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In der Rue Lepelletier.

Ein rasender Beifallssturm erschütterte den Cirkus und donnerte hinter den flüchtigen Hufschlägen des Rosses drein, das die andere Seite der Estrade hinab sprengte.

Das wilde Reiterkunststück war geglückt; nur das scharfe Auge wahrer Sportsmen hatte den leichten Schlag der Reitgerte, die gewandte Zügelhilfe gesehen, mit denen die kühne Reiterin das treffliche Pferd unterstützte; – hinüber im gewaltigen eleganten Sprung ohne einen Moment des Zauderns, ohne einen falschen Hufschlag waren Roß und Reiterin geflogen!

»Da gehen Ihre Wetten zum Teufel, Kapitän,« sagte kaltblütig der Viscount zu dem kleinen Liebhaber des Halsbrechens anderer Leute, das Glas von dem Auge entfernend.

» Goddam – fünfzig Pfund! – aber ich hoffe, sie in fünf Minuten wieder zu gewinnen!«

» Cordioux! einen vollen Fuß der Hinterhuf über dem Rand! Ein excellenter Sprung! Es ist nicht zu zweifeln, sie nimmt die Barriere!«

»Brava! brava! bravissima! die kleine Hexe soll einen neuen Schmuck haben!« Der Fürst war ganz aufgelöst von Entzücken und vergaß ganz seine Gebrechlichkeit, indem er sich reckte und streckte, bis ein Stich in der Hüfte ihn arg daran mahnte.

In der Loge der Fürstin Trubetzkoi hatte sich die Zigeunerin weit vorgelegt, ihre Augen funkelten, die ganze Gestalt bebte förmlich vor wilder Aufregung, als sie sich zu der Herrin zurückwandte, und die kleinen scharfen Zähne glänzten wie die eines Wolfes.

» Teremtete! Die Pußta! die Pußta!«

»Still, Feodora, mäßige Dich! Um Himmelswillen, der Unvorsichtige! Sehen Sie den Herrn dort in der kaiserlichen Loge, Herr Meißner! das weiße Tuch in seiner Hand kann das Pferd im Nu scheu machen und dann ist sie verloren!«

Aber auch von anderer Seite war bereits die Gefahr bemerkt worden.

»Rasch! rasch Leute! die Barriere vor!«

Die beiden Stalldiener, welche die gefährliche Palissadenreihe einschieben mußten, waren im Nu an der Arbeit gewesen, sowie der »Matador« den Sprung gemacht hatte.

Der Mohrendoktor hatte eifrig mit Hand angelegt, um die schwere Barriere in die richtige Stellung zu bringen. Davon sich erhebend fiel sein Auge auf den Spanier an der Brüstung der kaiserlichen Loge und das Tuch in seiner Hand. Er deutete darauf und machte ein dringendes bittendes Zeichen, denn die Fortdauer der wilden rauschenden Musik übertönte seine Worte.

Aber sein Wink wurde durch eine zweite energische, drohende Gebärde des jungen Preußen unterstützt, der, auf der andern Seite der Estrade stehend, seinen Blick aufgefangen und verfolgt hatte.

Der Spanier antwortete mit einem hochmütigen Lächeln und richtete das Lorgnon auf den Fremden, aber er ließ zugleich seine Hand mit dem Tuch unter die Brüstung sinken. In der kaiserlichen Loge selbst war der Vorgang nicht einmal bemerkt worden, die Kaiserin hatte sich in ihren Fauteuil zurückgelehnt und hielt den Fächer vor das Gesicht, die Gefahr der kühnen Reiterin schien großen Eindruck auf sie gemacht zu haben.

Auch die kleine Frau des kecken Partisan der Revolutionspartei hatte sich erschrocken die Augen verhüllt und abgewendet von dem gefährlichen Schauspiel, aber desto eifriger bewunderte ihr Gatte den Sprung.

» Caramba, Schätzchen! sie reitet wie ein Gaucho, ich habe Ähnliches kaum in den Pampas gesehen! Aber Mordious! bin ich blind gewesen? Das kann niemand anderes sein als die kleine …«

Der Name erstarb ihm auf den Lippen.

Totenstille folgte dem donnernden Applaus, und aller Augen hingen wieder an dem Aufgang der Estrade, denn schon klangen auf dem Pflaster des Rundganges die Hufschläge des Matador.

Eine Sekunde noch, und die kühne Reiterin erschien in dem Eingang.

Das wackere Pferd mit den blähenden Nüstern, den fliegenden Mähnen und dem gehobenen Schweif war prächtig anzusehen, schöner noch die kecke Reiterin mit den von der Aufregung geröteten Wangen, wie sie die funkelnden Augen auf das gefährliche Ziel gerichtet hielt, fest im Sattel, die Linke leicht im Zügel, die Rechte mit der Gerte gehoben.

»Hui – hop!«

Die Hufe des wackeren Tieres donnerten auf den Bohlen, wie es die Terrassen in kurzen Sprüngen nahm.

Einen Moment noch – jetzt!

»Hop Matador! hop!«

Der Schimmel hob sich zum Sprung –

In demselben Augenblick fiel flatternd das weiße Tuch aus der Hand des Spaniers von der Brüstung der kaiserlichen Loge gerade vor ihm nieder.

» Carmen

Der Name, mit heller schneidender Stimme gerufen, traf das Ohr der Reiterin, als hätte sie ein scharfer Pfeil getroffen. Sie fuhr zusammen, sie starrte empor und in das boshafte Auge des Conde dicht über ihr – der entscheidende Augenblick war verloren.

Ein Schrei des Schreckens, des Entsetzens gellte durch das Haus, das Pferd schlug, auf den Hinterfüßen stehend wild mit den Vorderhufen durch die Luft, dann sprang es.

Der kräftige Spornstoß kam zu spät!

Der Matador erreichte dennoch im kräftigen Sprung die andere Seite der Estrade, aber die Hinterhufe streiften die Barriere und erreichten nur mit der äußersten Spitze den Rand der Estrade, an dem sie abglitten.

Einen Moment kämpfte das kraftvolle edle Tier, aber vergeblich – in dem Angstruf des Publikums verhallte ein leichter Schrei der Unglücklichen, dann glitt das Pferd mit dem Hinterteil hinunter und überschlug sich.

Die Aufregung war entsetzlich, viele Damen fielen in Ohnmacht und Krämpfe, Fäuste und Stöcke hoben sich drohend gegen die kaiserliche Loge, wo die hohe Frau, das Gesicht in den Händen verbergend, zurückgesunken war, denn viele hatten den Fall des Tuchs gesehen, wenn auch nur wenige den Ruf gehört hatten; die Stallmeister eilten in die Manege, die Musik hörte auf, man hörte nur gellende Schreie der Angst, das ganze Publikum hatte sich erhoben, die Männer sprangen über die Bänke und drängten auf den Schauplatz des furchtbaren Ereignisses.

Einer der ersten war der Kapitän François. In dem Augenblick, als das Pferd sank und sich überschlug, setzte er seinen Fuß auf die Brüstung der Loge, sprang, die Untensitzenden zur Seite stoßend, über drei Bänke hinweg und in die Manege.

Aber zwei Männer waren ihm dennoch zuvor gekommen, und ohne sie war jede Hilfe zu spät.

Der Mohrendoktor war der eine, Otto von Röbel der andere!

