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Der Blutbrunnen zu Cawnpur.

(Fortsetzung.)

Der Eid.

Es war am Morgen nach dem so glorreichen, aber unglücklichen Ausfall der kleinen Besatzung des Forts, als der Peischwa wieder in seinem Zelte saß, allein mit der rachsüchtigen Ratgeberin seiner Pläne.

Die Stirn des Fürsten war noch finsterer, drohender, als am Tage vorher – von seinem Zorn zeugten die Köpfe zweier seiner Offiziere, die er nach dem Gefecht wegen ihrer Fehler beim Angriff auf die Engländer hatte enthaupten lassen. Sie steckten auf Lanzenspitzen inmitten der blutigen Reihen der Häupter der gefallenen und ermordeten Engländer, die rings im Kreise, eine schreckliche Trophäe, das Zelt umgaben.

Der Peischwa war in düsteres Brüten über einen neuen Entschluß versunken, das selbst seine Vertraute nicht zu stören wagte.

Plötzlich wurde der Teppich des Eingangs in die Höhe gehoben und der deutsche Arzt, den der Fürst, seinen Befehlen gemäß, bereits auf dem Wege nach Jhansi wähnte, trat in das Zeltgemach.

Der Nena fuhr auf, sein Auge funkelte und seine Hand fuhr nach dem Griff seines Dolches, ließ ihn aber im nächsten Moment wieder los. Mit gewaltsamer Anstrengung unterdrückte er seinen Zorn, und sein Gesicht glättete sich zu heuchlerischer Höflichkeit.

»Mein weiser Freund sei willkommen,« sagte er, indem eine Handbewegung den Arzt einlud, sich neben ihm auf die Kissen niederzulassen. »Ich habe lange seinen Anblick entbehrt, und mein Herz hat sich nach dem eines wahren Freundes gesehnt.«

»Und dennoch, Hoheit, war es Dein eigener und bestimmter Befehl, der mich zurückhielt, und verhinderte, hierher zu kommen. Ich mußte die Wachsamkeit Deiner Hüter täuschen, ja mit Gewalt mir den Weg erzwingen, um Dich zu sprechen!« In dem ernsten entschlossenen Tone des Deutschen klang die Entrüstung wieder über die angethane Beleidigung.

»Mein Bruder hat wohlgethan zu kommen,« wiederholte der Hindu höflich, »und ich werde die strafen, welche ihm Gewalt entgegengesetzt. Aber er hat nicht wohlgethan, daran zu zweifeln, daß ich immer sein Freund war, und alles zu seinem Besten geschieht. Der Wesir der Rani von Jhansi ist einer der unseren, und sein Leben für die Freiheit Hindostans ein Schatz. Die Pflicht des Hakims ist es, dort zu verweilen, wo seine Hilfe nötig ist. Du wirst die Hand eines Freundes drücken und zurückkehren, um einen andern auf seiner Reise zu geleiten.«

»Nicht eher, Hoheit, als bis Du mir Rede gestanden, bis Du meine Fragen beantwortet, meine Bitten erhört hast! Du weichst vergeblich dem Gegenstande aus – ich werde dieses Zelt nicht in der schrecklichen Ungewißheit verlassen, die ich nicht länger ertragen kann! Das Gerücht ist zu mir gedrungen, daß gestern ein heftiges Gefecht, ein verzweifelter Ausfall der Engländer stattgefunden hat!«

»Der Pfeil Cartikeias Der Gott des Krieges. neigt sich noch immer auf die Seite der Faringi, wir warten vergeblich auf den Sieg!«

»Aber ihre Lage muß furchtbar sein; es ist unmöglich, daß sie sich noch einige Tage halten, sie müssen dem Hunger und Elend unterliegen, wenn Du ihnen nicht Gnade gewährst.«

»Der weise Hakim,« sagte der Hindu lauernd, »scheint Freunde unter den Feinden seines Freundes zu haben. Es ist nicht gut, mit zwei Herzen zu lieben. Was schwarz ist, kann nicht weiß sein!«

»Ein ehrlicher, gerechter Kampf verlangt noch keine Grausamkeit. Leider weiß ich, daß die Kriegführung dieses Landes die Schonung des Feindes wenig kennt, aber es gießt allgemeine Gesetze der Menschlichkeit, die der Hindu wie der Christ achten muß. In jenen Mauern, die Deine Krieger umringen, die Deine Kanonen zu Schutthaufen zerschmettert haben, sind unschuldige Frauen und Kinder – kämpfe mit den Männern, Deinen Feinden, aber erbarme Dich der Schuldlosen!«

»Die Brüste der Tigerin säugen den jungen Tiger! Wer die Schlange vernichten will, muß ihre Brut töten!«

»Unbarmherziger! Du hast mein Leben gerettet aus der Hand der Meuchler, aber meine Kunst hat das Deine erhalten, als Du dem Wahnsinn nahe auf dem Krankenbette lagst! Wir sind quitt! Aber Dein Gläubiger, Fürst, bin ich für einen andern Dienst! Gedenke, was Du mir geschworen hundertmal an dem Lager jener Unglücklichen, die ein Teufel in Menschengestalt verdarb. Nicht die Pflicht des Arztes, – nein, die der Menschenliebe, der Freundschaft erfüllte ich, und hundertmal gelobtest Du mit teuren Eiden Deinen Dank und die Gewährung jeder Bitte. Peischwa von Bithoor, ich erinnere Dich an Deine Schuld! Ich brachte Dir unter Schmerzen und Entwürdigung das Erbe eines geliebten Dahingegangenen, die Freiheit Deines Volkes; ich habe gelitten und geduldet für sie, als Du noch in Glück und Ruhe schwelgtest. Jetzt flehe ich Dich an – entwürdige das große Werk der Befreiung Deines Landes, entwürdige Deine erhabene Rache nicht durch ein Werk der niederen Grausamkeit! Laß jene Unglücklichen, Schuldlosen ziehen! Übe Großmut, wie sie dem Sieger, dem Fürsten geziemt!«

Der Nena hatte unter den Papieren auf dem niederen Tisch, der zur Seite des Diwans stand, eines genommen und reichte es dem Arzt.

»Kennst Du diesen Brief?«

Walding fuhr zurück. »Barmherziger Gott! Es ist der meine! Wie kommt das Schreiben in Deine Hände, Peischwa?«

»Frage den Leichnam des Spions, dessen Fleisch die Geier von den Wipfeln der Palmen geholt, die an der Pagode der stummen Leute stehen. Das Auge des Hindu sieht scharf, wenn es gilt, den Verrat eines Freundes zu entdecken!«

Die Röte des Unwillens flammte über das Gesicht des Deutschen. »Ich bin kein Verräter, weder an Dir, noch an der Sache, der ich mich in einer unglücklichen Stunde geweiht. Ich brauche mich dieses Briefes nicht zu schämen; er enthält einzig den Rat an jene Unglücklichen, den nutzlosen Kampf aufzugeben und sich an Deine Großmut zu wenden. Er ist an eine Frau gerichtet, die nie Dich beleidigt, die – –«

Der Nena machte eine rasche Bewegung: »Schweig – ich mag den Namen nicht hören! mein weiser Bruder möge sich erinnern, daß dieser Brief seit neunzehn Tagen in meinen Händen ist, ohne daß ich ihm Mißtrauen gezeigt! Ich habe mich begnügt, um seiner selbst willen ihn zu entfernen; denn ich sah, daß jeder Schuß auf jene Mauern eine Wunde in seinem Herzen wurde!«

»Aber den armen Irländer, warum tötetest Du ihn?«

»Wer als Spion in das Lager des Feindes kommt, verdient den Tod eines Spions. Die weißen Brüder haben einen meiner Tapferen an ihren Galgen gehenkt, obschon er im ehrlichen Kampfe gefangen ward. Srinath Bahadur wird Dir zeigen, daß er nicht gethan wie die Faringi, die sich rühmen, einen besseren Gott als die Hindu zu haben.« Er schlug auf die silberne Glocke, und ein Offizier trat ein. »Führt den gefangenen Engländer hierher!« befahl er.

Die Bayadere, die mit wachsender Unruhe der Unterredung zugehört, machte eine Bewegung; aber ein strenger Blick des Nena bannte sie auf ihre Matte, und nach wenigen Minuten, die alle drei schweigend zugebracht, wurde zum Erstaunen des Arztes Leutnant Sanders hereingeführt. Zugleich wurden auf einen Wink des Nena die Vorhänge des Zeltes zurückgeschlagen, und eine Menge Offiziere und Diener, die am Eingang versammelt waren, drängten neugierig herbei.

»Welches Unglück, Sir, o wie beklage ich es, Sie in dieser Lage wieder zu sehen!« rief der Arzt, indem er dem jungen Engländer die Hand bot. »Arme Editha, auch dieser Schmerz zu all den Leiden, die zu schwer sind für ein schwaches Weib!«

Der Offizier trat kalt zurück. »Vergrößern Sie Ihren Verrat und Ihre Gemeinschaft mit unsern Feinden nicht noch durch niedere Heuchelei, Sir,« sagte er mit Hohn. »Diese Männer, wenn auch Rebellen gegen ihre rechtmäßigen Herren, mögen in ihrer eigenen Meinung ein Recht haben zum Kampf gegen die Engländer; den Europäer, den Christen aber, der mit ihnen Gemeinschaft macht, der das Vertrauen einer Frau mit dem niederen Verrat ihres Boten an unbarmherzige Mörder vergilt, den möge der Fluch und die Verachtung jedes Ehrenmannes treffen!«

»Unglücklicher, Sie täuschen sich! Jener Brief …«

Der Nena hatte sich erhoben. »Der weise Hakim sieht, welchen Dank er von den Männern seiner Farbe zu hoffen hat für alles, was er für sie gethan,« sagte er ironisch. »Aber mich soll er nicht umsonst gemahnt haben an jene, welche die verhaßte Farbe auf ihrer Wange, aber das rote Blut einer Hindu in ihrem Herzen trug! Wird der Freund der falschen Faringi zufrieden, und meine Schuld an ihn gelöst sein, wenn alle Bewohner jenes Forts Cawnpur unverletzt verlassen dürfen?«

»Fürst – das wolltest Du? Gesegnet sei der Engel, der Dein Herz gerührt hat! Mein Leben soll Deinem Dienst geweiht sein, denn Du verdienst es, einem Volk sein edelstes Gut zu erkämpfen!«

In seiner Begeisterung, in der Freude, mit der er die Hand des Peischwa an seine Brust drückte, sah er den lauernden Hohn nicht, der in dem Blicke dieser Augen zuckte.

»Die weißen Männer rühmen sich, die Sklaven ihres Wortes zu sein,« fuhr der Peischwa mit leichtem Hohn zu dem jungen Offizier fort. »Will der Faringi-Jemedar mir sein Wort verpfänden, hierher zurückzukehren, wenn ich ihn als Boten an seine Brüder sende?«

»Ich gebe mein Ehrenwort als Offizier darauf!«

»Du wirst gehört haben, daß die Weißen, Deine Brüder, gestern einen Ausfall versucht, und viele der ihren verloren haben. Der nächste Sturm wird jene Wälle, auf die sie trotzen, in die Hand meiner Krieger bringen. Ich biete ihnen Gnade und schwöre bei dem Haupte Wischnus, sie sollen lebendig mit ihren Waffen und zwei Lak Rupien Cawnpur verlassen dürfen, wenn, ehe Surya in das Weltmeer versinkt, die weiße Fahne auf ihrer Feste weht!«

Ein Murren des Unwillens erhob sich in den Reihen der Sepoy-Offiziere und Soldaten, und einzelne Stimmen riefen laut, man dürfe die Faringi nicht ziehen lassen.

Das Auge des Nena blitzte unheimlich, seine träge Gestalt schien empor zu wachsen, als er die Hand an den Griff seines Säbels legte.

»Wer wagt es, dem Befehle des Peischwa zu trotzen?« donnerte seine Stimme über die Menge hin. »Sklaven! wagt Ihr das Wort dessen, den die Götter gewählt zur Befreiung Hindostans, mit dem schmutzigen Hauch Eures Mundes zu begeifern? Habt Ihr vergessen das Schicksal Aga Mustaphas und seines Subadars, die gestern meinem Befehle nicht gehorcht?«

Das Geschrei wurde zum Murren, zum finsteren Schweigen. Den grollenden Haß auf den düsteren Gesichtern wichen die wilden Krieger zurück.

»Hoheit,« sagte freudig der junge Offizier, »ich habe keine Vollmacht, zu unterhandeln, aber ich zweifle keinen Augenblick, daß General Wheeler und die ganze Besatzung gern Deinen großmütigen Vorschlag annehmen werden. Gieb mir die Erlaubnis, ihn zu überbringen, und ehe zwei Stunden vergehen, will ich wieder auf dieser Stelle sein, und meinen Kopf oder den Vertrag Dir bringen!«

Der Peischwa trat an den Tisch und schrieb flüchtig einige Zeilen auf ein Papier. Es war jenes höllische Anerbieten, das unter der Maske der Großmut den teuflischen Verrat barg und berüchtigt bleiben wird für alle Zeiten in der Geschichte menschlicher Greuel. Das Gedächtnis zweier Offiziere hat ziemlich wortgetreu das Dokument der Nachwelt aufbewahrt.

 

»Ich Srinâth Bahadur, der Sohn Bazie Rûs, Peischwa von Bithoor, schwöre bei Wischnu, dem Erhalter, und auf das heilige Buch der Christen, daß der Sahib General Wheeler mit allen Männern, Weibern und Kindern, ihrer Habe, den Waffen, die ihre Hand tragen kann und ein und einer halben Lak Rupien freien Abzug haben sollen von Cawnpur auf vierzig Booten den Fluß hinabzufahren, zwei Stunden ehe die Sonne schlafen geht, und keine Feindseligkeit sein wird zwischen den freien Hindostani und den weißen Männern Sahib Wheelers, so lange sie unter diesem Vertrage in Cawnpur sind. Dagegen muß der General alles Geld, das über 1½ Lak und die Kanonen in dem Orte lassen, so er bisher inne gehabt.

»Diese Verpflichtung übernehme ich, Srinâth Bahadur, Peischwa von Bithoor, am 19. Tage des Mondes Rabi-el-Aker des Jahres 1273, welcher ist der 27. Juni des Jahres 1857 nach der Zeit der Christen.«

 

Der Nena reichte das Papier an Walding.

»O Fürst, gebiete, was Du willst, ich werde Dir gehorchen. Der Segen unschuldiger Frauen und Kinder wird Dein Lohn sein!«

Der Peischwa wandte sich zu dem Offizier. »Nimm dies Papier und diesen Brief, der den Deinen zeigen möge, daß dieser Mann stets der Freund seiner weißen Brüder war, und geh. Du aber, Hakim, kehre zu dem Wesir der Rani zurück und geleite ihn sicher nach Jhansi; denn der Peischwa hat geschworen, daß niemand seinen Befehlen ungestraft ungehorsam sein soll, und wenn er Blut von seinem Blut wäre! Geh – ehe Surya den zehnten Teil seines Pfades am Himmelsbogen zurückgelegt, mußt Du auf dem Wege sein. Die Franken-Subadars werden Dich begleiten, um der Rani Beistand zu leisten, bis der Sahib, ihr Freund, gesundet ist.«

»Major Maldigri,« berichtete der Arzt, »ist auf der Praua des Rais zugleich mit mir von Bithoor gekommen, der Palankin und die Begleiter harren unser, den Weg anzutreten. Eduard O'Sullivan ist bei seinen Freunden, er war es, der mir den Weg zu Dir öffnete!«

Ein rascher Blitz des Hohnes zuckte über das eherne Gesicht des Hindu-Fürsten. »Der Bruder Margaretens weiß, daß Srinâth Bahadur niemals vergessen wird, was mit ihrem Stamme zusammenhängt. Geh und sende mir den Rais. Ehe eine Stunde vergeht, werden die Franken-Subadars bei Dir sein!«

Der Arzt trat zu dem englischen Offizier, der sich bereit machte, das Zelt zu verlassen.

»Sir,« sagte der Doktor, »wenn ich auch in den Reihen Ihrer Gegner stehe, und der Feind Ihres Volkes bin, so habe ich doch nie die heilige Pflicht des Christen vergessen, Vergebung denen, die uns schmähten und beleidigten! Im Angesicht der schrecklichen Nacht des Todes vertrauten Sie einst des Fremden Ehre – warum nicht im Lichte des Tages, nachdem er mit so mancher Handlung zeigt, daß er ein Herz hat für seine Brüder! Das Wort des Fürsten verbürgt Ihre Sicherheit, mögen Sie glücklich Allahabad erreichen und sagen Sie ihr, daß Hermann Walding willig sein Leben gegeben hätte für ihre Rettung.«

Er verließ schnell das Zelt, der Offizier wollte ihm folgen, als die Bayadere auf ihn zusprang und mit den Gebärden einer Rasenden seinen Arm umklammerte. »Möge die Bhawani Dein Leben nehmen, ehe Du wieder zu der weißen Schlange zurückkehren sollst!« schrie sie, das Messer zückend, das sie aus ihrem Gürtel riß. »Mein bist Du, und tot oder lebend wird Anarkalli ihr Eigentum bewahren!«

Die eiserne Faust des Nena preßte das Handgelenk des Mädchens zusammen, daß der Dolch ihren Fingern entfiel, und schleuderte sie zurück. »Elende Thörin,« zischte er in der Ramasyana, Die Geheimsprache der Thugs. »sahst Du den Tiger je seine Beute aufgeben, weil er schmeichelnd mit ihr spielt?« Dann zu dem Offizier gewandt fuhr er fort: »Eile, Sahib, denn die Sonne steigt, und auch die Geduld eines Hindu hat ihre Grenzen! Baber Dutt, mein Bruder, wird Dich sicher durch die Posten geleiten und den Befehl geben, die Feindseligkeiten einzustellen!«

Auf einen Wink verließ der Offizier das Zelt, begleitet von Baber Dutt. Hinter ihm fielen auf den Befehl des Nena die Teppiche wieder nieder; er blieb allein mit der Bayadere und Kassim, dem Mayadar des Arztes, den ein Zeichen auf der Schwelle gefesselt gehalten, als sein Gebieter das Zelt verließ.

»Du bist Kassim, der Lugha?« sagte der Fürst.

Der Thug sah bestürzt und fragend auf die Bayadere, die er als eine Eingeweihte in die Geheimnisse seines schändlichen Gewerbes kannte. Auf einen Wink von ihr kreuzte er die Hände vor Stirn und Brust, neigte sich und antwortete: »Was der Fürst der Fürsten sagt, muß wahr sein. Wo ist der Sklave, der ihm zu widersprechen wagte?«

»Höre mich und begrabe meine Worte in Deiner Seele. Der weiße Hakim darf Cawnpur nicht wieder betreten. Du wirst ihn hindern daran mit Deinem Leben!«

»Und wenn er das seine wagt?«

»So nimm es! Was er thut, geschieht auf seine Gefahr.«

»Möge der Fürst es bedenken – er ist mein Mayadar. Ein großer Guru der Thugs hat ihn dazu gemacht, und die Seele Kassims dürfte nicht eingehen zu den Wanderungen, wenn er das heilige Gebot verletzte.«

Der Nena trat zu ihm, öffnete das Gewand auf seiner Brust und zeigte einen schwarzen Stein von dreieckiger Form, der, gleich jenem, den Tukallah trug, an einer Schnur von seinem Halse hing, und die darauf eingegrabenen Zeichen.

Kaum hatte der Mörder diese erblickt, als er sich mit dem Angesicht auf den Boden warf.

»Meine Seele wird verdammt sein,« stöhnte er zitternd, »aber ich werde dem Oberhaupt aller Söhne der Dunkeläugigen, dem Guru der Gurus gehorcht haben!«

»So gehe und thu' nach meinem Befehl!« Er stieß ihn mit dem Fuß von sich, und der Mörder wand sich rückwärts aus dem Zelt.

»Erkläre mir, Du Gewaltiger …« Die Bayadere war fragend auf ihn zugetreten.

»Höre und schweige! Was will der Haß eines Weibes sagen gegen die Glut, die meine Seele verzehrt!« Seine Hand schlug an die silberne Glocke. »Laß Nasyr-u-Daula, den neuen Führer der Reiter von Audh, kommen, und nach ihm Haider, den Jemedar der Geschütze. Wenn der Rais der arabischen Praua sich naht, so laß ihn eintreten. Fort!«

Kaum zwei Minuten nachher ließ der Teppich die hohe, kräftige Gestalt des Beludschen erscheinen, dem der Peischwa die Führung des Reiter-Regiments übertragen, nachdem er den Obersten desselben im Zorn über die Niederlage des vorigen Tages hatte hinrichten lassen.

»Was gebietet der Peischwa?« fragte die tiefe Stimme des ehemaligen Wegelagerers.

»Du bist das Geschöpf meines Willens, Du wirst thun nach meinem Befehl. Laß Deine Sowars ihre Rosse besteigen und ziehe über den Fluß auf der Straße nach Lucknow. Wenn Du an das Grabmal Sadat-Aly-Khans gekommen, dann wende Dich zur Rechten und kehre zurück zu dem Fluß, dessen Biegung Dich den Augen der Faringi verbergen wird. Stelle Deine Wachen aus. Kein Christ darf lebend das Ufer von Audh betreten – bei Deinem Kopfe! Geh und schweige!«

Der Beludsche legte die Hand an die Stirn zum Zeichen des Gehorsams und entfernte sich. Nach ihm trat der Leutnant der berittenen Artillerie des Peischwa ein, ein alter Sepoy von grimmigem Aussehen, der sich nur unwillig bisher den Befehlen der französischen Offiziere des Nena gefügt hatte.

» Haider, mein Freund,« sagte der Peischwa, »ich habe einen Auftrag für Dich. Wenn der Subadar-Sahib die Batterie verlassen, so bespanne vier Deiner leichten Kanonen mit den kräftigsten Tieren, die Du hast. Fülle Deine Kästen mit Kartätschen und fahre im geheimen hinter den Hügeln des Ufers am Flusse entlang bis zu der Stelle, wo die Dawk Straße. nach Futtehpoor vom heiligen Strome sich zum Lauf des Hinde wendet. Dort stelle Deine Kanonen und richte sie auf den Spiegel des Ganges. Du wirst meine weiteren Befehle erhalten. Geh und schweige, so lieb Dir Dein Leben!«

Die Augen der Bayadere leuchteten in dämonischer Freude, als sie diese Befehle vernahm. Der Nena erteilte darauf noch verschiedene andere an einzelne Offiziere, sandte dem französischen Kapitän die Order, Maldigri nach Jhansi zu begleiten, um die Befestigungen in Stand zu setzen und wußte die meisten Mitglieder seiner europäischen Gortschura durch verschiedene Aufträge zu entfernen. Jeder seiner Befehle war kurz und bestimmt; er schien den Entschluß, den er gefaßt, reiflich bedacht und alle Mittel zu seiner Ausführung vorher in seinem Geiste geordnet zu haben. Eine Stunde, nachdem der Reisezug des Arztes und seines Rekonvaleszenten den Weg nach Jhansi angetreten, erschien der Uskoke, der Herr der Praua, zu dessen wilder Sinnesart und Thatkraft der Nena besonderes Vertrauen gefaßt. Mit ihm kehrte Edward O'Sullivan, der Verstümmelte, zurück in das Zelt seines Schwagers.

Ein grausames teuflisches Lächeln lag auf dem Gesicht des Peischwa, als er seine Hand auf die Schulter des unglücklichen Mannes legte und in sein zerstörtes Antlitz schaute.

»Der Bruder derer, die aus den Gefilden der Seligen auf uns niederschaut,« sagte er frohlockend, »möge seine Augen erheben und sich freuen. Die Stunde der Rache ist gekommen und diesen Abend wird Srinâth Bahadur das Grab seiner Gattin mit dem Blute ihrer Feinde begießen!« Dann winkte er der Bayadere, Wache zu halten, damit niemand sie belauschen möge und führte den Irländer und den Rais in das innerste Gemach des Zeltes.

Erst als Anarkalli ihm zu melden kam, daß Leutnant Sanders in Begleitung eines englischen Gentleman aus dem Fort zurückgekommen und ihn zu sprechen verlange, endete die Unterredung.

Der Peischwa erschien sofort. Sanders war von einem Gentleman, Namens Stacy, einem höheren Civilbeamten von Cawnpur begleitet, der mit seiner Frau und einem Kinde gleichfalls beim Ausbruch der Empörung in dem Fort Schutz gefunden.


Die unerwartete Erscheinung des jungen Offiziers vor dem Eingang des Forts, unter dessen Bewohnern nach dem verunglückten Gefecht des vorigen Abends die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung aufs höchste gestiegen waren, und die Botschaft, die er brachte, erregten unbeschreiblichen Jubel. Die Frauen drängten sich, Freudenthränen weinend, an ihn und überschütteten ihn mit Segenswünschen, selbst die harten, gefahrgewöhnten Männer schüttelten ihm gerührt die Hand, weniger glücklich, sich selbst gerettet zu sehen, als weil sie an das Leiden der Hilflosen dachten, die sie bisher beschützt hatten.

Der junge Offizier verlangte zum General geführt zu werden, und hier erst vernahm er, daß dieser zum Tode verwundet war. Um sein Lager versammelt fand er seine Tochter und Nichte, Mr. Graham, den Kaplan, und Doktor Brice.

