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Schlange und Tiger.

Die Frauen erbebten bei diesen kriegerischen Tönen, die ihnen eine drohende Gefahr verkündeten; selbst die Männer wechselten die Farbe. Außer dem Nena waren jetzt nur der Serdar und der Derwisch, Mac Scott und die beiden zu Wächtern der Thüren Bestellten: der Bärenjäger Ralph und der Kanadier Adlerblick in dem Gemach.

Die drohend gen Himmel geballte Hand des Bahadur sank langsam nieder – das Feuer seiner Augen erlosch; sein Gesicht nahm einen häßlichen Ausdruck an, und ohne eine Spur von der Leidenschaft zu zeigen, die soeben noch das innerste Mark seines Lebens erschüttert, wandte er sich nach der Thür, die eben geöffnet wurde.

»Der Subadar-Sahib Mowbray und der Jemedär-Sahib Sanders aus Cawnpur wünschen Seine Hoheit den Maharadschah zu sprechen,« meldete die Stimme Gibsons. Die genannten beiden Offiziere traten ein und hinter ihnen, ehe die Thür sich schloß, vernahm man das Klirren von Säbelscheiden auf dem Marmorboden des Vorzimmers.

»Seien Sie mir willkommen, Sahibs! Der Palast von Bithoor hat leider lange das Vergnügen entbehren müssen, die englischen Freunde seines Herrn in seinen Mauern zu sehen.«

Die Offiziere verneigten sich höflich. Die Blicke Mowbrays musterten aufmerksam das Gemach und die Anwesenden, und blieben mit offenbarem Interesse an der Gruppe der Frauen am Diwan hängen.

»Verzeihung, Fürst, daß wir Sie so spät noch stören,« sagte der Leutnant. »Indes, es geschieht auf Befehl Seiner Excellenz des Gouverneurs. Ein wichtiger Vorfall in Cawnpur heute abend ist die Ursache.«

»Sie machen mich besorgt, Sir. Indes ehe ich weiter höre, lassen Sie mich die Pflichten des Wirtes erfüllen. Gibson, sorge für Erfrischungen und« – eine leise Ironie klang aus seinen Worten – »daß es der Begleitung der Gentlemen an nichts fehle. Verzeihen Sie, Mowbray, daß ich Sie noch nicht besonders begrüßt. Ich hoffe, Sie waren wohl, seit ich Sie nicht sah, und unser gemeinschaftlicher Freund, der Resident, ist es gleichfalls. Ich bedauere, daß er zu denken scheint, ich rechnete ihm den Tod meines unglücklichen Schwagers zu, während ich doch überzeugt bin, daß er gewiß alles Mögliche aufbot, den wahnsinnigen Kampf zu verhindern.«

»So wissen Sie noch nicht, Hoheit, was Rivers passiert ist?«

»Sie erschrecken mich in der That – wie sollte ich …«

»Entschuldigen Sie, Fürst, daß ich zuerst meinen amtlichen Auftrag ausrichte,« unterbrach der Ordonnanz-Offizier des Generals das Gespräch. »Es wird Ihnen bekannt sein, daß Dhulip Singh, der junge Prätendent des Thrones von Lahore, in Cawnpur sich als Gefangener befand.«

»Ich erinnere mich, davon gehört zu haben, Sir, er wurde ja wohl von Firozpur vor einigen Wochen dahin gebracht? Das Gerücht traf mich zu einer Zeit, wo ich selbst unter zu schweren eigenen Leiden gebeugt war, sonst hätte ich General Wheeler gebeten, mir zu gestatten, den von dem Ehrgeiz seiner Mutter mißleiteten Jüngling besuchen zu dürfen, der ein entfernter Verwandter von mir ist.«

Die beiden Offiziere wechselten einen Blick mit einander.

»Dhulip Singh,« fuhr der Leutnant fort, indem er den Maharadschah scharf beobachtete, »ist durch List und Betrug diesen Abend aus seinem Gefängnis in der Citadelle von Cawnpur entflohen, oder vielmehr entführt worden.«

»Zugleich,« fügte der Lanzier-Kapitän hinzu, »ist das Landhaus des Residenten von ruchloser Hand in Brand gesteckt worden und bis auf den Grund niedergebrannt.«

»Um des Himmels willen – welche schlimmen Ereignisse an einem Abend. Sind die Thäter ergriffen?«

»Noch nicht, aber wir sind ihnen auf der Spur, denn viele Umstände lassen vermuten, daß die Flucht und der Brand in Zusammenhang stehen und ein Werk der ränkevollen entthronten Königin von Lahore, Mahe Tschund, sind, die sich wahrscheinlich in der Nähe befindet.«

»Und Sie sind auf der Verfolgung des Flüchtlings oder der Mordbrenner begriffen?« fragte der Indier mit dem Ton naiven Mißverständnisses. »Seine Excellenz soll nicht umsonst auf meine Hilfe gerechnet haben; ich stelle meine wenigen Mittel auf das Bereitwilligste zur Disposition.«

Der junge Offizier errötete verlegen. »Das nicht, Hoheit, General Wheeler ist von Ihrer Ergebenheit für die Interessen der Regierung überzeugt – nichtsdestoweniger …«

Die bisher so zuvorkommende freundliche Haltung des Maharadschah wurde stolz und kühl.

»Nun, Sir, ich will nicht hoffen …«

»Es soll Sie nicht beleidigen, Hoheit, aber – wir sind beauftragt, Erkundigungen bei Ihnen einzuziehen, ob der übelberatene Flüchtling vielleicht bei Ihnen Schutz gesucht, und …«

»Eine Nachsuchung nach dem Knaben bei mir zu halten, bloß weil ich ein Hindu bin und in der Nähe von Cawnpur wohne,« vollendete der Maharadschah kalt. »Bitte, Sir, vollziehen Sie Ihre Befehle. Die Offiziere der Garnison von Cawnpur waren zu oft Gäste in dem Hause Srinath Bahadurs, als daß sie seine Räume für eine Durchsuchung nicht genügend kennen sollten.«

»Ich fühle ganz das Unangenehme meines Auftrags, Hoheit,« erklärte beschämt der Offizier, »und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben …«

»Sir,« sagte kalt der Fürst, »die Kinder dieses Landes sind schon zu sehr gewöhnt, ihre Anhänglichkeit und Hingebung an die englische Regierung durch Mißtrauen und Kränkungen vergolten zu sehen, als daß sie sich darüber beschweren dürften. Indes glaubte ich wirklich durch meinen Rang und die Dienste, die ich erwiesen, vor persönlichen Beleidigungen geschützt zu sein. Ich werde mich, sollten Sie nicht etwa den Auftrag haben, über meine Freiheit zu disponieren, morgen früh nach Cawnpur begeben, um General Wheeler mein Bedauern auszusprechen, daß man bei Srinath Bahadur eine Unterstützung der Feinde der Regierung auch nur für möglich halten konnte, um so mehr, als ein mindestens eben so merkwürdiges Ereignis, wie die Flucht eines Gefangenen oder der Brand eines Bungalow mich bereits hatte beschließen lassen, die Hilfe des Generals und des Residenten morgen zu weiteren Nachforschungen in Anspruch zu nehmen.«

»Darf ich wissen, was Sie meinen, Fürst?« fragte der Kapitän, der, obschon ihm die Anwesenheit der unglücklichen Irländerin in dem Hause des Residenten gleichfalls Geheimnis geblieben, auf dessen spezielle Veranlassung das Kommando nach Bithoor begleitet hatte.

