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Die indische Wüste.

Fünf Jahre waren vergangen seit jener Nacht auf St. Helena. –

Im Dickicht einer am Rande des Thur, der indischen Wüste, gelegenen indischen Dschungel, am Hang eines Hügels, der von Tamarinden besetzt war, zwischen deren Kronen ein riesiger Pisang die kolossalen, sechs bis acht Fuß langen Blätter breitete, lag ein Mann in halb europäischer, halb indischer Kleidung, das gigantische Chaos der Vegetation um sich her mit sinnenden Augen betrachtend.

Die versengende Hitze des Mittags hatte ihn genötigt, hier Schutz und Ruhe zu suchen. Im Bereich seiner Hand lag die sichere Büchse; das offne, hübsche, gebräunte Gesicht auf den Arm gestützt, schaute er träumerisch auf das überreiche, wunderbare, unerschöpfliche Pflanzen- und Tierleben, das ihn umgab.

Er war offenbar ein Europäer, wie die Bildung seines, obschon von der Sonne Indiens tief gebräunten Gesichts und, wie gesagt, seine Kleidung bewies; sein Alter mochte nicht über 35 Jahre hinaus gehen. Er trug einen breiten Strohhut, einen englischen Jagdrock und weite Beinkleider; die Kleidungsstücke waren leicht und dem heißen Klima angemessen, während eine zusammengerollte wollene Decke, eine gefüllte Jagdtasche auf dem Rasen, und eine daneben ausgebreitete Karte der Präsidentschaft Bombay und des Pendschab mit einem kleinen Taschenkompaß bewies, daß er ein Reisender sei.

Der Fremde war damit beschäftigt, einen prächtigen großen Edelfalken zu untersuchen, der verwundet von einem gewaltigen Adler kraftlos vor seine Füße gefallen war, und dessen Feind und Verfolger er soeben mit sicherem Schuß getötet hatte. Das erste, was ihm jetzt auffiel, war ein um das Bein befestigter goldener Reif, auf dem in den Schriftzeichen der Sanskritsprache einige Worte eingegraben waren. Dies und ein rotes, goldgesticktes Sammetband um den Hals des Vogels bewies ihm, daß derselbe kein Bewohner der Wildnis, sondern einer jener im hohen Werte stehenden abgerichteten Edelfalken sei, deren sich die Edlen des nördlichen Indiens noch heutzutage zur Jagd auf Rebhühner, Hasen und andres kleines Wild bedienen. Der Schnabelhieb des Adlers hatte den edlen Vogel zwischen Brust und Flügel, wenn auch nicht tödlich, doch so schwer verletzt, daß er für den Augenblick im Flug gelähmt worden und machtlos aus der Luft herabgestürzt war.

Der Reisende zog aus der Tasche seines Rockes ein wundärztliches Besteck, öffnete es und verband den Vogel kunstgerecht, indem er die verletzten Teile mit einer Bandage umwickelte, um die Heilung zu erleichtern.

In diesem Augenblick glaubte er hinter sich ein leises Geräusch zu hören und wandte den Kopf, sah aber nichts, worauf er in seiner Beschäftigung fortfuhr.

»Der Herr des Vogels,« sagte er sich, »muß in der Nähe auf der Jagd sein, und könnte mir Beistand leisten, wie ich seinem Falken Hilfe geleistet. Selbst wenn er ein Feind wäre, wäre es besser ihm entgegen zu treten, als noch länger in dieser Wildnis umher zu irren. Vielleicht hörte er den Knall meiner Flinte und wird dadurch herbeigezogen – ich will das Signal noch einmal wiederholen –«

Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er noch sich völlig in die Höhe gerichtet, sah er eine dunkle Linie vor seinen Augen flimmern und fühlte eine Schlinge um seinen Nacken fallen. Im nächsten Moment wurde sie, als er danach griff, zugezogen und der Reisende stürzte, krampfhaft um sich schlagend, zu Boden.

Aus dem Gestrüpp und Gewirr von Kamelkraut, Karyh, Dab und Kedschra, womit die andere Seite des Tamarindenstammes besetzt war, erhob sich ein gelbbraunes wildes Gesicht, das lange schwarze Haar nur mit einem schmutzigen blauen Tuch bedeckt, und der nackte Körper den nur von den Hüften bis zum Knie eine baumwollene Hose bekleidete, folgte. In dem Gürtel steckte ein kurzes Messer.

Zugleich kam eine zweite gleiche Gestalt hinter dem Stamm der Tamarinde hervor; ihre Hand hielt noch das Ende der Schnur von Aloe-Fasern, deren Schlinge den Fremden erwürgt hatte. Leichte kurze Zuckungen des Opfers zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in ihm floß, zu versiegen drohte.

Der Thug – denn ein Mitglied dieser furchtbaren Sekte war es, der nach dem Reisenden die Schlinge geworfen, – wandte sich nach seinem Gefährten. »Die blutige Kali Kali (die dunkle) auch Bhawani genannt. Die Göttin der Zerstörung, die Genossin Schiwa's, die Zerstörende in der Dreieinigkeit der indischen Götterlehre. hat mir erlaubt, ihr fünfmal so viel Opfer zu bringen, als der Tag Stunden zählt. Du weißt, Kassim, daß es noch nicht der vierte Teil von der Zahl ist, die mein Vater zu töten so glücklich war. Wischnu, der Erhalter, gebe mir lange Jahre des Lebens und ich hoffe, die Zahl einzubringen, die er in dem Kerker der schändlichen Faringis versäumte.«

»Soll ich das Bheel Das Grab, in welchem die Thugs ihre Opfer verbergen. graben für den Toten, o Sohn des großen Faringhea?« fragte der andere. »Vielleicht sendet die Göttin uns den zweiten, daß wir sein Haupt zu den Füßen dieses Mannes betten, wie es sich gehört.«

»Laß uns zuerst die Habe des Ungläubigen nehmen, die er an seinem Körper trägt!«

Der Mörder war, als hätte er eine ganz gleichgültige Handlung verübt, an dem jetzt bewegungslos ausgestreckten Opfer niedergekniet.

