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Villa-Franca.

Es war am Vormittag, Montag den 11. Juli.

Zum Ort der Zusammenkunft der beiden Kaiser war das Städtchen Villafranca, Station an der Eisenbahn von Verona nach Mantua, also auf dem durch den Waffenstillstand neutralisierten Terrain zwischen den beiden Heeren belegen, bestimmt.

Louis Napoleon machte den Wirt, er war zuerst auf dem Platz. In der Begleitung des Kaisers befanden sich der Marschall Vaillant und der General Fleury nebst einigen Adjutanten.

Der Kaiser von Österreich war bei seinem Eintreffen von seinem bösen Engel in all den inneren und äußeren Wirrnissen, dem ersten General-Adjutanten Grafen von Grünne, Feldmarschall-Leutnant Freiherr von Kellner, Freiherr Schlitter von Niederburg, Feldzeugmeister Heß und Generalmajor, von Ramming begleitet.

Als der Wagen des Kaisers Franz Josef vorfuhr, kam ihm Louis Napoleon an der Schwelle des zur Zusammenkunft bestimmten und in aller Eile eingerichteten Hauses entgegen und bewillkommnete ihn auf das zuvorkommendste.

Der junge Monarch von Österreich Franz Josef ist geboren am 18. August 1830. erschien gedrückt, verstimmt, er konnte offenbar nur mit Anstrengung seiner trüben Stimmung Herr werden. Dennoch zeigte sich eine gewisse Bestimmtheit in seiner Miene, ein Talleyrand oder Metternich würden die Deutung daraus gezogen haben, daß er entschlossen sei, sich mit dem wirklichen Feind zu vertragen, um dem ihm verdächtigen Freunde zu entgehen.

Der Kaiser Louis Napoleon war ernst, beobachtend, ohne den Anschein zu geben, aber überaus zuvorkommend. Kein Wort, keine Bewegung verriet den Sieger, der die Bedingungen des Friedens diktieren konnte.

Die französischen Wachen salutierten, die Trommeln wirbelten, der Kaiser Napoleon faßte die Hand seines Gegners und führte ihn in das Haus.

Hier folgten zunächst die Vorstellungen des Gefolges und eine kurze allgemeine Unterhaltung. Dann wandte sich der französische Kaiser an seinen erlauchten Gast.

»Sire,« sagte er, »ist es Ihnen gefällig, die Unterredung, die ich Ihnen vorgeschlagen, und in die Sie so freundlich gewilligt, zu halten, indem wir diese Herren für einige Zeit sich selbst überlassen.«

»Ich bin zu Eurer Majestät Bestimmung. Ich werde die Ehre haben, Ihnen zu folgen.«

»Sie sind auf Ihrem Grund und Boden, Sire, ich habe die Pflichten des Wirtes nur für einige Stunden übernommen.« Er öffnete die Thür.

Der Kaiser Franz warf einen Blick auf seine Umgebung, ehe er folgte.

Graf Grünne stand neben ihm.

»Vergessen Euer Majestät den Heiligen Vater nicht!« flüsterte er in ungarischer Sprache.

Der Kaiser nickte schweigend und trat in das nächste Zimmer, dessen Thür der General Fleury hinter den beiden Monarchen schloß. Sie gingen durch die leere Antichambre und traten in ein zweites Gemach, das zu der Unterredung bestimmt war.

In der Mitte stand ein Tisch, rechts und links zwei Lehnsessel. Auf dem Tisch lagen zwei Karten von Ober-Italien und Deutschland.

Mit einer höflichen Bewegung lud Napoleon seinen Gast ein, Platz zu nehmen.

Der Kaiser Napoleon eröffnete die Unterredung.

»Sire,« sagte er, »ich bin es zunächst, der Sie um den Frieden bittet. Warum sollen wir länger das Blut unserer tapferen Soldaten vergießen, da eine Einigung so leicht ist? Ich komme Ihnen mit der ganzen Offenheit entgegen, die zwischen den Herrschern zweier mächtigen Reiche bestehen kann und bestehen muß. Wir beide sind die weltlichen Beschützer der katholischen Kirche. Wir haben also ein gemeinsames wichtiges Interesse, das uns immer wieder vereinigen wird, wenn wir aus politischen Mißhelligkeiten uns auch eine Zeitlang im offenen Felde bekämpfen.«

»Euer Majestät,« sagte der junge Monarch, »sind der Verbündete eines Souverains, der die Heiligkeit und Unverletzlichkeit dieser Interessen am wenigsten anerkennt.«

»Der König Viktor Emanuel!« Ein leichter Hohn überflog das Marmorgesicht des französischen Kaisers. »Das Haus Savoyen wünscht allerdings die Krone von Italien zu tragen, selbst die dreifache, und ist dafür zu Opfern nach allen Seiten bereit. Lassen Sie uns offen sprechen, Sire. Es ist ein alter Streit, nicht von heute, den Frankreich in Italien auszufechten hat. Von den Anjous und den Valois' ist er meinem Onkel überkommen, und es ist das Schicksal unserer Dynastieen, den Kampf zu Ende zu bringen. Lassen Sie uns die Gelegenheit benutzen, halten wir uns an die Fakta! Ich rede ganz offenherzig. Frankreich konnte den überwiegenden Einfluß Österreichs in Italien nicht dulden, weil unter dieser Hülle immer und immer wieder die Bourbonen stecken. Meine Dynastie ist jung, darum kann sie nicht nachgeben, wie die der Habsburger. Frankreich hat den Fuß in Rom, und Sie werden mir zutrauen, daß ich nicht Lust habe, ihn zurückzuziehen, außer unter genügenden Garantieen. Auf der andern Seite kann dem Kabinett von Wien unmöglich die französische Suprematie gerade in Rom lieb sein. Nun, Sire, wir wollen gemeinsam diesen Schutz üben. Die Thatsache, daß Sie durch das Waffenglück die Lombardei verloren haben, läßt sich nicht leugnen.«

»Aber nicht an den König Viktor Emanuel!«

»Kein verständiger Mensch denkt daran! Sie haben die Provinz an Frankreich verloren, und die erste Friedensbedingung ist, daß sie an dieses abgetreten wird. Allerdings bin ich dann verpflichtet, die Lombardei unter gewissen Bedingungen an Sardinien zu geben. Dies Verfahren schont vollständig die militärische und politische Ehre Österreichs.«

»Euer Majestät,« sagte der Kaiser Franz Josef, »haben noch einen schlimmeren Bundesgenossen als den König Viktor Emanuel!«

»Der wäre?«

»Die italienische Revolution!«

»O Sire,« sagte Napoleon lächelnd, »wenn ich es wollte, hätte ich auch die Revolution in Ungarn und Polen zur Disposition. Aber man benutzt diese Bundesgenossen nur im äußersten Fall und auf den verlorenen Posten. Was nun Italien betrifft, so war die Revolution dort seit Jahrhunderten in Permanenz, selbst unter dem strengsten Regime der französischen Bajonette und ich glaube, wir beide werden wirklich am besten thun, Se. Heiligkeit, die Bourbons und den König Viktor Emanuel mit ihr selbst fertig werden zu lassen, so gut sie können. Bleiben wir zunächst bei der Hauptsache stehen, daß die Lombardei verloren ist, Sie also kein Opfer mehr bringen, wenn Sie dieselbe auch politisch aufgeben.«

»Das Kriegsglück, Sire, kann sich ändern. Wir sind geschlagen, aber nicht besiegt und stehen jetzt zwischen unseren Festungen. Der deutsche Bund ist gerüstet, seinen Verpflichtungen gemäß bei jedem weiteren Angriff einzutreten.«

»Der deutsche Bund! Ah, Sire, verlassen Sie sich wirklich auf diesen Rattenkönig, der jeden Augenblick bereit sein wird, wenn er Gefahr sieht, sich in einen neuen Rheinbund zu verwandeln?«

»Preußen allein kann eine Armee von zweimalhunderttausend Bajonetten stellen.«

»Ich glaube sogar mehr, wenn es ein populärer Krieg wäre. Haben Sie neue Nachrichten von Berlin?«

»Der Marsch des preußischen Armeekorps wird am 13. beginnen.«

»Das ist eine ziemlich alte Nachricht, Sire. Außerdem bedenken Sie wohl, daß eine Observationsaufstellung noch lange kein Krieg ist. Preußen hätte sie längst meiner Armee von Chalons gegenüber nehmen müssen. Ich habe heute morgen über Paris von meinem Gesandten ein Telegramm erhalten, das mich über die preußischen Absichten vollständig beruhigt. Vielleicht wird es Eure Majestät interessieren, es zu lesen.«

Er nahm von dem Tisch eine Depesche und reichte sie seinem Gegner.

Es ist jenes verhängnisvolle Telegramm des französischen Gesandten aus Berlin, das den Frieden von Villafranca diktierte.

 

» Sire!

J'ai l'honneur, d'assurer Vôtre Majesté, que le Prince-Régent de Prusse ne viendra jamais en aide à 1'Autriche, à moins que cette puissance ne lui assure la suprematie en Allemagne.

Vôtre Majesté très humble serviteur
Moustier.
«

 

Wer sollte es Napoleon III. verargen, daß er das spätere Telegramm, datiert von Dresden, den 10., mittag 12 Uhr, mit jener Nachricht des endlichen Erfolges der Mission des Fürsten Windischgrätz in seinem Portefeuille behielt!?

Eine Totenblässe hatte das Antlitz des jungen Monarchen überzogen, vielleicht dachte er in diesem Augenblick an jenen Moment, als er an der Seite des Königs Friedrich Wilhelm IV., seines Oheims, an der Spitze des prächtigen Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments vor wenigen Jahren durch die Linden von Berlin ritt!!

»Euer Majestät,« fuhr der französische Kaiser nach einer Pause, die er den Gefühlen seines Gegners gegönnt hatte, fort, »haben selbst unsere Unterredung auf einen Punkt gebracht, den ich andernfalls kaum berührt haben würde, um Sie nicht zu verletzen. Ich bitte Sie, meine klare Darlegung der Verhältnisse ruhig anzuhören und danach Ihre Entscheidung zu fassen. Ich bin viel älter als Sie, und mein Thron ist allen Gefahren weit mehr exponiert, als der Ihre. Sein Halt ist die französische Armee. Wenn ich sie in ihrem Siegeslauf hemme, müssen die Gründe und Rücksichten also sehr wichtige sein.