Rivers wußte durch die Begegnung im Garten, daß sein unglückliches Opfer nicht in den Flammen umgekommen, sondern in den Händen eines Feindes war. Aber er konnte nicht mit Bestimmtheit wissen, ob der Brand seines Hauses und die Befreiung der Irländerin ein Werk ihres betrogenen Gatten oder ein Zufall war und ob man sie bereits nach Bithoor zurückgebracht. In jedem Fall beschloß er, auf seine Macht vertrauend, einer Anklage mit keckem Leugnen entgegen zu treten, da der Wahnsinn der Unglücklichen jedes giltige Zeugnis unmöglich machte, und Hendrick Prätorius, der Deserteur, nicht wagen durfte, gegen ihn aufzutreten. Aber er beschloß, alles Mögliche aufzubieten, diesem plötzlich erschienenen Feinde auf die Spur zu kommen und ihn unschädlich zu machen. Er selbst sprach den Verdacht aus, daß der Nena an der Flucht des Prinzen beteiligt sein könne und riet zu seiner sofortigen Verhaftung, und nur der rechtliche, biedere Sinn des Generals verhinderte die Maßregel, indem er sich begnügte, durch Absendung der Offiziere sich zu überzeugen, daß der Maharadschah in feinem Palast anwesend und bei den Vorgängen des Abends nicht beteiligt sei.

»Sie wissen,« fuhr der Maharadschah fort, »daß Lady Margaret, meine Gattin, vor etwa drei Monaten, während meiner unglücklichen Abwesenheit, auf unerklärliche Weise verschwunden ist?«

»Ganz Audh weiß es, kennt und ehrt Ihren tiefen Schmerz, Hoheit, und beklagt Sie. Die verruchten Thugs …«

»Die Thugs sind unschuldig an diesem Verbrechen. Sehen Sie selbst.«

Er schritt zu dem Diwan und zog die verhüllende Decke fort. Augenblicklich erkannten die Offiziere die oft gesehene Frau trotz der Spuren des Elendes und der Krankheit.

»Lady Margaret! Um Gotteswillen, Hoheit – –«

»Sorgt für Eure Gebieterin und bereitet ihr Gemach,« befahl der Maharadschah den beiden Frauen. »Diese Jammergestalt, krank, jeder Erinnerung beraubt, Sir, ist das, was von der Gattin Srinath Bahadurs zu ihm zurückgekehrt ist.«

»Aber wie – wann?«

»Kaum eine Stunde vor Ihrer Ankunft fanden meine Diener mein Weib allein an der Thür meines Hauses liegend. Begreifen Sie nun, Sir, daß ich andere Sorge habe, als die Flucht Dhulip Singhs zu fördern und ihn zu verbergen?«

Leutnant Sanders, selbst der kaltherzige liederliche Mowbray waren erschüttert von dem schrecklichen Anblick, der sich ihnen so unerwartet geboten.

»Haben Sie noch keine Spur – keine Vermutung, Sir, wer die Räuber gewesen?« fragte der Leutnant.

»Hören Sie das Lachen, die Worte der Unglücklichen,« sagte der Maharadschah, nach der Irren deutend, die in den Armen der Frauen eben wieder die traurige Ballade, von wirren Phantasieen unterbrochen, anhob, »und Sie werden sich überzeugen, daß ihre Vernunft und ihre Erinnerung dahin ist. Offenbar war sie von den Phansigars, den Dieben, geraubt und ist erst wieder freigelassen worden, nachdem man ihren Verstand mit giftigen Mitteln verwirrt hat. Die Schurken wollten sich rächen dafür, daß ich ein Dutzend ihrer Genossen auf meinem Gebiet hängen ließ, weil sie einen Faringi-Kaufmann beraubt.«

»Aber Sie sind so gefaßt, so ruhig, Hoheit, bei dem entsetzlichen Ereignis?«

»Was kann ich gegen das Schicksal thun?« erwiderte mit der Resignation eines echten Orientalen der Hindu. »Das Fatum steht über uns, und seit drei Monaten betraure ich mein Weib als eine Tote.«

Der Kapitän winkte mit leisem Achselzucken seinem Gefährten, als wolle er sagen: da sehen Sie, was an den Gefühlen dieser Halbwilden ist! Leutnant Sanders jedoch ergriff mit aufrichtiger Teilnahme die Hand des Maharadschah. »Hoheit,« sagte er, »das Unglück, das Sie betroffen, ist zu groß, als daß ich mir es nicht zum Verbrechen anrechnen würde, Sie noch länger zu stören. Wir kehren nach Cawnpur zurück, und wenn es irgend in unserer Macht steht, Ihnen mit etwas zu dienen, dann befehlen Sie über unsern Eifer.«

»Wenn ich Sie bitten darf, Sir, so senden Sie mir sobald als möglich ärztliche Hilfe, vielleicht Doktor Clifford.«

»Der Doktor,« sagte der Leutnant zögernd, »befindet sich augenblicklich in Haft; ich zweifle aber keinen Augenblick, daß es ihm gelingen wird, sich von jedem Verdacht zu reinigen, dem Entflohenen Hilfe geleistet zu haben, und ich hoffe, schon morgen früh ihn wieder in Freiheit zu sehen.«

Der Bahadur lächelte trübe. »Wahrlich Sir,« sagte er, »es scheint schwer, dem Verdacht Ihrer Behörden zu entgehen, selbst bei der treuesten Pflichterfüllung. Wenn Sie noch den geringsten Argwohn hegen, so durchsuchen Sie auf das strengste mein Haus. Daß hier unter Freunden und Dienern das Knabengesicht Dhulip Singhs nicht zu finden ist, werden Sie bereits gesehen haben. Mir aber erlauben Sie, für jene Unglückliche Sorge zu tragen und sie in die Gemächer zu schaffen, die sie in glücklichen Tagen bewohnte. Meine Diener sollen Sie indes als meine Gäste mit allem versehen.«

Die Offiziere jedoch, jetzt überzeugt, daß der Gesuchte hier nicht zu finden sei und der Nena keine Kenntnis der Flucht gehabt, lehnten sein Anerbieten auf das bestimmteste ab und verabschiedeten sich.

Wenige Minuten darauf ertönte das Kommando zum Abmarsch, und die Reiter trabten auf der Straße nach Cawnpur wieder davon.

Der Nena hatte die Offiziere bis an das Thor des Bungalow begleitet und sie gebeten, den General und den Residenten von dem seltsamen Wiederfinden seiner Gattin in Kenntnis zu setzen, bis er selbst am andern Morgen bei ihnen erscheinen könne. Einige Augenblicke noch stand er auf der Schwelle des Thors und schaute den Soldaten nach. Dann spie er verächtlich hinter ihnen drein und wandte sich um.

Alles Höfische, Ruhige und Gedrückte war aus seiner Haltung verschwunden, sein Auge blitzte unheimlich und entschlossen wie vorher; in dem festen Tritt, mit dem er zu dem Gemach zurückkehrte, wo seine Freunde versammelt waren, lag der energische Wille der That.

»Laß den Zugang bewachen, Gibson, und überzeuge Dich, daß kein englischer Späher in der Nähe zurückgeblieben,« befahl er. »Welche Stunde der Nacht ist es?«

»Mitternacht, Hoheit!«

»Dann können die Diener und Frauen des Haushalts jeden Augenblick von dem Fest zurückkehren. Ohnehin wird sie das Erscheinen der Faringi-Soldaten erschreckt haben. Die Ankunft meines Weibes soll ihnen verborgen bleiben bis morgen.«

Während seine Befehle ausgeführt wurden, trat er zu seinen Freunden. Tukallah hatte unterdes der Königin, die nur wenig englisch verstand, mitgeteilt, daß die Faringi ihre Nähe argwöhnten, und es war beschlossen worden, daß die Maharani bei Tagesanbruch ihre Reise in Männerkleidern antreten, die Prinzessin aber vorläufig unter der Maske einer Dienerin im Schutz des Maharadschah zurückbleiben sollte, bis Nachricht von dem glücklichen Entkommen der Mutter und des Sohnes eingegangen wäre, und sie ohne Gefahr folgen könnte.