Die beiden Diener, welche die Palisadenwand hielten, die so furchtbar gefährlich oder mit den scharfen Spitzen vielmehr unbedingt todbringend für die Stürzende werden mußte, standen erstarrt vor Schrecken und hatten jede Geistesgegenwart verloren.

Der Mohrendoktor warf sich gegen die Wand mit der ganzen Kraft des Körpers und stürzte sie um.

In demselben Augenblick war der preußische Edelmann schon über die Barriere gesprungen und stand neben dem Pferd, mit einem zweiten Sprung warf er sich zwischen das sich überschlagende Tier und die rückliegende Estrade, die Arme ausbreitend, wie um Roß und Reiterin aufzufangen, fest mit dem Fuß sich zurückstemmend.

Das Pferd überschlug sich auf den Hinterbeinen, die Reiterin hatte soviel Geistesgegenwart bewahrt, den Oberkörper zur Seite zu werfen und die Füße aus den Bügeln zu lösen, er fing sie in seinen Armen auf, aber der Stoß des fallenden Tiers war so gewaltig, daß er sich nicht halten konnte und mit seiner schönen Last zurückfiel.

Sein Kopf schlug auf eine der Planken, ohne daß er das Mädchen losließ, das Pferd lag auf beiden und hieb in die Luft.

In dem Augenblick war auch Kapitän François bei ihm.

»Tausend Teufel, Otto! mein Junge, was hast Du gethan? Du blutest! Heran, ihr Schurken! das Pferd herunter!«

Schneller als die Diener und Stallmeister hatte sich auf die schlagenden Hufe schon ein anderer Mann geworfen, Rudolph Meißner, der Hofmeister der Fürstin Trubetzkoi, der Predigerssohn aus der Heimat; die Gefahr nicht achtend, versuchte er den Schimmel empor zu reißen, bis es ihm, unterstützt von zahlreichen kundigen Händen, gelang.

Der Mohrendoktor hatte bereits die Reiterin emporgezogen, François hielt den halbbetäubten Freund in den Armen.

»Rühre die Glieder, mein Junge! probiere, ob Du etwas gebrochen hast?«

»Nichts, nichts, aber sie? lebt sie? ist sie gerettet?«

»Sie muß wohl! auf Deine Kosten! Du blutest stark, es war ein Teufelsstreich, aber das einzige Mittel! Eben trägt man sie fort!«

Es war zu viel selbst für die festen Nerven der kühnen Reiterin gewesen; in dem Augenblick, als sie sich von den Armen des jungen Mannes umfaßt gefühlt hatte und an seiner Brust liegend sein Gesicht über sich geneigt erblickte, war sie ohnmächtig geworden. Der Mohrendoktor ließ sie sorgsam aus der Manege tragen. Otto von Röbel hatte sich empor gerichtet, seine Augen folgten ihr, während das Blut in hellem Strom über seine Kleidung floß.

Der kräftige Widerstand hatte den Sturz gebrochen, der sonst bei der Stellung der Gerüste unfehlbar Rositta den Tod gebracht hätte. Im Niederfallen hatte der Kopf des jungen Edelmanns gegen den Balken der Barriere geschlagen, und eine breite, wenn auch zum Glück nicht gefährliche Wunde war die Folge.

An die Fortsetzung der Vorstellung war vorerst nicht zu denken. Das Publikum verlangte ungestüm Nachricht über das Befinden der Sennora Rositta. Ebenso ging von Mund zu Mund die Frage, wer der Fremde war, der so kühn mit eigener Lebensgefahr die Reiterin gerettet hatte. Mehrere Ärzte, die sich unter dem Publikum befanden, eilten herbei, um ihm ihre Hilfe anzubieten und ihn zu verbinden. Aber der junge Preuße lehnte dankend den Beistand ab, ließ sich von dem Freunde ein Tuch über die Wunde binden und setzte den Hut auf. Er zögerte offenbar, fortzugehen, obschon ihn Kapitän Laforgne fortzuziehen suchte, um durch seine Gegenwart Mutter und Schwester zu beruhigen.

Frau von Röbel war bei der raschen That ihres Sohnes und dem Anblick der Gefahr desselben ohnmächtig geworden, und die junge Frau war um sie beschäftigt, während Rosamunde sich aus der Loge drängte, um zu ihrem Bruder zu eilen.

Sie vermochte den dichten Kreis nicht zu durchbrechen, als eine ernste klangvolle Stimme, deren Ton ihr Innerstes erbeben machte, dicht neben ihr sich laut erhob:

»Ich bitte um Platz, meine Herren, für diese Dame, die Schwester dessen, dem Sie die Rettung der Sennora Rositta zu danken haben.«

Sie stand bleich, zitternd in dem freien Gang, der sich sofort öffnete, ohne ihren Weg fortzusetzen. Ihr Auge traf auf das ernste Gesicht des Mannes, ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen.

»Rudolph!«

Rudolph Meißner verbeugte sich, in seinem Antlitz zuckte eine tiefe Bewegung, seine Augen suchten finster den Boden. »Fräulein von Röbel, Ihr Herr Bruder erwartet Sie. Ich danke Gott, daß er ihn bewahrt hat!«

Er trat zurück mit einer Bewegung der Hand nach dem ehemaligen Freunde zeigend, der noch halb betäubt ihn und die Schwester anstarrte. Das Mädchen schwankte ihm entgegen und fiel ihm totenbleich in die Arme.

Er preßte sie an die Brust. »Arme Rosamunde! François, mein Freund, ich bitte Dich, bringe sie fort; ich folge Euch sogleich.«

Sein Blick flog suchend nach dem Eingang der Manege, durch welchen die Stalldiener die Holzgerüste fortschleppten, und aus dem eben, gefolgt von einem Schwarm von Verehrern der schönen Primadonna des Cirkus, der jüngere Déjean in die Manege trat.

»Meine Damen und Herren,« sagte laut der Direktor, »ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß Sennora Rositta keine schlimmen Folgen von dem gefährlichen Sturz davon getragen hat und dem Publikum für seine Teilnahme dankt!«

Großer Applaus! »Die Dame! die Dame! Rositta Iber!«

Mit jener naiven Rücksichtslosigkeit, die dem Publikum eigen ist und es geradezu glaubt, daß darstellende Künstler keine Erschöpfung kennen dürfen, wenn es sich um sein Vergnügen handelt, forderte man ungestüm, zuletzt mit Pochen und Pfeifen, das Erscheinen der Reiterin selbst.

Durch das noch immer stattfindende Gedränge an: vorderen Zugang der Manege machte sich der Graf von Montboisier Platz und ging quer über den Raum, an dessen Ausgang nach den Garderoben er den Direktor einholte.

»Monsieur Déjean,« sagte er höflich, »Sie werden mich verbinden, wenn Sie mir mitteilen wollen, ob die Sennora Rositta mich empfangen kann. Ich bin von Ihrer Majestät der Kaiserin beauftragt, mich nach dem Zustand der Verunglückten selbst zu erkundigen und ihr die Allerhöchste Teilnahme zu überbringen.«

Der gewandte Direktor, ein enragierter Bonapartist, war ganz Geschmeidigkeit und Dank für die erzeigte Ehre und führte den Grafen die Treppe hinauf nach den Garderoben.

Soeben öffnete sich die Thür des Ankleidezimmers, in das man Rositta zurückgebracht und der Mohrendoktor trat heraus.