Vergebens bemühte sich der Arzt, den Leidenden zu bestimmen, seine Kräfte nicht durch weitere Sorge um das Schicksal der Besatzung aufzureiben; der alte Krieger, der am Rande des Grabes alles Zögern und alle jene Schwäche abgeworfen zu haben schien, die vieles beigetragen hatte zu dem traurigen Stande der Dinge, richtete sich mit Gewalt in seinen Kissen empor und hörte, während sein Gesicht von der Hitze des Wundfiebers glühte, den Bericht des Offiziers.

»General,« erklärte der Doktor, »ich kann für Ihr Leben kaum wenige Stunden bürgen, wenn Sie sich nicht schonen und meinen Anweisungen nachkommen. Dieser Trank, der das fiebernde Blut kühlen soll, bringt Ihnen den Tod, wenn Sie sich aufregen.«

»Er thut mir wohl,« sagte Sir Hugh, »ich fühle, daß er das Fieber vertreibt und mich kräftigt.«

»Es ist nur scheinbar – seine Wirkung wird später die entgegengesetzte sein, wenn Sie nicht thun, was ich Ihnen sage.«

»Entfernen Sie die beiden Mädchen, ehrwürdiger Herr,« sagte der alte Offizier zu dem Kaplan. »Trösten Sie sie, und rufen Sie sie zu dem Gefühl ihrer Pflichten, denen sie bisher so tapfer entsprachen!«

Miß Wheeler und Miß Highson, an Gehorsam gewöhnt, wurden von dem Geistlichen aus dem Gemach geführt. Kaum waren sie entfernt, als der General die Hand nach dem Arzt ausstreckte.

»Doktor, ich bitte Sie nicht als Mensch, sondern befehle Ihnen als Soldat, mir zu sagen, wie lange ich noch zu leben habe?«

Doktor Brice zögerte einige Augenblicke, dann, auf einen strengeren Blick des Fragenden, sagte er entschlossen: »Zwei bis drei Tage, General, doch wenn Sie sich nicht ruhig verhalten, nur ebenso viele Stunden. Ich konnte es nicht wagen, bei Ihrer Entkräftung und Ihrem Alter, eine Amputation an Ihnen vorzunehmen.«

»Können Sie diesen Trunk genügend verstärken, um mir für zwei Stunden die Kräfte zu geben, meine Pflichten zu erfüllen?«

»Ja, Sir, aber die Folgen sind desto schrecklicher. Bedenken Sie, General, es sind genug Offiziere im Fort, die – –«

»Ich führe den Oberbefehl im Namen Ihrer Majestät der Königin, und so lange ich dazu imstande bin, werde ich ihn an niemand abtreten. Versammeln Sie die Offiziere sofort hier, Sir, indes Sie, Doktor, Ihre verwünschte Medizin bereiten!«

Nach wenigen Minuten waren sämtliche Offiziere und die angesehensten Civilisten um das Lager des Verwundeten versammelt.

Die Beratung konnte nur kurz sein, denn die Wahl war nicht zweifelhaft. Man befand sich nach dem Verbrauch aller Munition bis auf wenige Büchsenschüsse und sämtlicher Lebensmittel in einer so trostlosen Lage, daß diese Bedingungen eines freien und ehrenvollen Abzugs wie ein unerwartetes Wunder, wie ein Geschenk des Himmels erscheinen mußten. Es galt nur die Besorgnis, ob darunter kein Fallstrick verborgen sein könne; aber die Erklärung des Leutnants, daß sie dem Wort eines Europäers, Doktor Cliffords, die Begünstigung verdankten, der sich, wie vielen bewußt, schon in jener Nacht zu Bithoor um die Rettung der Frauen verdient gemacht, ferner der Umstand, daß sie sich nicht auf dem Landwege, sondern auf dem Flusse zurückzuziehen brauchten, den sie vom Fort aus leicht erreichen konnten, und die Erinnerung, daß der Nena jahrelang mit ihnen auf vertrautem Fuße gelebt hatte, unterdrückte jedes Mißtrauen. Überdies wurde beschlossen, keine Maßregel zur eigenen Sicherheit zu versäumen.

»Gentlemen,« sagte der Verwundete, nachdem diese Beschlüsse gefaßt worden, »wir haben als Männer noch eins zu besprechen. An der Pforte des Grabes, an der ich stehe, erscheint dem Auge, selbst des Kriegers, gar manches in anderem Lichte. Wir können nicht leugnen, daß unser Stolz auf die weiße Farbe uns zu mancher Ungerechtigkeit, zu mancher Härte gegen dies Volk verleitet haben mag! Major Rivers, Sie haben schweres Unrecht gethan an der armen Frau, wenn alles wahr ist, dessen der Maharadschah Sie beschuldigt!«

Der Resident schaute finster zu Boden.

»Was auch geschehen ist, Sir, ich habe kein Recht, Ihnen Vorwürfe zu machen,« fuhr der Kranke fort, »denn Sie waren es, der diesen verstümmelten Körper mit eigener Gefahr aus dem Getümmel der Schlacht trug und es einem Vater möglich machte, sein Kind noch einmal zu segnen. Als Soldat haben Sie gesühnt, was Sie als Mensch übles gethan. Aber ich fürchte, Rivers, Ihr Anblick könnte den Zorn des Mannes, den Sie so schwer gekränkt, aufs neue erregen! Deshalb zeigen Sie sich nicht bei der Einschiffung – gehen Sie dem Nena aus dem Wege!«

»Ich fürchte ihn nicht,« sagte bitter der Resident, »doch wenn es der General Wheeler und diese Herren verlangen, bin ich gern bereit, mein Geschick von dem ihren zu trennen.«

»Ich hoffe, Sir, Sie denken nicht so niedrig von britischen Offizieren,« bemerkte Oberst Williams streng. »Dennoch ist der Rat des Generals nach allem, was ich gehört, gut. Nur wie er auszuführen ist, weiß ich noch nicht.«

»Wir haben einige Kranke, die zuerst in die Boote geschafft werden müssen,« fuhr der General fort. »Major Rivers wird meine Uniform nehmen, – es wird ihm nicht schwer fallen, sich unkenntlich zu machen – er wird meine Stelle einnehmen.«

»Und Sie, General?«

»Das fragen Sie den dort,« er wies auf den Doktor. »Ich werde auf meinem Posten bleiben und noch im Tode die Genugthuung haben, Ihrer Majestät einen tapfern Offizier zu retten. Meine Stunde ist gekommen, Kameraden! Ein jeder an seine Geschäfte! die Augenblicke sind kostbar – und das meine ist, zu sterben!«

Er streckte die Hände nach den Waffengefährten aus, die ihn, schmerzlich bewegt, umringten, denn einige Worte des Arztes belehrten sie, daß jede Hoffnung vergeblich. Schon begannen die Vorboten des Deliriums sich zu zeigen, und auf den Wunsch des Sterbenden zogen alle sich zurück, und Tochter und Nichte kehrten wieder zu seinem Lager.

Eine Stunde später war General Wheeler, wie es Doktor Brice vorhergesagt, unter den Sterbegebeten des Kaplans und den Thränen der Frauen seinem Sohne gefolgt, der während der Belagerung des Forts von einer Kanonenkugel getötet worden war.


Leutnant Sanders und sein Begleiter überbrachten den noch vom General unterzeichneten Vertrag über den Abzug. Darin waren die Bedingungen des Peischwa angenommen und verlangt, daß alle Hindutruppen auf Kanonenschußweite von dem Platz der Einschiffung zurückgezogen bleiben, und daß das Fort nicht eher als übergeben betrachtet werden sollte, bis die Boote abgestoßen wären. Der Nena nahm alle Bedingungen ohne Widerspruch an, ja er schien bei der besten Laune und begann, als wäre jede Feindseligkeit zu Ende, ganz in der frühern ungezwungenen Weise mit den beiden Parlamentären eine Unterhaltung.

Es wurde festgesetzt, daß die Einschiffung um 5 Uhr stattfinden und um diese Zeit vierzig Boote mit Segeln, Rudern und Lebensmitteln versehen am Ufer gegenüber dem Fort bereit liegen sollten. Die Abziehenden sollten selbst den Schiffsdienst versehen, und kein Hindu sich ihnen nähern dürfen. Der Nena erteilte Befehle, dies Gebot bei Todesstrafe bekannt zu machen.

Plötzlich, inmitten des Gesprächs, wandte er sich an den Offizier und sagte mit dem Tone soldatischen Freimuts: »Sie wissen, Sir, daß zwischen mir und Major Rivers persönliche Feindschaft besteht. Ich erkannte ihn gestern in der Mitte der Ihren, aber es war meinen Anstrengungen nicht möglich, bis zu ihm zu gelangen, wie gern ich auch meinen Säbel mit dem seinen gekreuzt hätte. Sagen Sie ihm, ich hoffte in der nächsten Schlacht dazu Gelegenheit zu finden!«

»Major Rivers, Hoheit,« erwiderte mit leichtem Erröten der Leutnant, »wird keinen Säbel mehr schwingen. Er ist bei dem letzten Angriff durch einen Schuß tödlich verwundet worden; als wir das Fort verließen, lag er im Sterben. Wir können nur seine Leiche zurücklassen.«

Das Antlitz des Nena war einen Augenblick totenbleich geworden, ein innerer Kampf schien ihn zu erschüttern. Im nächsten faßte er sich gewaltsam, und das Auge fest auf das verlegen sich höher färbende Antlitz des jungen Offiziers gerichtet, sagte er: »Die Khali hat die Hand auf einen Bösen gelegt! Es ist gut, so wie es ist! Die Gentlemen mit der weißen Haut haben nur ein Wort, und es geht keine Lüge über ihre Lippen, wie über die der Juden und Priester. Ich glaube dem Jemedar des Generals!«

Die Farbe auf dem Antlitz des Offiziers wurde zur dunklen Glut der Beschämung. Um den peinigenden Gegenstand zu beenden, erhob er sich mit seinem Begleiter, und sie schickten sich an, sich zu entfernen.

»Wenn ich mich recht erinnere,« sagte der Peischwa, »so ist der tapfere Jemedar von meinen Kriegern viele Tage vor dem Abkommen gefangen worden, das ich mit dem General geschlossen. Es wird genügen, wenn dieser Sahib das Papier in das Fort bringt, und was besprochen ist, berichtet.«

Sanders trat bestürzt zurück. »Wie Fürst, so muß ich Gefangener bleiben, während Ihre Großmut meinen Kameraden freien Abzug gestattet? Das ist hart!«

»Sahib Sanders hat Freunde unter uns; wenn alles geschehen ist, wie der Vertrag besagt, soll er seinen Kameraden folgen! Ich schwöre es bei dem Haupte Krischnas. Er soll Zeuge sein, daß auch die Krieger mit der dunklen Haut ihr Wort zu halten wissen und keine gespaltene Zunge haben!«

Ein finsteres, unheimliches Lächeln lag bei den Worten um seinen Mund, aber schon die nächsten waren der vorher gezeigten Freundlichkeit wieder voll und der Offizier wagte es nicht, durch Widerspruch gegen die getroffene Bestimmung die Laune des Despoten zu reizen.

Major Stacy entfernte sich mit der Botschaft und sofort wurden alle Anstalten getroffen, den Bestimmungen des Vertrages nachzukommen.

Unter der besonderen Leitung von Danilos, dem Uskoken, dessen Praua in der Mitte des Stromes lag, wurde eine Anzahl Fahrzeuge nach der bestimmten Stelle gebracht, teils flache Dschumptihs, wie sie zum Transport der Früchte und des Schlachtviehes gebraucht werden, Patinchars mit ihren baumwollenen Segeln, oder die eigentümlichen Dinghis. Die Serangs und Dandihs Schiffsführer und Fährleute. verließen die Schiffe, so wie sie dieselben ans Ufer gebracht, und zogen sich in die bestimmte Entfernung zurück.

Die Sonne neigte sich zum Niedergang, als ein Kanonenschuß das Signal zur Einschiffung gab. Sofort marschierte eine kleine Abteilung englischer Soldaten unter dem Schlage einer Trommel aus dem Fort und nahm unter dem Befehl des Hauptmanns Ashe den Landungsplatz in Besitz, der etwa 1000 Schritt von dem Eingang entfernt war.

Dann brachte man die Kranken und Verwundeten, teils geführt, teils getragen, unter den letzteren auf einem Sessel General Wheeler. Er war von seinem Militärmantel bedeckt, doch seine Uniform, sein grauer Bart waren selbst für die Fernstehenden deutlich zu erkennen, das Gesicht war unter seinem Hut verborgen. Zwei Offiziere, der Kapitän Delafosse und Leutnant Halliday, gingen an seiner Seite, Miß Wheeler und ihre Cousine führend. Die Gesellschaft bestieg mit Stacy und seiner Gattin, Leutnant Thompson und mehreren Soldaten das erste Dschumptih, das sogleich vom Ufer sich entfernte.

Die Einschiffung ging jetzt rasch von statten; in weniger als 30 Minuten waren alle Boote gefüllt und zum Teil überladen, denn die Soldatenfrauen hatten, aller Befehle der Offiziere ungeachtet, den Artikel des Vertrages benutzt, um möglichst viel von ihrer in das Fort geretteten Habe mit sich zu schleppen. Major Conelly war der letzte, welcher das Ufer verließ – als er den Rand der Barke betrat, hob er mit militärischer Courtoisie den Hut und schwenkte ihn wie zum Gruß und Dank hinüber nach der feindlichen Batterie, an deren Seite eine Anzahl Reiter hielt, unter denen der Fürst leicht zu erkennen war.

Der Fürst hielt ein Fernrohr am Auge, mit dem er die Einschiffung in jedes der Boote sorgfältig beobachtet hatte, um seinen Todfeind zu suchen, da er der Erzählung des gefangenen Offiziers keinen Glauben beigemessen, und dem entsprechend seine Anordnungen getroffen hatte.

Aber vergeblich war die genaueste Prüfung der Einschiffenden; die ausgezeichnete und leicht zu erkennende Gestalt des Residenten war nirgends zu bemerken und der Peischwa wandte sich überrascht und heftig, als gerade das letzte Boot abstieß, zu dem Gefangenen, der wenige Schritte von ihm stand und mit erregten und schmerzlichen Gefühlen die Kähne sich entfernen sah, die seine Landsleute trugen.

»Wo ist der Sahib-Resident; mein Auge hat ihn nicht gefunden unter der Zahl jener Männer?« fragte er drohend.

Der junge Offizier warf einen prüfenden Blick über die breite Fläche des Stroms. Das vorderste Boot, in dem, wie er wußte, sich Rivers unter der Maske des verstorbenen Generals befand, war bereits über das Gebiet der Stadt hinaus und schwamm in der Strömung, das letzte fuhr eben an der Praua vorüber, die in der Mitte des Stromes noch unbeweglich ankerte.

»Major Rivers,« antwortete der Leutnant, »ist außer der Macht seiner Feinde; ich kann es Ihnen jetzt mit Recht wiederholen!«

Der Nena warf ihm einen Blick zu, vor dessen drohendem, teuflischen Ausdruck selbst der unerschrockene junge Soldat erbebte, dann stieß er seinem Roß die scharfen Spitzen der Bügel in die Seiten und flog wie ein Sturmwind über die Ebene, die ihn von dem Eingang des Forts trennte.

»Legt Euch in die Ruder, Bursche, und arbeitet, als thätet Ihr's für Euer Leben,« befahl Major Conelly, der von dem Stern des Bootes die Vorgänge am Ufer beobachtete. »Ich fürchte, der tolle Hindu entdeckt zu früh, daß wir die Leiche des Generals ihm gelassen! Der Teufel hole die Eile, daß wir sie nicht lieber begraben oder mitgenommen haben.«

Von allen Seiten waren unterdes die in der verabredeten Entfernung in dichter Postenreihe das Fort umgebenden Sepoys demselben genaht und stürzten sich in das Innere, um zu plündern. Der Nena warf sich vom Roß und eilte in das Lazarett, den Leichnam des Feindes zu suchen, dessen Tod er jetzt wirklich zu glauben begann. Alle Thüren standen offen, alles zeigte die Spuren des hastigen Abzugs. In dem Gemach, das der Peischwa durchstürmte, befand sich das Lager des alten Generals, ein Teppich, darüber hingebreitet, zeigte die Formen einer menschlichen Gestalt unter den schweren Falten.

Mit einem Sprung war der Hindufürst an dem Lager. »Verfluchter! so hat der Tod Dich vor meiner Rache geschützt!« Seine Hand riß die Hülle herab: die festen, faltigen Züge des Generals starrten ihm entgegen. Um den Degengriff waren die Hände der Leiche gefaltet, deren Stirn noch feucht war von den Thränen der geschiedenen Frauen. Ein Zettel auf der Brust des Toten enthielt die Worte: »Die Leiche ihres gefallenen Generals vertrauen der Ehre des Peischwa von Bithoor zur soldatischen Bestattung – die Offiziere der Garnison von Cawnpur.«

»Höllischer Betrug! Bei der Khali, der Hund denkt unter der Maske des grauen Schurken mir zu entwischen! Aber die Rache ist auf seiner Ferse!« Er riß mit roher Faust die ehrwürdige Leiche vom Lager und trat sie mit dem Fuß. »Sohn eines Hundes, unreiner Kot, der Du bist, niemals mehr wird Dein Mund dem Sohne Hindostans Gerechtigkeit verweigern! Laßt die Hyäne und den Schakal ihr Mahl an ihm halten,« befahl er, »und möge seine Seele verdammt sein von Yama auf ewig!« – Er stürmte fort; in wenigen Augenblicken war er auf der Stelle, an der Sanders mit seinen Wachen zurückgeblieben.

»Elender Kaffir!« schrie er ihn an – »Du wagtest es, dem Peischwa Deine Lügen ins Gesicht zu schleudern! Wo ist jener Hund, der sich den Residenten von Cawnpur nannte?«

»Ich sagte es Ihnen bereits, Hoheit, Major Rivers ist außer Ihrer Gewalt!«

»Außer meiner Gewalt? Hältst Du den Peischwa von Bithoor für blind? Ihr schmutzigen Faringi habt mich getäuscht und wolltet mich um meine Rache betrügen! Der Bösewicht, der sich unter der Maske des toten Hundes davon schleichen wollte, wird der Hand des Rächers nicht entgehen! Gebt der Praua das Zeichen, die Verfolgung zu beginnen!«

Einer der Reiter schlang seinen roten Shawl um die Spitze der Lanze und wollte sie emporschwingen, aber der britische Offizier stürzte sich auf ihn und riß die unheilverkündenden Zeichen aus seinen Händen.

»Nena! halt' ein! ich beschwöre Dich bei Deiner Ehre! Rivers steht unterm Schutz des Vertrages! – Du nahmst keinen aus! Nur um Deinen Zorn nicht zu reizen, wählte er auf Verlangen des sterbenden Generals jene Verkleidung! Maharadschah von Bithoor, Du hast geschworen – der Vertrag ist heilig –«

Der Nena lachte grell auf. »Narr! glaubst Du, daß Srinâth Bahadur wie ein thörichter Knabe die sichere Beute entrinnen lassen werde? Redlicher als die verfluchten Faringi ihre Verträge gegen die armen Hindostani halte ich mein Wort! Jenes Gezücht unreiner Tiere hat unbehindert das Fort und Cawnpur verlassen! Jetzt ist unsere Zeit gekommen! Mahadeo! Mahadeo! Auf die Verfluchten!«

Er hob sich in den Bügeln hoch und schwang seinen Turban durch die Luft.

Offenbar hatte man auf der Praua bloß auf dieses Signal gewartet; denn der Arm des Nena hatte sich noch nicht gesenkt, als von dem Bogspriet des arabischen Schiffes ein Feuerstrahl schoß, ein Dampfwolke emporwirbelte und die Luft den Donner eines scharfen Kanonenschusses herüber trug. Man sah die Kugel über den Spiegel des Stromes in der Richtung des bereits ziemlich entfernten Bootes des Major Conelly ricochettieren, das jedoch glücklicherweise nicht getroffen zu sein schien, denn es wendete sogleich zur Linken ab, nach dem Ufer von Audh.

»Verräter! schändlicher Verräter!« schrie der junge Offizier und sprang zurück; denn im Augenblick wurde ihm die ganze höllische Täuschung und die Absicht des Nena klar. »Du sollst Dein Werk nicht vollführen!«

Er riß die Uniform auf und einen Revolver heraus, den ihm die Freunde im Fort bei seiner Anwesenheit aufgedrungen. Die erste Kugel zerstiebte den Reiherbusch auf des Peischwa Turban.

Mit Geschrei stürzten sich die Begleiter des Fürsten auf den Offizier. Viermal noch knackte der Hahn, drehte sich die verderbliche Schraube, drei der Männer sanken getroffen – dann erst gelang es, den Tollkühnen mit Blut bedeckt zu Boden zu schlagen.

»Bindet den Kaffir an jenen Stein!« lautete der Befehl des Nena, »während unsere Brüder die seinen jagen, wollen wir an der Marter dieses Sohnes einer Hündin unser Herz erfreuen. Einen Kahn, einen Kahn, um meinen Befehl zur Praua zu bringen! Ruft den Nachen an, der dort aus dem Schilf kommt!«

In der That schoß eben ein leichtes Boot, nur von einem einzigen Dandih gerudert, aus dem Rohr und Schilfdickicht des Ufers oberhalb des Einschiffungsplatzes hervor, da alle Fahrzeuge, mit Ausnahme der Praua, um die Engländer desto sicherer zu machen, am Morgen nach oberhalb der Stadt sich hatten zurückziehen müssen.

Einer der Sowars sprengte bis an den Leib seines Rosses in den Strom und schrie dem Laskaren den mit der Pistole in der Hand unterstützten Befehl zu, heran zu kommen.

»In das Boot, Mir-Aly, und wie der Sturm zur Praua! Der Rais soll alle Segel spannen – im ersten Boot der Faringi befindet sich der Hund von Resident! Baber Dutt soll ihn mir lebendig bringen, oder nimmer wieder vor meinem Angesicht erscheinen!«

Der Reiter, dem der Befehl galt, warf sich, ohne zum Ufer zurückzukehren, vom Pferd in den leichten, zum Schnellrudern gebauten Kahn, ohne viel des Fährmanns zu achten, dessen Gesicht zu Boden gewendet, nur erkennen ließ, daß er jung und zart gebildet sei, und dessen Gestalt bei dem Befehl des Nena erbebte. Der Sowar ergriff das im Kahn liegende zweite Ruderpaar und herrschte dem Dandih seinen Befehl zu; wie ein Vogel flog der schmale Nachen über die Wasserfläche der Praua zu, von deren Bugspriet Schuß auf Schuß den Strom entlang donnerte, während ihre beiden schlanken Masten sich wie mit einem Berg weißer Segel bedeckten, und der leichte Rumpf durch die Wellen zu schießen begann.

Das vorderste Boot der Engländer schwamm jetzt etwa eine halbe Stunde jenseits der Stadt und fast ebenso weit von der Biegung des Flusses entfernt, hinter welcher verräterisch die Kanonen und die Reiter des Nena auf beiden Ufern des Stroms der Herankommenden harrten. Hinter dieser ersten Dschumptih kamen die anderen Fahrzeuge mit ihrer Bemannung in verschiedenen Zwischenräumen, wie sie von dem Einschiffungsplatz abgestoßen, teils einzeln, teils in Haufen zusammengedrängt. Alle bedienten sich, außer der kleinen Segel, der Ruder; dennoch war, trotz aller Anstrengungen, ihr Fortschreiten verhältnismäßig gering, weil, wie sich später ergab, sämtliche Fahrzeuge durch an den Kielen befestigte und nachschleppende Säcke mit Kanonenkugeln behindert wurden.

Das letzte Boot, das größte von allen, in dem Major Conelly mit den meisten Offizieren sich befand, war in der Entfernung von 500 Schritt der Masse gefolgt und hatte, zuerst von dem langen Geschütz der Praua bedroht, die jetzt rasch und leicht wie ein Schwan über den Spiegel des Flusses daher kam, sich nach dem linken Ufer, der Seite von Audh, gewendet, um, wenn sich das Feuer der Praua wirklich als ein direkter Angriff zeigen sollte, dort zu landen. Die Praua war auf starke Kanonenschußweite von ihm entfernt, als das Boot in der Nähe des Ufers auf eine Sandbank stieß und sich festrammte. Sogleich zeigten sich den Blicken der Unglücklichen wie aus der Erde emporgestiegen am Rande Reiterscharen, das ganze Ufer schien lebendig zu werden, viele der Sowars trieben ihre Pferde so weit als möglich in das Bett des Stromes, und das Feuer, das sie auf die unglücklichen Insassen der Boote eröffneten, ließ keinen Zweifel über ihre Absichten.