Da nur wenigen die Anwesenheit der Königin in Bithoor bekannt, so bestand diese selbst darauf, sofort von ihrer Tochter und den Freunden zu scheiden und sich in die ihr eingeräumten geheimen Gemächer in dem einen Flügel des Palastes zurückzuziehen.

Der Maharadschah befahl Mac Scott, seinem alten Erzieher, die Maharani dahin zu geleiten und für ihre Sicherheit zu sorgen.

Die Nähe des jungen, lieblichen Mädchens schien einen beruhigenden Einfluß auf den Zustand der Irren auszuüben, denn sie war stiller und stiller geworden und die gänzliche Erschöpfung ihrer Kräfte hatte sie endlich in einen festen und tiefen Schlaf versinken lassen. In diesem Zustand trug der Maharadschah, gefolgt von der jungen Prinzessin, die teure Last auf seinen Armen nach der Zenanah.

Dort legte er sie sanft auf das Lager, das so lange einsam und leer gewesen, und schlug sorgfältig die Vorhänge um dasselbe. Mahana bereitete sich ein Lager im Vorgemach, so daß sie jede Bewegung der Kranken hören konnte.

Die Männer hatten sich auf den Teppichen und Diwans der Halle, in der sie bis jetzt versammelt gewesen, zum Schlafe niedergestreckt, und noch ehe eine Viertelstunde vergangen, lag das Bungalow finster und in tiefer Ruhe.

Die einzelnen heimkehrenden indischen Diener suchten geräuschlos ihre Lagerstätten.

Nur zwei Männer wachten; der stille Friede der Nacht gewährte ihnen keine Ruhe nach den leidenschaftlichen Erregungen des Tages.

Es waren der Bahadur und Tukallah.

Der letztere lag, das finstere Gesicht in die Hand gestützt, sinnend auf der Matte, die ihm zum Lager diente. Er fühlte, daß er über den Nena gesiegt und den Tiger in ihm geweckt hatte, aber die plötzliche Verwandlung im Benehmen des Bahadurs bei dem Eintreffen der britischen Offiziere machte ihn stutzig, und er begann zu zweifeln, ob der Charakter des Fürsten auch stark genug sei, die erweckten Leidenschaften in Thaten zu äußern.

Plötzlich, ohne daß er die Annäherung eines anderen bemerkte, berührte eine fremde Hand leise seine Schulter.

Der Mahratte fuhr in die Höhe und seine Hand faßte unwillkührlich an den Griff seines Handjars.

Umschauend sah er einen in feine weiße Obergewänder gehüllten Mann vor sich stehen. Die Falten des Mantels öffneten sich einen Augenblick – es war der Nena!

Er legte den Finger auf die Lippen und deutete auf die Schlafenden umher. Dann beugte er sich zu ihm nieder. Was er sagte, schien mehr ein Hauch der Gedanken, und dennoch schlug es deutlich an das Ohr des Mahratten.

»Komm – ich habe mit Dir zu sprechen!«

Wie ein Schatten glitt er durch das Gemach und den Teppich, der die Thür zum Garten bedeckte.

Der Serdar erhob sich, und bei dem schwachen Schein des Sternenlichts sorgfältig die Berührung der Schlafenden vermeidend, folgte er dem Nena.

Dieser erwartete ihn auf dem Platz vor der Veranda.

Schweigend schritt er voran, weiter in das Dickicht des Gartens – der Mahratte folgte ihm.

Es war eine schöne Nacht.

Köstlicher Wohlgeruch erfüllte die Luft. Aus dem dunklen Laub der Cypressen und den gefiederten Blättern der Tamarinden flötete die indische Nachtigall ihr Lied.

Dazwischen hörte man das Plätschern der Fontänen, das Rauschen des gewaltigen Stromes und die Töne der Lust und Freude, die noch immer nicht erstorben waren.

An dem Marmorbassin der mittleren Fontäne blieb der Maharadschah stehen und lehnte stumm und nachdenkend mehrere Minuten an dem kalten Stein.

Vor ihm, ihn ruhig beobachtend, stand der Mahratte.

Jetzt erhob der Nena sein Haupt. Sein Blick war kalt und entschlossen und schwer zugleich, als wolle er in das Innerste der Seelen dringen, als er sich jetzt zu dem Serdar wandte.

»Tukallah oder Tantiah-Topi, Guru der Thugs! Srinath Bahadur hat mit Dir zu reden.«

Unwillkürlich fuhr der Mahrattenhäuptling zusammen und eine dunkle Röte überflog sein Gesicht.

»Was fällt Dir ein, edler Bahadur? Mit welchem Namen nennst Du mich?«

Der Nena lächelte verächtlich. »Wenn Du es denn so willst – wohlan! – ich habe eine Frage an Dich zu stellen.«

»Frage!«

»Du bist ein Mitglied des Bundes der Würger, vielleicht ihr Oberhaupt? Ich habe Beweise, die …«

»Halt ein, Thor! Weißt Du nicht, daß, wer die Geheimnisse der Diener der mächtigen Bhawani enthüllt, ihr opfern oder sterben muß?«

»Bin ich ein Sohn Indiens und sollte es nicht wissen? Antworte auf meine Frage!«

Der Mahratte sann einige Augenblicke schweigend nach, dann fragte er selbst:

»Sage mir, wie kamst Du zu dem Glauben?«

»Schon als Knabe, als ich einige Zeit am Hofe der großen Begum von Somroo zubrachte mit Dyce Ochterlony, meinem unglücklichen Verwandten und seinen Schwestern, sah ich einst in den Wäldern umherschweifend und im Gebüsch verborgen Männer einen Wanderer töten, der am Fuß einer Tamarinde schlief. Zwei der Männer, die es thaten, waren mir unbekannt, der dritte hatte sich erst kurze Zeit vorher zu ihnen gesellt, und ich kannte ihn wohl. Es war der Mayadar meines Verwandten – Du selbst.«

»Und Du bewahrtest das Geheimnis, Srinath Bahadur?«

»Ich bewahrte es in der Knabenbrust – was sollte ich davon reden! Der Wanderer war vielleicht Dein Feind, und Du hattest ein Recht, ihn zu töten. Viele Jahre dachte ich nicht mehr an die Erinnerung des Knaben – bis sie vor wenig Monden wieder in mir emporstieg und das, was ich erfuhr, bestätigte.«

»Fahre fort, Bahadur. Von welcher Gelegenheit sprichst Du?«

»Von Malangher, Deiner Burg! Ich ahne ihre Geheimnisse, denn ich selbst entzog der Bhawani dort zwei der ihr geweihten Opfer!«

»Wahnsinniger Thor, so mußt Du sterben!« Seine Hand faßte nach dem Dolch im Gürtel.