»Der Herr Oberst Graf von Montboisier, Kammerherr Seiner Majestät,« sagte mit stolzer Betonung der Direktor, »wünscht sich zu erkundigen, wie sich Mademoiselle befindet. Ihre Majestät hat ihr die Ehre erwiesen, danach zu fragen.«

Ein leichtes spöttisches Lächeln flog über das verwitterte Gesicht des Arztes. »Ihre Majestät sind allzugnädig, Mademoiselle Rositta befindet sich bereits wieder besser und hat zum Glück nur einige unbedeutende Quetschungen davon getragen.«

»Ich habe Befehl,« sagte der Graf höflich, »die Dame selbst zu sprechen, wenn es möglich ist.«

»O gewiß, gewiß!« der Doktor riß ohne weiteres die Thüre auf. »Der Herr Graf von Montboisier!«

»Auf Befehl Ihrer Majestät,« sagte entschuldigend der Oberst, indem er mit einer höflichen Verbeugung näher trat, da ein Blick in das kleine Boudoir ihn überzeugte, daß die Kunstreiterin, in einen weiten Burnus gehüllt, in der Causeuse saß und einen Besuch annehmen konnte. »Monsieur Déjean ist so gütig gewesen, mich zu versichern, daß Sie bereits imstande sind, mich zu empfangen, und ich darf ihn jetzt nicht länger der Pflicht entziehen, das Publikum einstweilen zu beruhigen, das stürmisch verlangt, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß seine reizende Primadonna weder Hals noch Arm bei dem überkühnen Wagstück gebrochen hat, dessen Gelingen offenbar nur ein tückischer Zufall verhinderte.«

Der Direktor verstand den Wink und zog sich zurück. Um den Lärm des Publikums, der immer stürmischer wurde, kümmerte er sich herzlich wenig.

Die Dame hatte den Obersten mit einer Handbewegung eingeladen, auf einem Stuhl zur Seite der Causeuse Platz zu nehmen.

»Man ist sehr gnädig,« sagte sie, »an dem Schicksal eines so unbedeutenden Wesens teilzunehmen. Haben Sie die Güte, mein Herr, Ihro Majestät meinen Dank zu Füßen zu legen; Sie sehen selbst, daß ich unverletzt bin, allein ich bin äußerst besorgt um meinen Retter – ich sah im Augenblick, als ich ohnmächtig wurde, Blut über sein Gesicht strömen und sandte soeben meinen alten Freund und Begleiter ab, sich nach ihm zu erkundigen.«

»Monsieur de Reubel wird sich glücklich schätzen, mit einer Wunde das Glück erkauft zu haben, Madame einen solchen Dienst leisten zu können.«

»Wie, Herr Oberst, Sie kennen ihn?«

Die Röte, welche dabei ihr Gesicht überflog, machte den gewandten Hofmann lächeln. »Für den Preis solcher Teilnahme,« sagte er galant, »würde ich mich auch gern unter die Hufe Ihres Matador werfen. Beiläufig, ein prächtiges Tier. Herr von Reubel ist ein junger preußischer Edelmann, der, glaub' ich, in der Schweiz verwundet wurde, und unsere Pyrenäen-Bäder gebraucht hat. Ich kannte vor mehreren Jahren seinen Bruder. Er befindet sich auf der Rückreise nach Berlin mit Mutter und Schwester hier.«

»Seine Mutter, seine Schwester! Heilige Madonna! welchen Schrecken müssen sie empfunden haben. O mein Herr, nicht wahr, was er für eine Fremde that, war sehr schön?«

»Ich darf ihm die Ritterlichkeit seiner That nicht schmälern, Madame, umsoweniger, als, wie ich höre, ein Landsmann von Ihnen so unglücklich gewesen ist, durch ein unwillkürliches Vergessen wahrscheinlich Ihren Unfall veranlaßt zu haben. Don Alvaro de Montijo hat sich dadurch die Ungnade der Kaiserin zugezogen, obschon er ihr Verwandter ist.«

Die Sennora schwieg, er erwartete vergebens eine Antwort.

»Ihre Majestät beabsichtigen wahrscheinlich Allerhöchst ihrer schönen Landsmännin, Madame sind ja, soviel wir wissen, selbst Spanierin?«, er beobachtete sie scharf bei der halben Frage, »ihre besondere Teilnahme zu beweisen, denn Ihre Majestät bewilligen Ihnen eine Privataudienz!«

»Mir?«

»Ja, Madame. Ihre Majestät erwarten Sie morgen abend vor der Ausfahrt in die Oper in ihren Gemächern, wenn es Ihr Zustand erlaubt. Die Kaiserin will Sie, ohne Aufsehen zu erregen, sprechen, und ich habe Befehl erhalten, Sie morgen abend um 7 Uhr zu ihr zu führen.«

Die Einladung machte dem gewandten Hofmann einiges Kopfzerbrechen; er beobachtete die Kunstreiterin auf das Genaueste.

Rositta dachte einige Augenblicke nach, dann sagte sie ruhig: »Ich werde bereit sein, mein Herr, und Sie erwarten.« Sie erhob sich. »Sie wissen, wo ich wohne?«

»Wer sollte das Hotel der gefeierten Schönheit des Tages nicht kennen, Madame. Hotel Bristol am Place Vendôme. Ich beurlaube mich, um morgen gegen 7 Uhr Sie abzuholen. Doch –«

»Nun?«

»Ich glaube im Sinne meines Auftrages zu handeln, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, daß Ihr Empfang vorläufig ganz inkognito bleiben muß!«

Sie bejahte durch ein Zeichen. Eben klopfte der Direktor wieder an der Thür.

»Sennora,« sagte er, auf das » Entrez!« vorsichtig den Kopf hineinsteckend, »entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber es ist ganz unmöglich, das Publikum länger im Zaum zu halten. Man demoliert mir den Cirkus. Man hält unsere Versicherung, daß Sie sich wohl befinden, für Täuschung und will Sie durchaus sehen! Zweimal schon hat man meine Quadrille zurückgejagt!«

Der Kammerherr lachte. »Da sehen Sie unsere guten Pariser! Sie würden um ein Ballett Barrikaden bauen. Madame, erlauben Sie mir, Sie wenigstens bis an die Grenze des Reichs zu begleiten, wo die Herrschaft unseres Monsieur Déjean beginnt!«

Sie hielt ihn tief errötend zurück, indem sie die Hand auf seinen Arm legte. »Einen Augenblick, Herr Graf, wissen Sie, wo Herr von Reubel wohnt? ich habe ihm mein Leben zu danken!«

Der Graf lächelte. »Ich würdige ganz Ihr gefühlvolles Herz. Monsieur de Reubel wohnt, wenn ich mich recht erinnere, in einem kleinen Hotel der Rue Saint Georges, in dem Hotel d'Orient!«

»Ich danke Ihnen. Monsieur Déjean – ich bin bereit!« – – – – – – – – – – – – – –


Während der Kapitän Laforgne der Schwester des Freundes den Arm bot, um sie zurück zu führen, waren der Fürst Turbetzkoi mit dem Lord und mehrere der Kavaliere, die vorhin die kritische Jury über die Damen des Cirkus und die Zuschauer gebildet hatten, heran getreten. Der Fürst hatte soeben vergeblich bei der Garderobe der Kunstreiterin antichambriert und sich mit den Nachrichten der Kammerfrau begnügen müssen. Aber er erzählte der Gesellschaft, daß Sennora Rositta sich den Fuß bedeutend verrenkt habe, daß er geholfen, ihr einen Verband umzulegen, und daß sie ihn vor ihrer Abfahrt nach dem Hotel gebeten, sie ja des anderen Morgens zu besuchen.

