Burschen da die Medizin geben, sonst schilt uns Signor Wellando und sieht uns auf die Finger wegen des verbotenen Rums.«

»Ich spucke auf seinen Bart.«

»Den Teufel tue ich! – er sieht mir nicht danach aus, als ob er sichs gefallen lassen würde. Gib mir die schwarze Medizin da her, Ali. Ich möchte nur wissen, weshalb unser Kollege so viel Umstände mit dem Lumpenkerl hier macht.«

»Du irrst Dich, Effendi, – er soll die Weiße haben.«

»Manigoldo! (Schuft von einem Scharfrichter) willst Du ihn mit Gewalt umbringen? Die weiße ist Gift.«

»Ne apalum! was kann ich tun? Die schwarze enthält das Gift.«

»Wirst Du schweigen, babuasso! (Schafskopf) ich sage Dir, die weiße ist's.«

»Gott ist groß. Wenn es sein Kismet ist, daß es ihm nicht schaden soll, wird sie ihm nicht schaden.«

Der Barbier goß schwankend die dunkle Flüssigkeit in ein Gläschen, als einer der Mohren ihn anstieß, der eben mit seinem Gehilfen eine Leiche an ihm vorüberschleppte.

»Marzocco! Du hast mich die ganze Medizin verschütten lassen!«

Er schlug ihn mit der Flasche ins Gesicht, daß der Schwarze heulend den Toten fallen ließ und die Leiche im Gange liegen blieb.

»Delhi der! Nimm die weiße Medizin jetzt, o Hekim-Baschi.«

»Es wird sich gleich bleiben,« sagte der Trunkene. »Sterben muß er doch.«

Damit nötigte er dem Kapitän die Medizin ein. Zum Glück hatte dieser die Instruktion des Arztes mit angehört und wußte, daß es die richtige war.

Die Trunkenbolde zogen weiter; die Leiche blieb liegen, dicht neben dem Lager des Offiziers, und die großen verglasten Augen schienen ihn in dem Halbdunkel gespensterhaft anzustarren.

Erst überkam ihn nach der Medizin ein eigentümliches Gefühl des Wohlbehagens, – eine gewisse Ruhe und Apathie legte sich auf seine erregten Nerven. Nach und nach ging dies Gefühl in eine leichte, jedoch nicht unangenehme Kälte über. Ihm war, wie einem im Schnee Erfrierenden, dessen Glieder langsam und unmerklich absterben. Dabei aber blieben einzelne Sinne tätig, ja schärften ihre Funktionen.

Sein Ohr vernahm selbst die flüsternden Laute der Leidenden in großer Entfernung. Der verzweifelnde Ruf nach Wasser gellte wie Sturmesbrausen in sein Ohr.

Den türkischen Kosaken ihm zur Linken schien jetzt nicht mehr zu dürsten. – Träume und Heimat umgaukelten sein Sterbelager. Es war ein Deutscher – ein junger Mann aus guter Familie, dem an seiner Wiege nicht das schreckliche Los gesungen war. Aber die Verderbnis einer großen Stadt hatte auch ihn von Stufe zu Stufe herabgezogen, bis der Vater nach oft wiederholter Verzeihung ihm endlich um der anderen Kinder willen jeden weiteren Beistand entzogen. Die Steckbriefe der Heimatbehörde verfolgten ihn auf der Flucht aus der Heimat, so war er – ein Verlorener – auf den Schauplatz gekommen, der so viele seines gleichen verschlang.

»Es ist nur ein Gott und Mohamed ist sein Prophet!«

Das Gebet Abdallah's, des Damasceners, klang wie eine Gotteslästerung in das Toben und Reden des Deliriums, in das die sinkende Abendstunde viele versetzt hatte.

Seine von den korsischen Banditen verwundete Hand hatte den Asiaten in das andere Lazarett geführt und dort hatte ihn der Typhus befallen.