Der Bahadur winkte verächtlich. »Ich werde sie der Dunkeläugigen wiedergeben, denn es waren Faringi, und mehr als sie. Ströme von Blut, Berge von Leichen soll die mit den Schlangenarmen von Srinath Bahadur empfangen! Auf ihren Altar will ich die Zerstörung von tausend Leben legen. Erbärmlicher Dienst, den Ihr der erhabenen Göttin der Vernichtung weiht, indem Ihr das Leben eines einzelnen Wanderers nehmt und gleich der Schlange den arglosen Wicht überfallt, statt die Völker und Geschlechter nieder zu werfen vor die Stufen ihres Tempels und mit den Gräbern derer, denen Brahma keine Auferstehung gewährt, das Angesicht der Erde zu bedecken?«

»Und Du bist der Mann, Srinath Bahadur – das große Werk der Vernichtung zu vollenden?«

»Ich bin es, Tantiah-Topi! Sage mir jetzt: bist Du ein Thug?«

»Ich bin es! Sei der Unsere oder stirb!«

»Du bist das oberste Haupt des Bundes?«

»Ich bin nur ein Guru – doch einer der mächtigsten und größten unter den Dienern der Khali. Ich bin der Nächste zur Oberherrschaft über alle, die der Göttin folgen, und werde sie besitzen, ehe die Weltschlange zum zweitenmal in den Arm der Nacht gesunken ist! Seine Zeit ist gekommen!«

»Wohlan, ich will ein Thug werden wie Du – kein Mörder der einzelnen Wehrlosen, aber der Vernichter und Zerstörer der Erschaffenen. Ich will ein Volk opfern auf den blutigen Stufen ihres Altars, aber ich muß der Herr sein über den Tod und alle seine Diener, nicht sein niederer Knecht! Wüten will ich unter den Lebendigen gleich dem Tiger unter dem feigen Wild der Dschungel! Ein Grab soll die Welt sein und die Brut der Faringi seien die ersten, die es füllen! Gieb mir die Macht, Tantiah-Topi, gieb mir die Macht! und die Göttin soll jauchzen über die Opfer, die ich ihr bringe!«

»Srinath Bahadur,« sagte langsam der andere, »ich kenne Dich wohl! Du bist der Tiger, und wirst die Geschlechter der Sterblichen zerfleischen. Bei der heiligen Spitzaxt, Du sollst das Oberhaupt der Würger sein, wenn Du die Proben bestehst, und ich der erste Deiner Sklaven!«

»Wann soll die Macht in meinen Händen sein? Denn meine Seele lechzt nach dem Werk der Vernichtung.«

»Bist Du der Tiger, so sei auch die Schlange; daß Du ihre Klugheit und ihre Geschmeidigkeit besitzest, hast Du gezeigt, als die Faringi-Offiziere in das Geheimnis Deines Bungalow drangen. Da, Srinath Bahadur, lernte ich Dich bewundern und dieser Stunde hast Du es zu danken, daß Du der erste aller Menschen werden sollst, in dessen Hand die Macht des Todes ist.«

»Ich will die Schlange sein, wie ich fühle, daß ich der Tiger bin. Gleich der Schlange werde ich harren der rechten Zeit, auf das Opfer zu stürzen, wenn ich weiß, daß die Macht in meinen Händen ist. Sprich, wann werde ich der Ober-Guru aller Würger sein?«

»Noch in dieser Nacht – wenn Du willst!«

»Ich will! Was hab' ich zu thun, um ein Thug zu sein, wie Du?«

»Zu beweisen, daß Du ein Mann bist!«

»Rede!«

»Ehe Du küssen darfst die heilige Spitzaxt, mußt Du der Opfer drei auf den Altar der großen Bhawani legen – drei Opfer, die zeigen, daß Du mit allem, was Dir heilig war im Leben, gebrochen, um ihr zu dienen!«

»Ich will.«

»Kannst Du den Freund töten, dessen Lager Du geteilt, dessen Arm Dich beschützt, dessen Liebe Deine trüben Stunden erheitert. Deine frohen geteilt hat, der sein Leben eingesetzt für das Deine? Kannst Du lohnen die heilige Schuld des Dankes mit Tod und Vernichtung im Dienst der Khali?«

»Ich will.«

»Kannst Du täuschen das Vertrauen? Kannst Du das Leben des Gastes opfern, der Deine Schwelle überschritt und dessen Haupt zu schirmen, Dir heilige Pflicht – kannst Du die Jugend und Unschuld opfern auf dem Altar der Khali?«

»Ich will es.«

»Wohlan, so beweise es! Das dritte Opfer will ich Dir zeigen, wenn es an der Zeit ist.«

Der Maharadschah starrte eine kurze Zeit vor sich hin – Gedanken und Gefühle wälzten sich in dieser jetzt mit der Lossagung von allem Heiligen, Menschlichen kämpfenden Brust. Dann fielen seine Augen auf den einsamen schwachen Schimmer der Lampe, die aus der Zenanah des Bungalow ihren spärlichen Lichtstreif in das Dunkel der Büsche sandte, das schreckliche Los des geliebten Weibes verkündend, und seine Gestalt schnellte in die Höhe, wie das Raubtier zum Sprung.

»Wie soll ich die Opfer bringen?«

Der Mahratte knüpfte das furchtbare Seidentuch los, das seinen Turban umwand, und reichte es ihm.

Dann nahm er den Dolch aus seinem Gürtel und gab ihm gleichfalls denselben.

»Nimm beides! Die Bhawani gestattet es Dir, zu wählen für das erste der Opfer; denn Messer und Tuch sind geweiht an ihrem Altar, und die des Werkes nicht geübte Hand darf nicht fehlen, wo es so wichtiger gilt. Bist Du entschlossen?«

»Ich bin's!«

Der Serdar ahmte zweimal den Schrei des Adlers nach.

Sogleich tauchten aus dem Schatten der Gebüsche zwei menschliche Gestalten auf und nahten sich ehrfurchtsvoll, die Hände über der Brust gekreuzt.

Es waren zwei fast nackte, bronzefarbene Männer, nur mit dem Hüftenbund bekleidet und um den Kopf das verhängnisvolle Seidentuch geschlungen.

»Holt Eure Werkzeuge, Ihr Lughas, und grabt das Grab an dieser Stelle!« befahl der Guru.

Die beiden Thugs neigten gehorsam das Haupt und verschwanden. Wenige Augenblicke darauf kehrten sie zurück, ein kleines, einer Schaufel ähnliches Eisen in der Hand, das sie an die Spitze eines Stabes steckten und mit dem sie sich mit wunderbarer Behendigkeit daran machten, ein langes und breites Grab zu graben, indem sie zuerst den Rasen in viereckigen Stücken ausstachen und sorgfältig beiseite legten, dann aber den Boden mit einer Schnelligkeit und Geschicklichkeit aushöhlten, die bewies, welche Übung sie in ihrem schrecklichen Handwerk besaßen.

Das Grab wuchs vor den Augen des Maharadschah in die Tiefe.

Plötzlich gab der Mahratte das Zeichen einzuhalten man hörte Schritte, die von der Seite des Palastes daherkamen.

»Der Fuß eines Fremden naht! Verbergt Euch!« befahl der Guru.

Der Maharadschah winkte verneinend. »Es hat keine Gefahr – bleibt an Eurer Arbeit!«

»Wer ist es, der kommt?«

»Das erste der Opfer!« Er ging dem Nahenden entgegen und traf ihn wenige Schritte von dem geöffneten Gitter, das den Garten des Palastes von dem des Bungalow trennte.

Es war Mac Scott, der Schotte, der Lehrer und Erzieher des Maharadschah, sein treuer Diener und Freund, der Gefährte in hundert Gefahren, der ihn so viele Jahre gleich einem Sohne geliebt.

»Woher kommst Du?« fragte ihn der Bahadur.

»Hoheit – ich komme von der Schwelle der Maharani, deren Sicherheit während dieser Nacht Du mir anvertraut hast. Ich glaubte Stimmen zu hören im Innern der Gärten, und wollte mich überzeugen, ob Späher oder Feinde in der Nähe. Erlaube, daß ich zu meiner Pflicht zurückkehre.«

»Ich habe eine andere für Dich. Komm!«

Er schritt ihm voran nach dem Platze vor dem Springbrunnen, wo die Lughas bei ihrem Nahen mit ihrer schrecklichen Arbeit inne hielten, und in den Schatten der Gebüsche zurücktraten.