»Bin ich ein Buthote Würger. und habe die Weihe der Chams Die Priester der Thugs. erhalten, oder zittert meine Hand wie die eines Weibes?« rief er plötzlich, indem bei der Untersuchung der Kleider des Gewürgten ein leiser Seufzer den Lippen desselben entfloh. »Diese Faringi haben ein zähes Leben und fürchten sich, zu Brahma zu gehen! Das Tuch wird seine Seele rascher befreien, als die Schnur!«

Er riß das Seidentuch, das um seinen Kopf geschlungen war, herunter und wollte es, nach der Art dieser fanatischen Mörder, seinem Opfer um den Kopf werfen, als der Falke, der bisher unbeachtet neben der Gruppe gekauert, auf ihn los flatterte und mit wütenden Schnabel- und Klauenhieben ihn anfiel. Im ersten Augenblick fuhr der Thug vor dem unerwarteten Angriff zurück. Dann aber schleuderte er das Tier von sich und beschäftigte sich aufs neue mit seinem Opfer, obschon der Falke furchtlos fortwährend seine wütenden Angriffe erneuerte.

»Halt mir das verfluchte Tier vom Halse, Kassim,« schrie der Würger, erbittert von den erhaltenen Hieb- und Krallenwunden, indem er das Tuch um den Kopf seinem Opfers festschlang. »Dreh' ihm den Hals um – ein böser Geist wohnt in dem Vogel!«

Der zweite Thug war herangekommen und hatte sich des Falken bemächtigt.

»Bei dem heiligen Wagen von Hadramaut! rief er plötzlich, »laß ab, mein Bruder, bis mit der Göttin Hilfe wir dieses Rätsel gelöst. Dieser Vogel trägt auf seinem Halsband das Zeichen eines Häuptlings unserer Brüderschaft!«

Der andere sprang erstaunt empor; in diesem Augenblick sprengte auf einem weißen arabischen Roß ein prächtig gekleideter und bewaffneter bejahrter Mann herbei, im vollen Lauf gefolgt von zwei schwarzen Dienern, dem Hukabedar oder Pfeifenbesorger, und dem Speerträger. Mehrere andere Begleiter zu Fuß und zu Pferd folgten in einiger Entfernung, blieben aber auf einen Wink ihres Gebieters zurück.

Der Ankommende trug die Gewänder eines vornehmen Mahrattenhäuptlings, wie sie, zum Teil noch unbezwungen im Sindh oder in den bewohnten Teilen der Thur oder indischen Wüste und an den Ufern des Sedledsch ihre Felsenburgen bewohnen. Er war ein Mann von etwa sechzig Jahren, mit dichtem grauen Bart, der breit auf die Brust herabfiel, und von dunkler bronzeartiger Hautfarbe. Er lenkte mit Kraft und Geschicklichkeit den feurigen Renner. Sein schwarzes Auge blickte unter buschigen grauen Brauen hervor und richtete sich durchbohrend auf die beiden Thugs, die bei seiner unerwarteten Annäherung Miene gemacht hatten, zu entfliehen, dann aber, als sie sahen, daß es vergeblich sein werde, trotzig stehen blieben.

Der Reiter trug auf dem kahl geschorenen Haupt die hohe Kappe der Sindhbewohner, von Seide mit Gold durchwirkt, weite weiße Beinkleider in Stiefeln von rotem Corduan, mit Silber und Perlen gestickt, und einen blauen Ärmelüberwurf. Er führte außer der Dschambea in seinem Gürtel Bogen und Pfeile und sein Speerträger trug die mit Gold und Schildpatt kostbar ausgelegte Büchse nebst dem Kugelbeutel. Die rechte Hand des Reiters war mit einem starken ledernen Falkenhandschuh bedeckt. Ein eigentümliches Werkzeug hing an dem kostbaren Sammetsattel seines Pferdes, ein etwa eine Elle langer runder Stock und eine runde, etwa vier Zoll im Durchmesser haltende Stahlscheibe, die in der Mitte eine Öffnung hatte und an dem Rande haarscharf geschliffen war.

Der Mahrattenhäuptling hatte sein Roß dicht vor der Gruppe der Mörder und ihres Opfers pariert. Der zweite der Thugs hielt noch den Falken in seiner Hand, der bei dem Erblicken des Reiters ein wildes Geschrei ausstieß.

»Bei Brahma! – wer seid Ihr, und wie kommt jener Vogel in Eure Hände, der mein Eigentum ist?«

Die Thugs kreuzten die Arme über die Brust.

»Wenn der Vogel Dein Eigentum ist, edler Serdar, Häuptling. so sind wir Deine Knechte,« sprach der Sohn Faringheas. »Wir haben das Zeichen auf dem Ringe erkannt und beugen unser Haupt in Demut vor dem, der die Stimme des Allgewaltigen hört. Wir fanden den Vogel bei dem Faringi, der zu Deinen Füßen liegt.«

»So hat ihn der Hund erschossen – der Falke blutet!«

»Deine Worte sind Weisheit, o Serdar, aber sie reden nach dem Schein. Ein Adler stieß auf den Falken und der Fremde schoß nach dem großen Räuber der Lüfte. Dort liegt er am Boden.«

»Und Ihr habt den Faringi getötet?«

»Es war der Wille der Bhawani; sie hat uns das Opfer gesandt!«

Der Häuptling legte die Hand an die Stirn, als der Name der furchtbaren Göttin ausgesprochen wurde.

»Nehmt das Tuch von dem Antlitz des Mannes!« befahl er alsdann.

Kassim gehorchte. Das blaugeschwollene Leichenantlitz des Erwürgten kam zum Vorschein, die Augen, aus den Höhlen gedrängt, starrten gräßlich gen Himmel.

Der Serdar betrachtete ihn einige Augenblicke, dann ließ er den Zügel fallen und schlug die Hände zusammen.