»Die Lombardei, Sire, war für Österreich stets ein sehr kostspieliger Besitz, der Sie zwang, eine große Armee auf den Beinen zu haben, und Ihre Finanzen zerrüttete. Wenn Sie sie aufgeben und dagegen die starke Stellung am Mincio und der Etsch behalten, wird der scheinbare Verlust ein wirklicher Gewinn sein.

»Das Opfer, das ich bringe, ist, wie ich Ihnen bereits angedeutet, ein weit größeres. Ich bringe es aus mehreren wichtigen Gründen. Ich weiß, daß Ihre Hilfsquellen noch lange nicht erschöpft sind, daß sich das Kriegsglück bei einer nächsten Schlacht an der Etsch gegen mich wenden kann. Was wird die Folge sein? Meine Flotte wird sich gezwungen sehen, zur großen Befriedigung der Engländer Ihre Küsten im adriatischen Meere zu verwüsten und den orientalischen Handel Triests zu vernichten. Ich werde genötigt sein, den Plänen des Herrn Cavour nachzugeben, denen ich so lange um der Ruhe Europas willen widerstand, und die Revolution in Ihrem Rücken von der Grenze Albaniens bis Krakau wachzurufen. Bedenken Sie wohl, daß eine Landung französischer Truppen in Dalmatien gleichbedeutend ist mit einer Erhebung Ungarns.«

»Und wer, Sire, sind die Bundesgenossen, auf die Sie rechnen könnten? Rußland freut sich jeder Niederlage Österreichs und wird nicht verfehlen, im günstigen Augenblick sich die Herrschaft an der unteren Donau zu sichern. England wird sich hüten, aktiv für Sie einzutreten, weil dies sofort Amerika nachziehen würde. Und der deutsche Bund oder vielmehr Preußen?!

»Ich habe Ihnen vorhin schon angedeutet, Sire, was von dem deutschen Bund zu halten ist. Er wäre allerdings eine nicht zu verachtende Macht, wenn er einig wäre. Die Tradition und der Machtbesitz haben bisher Österreich die Suprematie in Deutschland gesichert; aber es ist unverkennbar, daß Preußen sich rüstet und intriguiert, um Ihnen diese streitig zu machen. Ich sehe die Zeit kommen, wo man versuchen wird, Sie aus Deutschland zu verdrängen und auf die außerdeutschen Länder zurückzuwerfen. Es ist möglich, daß Preußen mir später den Krieg erklärt, aber es wird dies nicht im Interesse Österreichs thun, sondern in seinem eigenen, zunächst, um sich die Hegemonie in Deutschland zu sichern. Ihr letzter Antrag am Bundestag beweist, wie sehr Sie selbst dies erkennen und fürchten. Setzen wir den Krieg fort, so sind Sie gezwungen, alle Ihre Reserven aus Deutschland herauszuziehen und Preußen freie Hand zu lassen.«

»König Friedrich Wilhelm ist mein Oheim, er liebt mich und wird Österreich nicht verlassen in der Gefahr!«

»Bah! Sie vergessen, daß König Friedrich Wilhelm IV. aufgehört hat, zu regieren, und daß der Prinz-Regent nicht Ihre Tante zur Gemahlin hat, sondern eine Dame von hochstrebendem Geist, die ihrem Sohne schon einmal die deutsche Kaiserkrone sichern wollte. In Berlin ist es nur die gazette de la croix, die noch Heil im Bündnis mit Österreich predigt. Das Höchste, was Sie mit einer Fortsetzung des Krieges erringen können, ist der Wiederbesitz der Lombardei. Wollen Sie ihn mit dem Verlust Ihres Einflusses in Deutschland erkaufen? Mir, Sire, liegt nichts daran, daß das protestantische Deutschland sich auf Kosten des katholischen Österreich stärke! Aber wenn Sie mich zwingen, wird den französischen Interessen auch ein Bündnis mit Preußen möglich sein!«

Der junge Monarch kämpfte einen schweren Kampf, er fühlte, wie bitter sich Dresden und Olmütz rächten.

»Mein Herr und Bruder,« sagte der französische Kaiser mit dem Ausdruck aufrichtiger Kordialität, indem er die offene Hand über den Tisch hinüber bot, ich bitte Sie um den Frieden, damit unsere braven Soldaten einer besseren Gelegenheit ihr Blut aufbewahren!«

Der Kaiser Franz Josef ließ langsam seine Hand in die seines klugen Gegners sinken.


Nach einer kurzen Pause nahm der Kaiser der Franzosen wieder das Wort.

»Jetzt, Sire, wo wir über die Hauptsache einig sind, werden wir es auch leicht über die Nebenfragen werden. Sprechen Sie Ihre Wünsche aus, und seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen in jeder Beziehung nach Kräften entgegenkommen werde.«

Der Kaiser Franz Josef verbeugte sich; ein Lauscher würde sicherlich bemerkt haben, daß ihm eine große Last vom Herzen genommen war.

»Vor allem,« sagte er, »wie denken Euer Majestät über die weltliche Macht des Heiligen Vaters? Die Verpflichtungen des Schutzes, die Österreich hat, können Ihnen nicht unbekannt sein, und wenn Ihre Truppen Rom verlassen, würde dies das Signal zum Einzug der Herren Mazzini und Garibaldi werden.«

»Einen Augenblick, Sire!«

Der Kaiser Napoleon beschrieb ein Blatt, dann reichte er es seinem neuen Verbündeten.

»Sehen Sie zu, mon frère, ob Sie damit einverstanden sein können!«

Der Entwurf lautete:

 

»Seine Majestät der Kaiser von Österreich und Seine Majestät der Kaiser der Franzosen sind über nachfolgendes übereingekommen:

Die beiden Herrscher werden die Bildung einer italienischen Conföderation befördern; dieser Bund soll unter der Ehrenpräsidentschaft des Papstes stehen.

Der Kaiser von Österreich tritt dem Kaiser der Franzosen seine Rechte auf die Lombardei mit Ausnahme der Festungen Mantua und Peschiera ab, dergestalt, daß die Grenze der österreichischen Besitzungen nunmehr von dem äußersten Rayon der Festung Peschiera ausgehend längs des Mincio bis le Grazie läuft; von da ab über Scorzarola nach Luzzara am Po, von welchem Punkte ab die bisherige Grenze Österreichs bleibt. Der Kaiser der Franzosen wird das abgetretene Gebiet dem König von Sardinien übergeben. remettra.

Venetien macht einen Teil des italienischen Bundes aus, bleibt aber dessenungeachtet der Krone des Kaisers von Österreich.

Die beiden Kaiser werden den heiligen Vater auffordern, in seinen Staaten die durchaus notwendigen Reformen einzuführen.

Eine volle unbedingte Amnestie wird von beiden Teilen den Personen zugestanden, die sich gelegentlich der letzten Ereignisse auf den Gebieten der kriegführenden Parteien kompromittiert haben.«

 

Der Kaiser Franz Josef las diesen Entwurf aufmerksam durch, er holte tief und schwer Atem, als er dabei zufällig auf die vor ihm liegende Karte von Oberitalien einen Blick warf.

»Ich erkenne Euer Majestät Freundlichkeit vollkommen an,« sagte er endlich, »aber es ist mit meiner Ehre und Verwandtenpflicht unvereinbar, das Schicksal von Toscana und Modena der Willkür der Piemontesen zu überlassen.«

Der Kaiser der Franzosen lächelte. »Ist es nur das, Sire, was Sie beunruhigt? Dem ist leicht abzuhelfen, wenn nach meiner politischen Überzeugung damit auch nur ein Provisorium geübt wird.«

Er schaltete den nachstehenden Satz ein:

»Der Großherzog von Toscana und der Herzog von Modena kehren in ihre Staaten zurück und geben eine allgemeine Amnestie.«

»Das Weitere,« fuhr der Kaiser Napoleon fort, »wird allerdings Sache der Fürsten und ihrer Unterthanen sein, und ich fürchte, Sire, die Sache wird keinen Bestand haben. Um Ihnen jedoch zu beweisen, daß ich, schon in der Erinnerung an die Verwandtschaftsbande meines Oheims, aufrichtige Freundschaft für Ihre Familie hege, will ich Ihnen einen anderen Vorschlag machen.«

Der Kaiser Franz Josef sah ihn fragend an.

»Sie erinnern sich, Sire, des Attentats Orsinis?«

»Es war ein abscheulicher Frevel!«

»In diesem Licht muß ich es natürlich auch betrachten, da ich der Hauptbeteiligte bin. Und dennoch, Sire, befinden sich in meiner Armee oder in der meines Bundesgenossen, ja in meinem Hauptquartier Leute genug, die bei jenem Versuch eine Rolle spielten. Wenn Sie eines gewissen Briefes gedenken wollen, den der Mörder aus seinem Gefängnis an mich richtete, wird sich Ihnen die Ursache leicht vor Augen stellen. Der Krieg in Italien war eine Notwendigkeit für meine Existenz, ohne ihn würde ich wahrscheinlich längst das Opfer einer italienischen Hand geworden sein. Aus dieser Ursache kann ich die Regierung der Herzöge nicht mit Gewalt aufrecht erhalten, so gern ich es thun möchte. Man vergiebt mir Rom um des Papstes willen und weil die Revolution nicht mit der ganzen katholischen Christenheit brechen kann, aber Parma, Modena und Toscana, die recht eigentlich der Herd der Propaganda sind, würde man mir nicht vergeben. Das sind meine persönlichen Interessen! Auf der anderen Seite erlauben die Frankreichs nicht, daß österreichische Bajonette die italienischen Fürstentümer besetzt halten. Ihre Souveräne müssen demnach versuchen, mit eigenen Mitteln der Revolution Herr zu werden, sie haben plein pouvoir dazu. Diese Mittel werden hart, selbst grausam sein müssen – was kümmert's uns? Die Kirche selbst hat uns Beispiele genug gegeben und wird dies wahrscheinlich auch wieder thun, die Italiener sind an Blut gewöhnt und ohne Blut nicht zu regieren. Aber ich fürchte, auf die Dauer wird selbst das nicht helfen! Nun, Sire, wenn die Mitglieder Ihrer Familie einen Thron verlieren sollten, bin ich gern bereit, einem oder dem anderen – Sie haben ja Brüder, Sire! – zu helfen, sich einen neuen Thron an einer Stelle des Erdballs aufzurichten, wo die Interessen Frankreichs und Österreichs nicht kollidieren. Zum Beispiel im Orient, in Amerika – selbst in Athen! Behalten Sie dies Versprechen im Gedächtnis!«

»Ich hoffe, wir werden es nicht nötig haben.«

»Ich will es wünschen. Wenn ich mir erlaube, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Punkte der Politik zu richten, so gestatten Sie mir dies, als einem älteren Manne. Ich kann meine Teilnahme für Österreich und Euere Majestät nur in dem Rat zusammenfassen: Vertrauen Sie nicht auf England, und hüten Sie sich vor Preußen!«

Die finstere, entschlossene Miene des jungen Monarchen bewies, wie tief die wohlberechneten Worte getroffen.