An dem Rande des bereits drei Fuß tiefen Grabes stand der Mahratte, die Arme über die Brust gekreuzt.

Das Helldunkel der Nacht erlaubte nicht, das Gesicht der handelnden Personen näher zu beobachten. Bei dem Licht des Tages wäre der wackere Squire erschrocken gewesen vor der fahlen Farbe, die das Gesicht seines Herrn bedeckte und dem unheimlichen gespenstigen Schimmer seiner Augen.

»Antworte mir vor diesem Mann auf meine Fragen, Mac Scott,« befahl der Maharadschah mit dumpfer Stimme, indem sein Finger auf den Mahratten wies. »Wie lange ist es her, daß Du des Knaben Srinath Freund wurdest?«

»Du weißt es, Hoheit,« sagte der alte Mann erfreut über die Benennung, die ihm die Wiederkehr der Gunst und des Vertrauens seines Zöglings verbürgte. »Ich trat zwei Jahre eher als Gibson in den Dienst des Peischwa, Deines Vaters, und sechzehnmal hat der große Regen seitdem das Land von Indien befruchtet.«

»Und warst Du mir nicht wie ein Vater, wie ein Freund? Hast Du mich nicht geliebt, obschon Du ein Faringi und ich ein Sohn der heißen Sonne war?«

»Gott weiß es, Hoheit. Es waren wenige Tage in diesen sechzehn langen Jahren, die ich getrennt von Dir zubrachte, und wollte der Himmel, es wären ihrer gar keine gewesen, denn dann hätte ich das Unglück nicht gehabt, zu erfahren, daß Deine Augen auf dies weiße Haar noch mit Groll und Mißtrauen schauen könnten.« Es lag eine schmerzliche, tief empfundene Resignation in den Worten des alten Mannes. »Ich habe keinen Sohn meines eigenen Blutes gehabt, Hoheit, Dich aber liebte ich, wie ich einen solchen geliebt hätte. Ich lehrte Dich die Sprache meiner Heimat und der Franzosen und was ich sonst von Sitten und Künsten noch wußte nach dem rauhen abenteuerlichen Leben meiner Jugend, wie der Steuermann den Matrosen, oder das Wild des Waldes sein Junges. Ich sah Dich zum Manne reifen und war stolz auf Dich.«

»Zweimal, Mac Scott, war Deine Hand und Deine Klinge zwischen mir und dem Tiger, den meine Kugel nur verwundet,« fuhr der Maharadschah fort, »ein drittes Mal rettetest Du mich aus den Fluten des Ganges, als ein Krampf meine Kraft erlahmte.«

»Was erwähnst Du der alten Geschichten, Hoheit! Ich that nur, was Pflicht und Neigung gebot, und es lohnt nicht der Mühe, davon weiter zu sprechen.«

»So liebst Du mich noch und bist mein Freund?«

»Ich werde glücklich sein, Hoheit, wenn Du mich wieder so nennst! Die letzten Monate haben mein altes Herz schwer betrübt mit der Furcht, daß Du mir Deine Liebe entzogen hättest.«

»Und würdest Du für Deinen Sohn, Deinen Freund willig ein Opfer bringen, ein Wagnis bestehen?«

»Mein Blut für Dich, Hoheit, wenn es Dir nützen kann! Sage mir, was ich thun soll, und diese alten Knochen werden so jung und rüstig sich zeigen, wie damals, als ich Dich zuerst ein Segel spannen und die Kugel in einen Büchsenlauf stoßen lehrte. Mein altes Leben gehört Dir, Du weißt es.«

»So gieb es für mich – und die Bhawani möge es empfangen!« Der Malayendolch blitzte im Sternenlicht und die Klinge bohrte sich bis zum Heft in die Seite des alten Mannes.

Der greise Tigerjäger warf die Arme in die Luft, taumelte einige Schritte und stürzte mit einem Ächzen nieder an dem Rande des Grabes, das so plötzlich das seine werden sollte.

»Nena – Prinz – was thust Du? – Ich bin des Todes!«

»Du bist es – Du selbst botest mir Dein Leben.«

»Und Deine Hand – barmherziger Gott, sei ihm und meiner Seele gnädig!« Ein dunkler Blutstrom quoll über die Lippen des Opfers, die lange sehnige Gestalt krümmte sich im Todeskrampf – nur wenige Augenblicke und alles war vorüber, und zwischen den duftenden Blumen und Blättern, unter dem heiteren, glänzenden Sternenhimmel lag die blutige Leiche des alten Mannes und das gebrochene Auge starrte hinauf zu dem Dome des rächenden und richtenden Gottes.

Der Nena zeigte auf die Leiche. »Möge die Bhawani das Opfer empfangen!«

Der Mahratte tauchte seine Hand in das Blut des Ermordeten und berührte Stirn und Augenlider des Mörders damit. Dann klatschte er in die Hände und sogleich erschienen die beiden Lughas wieder und begannen ihre Arbeit aufs neue.

»Du hast die Schwäche der Dankbarkeit aus Deinem Herzen gerissen,« sprach der Furchtbare, »Deine Seele ist stark. Zeige, daß auch die heiligste Sitte der Väter ein Hauch ist vor der Dunkeläugigen, daß der Geist Deiner Schwelle, der Schlaf des Schuldlosen, der Dir vertraut, nicht Schirm ist gegen den Ruf der Khali.«

Der Maharadschah ließ den Dolch fallen, seine Hand griff nach dem Rumal, dem mörderischen Seidentuch, und sein Fuß hob sich zum Gehen.

Dann plötzlich hielt er zögernd inne, offenbar kämpfte er mit sich, welchen Weg er nehmen solle.

Der Mahratte betrachtete ihn höhnisch.

»Du zauderst?«

»Bei den Unterirdischen – nein!«

Der Bahadur verschwand in den Büschen, in der Richtung des matten Strahles der Lampe aus der Zenanah.


Der Schlaf der Wahnsinnigen war tief und schwer, das Keuchen ihrer Atemzüge deutlich hörbar im offenen Nebengemach, in dem Mahana, die Prinzessin von Lahore schlief.

Das junge Mädchen lag auf einem Haufen gelbseidener Kissen in züchtiger Stellung, halb von dem Yaschmack, dem langen farbigen Schleier, verhüllt. Der reizende Kopf, von den entfesselten, wallenden Haaren umflossen, ruhte auf dem entblößten linken Arm, während die kleine reizende, zierliche Hand den knospend und fest gewölbten Busen schützend bedeckte, den die herabgeglittene Hülle entblößt ließ. Das sanfte Rot der Jugend, der Gesundheit und der Unschuld lag auf ihren dunklen Wangen, und der volle Mund war halb geöffnet, als komme der Name des Mannes, dem ihr junges kindliches Herz schlug, über die roten Lippen.

Arme Mutter – hast Du den Sohn nur gewonnen, um die Tochter zu verlieren? Wo bist Du, stolze, heimatlose Königin von Lahore, daß Du Dein Kind dem Mörder zur Beute lässest?

Die Maharani lag in tiefem Schlaf, nach so viel Stunden der Spannung und Aufregung, nach mancher bangenden Nacht. Auch sie träumte – vielleicht vom wiedererweckten Glanz des alten Thrones Rundschid Singhs, auf dem Dhulip Singh, ihr Sohn, saß.

Aber Du, Murad Khan, tapferer, junger, ungestümer Held! Du Liebling und Ebenbild des Krischna, Sohn von Kashmir, wo bist Du bei der Gefahr der Geliebten?