»Ihre Wette, Peard,« sagte der Viscount, »ist also dennoch verloren. Ein verstauchter Fuß ist noch kein gebrochener Hals. Sie haben Unglück heute abend!«

»Euer Herrlichkeit haben mir versprochen,« meinte der Menschenjäger, »daß ich in Paris einige interessante Fälle sehen würde. Es ist wirklich schade, ich habe schon neun Männer, aber noch keine Frau den Hals brechen sehen, obschon ich einmal nahe daran war, als ein Sergeant meiner Kompagnie die seine zwei Treppen hinunter warf. Aber diese Weiber haben ein Leben wie die Katzen!«

Der Viscount lachte. »Sie sind zu ungeduldig, Kapitän, wahrhaftig wie ein junger Bräutigam. Es geht hier nicht so rasch, wie in Dahomey, aber es ist interessanter; ich dächte, Sie wüßten das! Dieser junge preußische Bauer, den uns vorhin Montboisier vorstellte, hat Sie um Ihr Vergnügen gebracht, ohne selbst Ersatz zu leisten; denn dort steht er in Person und – very well – ich muß ihm die Hand drücken, denn er ist ein wackerer Bursche, und ich habe selten etwas entschlossener ausführen sehen, als diese That. Ich hätte Lust, ihn zu meinem Stallmeister zu machen!«

» Diable, Mylord! Sie haben recht,« schnarrte der Fürst, »aber ich komme Ihnen zuvor. Ich habe das erste Recht auf ihn, da mich die kleine Rositta mit ihrer Gunst beehrt. Ktschortu! ich will ihn auf meine Güter in der Ukraine schicken; seit die kleine Tunsa eigensinnig geworden, ist niemand da, der so trefflich mit Pferden umzugehen versteht!«

Er war mit Hilfe des Stockes zu der Gruppe des jungen Preußen und seiner Schwester herangetreten, um die sich mehrere Personen drängten, und tupfte ihn vornehm mit dem Stockknopf auf die Schulter. »Sie haben die Sache brav gemacht, Monsieur,« sagte er vertraulich. »Hier ist meine Karte, besuchen Sie mich morgen, wir wollen über Ihre Belohnung sprechen!«

Otto von Röbel sah ihn erstaunt an, Kapitän François brach in ein helles Gelächter aus.

»Mein Herr,« sagte der Preuße, die Karte zurückgebend, »Sie irren sich wahrscheinlich in der Person.«

»Ich bin der Fürst Trubetzkoi!«

»Das hindert nicht, daß Sie ein Einfaltspinsel sind,« sagte der Kapitän, dem Freunde die Antwort abschneidend. »Es ist Zeit, Otto, daß Du den Herren nicht länger zum Schauspiel dienst – komm!«

Der junge Edelmann fühlte, daß er recht hatte und wollte ihm folgen, während der Fürst unter dem Gelächter seiner Freunde ziemlich verblüfft dastand, als er seine Hand gefaßt fühlte.

Es war der Mohrendoktor, den er neben sich sah.

»Mein Herr,« sagte dieser, »ich habe gehört, daß Sie der braven Nation der Preußen angehören, zu der mich die Erinnerungen meiner Jugend ziehen, denn einem ihrer Landsleute verdanke ich mein Leben. Wenn das Blut Achmeds, des letzten Hacenen, Ihnen je nützen kann, so fordern Sie es, und er wird bereit sein, es Ihnen zu geben, wie Sie das Ihre willig gewagt für die letzte Freude, an der sein altes Herz hängt. Ich soll Ihnen den Gruß eines jüngeren bringen, das Ihnen allein dankt, daß es noch schlägt. Nehmen Sie dies Zeichen zum Pfande, bis die Geberin Ihnen selbst ihren Dank sagen kann!«

Er reichte ihm ein Bouquet, es war das Veilchenbouquet, das er selbst ihr geworfen, das sie bei dem wilden Ritt an ihrem Busen getragen, und das mit seinem Blute benetzt war.

»Leben Sie wohl, Monsieur,« fuhr der Arzt fort, »dies ist nicht der Ort, Ihnen weiter zu danken. Ich gehe, das Kind meines Herzens darüber zu beruhigen, daß Gottes Hand auch seinen Retter bewahrt hat. Auf Wiedersehen, mein junger Freund, dort ist sie selbst!«

Ein donnernder Jubel erschütterte das Haus, denn in der That war am Eingang der Manege soeben Sennora Rositta an der Hand des Direktors erschienen.

Der Enthusiasmus des Publikums war grenzenlos, als es sein Schoßkind, die gefeierte Künstlerin, zwar etwas bleich und angegriffen, aber desto interessanter im Nimbus der vorhergegangenen schrecklichen Scene wiedersah.

Das Auge der Kunstreiterin schweifte, indem sie mit tiefer Verneigung dem Rasen des Publikums dankte, suchend über den glänzenden Raum. Einen Moment schien es Feuer zu sprühen, als es über die kaiserliche Loge flog, und ihre Hand zuckte krampfhaft in der des Direktors. Die Kaiserin hatte mit ihren Damen sofort nach dem unglücklichen Vorgang die Loge verlassen und in dem anstoßenden Salon nur so lange verweilt, bis der Direktor des Cirkus dem Publikum verkündet hatte, daß Mademoiselle Rositta sich wieder erholt habe und kein weiteres Unglück zu beklagen sei; aber im Hintergrund der Loge stand mit verschränkten Armen noch eine dunkle Gestalt, als wolle sie dem Publikum trotzen, wie sie der sehr ungnädigen Entlassung der hohen Verwandten getrotzt hatte, und trotz der Entfernung kreuzten sich die Blicke der Reiterin und des Grafen Alvaro wie zwei scharfe Stahlklingen. Im nächsten Moment aber trafen die sich stolz abwendenden Augen der Sennora auf die Gestalt, die sie gesucht, auf den Mann, dessen stille aber glühende Huldigung an jedem Abend ihres Auftretens ihr nicht entgangen war, und der für sie das eigene Leben gewagt hatte.

Sie sah ihn, wie er am Eingang der Manege in dem dichten Haufen des Publikums stand, und er fühlte ihren dankbaren Blick.

Die schöne Erinnerung war unter dem Applaus des Publikums hinter der fallenden Portiere verschwunden, und aus der neu geöffneten brach der Zug der glänzenden Quadrille, während der Menschenstrom Otto hinaus aus dem Ausgang der Cirkus trug, denn der größere Teil der Zuschauer verließ diesen jetzt, nachdem die vornehmere Welt sich schon vorher gleich nach dem Unfall entfernt hatte.

Hier traf er auch François mit den Damen, seiner harrend, denn Frau von Röbel wollte, trotz des Zustandes ihrer Tochter, den Ort nicht verlassen, ohne sich überzeugt zu haben, daß ihr Sohn nur unbedeutend verletzt sei.