»Es liegt etwas in diesem Preußen,« fuhr der Kaiser fort, »was ihm eine Zukunft verheißt, eine gewisse Kraft, die seine Polypenglieder unwiderstehlich konzentrieren kann. So lange der gegenwärtige König lebt oder, ich darf sagen, existiert, ist wenig zu fürchten, aber der Regent ist ein Mann in der vollen Bedeutung des Wortes; wenn es ihm einst gelingt, die rechte Person für Leitung seiner auswärtigen Politik zu finden, kann Preußen leicht noch in unserer Zeit eine sehr bedeutende Rolle spielen. An der Zähigkeit dieser Nation ging schließlich mein großer Onkel zu Grunde, der sie nicht ohne Vorahnung so klein gemacht. Hüten Sie sich vor Preußen! Und da wir einmal beim Kapitel der Warnungen sind, Sire, so erfordert die Wahrheit, Ihnen zu sagen, daß Ihre tapfere Armee die Schlacht von Solferino kaum würde verloren haben, wenn sie nicht einen argen Verräter in ihrer Mitte gehabt hätte!

»Einen Italiener?«

»Nein, Sire, kein Italiener und kein Ungar, es war ein Deutscher! Ich habe keine Rücksicht zu nehmen, denn der Schurke bot sich selbst an und hat es für schweres Geld gethan. Hier, Sire, ist die am Abend vor der Schlacht von Solferino mir zugegangene Abschrift Ihrer ganzen Marsch-Disposition mit der vollständigen Ordre de Bataille!«

Der Kaiser Napoleon schob seinem Gegenüber einige Papiere über den Tisch mit einer Miene der Verachtung und des Ekels zu. »Gott im Himmel, Sire!« sagte er, »die schwere Last des Regierens, die uns Fürsten obliegt, wäre um die Hälfte leichter, wenn wir nicht so viele Schufte und Speichellecker in unserer Nähe hätten!«

Der Monarch von Österreich warf einen traurigen Blick auf die verhängnisvollen Papiere und nickte zustimmend.

»Darf ich sie mitnehmen, Sire?«

»Gewiß! das Bekanntwerden der Sache kann der Ehre meiner Armee keinen Eintrag thun. Der einzige Mann, den ich dabei zu schonen gehabt hätte, ist tot. Und nun, mon frère, denke ich, können unsere Minister das Weitere abmachen, und ich kann mich dem Vergnügen hingeben, Ihre Gesellschaft zu genießen!«

Die beiden Monarchen erhoben sich und reichten sich die Hände.

Der Frieden von Villafranca war geschlossen!


Unter den Papieren, die der Kaiser Franz Josef zu sich steckte, befand sich – durch Zufall und ohne Absicht mit hinübergeschoben und aufgenommen – ein verhängnisvolles Blatt: die Notizen, die General Montboisier auf Befehl des Kaisers am Vormittag des Schlachtages aus den Angaben des Flüchtlings gemacht hatte, der sie vor den Husaren von Edelsheim gerettet.


Die österreichischen Uniformen und Bajonette wimmelten durch alle Straßen Veronas; die ganze Bevölkerung war auf den Beinen und füllte die Plätze, die Kaffeehäuser. Die Nachricht von dem zu Villafranca abgeschlossenen Frieden hatte sich mit Blitzesschnelle verbreitet, die österreichischen Gesichter leuchteten vor Freude und Befriedigung, zwischen den Zähnen der Italiener zischte das verhängnisvolle Wort: il traditore! – Der Feldruf: »Frei bis zur Adria« war zum Hohn geworden

Es war am späten Abend; vor einem Café der Piazza Brà saßen drei Männer in eifrigem Gespräch: der Baron v. Reuillat, der Graf Mortara und der Mohrendoktor.

Der letztere war erst vor einer Stunde wieder mit den französischen Bevollmächtigten, welche die Unterzeichnung des Friedensinstruments beim Kaiser Franz Josef einholen sollten, nach Verona zurückgekehrt, nachdem er sich mehrere Tage im französischen Hauptquartier aufgehalten hatte, um hier die Nachforschungen nach seinem verlorenen Neffen fortzusetzen.

»Ob Sie es uns zugestehen wollen oder nicht, Herr Graf,« sagte der Maure, »ich bin überzeugt, daß Ihr Beistand es war, der dem armen Burschen davon half. Wenn Sie so freundlichen Anteil an seinem Schicksal genommen, so verweigern Sie uns jetzt nicht Ihre Hilfe, wo wir sie so dringend brauchen, um das geheimnisvolle Dunkel aufzuklären, das über ihm schwebt.«

»Lassen Sie die Toten ruhen,« sagte der Graf finster, »die Gräber von Solferino decken so viele, und er ist dort einen Soldatentot gestorben.«

»Wenn ich es wüßte, würde ich mich darein fügen. Ich bin so lange ohne Hoffnung und Aussicht gewesen, daß das Blut der alten Könige Granadas mit dem welken Strom in meinen Adern nicht ersterben müsse, daß ich mich daran gewöhnt hatte. Aber jetzt, wo mir die Aussicht ja die Gewißheit geworden, daß ein Zweig des alten Stammes noch vor wenig Tagen grünte trotz alles Hasses und aller Verfolgung, daß das Kind meiner unglücklichen Schwester lebte, ohne daß sein Dasein mit Schmach für ihr Gedächtnis verknüpft war, kann ich mich nicht entschließen, zu glauben, daß die Allmacht in demselben Augenblick, wo sie mir diese Vergütung eines einsamen und sorgenvollen Lebens gegeben, schon die Fackel wieder verlöscht hat.«

»Teilen Sie uns nochmals genau mit, Doktor,« sagte der Baron, »was Sie drüben herausgebracht haben.«

»Es ist viel und doch wenig genug! Nach der Erzählung des General Montboisier und Major Lasorgnes, der leicht verwundet in Brescia liegt, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß es wirklich der Novize Felicio, mein unglücklicher Neffe war, der bei Ca Marino auf die Suite des Kaisers traf und mit ihnen dem ferneren Gang der Schlacht beiwohnte, bis ihn das Soldatenblut in seinen Adern mit den Zuaven Vazaines, meinen alten Freunden zum Sturm auf den Kirchhof trieb. In ihrer Mitte soll er gefochten haben, ein Offizier erinnert sich der auffallenden Gestalten weißen Militärmantel mitten zwischen den Zuaven, aber niemand kann weiter bestimmte Auskunft geben, ob er gefallen, ob er gefangen worden, oder ob er sonst verschwunden ist!«

»Und Sie haben alles versucht, um die Sache festzustellen?«

»Sie können denken, wie es bei einer solchen Gelegenheit hergeht. Die Eindrücke sind so rasch aufeinanderfolgend, so überwältigend, daß der einzelne keinen Halt hat im Gedächtnis. So kann selbst Graf Montboisier kaum mit Bestimmtheit angeben, ob er den Unglücklichen wirklich unter den Stürmenden erkannt hat. Das halbe Bataillon ist bei jenem Angriff gefallen, auch ein Freund und Schützling des Grafen, von dem wir noch Auskunft hofften, Leutnant des Chapelles; und dessen unzertrennlicher Gefährte, Sergeant Touron, der das Unglück hatte, ihn selbst zu töten, ist tiefsinnig und verweigert jedes Wort.«

»Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben,« sagte der Baron. »Ich habe unterdes hier das mögliche versucht, mich nach den französischen Gefangenen zu erkundigen. Sie befinden sich teilweise hier, zum Teil in Mantua! Aber ich mußte vorsichtig sein, um unserem aufmerksamen Gegner nicht selbst die Spur zu zeigen. Der Superior befindet sich hier, und würde den Novizen gewiß sofort für die geistliche Gerichtsbarkeit reklamieren, die ich mehr fürchte, als die weltliche. Nach dem Friedensschluß von heute wird eine Auswechselung der Gefangenen schon in den nächsten Tagen erfolgen, und dann werden wir eher Gelegenheit haben, etwas Sicheres zu ermitteln.«

Ein höherer Offizier kam langsam durch das Volksgewühl über den Platz geritten, von seiner Ordonnanz gefolgt. Als er an der Gruppe vorbeikam, grüßte er vertraulich den Grafen, der zu ihm trat und mit ihm plauderte. Nach einigen Minuten erst ritt der Österreicher weiter, dem Kastell zu, der Modenese kehrte zurück.

»Es geht etwas vor da drüben,« sagte er zu dem Baron mit dem Kopfe nach der Seite des Kastells winkend.