Durch die ödesten Striche des Landes, welche den Ganges von seinem Bruder, dem Gogra, trennen, jagte die kleine Reiterschar, die den geretteten Sikh-Prinzen geleitete, an seiner Seite der junge Khan, das Auge spähend umher nach jeder Gefahr, stolz und glücklich in dem Dienst, den er leistete, entschlossen, mit seinem Herzblut den Bruder Mahanas zu verteidigen.

Wie sollte er auch fürchten für sie? War sie nicht unter dem Schutz der edlen Mutter und unter dem Dach des edlen mächtigen Freundes, unter dem unverletzbaren Schirm der heiligen Gastfreundschaft? Hatte er nicht noch wenig Stunden vorher in ihr feuchtes, liebeschwimmendes Auge geblickt.

Glückliche Mahana, die Du von dem Tapferen, Schönen und Edlen geliebt wirst!


Der Teppich am Eingang des Gemachs erhob sich – ein bleiches, fahles Männergesicht schaute hinein, stiere Augen lauschten durch das Gemach.

Nur die Atemzüge der Schlummernden belebten den Raum.

Dann glitt geräuschlos die Gestalt des Lauschenden herein.

Kalter Schweiß perlte in dicken Tropfen von der blutig bezeichneten Stirn, die schmalen Lippen waren zusammengepreßt von dem Ringen eines entsetzlichen Entschlusses!

Und wie eine Schlange sich windet in unhörbaren Wellen zu ihrem ahnungslosen Opfer, wand sich der Bleiche über den weichen Teppich des Gemachs zu dem Lager des unschuldigen, schlummernden Mädchens.

Mahana schlummerte ruhig weiter, keine Ahnung schlich sich in ihren Traum, kein Schutzgeist nahte ihr mit warnendem Flügelschlag.

Der Bleiche war an ihrer Seite und beugte sich über sie, ihren Atem belauschend. Dann zog seine Rechte das verhängnisvolle Tuch vom Nacken und seine stieren Blicke beobachteten die Lage der Schlummernden, um ein schreckliches Werk zu vollbringen.

Sie mochte wohl zu ungünstig sein, denn der Furchtbare ließ das erhobene Tuch wieder sinken. Der Kopf der Prinzessin ruhte, wie erwähnt, auf ihrem linken gebotenen Arm, und dieser schützte noch das junge Leben.

Einige Augenblicke vergingen – Momente – so kurze Atome in der Ewigkeit und dennoch so lang, so inhaltschwer, daß der Kampf einer mächtigen Seele noch einmal all seine Phasen durchtoben konnte.

Da regte es sich in dem Nebenzimmer.

Die unglückliche Gattin des Nena schien erwacht oder im Traume zu sprechen. Sie sang das schaurige Lied Ophelias von dem Weidenbaume am Bach.

Augenblicklich erwachte das Hindumädchen und erhob den Kopf, nach der Kranken zu lauschen.

Ihr Auge fiel auf das entstellte, blutgezeichnete Gesicht des Fremden und wurde starr vor Schreck.

Ihre erste Bewegung war die der Schamhaftigkeit, sie zog die niedergefallene Decke über den entblößten Busen. Zugleich aber öffnete sich der kleine Mund, als wolle er einen Ruf des Schreckens, der Hilfe ausstoßen.

Aber kein Ton kam über ihre Lippen. Noch ehe ein Laut sich ihnen entrungen, flog das Tuch über ihr Haupt und eine starke Faust umkrallte den zarten Hals und erstickte den Ruf.


Aus dem Gebüsch trat der Nena – er trug eine schwere, in eine Decke gehüllte Last, einer Menschengestalt ähnlich, auf seiner Schulter.

So trat er auf den Platz vor dem Springbrunnen, wo die Lughas jetzt ihr nächtliches Werk vollendet hatten, und warf die Bürde von seiner Schulter an der anderen Seite des Grabes zu Boden.

»Nimm!« sagte er finster, »das Dach Srinath Bahadurs ist fürder kein Schirm mehr für den Gast!«

Er kreuzte die Arme, während der Guru die Decke von dem Opfer entfernte.

Ein junger, in leichte Nachtgewänder gehüllter Frauenkörper lag vor ihnen, das Haupt noch in den Rumal geschnürt, unter dem die Locken und Flechten des Haares hervorquollen.

»Mahe Tschund,« sagte der Serdar spottend, »wird sich künftig mit dem Sohne begnügen müssen, und Murat eine kalte Braut in die Arme schließen! Legt die Geweihten der Dunkeläugigen in das Grab und tilgt seine Spuren.«

Mit der an ihnen gewohnten Schnelligkeit und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, legten die beiden Lughas zuerst die Leiche des ermordeten Schotten in das Grab und neben diese, mit den Füßen nach der entgegengesetzten Seite, die des jungen Mädchens.

Im Nu bedeckte die Erde die beiden Körper und das Grab füllte sich.

»Ich erwarte des Dritten!« sagte der Maharadschah mit dumpfem Tone.

Der Serdar sah nach den Sternenbildern.

»Es ist Zeit! Wo ist das Lager der Bheels?«

»In den Ruinen des Tempels der Dunkeläugigen, in der Dschungel von Dscheddahgoor,« erwiderte einer der Lughas.

»Wie weit ist es dahin?«

»Vier Koß!« Indische Meilen, 3 auf eine deutsche.

»So laß uns aufbrechen. Kannst Du uns Pferde geben, ohne daß es die Aufmerksamkeit Deiner Diener erregt?« fragte der Guru den Fürsten.

Dieser nickte stumm und schritt voran nach dem Ausgang, der nach der Seite der Ställe führte. Die Lughas blieben zurück und vollendeten das Grab, über das sie so sorgfältig den ausgehobenen Rasen deckten, den sie mit dem Wasser des Springbrunnens befeuchteten, daß auch das schärfste Auge keine Spur des Geschehenen zu entdecken vermocht hätte.

Der Bahadur öffnete mit einem Schlüssel die Thür der Seitenmauer, verschloß sie sorgfältig und führte den Thug schweigend durch die Lorbeer- und Myrtengebüsche weiter bis zu den Ställen, in die er eintrat.

Wenige Minuten darauf erschien er wieder mit zwei nur mit ihren Decken gesattelten indischen Mustangs.

»Kein englisches oder arabisches Pferd würde den Ritt aushalten, den wir zu machen haben,« sagte er, indem er den einfachen Zügel von starken Bastschnüren des einen Tiers dem Gefährten reichte. »Fort denn!«

Er warf sich auf das kleine aber starke Tier mit den zottigen, buschigen Haaren und den funkelnden Augen und sprengte davon.

Ihm folgte der Mahratte.


Zwei wilde Reiter flogen durch den Sumpf, den das austretende Wasser des Ganges alljährlich bei der Regenzeit füllte – zwei Reiter, gleich gespenstigen Dämonen der Nacht. Die kleinen kräftigen Pferde sprangen gleich Kobolden von einer Erhöhung zur anderen, so einen Weg durch das Moor findend, wo jedes andere Roß beim nächsten Tritt versunken wäre.

Und als sie den festen Boden gewonnen und in das Dickicht der Dschungel eindrangen, stürzten sich die mutigen Tiere, vertrauend auf ihr hornartiges Fell, furchtlos in das Gestrüpp der Lianen, des Feigenkaktus und der zähen mit Dornen bedeckten Schlingpflanzen, kein Hindernis kennend, überall sich Bahn brechend. Die Reiter hatten freilich genug zu thun, sich selbst zu schützen, und mancher Fetzen ihrer Kleidung blieb im Hindurchfliegen an den Ranken und Dornen zurück.