»Verfluchte – was habt Ihr gethan! Dies Leben war tausend Tode der Euren wert! Wehe Euch!«

Er sprang mit der Rüstigkeit eines Jünglings vom Pferde und warf sich neben dem Gemordeten auf die Erde, dessen Kopf er in seinen Schoß nahm, rasch die noch um den Hals befestigte Schlinge lösend.

Hierbei zeigte sich der Grund, weshalb die Schlinge bei dem ersten Mordanfall das Opfer nicht sogleich erwürgt hatte, während doch sonst die Hand des Thugs bei dem furchtbaren Geschäft nimmer fehlt.

Der Reisende trug, wie erwähnt, einen europäischen Jagdrock, und der kurze stehende Kragen desselben hatte das feste Zusammenschnüren der Schlinge verhindert. Der Mahrattenhäuptling legte die Hand auf die Brust der Leiche und glaubte noch einen leisen, kaum bemerkbaren Schlag des Herzens zu fühlen. Sofort rief er seine beiden Diener herbei und befahl ihnen des Erwürgten Glieder leise zu reiben, während er selbst den Arm desselben entblößte und mit dem Seidentuch, das zu der Mordthat gedient, unterband. Dann befahl er seinem Speerträger, eine Ader des Mannes zu öffnen.

Mit stummem Erstaunen waren die beiden Mörder den Bemühungen gefolgt, welche der Serdar der Wiederbelebung ihres Opfers widmete, doch legte keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken der Augen, ihre Gefühle an den Tag, oder zeigte ein Zeichen von Furcht und von der Absicht, zu entfliehen. Dagegen rührten sie auch keine Hand, um Hilfe zu leisten. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkeit geschlagen, gab anfangs wenig Blut, nach und nach aber begann dies reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten hob sich, seine Augen verloren die gräßliche Starrheit des Todes, und die Augenlider schlossen sich.

Der alte Häuptling wandte sich jetzt zu dem zweiten Diener, dem Hukabedar.

»Gieb mir die Phiole des Lebens, Aly, aber schnell!« rief er und nahm aus seiner Hand ein kleines Fläschchen von Krystall. Als er es öffnete, verbreitete sich daraus ein scharfer Rosenduft, und der alte Mann träufelte vorsichtig und in längeren Zwischenräumen drei Tropfen auf die Lippen des Bewußtlosen.

Die Wirkung dieses Elixiers war wunderbar. Schon beim ersten Tropfen schien ein Zucken durch den Körper des Unglücklichen zu gehen und seine Glieder zu strecken und zu durchzittern; mit dem zweiten flog eine dunkle Blutröte über das Antlitz und als sie sich verzog, war die Verzerrung und das leichenhafte Aussehen der Züge des Gesichts verschwunden, und bei dem dritten Tropfen öffnete sich wieder das Auge, und der noch verschleierte, aber allmählich sich aufhellende Blick starrte umher.

Als er auf den Mahratten fiel, malte sich Erstaunen in den Zügen des Reisenden, nach einigen Augenblicken des Zweifels und Prüfens öffneten sich seine Lippen und das erste Wort, das er aussprach, war der Ruf: » Tukallah

Der Mahrattenfürst lächelte.

»Du hast ein gutes Gedächtnis, Doktor Walding,« sagte er auf englisch, »daß Du nach fünf Jahren und in einem viel tausend Meilen entfernten Lande den Diener dessen wiedererkennst, dem wir beide Freunde waren. Wie ist Dir?«

Der deutsche Arzt – er war es in der That – faßte mit der Hand nach Stirn und Hals, setzte sich empor und schaute nochmals verwundert umher, sich besinnend, was mit ihm geschehen war. Erst als sein Auge auf den Falken fiel, kehrte die Erinnerung zurück.

»Der arme Vogel,« sagte er, »war verwundet – ich hatte Mitleid mit ihm. Es ist seltsam – ich dünkte mich damals ganz allein und mir ist, als wär' ich gewürgt worden. Wie glücklich bin ich, Dich getroffen zu haben, Tukallah, denn ich habe ein Unternehmen begonnen, das ich, wie ich einsehe, wohl schwerlich ohne Hilfe werde durchführen können.«

»Schiwa,« sagte der Indier, »will, daß Du es vollbringst, darum hat er mich hergesandt, die Hand der dunklen Göttin aufzuhalten. Du warst in schwerer Gefahr, mein Bruder, und die Kali hatte bereits ihren Schleier über Dein Haupt gebreitet!«

»So wollte man mich ermorden?« fragte der Arzt erschreckt, denn er kannte bereits genug von den Gebräuchen der Eingeborenen, um die Sprache des Mahratten zu verstehen. –

Dieser wies nach den beiden Mördern, die noch immer schwelgend in geringer Entfernung standen.

»Du hast nichts mehr zu fürchten. Du bist in meinem Schutz, und Tukallah ist nicht der Diener eines, der da atmet, sondern durch den Willen Schiwas mächtig und stark. Der Freund seines Milchbruders, der im Lande der Faringi gestorben ist, soll mit ihm gehen und Schutz finden in seinem Hause. Fühlst Du Dich stark genug, ein Roß zu besteigen?«

Der Deutsche, der aufgestanden war, dehnte seine Glieder, reichte dem Mahratten die Hand und erklärte sich kräftig genug, den Weg fortzusetzen.

Lukallah wandte sich zu den beiden Dienern, befahl ihnen in arabischer Sprache, die Sachen des Fremden zu tragen und diesen zu der Schar der Jäger zurückzuführen, ihm dort ein Roß zu geben und ihn sofort nach seinem Wohnsitz zu geleiten.