»Gold, heiliger Prophet, – rotes, blinkendes Gold! Ich sehe das Paradies offen mit seinen sieben Himmeln, – die Stufen hinauf sind von Gold, von reinem, klaren Gold …«

»Fluche mir nicht, Mütterchen,« wimmerte der junge Mann zur Linken, – »o, ich weiß wohl, Mutter, daß ich Dir das Herz gebrochen, und die Tränen der Schwestern und die strengen Augen des Vaters klagten mich an, als Du so weiß im schwarzen Sarge lagst, – o fluche mir nicht, Mutter, eine Mutter kann dem Erstgeborenen nicht fluchen, den sie unter dem Herzen trug.«

Auf seinem Lager von moderndem Stroh hatte sich ein Mann emporgerichtet, – der lange Haarbusch des Albanesen fiel über sein totbleiches Gesicht, aus dem nur die schwarzen Augen mit unheimlicher Lüsternheit funkelten.

»Heiliger Prophet, Du erfüllst meine Sehnsucht. Ich sehe sie vor mir mit all' ihrer Herrlichkeit, Fatinitza, die Wölfin von Skadar, der ich nur einmal ins Antlitz geschaut, wofür meine Füße die Bastonade litten, bis sie zu Brei wurden. Heiliger Prophet, ich sehe Fatinitza, die Houri, und siebentausend Houri's um sie her. Wie ihre brennenden Augen Wollust strahlen und das Gehirn in meinem Haupte versengen! Ihre Lippen sind wie die Rosen von Eden, ihr Busen wie der Marmor von Chios. Ihr Athem ist Duft und ihre Hüften sind wie Kissen, – heiliger Prophet, laß mich ruhen in ihrem Arm!«

»Ich sehe das Gold und die blitzenden Steine – wo ich hinsehe, ist Gold, und der flüssige Strom kommt auf mich zu, – o, daß ich tausend, tausend Hände hätte – – –«

Eine singende Stimme wie aus weiter Ferne schlug an sein Ohr, – er konnte den Kranken nicht schauen, aber er fühlte das unheimliche dieser Stimme, die klang wie ein Grabgesang. Der Unbekannte mit dem Traumgesicht sang sein Totenlied bald in italienischer, bald in slovenischer Sprache – unheimlich – furchtbar klangen die Worte – eine Piesme, gleich dem Bardengesang Ossians, wie ihn die Sänger und Seher mit dem zweiten Gesicht in den Felsenschluchten Schottlands oder in den Nebelbänken der Orkneys klagen.

»Der Geier schwebt über dem Lamm – der Wudkoklak wetzt seine weißen Zähne, um sie in das Blut des lebendigen Weibes zu schlagen. Ich schaue Dich, Frau, wie Dein weißer Körper sich windet in den Krallenarmen des bösen Vampyrs. Aber seine teuflischen Augen haben Dich berauscht und Deine Kraft vernichtet!« –

Und wiederum begann aufs neue die Stimme:

»Awra, das zarte Weib, liebte Junok, den Tapfern aus feindlichem Stamm. Aber Junok fiel in die Hände der Ihren, und der schwarze Haran Hassan wollte ihn töten. Da kam sie in der Nacht zu seinem Lager und sprach: Haran Hassan, Du hast um mich vergeblich geworben und Geschenke mir gesandt, – hier bin ich, nur von dem Linnen bekleidet, und will Dein Lager teilen, wenn Du den jungen Krieger ungefährdet zu den Seinen läßt …«

Der Offizier rang mit den grausamsten Phantasieen, die auf ihn einstürmten und seine Sinne verwirrten; aber immer kälter und fester legten sich die Bande der Erstarrung über seinen Körper und das Leben schien nur noch in seinem Herzen und seinem Gehirn konzentriert.

»Agnes,« flüsterte der junge Deutsche, »Dein Bild mit dem Kinde steht vor mir! Wie Du so lieb und rein warst! kannst auch Du mir vergeben? – Ich werde zurückkehren zu Dir und dem Kinde, ein treuer Mann werde ich sein, – ich sehe Dich, mein Weib, mit den goldenen Locken den Knaben – o wie glücklich! – Allmächtiger Gott im Himmel, der Krampf, der Krampf; Hilfe, Hilfe –«

Und der Unglückliche wand sich in seinen Zuckungen, und die Bilder der verzeihenden Liebenden hatten ihn getäuscht und die gebrochenen Herzen schlugen hunderte von Meilen von seinem Sterbelager, – vielleicht ihn im selben Augenblick verwünschend, vielleicht ihm vergebend. Gott der Herr allein weiß es!