Der tolle Ritt – der Maharadschah voran, der den Weg zeigte – mochte kaum mehr denn eine halbe Stunde gedauert haben, als die Dschungel sich lichtete und der jetzt aufgegangene Mond den Reitern einen freien Platz zeigte, in dessen Mitte auf einem Hügel sich die wohlerhaltenen Reste eines uralten Hindutempels erhoben.

Aus dem Innern dieser Ruinen glühte ein Feuerschein und warf durch die Öffnungen des durch die Macht der Jahrtausende zerbröckelten Marmors grelle Lichter auf die riesigen phantastischen Trümmer und die Lichtung.

Die Reiter hatten diese kaum mit den ersten Sprüngen ihrer Mustangs betreten, als sie plötzlich am weiteren Vordringen gehindert wurden, denn zwei dunkle Gestalten von wildem Aussehen erhoben sich wie aus der Erde gewachsen vor ihnen, fielen den Pferden in die Zügel und schwangen drohend gigantische Keulen.

»Haltet ein, Unglückliche! Wer seid Ihr, daß Ihr den Ausgestoßenen und Verfluchten zu nahen wagt?«

»Freunde der Bheels! Diener der ewigen Vernichtung!« antwortete die feste Stimme des Mahratten. »Wo sind die Häupter?«

»Im Tempel der Schrecklichen. Soma, Der Gott des Mondes. der Bruder der Surya, Die Sonne. hat sein Licht über die Erde erhoben, die heiligen Feuer brennen, und er, der im Namen der Mächtigsten gebietet, wartet seiner Stunde!«

Der Maharadschah hatte mit Interesse in dem klaren Licht des Mondes die Gestalten der beiden Waldbewohner, der Mitglieder des rauhen und verachteten Stammes der Bheels betrachtet, der durch ganz Indien gleich wilden Tieren gehetzt wird, nur in den rauhesten Gebirgen und Wildnissen sein Dasein fristet, und dessen Hand gegen alle erhoben ist, wie die Hand aller gegen ihn.

Es waren kräftige Männer, größer und von stärkeren Formen, als der gewöhnliche Hinduschlag. Langes, schwarzes Haar hing straff bis auf die Schulter nieder und bildete die einzige Kopfbedeckung. Ihr Körper war in Tierfelle gehüllt, das Rauhe nach außen gekehrt und von einem Binsenstrick um die Hüften zusammen gehalten. Große Metallringe hingen, durch ihre Nasenknorpel gezogen, über ihre starken Lippen und ebensolche verlängerten ihre Ohrlappen zu unförmlicher Ausdehnung. Die Farbe ihres muskulösen Leibes war ein helles Mahagonibraun, nur durch Schmutz entstellt und verdunkelt. Im übrigen erschien ihre Gesichtsform nicht unedel und der Ausdruck ihrer Augen kühn und trotzig. In der Hand trugen sie mächtige Keulen von schwerem Holz, und der eine einen langen Bogen mit Rohrpfeilen, deren Spitze in das tödliche Gift des geheimnisvollen Bohun-Upas-Baumes getaucht war.

Der Serdar sprang von dem Pferde, es den Bheels überlassend, dafür Sorge zu tragen, winkte dem Fürsten, seinem Beispiel zu folgen, und schritt nach den Ruinen der Pagode.

Ein seltsamer Anblick bot sich ihnen, als sie durch den halb zusammengestürzten Bogen des Thors in den äußern Vorhof traten.

Ein Feuer von trockenem Dschungelkraut und Zweigen brannte in der Mitte des Raumes und um dasselbe lagerten zahlreiche Bheels, Männer, Weiber und Kinder, teils schlafend, teils auf den Knieen hockend, im Kreise, mit seltsamen Gebärden eine Art von Trauergesang hermurmelnd, dessen eintönige Melodie zuweilen zu einem gellenden Klagelaut anschwoll, gleich der Totenklage der Irländer. Die doppelten Lichtreflexe des Mondscheins und der Flammen zeigte eine eigentümliche Wirkung auf die Umgebung. Die riesigen Steinbilder, welche karyatidenartig die Pfeiler der Pagode bildeten, schienen in dem flackernden Licht lebendig zu werden und sich zu bewegen.

Das eintönige Gemurmel des Gesanges schwieg, als die beiden Fremden den Hof betraten, und aller Blicke wandten sich auf sie. Tukallah hielt sich jedoch nicht mit der Menge auf, sondern schritt durch die Gruppen hindurch auf den Eingang der Pagode zu, an dem zwei bewaffnete Bheels lehnten, gab ihnen gleich den äußeren Wachen die Losung und trat mit seinem Begleiter in das Innere.

In dem Hintergrunde des Tempels erhob sich der große Würfel von schwarzem Marmor, der vor Jahrhunderten, wahrscheinlich noch vor den Eroberungen der Mohammedaner, dem Bilde der Göttin zum Piedestal gedient hatte und jetzt leer stand. Über ihm steckte eine Fackel an der Wand und beleuchtete die Gruppe zwischen der Hintern Seite des Steines und der Mauer.

Auf einem rohen Lager von Dschungelkraut und Tierfeilen lag ein alter Mann, offenbar dem Tode nahe, mit geschlossenen Augen, die nur von Zeit zu Zeit sich öffneten und einen erlöschenden Blick auf seine Umgebung richteten.

Diese bestand aus drei Männern: einem ehrwürdigen Brahminen, den Tilluk, das Zeichen der höchsten Kaste, gleich Srinath Bahadur auf der Stirn; einem Bheel, dessen Haar mit drei aufrechtstehenden Adlerfedern geschmückt war, dem Zeichen der Häuptlingswürde, und dessen Züge unverkennbar das Gepräge der nahen Blutsverwandtschaft mit dem Greise trugen und einem gelben Malayen in reicher kostbarer Kleidung und Bewaffnung. Tukallah machte den dreien das Erkennungszeichen der Thugs, das die Bayadere dem deutschen Arzt in den unterirdischen Gewölben der Würgerburg verraten hatte, und die drei erwiderten es.

»Wer naht dem Lager dessen, der bereit ist, der großen Mutter Rechenschaft abzulegen von seinen Thaten?« fragte der Greis. »Die Schatten des Todes, den ich achtzig Jahre dem Geschlecht des Erzeugers gebracht, trüben meine Augen!«

»Tukallah, Vater, den die Hindu Tantiah-Topi nennen,« antwortete der Mahratte. »Er kommt. Deinen Segen und Deinen Willen zu empfangen.«

»So sind ihrer genug,« sagte der Greis, »der Sohn der Berge, der Weise der Städte, der Krieger des Mittags und der Herr der Wüste. Sei mir gegrüßt Du, der liebste der Diener der Bhawani! Aber mein Auge sieht der Bewerber fünf, wer ist jener dort?« Er deutete auf den Fürsten.

»Ein Thug gleich uns, zu dessen Gunsten ich meinen Ansprüchen und Deinem Erbe zu entsagen bereit bin. Srinath Bahadur, der Peischwa von Bithoor! Er kommt, die heilige Spitzaxt zu küssen!«

Eine allgemeine Bewegung gab sich unter den Anwesenden kund bei der Nennung dieses Namens. Der Alte erhob sich auf seinen hagern Arm und starrte einige Augenblicke den Maharadschah an, der seinen Blick fest erwiderte.