»Mein Bruder ist unter dem Schutz dieser schwarzen Sklaven,« sagte er seinem Gast, »und sie werden mit ihrem Leben für das seine bürgen. Du magst unbesorgt Dich ihnen anvertrauen; sie werden Dich nach Malangher, meiner Burg, geleiten, und in kurzem werde ich bei Dir sein.«

Der Arzt hielt für das Beste, sich in die Bestimmung des so unerwartet Wiedergetroffenen zu fügen, und verließ in Begleitung der beiden Schwarzen, von denen einer seinen Gang unterstützte, während der andere Büchse und Tasche trug, den Hügel. Ohne seine Stellung zu verändern, schaute der alte Mahratte ihm nach, bis er die entferntere Jägergruppe erreicht hatte, und die kleine Gesellschaft Anstalt zum Aufbruch traf.

Dann erst wandte er sich zu den beiden Mördern und redete sie an.

»Dein Name?«

»Karam, der Sohn Faringheas, Die Grundlage der indischen Götterlehre ist die naturphilosophische Dreieinigkeit, Brahma, die schaffende, Wischnu, die erhaltende, Schiwa, die zerstörende Gottheit. Jedem dieser Urgötter steht ein weibliches Wesen als ausführende Kraft zugeteilt, dem Schiwa die Göttin Kali oder Budrani oder Bhawani. Dieser dient der Geheimbund der Thugs, deren Lebensaufgabe es ist, zu Ehren der Göttin möglichst viel Lebendes zu vernichten. Sie teilen sich in Buthotes, die den Mord ausführen; in Lughas, die die Leichen spurlos vergraben und in Sutthas, die Spione und Verlockenden, denen die wichtigste Rolle zufällt. Mit einschmeichelnder Rede umgarnen sie den Fremden und selbst in den Armen der Bajaderen ist dieser nicht sicher, denn es giebt auch weibliche Thugs. Entgeht ihnen einmal ein Opfer, so muß ein freiwillig sich meldender oder durch das Los bestimmter aus ihrer Mitte sterben. – Lange trieb diese Sekte in dem Reiche von mehr als 130 Millionen Menschen ungestört ihr Wesen. Die englische Regierung ward erst 1808-1810 durch das Verschwinden eingeborener Soldaten auf sie aufmerksam, schritt aber erst 20 Jahre später schonungslos gegen sie vor – Schreckliche Geständnisse wurden von gefangenen Thugs laut. Der hier genannte Faringhea bekannte allein 719 Morde und bedauerte kurz vor seinem Tode einem britischen Offizier gegenüber, das Tausend nicht haben voll machen zu können, weil er 12 Jahre im Gefängnis verloren hätte. – Ende der dreißiger Jahre waren bereits fast 3300 Thugs den Händen der Justiz überliefert. – Die Priester und Oberen der Thugs heißen Chams. Die Morde sind mit der Beraubung des Opfers verbunden. Die Chams erhalten einen Teil der Beute für die Göttin. dessen Name bekannt ist vom Himalaya bis zu den großen Inseln. Dieser ist Kassim, der Matscheri.«

Der Mahratte öffnete das Gewand auf seiner Brust, zog einen schwarzen Stein von dreieckiger Form mit eingegrabenen Zeichen, der an einer Schnur an seinem Hals hing, hervor und zeigte ihnen denselben.

Der Sohn Faringheas und sein Gefährte beugten demütig das Haupt.

»Wir erkennen an, daß Du einer der Auserwählten bist und sind bereit, Dir zu gehorchen.«

»Wohin geht Euer Weg?«

»Wenn die Nacht dreimal wiedergekehrt ist, mächtiger Cham, feiert, wie Du weißt, die dunkeläugige Göttin ihr Fest an der heiligsten Stätte zwischen Indus und Ganges, das nur jedes zehnte Jahr wiederkehrt. Wir kommen aus dem Lande des Holkar, der Erhabenen die Seelen zu bringen, die wir ihr geopfert. Eine aber wird fehlen in der Zahl.«

Ohne auf den entsetzlichen Vorwurf zu achten, der in den letzten Worten des Mörders lag, setzte der ehemalige Diener und Gefährte des Somroofürsten seine Fragen fort.

»Wer hat jenen Mann in Eure Hände geliefert?«

»Wir folgten ihm seit zwei Tagen von den Ufern des Sutladsch. Er schlief die letzte Nacht in der Hütte eines Hirten, und wir konnten nicht an ihn kommen, da er vorsichtig und mißtrauisch war. Erst hier hat die Kali ihn in unsere Hand gegeben.«

»Wer von Euch verrichtet das Geschäft des Lugha?« Die Klasse der Thugs, die sich mit dem Vergraben der Leichen beschäftigt.

Kassim neigte das Haupt. »Dein Diener, ist es, tapferer Serdar!«

»Du hast das Grab des Faringi gegraben?«

»Es ist geschehen nach dem Gebrauch unseres Bundes!«

»Geh' voran!«

Die beiden Thugs schritten in die Dschungel voran, aus der sie hervorgeschlichen, um ihr Opfer zu überfallen. In der Entfernung von etwa fünfzig Schritt war zwischen den Karylbüschen an einer freien Stelle eine lange und schmale Grube gegraben.

Der Serdar blieb an dem Grabe stehen.

»Der Mann, den ich dem seidenen Tuch entzogen habe,« sagte er, »ist im Besitz eines Geheimnisses, das Zwietracht säen mag zwischen die Stämme der Weißhäutigen, daß sie unter einander sich selbst verderben. Aber der finsteren Kali darf die Zahl der ihr Geweihten nicht geschmälert werden, oder sie würde zürnen dem Bunde ihrer Gläubigen, wie damals, als sie zum letztenmal niedergestiegen war zur Erde, die Spuren der Opfer zu vertilgen. Einer von Euch wird die Stelle des Faringi einnehmen, der dem Tode entgangen ist. Die Stimme der Göttin möge entscheiden.«

Ohne ein Wort des Widerspruchs oder der Entgegnung neigten die beiden Mörder das Haupt zum Zeichen ihres Gehorsams.