»Ai gusum! wie so süß Deine Küsse sind gleich dem Honig von Chios. Wie sie mich umdrängen die Houri's, tausend Beine, tausend Busen, tausend Lippen, alle auf ein Mal! – o tötende Lust des Paradieses!«

»Gold – Gold! – Der glühende Strom umfließt mich und verzehrt meine Gebeine! Wie soll ich trinken das flüssige Metall?« –

Und wiederum erklang die geheimnisvolle Stimme in italienischem Wohllaut:

»Ich sehe vor mir die süße Nacht, die Brautnacht, die der Geier hält mit der Taube. Nacht ringsum, – o wie sie zittert und sich wehrt, die arme blutende Taube; aber der Wudkoklak ist über ihr. Er hat sie betrogen und Junok, ihr Geliebter, ist dennoch dem Blutbann verfallen. Er wird sterben, wenn der Wudkoklak ihr Blut bis zum letzten Tropfen gesaugt.«

»Die Kerle machen einen Höllenlärm. Haltet Eure Mäuler, Kanaillen, oder es geht Euch schlimm!« tobte der trunkene Barbier.

»Delhi der! es sind Tolle, – sie wissen nicht, was sie reden.«

»Aia – was das Brautbett schön und süß ist, – wie der Vampyr die Moma umschlingt und die gierigen Lippen auf ihren Busen heftet! Bleich ist ihr Gesicht in der Stunde der Liebe, und der Segen des Weibes ist ihr Fluch. Die Moma opfert das Herz und den Leib für den toten Freund! Fahre wohl, schöne Awra, denn der Tod ist über Dir, ehe zwanzig Mal der Mond sich gerundet!«

»Himmlische Houri, nimm mich auf in Dein Paradies!«

Das Schmerzensstöhnen des jungen Deutschen hatte sich in ein leises Röcheln verwandelt, – nach und nach verstummte auch dieses. Noch einmal vernahm das gereizte Ohr des Kapitäns den Namen Agnes – dann war alles still auf jener Seite.

Auch der Mulassim war zu dem Paradiese Mahomed's eingegangen, wo die tausend gazellenäugigen Houri's seiner harrten.

Die krampfhaft erregten Züge gruben sich zu starren Furchen unter der erkältenden Hand des großen Würgers.

Nur Abdallah, der Geizhals, konnte nicht sterben, – all' seine zähe Lebenskraft klammerte sich an das elende Metall und den Jammer, daß er es im Hane des Bulgaren verloren.

Und fort und fort klang die Todtenklage durch den langen Gang.

Die beiden Gehilfen des Doktors untersuchten die Kranken, indem sie dieselben mit Hilfe eines Stockes aufstörten.

»Leuchte hierher, Mustapha, Du schwarzer Hund!« sagte der Barbier zu dem begleitenden Mohren. »Da – der ist für Euch – und hier der On-Baschi auch, der so viel gejammert hat. Der Kerl geberdete sich wie eine junge Dirne, die mit einem Alten die Brautnacht feiern soll.«

»Mein Bruder, schaue den Mann, den der Hekim-Baschi uns empfohlen, – ich glaube, auch seine Zeit ist gekommen.«

»Per bacco – wahrhaftig; da hätten wir einen über die fünfzig! He, Freund, lebst Du oder bist Du tot?«

Er stieß den Kapitän mit dem Stock an. Der Körper rührte sich nicht, das Auge blickte starr, wie das einer Leiche.

Und dennoch wohnte Leben und Bewußtsein in dem toten Körper, dessen Glieder wie durch Starrkrampf oder vollständige Lethargie gefesselt waren.

»Schleppt das Aas weg, – fort mit ihm in die Todtenkammer. Für was haben wir uns nun abgemüht mit dem Burschen?«

»Allah wollte seinen Tod. Gib mir die Flasche, mein Bruder.«

Die Neger, die bereits die beiden anderen Leichen expediert, rissen den Körper vom Lager und zerrten ihn durch die Reihe der Kranken nach dem Verschlag am Ende des Ganges – der Vorratskammer der Leichen.