»Der Teufel hole indische Treue!« schrie der Major, »Kameraden, hier gilt es, unser Leben wenigstens so teuer als möglich zu verkaufen! Zielt sicher, denn wir haben keine Munition an die Schurken zu verschwenden!«

Ein lebhaftes Gewehrfeuer entspann sich auf dieser Stelle. Als die Praua, deren Verdeck dicht mit Menschen besetzt war, sich überzeugt hatte, daß das Boot der Engländer nicht von der Stelle konnte, richtete sie ihre Verfolgung auf die anderen Fahrzeuge. Auf dem Kajütendeck, hoch auf der Schanzverkleidung stand der Rais, seine Befehle erteilend, während die kräftige Hand von Hendrik Prätorius, dem jungen Holländer, das Steuer drehte. Baber Dutt, die Bayadere, Eduard O'Sullivan und Narika, das Mädchen aus Kaschmir, das seit ihrer Flucht aus dem Harem des Residenten bei ihren Befreiern geblieben, standen mit dem alten Babu Tippo Singh in der Nähe des Steuers, und in aller Mienen und Gebärden prägte sich der Eifer und rachedürstige Haß aus, mit dem sie sich an der Verfolgung beteiligten. – – – – – – –


»Wo ruderst Du hin, Sohn eines Esels,« schrie der Sowar, als er bemerkte, daß der Kahn des jungen Fährmanns zu weit nach dem rechten Ufer abgekommen, und die Praua auf seiner Leeseite hatte. »Halte zum Schiff, oder ich schlage Dir den Schädel ein!«

»Ja! ja! Sahib! Dein Wille geschieht,« antwortete die zitternde Stimme des jungen Fährmanns, und einige Ruderschläge näherten in der That den Nachen dem Steuerbord der Praua, auf der man jetzt erst den Nachen und das Winken des Sowars bemerkte, der die Ruder niedergelegt und sich erhoben hatte. Im nächsten Moment sah man das Ruder des jungen Fährmanns durch die Luft schlagen, den Sowar taumeln und mit einem Schrei aus dem Kahn stürzen, der jetzt, von kräftigen und gewandten Ruderstrichen geführt, gleich einem Pfeil an der Seite der Praua vorüberschoß.

Die heftige Bewegung des Schlages hatte den verhüllenden Turban von dem Kopf des Rudernden fallen lassen, der sich nicht einmal Zeit nahm, danach zu fassen. Langes dunkles Frauenhaar flog jetzt fessellos um das unbedeckte Haupt und enthüllte ein von der Anstrengung gerötetes, dunkles, aber liebliches Mädchenantlitz.

» Nurjesan, mein Kind! meine Tochter! was beginnst Du?« gellte die Stimme des alten Babu vom Bord des Schiffes. Einen flammenden Blick warf das Mädchen hinauf, dann begann sie, mit verdoppelter Kraft zu rudern. Der Nachen schoß der Praua weit voraus, deren Schiffsvolk bemüht war, dem Sowar zu Hilfe zu kommen.

Jeder Ruderschlag schien die Kräfte des Hindumädchens zu verdoppeln und ihr leichtes Kanoë wie eine Schwalbe über den Spiegel des Flusses dahin zu fliegen. Rechts und links ließ es die Fahrzeuge der Faringi zurück, die bei dem Feuern in ihrem Rücken sich zu zerstreuen und zum Teil den Ufern zuzusteuern begannen. Es stürmte vorwärts, der voranziehenden Dschumptih nach, die jetzt fast die Biegung des Flusses erreicht hatte.

»Sahib Rivers! Sahib Rivers, halt ein!« tönte der Ruf der jungen Hindu; die Ruderer der Dschumptih hielten auf den Befehl des Residenten inne, und das Kanoë schoß an die Seite des Fahrzeugs.

»Nurjesan?«

Das Mädchen faßte den Bord des Fahrzeugs, ihr Auge hatte bereits den Räuber ihrer Ehre erkannt, an dessen Willen das Laster die Unschuldige geschmiedet, da der Resident sich des entstellenden Bartes entledigt hatte. Sie faßte seinen Arm und zog ihn zu sich hinüber in den Kahn; atemlos berichtete sie ihm leise den Verrat des Nena, die Aufstellung der Kanonen und Sepoys am Ufer und den Befehl zu seiner Verfolgung. Seit dem Brief, den ihr die Frau des Hävildar Sepoy-Korporal. überbracht, aufmerksam auf alles, was den Belagerten geschah und nach einer günstigen Gelegenheit spähend, den Residenten zu retten, war sie durch das Weib des Nudschur von den verräterischen Maßregeln des Nena in Kenntnis gesetzt worden. Aber der Postenkreis, den der Peischwa um das Fort gezogen, machte es ihr unmöglich, zu den Engländern zu gelangen. Mit Hilfe der Frau verschaffte sie sich die Verkleidung und das Boot, das sie von den Lustfahrten am Ufer des Ganges her zu leiten verstand, und benutzte die Gelegenheit, um aus dem Schilfdickicht, in dem sie verborgen gelegen, hervorzuschießen.

Der Resident überlegte einen Augenblick, während die Boote mit allen Kräften weiter ruderten. Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm, daß die Praua bereits die Reihe der Boote erreicht hatte und mit Flintenschüssen begrüßt wurde. Ein allgemeiner Kampf entspann sich auf der ganzen Strecke, da überall am Ufer Sepoy- und Sowarhaufen emportauchten und ein scharfes Gewehrfeuer eröffneten. Die Flinten und Büchsen der englischen Offiziere konnten bei der geringen Munition die Salven nur spärlich erwidern, aber jeder der wohlgezielten Schüsse fällte sein Opfer, während das Feuer der Gegner bei der Entfernung und dem schlechten Kaliber der Waffen nur wenig Schaden that.

»Der Faringi-Sahib hat Nurjesan gelobt, sie zu seiner Frau zu machen,« sagte leidenschaftlich das Mädchen. »Sie hat alles gewagt für ihn und kann ihn retten aus allen Gefahren, wenn Lakschmi, die Gebieterin des Glücks, mit ihnen ist, oder sie wird sterben mit ihm vereint, wenn Schiwa ihr Geschick bestimmt hat. Dieser Kahn ist schnell – der Mann meines Herzens möge zwei starke Hände der Seinen nehmen, uns im Rudern zu helfen, und wir spotten jener Praua. Ehe der Morgen anbricht, wird er in Allahabad sein. Aber das Rad der Zeit rollt, möge der mächtige Sahib der Faringi sich Nurjesans Flehen erbarmen und mit ihr kommen.«

Eine finstere, drohende Falte lag zwischen den Brauen des Residenten, sein Auge maß das Kanoë des aufopfernden Mädchens und funkelte dann triumphierend hinüber nach den nahenden Verfolgern.

»Hier hinauf, Nurjesan, schnell!« befahl er und hob das Mädchen an dem Rande der Dschumptih empor.

»Was beginnst Du, Sahib, ich muß bei Dir bleiben!«

»Gehorche, Dirne!« er schleuderte sie mit Gewalt in das Fahrzeug, wo sie zu Boden fiel.

»Wer versteht das Schlagruder zu führen?« fragte der Resident. Mehrere Arme streckten sich in die Höhe. »Hierher, Ihr beiden, geschwind in den Kahn. – Halliday, her zu mir, es gilt Ihr Leben!«

»Was soll das bedeuten? was wollen Sie thun, Rivers?«

»Fragen Sie nicht! es ist keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Wollen Sie Ihr Leben retten, so folgen Sie mir!«

»Nicht ohne diese schutzlosen Frauen. Ein Mann von Ehre wird sie in der Gefahr nicht verlassen!«

»Thor! meinen Sie, es sei für uns keine Gefahr? Schauen Sie dort hinüber! Jeder ist sich jetzt selbst der Nächste. Hieher, Tompson, und steuern Sie, wenn der Undankbare es verschmäht!« Seine Hand riß den jungen Offizier, der in der Nähe stand, halb mit Gewalt in den Nachen und stieß ihn – der durch die vier Personen ganz gefüllt war – von der Dschumptih ab.

Das Fahrzeug hatte jetzt die Biegung des Flusses umfahren und befand sich im Angesicht der Kanonen der Sepoys, die von der Höhe herab einen Hagelschauer von Kartätschen ihm entgegen sandten. Erschrocken stemmten die Ruderer gegen das Wasser und die Dschumptih wich stromaufwärts zurück.

»Jetzt ist es Zeit, rudert für Euer Leben, Leute, dicht am Ufer hin, Tompson, ehe sie den Zielpunkt für uns finden!«

»Halt ein, Sahib! halt ein! Nimm Nurjesan, Dein Weib, mit Dir!« schrie das Hindumädchen und schwang sich mit fliegendem Haar und wirrem Blick auf den Rand der Dschumptih. »Sahib Rivers, denk' an Dein Versprechen!«

»Der Kahn ist voll, schöne Nurjesan!« rief kaltblütig der Verräter. »Wenn das Glück gut ist, komm' ich, Dich zu holen. Vorwärts, Kameraden, dort ist bereits die verfluchte Praua!«

Er warf sich selbst auf die Ruder, und das leichte Kanoë, von drei starken Männern getrieben, vom vierten gesteuert, schoß wie ein Vogel nach der Deckung des hohen Ufers.

Hinter ihm ein kreischender Schrei, ein Sturz ins Wasser, dann hob sich aus den gelben Wellen des Ganges der bleiche Kopf des Hindumädchens, und ihre schlanken Arme teilten rüstig die Flut.

»Sahib Rivers! Sahib Rivers! bei Deinem Gott, verlaß Nurjesan nicht, die Dir Leib und Seele gegeben!«

Einen Augenblick zögerte der Resident, zurückblickend; aber die Gefahr war dringend, jede Sekunde Zögerung der Tod. »Die Närrin,« murmelte er, mit verdoppelter Kraft das Ruder brauchend, »mag sie zum Henker ersaufen! sie wäre nur ein Hindernis gewesen!«

Aber nicht dieser Tod war dem aufopfernden betrogenen Hindumädchen beschieden. Das Kanoë des Residenten schoß glücklich in den Schutz des dicht mit Rohr und Schilf bedeckten Ufers und flog an diesem entlang, die kühne Schwimmerin folgte noch immer. Da rauschte und brach es in dem Rohr und eine Wasserfurche teilte die trübe Fläche: ein greulicher Rachen mit dichten Reihen von weißen Zähnen schnappte empor – grüne Augen funkelten – hoch auf gerade in die Höhe mit wild verzerrtem Gesicht sprang die Schwimmerin aus dem Wasser und schlug wild die Arme empor. »Zu Hilfe!« dann verschwand im Nu der junge Leib unter den Wellen und ein ringelnder Kreis von Blut war der einzige Rest so vieler Liebe, Jugend und Schönheit.

Über die Fläche her, die der gepanzerte Rücken des riesigen Bewohners der Tiefe durchfurchte, ricochettierte ein neuer Hagel von Kartätschen und schlug unter die sechs oder sieben Fahrzeuge, die bereits diese Stelle erreicht.

»Zurück! zurück! stemmt die Ruder! rudert zurück! befahl die ruhige, feste Stimme des Kapitän Delafosse. »die Kanonen würden das Boot in Stücke schmettern! Nach dem Ufer, Männer, nach dem Ufer!«

Aber schon flog die Praua unter dem Druck aller Segel heran und braßte quer vor der Linie der Boote, von denen zwei, die den Weg erzwingen wollten, unter dem Kugelhagel der Batterie sanken. Das Geschrei der Frauen und Kinder, die Verwünschungen der Soldaten und Befehle der Offiziere, das Hohn- und Jubelgeschrei der Sepoys zwischen dem Brüllen der Kanonen und dem Knattern des Flinten- und Pistolenfeuers, es schien ein Gewirr, der Hölle entstiegen. Die Praua, deren Führer die Dschumptih des Residenten nicht aus den Augen gelassen, stieß auf diese, und Delafosse, jede Möglichkeit des Entkommens und Widerstandes vereitelt sehend, schwenkte sein Taschentuch an der Spitze des Degens zum Zeichen der Ergebung.

Ein Haufe der Schiffsmannschaft der Praua, an ihrer Spitze der Uskoke und der junge Boer, drangen sofort in die Dschumptih.

»Gebt den Sahib-Residenten heraus, oder der Tod ist Euer Schicksal! Wir wissen, er ist verkleidet unter Euch – wo ist der Sohn eines Hundes?«

»Wenn dieser verräterische Anfall der Person des Residenten von Cawnpur gilt,« sagte der Kapitän entschlossen, »so ist sein Zweck vereitelt; Major Rivers ist entflohen auf einem Kahn; wenn er den Kugeln jener Geschütze entgangen, ist er außer der Gewalt des Maharadschah! Ich fordere Schutz und Freiheit für diese Frauen und uns auf Grund des Vertrages!«

»Kaffir, Du lügst!« tobte der Bruder des Peischwa, denn der Pulverdampf, der sich über den Fluß wälzte, verhinderte ihn in diesem Augenblick das Kanoë zu sehen. »Durchsucht jeden Winkel, Brüder, der Hund ist verborgen unter ihnen!«

Seine Hand riß mit rohem Griff den verhüllenden Schleier vom Hut der Miß Wheeler, die zitternd ihre mutige Cousine umschlungen hielt, aber im Nu zuckte der Degen Leutnant Hallidays und eine tiefe Schulterwunde strafte diesen frechen Angriff.

Der Hieb war das Signal zu einem kurzen, aber blutigen Gefecht. Die Begleiter Baber Dutts stürzten sich mit wütendem Geschrei auf die kleine Zahl der Engländer am Bord der Dschumptih, während andere die Frauen mit roher Gewalt auf die Praua schleppten. Halliday verteidigte sich wie ein Rasender in dem kleinen Raum, jeder Hieb seiner treuen Klinge machte das Blut aus tiefen Wunden spritzen, während er selbst bereits aus zwei oder drei blutete und von der Zahl seiner Gegner bis zum Rande der Dschumptih zurückgedrängt war. In diesem Augenblick fiel zwischen den drohenden mordentflammten Gestalten der Gegner sein Auge auf ein bleiches verstümmeltes Gesicht, das kaum noch dem menschlichen glich – zwei verstümmelte Arme streckten sich dräuend gegen ihn aus …

»Eduard O'Sullivan – Gott erbarme sich meiner!« Die Hand, die den Stahl so kräftig geschwungen, sank gelähmt von der bösen Erinnerung nieder, ein Hieb des Tomahawk von der Faust des holländischen Boers spaltete seine Stirn, und das brechende Auge noch auf die gespenstische Erscheinung dessen gerichtet, den er einst in die Klauen des Tigers zu treiben geholfen hatte, verschwand die Leiche des Offiziers in der trüben Flut des heiligen Stromes.

Am niedern Mast der Dschumptih verteidigte Kapitän Delafosse sich mit Heldenmut, bis ein Kolbenschlag die Klinge seines Degens zersplitterte und ihn in die Knie warf. Zehn Säbel blitzten todbringend über seinem Haupt, als plötzlich der Irländer sich vor ihn warf, schrille unverständliche Laute ausstoßend und mit dem eigenen Körper den Mann schützend, der ihm allein an jenem Tage des Unheils Freundlichkeit und Wohlwollen bewiesen.

Der Rais, der die heftigen Gebärden des armen Stummen so ziemlich zu deuten verstand, erkannte den Offizier, mit dem er damals gemeinschaftlich die Spuren der Entführung der Gattin des Nena verfolgt, und machte sich zu seinem Beschützer.

Seiner Waffen beraubt, wurde der Kapitän nach der Praua gebracht und unter Deck in eine kleine Kajüte geschlossen, in der er zu seinem Erstaunen einen Europäer fand, der sich bei seinem Anblick in den äußersten Winkel kauerte, und dessen wirrer Blick und unzusammenhängende Worte ihn bald überzeugten, daß er es mit einem Geistesgestörten zu thun habe.

Über der Verfolgung der Boote, die jetzt sämtlich in der Gewalt der Praua und der am Ufer aufgestellten Sepoys sich befanden, war der Abend herangekommen; die Dunkelheit bedeckte den Fluß und die Ufer, als die Praua, die Boote vor sich her, nach dem Ufer von Cawnpur zurückkehrte.

Der Uskoke, von Eduard O'Sullivan begleitet, trat in den Raum, in welchem sich Delafosse als Gefangener mit dem Irren befand.

»Signor,« redete er den Offizier an, »ich bin ein rauher Seemann und ein geschworener Feind aller Engländer, denen ich es verdanke, daß ich statt unter dem blauen Himmel Albaniens auf den Fluten des Adria mit der Schwalbe lustig zu kreuzen, unter diesem Himmel voll Glut mit Heiden, die nicht den Namen der Panagia kennen, auf schmutzigem Wasser schwimme, das nicht das Grab ehrlicher Seeleute, sondern jedes schuftigen schwarzen Bettlers ist, der nicht die Rupie für den Scheiterhaufen bezahlen kann! Aber wenn ich auch ein Feind der Faringi bin: ich weiß die Braven und Tapferen jedes Volkes zu schätzen, und der Capitano Grimaldi würde es nimmer dem Milchbruder vergeben, überlieferte er einen seiner Freunde dem Henkerschwert dieser braunen Teufel. Hier ist die Verkleidung eines Bannia; Indischer Getreidehändler. unter jener Luke finden Sie einen Kahn, mit dem Sie das Ufer erreichen können, ich selbst werde das Steuer der Praua führen und so Ihre Flucht sichern. Mögen die Heiligen mit Ihnen sein, bis wir uns wieder im Kampfe begegnen. Am Ufer von Audh schwärmen die Sowars des Peischwa; der Weg ist zu gefährlich für Sie. Am besten ist's, Sie schlagen die Dawk Straße. von Gwalior ein und erreichen den Zug des Majors; er kann noch nicht weit sein, da er erst kurz vor Mittag Cawnpur verlassen. Sagen Sie Marcus Grimaldi, was Danilos für Sie gethan – unter seinem Schutz werden Sie sicher sein!«

»Ich danke Ihnen von Herzen,« sagte der Engländer, die Hand des Uskoken schüttelnd, »aber darf ich meine Kameraden, die armen Frauen in dieser unglücklichen Lage verlassen?«

»Beim Acheron! Ich sehe nicht, was Sie ihnen helfen könnten! Der Nena wird rasen, daß jener Schurke, dem ich einst das Bungalow-Harem anzündete, seiner Rache entwischt ist. Die Sowars verfolgen ihn am Ufer, mein Steuermann und der alte Babu sind auf dem Fluß hinter ihm drein – wenn der Teufel ihm nicht hilft, wird er ihnen nicht entrinnen! Sorgen Sie für Ihren eigenen Kopf, Signor, der in dieser Zeit wenig genug wert ist!«

Er warf ihm die Kleider hin. »Thun Sie, was Sie wollen, Signor, aber in einer halben Stunde wird es zu spät sein. Ohnehin ist die höchste Vorsicht nötig, denn wir haben einen Dämon von Weib an Bord, dessen Auge nichts entgeht!«

Der Irländer trat auf Delafosse zu, seine Bewegungen, sein flehender Blick zeigten deutlich seinen Wunsch und ersetzten die Sprache. Er deutete mit den verstümmelten Armen wiederholt nach der Richtung, welche der Gefangene bei der Flucht einschlagen sollte.

»Hier sind ein Taschen-Kompaß, Pistolen und eine Dschambea,« fuhr der Uskoke fort. »Es wird kein Schade sein, wenn Sie im Dunkel einem von dem Gewürm aus dem Sattel helfen und sich hinein. Leben Sie wohl, Signor, und San Theodoro sei mit Ihnen! Handeln Sie ohne Furcht, der arme Bursche im Winkel dort wird Sie nicht verraten!«

Er zog den Irländer mit sich fort und verschloß die Thür.

Einige Minuten stand der Kapitän im Zweifel, was er thun solle, aber die Überzeugung, daß Bleiben sich nutzlos der Gefangenschaft des Nena, vielleicht noch einem grausameren Los, preisgeben hieße, die Hoffnung, daß wenigstens das Leben der hilflosen Frauen jetzt nicht gefährdet sei, und im Grunde der Seele vielleicht der Gedanke, in der Begleitung des edlen Condottieri die Frau wieder zu sehen, deren Bild seine ganze Seele erfüllte, ließen ihn rasch einen Entschluß fassen.

Er warf die vom Kampf zerfetzte Uniform von sich und beeilte sich, die indische Kleidung anzulegen.

Zu seinem Erstaunen bemerkte er, daß der Irre zögernd näher und näher kam, bald die abgeworfenen Kleider, bald ihn selbst betrachtend.

»Fürchtest Du auch, daß sie Dich fangen, Kamerad?« flüsterte der Wahnsinnige, »es ist recht, daß Du den roten Rock von Dir thust; er leuchtet durch die Stämme der Palmen, wenn Du zum Liebchen reitest. Er hat eine schlimme Farbe und zieht die Augen der Schlangen an!«

»Wer bist Du, Unglücklicher? Du bist ein Engländer!«

»Die fünften Dragoner sind ein schönes Regiment!« fuhr der Irre fort, indem er dem Offizier die Kleidung anlegen half, »und Rookeby, mein Pferd, war ein treues Tier. Aber seit die Schlange den armen Eduard und Helene, meine schöne Helene, gefressen, ist es vorbei mit uns. Sieh, sie haben mir diese Kleider gegeben, damit der böse Mann mich nicht finden soll!«

»Bedauernswerter! kann ich etwas für Sie thun? Sprechen Sie?« Der Kapitän hatte die Lampe gelöscht, die der Rais angezündet, und die Luke geöffnet. Als er hinaus sah, sah er dicht darunter ein mit Rudern versehenes Boot treiben und hörte auf dem Verdeck den Lärm der Laskaren und Sepoys. Das Bogspriet der Praua war bereits der Stadt zugewendet, von der wüstes Lärmen herübertönte, während der Schein großer Feuer und zahlloser Fackeln das Ufer und weit hinaus die Fläche des Stromes erhellte. Gellendes Triumphgeschrei schallte jedesmal herüber, wenn ein Boot landete, und die unglücklichen Gefangenen ans Ufer geschleppt wurden.

»Wer Sie auch sein mögen, unglücklicher Mann,« sagte der Kapitän, »leben Sie wohl und Gott gebe Ihnen das Licht der Vernunft; ich kann nichts weiter für Sie thun!« Er faßte das Tau, welches das Boot hielt und glitt an ihm hinab, fieberhaft lauschend, ob an Bord der Praua jemand seine Flucht bemerkte.

Kapitän Delafosse hatte jedoch noch nicht die Ruder ergriffen und sich zur Abfahrt bereit gemacht, als er sah, wie ein dunkler Schatten an dem Tau ihm folgte. Im nächsten Augenblick saß der Irre vor ihm auf der Ruderbank des Bootes.

»Lionel wird mit Dir gehen,« sagte der Wahnsinnige – »Lionel will den roten Rock der Faringi sehen, sie werden ihn schützen vor der Boa, besser als diese Hindu!«

Es war keine Zeit zu Gegenvorstellungen; der Kapitän, zum Teil von der Notwendigkeit, zum Teil von Mitleid für den Armen, den er für einen Kameraden erkennen mußte, getrieben, stieß von der Praua ab, und im nächsten Augenblick schwamm das Boot unbemerkt auf der Fläche des Stroms.

Von hier aus konnte er die Scenen am Ufer beobachten, und das Blut stieg ihm zu Kopf, das Herz wollte ihm brechen, als er sah, wie seine braven Kameraden von den Sepoys unter Mißhandlungen gebunden aus den Booten geschleppt, wie die Frauen und Kinder grausam verhöhnt und beleidigt wurden. Mehr als einmal war er im Begriff, hinüber zu rudern und sich unter die jubelnden Feinde zu stürzen, aber die Überzeugung, daß er keine Hilfe bringen, daß er nichts thun könne, als die Zahl der Opfer vermehren, ließ ihn davon wieder abstehen. – Um so rasch als möglich diesen Scenen zu entfliehen, strengte er alle Kräfte an und ruderte stromauf, bis er oberhalb der Stadt der Stelle gegenüber war, in deren Nähe die so tapfer verteidigte Verschanzung lag, an der sie sich vor wenigen Stunden, freudiger Hoffnung voll, eingeschifft hatten.

Die Ankunft der Boote mit den Gefangenen in der Stadt hatte die ganze Bevölkerung dort versammelt und den Platz, an dem er landete, völlig einsam gelassen. Der Offizier verließ den Kahn und sein irrer Begleiter folgte ihm wie sein Schatten, zuweilen wirre Erinnerungen vor sich hin murmelnd oder seine Phantasieen dem Kapitän geheimnisvoll zuflüsternd, den das Mitleid verhinderte, ihn hier seinem Schicksal zu überlassen.

Delafosse suchte sich zunächst zu orientieren, was ihm nicht schwer wurde, da der Mond mit seinem hellen Schein über den Horizont emporzusteigen begann. Er sah ein, daß er zunächst die Straße nach Bithoor passieren und auf weitem Umwege die Stadt und die weitgedehnten Vorstädte umgehen müsse, um den Weg nach Gwalior zu erreichen, auf dem er, nach dem Rat des Uskoken, Major Maldigri folgen sollte. In der Nacht und unter dem Schutz seiner Verkleidung fürchtete er die Gefahr des Erkennens nicht. Nur war es notwendig, den Irren möglichst zur Erkenntnis ihrer Lage und zum Schweigen zu bringen; da dieser gleichfalls die Kleidung der Eingeborenen trug, war von seiner Begleitung nichts zu befürchten.

»Kamerad,« sagte der Kapitän, »ich will Sie nicht verlassen, aber unter der Bedingung, daß Sie das strengste Schweigen beobachten, was auch geschehen möge. Ihr und mein Leben hängt davon ab! Lassen Sie uns aufbrechen, denn jeder Augenblick ist kostbar!«

»Still,« flüsterte der Irre, »siehst Du die Schlange dort im Mondschein gleiten? hörst Du das Weinen des armen Knaben, wie er nach Wasser ruft?«

»Es sind die Schakals, die über die Ebene schweifen, Kamerad; ihr Geschrei tönt wie das eines Kindes.«

»Thor! die Anaconda ist's, der Knabe, mein Knabe, mein süßer Eduard wimmert nach Wasser. Ich bin sein Vater – laß mich hin zu ihm!«

Der Kapitän, der ihn mit Gewalt zurückhielt, indem er fühlte, welche gefährliche Last er sich mit diesem Begleiter aufgebürdet, horchte aufmerksam in die Nacht.