Sie bestand jedoch vergebens darauf, daß der junge Mann mit ihr zugleich in dem Wagen, den der Kapitän durch einen Kommissionär holen ließ, nach dem Hotel zurückkehrte, und erst, als Laforgne ihr zusicherte, daß er Otto, der die Enge der Pariser Fiaker vorschützte und erklärte, daß ein Gang in der frischen Luft ihm wohlthun würde, begleiten wolle, fügte sie sich darein, voraus zu fahren.

Die beiden Freunde, von denen jeder soviel zu denken hatte, waren eben im Begriff, Arm in Arm nach der großen Allee der Elysäischen Felder einzubiegen, als zwei Herren, in ihre Mäntel gehüllt, an ihnen vorüber gingen, um in ein Kabriolett zu steigen, das in der Nähe einer der fast Tageshelle verbreitenden großen Flambeaux vor dem Eingang hielt.

»Es thut mir leid, lieber Präfekt,« sagte der eine der Herren, eine kleine hagere Figur, »daß ich Sie mit der Bitte belästigen muß, mich nach Hause zu bringen; aber den Wagen vom Dienst, in dem ich gekommen, hat unsere kleine Eugenie, der der Kopf unter der Krone gewaltig zu wachsen anfängt, begleitet und ich müßte sonst wahrhaftig einen Fiaker der Regie rufen.«

»Wir haben denselben Weg, Herr Graf,« sagte der hohe Beamte, der jedoch Civil trug. »Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Sie an Ihrer Thür abzusetzen. Aber sagen Sie, was hatten Ihro Majestät?«

»Oh, eine ihrer gewöhnlichen Launen. Sie bildet sich ein, ein zufälliger Ausruf, der mir entschlüpfte, sei die Ursache des Unfalls dieser Reiterin gewesen. Apropos Rositta! wissen Sie etwas näheres über diese Tagesschönheit, über die sich alle Welt in Paris den Kopf zerbrechen soll, und die ich heut zum erstenmal gesehen habe! Aber lassen Sie uns hier ein Stück die Allee entlang gehen, Ihr Coupé kann uns dort in dem Fahrweg folgen, lieber Senator.«

»Sie geben mir da einen Titel, Herr Graf, der mir nicht zukommt.«

»Nun, ich habe in den Appartements des Kaisers einige Worte fallen hören. Aber um auf meine Frage zurück zu kommen, was wissen Sie von dieser Sennora Rositta, wie sie sich nennt? woher stammt sie?«

»Das ist bekannt genug, sie kommt zunächst von London. Aber sie war vorher in Petersburg. Vorher hat man nichts von ihr gehört, ihr Paß ist in bester Ordnung.«

Der Graf, wie der Präfekt ihn genannt, zuckte die Achseln. »Gehen Sie mir mit Ihrem Paß, liebster Pietri, wenn die Polizei weiter nichts weiß, als was in den Pässen steht!«

Es war in der That der Chef der Pariser Polizei selbst, der alte korsische Bonapartist, der im Laufe der Vorstellung, auf die Nachricht von der Anwesenheit der Kaiserin, nach dem Cirkus gekommen war und beim Verlassen desselben am Ausgang auf Don Alvaro, ihren Verwandten gestoßen war.

Der Präfekt warf auf seinen Gesellschafter einen raschen forschenden Blick. »Da Sie sich für die Dame zu interessieren scheinen,« sagte er vorsichtig, »so kann ich Ihnen nur sagen, daß sie mit besondern Empfehlungen an den russischen Gesandten hierher gekommen ist. Man will wissen, daß sie in Petersburg die Nachfolgerin der schönen Schauspielerin Frau von Bärndorf in der Gunst des Hofes gewesen ist und unter der besonderen Protektion eines der Großfürsten gestanden hat. Soviel ich von der Dame gehört, ist sie keine leichte Eroberung, liebster Graf!«

Der Spanier zuckte ungeduldig die Achseln. »Das sind alles Dinge, die Ihnen jeder Pflastertreter von Paris sagen kann. Mich interessiert die Person allerdings, aber aus anderen Gründen. Haben Sie die Sendung des Grafen Montboisier bemerkt?«

»Des Obersten? ich sah ihn aus der Loge nach den Garderoben gehen.«

»Meine werte Cousine hat ihn zu der Reiterin geschickt.«

»Es war sehr gnädig von Ihro Majestät,« sagte vorsichtig der Präfekt, »sich noch besonders nach dem Befinden einer solchen Person erkundigen zu lassen.«

»Ah bah! das war es nicht allein. Sie sprach wenigstens fünf Minuten mit ihm und hat ihm offenbar einen besonderen Auftrag gegeben.«

»Es ist möglich!«

»Hören Sie mich an, liebster Präfekt. Sie wissen, wie leicht meine Cousine sich von Personen, für die sie Interesse faßt, mißbrauchen läßt und wie sehr dem Kaiser solche Aventüren unangenehm sind. Ich habe meine besonderen Gründe, diese plötzliche Laune zu verhindern. Eine Liebe ist der andern wert, Sie kennen meine Verbindungen bei Hofe und bei dem Prinzen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß bei der nächsten Ernennung der Senatoren Ihr Name dazu gehören wird. Aber ich muß wissen, worin der Auftrag meiner Cousine für diese Mademoiselle Rositta bestanden hat.«

Der künftige Senator sann einige Augenblicke nach, gleich als überlege er seine Mittel, dann sagte er mit Bestimmtheit: »Sie werden es bis morgen mittag erfahren, Herr Graf!«

»Gut, ich verlasse mich darauf und rechnen Sie in jedem Falle auf mich. Sie wissen, daß Sie Gegner genug haben, und ein scharfes Ohr und Auge in der Nähe meines hohen Verwandten wird Ihnen den Freundschaftsdienst vergelten. Ich denke, wir können nun einsteigen!«

Der Präfekt machte eine zustimmende Bewegung, und indem sie sich zu ihrem Wagen wandten, begegneten sie zum zweitenmal den beiden Freunden, die Arm in Arm langsam nach dem Place de la Concorde zugingen.

In dem Schein der Gasflammen erkannte der spanische Graf die beiden Gesichter.

» Caramba!« sagte er, stehen bleibend und auf die unverschämteste Weise die beiden Freunde lorgnettierend, »sieh da, da ist ja wahrhaftig der kleine Ritter unserer Reiterin, der sie so geschickt bei ihrem Salto mortale in seinen Armen auffing. Schade, daß die türkischen Beinkleider uns das hübsche Schauspiel schmälerten. Und wie ich sehe, in der guten Gesellschaft eines Kunstreiters aus den Pampas meines ehemaligen Schwiegervaters.«

Die Worte waren so laut gesprochen, die hochmütige Weise, mit welcher der Graf, stehend bleibend, die Freunde fortwährend ansah, war so beleidigend, daß beide sofort ihren Schritt hemmten.

Eine zornige Glut färbte das Gesicht des Kapitäns, und er wollte auffahrend auf den Beleidiger losschreiten, als er seinen Arm mit starker Hand festgehalten fühlte.

»Halt, François, bei unserer Freundschaft! Das ist meine Sache!«

Der Preuße trat auf den Spanier zu, den sein älterer Gesellschafter vergebens nach dem harrenden Wagen zu ziehen suchte.