»Es geschehe wie Du sagst, Meister,« sprachen sie, »was sollen wir thun, um den Willen der Göttin zu erforschen?«

»Wartet und seid bereit zu sterben!«

Alle drei setzten sich am Rande des offenen Grabes nieder und murmelten leise Gebete vor sich hin, gleich den Auguren der Römer den Ausspruch des Schicksals aus dem Fluge der Vögel oder dem Bellen des Schakals erwartend.

Aus dem Kamelkraut rauschte plötzlich ein Schwarm schwarzer Rebhühner auf und strich über die Dschungel. Einer der Vögel streifte dicht über dem Haupte des Sohnes Faringheas hin, kehrte, von dem Anblick der Männer erschreckt, wieder um und flog nach der Seite davon, auf welcher der Buthote saß.

Sogleich erhoben sich die drei, – die Kali hatte entschieden:

Karam, der Sohn Faringheas, legte schweigend sein Oberkleid von sich, zog aus dem Gürtel einen ledernen Beutel, der mit Kostbarkeiten und Gold- und Silberstücken, der Beute seiner letzten Mordthaten, wohl gefüllt war und übergab ihn seinem Gefährten. Die einzigen Worte, die er an den Serdar richtete, waren: »die eiserne Axt, das Symbol des Bundes, ist nicht zur Stelle. Wie befiehlt der Cham, daß der Diener der Kali sterben soll und durch wessen Hand?«

»Nur das Eisen darf die Glieder des Bundes berühren,« sagte der Mahratte. »Kniee nieder am Grabe, welches das Deine sein soll, und die Göttin wird Dich würdig halten, in Deinen letzten Augenblicken ein Geheimnis zu vernehmen, das Deine Seele erfreuen wird.«

Karam neigte sein Haupt und knieete an der Grube nieder, das Gesicht gegen Morgen gewendet.

»Lebe wohl, Kassim, mein Erbe,« sagte er, »und möge die Finstere Dir viele Opfer senden!«

Der Mahrattenhäuptling neigte sich zu ihm und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, dann entfernte er sich mit langsamen Schritten nach der Richtung, wo er sein Pferd am Tamarindenhügel zurückgelassen.

Mit einem Ausdruck der Begeisterung schaute ihm der dem Tode Geweihte nach, auf seinem Antlitz lag die Freude des Fanatikers, der sich unter die zermalmenden Räder des heiligen Wagens wirft, des Fakirs, der seinen Leib an eiserne Haken hängt und sich in den Rachen des Krokodils wirft für seinen Glauben.

Dann beugte er, ohne nur einen Blick noch auf die Welt umher zu werfen, das Haupt und betete.

Ihm gegenüber kniete mit gleich fanatischer Inbrunst Kassim, der Totengräber.

Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft.

Tukallah hatte vom Sattel seines Pferdes das seltsame Gerät gelöst, den runden kurzen Stock und den breiten Stahlring. Mit leisen unhörbaren Tritten hatte er dann den Weg zurückgemacht zu dem Grabe des Thugs und war etwa fünfzehn Schritte entfernt von demselben stehen geblieben.

Dort steckte er die Spitze des Stabes in die Öffnung der Stahlplatte, hob denselben und wirbelte, kaum die Hand bewegend, den Ring um den Stab.

Die Schwingungen waren so rasch, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Funken zu sehen vermeinte.

Plötzlich schnellte er mit einer kräftigen Handbewegung das Ende des Stabes in der Richtung des knieenden Mannes. Der Stahlring fuhr gleich einem Blitzstrahl durch die Luft und in demselben Augenblick fiel das Haupt Karams zu Boden, aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes, der Rumpf hielt sich noch einen Augenblick in der knieenden Stellung und stürzte dann schwerfällig nieder.

Der Mahratte trat zu dem noch leise zuckenden Körper, tauchte seine Finger in das Blut und spritzte es nach allen vier Himmelsgegenden mit den Worten: »Möge sein Geruch Dir wohl duften, o dunkeläugige Göttin und mögest Du der Seele Karams gnädig sein auf den sieben Wanderungen, die sie zu machen hat!«

Nachdem die Hinrichtung verübt worden, legte Kassim, der Lugha, den Körper in die Grube und bedeckte ihn mit Zweigen und Erde, die er so sorgfältig dem Boden umher gleich machte, daß bald keine Spur mehr von dem schrecklichen Geschäft, das er verrichtet, zu sehen war. Tukallah hatte unterdessen sich zu seinem Pferde begeben und bestieg es, als der Thug zu ihm zurückkam.

»Du wirst den Spuren der Hufe meines Rosses folgen,« befahl er, »und wenn die Sonne morgen die Schatten nach Osten zu werfen beginnt, in meiner Felsenburg Malangher Dich einfinden. Die Göttin will, daß Du der Diener werdest des Faringi, den Ihr töten wolltet, allen seinen Werken gehorsam und sein Leben schützend vor jeder Gefahr. Es ist wichtig für die Zeit, die da kommen wird.«

»Aber die schwarzen Sklaven, die uns gesehen haben am Werke?« fragte der Thug, »werden sie nicht zu Verrätern werden an uns?«

»Thor! Ihre Zungen sind begraben – sie sind stumm!« Der Serdar sprengte davon.


Als der deutsche Arzt zu der Gesellschaft der Jäger und Diener kam, die auf den Wink des Mahrattenhäuptlings zurückgeblieben war und sich seitdem durch die Rückkehr der auf der Jagd Zerstreuten vermehrt hatte, sah er, daß sie aus zwanzig Personen bestand, die meisten beritten und einige prächtig gekleidet und bewaffnet. Sie führten ein Kamel mit sich, das mit einem leichten Zelt und Mundvorräten beladen war und eine von zwei Ryats oder armen Bauern gezogene Kherrie, eine Art von Handwagen auf zwei Scheibenrädern, auf dem ein schöner Leoparde von jener schlanken, kleinköpfigen Gattung hockte, die man im nördlichen Indien zur Jagd abzurichten pflegt, und die unter der Benennung Jagdleoparden bekannt sind. Eine rote Tuchkappe bedeckte, wie bei dem Falken geschieht, den Kopf des Tieres, mir für die Schnauze eine Öffnung zum Atmen lassend.