»Was ist's?«

»Man hat noch spät abends ein Kriegsgericht berufen. Der General gehört dazu. Er weiß nur, daß nach der Rückkehr des Kaisers ein Offizier des Generalstabes plötzlich verhaftet worden ist.«

»Wahrscheinlich wieder ein Fehler eines Oberen, den ein Untergeordneter büßen muß! Es ist leider so Sitte!« sagte der Baron bitter. »Ich erinnere mich einer Stelle aus Schillers Wallenstein, der schon diesen Fehler rügt!«

Der Graf Mortara schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es handelt sich diesmal nicht um einen Fehler, sondern um ein Verbrechen. Dem Herzog entfiel vorhin, als ich ihn sprach, eine Andeutung in dieser Beziehung. – Geht weg, Bursche, wir wollen nichts von Eurem Kram!«

Die letzten Worte galten einem jener zudringlichen Tabuletkrämer, die mit Zigarrenspitzen, venetianischen Perlen, Seife und Bürsten die Gäste der Kaffeehäuser belästigen.

Es war ein kleiner, alter Bursche mit kohlschwarzem Bart, eine große blaue Brille vor den Augen, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, große Vatermörder, ein Putz, den die niederen Italiener sehr liebten, bis an die Nasenspitze ragend, ohne daß sie doch deren jüdischen Typus verbergen konnten.

»Gott der Gerechte,« weimerte der Krämer mit schnarrender Stimme, »so ä vornehme Exzellenz wird doch geben an dem Freudentag, da aufhört der grausame Krieg, zu verdienen Eppes 'nem armen Mann? Wenn der Herr General nich will kaufen ä achten Meerschaum, wird der gnädige Herr hier doch vielleicht kaufen ä Brille mit vortrefflichen Gläsern, die sind so gut, daß man sehen kann, was man sucht, und sollt es auch sein noch so weit, oder gar hinter de Wälle und de Mauern von ä Festung!«

Doktor Achmet, dem diese Anpreisung gegolten, schaute betroffen empor, sein scharfes Auge fixierte den Verkäufer, der rasch einen Finger auf seinen Mund legte.

»Ab …«

»Wenn der gnädige Herr fremd sind in Verona,« fuhr der Krämer hastig fort, »und er hat noch nicht gesehen den Cirkus im Mondlicht, könnt' er haben jetzt die schönste Gelegenheit dazu. Die Sache is grausam schön, und der Herr Verwalter von der Thür is mei Freund und wird uns öffnen den Eingang.«

Der Arzt war aufgestanden. »Das war schon längst mein Wunsch,« sagte er hastig. »Entschuldigen Sie mich eine Viertelstunde, aber ich bitte, verlassen Sie den Platz nicht, ich denke, ich habe noch Wichtiges mit Ihnen zu sprechen.«

Ohne die Antwort seines Gesellschafters abzuwarten, winkte er dem Krämer, voranzugehen, und schritt hinüber nach den Verkaufsläden unter den inneren Bogen des riesigen Gebäudes, in denen sich die Eingänge befinden.

Der kleine Händler wand sich vor ihm her durch die Menge, erst als sie in der Nähe des Eingangs waren, drängte er sich an ihn heran.

»Gehen Sie hinein,« flüsterte er, »in zwei Minuten werd' ich sein bei Ihnen.«

Damit war er verschwunden. Doktor Achmet zahlte ein Trinkgeld und trat durch die dunkeln Bogengänge, in denen man noch die Logen der Gefangenen und die Käfige der wilden Bestien zeigt, denen sie bestimmt waren, in den weiten Raum des Amphitheaters.

Der bleiche Schein des Mondes lag auf den fünfundvierzig Marmorreihen, die sich hier im gewaltigen Oblong zur Höhe der Arkaden emporheben. Während draußen alles Leben und Bewegung atmete, herrschte in dem Riesenbau feierliche Stille.

Einige Minuten lang verfehlte der Anblick selbst in der gegenwärtigen Erregung seinen Eindruck nicht auf den Sohn des fernen Granada. Er mochte unwillkürlich an den jetzt gleich einsamen Bau der Alhambra denken, an all die mächtigen Geister, die diese Riesenwerke geschaffen! Dann schauderte er zusammen, denn er gedachte auch des Weibes, dem zu Ehren der fromme Antonin diesen Bau aufgetürmt, Faustinas, der wollüstigen Megäre, und er erinnerte sich der dunklen geheimnisvollen Erzählungen Laforgnes von den Namensschwestern der vom Fluch des Volkes und des Gatten verfolgten Kaiserin zur Zeit des neuen Kampfes Roms auch unter einem Pius, und wie eine derselben im Kloster am Monte Cenere mit den beiden einzigen teuren Wesen, die er auf der Welt hatte, mit Carmen und seinem Neffen, zusammengetroffen war und sie in Gefahr gebracht hatte.

Die wirre Erinnerung kam wie eine schlimme Ahnung über ihn, und nur der Gedanke, daß er ja Carmen jetzt glücklich in den Armen eines geliebten Gatten wußte, gab ihm die Hoffnung wieder, daß auch das andere Kind seines Herzens, das Kind seines Blutes gerettet und glücklich werden möge.

Über die Marmorstufen huschte ein dunkler Schatten, er stieg ihm entgegen, es war der Jude.

»Abramo,« sagte der Doktor, »Gott sei gesegnet, daß ich Dich endlich finde. Warum hast Du mich nicht längst aufgesucht, wo ich Deines Beistands so dringend bedarf?«

»Gott Moses,« zischelte der kleine Spion, denn dieser war es in der That unter der Maske des Tabuletkrämers, »was brauchen Sie so zu schreien, damit hört ganz Verona, daß der arme Abraham wieder ist in seinen Mauern mit Gefahr seines Halses, nur um Ihnen zu leisten einen Dienst! Hab' ich doch verloren beinahe mein Leben, als ich hab' zugesteckt dem jungen Frater, der jetzt ist kein Frater her, sondern zu seinem Unglück ä Makkabäer, ä Kriegsmann, den Zettel, den Sie mir gegeben haben für ihn.«

»So weißt Du um seine Flucht?«

»Main! Soll ich nicht wissen von seiner Flucht, da ich doch weiß, daß er gehabt hat das Unglück zu werden wieder gefangen in der grausamen Schlacht und ist geworden getreten, und gestoßen und geschlagen, daß der Atem ist fast ausgegangen aus seiner Brust!«

»Gott sei Dank! Also er lebt?«

»Gewiß thut er leben, obschon er ist geworden sehr gemalträtiert!«

»Und wo ist er? kannst Du mich zu ihm führen?«

»Wo er thut sein? Seit zwei Tagen erst weiß ich's, und hab' mich gewagt hierher, um zu suchen seine Freunde, mit großer Gefahr, da ich doch nicht weiß, wie denken die großen Herren über die kleinen Dienste, die geleistet hat der arme Abraham. Gott der Gerechte! wär' ich geblieben bei meinem Herrn in Mantua, würd' er mich gesetzt haben in sein Testament, und ich wär' jetzt ä reicher Mann!«

Der Doktor begriff, was der kleine Schurke wollte. »Du sollst zehn Napoleons haben, wenn Du mir alles sagst was Du weißt, und mich zu dem Unglücklichen bringst. Es ist alles, über was ich augenblicklich verfügen kann.«

»Gott Moses! Das Leben ist schwer und teuer! Geben Sie her das Geld!«

Der Arzt schüttete seine Börse in die Hand des Spions. »Der junge Herr – Gott schenke ihm langes Leben und Gesundheit! – sitzt mit den andern Gefangenen drüben im Kastell. Ich weiß es ganz bestimmt, denn der gestrenge Herr Prälat ist gewesen zweimal bei ihm.«

»Wie, so hat Don Corpas ihn aufs neue in seiner Gewalt?«

»Ich weiß doch nicht, wer ist der Don Corpas, aber ich weiß, daß der Monsignore Corpasini ist bei aller Heiligkeit ä schlimmer Feind und ä gewaltig strenger Mann. Wenn ich geben soll Euer Exzellenz einen Rat, so ist es der, daß die Freunde von dem jungen Herrn Felicio nicht versäumen mögen die Zeit, ihm zu helfen aus der Klemme.

»Sind das alle Nachrichten, die Du mir geben kannst?«

»Main! ist das nicht genug für zweihundert Lire, wo ich gesetzt habe doch ein mein Leben? Aber ich weiß, daß Sie werden sein großmütig, wenn der junge Herr ist frei, und ich werde thun alles Mögliche, um zu erfahren noch mehr.«

»Wo kann ich Dich finden, wenn ich Deiner bedarf?«

»Ich muß doch sein wie der Wind, bald hier, bald da. Wollen Sie mir sagen, wo Sie logieren?«

»Im Aquila nera, bei Baron Neuillat.«

»Gut! Ich werde Sie sehen morgen! Aber –« der kleine Schurke zögerte, als habe er noch etwas auf dem Herzen, doch schien er sich zu besinnen und sagte nur: »Erinnern Sie sich, Signore Dottore, daß der Abramo gesagt hat, zu helfen rasch! Gute Nacht!«

Er schlüpfte über die Stufen und verschwand durch eine der Öffnungen.

Doktor Achmet suchte mit sorgenvoller Stirn den Ausgang und kehrte zu seinen beiden Gesellschaftern zurück, die noch im Café seiner harrten. Hier teilte er ihnen mit, was er soeben erfahren, und fragte sie um ihren Rat.

Eine unbestimmte Angst erfüllte den Doktor, er drang darauf, noch diesen Abend Schritte zu thun. Aber welche? Man wußte ja nicht einmal in welcher Eigenschaft der Novize im Fort gefangen gehalten wurde. Daß er noch nicht an seine geistlichen Oberen ausgeliefert worden, obwohl der Superior, wie Abrarmo versichert hatte, von seiner Gefangenschaft wußte, war ein auffallender Umstand.