In der That kam es ihm vor, als ob er zwischen dem fernen Geräusch der Stadt und dem Gekreisch des Schakals, den ihr Kommen aufgescheucht hatte, und der über die Ebene kreiste, ein leises Stöhnen, das englische Wort: water! Wasser. hörte.

Ihn schauderte – nochmals, klarer und deutlicher hörte er den Laut: water!water!

Das konnte nur ein Landsmann, ein Engländer sein. Entschlossen schritt er in der Richtung vor, aus der die Töne des Jammers erklangen.

Es war jene Stelle, an welcher Leutnant Sanders so heldenmütig versucht hatte, das Signal aufzuhalten, das seine Landsleute vernichten sollte.

Der Mond trat klar und hell über den Saum einer Wolke, sein weißes Licht zeigte einen niedern breiten Stein – darüber ausgebreitet, die Füße und Hände an dies steinerne Kreuz geschnürt, einen Märtyrerleib.

»Wasser! bei der Barmherzigkeit Gottes! wer Ihr auch seid – einen Tropfen Wasser!«

»Allmächtiger! diese Stimme! Unglücklicher – wer bist Du?«

Es war unmöglich, die unglückselige Jammergestalt zu erkennen. Achtundvierzig Wunden von Säbelhieben und Speerstößen hatten diesen jungen, vor wenig Stunden noch kräftigen Körper so gräßlich zerfleischt, daß Kleider, Fleisch und Blut eine einzige Masse bildeten, an der bereits der Schakal sein furchtbares Mahl im ersten Schatten der Nacht begonnen.

Während die Praua den Booten nachjagte, hatte die entfesselte Rachgier des Nena seiner Umgebung ein greuliches Spiel bereitet. Nachdem der unglückliche Offizier, der seinen Zorn gereizt, zu Boden geworfen und auf Befehl des Peischwa an jenen Stein gebunden worden, versuchte jeder der wilden Reiter im Galopp vorübersprengend an dem Körper des Unglücklichen seine Geschicklichkeit indem er ihm mit Säbel und Lanze eine Wunde beibringen mußte, die ihn nur zerfleischte, ohne ihn zu töten.

Die Augen waren dem Unglücklichen ausgestochen, sein ganzes Antlitz von Säbelhieben zerfetzt und mit geronnenem Blut bedeckt; von Zeit zu Zeit lief das Zucken der mit diesem langsamen entsetzlichen Sterben ringenden Jugendkraft durch die zerfleischten Glieder.

»Fluch dem Tage, der mich geboren zu solchen Schmerzen!« wimmerte der Leidende. »Bist Du ein Engländer, so reiche Sanders, dem von Teufeln Gemarterten, einen Tropfen Wasser und töte ihn!«

»Leutnant Sanders! unglücklicher Kamerad! ich bin Delafosse, Kapitän Delafosse, und werde Sie nicht verlassen. Fort, Mann! raffe Deine Vernunft zusammen und eile nach dem Fluß, schöpfe in diesem Turban Wasser und bringe es schnell!«

Ein Blitz von Verständnis leuchtete in dem Auge des Wahnsinnigen. »Lionel holt Wasser,« sagte er, »Lionel weiß, wie es thut, nach Wasser zu schmachten, wenn der giftige Brodem der Anaconda die Luft durchglüht!« Damit lief er hastig nach dem Fluß und kehrte in wenig Augenblicken wieder, den Turban mit Gangeswasser gefüllt.

Der Kapitän zerriß seinen Kaftan und wusch das Antlitz des Gemarterten, dann flößte er ihm etwas Wasser ein. Der Irre war eifrig bemüht, ihm bei dem traurigen Geschäft zu helfen und lief wiederholt nach dem Ufer des Stromes, den Turban zu füllen. Delafosse erkannte bald, daß hier jede Hilfe vergeblich sei und nur die kräftige Natur des jungen Offiziers seine unbeschreiblichen Leiden verlängert hatte. Kaum verständlich, in abgebrochenen Worten, teilte dieser ihm die Scene mit, deren Opfer er geworden, und Delafosse fühlte sein Herz erbeben bei dem Gedanken, daß seine unglücklichen Kameraden und die armen Frauen der Tigerlaune eines solchen Feindes preisgegeben.

Sein Haar sträubte sich, seine Nerven erstarrten – denn von der Stadt her rollte durch die Nacht der Donner einer Flintensalve, einmal, zweimal, zum drittenmal, und selbst in diese Entfernung drang das Echo des höllischen Triumphgeschreies der Menge herüber.

Der Wahnsinnige begann unheimlich zu lachen und in wilden Sprüngen um den Stein zu tanzen. »Hurra! lustig!« rief er, »sie haben die Anaconda getötet! Lionel kann wieder reiten auf Rookeby, seinem Pferd, und der kleine Eduard wird die süßen Augen öffnen!«

»Mensch, mache mich nicht wahnsinnig, wie Du selbst es bist!« rief verzweifelnd der Kapitän. »Wenn ich denken müßte, daß jene Schüsse unseren Landsleuten gegolten! wenn jenes Ungeheuer – –«

»Flieht! flieht!« stöhnte der Sterbende, »Rettet Euch, da es noch Zeit ist! Aber bei der Barmherzigkeit Gottes, zuvor macht meinem Leiden ein Ende – tötet mich!«

Delafosse hatte das Gesicht in die Hände verhüllt, er rang nach einem Entschluß. Endlich hatte er ihn gefaßt – ohne ein Wort zu sagen, fuhr er in seinen Hilfsleistungen für den Leidenden fort, befreite seine zerfetzten Glieder von den Banden und netzte seine gräßlichen Wunden mit Wasser.

»Den Tod! gebt den Tod!« flehte der Arme, »das ist gräßlicher, als in der Mordhöhle der Thugs!«

»Kamerad,« sagte der Kapitän, »Gott der Allmächtige hat ein furchtbares Schicksal über Sie verhängt; beugen Sie sich seinem Ratschluß! Bald wird seine Barmherzigkeit Ihre Leiden geendet haben und Ihre unsterbliche Seele in seinen Schoß aufnehmen! Bis dahin weiche ich nicht von Ihrer Seite, man müßte mich denn von hier reißen. Gott ist barmherzig, und der Soldat, der jetzt stirbt, geht uns anderen nur voran!«

Er setzte sich zu dem sterbenden Kameraden, netzte von Zeit zu Zeit seine Lippen und betet mit ihm die Gebete der Jugend, die beide vielleicht so lange vergessen hatten!

Eine Stunde war vergangen, der ferne Lärm der Stadt begann zu verstummen, die Feuer erloschen.

»Das ist Rookeby, mein Pferd!« rief plötzlich der Irre, »ich kenne seinen Hufschlag. Aber dort, seht Ihr die Augen der Anaconda, wie sie funkeln und glühen und immer größer werden! Barmherzigkeit! schützt mich vor der Schlange!«

Er stürzte zu dem Kapitän und kauerte sich zitternd in seinen Schatten.

Über die Ebene von der Stadt her kam näher und näher ein wütender Galopp.

Anfangs klein, dann immer größer und größer werdend mit rasender Hast blitzte ein Licht aus dem fernen Dunkel und wurde zum hochgeschwungenen Flambeau.

Beleuchtet von dem gespenstigen Doppelschein der Fackel und des Mondscheins keuchte im rasenden Galopp ein Roß herbei, eine Gestalt warf sich vom Sattel, im Windhauch flogen die buntseidenen Gewänder – die Perlenschnüre des Haares, die Edelsteine, die goldenen Spangen und Tressen leuchteten und blitzten im Licht – aber heller, feuriger fast die suchenden, dunklen Augen!

»Sahib wo bist Du? Ewiggeliebter, wo bist Du?«

Delafosse hatte die Hand am Kolben des Pistols, aber die Gestalt, welche die Schatten der Gruppe am Stein erblickend jetzt herbeiflog, trug die Gewänder einer Frau. Ihre Schellen und Goldbleche klangen bei der heftigen Bewegung, er folgte unwillkürlich der Hand des Wahnwitzigen, die ihn zurückzog.

»Das ist die böse Fee, die uns verraten – den armen Eduard und meine süße Helene,« flüsterte der Irre – »die Schlange steht in ihrem Solde!«

»Sahib Sanders! Sahib Sanders, wo bist Du?«

Die zerschlagene, zermalmte, verstümmelte Gestalt des unglücklichen Offiziers krampfte in die Höhe bei dem Ton dieser Stimme, die blutigen Höhlen seiner Augen wandten sich gegen sie, die bei dem Anblick in gräßlichem Aufschrei die ihren bedeckte.

»Mann meiner Liebe,« rief das Weib mit schneidenden Tönen, »meine Thränen sollen Deine Wunden betauen, meine Küsse sie schließen und Dich dem Leben erhalten! Die Falsche, die uns trennte, sie kann es nicht mehr! Der Fluch ist über ihr, die Dein Herz von mir gewandt, und der Fluch soll über den kommen, der es wagte, Dein Blut zu vergießen!«

»Verflucht seist Du selbst, Anarkalli, blutige Mörderin und Genossin der Mörder!« stöhnte der zuckende Mund des Sterbenden. »Fluch – Fluch Dir – und – Fluch – –«

Er brach zusammen, ein Schauer rieselte über die blutige Gestalt, dann streckte sie sich regungslos auf dem steinernen Schmerzensbett. Delafosse sprang herbei – er fühlte nach dem Herzschlag – horchte nach dem Atem.

»Seine Leiden sind zu Ende. Gott der Herr nehme seinen Geist gnädig auf!«

»Tot? tot?« gellte der Schrei der Tänzerin. »Zu Yama gegangen, ohne der, die ihn liebte über alles, vergeben zu haben? Ich Unglückselige, daß ich ihn lassen konnte in den Klauen des Tigers!«

Sie riß die Flechten ihres schönen Haares auf, daß die schmückenden Perlen und Juwelen weit auf dem Boden verstreut wurden. Sie zerriß ihr seidenes Gewand, sie zerraufte das fliegende Haar und preßte die Nägel der Finger in das warme Fleisch ihres Busens.

»Hast Du gehört, wie er Dir fluchte! So fluchte Helene auch dem bösen Verführer, der sie in den giftigen Brodem der Schlange gelockt!« flüsterte der Irre. »Aber weine nicht! ein Frauenherz hat unendliche Liebe, und aller Haß schmilzt wie Schnee in ihm, der Geliebte braucht der Dürstenden nur das Blut aus seinen Adern zu trinken zu geben!«

Ihre Augen starrten ihn an, halb bewußtlos; dann sank sie am Stein nieder. Eine kurze Weile darauf hörte der Kapitän, der diesen Schmerz nicht zu stören wagte, leise, seltsame, dann immer lauter und lauter schwellende Töne: es war ein monotoner ergreifender Gesang, der aus ihrem Munde kam. Schon einmal hatte er die feierlichen Töne vernommen: dort in Jhansi am Scheiterhaufen des Rao – die Totenklage der Hindufrau um den gestorbenen Gatten! – – – – – – – – – – –


Die unglücklichen Gefangenen, Die im folgenden geschilderten Scenen sind nur durch einen Menschen überliefert worden, und zwar durch den Hävildar Nudschur Dschewarri, der nach der Schlacht von Cawnpur zu den Engländern entflohen, seine Aussagen den Behörden zu Protokoll gab. Männer, Frauen und Kinder, waren inzwischen unter Mißhandlungen aus den zurückgeführten Kähnen gerissen und nach dem Platz geschleppt worden, an dem der Nena stand. Die Mörderschar umgab ihn, die das blutige furchtbare Spiel an dem Körper des jungen Parlamentärs geübt.

Mehrere Feuer brannten auf dem Platz, der Schein von hundert Fackeln verbreitete mit dem Strahl des Mondes Tageshelle über die dichtgedrängte Menschenmasse.

Mit Säbelhieben und Lanzenstößen trieben die Sepoys die Unglücklichen herbei, die Männer ihrer Waffen beraubt, mit gebundenen Händen, mit allen Spuren des Kampfes, die Frauen und Kinder verzweifelnd und weinend. Der Nena musterte sie mit gierigem Auge, aber Haufe auf Haufe erschien, und der Mann, den er suchte, war nicht darunter. Die Adern an den Schläfen des Peischwa schwollen gleich blauen und roten Strängen und der fest zusammen gekniffene Mund verkündigte das drohende Unheil.

»Wo ist der Rais der Praua? Wo ist Baber Dutt, mein Bruder? Warum kommen sie nicht?« murrte der Fürst.

Endlich erscholl ein Ruf des Triumphes – die Praua hatte die letzten Gefangenen ans Ufer gesetzt, der Uskoke, die Tänzerin und Eduard O'Sullivan nahten mit ihnen.

Auf dem braunen Gesicht des Seeräubers aus dem jonischen Meere spiegelte sich finstere Entschlossenheit, so trat er vor den Nena, während, von der Bayadere sorgfältig bewacht, die Sepoys hinter ihm die Tochter und Nichte des Generals, Master Stacy und seine Gattin und die anderen Europäer, die auf der Dschumptih gefangen genommen wurden, herbeiführten.

»Wo ist Baber Dutt, mein Bruder?«

»Er ist verwundet durch einen Inglese und liegt am Bord der Praua.«

»Und der Bote, den ich Euch sandte, ist sein Auftrag vollführt?«

»Wenn Du den Subadar Mir-Aly meinst, Hoheit, der liegt noch halb ersäuft auf dem Deck. Ein tolles Weibsbild schleuderte ihn ins Wasser.«

Der Nena stampfte wild mit dem Fuß. »Wo ist der Mann, der sich den Residenten nannte?« schrie er mit furchtbarer Stimme.

»Rivers? Der Teufel hole ihn! Er ist auf einem Kahn entkommen, wenn ihn die Kartätschen nicht zerrissen, oder mein Steuermann eingeholt hat, der mit dem Babu auf seiner Spur ist, wie der Wolf auf der Fährte des Hirsches!«

Ein heiserer Schrei der Wut, der getäuschten Erwartung drang aus der Kehle des Nena. Sein Gesicht wurde fahl, die Augen blitzten wie wahnsinnig, als suchten sie ein Opfer der in ihm kochenden Wut.

In seiner Nähe, von den Sepoys dahin gestoßen, stand unglücklicherweise die arme Mistreß Stacy, eine junge hübsche Frau mit ihrem vierjährigen Knaben, der sich nach dem ersten Schrecken mit kindlicher Neugier von der Mutter losgemacht hatte und mit der Hand die von Juwelen funkelnde, goldene Säbelscheide des Nena berührte.

Das blutunterlaufene Auge des Peischwa fiel auf ihn, er hob die Faust, deren Muskeln sich wie Stahl zusammenspannten, und ließ sie auf das blonde Lockenhaupt des Kindes niedersinken.

Ein widrig knirschender Ton; das Blut spritzte aus dem gebrochenen Schädel, und mit einem einzigen Ächzen stürzte das Kind tot zu Boden.

Selbst die blutgierigen Sepoys wichen einen Augenblick zurück, erschrocken über die grausame That.

Mit einem herzzerreißenden Aufschrei warf sich die unglückliche Mutter über die Leiche ihres Kindes.

Obschon ihre Arme gefesselt waren, stürzten zwei der Gefangenen aus dem Kreise auf den Peischwa los, Master Stacy und Major Conelly, dessen rechter Arm von einem Schuß gelähmt war, und der aus drei bei dem verzweifelten Gefecht erhaltenen Wunden blutete.

Den unglücklichen Vater schlug ein Sepoy zu Boden.

»Schändlicher Wüterich!« zürnte der Offizier, »mit diesen Händen, wenn sie frei wären, wollte ich die lügnerische Zunge Dir aus dem Halse reißen, die ehrlichem Kampf gegenüber heuchlerische Eide geschworen! Möge die Verachtung der ganzen Welt Dich strafen für Deine Treulosigkeit!«

Der Peischwa, bleich, kalt, zog ein Pistol aus dem Gürtel und spannte mechanisch, ohne daß sein starrer Blick nur vibrierte, den Hahn.

»Morde auch mich!« schrie der Major, »es ist ein Ehrentod für einen braven Soldaten, von der Hand des Verrats zu fallen!«

Ein Blitz, ein Knall – der Major stürzte mit zerschmettertem Schädel nieder; einige Augenblicke noch zuckte und krümmte sich die kräftige Gestalt in ihrem Blut am Boden; dann – eine starre Leiche.

»Treibt die Gefangenen dort zusammen! Trennt die Weiber und Kinder von ihnen!«

Die Stimme des Befehls klang rauh, ruhig, kalt.

Es waren entsetzliche, furchtbare Scenen, als die Sepoys die Frauen von der Brust ihrer Männer, die Schwester vom Bruder, das weinende Kind, die blühende Tochter vom Herzen des Vaters rissen.

Der Jammer der schreienden, weinenden Frauen und Kinder wurde von dem Hohnlachen der Mörder, dem fanatischen Triumphgeheul des Pöbels erstickt.

Der Nena winkte Anarkalli, der Bayadere, die mit dem Lächeln teuflischer Befriedigung neben ihm stand.

»Suche die weißen Mem-Sahibs aus, die für den Harem des Peischwa taugen,« befahl der Nena, »diese Nacht soll eine Nacht der Lust und des Triumphes sein!« Der Hindufürst schritt an der Reihe der weinenden Frauen entlang, denen im Angesicht ihrer knirschenden, machtlosen Väter, Brüder und Gatten ein so furchtbares Schicksal verkündet wurde.

Drei der Frauen bezeichnete der wählerische Finger der Bayadere als passend für ihren Herrn.

Es waren Miß Soldie, die Tochter eines Offiziers und die junge Frau eines Beamten – alle drei gefeierte Schönheiten.

Da die Unterredung zwischen dem Nena und der Tänzerin im Hindostani geführt worden, so ahnten die armen Wesen noch nicht das Geschick, das ihrer harrte und das bitterer war, als selbst der Tod, den sie erwarteten.

Plötzlich blieb der Peischwa stehen, und sein Finger wies auf Editha Highson, die selbst in dieser schrecklichen Lage den eigentümlichen Reiz nicht verleugnete, der über ihre ganze Erscheinung ausgegossen war.

»Diese Faringa ist schön! Sie soll das Lager diese Nacht teilen, das ihre Brüder einsam gemacht!«

Die Augen der Bayadere funkelten boshaft. »Der Peischwa möge eine Bessere für die Freuden seines Lagers wählen, dies Weib verdient die Ehre nicht!«

»Du bist eifersüchtig! Ich habe es gesagt! es möge geschehen!«

»Der Peischwa hat ein Versprechen zu erfüllen!«

»Welches? rede!«

»Der Stern der Hindostani hat der Granatblüte zwei der Gefangenen geschenkt.«

»Das ist wahr – wähle sie!«

»Dies Faringi-Weib ist die Person, die ich begehre.«

»Ich werde Dir Schmuck und tausend Rupien geben, dafür, daß Du sie mir diese Nacht überlässest!«

»Der Peischwa von Bithoor,« sagte die Bayadere, »trägt die Rache im Herzen, aber er ist nicht der einzige, der die Wunde zu sühnen hat, welche die Faringi ihm geschlagen. Das Bett des Peischwa wäre eine Gnade für dies Geschöpf!«

»Gut! Sie ist die Deine! Was willst Du mit ihr beginnen?«

»Du sollst es sehen!« Sie trat zu dem dichten Kreis der Sepoys, der die Gruppe umgab. Ihr dunkles Auge flog suchend umher. Dann zuckte eine boshafte Freude über ihr schönes Gesicht, sie hatte gefunden, was sie wollte und winkte einem Nähghuh (Korporal) der Sowars, näher zu treten.

Es war ein Moor von riesiger Gestalt und Körperkraft, aber scheußlichem, wildem Aussehen. Der mit dicken Lippen besetzte breite Mund spaltete das Antlitz in zwei Hälften, die nur durch eine Doppelreihe spitzgefeilter Zähne, glänzend weiß wie Elfenbein, miteinander in Verbindung schienen. Schmal geschlitzte Augen mit gelben feuchten Augäpfeln senkten sich in spitzen Winkeln unter einer kaum zwei Finger breiten Stirn zur breiten Wurzel der flachen Nase, schwere Kupferringe zerrten die Ohren bis fast auf die Schultern nieder – der Mann erschien in der That als ein Musterbild wilder Häßlichkeit und Kraft.

»Du hast ein Haus in Cawnpur?« frug die Bayadere.

»Du sagst es, schöne Tochter des Tempels,« grinste der Moor. »Deine Augen können es von hier aus erblicken.«

»Hast Du ein Weib?«

»Einen Dämon, alt und häßlich! Ich wünschte, sie wäre jung und schön, wie Du. Dazu eine Schwiegermutter, die noch schlimmer ist als die Frau – der Prophet hat die alten Weiber zum Schrecken den Gläubigen bestimmt.«

Die Bayadere löste eine der breiten goldenen Spangen von ihrem Arm und reichte sie dem Sowar. »Gieb diesen Schmuck Deinem Weibe, damit sie nicht eifersüchtig sei, wenn Du diese Faringa heute Dein Lager teilen lässest!«

»Mashallah! Diese Houri soll die meine sein?«

»Der Peischwa hat sie mir gegeben, und ich schenke sie Dir als Sklavin. Aber Du schwörst bei Deinem Propheten, daß sie noch in dieser Nacht die Stelle Deines Weibes vertreten wird!«

»Wallah! Wallah!« sagte der Sowar erfreut. »Wo sind meine Augen, daß sie das Glück sehen? Du bist selbst eine Houri, und Abdallah ist kein verstümmelter Mann!« Er faßte unter dem frechen Gelächter und den schändlichen Reden seiner Gefährten den Arm der jungen Miß und schleppte sie mit sich hinweg.

Vergebens klammerte sich das unglückliche Mädchen an ihre Muhme, vergebens streckte sie hilfeflehend die Arme nach ihren Unglücksgefährten aus und warf sich dem Nena zu Füßen, um einen schnellen Tod flehend; denn eine entsetzliche Furcht vor einem unbekannten Etwas, vor einem schrecklichen Schicksal, dem der Tod vorzuziehen sei, bemächtigte sich ihrer Seele. Der Peischwa schritt achtlos weiter an der Reihe der zitternden und weinenden Frauen.

Nur ihre Feindin, das Weib, das ihr Verderben geschworen, blieb zurück, mit dämonischem Blick sich an der Angst ihrer Nebenbuhlerin zu weiden.

Sie preßte die kleinen zarten Hände auf den wogenden Busen.

»Morgen,« flüsterte sie, »morgen wird sie nicht besser sein als ich! Wenn Surya sich erhebt über die Erdscheibe, will ich ihn zu ihr führen und sie ihm zeigen als die Odaliske des verachtetsten Kriegers. Das wird meine Rache sein, und er wird Anarkalli gehören aufs neue!«

Das Auge Edithas hatte die Tänzerin erkannt, das drohende Gespenst, das sich im Garten zu Bithoor zwischen ihr und dem Verlobten erhoben. Ihr Stolz kämpfte einige Augenblicke, dann warf sie sich hilfeflehend zu ihren Füßen; denn die frechen Hände des Sowars und seines Weibes, das bereits habgierig den goldenen Reif ihrem Manne abgenommen und dafür zu allem bereit war, versuchten aufs neue, sie fortzureißen.

»Du bist ein Weib, Du verstehst meine Sprache!« schluchzte die Unglückliche, »schon einmal hast Du mich befreit aus der finsteren Höhle der Mörder – Du bist der einzige Schutz, den ich anrufen kann, wo alle Freunde fern sind! Bei der Mutter, die Dich geboren, bei allem, was Dir heilig und teuer, Mädchen, rette eine Unglückliche vor einem schlimmeren Schicksal, als dem Du sie einst entrissen!«

Die Augen der Bayadere flammten. »Wahnsinnige! Du selbst mahnst mich daran, daß Du mir seine Liebe stahlst, während ich Dir wohlthat! Die Mutter, die Anarkalli geboren, hat das Erbarmen aus ihrem Herzen gerissen. Vor Deinem weißen Angesicht verleugnete er mich als eine Erniedrigte, Entehrte, sein Auge soll sehen, daß dieser weiße Leib dem Niedrigsten zu seinen Lüsten diente! Fort mit ihr, Abdallah!«

»Entsetzliche, so will ich sterben mit den Meinen!«

Sie riß sich los und flog auf den Kreis der gefangenen Männer zu, nach welchem mit lautem Geschrei die englischen Frauen ihr folgten.

Der Nena hatte seinen Gang geendet und war an seinen früheren Platz zurückgekehrt.

»Es ist Zeit, mit den Kaffirs ein Ende zu machen,« sagte er, »mögen die Gillis Pultun Vom 1. bengalischen Nativ-Regiment. vortreten und ihre Flinten bereit halten!«

Ein Murren ging durch die Reihen der braunen Männer, sie waren noch nicht gewöhnt an diese Massacre im großen.