Unter den Reitern fiel namentlich ein junger Mann, offenbar der Kaste der Krieger angehörend und durch Tracht und Aussehen sich von der übrigen Gesellschaft unterscheidend dem Arzte auf. Er trug einen weiten, ärmellosen Rock von weißer Wolle, unter dem ein überaus fein gegliedertes Panzerhemd von Stahlringen hervorglänzte. Das ritterliche Gewand umgab nicht bloß die breite Brust, sondern auch den obern Arm bis über die Ellenbogen und fiel auf die Hälfte der Schenkel herab, während die Beine mit weiten, roten Hosen bekleidet waren und die Füße in gelben Schnabelschuhen steckten, in dem breiten orientalischen Bügel ruhend, dessen scharfe Spitze statt des Sporns dient. Der Kopf des Jünglings war mit einer helmartigen, glänzend polierten Silberhaube bedeckt, um die sich, statt des Nackenschildes und Visiers, die rote Binde eines Turbans schlang. Von der Spitze dieses Helms wehten zwei durch Stahldrähte gehaltene Pfauenfedern. Die Bewaffnung des Kriegers bestand aus einem stark gekrümmten Säbel, einem langen, dünnen Speer und einem hellpolierten Stahlschild, der auf seinem Rücken hing. Ein ähnlich bewaffneter alter Diener zu Pferde trug außerdem noch eine Luntenflinte von altertümlicher Form.

Der junge Mann ritt einen schwarzen Hengst, der nur an dem linken Hinterfuß einen kleinen weißen Fleck zeigte.

Sein Gesicht, gegen die Gewohnheit der meisten orientalischen Stämme von langem, dunklem Lockenhaar umgeben, das zu den Seiten des Turbans hervorquoll, zeigte die regelmäßige Bildung der kaukasischen Rasse.

Als die beiden schwarzen Sklaven langsam den noch halb betäubten Reisenden herbeiführten, und die Augen des erst kurz vorher zu der Gruppe der Jäger zurückgekehrten Reiters auf die Kleidung des Fremden fiel, loderte eine Glut von Haß daraus hervor und seine Rechte schwang drohend den Speer.

»Verfolgen diese verfluchten Faringi uns denn selbst in die Einöden der Wüste und senden ihre Späher zu jeder Zusammenkunft freier Männer?« rief der Gepanzerte wild. Aber der Flintenträger des Mahratten-Serdar streckte die Waffe seines Herrn schützend über das Haupt des Arztes aus, zum Zeichen, daß der Bedrohte unter dem Schutz der Gastfreundschaft des Gebieters stehe, und dann machte er dem Schobadar oder Platzmacher und obersten Diener des Mahrattenhäuptlings, welcher in dessen Abwesenheit den Befehl über die Jäger und Dienerschaft führte, ein Reihe von Zeichen, die diesem vollständig verständlich schienen, denn er wandte sich alsbald zu dem pingen Krieger, der nur mit gefurchter Stirn dem Widerspruch des Sklaven Gehör gegeben.

»Edler Khan,« sagte der Schobadar. »Dein Gastfreund, mein Gebieter, fordert uns auf, mit diesem Fremden nach der Burg zurückzukehren. Er gebietet mir, für ihn Sorge zu tragen und wird uns alsbald folgen.«

Der Khan näherte sein Roß dem Europäer und betrachtete ihn lange.

»Verstehst Du das Hindostani?« fragte er ihn.

»Ich rede Deine Sprache!«

»Du bist ein Faringi?«

»Wenn Du unter Faringi das Volk der Franken im allgemeinen verstehst,« antwortete der Arzt, der schon auf der Hochschule das Studium der orientalischen Sprachen eifrig betrieben und durch deren Kenntnis gerade die Bekanntschaft des unglücklichen Nabobs, des Enkels der Begum von Somroo gemacht hatte – »so bin ich ein Faringi oder Franke; ein Engländer aber bin ich nicht.«

»Wie heißt das Volk, dem Du angehörst?«

»Preußen!«

Der junge Khan ließ sich das Wort wiederholen, das ihn zu überraschen schien und in tiefes Nachdenken versenkte. Dann griff er hastig nach seinem Hals und zog eine große Schaumünze hervor, die an einer goldenen Kette auf seiner Brust unter dem Panzerhemd hing.

Dies Schaustück zeigte er dem Arzt.

Es war eine jener großen goldenen Medaillen, die König Friedrich Wilhelm IV. hat schlagen lassen, die das wohlgetroffene Brustbild des Monarchen tragen und mit deren Geschenk der große Beschützer der Kunst und des Wissens, der geistreichste und gelehrteste Monarch Europas die Auszeichnungen auf beiden Feldern ehrend anzuerkennen pflegte.

»Das ist Friedrich Wilhelm, der König meiner Nation.«

Der junge Khan nickte. »So bist Du ein Tapferer, denn Du gehörst einem tapferen Volke an, das kein Verräter sein kann an seinesgleichen. Fattih Murad Khan liebt die Männer seiner Nation und wird Dein Freund sein. Die Hand eines Sohnes oder Vetters Deines Königs schenkte Fattih Murad dies Zeichen nach der Schlacht von Ferodschah, in der die Faringi mein Volk besiegten. Ich ward verwundet und betäubt auf dem Schlachtfelde gefunden, der junge Maharadschah der Preußen, den ich zuvor an der Seite des Feldherrn der Faringi gesehen, nahm mich auf, pflegte mich, schenkte mir die Freiheit und gab mir zum Andenken dies Zeichen. – Sein Name war –«

»Prinz Waldemar.« –

»Du nennst ihn.« –

Währenddessen hatten die Diener des Mahrattenfürsten ein Pferd herbeigebracht, die Anstalten zur Lagerung, die man bereits begonnen, waren rasch abgebrochen worden und der Chiprassy oder Schobadar nahte ihm mit der Bitte, das Roß zu besteigen, da sein Gebieter den sofortigen Aufbruch der kleinen Jagdkarawane befohlen hatte.