»Sie sagen,« bemerkte endlich der Graf, »daß Corpasini Ihr Jugendfreund gewesen ist?«

»Er war es, bis eingetretene Verhältnisse ihn zum erbittertsten Feinde und Verfolger unserer Familie machten. Erinnern Sie sich an den Turm von Azcoitia? Ich bin ein Hacene, jener Knabe ist der letzte Sprosse Boabdils, des Beherrschers von Granada, und unser Feind weiß es nur zu gut.«

»Wann sind Sie zuletzt mit ihm persönlich zusammengetroffen?«

»Im Garten der Tuilerieen vor vier Jahren! Damals war es, wo sein Haß mir die Existenz eines Kindes meiner Schwester verriet!«

»Und scheuen Sie sich, ihm persönlich entgegenzutreten?«

»Ich habe nichts zu scheuen.«

»Wohl! Dann lassen Sie uns zu ihm gehen,« sagte der Baron entschlossen. »Fordern Sie geradezu von ihm den jungen Mann als Ihren Neffen zurück; ich werde Sie unterstützen, selbst auf die Gefahr hin, daß der Bruch auf einer anderen Seite Mißbilligung erregt. Es liegt etwas in den Erinnerungen unserer Jugend, das die kühlen Rücksichten und Bedenken des Alters überwindet, wenn es nötig ist. Begleiten Sie uns, Graf? Sie sind ein Glied in der Kette.«

»Wenn es nicht unbedingt nötig ist, – nein! Ich glaube, man beargwohnt mich schon ohnehin in dieser Angelegenheit, und es giebt augenblicklich eine Sache, derentwegen ich nicht mit dem Priester brechen möchte.«

»Wir sind Ihnen dann wenigstens dankbar für die Teilnahme, die Sie bisher gezeigt. Wir werden nur im Notfall Ihr Zeugnis anrufen.«

»Und Sie sollen es haben. Sie haben recht, Baron, man macht im Alter gern eine Schuld der Jugend gut. Ich werde Sie hier erwarten.«

»Wo und wie gelangen wir zum Superior?«

»Er wohnt im Bernardino, wie Sie wissen. Sagen Sie dem Pförtner Ihren Namen, Baron, und er wird Sie gewiß trotz der späten Stunde empfangen. Drohen Sie ihm mit Kardinal Antonelli, das ist der einzige Mann, den er fürchtet, und der mehr Einfluß auf seine Entscheidungen hat, als selbst der General des Ordens.«

»Ich danke Ihnen. Haben Sie den Trauschein bei sich, Doktor?«

»Ich verwahre ihn auf meiner Brust, seit ich ihn erhielt.«

»Wohlan, so lassen Sie uns die Schlacht wagen. Kommen Sie!« –

Die beiden Männer erhoben sich und verließen nach einigen Worten den Modenesen, der zurückblieb. – – –


In einem einfachen, geräumigen Gemach des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Klosters, neben der ehemaligen Bibliothek mit den Fresken von Cavazzolo, saß an einem mit Papieren bedeckten Arbeitstisch der Superior, während ein Frater, ehrerbietig harrend, anscheinend reisefertig, in der Nähe der Thür stand.

»Hier ist der Brief an den Präsidenten des Gerichtshofes,« sagte der Prälat. »Wir bestehen auf der Einhaltung des Vermögens des jüdischen Juweliers Mortara, um das Recht der Kirche als Vormund seines Neffen zu sichern, so weit es der Familie selbst hinterlassen und nicht durch besondere Legate bestimmt ist. Setze von dieser letzten Klausel Signor Maffio, unseren Advokaten in Kenntnis. Es ist am besten, wir haben nur mit den österreichischen Behörden zu thun, und müssen die Einmischung der fremden Konsuln oder Gesandten vermeiden. Sorge dafür, daß der Brief an den Kardinal-Erzbischof in Neapel sofort von Rom durch eine vertraute Person befördert wird. Don Troja muß in Kenntnis gesetzt werden, welche Gefahr dem Königreich durch diesen abscheulichen Vertrag droht, der offenbar nur aufgestellt ist, um ihn zu brechen. Man muß jetzt unnachsichtliche Strenge gegen jede liberale Agitation in Neapel und Palermo anwenden, wie sie gewiß augenblicklich von Turin aus ins Werk gesetzt werden wird. Das Kastell von San Elmo bietet einen vortrefflichen Aufenthalt für alle unruhigen Köpfe. Es ist jetzt keine Zeit mit den Schweizern über ihre Fahnen zu zanken. Du kennst Deine Instruktionen für Rom?«

Der Pater, ein Mann von hagerer Gestalt mit viereckigem, massivem Gesicht machte ein Zeichen der Bejahung.

»Füge ihnen bei, daß Kardinal Merode sofort Werbungen beginnen muß. Wir werden durch den Beichtvater der Kaiserin in Paris dafür sorgen, daß ihnen kein Hindernis in den Weg gelegt wird. Die besten Werbebureaus werden Sitten, Feldkirch und Gratz sein. Im Norden auch Münster. Man soll um Himmelswillen nicht auf die Herstellung von Modena und Toscana rechnen. In den Legationen müssen die geistlichen Gerichte mit den Rechten der Inquisition versehen werden, oder wir werden die Revolution niemals zu Boden werfen und niederhalten. Biete jede mögliche Überredung auf, den Kardinal zu bewegen, daß er unserem Plan in betreff des General Lamoricière beistimmt. Ich wünschte, wir hätten eine gleiche Kraft für Neapel, aber die Unfähigkeit und Eifersucht ist dort zu groß. Man ist zu borniert, um einen Protestanten zu nehmen, sonst holten wir ihn aus Preußen. Man hat dort Condottieris genug, die Lust haben, in Spanien oder Italien zu dienen, und ich würde ihnen lieber vertrauen, als nach diesen Proben der ganzen österreichischen Generalität.«

»Die Königin ist so gut wie der beste General!«

»Sie ist eine Kraft und wird ihre Rolle spielen, wie – der Teufel hole alle Schwiegermütter!« fügte der Superior sehr ungeistlich bei. »Die Leute in Neapel sind blind gegen den Sturm, der heraufzieht, und selbst in Rom bedarf es klarerer Köpfe und stärkerer Hände. Du bist der einzige, Fra Ignacio, dem ich vertrauen kann. Leite die Unterhandlungen wegen der Kardinalswahl geschickt. Es ist endlich Zeit, daß man das Versprechen hält. Mattei und Altieri sind die einzigen, auf die wir mit Bestimmtheit zählen können, die andern sind von Eifersucht gegen den Orden verblendet, und doch nicht die Männer, um Antonelli die Wage zu halten. Besprich mit ihnen, ob es nicht möglich ist, Hohenlohe zum Verzicht auf die Wahl zu bewegen, dann können sie nicht anders, als mir ihre Stimmen geben. Was ist's?«

Ein Klopfen an der Thür hatte die Unterredung unterbrochen.

Fra Andrea war eingetreten. Er überreichte eine Karte. »Der Signor Barone bittet dringend um eine Unterredung; es befindet sich noch ein zweiter Mann bei ihm.«

»Kennst Du ihn?«

»Es ist derselbe, der in voriger Woche sich hier aufhielt und oft mit dem Signor Ciambellano Kammerherrn. verkehrte.«

Ein Ausdruck des Hasses zuckte über das strenge Antlitz des Prälaten. »Also doch!« murmelte er. »Nun, es sei! es muß zu einem Ende kommen zwischen uns, damit mein Auge wichtigeren Dingen zugewendet werden kann. Wer nicht mit mir ist, ist wider mich! Nimm meinen Segen, Bruder Ignacio,« sagte er laut, »und tritt Deinen Weg an. Man wird Deiner Carriola das Festungsthor öffnen, wenn Du diese Karte vorzeigst. Lasse die Signori eintreten!«

Die beiden Jesuiten entfernten sich, der Superior bedeckte einige Augenblicke das Gesicht mit beiden Händen, ein Kampf schien in ihm vorzugehen, oder alte Erinnerung mächtig zu werden. Aber als er bei dem Geräusch der aufgehenden Thür die Hände entfernte, war sein Antlitz kalt und ruhig, sein Blick freundlich und zuvorkommend.

Der Baron Neuillat, Kammerherr des Grafen Chambord, und der französische Arzt waren eingetreten.

»Seien Sie willkommen, lieber Baron,« sagte der Prälat, seinem Besuch entgegengehend, und ihm die Hand reichend. »Sie gewähren mir jetzt so selten das Vergnügen Ihrer Gesellschaft, daß ich es um so höher anschlagen muß, Sie an einem so ereignisreichen Tage bei mir zu sehen.«

Eine Bewegung der Hand lud die Besucher ein, Platz zu nehmen. »Sorge dafür, Fra Andrea, daß wir unter keinen Umständen gestört werden.«

Der dienende Bruder entfernte sich.

»Sie haben recht, Monsignore,« sagte der Baron, »daß Sie diesen Tag einen wichtigen nennen. Er ist es nicht allein für ganze Staaten, sondern auch für einzelne Personen, und eine solche habe ich mir erlaubt, bei Ihnen einzuführen, einen Landsmann von Ihnen, der hoffentlich Ihrem Gedächtnis nicht ganz entschwunden ist.«

»Herr Doktor Achmet, französischer Arzt, wenn ich nicht irre?« sagte der Prälat mit einer kalten, aber höflichen Verbeugung.

»Diego Corpas, ich bin es, der Freund und Gefährte Deiner Jugend – später …«

»Wenn Ihnen oder Ihren Freunden,« unterbrach der Jesuit den Arzt, das letzte Wort besonders betonend, »mein geringer Einfluß in irgend etwas dienen kann, lieber Baron, so befehlen Sie über mich. Aber Sie wissen selbst, daß die Erinnerungen meiner Jugend nicht so angenehm sind, um sich ihnen bei den wichtigen Anforderungen der Gegenwart ohne Not zu überlassen.

»Dennoch, Monsignore,« sagte der Baron, »bin ich gezwungen. Sie auf einige Augenblicke darum zu bitten. Sie erinnern sich unseres neulichen Gesprächs über einen jungen Mann, der Novize Ihres Ordens ist.«

»Des Fra Felicio! Ich dächte, die Sache wäre abgethan. Der Undankbare hat alle Wohlthaten, die ihm erwiesen wurden, mit Füßen getreten und sich der Strafe für seine Vergehen durch die Flucht entzogen, wozu ihm einer behilflich gewesen ist, der besser gethan hätte, seine Hand davon zu lassen, wie er auf Kosten einer gewissen Erbschaft bemerken wird.«

Der Ton des Prälaten war bei dieser Antwort spitz und scharf geworden.