»Sahib Wheeler hat unsers Pultuns Namen groß gemacht, und sein Sohn war unser Quartiermeister,« sagten sie. »wir wollen die Sahibs nicht erschießen; wirf sie ins Gefängnis!«

Aber sofort schrieen die Nadire Pulton: »Was ist das für eine Rede? sie ins Gefängnis zu setzen! Wir erschlagen die Männer, wenn der Peischwa es befiehlt!«

»Mögen die Feiglinge von uns gehen,« rief dieser, »die das weiße Blut der Tyrannen nicht zu vergießen wagen! Wo sind die Tapferen, die mir beistehen werden? Nirgut Singh, führe Deine Kompagnie hierher!«

Der alte Subadar, derselbe, der bei jenem Nachtessen im Bungalow, bei welchem die Tigerjagd beschlossen wurde, Oberstleutnant Stuart auf die durch Halliday hervorgerufene Unzufriedenheit aufmerksam gemacht hatte, legte grimmig die Hand an die Stirn zum Zeichen des Gehorsams.

»Die erste und zweite Kompagnie des Nadire Pultun Es war das 31. Nativ-Regiment, das den schrecklichen Befehl ausführte. mögen antreten!« Ein kurzes Hornsignal, die Sepoys sammelten sich wie auf dem Paradeplatz und traten in ihre Reihen. Der Subadar und die Offiziere stellten sie in einen Halbkreis, den Gefangenen gegenüber.

Der Subadar, das Auge auf den Nena geheftet, der sein Pferd bestiegen hatte, um besser den Platz dieser grausamen Schlächterei zu übersehen, gab mit lauter Stimme das, wie bitterer Hohn klingende, englische Kommando:

»Achtung!«

Die Reihen der Sepoys richteten sich; in den Gruppen der unglücklichen Frauen, die durch das Kommando aufmerksam gemacht wurden, zeigte sich eine Bewegung.

»Geladen! – Fertig zum Feuern!«

Ein Aufschrei des Entsetzens erhob sich unter den Engländerinnen, deren Zahl mit den Kindern 152 betrug.

In diesem Augenblick war es, wo Editha Highson sich von dem Sowar und seinem Weibe losriß und auf die Bedrohten zueilte. Mit dem Geschrei: »Wir wollen mit unseren Männern sterben!« warfen sich die Frauen zwischen die Kompagnieen der Sepoys und die Gefangenen.

Es war eine furchtbare herzzereißende Scene. Die Frauen umklammerten ihre gebundenen Männer, ihre Väter und Brüder und erklärten unter Jammergeschrei, man möge sie mit ihnen töten, sie wollten sie im Tode nicht verlassen! Vergebens war das Zureden, der Befehl der dem Tode Geweihten, die Unglücklichen umschlangen ihren Leib, wanden fest die Arme um sie und flehten sie mit Thränen an, sie mit ihnen zugleich sterben zu lassen.

Scenen des Jammers, Scenen der tiefsten Erregung, der aufopferndsten Hingebung, des Todesschmerzes, der Trennung! Die Männer beschworen ihre Frauen und Töchter, sie zu verlassen und das eigene Leben zu retten, die Frauen und Mädchen bestanden darauf, mit denen zu sterben, denen ihre Liebe gehörte!

Hundert und drei Engländer, tapfere Männer, die seit zweiundzwanzig Tagen hundertmal dem Tode mutig ins Auge gesehen, erwarteten ihn jetzt mit zitterndem Herzen, mit bebender Lippe; denn was ihnen das Teuerste auf Erden war, mußten sie zurücklassen in den Händen abscheulicher Mörder.

»Reißt die Weiber von ihnen! schleppt sie zur Seite!« donnerte der Befehl des Nena.

Die Gillis-Pultun, die Männer, die sich geweigert hatten, ihre ehemaligen Vorgesetzten und Kameraden zu erschießen, stürzten sich ohne Bedenken auf diese hilflosen, jammernden Frauen und zerrten sie mit Gewalt hinweg.

»Zeige, Arabella, daß Du das Kind eines Soldaten bist,« sagte Oberst Williams, indem er sich vergebens aus den umschlingenden Armen seiner Tochter los zu machen strebte, »gönne jenen Schurken nicht die Freude, daß der Ruhm von zwanzig Schlachten verdunkelt wird von den Thränen eines alten Mannes!«

Mistreß Stacy ließ sich starr, ohne Widerrede, hinwegführen; sie trug die Leiche ihres armen Kindes von dem bewußtlosen Körper ihres zu Boden geschlagenen Mannes mit sich fort.

Mehrere Frauen wurden ohnmächtig fortgeschleift, viele konnten nur mit der äußersten Gewalt von ihren Lieben gerissen werden.

»Toby, mein Junge,« sagte Doktor Brice zu dem langen Fähnrich, dessen rechter Arm zerschossen an seinem hageren Leibe herunterhing, weshalb die Sepoys nicht für nötig gehalten hatten, ihn zu binden, »Sie sind der einzige, der einen Arm frei hat. Ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich Ihnen den anderen dafür kurieren werde, aber ich hoffe, Sie werden einem alten Freunde eine Bitte nicht abschlagen.«

»Sprechen Sie, Doktor, was soll ich thun, um Sie zu retten?«

»Bah! davon ist keine Rede! Aber diese beiden weißen Arme, die wie Eisenspangen meinen Arm umschlingen, helfen Sie mir lösen, denn meine Hände sind gebunden. Zum Henker, daß so viel Kraft in Weibersehnen, und so viel Liebe in einem Weiberherzen stecken!«

Eine Thräne rollte aus dem spöttischen, zwinkernden Auge des lustigen Doktors, den die junge hübsche Frau, mit der er seit kaum vier Monaten verheiratet war, fest umschlungen hielt. Sie war eine ihm verwandte Waise, die er aus England hatte kommen lassen.

Vergeblich bemühte sich die linke Hand des Fähnrichs: selbst die rohen Fäuste zweier Sepoys, die sie fortzuschleppen kamen, wandten nutzlos alle Kräfte an. Die Arme der jungen Frau hielten im Starrkrampf wie stählerne Klammern, und schon wollten die Unmenschen mit ihren Säbeln die zarten Finger zerschneiden, als der Arzt sie mit einer Bewegung von sich stieß.

»Geht zum Teufel, Schurken,« rief er, »und laßt die Frau, wo sie ist. Sie mag an diesem Platz ebenso gut sterben, wie an einem anderen und wird vielleicht weniger leiden. Ich kenne Dich, Bursche, ich heilte Dich im vorigen Jahre vom Sumpffieber, das das Mark Deiner Knochen verzehrte – sei dankbar und laß diese Frau, wo sie ist!«

Der Sepoy zog in der That seinen Kameraden mit sich fort.

»Laßt die Kaffirs sich niedersetzen,« befahl der Nena, »ihre Zeit ist gekommen!«

Viele, fast die Hälfte der Engländer, waren mehr oder weniger schwer verwundet. Sie lagen am Boden oder richteten sich auf ihre Knie empor, andere zwangen die Sepoys, sich niederzusetzen; viele verweigerten es und verlangten stehend den Tod zu empfangen.

»Kameraden,« rief der tapfere Kapitän Ashe, »laßt uns diesen Mördern zeigen, daß britische Soldaten als Männer zu sterben wissen. Ein Hurra für die Königin! ein Hurra für Alt-England!«

Und aus dem Munde der hundert Schlachtopfer der Rache und des Hasses donnerte ein dreimaliges, begeistertes Hurra zum Nachthimmel empor.

Der letzte Ton war noch nicht verklungen, als man die Stimme des Subadars hörte.

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an!«

»Halt! Haltet ein! Wollt Ihr Menschen, Christen morden, ohne ihnen die Zeit gegönnt zu haben, zu ihrem Erlöser zu beten? Allah, Brahma oder Gott – wir glauben alle an einen – so gönne denn, wenn Du für Deine eigene Seele hoffst, Maharadschah von Bithoor, denen, die Du ermorden willst, ein Gebet zu ihrem Gott!« Die ernste, tiefe Stimme des würdigen Geistlichen, der General Wheeler in seiner Todesstunde getröstet, und der jetzt in der Mitte der Gefangenen stand, schien den Todeswink auf den Lippen des Peischwa zu fesseln.

Er zog eine Uhr aus dem Gürtel. »Dein Verlangen ist gerecht, Padre,« sagte er, »zehn Minuten sind Dir und den Deinen bewilligt.«

Kaplan Graham hob die Augen zum Himmel. »Erweise mir die Gnade, Fürst,« bat er, »meine Hände von den Banden befreien zu lassen, damit ich das heilige Buch der Christen aus meiner Tasche nehmen kann.«

Der Nena winkte, die Stricke, welche die Hände des Kaplans gefesselt, wurden zerschnitten. Der würdige Geistliche zog ein Exemplar der heiligen Schrift aus seinem Rock und schlug aufs Geratewohl auf.

Finster, den Tod erwartend, standen die Männer um ihn her, der Nena hielt die Uhr in der Hand, das Auge des Subadars war auf seinen finsteren Gebieter gerichtet – stiller und stiller wurde es in dem Kreise, wie in ehrfurchtsvoller Scheu wich die Menge zurück.

Die Stimme des Kaplans erhob sich – es war der hundert und zweite und dritte Psalm, den seine zitternde Hand aufgeschlagen.

 

»Herr, höre mein Gebet und laß mein Schreien zu dir kommen. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir in der Not; neige deine Ohren zu mir, wenn ich dich rufe, so erhöre mich bald!

Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch,
und meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand!«

 

Aus den Gruppen der Frauen, die von ihren Hütern festgehalten wurden, tönte lautes Schluchzen herüber.

Und immer lauter und kräftiger tönte die Stimme des Geistlichen:

 

»Denn ich esse Asche wie Brod und mische meinen Trank mit Weinen vor deinem Dräuen und Zorn.
Meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras.
Du aber, Herr, bleibest ewiglich und dein Gedächtnis für und für!«

 

Aus der Schar der Opfer sprang ein junger Offizier empor, das Haar gesträubt, die Augen rollend. Der Unglückliche, Leutnant Brown, war wahnsinnig geworden in den entsetzlichen Schrecken dieses Todes. Er eilte mit wilden Sprüngen, Schaum vor dem Munde, mit den Armen die Luft durchfechtend, auf die Reihen der Sepoys zu, die mit jener eigentümlichen Scheu und Achtung, die alle unkultivierten Völkerschaften den Geistesgestörten zollen, ihm Raum machten und ihn hindurchließen. Lieutenant Brown wurde von seinen Landsleuten später in Cawnpur gefunden und wahnsinnig nach England gebracht.

Wieder zwischen dem Schluchzen der Frauen hörte man die Worte des Geistlichen:

 

»Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen,
und verschmähet ihr Gebet nicht.

Daß er das Seufzen der Gefangenen höre, und losmache
die Kinder des Todes.«

 

Mann um Mann, wie sie da standen um den Diener des Herrn, beugten das Haupt unter seinen Worten, und sanken einer nach dem anderen in die Knie.

Der Nena winkte, man hörte zwischen den vollen Tönen des Geistlichen den kurzen Befehl:

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an!«

 

»Du hast die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk.

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blühet wie eine Blume auf dem Felde.

Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.

Die Gnade aber des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten – – –«

 

Die Stimme des Geistlichen erlosch, er sank in die Knie und breitete seine Hände zum Himmel empor.

»Gott verdamm' Euch, Schurken! schießt! schießt! damit dieses Leiden ein Ende hat!« schrie Kapitän Forbes, der am Arm und Bein schwer verwundet am Boden lag.

»Herr, in Deine Hände befehle ich meine und dieser Brüder Seele! – Herr, vergieb unsere Sünden und nimm – –«

»Feuer!«

Ein donnernder Knall, Rauchwolken umher – einzelne Schreie des Schmerzes, dazwischen wilde Verwünschungen und Todesgestöhn.

Als der Rauch emporwirbelte, sah man die tapferen Verteidiger von Cawnpur nach allen Seiten mit ihren blutenden Leibern den Boden decken, viele der kräftigeren im Todeskampf sich bäumend, oder verwundet auf einen Arm gestützt, drohend den anderen den Mördern entgegengestreckt – ein Anblick des Schreckens und Entsetzens.

Eine Kugel hatte den Arzt und seine Gattin durchbohrt, auf dem so heiter spottenden, auf dem so liebevollen Antlitz lag bereits der Friede des Todes.

Nur der lange Fähnrich stand aufrecht neben der Gruppe, ein Blutstrom rann aus dem semmelblonden Haar über das bleiche hagere Gesicht. Er schwang begeistert in der Linken sein blutiges Tuch: »Hurra für Alt-England!« dann stürzte auch er.

Auf einen Wink des Peischwa warfen sich die Sepoys auf dieses Feld des Mordes, ihre Säbel und Yatagans begannen ein grausiges Geschäft, das Leben und Leiden zu töten, wo es noch zuckte und atmete.

Das Gebrüll der entfesselten Mordgier übertönte das letzte Ächzen der Sterbenden.

Zehn Minuten nachher war alles beendet, man hörte nur noch das Wimmern und das Geschrei der Frauen, die Zeugen dieses schrecklichen Schauspiels gewesen waren, und die jetzt von ihren Wächtern fortgeschleppt wurden.

Der Nena ritt bis dicht an die Gruppen der Toten. Er löste die Turbanbinde vom Haupt, beugte sich nieder vom Sattel und tauchte sie in die breiten Blutlachen, die den Boden deckten. Dann wandte er sein Roß und ritt langsam davon. Keiner wagte ihm zu folgen! – – –

Anarkalli, die Bayadere, begleitete die Schar, welche die unglücklichen Frauen und Kinder nach dem sogenannten gelben Hause, dem ehemaligen Lazarett, schleppte. Dort war ja auch das Gefängnis des Mannes, dessen Körper und Seele jetzt ihr Eigentum war, da der Nena ihr sein Leben gegeben, und ihr Haß das Weib, das er ihr vorgezogen, in den tiefsten Staub erniedrigte.

Die Schändung und Entehrung dieser Frau wollte sie ihm ins Angesicht schleudern, das sollte ihre Rache sein für seinen Undank.

Während die Gefangenen in den ehemaligen Krankensälen eingesperrt wurden, eilte sie zu dem Gemach, das bisher zum Gefängnis des jungen Offiziers gedient und das sie täglich betreten hatte, um sich mit eifersüchtigem Hohn an seinem Schmerz zu weiden.

Die Schildwache vor dem Thor fehlte zu ihrem Erstaunen; sie zog die Riegel zurück und öffnete die Thür – das Gemach war leer.

Ein wilder Schrecken durchzuckte ihr leidenschaftliches Herz. Dann erinnerte sie sich, daß der Nena den Offizier während des ganzen Tages nach dessen Rückkehr aus der britischen Verschanzung an seiner Seite behalten hatte, er mußte in seinem Zelte sein.

Dennoch überkam es sie wie eine unheimliche Ahnung, von der sie sich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte – sie flog mehr, als sie ging, nach dem Zelt des Nena.

An dem Eingang harrten Sepoys mit den drei unglücklichen Opfern, die sie selbst für das Lager des Peischwa von Bithoor gewählt.

Ihre erste Frage war nach dem Nena, er war noch nicht zurück. Hunderte hatten ihn die Stadt verlassen und den Weg nach Bithoor einschlagen sehen, aber keiner hatte gewagt, ihm zu folgen.

Die Bayadere stürzte auf die Offiziere des Nena los, die in Gruppen des Gebieters harrten, triumphierend von der eben begangenen greulichen Heldenthat sich unterhaltend.

»Wo ist der Faringi-Jemedar, den der Peischwa gefangen hielt und heute mit der Botschaft zu seinen Brüdern sandte?«

»Du meinst den Kaffir, der am Abend gefangen wurde, als das Licht des Weltalls den Faringi-Spion durch die Bäume zerreißen ließ?«

»Du sagst es! wo ist er? ich muß ihn sprechen!«

»Dann suche ihn im Paradiese,« lachte der Moslem. »Der Kaffir hat den Lohn seines Verrats auf der Stelle empfangen, wo er den Peischwa belogen, im Angesicht der Hunde, seiner Brüder. Der Peischwa hat seinen lebendigen Leichnam zum Futter der Hyänen und des Schakals zurückgelassen!«

»Schurke, Du lügst!«

»Wärst Du nicht schöner als die mandeläugigen Houris, Du solltest das Wort mit der Spitze meines Säbels verschlucken! Wenn Du mir nicht glauben willst, so gehe hin und überzeuge Dich selbst!«

»Wo? wo? wenn Du ein Mann bist, so antworte mir!« Ihr Auge glühte, die Bronzefarbe ihres Gesichts begann sich in die matte Farbe der Asche zu verwandeln.

Der Subadar beschrieb ihr die Stelle; ehe er noch geendet, hatte die Bayadere einem der Seyces Pferdediener. die Zügel des Rosses entrissen, das er in der Nähe hielt, und sich in den Sattel geschwungen.

Das spottende Hohngelächter der Männer drang hinter ihr drein, als sie in rasendem Galopp davon jagte, über den Platz hinweg, auf dem noch die blutigen Leichen der Gemordeten lagen.

Im Fluge riß ihre Hand von dem Holzstoß, den die Sepoys an der Mordstätte angezündet, die brennende Fackel und schwang sie durch die Luft, daß weit hinter der gespenstigen Reiterin die Funken stoben. – – – –


»Geh voran, Weib, und bereite das hochzeitliche Lager! Der Prophet hat mein Haus gesegnet mit dem Befehl der Houri. Mich verlangt, nach ihrem Willen das Faringi-Weib zu umarmen!«

Die habsüchtige Megäre, deren Eifersucht das geschenkte und versprochene Gold gänzlich beseitigt, eilte davon. Der Mohr faßte mit dem Grinsen vorempfundener bestialischer Lust den Arm Editha Highsons und befahl ihr zu folgen.

Willenlos, das starre Auge, so lange sie es vermochte, nach der schrecklichen Stelle gerichtet, wo die Leichen ihrer Landsleute übereinander her lagen, folgte sie dem Sowar, der von dem jubelnden, höhnenden und in Glückwünschen sich ergehenden Haufen seiner Gefährten begleitet wurde.

Thräne um Thräne rann über dies bleiche, von dem Elend der Belagerung hagere, schöne Gesicht – die Züge dieses Gesichts aber blieben starr und eisig, die Bewegungen ihres Körpers mechanisch, so furchtbar hatte das blutige Schauspiel, dem man sie beizuwohnen gezwungen, auf ihre Nerven gewirkt.

Erst als sie die Thür des Hauses erreichte, vor der die Familie des Sowars, bestehend aus seinem Weibe, seiner Schwiegermutter und einem Knaben, sie erwartete, schien ihr das Bewußtsein ihrer Lage zurückzukehren. Sie warf einen Blick der Verzweiflung, der Angst, des Wahnsinns um sich, streckte die Arme flehend in die Höhe, indem sie in die Knie sank und rief:

»Hermann, mein Freund! mein Geliebter! rette Editha!«

Aber nur wildes Hohngelächter antwortete dem flehenden Ruf der Verzweiflung, der rote Schein der Fackeln warf sein Licht auf eine Versammlung von Dämonen, auf boshaft funkelnde Augen, vom Fanatismus und Blutgier flammende Mienen.

Und das ernste, milde Antlitz des Freundes zeigte sich nicht unter ihnen.

Abdallah, der Mohr, zog sie gewaltsam empor und hob die Sträubende auf seinen kräftigen Arm.

»Vater im Himmel, sei barmherzig und gieb mir den Tod!« murmelte das Mädchen, indem sie ihr bleiches Haupt, erschöpft von dem vergeblichen Widerstand, auf die Schulter des Schwarzen niedersinken ließ. Aber kein rettender, rächender Blitz zuckte vom Himmel; die furchtbare Tragödie der triumphierenden Rache eines wilden leidenschaftlichen Volkes nahm ihren Fortgang. Der schwarze Krieger trug unter dem Jubel seiner Kameraden das weiße Mädchen, dessen Blut geschändet werden sollte, durch den Verachtetsten der dunklen Rasse, in sein Haus, dessen Thür die Frauen schlossen. Draußen aber faßte die brüllende, jubilierende Menge Stand; Trommeln, Pfeifen und Becken wurden herbeigeschafft, und unter dem höllischen Lärm dieser Instrumente begann die Meng üppige Tänze und Gesänge, wie sie bei den Hochzeiten der niederen Kasten Sitte waren.

Das Haus bestand aus einem kleinen Vorraum und einem einzigen größern Gemach, in dem die ganze Familie zusammen hauste, das Lager des Sowars und seines Weibes im Winkel nur durch eine Matte von dem anderen Raum geschieden. Die alte Hexe hatte einen großen Krug gegorenen Palmensaftes herbeigeschafft, mit dem sich die beiden Weiber und der Knabe bereits zu berauschen begonnen. Eine Lampe erhellte die schmutzige Höhle, deren ganzes Mobiliar in einigen Decken und Matten, einem Kessel und einigen Krügen nebst den Waffen des Sowars bestand.

Dieser ergriff, als er seine Gefangene in der Mitte des Gemaches niedergelassen, zunächst den Tottykrug und löschte mit langen Zügen seinen Durst. Dann reichte er ihn dem Mädchen und lachte spöttisch auf, als sie mit schaudernder Bewegung das Getränk zurückwies.

»Bakalum!« sagte er, mit geilem Auge über die Gestalt der Jungfrau streifend, »thu', wie es Dir gefällt! bei meiner Seele, ich hoffe, Du wirst Stärkung brauchen!«

»Haif! Haif!« Schande! Schande! schrien die Weiber, indem sie über die Ärmste herfielen. »Seht, was diese Faringa für Seide und Putz trägt, während die ehrlichen Frauen eines wahren Gläubigen das Schlechteste haben. Was braucht Abdallah, der Sowar, ihren Staat? es ist genug, wenn er ihren Leib hat!«

Damit rissen sie dem bebenden Mädchen die Ohrringe aus, die Kette vom Hals, die Ringe von den Fingern, die Kleider vom Leib, selbst die Schuhe von den Füßen. Die Unglückliche ließ widerstandslos alles mit sich geschehen, nur machtlos sich verteidigend, als die Megären sie selbst der Unterkleider schamlos berauben wollten, bis der Mohr sie mit einigen Fußtritten von dem Opfer hinwegtrieb, das ihm allein gehörte.

Die durch die schönen, reinen Formen des fast ganz entblößten Oberkörpers gereizte, durch das vergossene Blut und das berauschende Getränk entflammte Gier des Mohren ließ seine gelben, mit Blutadern durchzogenen Augäpfel in wildem Feuer glänzen.

»Ai dschänum!« sagte er, »es ist Zeit, daß wir unser Lager suchen. Der Prophet giebt die Houris den Gläubigen zu ihrem Vergnügen. Löscht die Lampe, ihr Satanskinder, und begebt Euch in Euren Winkel. Und Du, weiße Taube der Eisgebirge, komm' auf das Bett unserer Freude!«

Der rohe Griff des lüsternen Mohren an den entblößten Busen, mit dem er sie fortziehen wollte hinter die Bastmatten, machte der Unglücklichen das Schicksal völlig klar, zu dem sie bestimmt war und schien all ihre erstarrte Lebensthätigkeit auf einmal zu erwecken. Mit verzweifeltem Geschrei riß sie sich los von dem Mohren, warf sich auf die Knie und flehte in herzzerreißenden Beschwörungen, sie zu schonen oder lieber zu töten, als zu entehren.

Aber nur das Toben des Mannes, das Hohngelächter der Weiber antworteten ihr. »Der Vater und die Mutter dieser Hündin sind geschändet,« riefen sie, »will sie Besseres verlangen? Mach' ein Ende mit ihr, Abdallah, wenn wir nicht glauben sollen, daß Deine Mannheit bosch, nichts ist!«

Und der Mohr, die Augen von Zorn und wollüstiger Gier unterlaufen, umfaßte Editha mit gewaltigem Arm, schleppte sie hinter die Matte, und der Kämpfenden, Ringenden riß seine rohe Faust die letzten Hüllen vom Leibe, bis der jungfräuliche, reizende Körper schändlich den gierigen Blicken, den frechen Betastungen preisgegeben war.

»Hermann! wo bist Du? – Hermann Walding! rette Editha – zum letztenmal!«

Der matte Ruf verklang wie im Todesgestöhn; draußen tobte und lärmte die Meute der wilden Mörder in wilden Tänzen und wüstem Geheul, heiserer und heiserer wurde das Geschrei des kämpfenden Mädchens, matter und matter ihr Ringen, die gigantischen dunklen Arme des Mohren umschlangen unwiderstehlich den weißen zarten Leib und erstickten jede Kraft; statt des süßen wonnigen Seufzers beseligender Liebe ein letzter entsetzlicher Schrei – dann streckten sich willenlos diese zarten Glieder, die Zähne preßten sich fest wie im Krampf auf einander, die Augen schlossen sich, und eine wohlthätige Ohnmacht umfing ihre Sinne und bewahrte wenigstens die Reinheit der verzweifelnden Seele.

Die Lampe erlosch! Ein höllischer Jubel der Dämonen vor dem Hause des Verbrechens begrüßte dies Zeichen und verkündete den Abzug der Rotte.

Der Mond sandte seinen letzten Schein in den entweihten Raum – an den Wänden der Hütte schnarchten in unruhigen Träumen der Trunkenheit die Weiber und der Knabe; auf seinem Lager ruhte in apathischem Schlaf der Schänder; es mochte eine Stunde nach Mitternacht sein.