Doktor Walding stieg sofort in den Sattel. Als er sich nach dem fernen Tamarindenhügel umschaute, auf dem ihm das furchtbare Abenteuer begegnet war, bemerkte er keinen der dort Zurückgebliebenen mehr.

Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung und schlug den Weg nach der offenen Fläche der Wüste ein, deren äußerer Gürtel die Dschungeln und eine Reihe von kahlen Sandhügeln bildete.

Die Sonne war jetzt im Sinken und ihre Strahlen brannten nicht mehr so heiß, daß sie dem Europäer die Fortsetzung des Weges unmöglich gemacht hätten, obschon er von dem Mordanfall, dessen Hergang ihm noch immer gewissermaßen unbewußt blieb, etwas angegriffen war und einen dumpfen Schmerz von dem Blutandrang im Kopf empfand. Der Khan hatte sein Pferd neben ihn gelenkt und setzte das so seltsam begonnene Gespräch fort.

»Bist Du ein Krieger des großen Königs, dessen Bild ich auf meiner Brust trage?«

»Du irrst,« entgegnete der Deutsche. »Ich stamme zwar aus jenem Lande, aber ich bin ein Arzt, ein Gelehrter, der Euer Land besucht.«

»Die Faringi sind Männer, deren Durst nach Wissen groß sein muß. Sie wissen viele Dinge, und dennoch kommen sie zu uns, um zu lernen.«

Der Jagdzug hatte jetzt den Gürtel der Dschungeln durchbrochen und trat in die wirkliche Wüste ein. Alle Vegetation schien hier aufzuhören, kein Baum, kein Strauch war zwischen den wellenförmigen Hügeln von weißem, staubartigem Sand zu erblicken, welche, so weit das Auge trug, den Boden bildeten, und deren Form mit jedem Winde sich änderte. Als der Reiterzug sich in dies Sandmeer versenkte, traf der Serdar wieder bei ihm ein.

»Vorwärts, Murad-Khan,« sagte er, »uns fordern jetzt die Thaten. Ich bringe der Rani das, was wir brauchen und vielleicht den Funken, der das Pulverfaß entzünden mag. Wir wollen so rasch, als unsere Renner uns tragen können, nach Malangher, meiner Burg.«

»Aber die Boten, die Du erwartest?«

»Sie werden uns folgen mit denen, die keine Pferde haben, und dem Jagdgerät!«

Er wandte sich zu dem Subedar und erteilte ihm leise einige Instruktionen, vorauf dieser mit einigen der Jäger und zwei Reitern den Weg in der Richtung nahm, welche die Gesellschaft anfangs bei dem Zusammentreffen mit dem deutschen Arzt verfolgt hatte. Dann ließ der Serdar von den Zurückbleibenden die Pferde tränken und mit Haferbrot füttern und befahl den Aufbruch.

»Die Kinder der Thur,« sagte er mit aller Freundlichkeit, die sein finsteres Antlitz gestattete, »spotten der Anstrengungen, wird aber der weise Arzt der Franken einen weiten und raschen Ritt, bis die Sonne wieder emporsteigt, vertragen können?«

»Wenn er mich von meinen Feinden entfernt und in Sicherheit bringt, mit Freuden, und sollte ich mich auch auf dem Sattel festbinden!«

»Und die Feinde, die Du fürchtest, sind?«

»Eure eigenen Tyrannen, die Engländer!«

»Schiwa sei gelobt! Dann vorwärts!«

Hinein in die Wüste sausen die acht Reiter. Der Arzt ahmte das Beispiel der anderen nach und band ein Leinentuch um den Mund zum Schutz gegen den Staub, und da die Sonne sich ihrem Untergang zuneigte und die Hitze nachgelassen hatte, ertrug er den anstrengenden Ritt ziemlich gut, obschon er durch seinen langen Aufenthalt auf dem Schiff des Reitens ziemlich ungewohnt geworden. Je weiter sie in die Wüste hineinkamen, desto trauriger und einförmiger wurde die Gegend. Nur selten noch streifte eine Gazelle am Horizont mit raschen Sprüngen vorüber oder ein Schakal trabte über die Sandhügel. Der ewige, unabsehbare Wechsel derselben glich einem leicht bewegten Meer. Der Ritt war zu rasch, die Luft zu heiß, als daß ein Gespräch möglich gewesen wäre, und so jagte die Schar rastlos ihrem noch immer unsichtbaren Ziele zu.

Doktor Walding bemerkte an verschiedenen Orten die von den Geiern abgenagten und von der Sonne gebleichten Knochen von Kamelen, und daß sie zweimal an steinernen, aber offenbar durch Menschenhand verschütteten Brunnen vorüberkamen, in deren Nähe einige Karylbüsche wuchsen.

Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß die Stämme, die die Oasen der Wüste bewohnen, oft auf viele Meilen in der Runde durch dies Mittel den Zugang zu ihren Wohnsitzen zu erschweren und unmöglich zu machen suchen.

Gegen zehn Uhr abends befahl der Mahrattenfürst Halt. Man lagerte an der Seite eines Sandhügels, die Reiter holten die mit Wasser gefüllten Ziegenschläuche hervor, die an ihren Sätteln befestigt waren, und stillten den eigenen und den Durst der Tiere, worauf ein einfaches Mahl von ausgetrockneten Datteln und Brot eingenommen wurde.

Nach zwei Stunden der Rast befahl der Serdar aufs neue den Aufbruch, und es ging wie vorher im Galopp weiter, wobei der Arzt die Sicherheit bewunderte, mit welcher seine Begleiter ohne alle sonstigen sichtbaren Zeichen eines Weges, nach dem Stande der Sterne ihre Richtung zu regeln schienen, ohne je einen Augenblick darüber in Zweifel zu geraten. Die frühe Dämmerung begann den Horizont zu erhellen und einiges Licht über die Fläche zu werfen, über welche die Reiterschar daherstürmte, als Walding bemerkte, daß sich die Gegend änderte, mächtige Felsenblöcke häufig ihren Weg unterbrachen und in der Entfernung von einigen Meilen eine dunkle Bergwand sich vor ihnen erhob. Auf diese zu ging ihr Lauf und sie erreichten den Fuß, als die ersten Sonnenstrahlen eben über die Wüste zitterten.