»Ich beklage lebhaft die Unvorsichtigkeit des jungen Mannes,« fuhr der Baron fort, »denn seine thörichte Flucht hat sicher nur dazu gedient, die Entwickelung seines Schicksals und die Einsetzung in seine bürgerliche Stellung zu verzögern, die von Ihrem Wohlwollen und Ihrem Beistand abhängt.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Signor Barone,« sagte der Prälat kalt; »doch wenn Ihre Worte auf gewisse Fragen und Andeutungen zielen, die Sie mir früher machten, so glaube ich Ihnen bereits gesagt zu haben, daß Sie sich im Irrtum befinden.«

»Es ist der Sohn meiner unglücklichen Schwester,« rief der Arzt ungestüm, »und Du weißt es, Diego Corpas, der Du ihrem Tode nicht fern warst!«

»Ich bin der Rektor Antonio Corpasini, ein geringes Mitglied der heiligen Kirche und des Ordens Jesu,« sprach der Prälat mit festem Ton. »Nur als dieser werde ich anhören, was Sie mir zu sagen haben.«

»Ich bitte Sie, Signor Dottore,« unterbrach der Baron, »Ihre Gefühle zu zügeln und mich die Verhandlung führen zu lassen. Es sind jetzt zweiundzwanzig Jahre her,« fuhr er fort, »als wir uns am Turm Zureda Vgl. Villafranka, II. Teil. kennen lernten und Ihr Vater, Don Corpas, den Tod dieses Mannes, der damals jung war wie wir alle, verlangte. Ein Kavalier, mein Freund, den leider elf Jahre später ein trauriges Schicksal traf, rettete ihn und seine Schwester Ximene. Der Kavalier – ich will ihn nicht entschuldigen, daß er seine wackere That also schmähte – brachte das Mädchen nach Azcoitia in den Palast de Narros, um es gegen den Haß Ihres Vaters und Ihren eigenen zu schützen.«

»Ich habe stets gewußt, daß Herr von Neuillat zu den Gegnern meiner Familie gehörte,« sagte der Prälat mit kaltem Hohn, »auch, wo wir an einem gemeinsamen Werke arbeiteten.«

»Das Schicksal hat uns in anderen Lebenslagen wieder zusammen geführt und wenigstens äußerlich verbunden. Aber ich fahre fort. Die Intriguen Ihres Vaters machten es nötig, daß, um das Mädchen zu schützen, mein Freund es wenigstens scheinbar zu seiner Gattin machte. Ich war Zeuge dieser Trauung.«

»Der Baron Léon von Neuillat, der Kammerherr und Vertraute des rechtmäßigen Königs von Frankreich hat demnach den Helfershelfer eines Wüstlings gemacht, um ein armes spanisches Mädchen zu verführen!«

»Ich dachte damals leichtfertiger als jetzt und lange hat es mir schwer auf der Seele gelegen. Aber die Vorsehung hatte es besser mit uns allen gemeint, als wir selbst, und eine schlechte That verhindert. Jene Trauung, die ein unbekannter Priester vollzog, war in der That gültig!«

Der Prälat zuckte die Achseln mit einem verächtlichen Blick auf den Arzt. »Man hat es mir schon einmal gesagt. Ihre Geschichte, Herr Baron, ist sehr interessant, aber höchst unwahrscheinlich.«

»Sie irren! wir haben die Beweise!«

»Ihr Zeugnis, Herr Baron, der Sie selbst bei dem Betrug halfen, und das eines Diebes und Galeerensklaven, wie dieser Herr mich in Paris versicherte!« Zehn Jahre, III. Band.

»Nein, Monsignore, wir haben die legalisierte Abschrift der geheimen Eintragung dieser Trauung in die Kirchenregister des Dominikanerklosters zu Azcoitia, und hier ist sie, obschon ich nicht weiß, wie jener uns unbekannte Priester dazu gekommen ist, diese Eintragung zu veranlassen und meinen Namen als Zeugen beizufügen.«

Eine fahle Blässe hatte bei diesen Worten das Antlitz des Jesuiten überzogen und er machte eine hastige Bewegung, als wollte er dem Baron das wichtige ihm so wohl bekannte und so lang verwahrte Dokument entreißen, dessen Entwendung durch den jüdischen Spion das Geheimnis seiner Rache gefährdete. Aber im nächsten Augenblick ließ er die Hand sinken und unterdrückte mit gewaltiger Anstrengung jedes Zeichen der Aufregung.

»Wenn dieses Papier die Wahrheit spricht,« sagte er kalt, »so soll es mich um jenes Mannes willen, der mich für seinen Feind hält, freuen, daß eine Tochter Spaniens nicht zur Metze eines polnischen Abenteurers geworden ist, wie ich bisher glaubte.«

»Sie können mehr thun, Monsignore, Sie können seinem Alter Glück und Freude wieder geben und sein Mißtrauen in Dank und Segen verkehren!«

Der Moriske konnte sich nicht länger halten, er streckte ihm beide Hände entgegen. »O Diego, bei den Tagen unserer Jugend, bei dem Andenken der unglücklichen Ximene, gieb mir ihren Sohn zurück, und ich will Dir alles vergeben und Dich segnen!«

Der Superior erwiderte den Aufruf mit einem eisigen Blick.

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Hören Sie mich,« sagte der Baron hastig, »und mögen meine Worte Eingang zu Ihrem Herzen finden. Sie selbst haben diesem Mann vor Jahren in Paris Vgl. Zehn Jahre, III. Band. gesagt, daß seine unglückliche Schwester, die auf so geheimnisvolle Weise – ich will nicht näher darauf eingehen – in der Nacht der Trauung verschwunden war, gestorben ist, indem sie einem Kinde das Leben gab, der Frucht jener Verbindung.«

»So sagte ich!«

»Und Sie sprachen die Wahrheit?«

»Ich sprach sie. Das unglückliche Weib ist, wie ich vernahm, neun Monate nach ihrer Flucht im Kindbett gestorben! Gott rächt alles! Barmherzige Menschen haben das Kind zu sich genommen, um es zur Ehre Gottes und zur Sühne der Sünden seiner Eltern zu erziehen. Weiteres, Herr, können Sie von mir nicht erfahren! Lassen Sie damit diese Unterredung enden!«

»Nein, Mensch von Stein und ohne Erbarmen,« schrie der Arzt in leidenschaftlicher Aufregung, »nicht eher weiche ich von Deiner Schwelle, als bis Du mir das Kind meiner unglücklichen Schwester, den Sohn meines Blutes zurückgegeben hast, denn jener Jüngling, den Du selbst für Deinen Orden erzogen, den Deine Härte ins Verderben getrieben, der Novize Felicio, ist mein Neffe!«

Der Jesuit kreuzte die Arme, zum erstenmal begegnete sein hartes, drohendes Auge dem des ehemaligen Jugendgenossen, zum erstenmal richtete er das Wort an diesen.

»Du kennst ihn?«

»Ich habe ihn nie gesehen, aber mein Herz sagt mir, daß er es ist, das Zeugnis meiner Freunde und Dein Haß gegen ihn!«

Der Baron mischte sich ein, um die lange zurückgedrängte Leidenschaft des Morisken nicht die einzige Aussicht auf Erfolg verderben zu lassen.

»In der That, Monsignore, sprechen alle Beweise dafür, daß Sie hier, ohne es gestehen zu wollen, ein Werk der Barmherzigkeit geübt haben. Wir wissen von dem jungen Mann selbst, daß er seine Kindheit in Biscaya verlebt hat und unter Ihrem Schutz, wenn er Sie auch selten sah, in einem spanischen Kloster erzogen worden ist, bis Sie ihn zur ferneren Vorbereitung für die Kirche auf einigen Reisen und nach Italien mitnahmen. Ich darf Ihnen sagen, daß mich schon bei unserm ersten Begegnen in Mailand seine Ähnlichkeit mit meinem verstorbenen Freunde, dem Fürsten, überraschte, und ebenso erkannte sie einer, der ihn eben nicht liebte, der General Mortara. Selbst eine furchtbare Scene in einem Kloster des Monte Cenere, der Sie selbst beiwohnten, und von der ein Anwesender, Major Laforgne von der sardinischen Armee, dem Doktor Achmet erzählt hat, spricht für die seltsame Ähnlichkeit. Seien Sie großmütig, Monsignore, geben Sie uns den Beweis seiner Identität, den Sie allein führen können, entlassen Sie ihn seiner Verpflichtungen gegen die Kirche, für die sich der Jüngling nie eignen wird, und machen Sie damit manche Erinnerungen unserer Jugend gut.«

»Und wer sagt Ihnen, Herr Baron, daß jenes unglückliche Kind, gleichviel ob Bastard oder ehelich geboren, nicht ein Mädchen war, daß es nicht längst gestorben ist, daß es jener verworfene undankbare Bösewicht sein muß, der seine Wohlthäter bestahl und der gerechten Strafe sich nur durch die Flucht zu dem Feinde entzog!«

»Er ist es – mir sagt es mein Herz!« rief der Arzt.

Der Rektor lächelte spöttisch. »Was kümmert es im Grunde mich! Sie bestehen also auf dieser Person für Ihre Selbsttäuschung?«

»Ja!«

»Sie wissen, daß der Novize am Tage vor der Schlacht von Solferino seiner Haft entflohen ist?«

»Ich weiß es, denn ein Zufall oder vielmehr die Hand Gottes führte ihn zu seinen Freunden!«

»Und wissen Sie, wo der bethörte Mensch sich jetzt wohl befindet?«

»Seit einer Stunde wissen wir es, Diego Corpas, deshalb kommen wir zu Dir,« rief der Moriske. »Felicio ist als Gefangener in den Händen der Österreicher, im Kastell San Pietro, und Du willst ihn aufs neue als Dein Eigentum, als den Gefangenen und Sklaven Deines furchtbaren Ordens reklamieren! Wir kommen, ihn dagegen zu schützen!«

Ein seltsames, furchtbares Lächeln lagerte sich auf die finsteren Züge des Jesuiten, ein Lächeln, das selbst den gewiegten Diplomaten in der Tiefe seines Herzens schaudern machte, ohne daß er sich Rechenschaft über die Ursache zu geben vermochte.