Der Zipfel der Matte hob sich, ein totenbleiches Gesicht, ein irres, gläsernes Auge lugte in das Gemach, dann glitt ein weißer Schatten durch den Mondstrahl hin, wo die Gewänder der Frauen lagen, und hüllte sich in den Feredschi der Frau des Sowars.

Es war nur ein Augenblick, im nächsten stahl sich der Schatten zurück zu der Binsenmatte und schlüpfte dahinter.

Was glänzte im silbernen Mondstrahl in der Hand dieses bleichen, nächtlichen Gespenstes? – Stahl war es, der Stahl der Dschambea, deren Stelle jetzt leer war an der Wand der Hütte?

Ein gurgelnder Laut, eine wilde, schlagende Bewegung – dann Todesstille; wiederum tauchte der Schatten empor, aber das Mondlicht traf nicht mehr auf blanken Stahl – von der Schneide tropfte es in dunklen Perlen.

Der Schatten beugte sich nieder an der Wand über die Matten der Schlafenden – dreimal! Dreimal tönte der gurgelnde röchelnde Laut, dunkle Glieder bäumten sich, schlugen um sich im Kampf.

Dann wurde es stiller und stiller. Wich der Mondstrahl von dem hellen festgestampften Sande des Gemaches oder – was zog so dunkel weiter und weiter darüber hin im langsamen Strom? – –

An der Thür rasselte es; der leichte Holzriegel, der den Eingang schloß, wurde gehoben, die frische Nachtlust strich durch die Öffnung in das stumme unheimliche Gemach, der weiße Schatten glitt aus dem Haus und eilte über den Platz, die Hand schleuderte einen schweren Gegenstand von sich – auf dem nächsten Stein klirrte es wie Eisen.

Dreißig Schritt vom Hause entfernt öffnete sich die niedere Rundmauer eines tiefen Brunnens, breit und groß. Das Wasser füllte, da die nasse Jahreszeit erst begonnen, und der Strom noch nicht hoch geschwollen war, kaum ein Drittel der Tiefe des Brunnens.

Der weiße, gespenstische Schatten, dessen helles, in Unordnung übergeworfenes Gewand im versinkenden Licht des Mondes mit dunklen, feuchten Flecken besäet schien, warf sich am Rande des Brunnens nieder auf die Knie und rang die Hände zum Nachthimmel empor.

»Barmherziger Gott, beschütze ihn und vergieb meine Schuld, wie ich vergebe allen Schuldigen! Nimm auf mein unsterblich reines Teil in Deine Gnade! –«

Ein Stöhnen, ein Fall; aus dem Brunnen herauf klang das Echo plätschernden Wassers – am Nachthimmel vom Norden der Stadt her flammte der Schein einer Feuersbrunst! – –


Die Totenklage der Bayadere erstarb im leisen Echo, das über die Ebene zog; ihre zarte, dunkle Gestalt erhob sich von der Leiche des Geliebten.

»Du bist einer der Faringi-Sahibs, die in jenen Wällen kämpften und mit den Booten flohen?« fragte sie in ernstem, strengem Ton in englischer Sprache den Kapitän.

»Du sprichst die Wahrheit. Ich bin Kapitän Delafosse,« antwortete der Offizier entschlossen.

»Jenen dort kenne ich. Doch ist es gleichgültig, wie er zu Dir gekommen ist. Warum bliebst Du bei diesem Manne, während so nahe bei Dir der Nena alle Deine Brüder töten ließ?«

»Wie? die Engländer, die man trotz des Vertrages gefangen genommen, wären ermordet?«

»Hörtest Du nicht die Flinten der Sepoys, glaubst Du, der Tiger werde die Beute seinen Krallen entgehen lassen? Ich war es, die es ihm riet, damit dieser mein bleibe. Sprich, Faringi, warum bliebst Du bei dem sterbenden Manne, statt zu fliehen?«

»Weil er ein Sterbender war, schändliches Weib, die Du Dich selbst Deiner Grausamkeit rühmst. Rufe Deine Henkersknechte, damit sie noch ein Opfer finden.«

»Du sollst leben, Faringi! Du und der Mann dort, dessen Geist die Götter zu sich genommen. Ich selbst will Euch die Mittel zur Flucht geben. Die Hand der Dunkeläugigen, der Unbarmherzigen liegt schwer auf Anarkalli. Dort steht mein Roß! Es ist kräftig genug, Euch beide auf seinem Rücken zu tragen, bis Ihr ein zweites gefunden. Du sollst es haben, wenn Du mir einen Dienst erweisest.«

»Welchen?«

»Hilf mir den Körper dieses Toten in jene Mauern tragen, die Ihr so tapfer verteidigt.«

»Was willst Du thun mit dem unempfindlichen Körper? Willst Du den Leichnam eines tapferen Mannes noch beschimpfen in Deinem unersättlichen Haß?«

Die Bayadere lächelte verächtlich. »Wisse, Faringi, daß Anarkalli diesen Toten geliebt hat! Thue, was ich Dir gesagt, denn weil Du sein Freund warst, sollst Du weit sein von dieser Stätte des Fluches, ehe der Morgen tagt!«

Unwillkürlich gehorchend rief Delafosse seinen Gefährten herbei, suchte ihn zu beruhigen und redete ihm zu, den Körper des jungen Offiziers ihm tragen zu helfen.

Die Bayadere wickelte den kostbaren Shawl von ihren Hüften, in das feste Gewebe hüllte der Kapitän den zerfetzten Leichnam, dann faßte er das Kopfende, der Irre, leise vor sich hin singend und murmelnd, die Füße, und so trugen sie die Last der Bayadere nach, die, das Pferd führend, mit der Fackel ihnen voran schritt nach dem mehr als halb zerstörten Fort zu.

Am Eingang desselben band die Bayadere das Pferd an, dann betraten sie den Hof.

Man sah hier in dem Schein der Fackel und dem Lichte des Mondes die Spuren der Verwüstung und Zerstörung durch die Belagerung, den eiligen Abzug und die Plünderung der Sepoys. Das Auge der Bayadere forschte umher, dann schritt sie auf die Mitte des Hofes zu, wo ein hoher Haufen von Balken und Faschinen lag, mit denen man während der Belagerung die Breschen des Walles ausgefüllt hatte.

Auf ihren Wink legten die beiden Männer den Leichnam des Offiziers auf das Holzwerk.

»Jetzt geht und möge Lakschmi, die Geberin des Glücks, mit Euch sein!«

Der Kapitän faßte die Hand seines armen Schutzbefohlenen und entfernte sich schweigend mit ihm.

Draußen band er das Pferd los und bestieg dasselbe; dann half er seinem Gefährten hinter dem Sattel Platz nehmen.

Einen Augenblick noch verweilte er am Eingang. Aus dem Innern des Forts erhoben sich, zuerst leise, dann lauter und lauter die nämlichen Töne, wie er sie vorhin an dem Platze der blutigen That gehört. Auf der Höhe der Faschinen zeichnete sich gegen den Nachthimmel die Gestalt der Bayadere ab, den formlosen Körper im Arm; ein fliegender Nebel, ein wallender Rauch schien die knieende Gestalt zu umziehen. Ein Gefühl der Angst, des Entsetzens ergriff den Offizier; er ließ dem Pferde die Zügel und sprengte davon, denn der Irre begann aufs neue unruhig zu werden bei diesem Gesang, der so eintönig traurig zum Himmel zu schwellen schien.

Als er eine Strecke von dem Fort entfernt das Pferd anhielt und zurückschaute, sah er aus der dunklen Umgebung der Erdwälle eine helle Feuersäule emporlodern.

Er erkannte die Deutung des Gesanges Anarkallis, der Bayadere! – – – – – – – – – – – – – –


Aus dem Jenseits.

Auf dem etwa 24-25 deutsche Meilen langen Wege von Gwalior nach Jhansi überschreitet man bei der Festung Calpi die Dschumna, vorher zwei ihrer Nebenflüsse.

Der Zug des Signor Maldigri oder Grimaldi, der infolge der Verhandlung im Zelte des Nena erst zu einer spätern Morgenstunde von Cawnpur aufgebrochen war, hatte der steigenden Hitze wegen bald Halt machen müssen und erst nachdem sich diese linderte, den Weg fortsetzen können. Der Abend war bereits angebrochen, als man sich Calpi näherte, und etwa eine Stunde von der Stadt entfernt, am Saume eines prächtigen Mangohains im Schein großer Feuer die Spitzen und Wimpel vieler weißer Zelte erblickte. Reiter stürmten ihnen entgegen und brachen bei der Nachricht, wer die Reisenden seien, in gellenden Jubel aus. Sie schleuderten den Dscherrid oder Wurfspeer in die Höhe und umringten zum Teil den Palankin, in dem der Wessir sich befand, zum Teil sprengten sie zurück zu den Zelten, wo die Nachricht, die sie brachten, große Bewegung hervorrief.

Ein Reitertrupp nahte von dort zum Empfang der kleinen Karawane, an der Spitze auf weißem Araberpferd eine hohe Frauengestalt in prächtigen kriegerischen Gewändern.

»Heil der edlen Rani von Jhansi! Heil Maldigri-Khan, ihrem tapferen Wessir!« schrieen die Reiter und Fackelträger.

Von der Haudah seines Elefanten, die er bestiegen, sah der deutsche Arzt ein merkwürdiges Schauspiel.

Bei dem Rufe der Reiter hatten die Palankinträger der kleinen Karawane sofort ihren eintönigen Gesang eingestellt und mit den begleitenden Laskaren und Gepäckträgern angehalten. Die Reiter bildeten einen Halbkreis um die beiden Palankine, die nebst dem Elefanten, Pferden und Maultieren zum Reisezüge des Kranken gehörten.

Beide Palankine standen dicht neben einander.

Noch ehe sich die Vorhänge derselben öffnen konnten, war die Rani vom Pferde gesprungen und trat hastig auf den Palankin zur Rechten zu.

»Sei willkommen, Sahib Maldigri,« sagte sie. »Lakschmi sei gepriesen, die den Pfeil der Dunkeläugigen von Dir abgewendet und Dich mir wiedergegeben hat, einen zweiten Krischna. Ich komme Dir entgegen auf dem Wege, und auch dies ist das Werk der Gebieterin des Glückes.«

Sie hatte die Hand ausgestreckt, aber ehe diese sie noch berührt, öffneten sich die Gardinen des Palankins und heraus trat – nicht die Gestalt des Kranken, Genesenden, sondern eine hohe Frau, in dunkle Gewänder gehüllt, und der zurückgeschlagene Schleier zeigte das edle und schöne, aber von Leiden und Anstrengungen hagere und bleiche Antlitz einer Faringa.

Die trotzige, glühende, in ihrer vollen Kraft und Schönheit stolze Hindufürstin fuhr zurück, wie von einer Schlange gestochen, bei dem Anblick dieses bleichen, leidenden Gesichts, das, obschon ihm bereits die Frische der Jugend fehlte, die schwermütige Schönheit einer duldenden, erhabenen Seele zeigte.

Der so ernste, ruhige, milde Blick der Engländerin und das fragende, drohende, kühne Auge der stolzen Hindufürstin kreuzten sich wie zwei Stahlklingen.

Diese zwei Frauen, beide erhaben an Geist und Körper, beide hochherziger Gefühle und Gedanken voll, hatten sich nie im Leben gesehen, die eine kaum von dem Dasein der andern gehört, und dennoch fuhr die Begegnung in beider Herzen wie ein schreiender Mißton, wie ein kaltes, schneidendes Eisen.

Die seltsame Scene dauerte einige Sekunden. Die Vorhänge des zweiten Palankins rauschten zurück, während sich die Lady ernst und höflich verneigte, und die bleiche, abgemagerte Gestalt des tapfern Condottiere erschien auf den Kissen des Innern, bemüht sich emporzurichten, um die Fürstin zu empfangen, deren Dienst er sich geweiht. Von beiden Seiten traten die Frauen auf ihn zu und erfaßten seine Hände ihn zu unterstützen.

Zugleich hatte der Arzt seine Haudah verlassen und war herangetreten.

»Gott und diesen Freunden sei es Dank,« sagte der Kranke, indem er versuchte, vor der Rani seine Kniee zu beugen, »daß ich das Angesicht der edlen Fürstin von Jhansi wieder schaue im Lichte der Sonne. Möge ihr Schwert der Schrecken ihrer Feinde, und ihr Herz die Quelle der Freude für alle sein, die sie lieben und verehren. Welchem glücklichen Zufall verdankt es der arme Kranke, seine Gebieterin schon hier begrüßen zu können?«

Die Rani beantwortete die Frage nicht. Ihr dunkles, forschendes Auge verließ sein bleiches Gesicht, auf dem noch alle Spuren der überstandenen schweren Krankheit lagen, um nach der Gestalt der Rivalin zurückzukehren.

»Wer ist dieses Weib?«

»Ein Engel an Güte und Milde, der nicht umsonst diesen Namen trägt, meine Freundin und Pflegerin, Lady Hunter, der Engel von Delhi! – Dies, meine edle Freundin,« fuhr er zu Lady Hunter in englischer Sprache fort, »ist die berühmte Rani von Jhansi, die stolzeste, aber auch die hochherzigste der Frauen, deren Wert nur von Adelaide Seymour übertroffen wird.«

Die Gattin des Dekans verneigte sich und bot mit edlem Anstand der Hindu die Hand. »Wenn uns auch Glaube und Vaterland trennt, Hoheit,« sagte sie in gebrochenem Hindostani, »Die Sorge um den Freund wird eine gemeinsame sein, und ich habe genug von Ihnen gehört, um Ihren Namen hoch zu achten!«

Die Rani trat einen Schritt zurück, ihr Auge blieb durchbohrend und stolz. »Sei gegrüßt,« sagte sie kalt, »aber ich kann die Hand einer Faringa nicht in Freundschaft berühren. Doch soll niemand ein Haar Deines Hauptes krümmen, so lange Du unter dem Schutz Xarias, der Rani von Jhansi, bist.«

Lady Adelaide hatte zwar nur wenige Worte verstanden, aber deren Inhalt zur Genüge aus der Haltung ihrer stolzen und leidenschaftlichen Gegnerin erkannt. Sie begnügte sich mit einer ruhigen Verbeugung. Der Kranke dagegen befand sich in offenbarer Verlegenheit zwischen diesen Frauen und beeilte sich, die eingetretene Stille durch die Vorstellung des Doktors zu unterbrechen, den er dem Wohlwollen der Rani als den Freund und Arzt des Nena und seinen Retter empfahl.

»Ich kenne den Sahib Hakim,« sagte die Rani hastig, ihm die Hand darreichend. »Er ist ein Franke, wie Du, kein Faringi! Ganesa hat mit Weisheit sein Haupt, und Cartikeia sein Herz mit Mut gesegnet. Er sei willkommen! Ich werde dem Peischwa morgen selbst danken, daß er mir seinen Freund gesandt hat, um den meinen zu heilen!«

»Dem Peischwa?« fragte der Major erstaunt. »Deine Hoheit ist auf dem Wege nach Cawnpur?«

»Mit tausend Reitern meiner Gortschura, die ich selber führen will, da Dein starker Arm erlahmt ist von dem bösen Auge der Krankheit. Er bedarf der Tapferen, um die Faringi, die, wie Du weißt, noch immer ihm hinter ihren Wällen mit der Hilfe böser Geister trotzen, von Cawnpur zu vertreiben, da Calpi in den Händen der Unseren ist!«

»Auch Calpi? Es befindet sich in diesem Augenblick kein Engländer mehr in Cawnpur!«

»Was sprichst Du für Wind, Hakim! Der Nena hat sie erschlagen! Gelobt sei Brahma, der Sieg ist den Kindern der heiligen Ganga geblieben!«

Ein donnerndes » Ramchandri-ky-jai!« erfüllte die Luft. Die Sowars der tapfern Gortschura, die hinter ihrer Gebieterin sich versammelt, schwangen ihre Säbel und Speere und schlugen an ihre rasselnden Schilder.

Ihr tapferer, jetzt von der Wunde gelähmter Führer schüttelte den Kopf. »Du irrst, Hoheit! Nicht das Schwert des Nena hat diese tapferen Männer überwunden. Seine Großmut war es. Er hat ihnen freien Abzug gewährt gegen Übergabe des Forts nach zweiundzwanzigtägiger heldenmütiger Verteidigung. Die Engländer sind in diesem Augenblick bereits weit hinab den Ganges auf dem Wege nach Allahabad! Unser Freund, der Hakim hier, war Zeuge des geschlossenen Vertrages, ehe wir abreisten!«

»Sagst Du die Wahrheit?«

»Bei meiner Ehre!«

Die Rani schüttelte zornig die Zipfel ihres Gewandes. »Dann mögen die Hunde die Gräber seiner Väter beschimpfen! Fluch über den entmannten Feigling! Er ist schlimmer, als der niederste Paria, der sein Blut für die Freiheit Hindostans gegeben! Ich sage mich los von ihm und möge die Welt sehen, was ein Weib im Kampfe für sein Vaterland vermag. Laßt die Claschys Zeltschläger. die Zelte wieder befestigen und die Seyces die Rosse abzäumen, wir kehren zurück nach Jhansi, ehe Surya am Himmelsbogen emporsteigt. Du aber, Sahib, sei willkommen unter dem Zelt Xarias trotz der Botschaft, die Du ihr gebracht!«

Sie gab das Zeichen zum Aufbruch und schweigend legte der Zug die kurze Strecke bis zu dem Lager zurück, das die Reiter der Rani unter den Bäumen des Waldes aufgeschlagen hatten.

Ungeschmälert trotz der Nachricht von der zu Cawnpur geschlossenen Kapitulation, die ihre Feinde gerettet zu haben schien, war der Jubel, mit welchem die Männer der Gortschura ihren tapferen Wesir begrüßten. Trotz der Kürze der Zeit, die er sich in Jhansi befand, hatte er durch seinen Mut, seine Umsicht und sein Wesen bereits die so leicht entzündbare Begeisterung dieser Kinder einer heißen Sonne, aber auch ihr schwer zu erringendes Vertrauen gewonnen. Das größte Zelt unfern desjenigen der Rani wurde ihm eingeräumt, und wie befremdend der wilden Schar auch die Erscheinung der Engländerin sein mochte, sie wagten nicht, zu fragen. Überdies hielten die meisten sie für eine Gefangene und fanden es daher nicht einmal auffallend, daß sie eine Abteilung des Zeltes ihres kranken Führers einnahm.

Während die Offiziere der Gortschura dem Wesir ihren Besuch machten und ihre Berichte abstatteten, ließ die Rani den Franken-Arzt zu sich entbieten.

Er fand sie in tiefen Gedanken auf einem Teppich sitzend. Sie hatte die weiblichen Dienerinnen entfernt, ein stummer Schwarzer, einer ihrer vertrauten Haussklaven, führte ihn hinein und reichte ihm die Hukah.

»Ich ließ Dich zu mir rufen, weiser Hakim,« sagte die schöne Fürstin, »um aus Deinem Munde die nähere Geschichte des Verrats zu hören, den der Peischwa von Bithoor begangen. Ich bitte Dich, rede!«

Walding erzählte, ohne seine eigene Beteiligung zu erwähnen, den Entschluß des Nena, die Absendung des Parlamentärs und die Bedingungen, die der Peischwa den unglücklichen Belagerten hatte bieten lassen. Um die Leidenschaften der bittern Feindin der Engländer nicht unnötig zu reizen, unterdrückte er selbst jedes Wort der Teilnahme an deren Leiden.

»Dein Auge sieht scharf und Dein Mund redet klar, o Hakim,« sagte die Fürstin, »obschon ich fühle, daß Du nicht alles sagst, was Du weißt; denn ich sah Dich an jenem Tage, als der Nena an den Ungläubigen die Schmach seines Weibes zu rächen schwur, zwischen seinem Zorn und einer der Frauen Deiner Farbe stehen. Doch der weise Lokman sagt: Reden ist Silber, aber Schweigen ist Gold! Laß uns von unserm Freund, dem Wesir, sprechen.«

»Von Major Maldigri?«

»Du sagst es. Wird die Farbe der Gesundheit und der Kraft auf seine Wangen zurückkehren, und sein Arm wieder den Säbel schwingen können gegen den Tiger der Dschungel, wie gegen die Feinde dieses Landes?«

»Ehe ein Mond vergangen, Hoheit, wird Signor Maldigri die frühere Kraft und Gesundheit besitzen, wenn kein unglücklicher Zufall dazwischen tritt. Ich selbst werde ihn mit Deiner Erlaubnis nach Jhansi begleiten, so will es der ausdrückliche Befehl des Peischwa.«

»Ich danke ihm dafür; Dich aber, weiser Hakim, bitte ich, diesen Rubin an Deiner Hand zu tragen, zum Zeichen des Dankes Xarias dafür, daß Du ihr den Mann gerettet, den sie am höchsten achtet unter den von Brahma Erschaffenen.«

»Meine Kunst, Hoheit,« sagte der Arzt, indem er den kostbaren Ring dankbar neben den schwarzen Diamanten der Königin von Lahore steckte, »hat nur wenig gethan, sie hat nur das Fieber gebändigt; der Lady verdankt er sein Leben, die seit dem Augenblick, als er die Wunde empfing, ihn nicht verlassen und an seinem Lager Tag und Nacht zugebracht hat.«

Der Blick der Rani verfinsterte sich. »Wer ist diese Frau? die Worte, die der Wesir durch Deine Hand mir von seiner Pflegerin schrieb, enthalten wenig! – Welches Recht, welche Pflicht hat sie, ihr Leben an das dieses Mannes zu setzen und ihn hierher zu begleiten?«

»Lady Hunter,« berichtete Walding, »ist die Gattin eines würdigen Geistlichen, desselben, den der Wesir an jenem Schreckensabend zu Bithoor beschützte. Soviel ich weiß, kennt er sie aus früheren Jahren und rettete sie in einem fernen Frankenlande aus schweren Gefahren. Sie war in Delhi bei dem Ausbruch der Erhebung, aber der Ruf ihrer Mildthätigkeit und Sorge, mit der sie seit Jahren am Krankenlager der Hindus wie der Christen waltete, sicherte ihr den allgemeinen Schutz und gab ihr den Namen des Engels von Delhi!«

»Es mag sein; aber was will das bleiche Weib hier, wo der Wesir in den Händen derer ist, die ihn lieben?« wiederholte die Rani ihre Frage.

»Sie begleitete den Kranken nach Bithoor auf der Praua seines Freundes und Dieners. Sie wünscht jetzt, nachdem sie seine Genesung gesichert sieht, zu ihrem Gatten zurückzukehren, aber ihre Hoffnung, ihn unter den Engländern in Cawnpur zu finden, hat sich nicht bestätigt. Dechant Hunter hatte Cawnpur schon vor der Belagerung verlassen, und niemand konnte mir sichere Auskunft geben, wohin er sich gewendet, ob nach Lucknow oder Allahabad. Der Wesir glaubte Calpi noch in den Händen der Engländer und hielt es für sicherer, sie dieser Festung anzuvertrauen, als – – – hörten Sie nichts, Hoheit? – das war ein Schrei um Hilfe – der Donner von Schüssen – –« Sein ernstes männliches Gesicht wurde von Schreckensblässe überzogen und bot alle Zeichen einer plötzlichen nervösen Aufregung. Er ließ das Rohr der Hukah fallen und beugte den Kopf vor, als horche er auf Töne in der Ferne.

»Du täuschest Dich, weiser Hakim,« entgegnete die Rani. »Mein Ohr ist scharf wie das der Kinder der Wüste, aber ich höre nichts, als das Gespräch der Soldaten vor ihren Zelten. Ich bitte Dich, fahre fort! Warum zog die Faringa nicht mit ihren Brüdern davon auf dem Strom nach der Erlaubnis des Nena?«

Der Arzt trocknete den kalten Schweiß, der seit einigen Augenblicken seine Stirn befeuchtete. Seine Glieder zitterten. »Es war zu spät, als wir die Großmut des Peischwa erfuhren,« sagte er verwirrt. »Überdies hoffte Major Maldigri unter seinen eigenen Truppen – – Ich wünschte, ich – –« Er sprang empor und preßte die die Hände gegen das Herz; sein Gesicht zeigte Leichenfarbe – sein großes Auge flog krampfhaft umher.

Es herrschte tiefe Ruhe in dem Zeltgemach; ein Luftstrom zog durch die halb geöffneten Seidenvorhänge, durch deren Spalten man zuweilen die dunkle Ebene, die Schatten des Waldes und die entfernten Gruppen der lagernden Hindukrieger im Scheine der Wachtfeuer erblickte.

»Allmächtiger Gott! – Das ist keine Täuschung! – man ruft mich – das ist ihre Stimme!«

In den Zweigen des riesigen Mango, unter dessen Schutz das Zelt der Fürstin aufgeschlagen war, rauschte der Abendwind. – –

»Hermann, mein Freund, mein Geliebter, rette Editha!«

Der Arzt taumelte auf den Ausgang des Zeltes zu, während die Fürstin mit Erstaunen seinem ihr unbegreiflichen Gebahren zusah. »Verzeihung, Hoheit! Ich muß fort – fort! Ich halte es nicht aus hier.« – –

»Du bist krank, Hakim! Das Fieber ist in Deinen Adern. Geh' in Dein Zelt und mache Dein Blut fließen. Ich werde dem Wesir selbst meinen Entschluß verkünden!«

Er riß den Vorhang zur Seite und sprang hinaus. Jenseits des Kreises der Wachen, der den geheiligten Umkreis des Zeltes der Fürstin umgab, stieß er auf Kassim, den Mayadar, der hier seiner zu harren schien.