»Lassen Sie uns immerhin einige Augenblicke verziehen,« lächelte er höhnisch, »es scheint, daß wir einige Belehrung über die Reitkunst hören sollen.«

»Mein Herr,« sagte der Preuße fest, »es scheint Ihre Absicht, mich herausfordernd zu beleidigen!«

»Der Graf Gusman de Montijo, mein Lieber,« sagte der ehemalige Verlobte der schönen Argentinerin stolz, »fordert die Stallmeister des Herrn Déjean nicht heraus!«

Das Gesicht Otto von Röbels war ruhig, aber es begann eine eigentümliche Blässe anzunehmen.

»Herr Graf Gusman de Montijo,« fuhr der Preuße fort, »da Sie beliebt haben, sich mir vorzustellen, so sage ich Ihnen, daß Sie die Ehre haben, mit einem preußischen Edelmann zu sprechen. Mein Name ist, wie Ihnen diese Karte zeigen wird, Otto von Röbel. Wäre ich aber auch nicht einmal einer der Stallmeister, sondern einer der Stallknechte des Herrn Déjean, so würde ich mich immer noch besser dünken, als ein Grande von Spanien, der für sein Entree glaubt, boshafter als ein feiger Mörder handeln zu können!«

Der Gesellschafter des Grafen trat einen Schritt vor, als wollte er sich zwischen die beiden Streitenden drängen.

»Mäßigen Sie sich, mein Herr, dieser Kavalier ist ein naher Verwandter Ihrer Majestät der Kaiserin!«

»Ich habe diesen Herrn in der Kaiserlichen Loge gesehen, und bedaure, daß die Kaiserin von Frankreich einen Banditen in ihrer Nähe dulden konnte. Sie, mein Herr, werden bis morgen mittag die Dame, die ich vor den Folgen Ihres tückischen Streiches zu retten die Ehre hatte, um Verzeihung bitten, andernfalls …«

Der Graf lachte spöttisch auf. »Nun, mein junger preußischer Amadis, andernfalls –«

»Werde ich Sie, da ich jetzt Ihre Adresse weiß, aufsuchen und vor ganz Paris ohrfeigen!«

»Schurke!«

Das Wort war kaum ausgesprochen, als eine derbe Ohrfeige auf die magere Wange des Spaniers klatschte.

Der Beamte warf sich dazwischen. »Unsinniger, was unterstehen Sie sich! ich werde Sie auf der Stelle verhaften lassen, ich bin der Polizei-Präfekt von Paris!«

»Ich glaube, daß Signor Pietri zuerst Edelmann gewesen ist, bevor er Präfekt wurde,« sagte der Kapitän fest. »Wir haben hier nicht mit der Polizei zu thun, sondern mit der Züchtigung eines unverschämten Beleidigers.«

Der hohe Beamte schien in der That zu fühlen, daß er hier eine falsche Rolle spielen würde, und daß die beiden Fremden in ihrem Recht waren; denn er begnügte sich, den anfangs wie betäubt dastehenden, dann aber in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen knirschenden und in seiner Muttersprache die wildesten Verwünschungen und Drohungen sprudelnden Kavalier mit Gewalt nach dem Wagen zu drängen, weil die Scene, obschon sie in einer Seiten-Allee gespielt hatte, bereits Aufsehen zu erregen und Zuschauer zu versammeln begann.

»Gehen Sie, meine Herren, entfernen Sie sich sogleich! wir werden Sie zu finden wissen!«

»Ich werde die Botschaft dieses Herrn erwarten!« sagte der Preuße stolz. »Komm, François!«

Sie gingen Arm in Arm weiter, ohne ihren Schritt auch nur um einen Grad zu beschleunigen. Erst als sie in einiger Entfernung waren, zog der Kapitän, der auch die kürzeste Beschränkung seiner Freiheit in diesem Augenblick mehr als alles andere fürchten mußte, den Freund rascher vorwärts und sah sich nach einem Wagen um.

Es war Monsieur de Pietri unterdes gelungen, seinen Begleiter zu dem seinen zu führen. »Um Himmelswillen, Graf, was fiel Ihnen ein! ich kann Ihnen nicht verbergen, daß Sie die Scene selbst hervorgerufen haben; es ist unmöglich, die Sache zu vertuschen, ich werde dem Kaiser davon Anzeige machen müssen!«

»Nicht eher, als bis ich sein Blut gesehen,« knirschte der Spanier. »Er soll es mir büßen, er und seine Metze! den andern überlasse ich Ihnen!«

»Den Namen des einen kennen wir, wer ist der zweite?«

»Ein niederträchtiger Revolutionär, ein Vertrauter Garibaldis!«

»Wissen Sie das gewiß?«

»So gewiß ich Sie vor mir sehe! ich traf ihn zweimal im Leben, obschon ich in diesem Augenblick seinen Namen vergessen habe, einmal in Montevideo, Villafranca I. Band »Die alte Garde.« das andere Mal an dem Abend, als meine Verlobte verschwand, Zehn Jahre III. Band »Ein Ball in den Tuilerien.« er ist offenbar dabei im Spiele gewesen, denn …«

Er unterdrückte die Fortsetzung seiner zornigen Worte. Der Präfekt schob ihn in den Wagen und blickte sich hastig um. Dann hielt er den Finger an den Mund und ließ ein kurzes scharfes Pfeifen hören.

Augenblicklich kamen von beiden Seiten des breiten Fahrweges zwei Personen herbei.

»Kennen Sie mich?«

»Euer Excellenz selbst!« sagte der eine devot.

»Gut! haben Sie beobachtet, was dort eben vorgegangen ist?«

»Zu Befehl, Excellenz,« berichtete der, welcher den Präfekten erkannt hatte. »Dort drüben ist mein Posten. Ich bemerkte einen kurzen Streit, aber die Sache ist so gewöhnlich in den Alleen, daß ich keinen Grund hatte, mich einzumischen.«

»Die beiden Männer, die ihn veranlaßten,« sagte der Präfekt, »sind jene Allee entlang gegangen; der eine eine große schlanke Figur, mit einer Binde um den Kopf, der andere kleiner, von soldatischem Wesen; dieser trägt einen grauen Zuaven-Burnus, der erstere einen dunklen Paletot. Folgen Sie ihnen bis zu ihrer Wohnung, namentlich dem kleinern! Morgen früh genauen Rapport!«

»Zu Befehl, Excellenz!«

Der Präfekt war in das Coupé gesprungen.

»Fort, Andrée! In der Rue St. Honoré 60 hältst Du an!«

Der Wagen rollte davon, und der hohe Beamte fuhr fort, seinem Gesellschafter, der mürrisch schwieg, lebhafte Vorwürfe zu machen, während die zwei Spürhunde der hohen Polizei sich bereits auf den Weg gemacht hatten und die Allee durchstreiften.

Die beiden Freunde hatten eben den Platz de la Concorde erreicht, als ein Fiaker, der an ihnen vorbeigefahren war, auf den Ruf des Insassen hielt, und der Schlag rasch geöffnet wurde.

» Monsieur de Reubel!«

»Steigen Sie ein! es handelt sich um Ihre Freiheit – geschwind!« fuhr die Stimme in deutscher Sprache fort.

Otto von Röbel hatte sie erkannt.

Es war die des Freundes seiner Jugend, des Mannes, welcher noch immer das Herz seiner Schwester besaß.