Staunend sah der Deutsche zu diesen Felsenmauern empor, die sich fast senkrecht aus der Sandfläche umher in schwarzen, gigantischen Massen erhoben, ohne daß sein Auge einen Weg zu ihrer Überschreitung erblicken konnte. Erst als Tukallah sein Roß am Fuß dieser mächtigen Bergwände hinlenkte und um einen Vorsprung derselben bog, sah der Arzt, daß sich hier eine jener schmalen Klüftungen öffnete, die einem Riß zwischen Felswänden, durch irgend eine Gewalt der Natur hervorgebracht, gleichen, und daß dieser Spalt in verschiedenen Windungen sich in die Berge hinaufzog. Der Weg nach seinem Grund war so schmal, daß kaum zwei Reiter neben einander ihn passieren konnten, und oft hingen die schwarzen Felskuppen so weit darüber hin, daß kaum noch eine schmale Linie des Himmels zu erblicken war.

Der Serdar hielt am Eingang dieses furchtbaren Felsenpasses an, der leicht gegen ein ganzes Heer zu verteidigen sein mußte, und entlockte einem Horn, das einer seiner Begleiter ihm reichte, dreimal einen langgezogenen Ton.

Das Echo war kaum verklungen, als von der Höhe der Felsenlabyrinthe ein ähnlicher Hornstoß antwortete.

»Die Wachen sind auf ihrem Posten und benachrichtigt,« sagte der Serdar. »Vorwärts denn!« Und er lenkte sein Pferd in den gefährlichen Weg.

In der Kluft herrschte noch tiefe Finsternis, aber die edlen Rosse schienen den Weg so genau zu kennen, daß die Reiter ihnen unbesorgt die Zügel überließen. Zwischen den hohen Felswänden wand sich der Pfad in die Höhe und wurde immer lichter, je weiter sie kamen. Zweimal begrüßte sie der Anruf von Schildwachen, die auf vorspringenden Felsstücken über ihren Häuptern Wache hielten.

Sie waren eine halbe Stunde bergan gestiegen, wobei sich die Kluft mehr und mehr öffnete, als sie auf der Höhe derselben und an der andern Seite des Felsenwalles anlangten.

Zu seinen Füßen erblickte der Deutsche im lieblichen Licht der Morgensonne mitten in dieser Wüste ein Paradies, wie es die Phantasie nicht herrlicher schaffen konnte, ein Zauberbild aus einem orientalischen Märchen mit aller Wunderpracht der tropischen Vegetation.

Walding hatte oft von jenen paradiesisch schönen Thälern von Kashmir gelesen, die sich plötzlich vor dem Wanderer in den wilden Gebirgszügen des Himalaya öffnen, glaubte hier ein solches vor sich zu sehen. Das Thal, das sich zu seinen Füßen ausbreitete, mochte etwa eine halbe deutsche Meile lang und halb so breit sein, und war rings von hohen Felsenmauern eingeschlossen. Diese flachten nach dem Thale zu sich zu grünen Rasenmatten ab, bedeckt mit wildem Wein und herrlichen Korkeichen, zwischen denen der Teakbaum seine großen Blätter hervorstreckte. Der Grund des Thales war ein weiter, prächtiger Blumenteppich, aus dem süße Wohlgerüche emporstiegen und die Luft erfüllten. Von der östlichen Felswand sprudelte ein starker Quell kaskadenartig herab, durchschlängelte in einem künstlich oder natürlich geregelten Lauf einen großen Teil des Grundes und bildete in der Mitte des Thales einen kleinen von Akazien umgrünten Teich.

Prächtige Gruppen von Kokos- und anderen Palmenarten der Tropen, Tamarinden von einem so riesigen Umfang, daß drei Männer die Stämme kaum zu umspannen vermocht hätten, mit einem zephirartig reizend gefiederten Laub, die Banane, der Mangobaum und die Pipala wechselten mit prächtigen Mongrove-, Rosen- und Granatbüschen ab. Zwischen Hecken von wildem Indigo, Sirky und den schönen Mimosenbäumen streckten sich wohlbewässerte Felder mit allen Getreidearten Indiens, dem goldenen Weizen, dem Gräm und Javary. Dies reizende Landschaftsbild erhielt durch viele aus Bambusrohr zierlich geflochtene Hütten, durch eine Herde Kamele, die an den Abhängen des Gebirges weideten und eine Zahl von zehn zahmen Elefanten, die eben von ihren Kornaks zur Tränke am Teich geführt wurden, das Bild der wohnlichen Belebtheit. Aber auch an anderer Belebung fehlte es nicht. Die schöne Angoraziege kletterte auf den Berghöhen, das Thibet-Schaf weidete im Grunde, mächtige Stiere begrüßten brüllend den Morgen, und die bunte Farbenpracht der Vögel war erwacht mit den ersten Sonnenstrahlen.

All dies paradiesische Leben entwickelte sich natürlich erst vor den staunenden Augen des Deutschen, als er langsam mit seinen Begleitern in das herrliche Thal hinabritt, dessen plötzlicher Anblick ihn auf der Höhe der Felsen mehrere Minuten lang gefesselt hatte, während der Mahrattenfürst und der Khan sich an seiner Überraschung weideten.

Dann streckte Tukallah die Hand aus, wies nach dem Hintergrund des Thales und sprach den Namen: Malangher!

An der Südseite des Thales, auf einem eckig hervorspringenden Felsengrat lag das Mahrattenschloß, die geheimnisreiche, dunkle Felsenveste der Würger!



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