»Schaff' Rosse herbei! rasch! die schnellsten! Ich muß zurück nach Cawnpur, in diesem Augenblick!« Der Thug sah ihn gleich einem Trunkenen nach dem Zelte des Wesirs taumeln.

»Nach Cawnpur?« murmelte der Lugha. »Bei dem Stahle der heiligen Axt! nimmer sollst Du dahin gelangen! so hat es der Guru der Gurus befohlen.« Er wandte sich nach dem Zelt der Rani, das diese eben verließ, umgeben von einigen der vornehmsten Offiziere der Gortschura.

Der Thug blieb an ihrem Wege stehen, warf sich zur Erde und sagte: »Möge die schlanke Palme der Tapferkeit ihren Wipfel zu dem Staube neigen. Ihr Diener hat ihrem Ohr ein Geheimnis zuzuflüstern.«

»Wer bist Du? was willst Du?« Die Fürstin blieb auf ihrem Wege nach dem Zelt des Kranken stehen.

»Dein Sklave,« sprach knieend der Thug, »hörte Dich zürnen über die Großmut des Peischwa, die den Faringi-Hunden in Bithoor das Leben geschenkt.«

»Möge Krischna, der Held, ihn dafür strafen!«

»Die Faringi sind blind geboren wie die Hunde, aber sie sind schlechter als diese, denn sie werden niemals sehend!« flüsterte der Thug. »Auch die Franken, Deine Freunde, wissen nicht, daß der Spiegel des heiligen Stromes ruhig fließen mag, während in seiner Tiefe das mächtige Krokodil lauert!«

»Was meinst Du? sprich!«

»Der Peischwa ist der Peischwa! Er ist die Sonne des Weltalls, und sein Herz ist voll von Haß gegen die Kaffirs. Die Faringi werden Cawnpur frei verlassen, aber kein weißes Gesicht wird lebendig Allahabad erreichen!«

Das Auge der Hindufürstin funkelte in grausamer Freude. »Mögen sie alle verschwinden wie der Tau der Nacht vor dem Strahle der Sonne! Ich bitte dem Peischwa das Unrecht ab, das ich ihm gethan. Du aber nimm als Lohn für die Nachricht das Gold!« Sie warf ihm eine der Spangen zu, die ihren Arm zierten, und wollte weiter schreiten. Aber der Thug warf sich ihr nochmals in den Weg.

»Möge Dein Angesicht ewig leuchten! Der Peischwa hat seinem Sklaven einen Auftrag gegeben. Jener Franken-Hakim darf nicht zurück nach Cawnpur, nicht eher, als der erhabene Gebieter ihn ruft«

»Was kümmert das mich? Der Hakim ist nicht in meinem Dienst. Sein Ungehorsam komme auf sein oder Dein Haupt. Laß mich vorüber!«

Sie schritt weiter. Der Mörder steckte mit habgieriger Freude das wertvolle Geschenk ein und blickte dann finster der Fürstin nach, wie sie in das Zelt des Kranken trat.

»So möge denn die blutige Bhawani ihr Opfer empfangen, und die Seele Kassims dem ewigen Tode preisgegeben sein,« sagte er grimmig. »Wenn der Kaffir auf seiner tollen Laune besteht, muß er sterben! Das Wort des Guru der Gurus geht über den Eid des Mayadars. Fluch diesen Kindern der Hölle!«

Er machte sich langsam auf den Weg in die Nähe des Zeltes des Wesirs, ohne des Befehls weiter zu achten, den ihm der Arzt gegeben. – – –

Die Besucher dieses Zeltes waren, nachdem Doktor Walding für die Bequemlichkeit seines Kranken gesorgt, und ihn der Sorge der Lady vertrauend, es verlassen hatte, bald entfernt worden; sie begriffen, daß der Genesende nach der anstrengenden Tagesreise im Palankin der Ruhe bedurfte.

An dem Kissenlager, auf dem der Condottieri ruhte, saß die Lady, ihre Hand in der seinen.

»Es ist Zeit, mein Freund,« sagte sie, »daß ich einen Entschluß fasse. Mein Werk ist gethan, ich weiß Sie in der Sorge und unter dem Schutze von Personen, die ihren Wert kennen und Sie lieben, und bald wird die Kraft und der Mut Ihnen wiedergekehrt sein. Wollte Gott, diese Kraft, dieser Geist und dieser Mut kämpften für eine würdigere Sache, als für die Sache der Grausamkeit und des Fanatismus!«

»Es ist auch die Sache der Freiheit und der Unabhängigkeit, Adelaide, für die diese Männer, ja schwache Frauen, ihr Schwert erheben, wenn auch das gärende Blut der heißeren Sonne sie zu Thaten treibt, vor denen der gesittete Mensch schaudernd das Auge verhüllt. Hochherzige und edle Gefühle und Gestalten, die der civilisiertesten Nation zur Ehre gereichen würden, leben auch unter diesen anscheinend so Wilden und Unbarmherzigen. Das zeigte Ihnen die Achtung, die Ehrfurcht, mit denen selbst der roheste Pöbel im Sturm der wilden Empörung Ihnen begegnete, das bewies Ihnen Irma, das Hindumädchen, die, ein Kind noch, so mutig ausharrte zur Rettung ihrer Freunde. Sie bewies es durch den Mut und die Umsicht, mit denen sie die durch die Geheimnisse des Mausoleums der großen Begum aus höchster Not Geretteten mit Gefahr des eigenen Lebens verbarg und durch hundert Gefahren zu den Truppen des General Barnard geleitete!«

»Marion! Richard Willougby!« flüsterte die Lady, »Gott sei mit ihnen, den Edlen, den Lieben, und geleite sie glücklich aus diesem unseligen Lande!«

»Und glauben Sie mir, Adelaide, wie diese werden Hunderte, Tausende durch gute und freundliche Menschen gerettet worden sein. Der Charakter der Hindu ist freundlich, anhänglich und geduldig. Aber der Druck und die Tyrannei des Jahrhunderts, Leiden, wie ich sie Ihnen von dem Maharadschah von Bithoor erzählt, sie mußten das Lamm zum Tiger machen. Glauben Sie mir, Freundin, schon in den Adern der Kinder Italiens und meiner eigenen Heimat rollt das Blut stürmischer, als in den Adern der Söhne und Töchter des Nordens!«

»Gott der Barmherzige möge die Beleidigung wie die Rache vergeben,« weinte die Lady, »o wohl, es ist wahr, auf die böse Saat muß der Sünden Ernte folgen, und die Guten und Gerechten gehen unter in den Kämpfen der Bösen und Schlechten. Dort oben allein, wenn diese Körper der Erde zurückgegeben werden, ist Ruhe und Glück und dort, mein Freund, werden auch wir uns wiederfinden. Denn die Zeit ist gekommen, wo wir nochmals, zum letztenmal, scheiden müssen auf dieser Erde!«

Der Kranke richtete sich besorgt empor. »Wie meinen Sie das? Sie denken doch nicht an das wahnsinnige Unternehmen, jetzt, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, mich zu verlassen, nachdem Sie die günstig Gelegenheit, den englischen Offizier und die Nonne zu begleiten, die Ihnen der Babu Durja Saul in Delhi bot, um meinetwillen ausgeschlagen?«

»Damals, mein Freund,« entgegnete die Lady, »hatte Gott mir eine heilige Pflicht gegeben, indem er Sie noch einmal auf meinen Lebensweg führte. Daß meine Hand, meine schwache Sorge Ihr Leben erhalten konnte, das, mein Freund, war ein unverhofftes und teures Glück, das seine Strahlen über die kurzen Tage werfen wird, die der Allmächtige mir noch bestimmt! Jetzt, mein Freund, bedürfen Sie meiner nicht mehr, und es ist Zeit, daß ich dem Ruf einer andern Pflicht folge, der Pflicht der Gattin, die in Tod und Gefahr an die Seite des Mannes gehört, dessen Namen sie trägt.«

»Aber Sie haben gehört, daß Calpi gegen unsere Erwartung sich seit zwei Tagen in den Händen der Rebellen befindet! Die Notwendigkeit gebietet, daß Sie uns nach Jhansi begleiten. Sobald sich dann eine Gelegenheit findet – –«

Mit traurigem Blick legte die Lady die Hand auf seinen Arm. »In Jhansi, mein Freund, würde ich schwerlich willkommen sein. Ihnen winkt dort Ehre und – Glück, mich würde man für eine Feindin halten, die man um Ihretwillen ertrüge. Die Laskaren des wackeren Rais, Ihres Milchbruders, die uns hierher geleitet, werden mich zurückführen nach Cawnpur. Wer würde der armen Frau etwas zu leide thun? Ihr Name wird mir nötigenfalls Schutz sichern auf der Praua, wie meinem armen geistesgestörten Landsmann, bis sich mir Gelegenheit bietet, Lucknow oder Allahabad zu erreichen und meinen Gatten aufzusuchen.«

Der Major schwieg, finster vor sich hinblickend; er fühlte, daß in dem plötzlichen Entschluß der Lady noch etwas anderes verborgen lag. Das kalte, stolze Benehmen der Rani aber bei dem unterwarteten Zusammentreffen gab ihm die Überzeugung, daß es nicht gut gethan sein werde, seine britische Freundin mit nach Jhansi zu führen.

Dennoch war er entschlossen, ihre Sicherheit unter keinen Umständen dem Zufall oder ihrer eigenen Sorge zu überlassen. Der Entscheidung jedoch enthob ihn der ungestüme, hastige Eintritt des Arztes.

Ein Blick auf den sonst so ruhigen, besonnenen Mann zeigte beiden, daß ihm etwas Ungewöhnliches, Aufregendes begegnet sein müsse.

Sein Auge war irr, unstät, als forsche es hinaus ins Weite. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn, seine Hände flogen in fieberhafter Erregung.

»Major,« sagte der Deutsche, »wenn Sie glauben, nicht meiner Hilfe als Arzt, sondern meiner Teilnahme und Hilfe als Mensch einen Dank zu schulden, so geben Sie mir das Mittel, auf der Stelle so rasch als möglich nach Cawnpur zurückzukehren. Ein Pferd, das schnellste Ihrer Pferde – ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen wert und teuer ist!«

»Doktor – was ist geschehen – erklären Sie uns –«

»Nichts! nichts! Wenn Sie einen Funken Mitleid und Teilnahme für mich haben – ein Pferd! Allmächtiger Gott – jede Minute Verzögerung ist Tod und Verderben!«

»Sie sollen abreisen, wenn Sie darauf bestehen, Doktor! Ich werde sogleich Befehl geben, daß einige Reiter sich fertig machen. Sie zu begleiten. In einer Stunde soll alles zum Aufbruch bereit sein! Aber sprechen Sie – was ist geschehen?«

Er hatte sich erhoben, um einige Befehle zu geben. In diesem Augenblick wurde der Besuch der Rani gemeldet, und die Hindufürstin mit ihrer Begleitung trat in das Zelt, dessen Teppichwände von den Dienern zurückgeschlagen wurden.

Der Major, auf den Arm des Arztes gelehnt, ging ihr entgegen. »Möge Deine Hoheit verzeihen,« sagte er, »wenn Dein Diener Dich nicht begrüßt, wie es seine Pflicht ist. Noch ist meine volle Kraft nicht zurückgekehrt, aber bald hoffe ich, wird dieser Arm das Schwert führen können zur Vernichtung aller Feinde der edlen Rani von Jhansi!«

»Dein Rat, tapferer Khan,« erwiderte mit brennendem Blick die Rani, »ist Deinen Freunden so wichtig wie Dein Arm. Ich danke Wischnu, dem Erhalter, und diesem weisen Hakim, daß sie Dich für Xaria gerettet. Diese Nacht möge mein Freund und Feldherr seine Kraft stärken, damit wir morgen aufbrechen können nach Jhansi. Damit der Khan sieht, wie sehr seine Freunde die Freunde Xarias sind, sollen fünfzig Reiter der Gortschura morgen bei unserem Aufbruch diese Faringa sicher nach jedem Ort geleiten, den die Kaffirs, ihre Brüder, noch besitzen, und den sie wählen wird!«

Der Wesir verbeugte sich, er begriff, daß diese Gunst ein Befehl war. »Es geschehe, wie Du sagst, Hoheit. Ich werde die nötigen Anordnungen treffen. Dieser Hakim, mein Freund, will uns gleichfalls verlassen und plötzlich nach Cawnpur zurückkehren. Seiner Sorge werde ich diese Dame anvertrauen.«

»Nein! nein! um des Himmels willen nein,« stöhnte der Arzt, indem er sich von dem Kranken losriß. »Ich muß fort! jede Minute Verzögerung ist Tod und Verderben. Bei der Mutter, die Sie geboren, Signor, bei allem, was Ihnen heilig und teuer – ich muß fort – fort – und wenn ich zu Fuße nach Cawnpur wandern soll!«

»Das ist seltsam! Doch wie es auch sei, mit Deiner Erlaubnis, Hoheit, soll dieser Mann nicht sagen können, daß Marcos Grimaldi ihm undankbar seine Bitte abgeschlagen habe. Laßt das beste Pferd satteln, das in der Nähe ist!«

Alle waren vor den Eingang des Zeltes getreten, einige der Seyces waren beschäftigt, einen starken arabischen Renner herbeizuführen.

Das Aussehen des Arztes glich dem eines Toten, so farblos war sein Antlitz, so stier hervortretend sein Auge.

Er faßte krampfhaft den Arm des Majors. »Zweifeln Sie nicht an meinem Verstand, Sir,« sagte er keuchend, »aber glauben Sie an Ahnungen, an den Magnetismus der Seele?«

»Es giebt Dinge, die über unsere Erklärung hinausgehen – wir Südländer sind geneigt, an die Welt der Geister zu glauben.

»Geben Sie mir eine Waffe, Signor, es geht in diesem Augenblick etwas Furchtbares, Entsetzliches vor – ich fühle es, hier in meinem Innern – mir ist, als triebe eine unwiderstehliche Gewalt mich zurück – ich höre deutlich eine geliebte Stimme, die mich um Hilfe ruft – jetzt – jetzt – allmächtiger Gott, es ist zu spät!«

Der Aufschrei mit dem er in die Kniee brach, war so grell, so entsetzlich, daß er selbst die wilden Seelen umher erschütterte. Im nächsten Augenblick raffte sich der Arzt empor und wankte auf das Pferd los, das man eben herbeiführte, er streckte die Hand rückwärts aus und fühlte, daß der Griff eines persischen Dolches von dem Wesir hineingelegt wurde. Krampfhaft umschloß er ihn und versuchte, an dem Pferde emporzuklimmen, auf einen Wink der Rani hoben ihn zwei der Reiter in den Sattel.

Dann, mit gewaltsamer Anstrengung, erfaßte er den Zügel, warf das wirre Auge einen Moment lang im Kreise umher und heftete es starr in die Ferne. Im nächsten donnerten die Hufschläge des galoppierenden Rosses über den harten Boden, und Reiter und Pferd verschwanden im Schatten der Nacht. – – –

»Sein Geist muß gestört sein,« sagte der Wesir, »es ist unmöglich, daß er in diesem Zustande den Weg findet. Gebiete, Hoheit, daß einige Reiter ihm folgen – wir dürfen ihn nicht sich selbst überlassen.«

Die Rani streckte den Arm aus und wies nach der Straße. Auf flüchtigem Pferde galoppierte ein weißer Schatten vorüber, der Spur des Arztes folgend.

»Wer ist das?«

»Es ist der Diener, der mit ihm gekommen, sein Begleiter und ein Freund des Peischwa,« sagte die spöttische Stimme der Rani. »Sie eilen voran nach Cawnpur, die Rückkehr derer zu melden, für die kein Platz ist in Jhansi!« – – – – – – – – – – –

Auf der Ebene, auf der weißen kalkigen Fläche lag gespenstisch der weiße Mondschein.

Eines der Gewitter zog am Ganges herauf, die in der beginnenden Regenzeit kurz, aber mit gigantischer Kraft toben.

Die Nacht war schön. Über zwei Dritteile des Horizonts flutete der klare Mondschein, in dunkler Wolke leuchtete der Blitz – ein leichter Wind, der Vorbote des Gewitters, strich erfrischend von der Fläche des Stromes über die Ebene daher.

Drüben im undurchdringlichen Dschungelgebüsch der scharfe, mißtönende Schrei des Pfaus, der das wandernde Raubtier, den prächtigen, blutgierigen Tiger begleitet – oder das heisere Geheul des streifenden Schakals, das Gekläff des jagenden, wilden Hundes.

Durch die weite Öde ein wild daher galoppierendes Pferd, nein ihrer zwei – denn aus weiter Ferne antwortet das Echo des Hufschlages, und ein dunkler Punkt erscheint mit gleicher Eile auf dem weißen Bande der Straße.

Aber was kümmert den ersten Reiter das Echo – ist es ein Freund oder Feind, er hört nicht einmal, daß er nicht allein dahinfliegt.

Den Oberkörper fast auf die Mähne des Pferdes gelegt, jagt Walding, der Arzt, weiter, weiter – das Auge noch immer starr in die Ferne gerichtet.

Bereits naht der tolle Reiter dem Hinde; es ist eine Stunde nach Mitternacht, die letzten Strahlen des Mondes fallen über die Ebene und den weißen, staubigen Weg.

Plötzlich stutzt das Pferd und prallt zurück – der Reiter klammert sich mit den Knieen fest, um nicht zu fallen, aber seine Hände fahren krampfhaft nach dem Herzen, sein krauses Haar sträubt sich empor. – – –

Auf dem Mondstrahl reiten die Boten der Gräber!

Der Reflex des Lichtes auf der Atmosphäre scheint sich zu schattenhaften Formen zu ballen – wie der Nebel zieht es von Osten daher, schneller als der Gedanke – schneller als der Funke, der um den Gürtel der Erde fliegt!

»Barmherziger Gott, beschütze ihn und vergieb meine Schuld, wie ich vergebe allen Schuldigen! Nimm auf mein unsterblich reines Teil in Deine Gnade!« – Ein Stöhnen, ein Fall, das Echo plätschernden Wassers – –

Ist es der Nachtwind, der vor dem Gewitter daherrauscht über die Ebene? ist es das geheimnisvolle Flüstern einer andern Welt, für die nicht Raum existiert, noch Zeit –?

Der deutsche Arzt liegt am Boden, das Bewußtsein geschwunden, in tiefster Ohnmacht des Geistes und Körpers – wenige Schritte von ihm schnaubt das keuchende, erschöpfte Roß. – – – – – – – – – –

Auf der Straße kam mit der Schnelle des Sturmwindes Kassim, der Mayadar, herangejagt. Schon von ferne sah er die Gruppe und parierte näherkommend verwundert sein Pferd. Dann sich aus dem Sattel werfend, eilte er zu dem Körper seines Herrn, den er tot wähnte von dem Sturz oder einem glücklichen Zufall.

»O Khali, erhabene Gebieterin,« sagte der Thug, indem er die Hände nach der dunklen Wolke mit den züngelnden Blitzen ausstreckte, »Du beschützest Deine Diener und sendest in dem Tode dieses Ungläubigen meiner Seele Rettung vor der Vernichtung. Möge sie, wenn ihre Zeit gekommen, die heiligen Wanderungen antreten, meine Hand hat sich nicht gegen den Mayadar erhoben, dem ich den Eid geschworen! Gesegnet seist Du, Dunkeläugige, vor deren Hauch das Leben der Menschen verschwindet!« Er beugte sich nieder zu dem Körper und legte die Hand auf ihn, um ihn jedes wertvollen Gegenstandes zu berauben.

Plötzlich zuckte er zurück, wie von einer Schlange gestochen; seine gierigen Finger hatten den Herzschlag des Ohnmächtigen gefühlt.

»Bei allen Dämonen! verflucht sei der Kaffir, er ist nicht tot, nur betäubt. Was soll ich thun mit dem ungläubigen Hunde? Ich darf ihn nicht töten, wenn er mich nicht dazu zwingt, – oder meine Seele würde ein Nichts sein! – Mein Eid gebietet mir, ihm in Gefahr beizustehen. Aber wie hindere ich ihn, nach Cawnpur zu gehen?« Seine Blicke flogen ängstlich umher; der bewußte Mörder, mit dessen Hilfe schon zahlreiche Schlachtopfer gefallen waren, ohne daß er je den geringsten Skrupel dabei empfunden, der Räuber, der noch soeben den toten Körper bestehlen wollte – er dachte mit keinem Gedanken daran, die Gelegenheit zu benutzen und diesen schwachen Funken von Leben vollends zu ersticken.

Da zeigte ihm ein funkelnder Blitz in der Ferne zur Linken über dem Dickicht der Dschungel dunkle Formen am Horizont.

»Das ist der Tempel von Dscheddapur! Jetzt weiß ich, wo ich bin, und was mir zu thun bleibt. Gesegnet sei die Dunkeläugige!«

Er legte den Körper des Ohnmächtigen über den Sattel seines eigenen Pferdes, nahm es an den Zügel und führte es am Rande der Dschungel entlang. Bald darauf betrat er sie auf einem kaum sichtbaren Pfade, den das Licht der Blitze ihm zeigte.

Es war in der That dieselbe weithin sich dehnende Dschungel, in die er an jenem furchtbaren Abend, an dem der Maharadschah von Bithoor die geliebte Frau wahnsinnig zurück erhielt und in den Bund der Thugs trat, mit Tukallah von Norden her eingedrungen war, um die Bheels und das sterbende Oberhaupt des furchtbaren Bundes aufzusuchen.

Von der Straße von Cawnpur her, von der Mowbray mit den Soldaten gekommen, den Sikhprinzen verfolgend, war die Dschungel auf verschiedenen, mehr oder weniger offenen Wegen zugänglich, die nach den Ruinen des uralten Tempels der Bhawani liefen. Das Gewitter zog jetzt mit furchtbarer Schnelle herauf, und in dem Schein der Blitze gelangte der Lugha bald mit seiner Last an die mächtigen Ruinen des Tempels, band sein Pferd an einen Stein, trug den noch immer ohnmächtigen Körper in das Innere der Pagode und legte ihn hinter den mächtigen schwarzen Steinwürfel, der einst das Bild der scheußlichen Göttin getragen.

In dem Lichte der Blitze hatte man auf den Quadern des Bodens, an derselben Stelle, an welcher jetzt der ohnmächtige Körper des deutschen Arztes lag, noch die dunklen Spuren des Blutes sehen können, das der Nena hier vergossen.

»Möge er hier liegen, bis Wischnu ihm den Geist zurückführt. In dieser Nacht wird er sich nimmermehr aus dieser Wildnis entfernen können, um das Verbotene zu thun. Wenn das Gewitter vorüber ist, werde ich nach Cawnpur reiten, um dem Peischwa Nachricht zu bringen.«

Er verließ das Innere des Tempels und suchte sein Pferd auf, das er in einer der halb verfallenen Hallen zum Schutz gegen das Wetter unterbrachte.

Die Luft wurde schwül zum Ersticken; die Elektrizität schien wie eine feuchte dunstige Wolke auf den Spitzen und Blättern dieses Dickichts zu lagern, das den Boden der Dschungel bedeckte und sich bereits unter dem Hauch des Windes zu beugen begann, nur den zündenden Funken erwartend, der es entflammen sollte. Die goldfunkelnden Insekten der Nacht hatten ihren Schein verloren, die Vögel und Tiere, deren Stimme man sonst in krächzendem und schreiendem Konzert hörte, schwiegen ängstlich und verbargen sich unter dem Gebüsch, unter den Steinen, unter den Trümmern.

In diesem Augenblick, als er an dem riesigen Steinbild lehnte, das den Pfeiler des Eingangs bildete, und auf das zitternde Aufatmen der Natur hinblickte, brach das Gewitter in seiner vollen Größe los. Der Sturm fuhr in gewaltiger Kraft über die Ebene her, peitschte das Rohr und die zähen Gräser der Dschungel, die ganze Atmosphäre schien in Flammen zu stehen, und ein Donnerschlag, so gewaltig und furchtbar, daß er den Jahrtausende alten Riesenbau in seinen Grundfesten zu erschüttern schien, rollte über seinem Haupt.

Der Mörder fühlte seine Knie sich beugen; im nächsten Moment aber richtete er horchend den Kopf in die Höhe – nach diesem gewaltigen Donner, durch das Rauschen dieses Regens, der wie ein Strom vom Himmel goß, hatte sein scharfes Ohr einen andern Laut vernommen.

Es klang wie heiseres Zischen und Schnauben, das mit der Schnelle des Sturmwindes heran zu kommen schien.

Der Lugha erbebte; ein Sohn der indischen Wüsten, erkannte er sehr wohl diesen Laut und die Gefahr, die ihm drohte.

Einer der eingeborenen Herren dieser Wildnis, einer der mächtigen Räuber der Dschungel nahte, um in den Ruinen Schutz zu suchen vor dem Wetter.

Der Lugha warf blitzschnell das Auge umher. Nur gewohnt, seine Brüder, die Menschen, zu jagen und zu töten, ließ das Nahen der Bestien seine Nerven erbeben, und er sah sich nach einem Schlupfwinkel um. Schon hatte er die Hand auf das Piedestal einer halbgebrochenen Säule gelegt, um sich zu deren Höhe emporzuschwingen, wo ihn kein Tier der Wildnis erreichen und er sich in Sicherheit verteidigen oder das Schwinden der Gefahr abwarten konnte, als ihm plötzlich der Gedanke an den Mann kam, den er hilflos im Innern des Tempels niedergelegt.