Dort ließen sie ihn auf dem kalten Boden liegen.

Dunkle Nacht ringsum, – die Augen, die er nicht zu schließen vermochte, schauten nur schwarze Finsternis; auf der Brust, die der Atem nicht mehr hob, lastete dennoch wie ein schwerer Alp der ekle Dunst der Verwesung.

So lag er stundenlang – über sein Antlitz und seine Hände huschte die feuchte Kälte der Ratte – um die dünnen Wände des Vorschlages heulte draußen der Schakal, vom Leichengeruch getrieben, und aus dem Lazarett stöhnte und wimmerte der Schmerz.

Dann flimmerte ein matter Lampenschein durch das Gemach, – zwei Neger schlichen herein und begannen die Leichen zu durchsuchen. Es ist eine bekannte Sitte, daß der arme türkische Soldat seinen geringen Sold und seine Beute in jeder Weise zusammenspart und hungert und durstet, um seinen kleinen Schatz zu vermehren, den er stets am Leibe verborgen trägt. Der Geiz und die Habsucht sind hervorstechende Eigenschaften der Türken neben einer prahlerischen Verschwendung und Schaustellung auf der anderen Seite. Obgleich die Soldaten der Donau-Armee Monate lang keinen Sold empfangen, gab es doch viele der Nizams und der Irregulären, die mehrere hundert Piaster an ihrem Körper in Silber- und Goldstücken mit sich trugen.

Deshalb durchsuchten – obschon es streng verboten war – nochmals die Wärter des Lazaretts die Leichen und die eklen Lagerstätten. –

Der Schein der Leuchte fiel auf das Antlitz des Kapitäns und ihre gierigen Hände plünderten seine Taschen. Wir wissen, daß er seine Habe dem Knaben Nursah anvertraut, die Leichenräuber fanden daher nichts als einen kleinen Ring am Goldfinger seiner linken Hand – der Widerstand, den er unwillkürlich zu leisten suchte, als sie den Reif mit Gewalt abzogen, sprengte endlich die Erstarrung seines Körpers, und Während sie mit der gewonnenen Beute sich entfernten, fühlte er wieder Leben und die Fähigkeit der Bewegung in seine Glieder treten. Es war wieder dunkel um ihn her, als er sich mühsam auf den Ellenbogen aufrichtete und seine geistigen Kräfte zu sammeln suchte, auf denen es wie ein dunkler Nebel gelegen, durch den hindurch er alle Vorgänge um sich bemerkt. Er vermochte wenigstens aus der gräßlichen Nachbarschaft der toten Körper sich zu schleppen.

Der tapfere Offizier fühlte, wie das furchtbar schauerliche seiner Lage, die entsetzliche Umgebung um so mehr auf ihn wirkte, je mehr er zu vollem, klaren Bewußtsein zu gelangen suchte, und daß, wenn er noch lange in dieser Situation bliebe, Wahnsinn und Tod sein Los sein mußte. Mit Gewalt kämpfte er gegen die wüsten Bilder, die wieder seinen Geist zu verwirren drohten, gegen die schaurige Kälte, die durch die Glieder herauf an sein Herz griff.

Da, wiederum öffnete sich die Tür des Lazaretts und nochmals fiel der düstere Schein einer Lampe auf die Stätte des Todes. Der Offizier hatte noch so viel Kraft, sich wieder auf den Boden zurück und in die Lage eines Toten zu werfen, aber diesmal war es nicht mehr nötig – der Eintretende war Doktor Welland.

Ein tiefer schwerer Seufzer löste sich von der Brust des Offiziers, als er den Retter erkannte und führte sogleich diesen an seine Seite.

»Um Gotteswillen, Kapitän, wie fühlen Sie sich? – Die betrunkenen Schurken, meine Gehilfen, haben Sie, meinen strengen Befehlen entgegen, eher an diesen Ort des Entsetzens bringen lassen, als es nötig war. Ich wurde verhindert, früher wieder hier zu sein. Mut, Mut! und raffen Sie Ihre Kräfte zusammen.«

Er hatte die Lampe auf den Boden gestellt und hielt ihm ein Flakon mit scharfen ätherischen Salzen unter die Nase, die eine heftige Erschütterung der Nerven hervorriefen. Dann übergoß er ihn mit einer Flut von Eau de Cologne und wusch ihm Stirn und Schläfe damit.