»Was wollen Sie von mir? ich denke, wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen!«

»Um Himmelswillen, Herr von Röbel,« sagte der Sekretär der Fürstin, »welcher schreckliche Irrtum uns auch getrennt haben mag, steigen Sie ein so schnell wie möglich! die Spione der Polizei sind auf Ihrer Ferse, es gilt vor allem, Sie diesen zu entziehen!«

Der Kapitän verstand durch den Umgang mit dem jungen Preußen bereits genug Deutsch, um den Sinn der Aufforderung zu begreifen.

»Vorwärts, Otto! Wenn es ein Freund ist, der uns warnt, müssen wir die Gelegenheit benutzen. Du weißt nicht, was auf dem Spiele steht!«

Er schob ihn fast mit Gewalt in den Wagen. »Boulevard Poissonnière, Ecke des Montmartre, aber rasch!« rief er dem Kutscher laut zu und schwang sich in den Wagen, denn eben näherten sich einige verdächtige Gestalten. Der Kutscher hieb auf sein Pferd, und der Wagen rollte rasch davon.

Erst nachdem sie die Madelaine passiert hatten, wandte sich der Sekretär zu den beiden und bediente sich jetzt der französischen Sprache.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, meine Herren, daß ich mich auf diese Weise in Ihre Angelegenheiten gemischt und Sie fast mit Gewalt entführt habe. Indes, Sie werden es für gerechtfertigt halten, wenn Sie erfahren, daß ich Ihren Streit in der Allee der Avenue Gabriel mit angesehen habe und dann hörte, daß der größere der beiden Herren, mit denen Sie den Wortwechsel hatten und der ein Polizeibeamter sein muß, mit einem Zeichen Leute zu seinem Wagen rief, ihnen Ihr Signalement gab und sie beauftragte, Ihnen zu folgen. Ich nahm sofort den nächsten Fiaker und eilte in der Hoffnung, Sie zu treffen, voraus!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er das Wagenfenster, sah hinaus, ob sie etwa in bemerklicher Weise verfolgt würden, und befahl dann dem Kutscher, als hätten sie sich besonnen, nach der Rue Augustin zu fahren.

Otto von Röbel schwieg noch immer, aber der Kapitän reichte dem ehemaligen Studenten die Hand. »Ich habe zwar nicht die Ehre, Sie zu kennen,« sagte er, »aber Sie haben uns wahrscheinlich einen großen Dienst geleistet, denn Sie haben uns die Freiheit zu handeln bewahrt. Lassen Sie gefälligst auf dem Börsenplatz halten, von dort werden wir leicht unbemerkt unsern Weg fortsetzen können. Selbst wenn die Spione gleich hinter uns einen Wagen gefunden haben, wird es kaum möglich gewesen sein, in dem Wagengedränge der Boulevards uns zu folgen.«

Es war in der That so, denn als sie an der Börse ausstiegen, bemerkten sie keinen Wagen, der ihnen gefolgt, und sie konnten unbelästigt ihren Weg fortsetzen.

Rudolph Meißner begleitete sie nur einige Schritte, dann blieb er stehen.

»Ich darf Ihnen nicht weiter lästig fallen, meine Herren,« sagte er, »und kehre nach meiner Wohnung im Hôtel de Louvre zurück, wo die Fürstin Trubetzkoi, in deren Dienst ich stehe, logiert. Haben Sie mir irgend eine Erklärung zu machen, Herr von Röbel, oder bedürfen Sie meiner Person, so werden Sie mich dort finden; daß ich Sie nicht aufsuchen darf, um selbst eine Erklärung Ihrer Worte gegen einen Mann, dem Sie doch sonst Ihre warme Freundschaft schenkten, zu erbitten, das wissen Sie. Möge Gott Sie und die Ihren glücklich in unsere teure mir leider verschlossene Heimat zurückführen.«

Er verbeugte sich, und ohne eine Antwort zu erwarten, entfernte er sich in der Richtung der Seine. Der Kapitän nahm den stummen Freund am Arm und zog ihn mit sich fort.

»Du sollst mir ein anderes Mal näher erzählen, Otto,« sagte er, »was es mit diesem Manne für eine Bewandtnis hat. Einstweilen kann ich Dir nur sagen, daß er mir wenigstens einen großen Dienst geleistet hat, indem er uns den Spionen des Herrn Pietri entzog. Was Deinen Handel mit diesem gelben vertrockneten Spanier angeht, den ich aus früherer Zeit kenne, so ist er zwar sehr unangenehm, indes, wenn Du ihn nicht geohrfeigt hättest, würde ich es auf alle Gefahr hin gethan haben. Ich bin ihm eins schuldig für die schöne Carmen und hoffe es ihm auszuzahlen, ehe wir 24 Stunden älter sind.«

»So darf ich darauf rechnen, daß Du mir sekundierst?«

» Carraja! um mich der Sprache des sonnigen Montevideo zu bedienen, ich zweifle noch sehr, ob es dem werten Vetter und Verkuppler der schönen Kaiserin von Frankreich so Ernst sein wird, sich dem Lauf Deines Pistols – denn auf ihre verdammten spanischen Degenfinten laß Dich nicht ein! – zu stellen. Er wird sicher erst alle andern Mittel versuchen, die Ohrfeige abzuschütteln, um sich an Dir zu rächen. Aber ich denke, er wird nicht Zeit dazu haben, und ich werde das Meine dazu thun. Befand sich die Adresse Deines Hotels auf der Karte, die Du ihm gabst?«

»Ja, Hôtel d'Orient, wohin wir gehen, denn Elise erwartet Dich dort!«

»Nicht so rasch, nicht so rasch, die Weiber können noch etwas warten, selbst meine kleine Frau. Es handelt sich um wichtigere Dinge. Ich werde diese Nacht nicht zu Hause schlafen!«

»Warum? Du sprichst in Rätseln!«

»Das ist vorläufig mein Geheimnis. Genug, die Hand des Herrn Grafen von Montijo und die des Signor Pietri sind einstweilen noch ziemlich lang in Paris, und es wäre mir sehr unangenehm, mich während des morgenden Tages etwa in der Präfektur oder gar zwischen den Mauern von Vincennes zu befinden. Am gescheitesten wäre es für Dich und für uns alle, wenn Du meinem Rat folgtest, und morgen früh mit Deinen Damen und meiner kleinen Frau Paris verließest!«

»Unmöglich, Du weißt …«

»Richtig, ich vergaß Sennora Carmen, und daß Du jetzt für Deine Ritterthat Hahn im Korbe bist und den Lohn beanspruchen kannst.«

»Carmen – wer ist Carmen?«

» Cap de Bioux! ich dachte nicht daran, daß Du von der Geschichte nichts weißt. Ich habe keine Zeit, sie Dir zu erzählen, denn ich muß jetzt nach meiner Wohnung und dann in das Hotel des Fürsten Czartoriski. Nur so viel kann ich Dir sagen, mein Junge, daß wir merkwürdiger Weise auch hier Nebenbuhler gewesen sind, wie bei meiner kleinen Frau, und daß, wenn ich Dich da ausgestochen habe, Du Dich jetzt bei Mademoiselle Rositta oder Carmen oder wie die schöne Marquise sich sonst nennen will, vollkommen revangierst.«