»So wollen Sie sich also begnügen mit der Person des Novizen Felicio?«

»Ja, tausendmal ja!«

»Und Sie verlangen, daß unsere Congregation ihn aufgiebt, daß die Kirche den Meineidigen und Dieb aus ihrer Gerichtsbarkeit entläßt?«

»Ja, Herr, wenn er nur dieser Fesseln frei wird, für das andere wollen wir sorgen!«

Der Baron nickte zerstreut Zustimmung. Die plötzliche Wandlung des Priesters erregte ihm Unruhe.

Der Prälat trat zu dem Tisch und nahm eine Schrift, die hier lag. »Hier ist die Reklamation der Gesellschaft Jesu, kraft der sie die Auslieferung des Novizen Felicio, als bereits der ersten Weihe teilhaftig, von der weltlichen Gerichtsbarkeit verlangt. – Ihr Wille geschehe!« Er zerriß die Schrift, setzte sich an den Tisch und schrieb ein kurzes Dokument.

»Lesen Sie!«

Der Doktor nahm es mit freudezitternder Hand und las den Inhalt:

 

»Kraft meines Amtes und der mir erteilten Vollmacht des Generals vom Orden Jesu erkläre ich den bisherigen Novizen Felicio, gegenwärtig Kriegsgefangener im Kastell San Pietro, aus der Gemeinschaft des Ordens und der Gerichtsbarkeit der Heiligen Kirche entlassen.

Antonio,

Superior der Congregation und Rektor
des Kollegiums zu Bologna.«

 

»Genügt dies, und wollen Sie weiter keine Ansprüche an mich erheben?«

»Ich danke Dir, Diego Corpas!«

Wiederum flog jenes dämonische Lächeln über das Gesicht des Jesuiten. Er nahm das Papier aus der Hand seines Jugendgefährten und verschloß es mit dem Siegel der Congregation. Dann schlug er mit einem kleinen Stahlhammer an eine silberne Glocke.

Sogleich öffnete sich die Thür, und der dienende Bruder Fra Andrea trat ein.

»Was ich thue,« sagte der Prälat, »liebe ich sogleich zu thun. Ich denke, unsere Geschäfte sind zu Ende. Dieser Mann wird das Schreiben sofort an Se. Excellenz den Gouverneur Feldmarschall-Leutnant Urban bringen. Vielleicht wollen Sie ihn begleiten, um unseres Verzichtes sicher zu sein.« Er wandte sich zu seinem Untergebenen. »Du hast meinen Auftrag gehört, in einer Viertelstunde muß das Schreiben in den Händen des Generals sein.«

Steif und kalt blieb er stehen, als mahne er an den sofortigen Aufbruch seiner Besucher. Fra Andrea öffnete ihnen die Thür.

Der Arzt trat auf ihn zu, er bot ihm offen und bieder die Hand.

»Was Du und die Deinen auch verschuldet an uns,« sagte er mit vor Rührung bebender Stimme, »es sei vergeben und gesühnt in dieser Stunde. Gott lohne es Dir, daß Dein Herz sich zur Milde gewendet! Ximenens Geist möge segnend niederschauen auf ihr Kind, dem meine Liebe so spät noch Vater und Mutter ersetzen soll!«

Der Jesuit hatte die Hände auf den Rücken gelegt, sein Auge maß kalt, fast drohend den Gefährten seiner Kindheit, den Bruder des Mädchens, das er einst so sehr geliebt.

»Um sechs Uhr werden die Thore von San Pietro geöffnet,« sagte er kalt, »Du wirst mich dort finden, Achmet Hacena, um von jenem Undankbaren Abschied zu nehmen auf Nimmerwiedersehen. – Geh, und mögest Du niemals bereuen, ihn der Kirche entzogen zu haben!«

Der Kammerherr faßte den Arm des Arztes, mit stummem Gruß verließen die beiden das Refektorium in Begleitung des dienenden Bruders.

Der Superior blieb allein, sein dunkles Auge fest auf die Thür geheftet, durch welche jene das Gemach verlassen hatten.

Zu seinen Füßen lagen die zerrissenen Stücke des Papiers – –

» Venganza â muerte!«


Ein Kreis ernster, finsterer Männer, sieben an der Zahl, saß zwei Stunden später um einen schwarz behangenen Tisch in einem Gemach des Kastell San Pietro, Ihre Uniformen zeigten österreichische Militärs aller Grade, vom General bis zum Gemeinen, ihre strengen Gesichter wiesen tiefen Ernst und Trauer über das Verbrechen, das sie richteten.

Vor dem Tisch standen zwei Gefangene – der eine in der Uniform eines Offiziers, ein Mann von mittleren Jahren, sehr bleich, die grauen Augen waren fast beständig auf den Boden geheftet.

Der andere war ein junger, krankhaft und leidend aussehender Mann, aber sein dunkles Auge blitzte unaufhörlich von einem auf den anderen, auf seinen Wangen glühte ein roter Fleck hektischer Erregung. Von Zeit zu Zeit legte er die Hand auf die Brust, als wolle er dort einen Schmerz unterdrücken, wandte sich zur Seite und spuckte Blut aus.

Er trug einen beschmutzten zerfetzten österreichischen Reitermantel über ärmlichen schwarzen Unterkleidern.

Auf dem Tisch selbst lagen vor dem Vorsitzenden, einem alten finsteren General, die verhängnisvollen Papiere, die der Kaiser Louis Napoleon seinem erlauchten Gegner am Mittag in Villafranca eingehändigt hatte, daneben ein altes schmutziges Notizbuch – dasselbe, in das der unglückliche junge Gefangene seine Bemerkungen im Lager von Cavriana eingetragen.

Der Auditeur am Ende des Tisches erhob sich.

»Ich habe jetzt die traurige Pflicht,« sagte er mit leiser aber deutlich vernehmbarer Stimme, »nachdem das Hohe Kriegsgericht die beiden Gefangenen des ihnen zur Last gelegten Verbrechens des Landesverrats und der Spionage zum Nachteil der kaiserlich königlichen Armee einstimmig für schuldig erachtet hat, gegen beide laut Artikel 5 des Kriegsgesetzbuchs die Todesstrafe zu beantragen und verlange, daß sie bei Tagesanbruch an die Richtstätte geführt, nach Entkleidung ihres Ranges und ihrer Würden durch die Hand des Profoß den schimpflichen Tod durch den Strick erleiden mögen zur Sühne ihrer Vergehen und der beleidigten Ehre des Landes.«

Der Vorsitzende richtete seinen ernsten Blick auf die Angeklagten.

»Haben Sie oder Ihr Verteidiger noch etwas vorzubringen, weshalb die Todesstrafe nicht über Sie ausgesprochen werden kann?« fragte er.

Der ältere Gefangene schwieg, finster zu Boden blickend, der andere rief heftig: »Mit welchem Recht wollen Sie mich verurteilen? ich bin kein Österreicher, ich gehöre nicht unter Ihr Gericht! Ich gehöre zum geistlichen Stande!«

Der Offizier, der neben ihm saß und mit der Verteidigung der Angeklagten beauftragt war, nahm das Wort. »Die Berufung des Angeklagten ist gegründet. Er hat die ersten Weihen in dem Jesuiten-Kollegium zu Bologna empfangen und gehört der geistlichen Gerichtsbarkeit, wenn diese ihn reklamiert. Ich protestiere in deren Namen gegen eine Urteilssprechung.«

Der Auditeur nahm ein Papier aus seinen Akten.

»Auf Befehl Seiner Excellenz des Festungskommandanten Feldmarschall-Leutnant Urban habe ich hier die Erklärung der geistlichen Vorgesetzten des Angeklagten zu überwachen, wodurch sie jeder Reklamation seiner Person zu Gunsten der geistlichen Gerichte entsagen und unter Verstoßung aus dem geistlichen Stande ihn dem Urteilsspruch der weltlichen Gerichtsbarkeit überantworten.«

Ein Ächzen war die Antwort auf diese Erklärung, der jüngere Angeklagte sank auf den Stuhl zurück, der hinter ihm stand, und verhüllte sein Gesicht mit seinen Händen.

»Der Gerichtshof wird sein Urteil sprechen,« sagte der Vorsitzende, »ich glaube, es ist unnötig, daß er sich zurückzieht.«

Ein stummes Zeichen der Zustimmung war die Antwort, die Mitglieder des Gerichts flüsterten einige Augenblicke mit einander, dann erhob sich der alte General.

Ein tiefes feierliches Schweigen herrschte in dem Gemach.

»Kapitän …« – (wir unterlassen es, den uns wohlbekannten Namen eines Elenden zu nennen, aus Rücksicht für eine tapfere aber unglückliche Armee, denn der schändliche Verrat ist nicht Erfindung der Phantasie des Romanschreibers, sondern eine traurige Thatsache) – »Kapitän …, das auf Seiner Kaiserlich Königlichen Majestät Befehl von dem Oberstkommandierenden der Armee eingesetzte Kriegsgericht erkennt Sie nach Anhörung der Anklage und Ihrer Verteidigung des Landesverrats durch Mitteilung von Dienstgeheimnissen an den Feind im Felde schuldig und verurteilt Sie, unter Entsetzung Ihres Ranges und Ausstoßung aus der Armee eine Stunde nach Sonnenaufgang durch den Profoß im Rayon dieser Festung an dem Halse aufgehangen zu werden, bis der Tod erfolgt ist.

»Angeklagter Felicio, das Kriegsgericht verurteilt Sie gleichfalls, wegen Spionage und Kriegsverrat den Tod durch den Strang zu erleiden. Gott sei Ihrer Seele gnädig!«

»Ich appelliere gegen das Urteil!« schrie der Offizier, »ich appelliere an die Gnade des Kaisers!«

Der alte General wandte sich verächtlich von ihm. »Entehren Sie wenigstens nicht durch Feigheit das Kleid, das Sie noch tragen, wie Sie es durch Verrat beschimpft haben,« sagte er streng. »Wache, führt die Gefangenen zurück!«

Die Gewehre der Grenadiere rasselten auf dem steinernen Fußboden der Halle. Zwei Unteroffiziere traten zu den Verurteilten.