»Können Sie sich erheben, Kapitän?«

»Ich hoffe es – ein Stunde länger in diesem scheußlichen Aufenthalt wäre mein Tod gewesen.«

Er richtete sich mit Hilfe des Arztes empor, doch mußte er sich schwer auf diesen stützen, seine Beine versagten ihm fast den Dienst, schwer wie Blei lag es in seinen Gliedern und auf seinem Gehirn.

»Das ist die Wirkung des Laudanums, die frische Luft wird Ihnen gut tun. Kommen Sie, Herr.«

Er schleppte ihn nach einer gegenüberliegenden, ins Freie führenden Tür. Dort hob er den Holzriegel, der sie von innen verschloß, löschte die Lampe und öffnete dann die Pforte; die frische, scharfe Winterluft von der Donau her drang ihnen entgegen.

Der Arzt zog den Befreiten um die Ecke des Gebäudes, wo Nursah, in eine wollene Decke gehüllt, kauerte.

»Verweilen Sie hier und lassen Sie unbehindert die Nachtluft durch Ihre Kleidung streichen, und riechen Sie von Minute zu Minute an dieser belebenden Essenz. Ich muß die Spuren Ihrer Flucht vertilgen und dieses Lazarettkostüm ablegen, dann hole ich Sie hier ab.«

Damit verschwand er in der Tür des Leichenhauses und verschloß dieselbe wieder von innen.

Der Russe lehnte erschöpft an der Wand des Gebäudes, während der Knabe Nursah seine Hand erfaßte und ihm Mut zusprach. Nach einer Viertelstunde, während der die rauhe Nachtluft den Kapitän durchkältet, dagegen auch die Betäubung seines Geistes einigermaßen gehoben hatte, kehrte der Arzt, in seinen Mantel gehüllt, um die äußere Seite des langen Gebäudes zurück.

»Nun fort, denn ein unglücklicher Zufall könnte hier unsere ganze Mühe vereiteln. Zuvor noch einen tüchtigen Schluck aus dieser Flasche, Kapitän, und dann hüllen Sie sich in die Decke Nursah's und stützen Sie sich auf mich. Voran Nursah, Du weißt den Weg.«

Damit faßte er den Kapitän unter den Arm und führte ihn mit sich fort, während der schwarze Knabe etwa 200 Schritt vor ihnen her ging, querfeldein von der Donau und der Straße nach Negotin zu.

Sie waren an mehreren Posten vorbeigekommen, denen der Arzt die Parole zurief. Dem Offizier einer entgegenkommenden Patrouille sagte er ruhig, daß ein Baschi-Bozuk ihn zu dem Arnauten-Aga gerufen, der im Lager der Irregulären erkrankt sei, und da die Tätigkeit des fränkischen Hekim-Baschi's in ganz Widdin bekannt war, ließ die Patrouille die kleine Gruppe unbehindert passieren, die jetzt im Schatten eines Hohlweges sich von der Stadt abwandte.

Nach einem halbstündigen Gange, während dessen der russische Offizier stumm alle Kräfte angestrengt hatte, um seinen Rettern folgen zu können, erreichten sie eine Gruppe von Bäumen, in deren Schatten dunkle Gestalten sich bewegten. Nursah pfiff leise und das Signal wurde sofort erwidert. Näher hinzutretend, fanden sie hier zwei Männer mit drei Pferden, Mungo, den Zigeuner, und einen bulgarischen Knecht des Hanewirtes.

Der Zigeuner geberdete sich wie unsinnig, als er seinen Herrn wiedersah, er umarmte seine Füße und küßte seine Hände, und Kapitän Meyendorf, der jetzt seine volle Besinnung wieder erlangt hatte, mußte sich mit Gewalt von ihm losmachen, denn der Arzt drängte zur Eile.