Noch vor wenig Minuten war er entschlossen gewesen, diesen Mann zu ermorden, wenn er auf seinem Willen bestehen sollte, und dafür das Schrecklichste, was sein Glaube ihn lehrte, die Vernichtung der eigenen Seele einzusetzen.

Und jetzt – er brauchte keine Hand zu rühren, um das eigene Leben zu retten; jetzt konnte ein günstiger Zufall ihn von jenem befreien!

Aber es war sein Mayadar, dem er Schutz geschworen!

Nicht einen Moment lang bedachte sich der Lugha; er zog die Hand von dem rettenden Stein zurück, warf sich aus ein Knie mitten im Eingang und legte die blanke Klinge des Krys an seine Seite.

Dann, schneller als der Gedanke, löste er den Gürtel und wickelte das weite Obergewand, das er trug, um seinen linken Arm.

Erst nachdem er diese, kaum Sekunden lang dauernden Vorbereitungen getroffen, spannte er den Hahn des einzigen Pistols mit langem Lauf, mit dem er bewaffnet war.

Ein züngelnder Blitz, dem ein zweiter erschütternder Donnerschlag folgte, zeigte ihm deutlich den heranspringenden Feind.

Es war ein langgestreckter, großer Panther mit hohen Weichen und fast schwarzem Fell, der in mächtigen Sprüngen sich flüchtend aus der Dschungel brach und gerade auf ihn zurannte; ihm folgte fast unmittelbar ein zweites Tier – die Pantherin.

Die Bestie, in wilder Flucht daher springend, fühlte die Witterung des Feindes nicht eher, als bis ihr glühender Atem ihn berührte. Der Rachen öffnete, die Pranke hob sich, aber zu spät; denn in der Pause dieser Donner des Himmels krachte der künstliche Donner der Menschen und die Kugel, in dieser unmittelbaren Nähe abgeschossen, zerschmetterte den Schädel des Tieres.

Der Panther stieß ein Geheul aus, schlug mit den scharfen Krallen nach seinem Feinde und stürzte zusammen, aber dieser, verwundet an der linken Schulter, hatte kaum Zeit, das Pistol fallen zu lassen und den Krys zu ergreifen, als die Pantherin in gewaltigem Ansprung über ihn herfiel und ihn zu Boden warf.

Nun erfolgte in dem erneuten Schein der Blitze und unter dem Krachen der Donnerschläge ein rasender Kampf, den das Geheul des von den Stichen des Krys getroffenen Raubtiers, und das Geschrei des von ihren Krallen und Zähnen zerfleischten Menschen verkündete.

Dann wurde das Geheul der Pantherin schwächer und schwächer, und in dem langen anhaltenden Schein der Blitze konnte man die Gestalt des Lugha sich keuchend aus dieser Lache von Blut und Fleisch auf die Knie emporrichten sehen, auf die zerbrochene Klinge des Krys sich stützend.

Ein letztes Röcheln des Tieres; es war tot.

Da fühlte der Lugha eine Hand auf seiner blutenden zerrissenen Schulter.

»Kassim, mein Freund, ich danke Dir für das, was Du gethan! Wenn Du stark genug bist, so erhebe Dich und laß uns die Pferde wieder besteigen.«

Der Thug fuhr empor; das fliegende Licht des Blitzes zeigte ihm die Gestalt, das bleiche, starre Gesicht des Herrn.

»Was willst Du thun, Sahib, wohin willst Du?«

»Nach Cawnpur!«

»Es ist unmöglich, Sahib! Die Götter selbst verbieten es mit ihren Donnern!«

»Laß mich vorüber! Was kümmern mich die Blitze des Himmels!«

»Du darfst mich nicht verlassen, Sahib! Ich kann nicht von der Stelle, mein Blut rinnt, meine Arme, meine Brust sind zerrissen von den Krallen der Panther, mit denen ich gekämpft um Deinetwillen!«

»Armer Kassim! armer Freund! Aber ich kann nicht bei Dir bleiben! ich muß fort! fort! laß mich vorüber!«

»Undankbarer Christ, Du sollst nicht nach Cawnpur, so lange Kassim lebt!«

»Wer wollte mich hindern?«

»Ich – mit meinem Leben!«

Der Lugha sah die bleiche Gestalt des Arztes im Schein der Blitze zurückbeben: dann hörte er wie mit hohler Grabesstimme die Worte:

»Ich weiß. Du bist ein Thug, aber ich werde Dich zuerst töten! Geh' aus dem Wege – ich muß nach Cawnpur!«

»Niemals! Sei verflucht in Ewigkeit, wie Kassim es sein wird!« Der blutende Lugha stürzte, grimmiger als der Panther, den er soeben erlegt, auf den Mann, dessen Leben er mit seinem Blute verteidigt.

Dann folgte ein zweiter Kampf, ein Ringen, nicht mit der Bestie der Wildnis, sondern Mensch gegen Mensch unter dem zuckenden Licht der Blitze und dem Donner des Himmels. – – – – – – – – – –


»Hier ist der Ort, Kamerad – halte das Pferd fest, und laß den Zügel nicht aus der Hand, bis Du ihn festgebunden. Diese Mauern werden uns wenigstens schützen vor dem scheußlichen Wetter. Ich habe das Mittel, Feuer zu machen, wenn es uns gelingt, trocken Geröhr zu finden!«

»Uns friert, und der arme Lionel kann nicht helfen! Ja, ja, die Nacht ist keines Menschen Freund, wenn die Schlange von draußen lauert!«

» Goddam! Kaum dem Tod entgangen – Feinde überall, das höllische Wetter über uns und einen Wahnsinnigen zur Seite – da mag der Teufel die Geduld nicht verlieren! Was ist das? Ich trete auf einen weichen Körper – zurück, Mann, bis ich Feuer geschlagen!«

Aber ehe noch das Zündholz in der hohlen Hand des Offiziers loderte, hörte man die Pferde wiehern und von der andern Seite her den gleichen Ton sie begrüßen.

» By Jove! wir sind nicht allein hier! Nun, wie Gott will, ich bin es müde, um solches Leben zu kämpfen!«

Von der Hand geschützt, flammte der Docht der kleinen Kerze eines Taschenfeuerzeugs in die Höhe und verbreitete seinen dünnen Schein, während der verkleidete Offizier, mit der Rechten am Griff der Dschambea, vortrat.

»Die Schlange! die Schlange! ich sah ihren gefleckten Leib! Töte sie, töte sie! Ehe sie uns sieht!« kreischte der Irre, indem er den Arm des Kapitäns faßte.

»Lassen Sie los, Sir, und verhalten Sie sich ruhig. Das ist ein Panther und hier ein zweiter, bei Gott – beide in ihrem Blut. Aber dort« – er trat einige Schritte vor in das Innere des Tempels – »das sind Menschen, Hindus – nun gilt's!«

Er ließ den Griff der Dschambea fahren und zog mit der raschen Entschlossenheit eines bewährten Soldaten das Pistol.

Von der Gruppe auf den blutigen Marmorquadern des Bodens erhob sich langsam eine Gestalt, ein bleiches, weißes Antlitz. Die halb orientalische, halb europäische Kleidung des Mannes war blutbefleckt; in seiner Rechten hielt er einen persischen Dolch, dessen Griff von kostbaren Steinen funkelte.

»Wer redet englisch – sind Europäer hier?« fragte die gespensterhafte Gestalt.

» By Jove! ich sollte es meinen! Wer seid Ihr, Freund? Ich sehe – Ihr habt einen tüchtigen Kampf bestanden!« Er wies nach den toten Panthern.

Das Auge des andern aber folgte seinem Finger nicht, es ruhte auf dem blutigen Körper zu seinen Füßen.

»Er wollte mich hindern, nach Cawnpur zu gehen. Er mußte sterben!« murmelte er dumpf.

»Wer – der Panther? Bei Gott, dann war die Bestie Euer Freund, Mann!«

»Nicht der Panther, Sir, denn Sie sind ein Engländer, obschon Sie das Gewand eines Hindu tragen. Dieser da zu meinen Füßen that es!«

»Und Sie haben ihn ermordet dafür? Ich glaube, ich muß mit lauter Verrückten zu thun haben. Aber mir ist, als kennte ich Ihr Gesicht, als müßte ich es schon gesehen haben.«

»Möglich, Sir, aber wenn Sie ein Christ sind, so sagen Sie mir, wo ich mich befinde und zeigen Sie mir den Weg nach Cawnpur.«

»Nimmermehr! Wer Sie auch sein mögen, Sie sind ein Landsmann, und ich darf Sie den Weg nach Cawnpur nicht verfolgen lassen!«

»Dann muß ich Sie töten wie diesen da,« sagte der Arzt.

»Aber wenn Sie einen Fuß nach Cawnpur setzen, werden Sie selbst getötet. Dieser schurkische Nena ermordet alle Engländer, die in seine Hände fallen.«

»Die Engländer haben gestern Mittag Cawnpur verlassen!«

»Aber der wortbrüchige Bandit hat sie verfolgen lassen; sie sind zurückgebracht nach Cawnpur und dort ermordet. Ich selbst bin durch ein Wunder entkommen.«

Der Arzt stürzte auf ihn los und faßte krampfhaft seinen Arm. »Ermordet? – Barmherziger Gott! – aber ich wußte es – hier – hier –« er preßte die Hand auf Stirn und Herz. »Editha Highson, Sir, was wissen Sie von Editha Highson?«

Der Kapitän sah ihn traurig an. »Die Lady befand sich mit uns und ihrer Cousine in demselben Boot, die Frauen wurden gleichfalls gefangen nach Cawnpur zurückgeführt – aber ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, was ihr Schicksal gewesen ist, ob der Wüterich sich selbst an dem Leben der Hilflosen vergriffen hat. Ich bin Kapitän Delafosse, Sir, und ein Wunder, die Hilfe eines Freundes rettete mich aus der Gefangenschaft und riet mir, den Schutz des Majors Maldigri, des Wesirs der Rani von Jhansi, zu erreichen, den ich kenne. Aber wer sind Sie, Sir? –«

»Walding, der Arzt – Doktor Clifford, wenn Sie es lieber wollen.«

»Ich kenne Ihren Namen – ich erinnere mich, Sie flüchtig bei meiner Anwesenheit in Cawnpur und an jenem Ballabend in Bithoor gesehen zu haben. Man nannte Sie einen Verräter an Ihren Glaubensgenossen, aber ich hörte Besseres von Ihnen im Fort. Als Mensch, als Christ müssen Sie die Grausamkeit des Nena verwünschen, wie ich.«

Der Arzt sah ihm mit finsterer Entschlossenheit ins Gesicht. »Ich gehe, ihm meinen Fluch ins Gesicht zu schleudern! Mein Vertrauen mißbrauchte er, die tapfere Schar aus den schützenden Wällen zu locken! – Seinen heiligsten Eid schwor er mir, und nicht eher, als bis ich Sie alle gerettet glaubte, verließ ich Cawnpur.«

»Aber was führt Sie zurück und hierher? Das Gewitter trieb uns in diese Ruine, die ich von Jagdstreifereien her kenne. Wir fanden an der Dschungel ein herrenloses Pferd und glaubten in der Pause des Donners einen Schuß zu hören.«

»Fragen Sie nicht, Sir! Ihr großer Dichter sagt: Es giebt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt! – Das Gewitter hat ausgetobt; Sie werden den Wesir zwei Stunden von hier diesseits Calpi lagern finden. Geben Sie mir Ihre Dschambea und nehmen sie diesen Dolch dafür, er wird Grimaldi zeigen, daß wir uns begegnet sind. Sagen Sie ihm, bei dem unglücklichen Eid, den wir einst zusammen auf jenem Felsengrab geleistet, und der sich so bitter gerächt an uns – ich ließe ihn beschwören, Sie zu retten. Und jetzt, Sir, halten Sie mich nicht auf und lassen Sie uns diesen Ort des Fluches verlassen. Ihr Weg geht nach Westen, der meine nach Osten. Ich weiß, daß alles vorüber, daß sie ein Engel im Himmel sein muß! Aber noch bleibt mir eine Pflicht auf der Erde!«

Und mit gesenktem Haupte, ohne weiter eine Antwort zu geben, schritt er hinaus, fand instinktartig das Pferd des Lugha und mit ihm den Weg aus der Dschungel.

Das Unwetter war mit der Schnelle vorüber gezogen, mit der in jenem Klima häufig die Erregungen der Atmosphäre wechseln; am klaren Himmel blinkten Sterne und im Osten über den Ganges her erhob sich ein weißer Schimmer, der erste Vorbote des kommenden Tages.

Der Arzt schwang sich stumm in den Sattel, stumm winkte er mit der Hand zurück nach den Flüchtigen. Er ließ den Zügel auf dem Hals des Pferdes ruhen und ritt langsam in der Richtung nach Cawnpur davon.


Um das Haus des Nähghuh Abdallah drängte sich eine bunte Menge, schreiend und wehklagend. Das Ungeheure, dessen Zeugen sie waren, schien selbst diese mordgewohnten Gemüter mit unbekannten Schrecken erfüllt zu haben.

Die Kameraden und Nachbarn des Sowars waren am Morgen gekommen, ihm Glück zu wünschen zu der Nacht und nach der obszönen Sitte des Orients die Ausstellung des Bettuches zu verlangen.

Man hatte die Thür des Nähghuh offen gefunden und eintretend an den Wänden des Gemaches die Frau, die Schwiegermutter und den Sohn des Mohren in ihrem Blut, mit abgeschnittenem Halse – tot und kalt.

Als man den Vorhang hob, fand man auf dem Lager des Sowars diesen selbst; nur der Halsknochen verband noch den widrigen Kopf mit dem riesigen Rumpf.

Die Faringa war verschwunden. Blutige Fußspuren führten zur offenen Thür, aber draußen hatte der Regen sie verwaschen.

Dann erinnerte sich einer der Nachbarn, ein Ruiwallah oder Baumwollenklopfer, daß er, in der Nacht kurz vor dem Ausbruch des Gewitters einen Schatten hatte über den Hofraum gehen und zu dem Brunnen oder der Cisterne sich wenden sehen.

Der Brunnen war fast bis zum Rande gefüllt durch die heftigen Regengüsse der Nacht.

Das war alles, was der bleiche Reiter, der wohlbekannte fränkische Hakim des Nena, der sich langsam dieser gestikulierenden, hin- und herredenden Menge genähert, hatte erfahren können. Er kam vom Zelt des Nena und wußte bereits, daß dieser noch nicht zurückgekehrt war.

Der Arzt hörte alles bewegungslos, ruhig an. Keine Muskel seines bleichen Gesichts veränderte sich; es schien ihm alles bereits bekannt. Auf seinen kurzen Befehl holte man Stangen und Haken und senkte sie in die Tiefe des Brunnens, ein – zweimal.

Schweigend, neugierig drängte sich die Menge um den Rand. Beim drittenmal hob sich eine Welle blonden Haars über die trübe Flut, dann ein weißer Arm; ein Aufschrei der Menge – dann kam ein blasses, entstelltes Antlitz zum Vorschein mit gespenstisch geöffneten Augen, eine schlaffe Frauengestalt! – Die Männer hoben den Leichnam Editha Highsons aus dem Wasser und legten ihn vor dem Pferde des Arztes nieder.

Lautlos harrte die Menge.

Stumm stieg der Hakim vom Pferde. Er hob den Körper der Lady auf und legte ihn quer über den Sattelknopf. Dann stieg er wieder zu Roß, nahm die Leiche in seine Arme und ritt langsam davon.

Niemand wagte ihn zu hindern. Die Nachschauenden sahen, daß er den Weg nach Bithoor einschlug, denselben, welchen am Abend vorher der Peischwa genommen. – –

An der Stelle, an welcher Margarete O'Sullivan von den feilen Dienern der Lüste des britischen Residenten entführt worden war, an der Stelle, auf dem Wege zwischen Cawnpur und Bithoor, wo Tantiah-Topi und der Derwisch Sofi dem Maharadschah die erste Nachricht von dem Raub gebracht und das Samenkorn in seine Brust geworfen, aus dem die furchtbare Saat der Rache emporwuchern sollte, zieht sich ein Wäldchen von Kokospalmen und Tamarinden an der Schlucht entlang, die, von hoher Brücke überwölbt, die Straße durchbricht und weit hinein läuft zwischen die Felsen.

Auf breiten, natürlichen Stufen steigt man von der Seite von Bithoor her zum Grunde der Schlucht nieder, in deren Mitte ein frischer, rieselnder Quell zum heiligen Strome eilt.

Langsam erhebt sich der Grund der Schlucht, von gigantischen Bäumen überragt; eine undurchdringliche Mauer von Lianen und Cycadeen, die ihre Gehänge von Stamm zu Stamm tragen, rahmt sie ein. Wo die Schlucht zu Ende, über dem Quell, erhebt sich ein schöner runder Rasenplatz; das Wasser im Grunde erfrischt die Gräser, der Schatten der riesigen Tamarinden hält die brennenden Strahlen der Sonne ab, und geschützt gegen Hitze, Sturm und Dürre, scheint ewiger Frühling auf diesem blumenbedeckten Teppich zu wohnen. Hier überwölbt das dunkle Laub der Myrte eine Marmorbank, die ein Lieblingsplatz der armen Tochter des fernen Irland war.

Am Fuß dieser Bank erhob sich jetzt ein einfacher Grabhügel, Blumen und Gräser sein Schmuck, kein stolzer Marmorbau, wie er die letzte Ruhestätte der Großen und Mächtigen dieses Landes zu verkünden pflegt. Unter diesen Blumen und Gräsern schlief ein Herz, so gut und voll Liebe, so gebrochen und unglücklich wie wenige, das Margarete O'Sullivans, der Gattin des Maharadschah von Bithoor, die der deutsche Arzt hier begraben, als der Nena im wilden Fieber raste!

Ein Mann saß auf diesem Grabe. Die Wetter der Nacht waren über ihm hingegangen, der Sturm hatte die Wipfel der Tamarinden gebeugt, die Donner des Himmels hatten die Felsen erschüttert, die Wolken ihre Schleusen geöffnet – was kümmerte es ihn! Auf das Grab vor sich hatte er ein Tuch gebreitet, ein blutgetränktes Tuch, und der Regen hatte die Flecken gewaschen und das Blut hineingeführt in das Erdreich, das die Tote deckte, der er so viele Leben zum Sühnopfer gebracht und mehr noch zu bringen geschworen!

Es war Morgen geworden. Die Sonne stand seit einer Stunde über dem Horizont, aber noch immer saß der Nena auf dem mit dem Blut der ermordeten Faringi getränkten Grabe.

Da nahten langsame feste Schritte auf dem Felsboden der Schlucht und stiegen herauf zur geheiligten Stelle.

Ein Mann, gebeugt unter schwerer Last, die er in seinen Armen trug, das Auge gesenkt, achtlos gegen alles umher, stieg herauf.

Der Nena wich von dem Grabe zurück – seine Augen ruhten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem Manne und seiner Last, die dieser neben dem Grabhügel der Irländerin niederlegte.

Es war auch eine Tote, eine Frauenleiche mit langem, triefendem Haar!

Der Kommende kniete zwischen dem Grabe und der Leiche nieder. »Hier sollst Du ruhen,« sprach er aus tiefster Brust; »schlummert sanft, Ihr Frauen, eine neben der andern, bis der Tag der Auferstehung auf die Nacht des Lebens folgt, Ihr, die Opfer zweier Nationen, der Civilisation und des Barbarismus, der Sünde und Rache! Schlummert sanft, und Gott der Herr richte Eure Verderber!«

Dann die Hände und die Augen zum Himmel erhebend, erblickte er den Nena.

Das Antlitz des bleichen Mannes rötete sich.

»Wo kommst Du her gegen meinen Befehl? Wer ist diese da, mit deren Nähe Du das Grab einer Heiligen besudelst?« fragte die grollende Stimme des Nena.

»Ein Opfer Deines Treubruchs, Peischwa von Bithoor! Eine unschuldig Gemordete, deren Gedächtnis auf Deiner schwarzen Seele brennen möge, gleich ewigem Feuer!«

»Hund von einem Kaffir! wagst Du mir Schimpf ins Angesicht zu schleudern am Grabe derer, die ich liebte?« Seine Hand riß den Säbel von der Seite und schwang ihn drohend über dem Haupte des Deutschen.

»Schlage, Peischwa von Bithoor,« sagte der Arzt ruhig. »Du erschlägst einen Deiner Feinde. Was thut ein Mord und ein Opfer des Verrats mehr der Seele eines Meuchlers!«

Der Nena ließ die Hand mit dem Säbel sinken. »Was willst Du von mir? Ich rächte mein Weib und habe geschworen, ihr Grab mit dem Blute der Faringi zu tränken. Geh! ein Weißer fühlt nicht wie ein Hindu. Bringe dies Weib hinweg – ich kenne es nicht!«

»Peischwa von Bithoor! Diese war es, die den letzten Hauch der Frau empfing, die Du liebtest. Während Deine blinde Rache ihr Opfer suchte, starb an ihrer Brust Margarete O'Sullivan!«

»Du hast recht – ich erinnere mich, ich hätte sie schützen sollen! aber ich habe sie nicht getötet!«

»Blinder Barbar! – glaubst Du, Deine Hand allein mordet und nicht Dein Wort? Srinath Bahadur, Du hast das Weib, das ich liebte, der Schande, dem Tode gegeben! Du fluchtest den Faringi an diesem Grabe; an der Seite dieser Toten fluche ich Dir! Nicht ein Befreier Deines Vaterlandes bist Du mehr, sondern sein Verräter und Mörder! Der Kampf für die Freiheit ist ein heiliger überall auf der Erde, Du aber hast die Freiheit entweiht und den Kampf geschändet. Srinath Bahadur – Du stehst am Wendepunkt Deines Glückes! Wate in Strömen von Blut, berausche Dein teuflisches Herz an Greuel und Entsetzen! Das Schwert des Rächers ist Deiner Hand entwunden und der Sieg flieht den niedrigen Mörder! Ohne Dach soll Dein Haupt, flüchtig Dein Fuß, ohne Treu und Glauben Freund und Feind Dir sein, wie Du selbst ohne Treue dem Freund und Feind warst. Wie der Tiger Deiner Dschungeln, Tiger Du selbst, sei ein gehetztes Wild auf der Erde, die Du groß und frei machen konntest! Schänder des Andenkens eines edlen Weibes! Mörder des andern! Vernichter des Schönen und Edlen auf Erden! – sei verflucht! – sei verflucht! – sei verflucht

Und dreimal in die Erde des Grabes greifend, in dem des Nena geliebtes Weib ruhte, schleuderte er dreimal Erde dem Schritt um Schritt zurückweichenden Hindufürsten ins Antlitz.

Dann, ohne sich um ihn zu kümmern, wandte er sich zu der Toten und küßte ihre blasse Stirn.

Der Nena war entflohen! – – – Der Kampf um die Freiheit Indiens endete schließlich mit dem Sieg der Britten. Ende 1858 war der Aufstand unterdrückt; aus dem Kampf wurden Treibjagden auf einzelne Rädelsführer. Tantia Topi wurde durch Verrat gefangen und gehängt; Nena Sahib starb, gehetzt wie ein wildes Tier, in den Dschungeln am Fieber, ehe die Verfolger ihn erreichten. –

Stunden verrannen. Im Schweiße seines Angesichts grub der Arzt mit der breiten Klinge der Dschambea; er grub ein Grab an der Seite des Grabes.

Fremde Schatten verdunkelten die Strahlen der Sonne, die gedämpft und gemildert durch den Blätterdom drangen.

»Geben Sie uns unseren Teil am Werke der Barmherzigkeit, Doktor Clifford,« sagte eine Stimme hinter ihm. »Lassen Sie uns das Grab bereiten helfen, einem der armen Opfer. Es wird uns Segen bringen in den Gefahren des eigenen Weges!«

Der Arzt schaute gleichgültig empor; vor ihm stand Kapitän Delafosse mit dem wahnsinnigen Engländer. Lady Hunter kniete neben der Leiche Edithas an der Marmorbank. Wenige Schritte entfernt standen fünf oder sechs der kühnen Reiter der Gortschura der Rani. Dreißig andere, mit Dienern, Rossen und Elefanten, lagerten am Eingang der Schlucht.

»Wir sind auf dem Weg nach der Hauptstadt des Audh,« fuhr der Kapitän fort. »Der Wesir, unser Freund, hat uns gestattet, dem Geleit dieser Lady uns anzuschließen. Ich habe ihm geschworen, sie mit seinen Reitern sicher nach Lucknow zu führen. Kommen Sie mit uns, wenn Sie die heilige Pflicht erfüllt, zu der der Geist Gottes Sie nach Cawnpur getrieben!«

Walding schaute ihn starr an und dann auf die Tote. »Wissen Sie, was diese mir war?«

»Editha Highson – die unglückliche Braut des unglücklichen Sanders – –«

»Ich habe sie geliebt

Er verhüllte sein Angesicht in die Hände, heiße Thränen quollen durch die zitternden Finger – zum erstenmal seit der furchtbaren Botschaft aus dem Jenseits.

Das krause, braune Haar des Arztes war weiß geworden während der Arbeit, bei der sie ihn gefunden!


Herrosé & Ziemsen, Wittenberg.


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