»Auf Deiner Stirn ist Blut – Blut ist in Deinen Augen, Tod in den Falten Deines Mundes, Peischwa von Bithoor,« flüsterte der Greis, »sei willkommen im Bunde des Todes.« Er enthüllte mit einer Bewegung der Hand einen in seinem Lager verborgenen Gegenstand – es war eine stählerne Spitzaxt von altertümlicher Form. Ein großer, feurig roter Edelstein bildete den Knopf des kurzen Griffes und schien von unermeßlichem Wert, denn er strahlte im Licht der Fackel, gleich einem Diamanten, rote Blitze.

Der Greis hielt dem Maharadschah die Waffe hin, sie zu küssen. Statt sie jedoch mit dem Munde zu berühren, ergriff sie der Bahadur mit kräftiger Faust, entriß sie der Hand des Alten und schwang die Axt hoch durch die Luft.

Ein Wutgeschrei der drei getäuschten Bewerber um die oberste Macht des Bundes war die Antwort der kühnen That. Nur der Mahratte blieb ruhig – sein Auge begegnete mit dem Funkeln wilder Befriedigung dem fragenden des Nena, während sein Finger auf den Greis wies, der den kühnen Mann erstaunt anstarrte.

Der Maharadschah trat einen Schritt vor, die Schneide der Axt, das Feuer des Edelsteins funkelten gleich einem Blitz in dem Licht der Fackel, indem er die Waffe über dem Haupt schwang, und im nächsten Augenblick begrub die scharfe Spitze sich in dem Haupt des bisherigen Besitzers.

Ein noch wilderes Geschrei der drei Gurus antwortete dem Morde, und sie faßten nach ihren Waffen, um ihn zu rächen, aber der Mahratte warf sich zwischen sie und den Nena. »Im Namen der Göttin – er ist es, dem die Hand des Toten die heilige Waffe gereicht, er ist jetzt der Guru der Gurus und das Haupt des Bundes – die Bhawani selbst hat entschieden! Wagt Ihr es, ihr zu widerstreben, wo ich ihrem Ausspruch mich füge? Denkt Eures Eides und beugt Euch vor dem Herrn der heiligen Axt!«

Und er selbst sank vor dem Nena auf die Knie und küßte demütig sein Gewand. Die drei Gurus beugten gleichfalls das Haupt und warfen sich nieder, mit der Stirn den Boden berührend zum Zeichen des Gehorsams – über ihnen aber stand der Srinath und schwang mit dämonisch leuchtendem Auge in stolzem Frohlocken die Axt um das Haupt.

Da plötzlich schrillte ein gellender Alarmruf durch die Luft, Schüsse ertönten, Trompetensignale, das »Hurra« englischer Soldaten, Wut- und Klagegeschrei und gellender Kampfruf!

Bestürzt sprangen die Gurus empor, ihre wutflammenden Augen trafen den Nena, der Ruf: »Verrat!« zeigte ihren ersten Gedanken. Aber der Nena selbst war offenbar von dem Unerwarteten einen Augenblick bestürzt und schaute ratlos umher.

»Schießt die Bestien nieder, die Mordbrenner! keinen Pardon den schwarzen Schurken!« hörte man laut die Stimme Mowbrays auf der Ächtung durch den Lärm des Überfalls kommandieren.

»Bei der Waffe, die meine Hand hält,« schwor der Bahadur, »Brüder, die Hölle, nicht ich, hat die weißen Teufel über uns geführt. Kämpfe und rette sich jeder, so gut er vermag.«

Und das heilige Zeichen des Mörderbundes schwingend, stürzte er allein voran nach dem Eingang der Pagode.

Zwei englische Soldaten waren eben im Begriff, in das Innere zu dringen. Der Nena erfaßte mit der Linken das Gewehr des einen und drückte es zur Seite, während seine furchtbare Waffe den Kopf des zweiten bis zur Nasenwurzel spaltete. Dann sprang er ins Freie.

Die Scene hier war entsetzlich. Frauen und Kinder stürzten heulend umher, die Männer kämpften mit wildem Trotz, aber offenbarem Nachteil gegen die englischen Soldaten, die sie, auf der Verfolgung des entflohenen Prinzen begriffen und durch einen Spion von dem verdächtigen Lager der Bheels in der Dschungel unterrichtet und unbemerkt herangeführt, überfallen hatten, unterstützt durch das Lanzier-Piket, das sich auf der Rückkehr von Bithoor dem Detachement angeschlossen hatte. Pistolen- und Gewehrschüsse knallten auf allen Seiten. Die einfachen Waffen der Bheels vermochten nichts gegen die europäische Disziplin und Bewaffnung, die Reiter Mowbrays, über die Lichtung verteilt, verhinderten die Hindus, sich in das schützende Dickicht der Dschungeln zu werfen, und trieben sie stets in die Bajonette und Kugeln der Feinde zurück.

Mit dem raschen Überblick des künftigen Feldherrn erkannte der Nena die gefährliche Lage, und daß es gälte, zu sterben oder sich unerkannt durchzuschlagen. Die Turbanbinde vom Haupt zu reißen und sie verhüllend um das Gesicht zu schlingen, daß nur die Augen frei blieben, war das Werk eines Augenblicks. Zugleich sah er Tukallah an seiner Seite, den Säbel in der Faust, und mit ihm die drei Gurus.

»Der Galgen ist unser Los, wenn die weißen Hunde uns fangen,« rief der Fürst. »Vorwärts, Brüder, und mir nach!«

Und über die Trümmer springend, den großen Eingang des Hofes vermeidend, der bereits von den englischen Soldaten besetzt war, eilte er nach der Seitenmauer und schwang sich leicht wie ein Vogel darüber hin.

Tukallah und der Malaye folgten ihm, die beiden anderen waren bereits im Kampf mit den Soldaten begriffen.

Der Bahadur eilte nach der Richtung davon, wo er die Mustangs zurückgelassen, aber drei heransprengende Reiter versperrten ihm den Weg. Die Lanze des einen durchbohrte den Malayen, Tukallah war im Kampf mit dem zweiten – der Nena sah ihn fallen, von einem Pistolenschuß getroffen, während über seinem eigenen Haupte der Säbel des dritten blitzte.

»Nieder mit den mordbrennerischen Hunden! Zu Boden mit dem Gesindel!«

Er erkannte die Stimme Mowbrays und tauchte nieder unter den Bauch des Pferdes, dem Hieb zu entgehen. Zugleich faßte er mit der Kraft eines Löwen das Bein des Offiziers und riß ihn aus dem Sattel.

»Zu Hilfe, Leute! zu Hilfe!« Aber die Spitzaxt des Nena hatte mit gewaltigem Hieb das Roß des zweiten Reiters getroffen, daß es schwer verwundet mit ihm davon sprengte, und ein fliehender Bheel beschäftigte den dritten.

Der Maharadschah bog sich nieder zu dem Offizier, der unter seinen Knieen am Boden lag, und lüftete den Schleier von seinem Gesicht; das Mondlicht zeigte klar und deutlich das teuflische Grinsen, das es entstellte.

»Kennst Du mich, weißer Hund?«

» Hell and damnation – Nena Sahib!«

»Stirb mit dem Namen auf den Lippen!«

Die Spitze der Axt begrub sich in der Gurgel des Engländers.

Mit übermenschlicher Kraft warf der Fürst den Körper des Mahratten auf seine Schultern und sprang nach dem Dickicht der Dschungel.

Ein gellender Pfiff – in kurzer Entfernung beantwortet von einem rauhen Wiehern.

Das Antlitz, das der Nena nach dem Kampfplatz zurückwandte, spiegelte den Triumph eines Teufels. Die Hand schwang drohend die Axt empor.

» Tod den Faringi

Das Geröhr und die Büsche der Dschungel schlossen sich hinter ihm und seiner blutigen Last.


Herrosé & Ziemsen, Wittenberg.


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