»Hier,« sagte er, »ist Ihre Brieftasche und die Börse zurück, die Sie mir in der Locanda Alexo's anvertrauten. Aus der letzteren habe ich die Wiener Banknoten im Betrage von fünfhundert Gulden genommen, denn ich mußte dem Hanewirt den Wert der Pferde sicher stellen, und ich selbst bin nicht so reich, um das aus eigenen Mitteln tun zu können. Im übrigen finden Sie alles unversehrt; der Knecht Gawra's kennt alle Schlupfwege und wird Sie durch die türkischen Linien über den Timok auf serbisches Gebiet bringen, wo Sie gerettet sind. In drei Stunden scharfen Rittes, also mit Tagesanbruch können Sie dort sein, und ich rate Ihnen, im ersten serbischen Dorf, das Sie erreichen, alsbald ein langes türkisches Bad zu nehmen und Ihre Kleidung mit jeder beliebigen vollständig zu wechseln, die dort zu haben ist. Im übrigen stehen Sie – wie wir alle – in des Allmächtigen Hand, und er wird Ihre Rettung nicht haben gelingen lassen, damit Sie der Ansteckung jener Pesthöhle unterliegen, zu der nun meine Pflicht mich zurückführt. Leben Sie wohl, Herr!«

Der Kapitän erfaßte seinen Arm und führte ihn einige Schritte abseits von der Gruppe, die sich zum Abritt fertig machte.

»Wie soll ich Ihnen danken für das, was Sie für einen Fremden getan, der Sie wenigstens um die Gunst Ihres Namens bittet, um stets sich an seinen Retter erinnern zu können.«

Der Arzt nannte ihn freundlich.

»Und nun noch eines, Doktor Welland,« sagte der Offizier erregt, indem er die Hand des Deutschen in der seinen drückte. »Sie versprachen mir, die Gräfin Laszlo von meinem Schicksal in Kenntnis zu setzen und sie in der widrigen Lage, in der sie sich eben befindet, nicht zu verlassen – –«

Die Gräfin,« sagte der Arzt – und seine Stimme vibrierte in schmerzlicher Erinnerung, »die Gräfin weiß, daß Sie gerettet sind.«

»Und sie selbst?«

»Die Gräfin hat bereits Widdin verlassen und wird früher die serbische Grenze in anderer Richtung passieren, als Sie – aber –«

»Sprechen Sie, Doktor, ich beschwöre Sie!«

Der Arzt reichte ihm ein versiegeltes Blatt.

»Ich habe Ihnen alles weitere aufgeschrieben, was Ihnen zu wissen nötig ist. Ich verlange jedoch Ihr Ehrenwort, daß Sie das Blatt vor zwölf Stunden nicht öffnen und sich bis dahin allen meinen Anordnungen fügen.«

»Sie sind mein Retter und ich gebe es, doch warum …«

»So sitzen Sie jetzt auf und machen Sie sich auf den Weg. Leben Sie wohl, Herr, und ehren Sie die Hand des Allmächtigen in Ihrer Rettung und fügen Sie sich seinen Wegen.«

Der Kapitän saß auf dem Pferde.

»Wenn nur Helene Laszlo gerettet ist, ich bin ein Mann und habe die Kraft zu tragen und zu kämpfen.«

Nursah's Hand reichte ihm die Revolver-Pistole.

»Behalte sie, Knabe, es ist das einzige Andenken, das ich Dir geben kann.«

Er fühlte schwere, warme Tropfen auf seiner Hand. – »Du weinst Knabe?«

Nursah schluchzte und der Offizier schaute wild auf Herrn und Diener.

»Was ist geschehen, Doktor – Sie verschweigen mir ein Unheil  …«

Doch der Arzt hatte Mungo, dem Zigeuner, gewinkt und dieser des Kapitäns Pferd bereits am Zügel.

»Leben Sie wohl, Herr, und nun vorwärts.«

Hinweggerissen von seinen beiden Begleitern, jagte der Gerettete davon und die Hufschläge verklangen bald in der Ferne.

Der Arzt erfaßte seines jungen Dieners Hand.

»Komm, Nursah, er ist gerettet und wir wollen uns einer guten Tat freuen, die Der dort Oben uns vergelten wird.«

Der Knabe weinte. – »Das Leben ist gerettet, Herr – aber er wird es verachten um den Preis, den es gekostet hat! O, daß ich nicht zu ihr zu dringen vermochte, als es noch Zeit war für sie und ihn!«



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