»Haben Sie Mitleid mit meiner Jugend,« flehte der Novize. »Ich beschwöre Sie, den Superior Corpasini von meiner Not in Kenntnis zu setzen, mich mit ihm sprechen zu lassen!«

»Wenn Sie einen geistlichen Beistand verlangen, unglücklicher Mann, so soll er davon in Kenntnis gesetzt werden. Führen Sie den Gefangenen fort – das Gericht ist geschlossen!«


Es war 6 Uhr früh, ein sonniger Morgen lagerte über der alten Stadt des Antonin.

Den Weg von der Stadt herauf, an den unterirdischen Eingängen des alten Theaters vorüber kam ein Fiaker. Zwei Männer saßen darin und stiegen am äußeren Wall aus. Es waren der Baron und der maurische Arzt.

Während sie den Wagen verließen, hörte man das entfernte Läuten einer kleinen Glocke. Die Töne kamen aus dem Innern der Citadelle und durchbebten mit klagendem, zitterndem Klang die Luft, die Herzen der Hörer erschauern machend.

Vor dem äußeren Thor des Kastells, das noch nicht geöffnet war, hatte sich ein Haufe von Menschen gesammelt, Soldatenfrauen, Handelsleute, Boten, die Geschäfte im Kastell hatten.

Unter dieser Menge machte sich ein auffallendes Paar bemerklich, ein zart gebauter, unansehnlicher Mann in fashionablem englischem Morgenanzug, die Daumen in den Ärmellöchern seines Gilets, den Kneifer aus der Nase. Der andere war offenbar sein Diener, ein Mensch von echt britischem Schlage; seine steife Haltung, der Hut im Nacken, die unverschämte stiere Miene über der sauberen Kleidung bewiesen dies.

Der Herr schien sehr unwillig, er perorierte seinem Diener vor, der ihn mit unvergleichlicher Ruhe anhörte.

»Bob!«

»Sir!«

»Du sain ein Dummkopf! Hab' ich dafür bezahlt fünf Guineen, daß ich komme zu spät? Du hast getroffen die Anstalten miserable schlecht!«

Er wandte sich zu den Ankommenden, deren Äußeres ihm mehr zu versprechen erschien, als das seiner bisherigen Umgebung.

» Good morning, Gentlemen!« sagte er, höflich an seinen Hut fassend. »Sie uollen hinein in die Fortress?«

»Ja, mein Herr!«

»Sie saind geöffnet noch no! Ich uerde verlieren das ganze Schauspiel und das Geld dazu, das ich hab gegeben dem Schuft von Felduabel, daß ich komm zu sehen den Galgen.«

»Den Galgen?«

» Yes. Es werden sain zwei gehenkt am Hals. Ich sehen sehr gern, daß uerden gehenkt! Hören Sie, da hört auf die Glock! Es saind abscheulicher Betrug, – ich uerde beschueren mir bei dem Gesandten von Ihrer Majestät.«

Den Arzt erfaßte eine furchtbare Angst, obschon er sich selbst keine Rechenschaft darüber zu geben vermochte. Er stieß Kapitän Peard, den Menschenjäger zurück und sprang gegen das Thor.

»Öffnet! öffnet! um der Liebe Jesu willen, lassen Sie mich ein!«

In diesem Augenblick rollte von der Stadt her ein Wagen heran, zwei Männer stiegen aus in der schwarzen Kleidung von Priestern, ein Blick des Barons belehrte ihn, daß der eine Fra Andrea, der dienende Bruder war.

»Wo ist der Superior?« frug er hastig.

»Seit drei Stunden dort!« sagte der Jesuit. »Seine Hochwürden haben es nicht verschmäht, selbst die Beichte zu hören und die Verbrecher zum Tode vorzubereiten. Aber ich muß ihn stören, da Depeschen von Rom gekommen sind.«

Ein kurzer Trommelwirbel erscholl innerhalb der Citadelle, dann hörte man das entfernte Kommando des Abmarsches, den schweren Tritt marschierender Truppen, das Herausrufen der Thorwache und das Kommando der Ablösung.

Nochmals rasselte die Trommel, dann öffnete sich das Thor der Citadelle – Alles drängte hinein – –

Der große Vorhof war noch gefüllt mit Militär, das sich eben erst aus den Kolonnen aufgelöst hatte, und jetzt in Gruppen aller Chargen umherstand.

Trotz dieser Menge herrschte eine gewisse feierliche Stille, alle Augen waren nach dem Zugang des innern Hofes gerichtet.

Der Arzt eilte, von dem Baron gefolgt, ungestüm dahin, Kapitän Peard, gefolgt von seinem langen Bedienten, schlenderte gemächlich hinterdrein, die Hände in den Taschen.

Die Gruppen der Soldaten und Offiziere machten unwillkürlich den Männern Platz, einige Stabsoffiziere näherten sich ihnen, aber schon hatten sie den Durchgang erreicht.

Auf dem innern Plateau bot sich ihren Augen ein schrecklicher Anblick.

In der Mitte des Platzes erhob sich ein Galgen.

An dem Fuß dieses Galgens knieten zwei Geistliche, der eine ein Weltgeistlicher, der andere in dem schwarzen einfachen Gewand der Congregation Jesu. In ihrer Nähe gingen zwei Schildwachen, ihren Weg kreuzend, auf und ab.

An dem Galgen hingen langgestreckt, das Antlitz mit langen Mützen bedeckt, zwei menschliche Gestalten – regungslos – die Hände auf den Rücken gebunden.

Mit einem furchtbaren Schrei war der Doktor über den Platz – unter dem Galgen – seine Hand fiel schwer auf die Schulter des betenden Jesuiten, sein blutunterlaufenes Auge starrte auf ihn, die Stimme klang heiser, wie das Ächzen des Todes.

»Diego Corpas! Diego Corpas! wo ist mein Neffe?«

Der Superior hatte sich erhoben, er schloß sein Brevier. Sein Angesicht war steinern, sein Auge dämonisch und von eisiger Kälte, als er die Hand hob und nach dem Galgen wies.

»Du hast es selbst gewollt – dort! Dein ist die Schuld!«

Der Mohrendoktor brach mit einem Ächzen zusammen, der Baron unterstützte ihn. Der Jesuit hatte sich nach einem langen finstern Blick auf ihn umgewandt und schritt davon.

Da raffte sich der letzte Sprosse der Maurenkönige Granadas empor, mit einem Sprunge war er an der Seite des Priesters, seine kleine feine Gestalt streckte sich, als seine Hand den Arm des Todfeindes wie mit ehernen Schrauben packte und ihn festhielt, während die andere hinauf zum lichten Morgenhimmel wies.

»Diego Corpas! – Mörder! – Mörder! – denke daran – heute über zwei Jahr wirst Du mit mir vor Gott stehen!«

Er fiel ohnmächtig in die Arme des Legitimisten!


Offiziere und Soldaten hatten sich rasch im Kreise umher gesammelt und schauten fragend auf den Geistlichen und die beiden Männer, während der Engländer sich mit den Schildwachen stritt die ihm eine größere Annäherung an die Gerichteten nicht gestatten wollten.

»Wer ist der Mann?« fragte ein höherer Stabsoffizier, auf den Ohnmächtigen zeigend.

»Es ist ein französischer Arzt,« sagte ruhig der Superior, indem er sich zum Fortgehen wandte. »Der Arme bildet sich irrig ein, in einem jener Unglücklichen, die ich zum Tode vorbereiten half, einen Verwandten besessen zu haben.«

Er machte das Zeichen des Kreuzes, die Reihen öffneten sich, die Häupter beugten sich ehrerbietig, während er hindurchschritt.

An dem Ausgang des Kastells erwartete ihn der Bruder Andrea mit seinem Begleiter und dem Wagen.

Er verbeugte sich demütig vor seinem Oberen.

»Es ist vor einer Stunde ein Bote von Rom gekommen,« sagte er, »mit einem Schreiben des Generals und dem Befehl, es Euer Hochwürden auf der Stelle einzuhändigen. Wir wollten keine Zeit verlieren, und ich habe den Wagen mitgebracht, wie Sie befohlen.«

Der Superior warf einen scharfen Blick auf den kleinen spärlichen Begleiter seines brüsken massiven Untergebenen. Der Bote beugte sich demütig, aber mit einem gewissen lauernden Auge, das dem Prälaten keineswegs entging.

»Geben Sie mir das Schreiben!«

Der Frater überreichte es.

Sie waren bereits außerhalb der Citadelle, auf dem Wege, der zum Thor führt. In der Nähe hielt der Wagen.

Der Rektor Corpasini erbrach das Siegel, nachdem er es vorher sorgfältig geprüft. Die Regel seines Ordens veranlaßte ihn, dabei wie zufällig dem Überbringer den Rücken zu kehren.

Trotz dieser Vorsicht, trotz der furchtbaren Selbstbeherrschung, die dieser Mann besaß, vermochte er nicht, eine Bewegung des Erbebens zu unterdrücken, als er die wenigen Zeilen las, die der Brief enthielt.

 

Sie lauteten:

»Unser vielgeliebter Bruder in Jesu, der Rektor Antonio, wird angesichts dieses die Geschäfte seines Kollegiums dem Überbringer des Schreibens übergeben und von Ancona am 14. dieses Monats mit dem Dampfer nach Indien abreisen, um die Missionen in China und der Südsee zu inspizieren. Er wird seine Instruktionen in Ancona finden.

In nomine Dominai, filii et spiritus sancti

Der General des Ordens Jesu:
† † †
gez. Bekx.«

 

Die Hand des Superiors ballte sich krampfhaft in das Papier.

»Antonelli!« murmelte er dumpf. »Die Thoren! ich war der einzige, der den Stuhl Petri zu retten vermochte! Mögen sie es haben – zu ihrem Verderben!«

Er wandte sich hastig um, sein Blick traf für einen Moment das lauernde Auge des Boten.

»Fra Andrea,« sagt er ruhig, »wir werden diesen Abend nach Ankona abreisen. Triff Deine Anstalten, Du wirst mich nach Indien begleiten.«

Der große ungeschlachte Mensch erblaßte. – – – –



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