»Ich begreife keines Deiner Worte. Rositta – Carmen – die Marquise –?«

»Ist vorläufig auch nicht nötig, nur soviel laß Dir sagen, daß Du keinen schlechten Geschmack hast, und daß das Schicksal in der That oft wunderlich spielt. Ich scheine zum Paladin für alle flüchtigen Schönen bestimmt, das heißt, ihr Entwischen vorzubereiten und dann im Stich gelassen zu werden. Nun, das eine Mal hat mir zu einer Frau verholfen und mich etwas vernünftiger gemacht, das andre Mal wird Dir vielleicht zu einer Frau verhelfen. In jedem Fall versprich mir, Dich morgen hübsch zu Hause zu halten und Dich nicht in Dinge zu mischen, die Dich nichts angehen. Beruhige meine kleine Elise und bitte sie in meinem Namen, die heutige Nacht und den morgenden Tag in Eurem Hotel zuzubringen, bis sie wieder von mir hört. Und wenn Du Mademoiselle Rositta siehst, so sage ihr, der Kapitän François Laforgne hätte ein treues Auge für seine Freunde und wäre noch heute wie damals, als er am Teich von Auteuil der schönen Marquise von Massaignac sein Wort gab, ihr beizustehen, bereit, dies Wort mit Kopf und Hand zu lösen. Hier ist die Rue du Faubourg Montmartre, die Dich direkt nach Saint Georges führt und nun lebe wohl und auf ein glückliches Wiedersehen!«

Er drückte dem Freunde die Hand, dieser versuchte vergeblich, ihn festzuhalten.

»Ein einziges Wort noch, François, wenn der spanische Graf morgen seinen Sekundanten schickt –«

» Caramba! so schieß ihn nieder, wenn er solche Eile hat, Du thust Dir und der schönen Carmen-Rositta den besten Dienst. Übermorgen suche ihn andernfalls auf der Straße nach Spanien!«

Er war verschwunden; betäubt, verwirrt von all den Abenteuern des Abends und dem Gehörten rief der junge Preuße den nächsten Fiaker an und ließ sich nach dem Hotel in der Rue Saint Georges fahren.

Don Alvaro hatte am Abend, sogleich nachdem er seine Wohnung betreten, ein Billet geschrieben und abgesandt.

Es war an den Marquis von Massaignac, den Gatten Cora Mirons gerichtet und lautete:

 

»Lieber Marquis!

Wenn Sie heute den Cirque Napoleon besucht hätten, wie ich, im Gefolge meiner sehr hochmütig werdenden Cousine, würden Sie ein sehr merkwürdiges Schauspiel gesehen haben.

Das kommt aber davon, wenn man der Rival gekrönter Häupter sein will und nur Augen und Zeit hat für die kleine Pierrefond!

Das Testament des Herrn Obersten Marquis von Massaignac, der so zu rechter Zeit auf dem Marsfeld erschossen wurde, scheint den Gerichtshöfen von Paris nicht mehr viel Sorge machen zu sollen. Der zweite der drei Erben hat sich wieder gefunden.

Wenn der Herr Senateur von Massaignac Sehnsucht empfindet, seine verloren gegangene Schwester Carmen zu finden, um mit ihr die Reichtümer der Estancias von Montevideo zu teilen und ihr Rechenschaft abzulegen über deren Verwaltung seit fünf Jahren, wird er nur nötig haben, sich die Adresse der berühmten Kunstreiterin Rositta zu erbitten.

Das Erkennen war gegenseitig, und zwar in einem famosen Augenblick. Ich glaube, auch die Kaiserin hat meine durchgegangene Verlobte wieder erkannt, denn es beliebte ihr, mich sehr unsanft anzulassen, für den kleinen Versuch, einen gewissen Don Alvaro Guzman de Montijo an einer sehr widerspenstigen abenteuernden Schönen zu rächen und seinem Freunde das Vermögen der Massaignacs ungeteilt zu erhalten.

Genug, Carmen ist in Paris, die Kunstreiterin Rositta und sie sind eine Person. Daß sie so offen aufzutreten wagt, beweist, daß sie sich unter gutem Schutz weiß.

Leider ist unser guter Freund, Monsieur Corpasini nicht in Paris. Indessen befindet sich der Abbé Larrivière hier und das Kloster der Schwestern du sacré cœur hat immer noch Raum für eine hartnäckige Sünderin.

Ich erwarte Sie morgen so zeitig als möglich, auch wegen einer anderen Angelegenheit. Es gilt, wenn es nicht zu umgehen ist, einen Degenstoß gegen einen Verehrer Ihrer schönen Schwester.

Auch der Bursche, der tolle Garibaldien, den wir vor fünf Jahren in Verdacht hatten, Ihre Schwester entführt zu haben, befindet sich hier. Der Satan hat die ganze Gesellschaft zusammengeführt.

Der Name des Garibaldien ist mir entfallen; wie hieß er doch? ich habe Pietri auf ihn gehetzt.

Kommen Sie bald, ich erwarte Sie!«

 

Es war noch nicht zehn Uhr, eine Stunde, zu der das fashionable Paris sich gewöhnlich erst aus den Federn erhebt, als der Senator Massaignac, höchst erregt von der erhaltenen Nachricht, in das Boudoir des Spaniers trat.

Don Alvaro kam ihm mit einem zweiten Briefe entgegen.

»Lesen Sie!«

Das Billet war von dem Polizei-Präfekten selbst, vorsichtig, ohne Unterschrift, die Nachricht aber wichtig genug.

Der Marquis las folgende Nachrichten:

 

»Graf Montijo wird benachrichtigt, daß eine sehr hohe Person die Kunstreiterin heute abend vor der Oper insgeheim in ihren Privatgemächern empfangen wird.

Was den unangenehmen Streit des Herrn Grafen Montijo betrifft, so wird er 24 Stunden verschwiegen bleiben. Gegen den preußischen Edelmann und seine Familie läßt sich nichts thun. Die Identität der anderen Person ist bisher nicht zu ermitteln gewesen.«

 

Der Marquis knitterte erblaßt das Billet zusammen.

»Das wäre ein verdammter Streich! was ist da zu thun? Und was ist das mit diesem Streit?«

»Ein Fremder, ein Deutscher, hat es gewagt, mich um Ihrer Schwester willen zu beleidigen. Ich muß ihn fordern, und deshalb bat ich Sie, zu kommen.«

»Sein Name?«

»Hier steht er auf dieser Karte. Der Henker mag diese kauderwelschen Namen behalten.«

»Otto von Reubel!« las der Marquis, »der Name ist mir bekannt! Richtig, das ist die Familie, für die mein Großvater in seinem Testament verrückter Weise das Legat ausgeworfen, auf das bis jetzt keine Ansprüche erhoben worden sind. Sie führen eine ausgezeichnete Klinge, Alvaro, so gut wie Grisi selbst, und ich hoffe, Sie werden die Sache mit einer hübschen Quart ein für allemal zu Ende bringen. Es ist wahrscheinlich derselbe, der vor acht Jahren bei der Geschichte mit meinem unglücklichen Schwager die Hand im Spiele hatte.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß er mit dem Burschen zusammen ist, der schon auf der Hacienda Ihres Vaters, als er fast noch ein Knabe war, mir entgegen zu treten wagte und hier sicher bei dem noch immer rätselhaften Verschwinden Carmens beteiligt war, obschon er nichts davon wissen wollte, als er mit seinem langen Schlagetod, dem amerikanischen Diener, am andern Tage aus der Haft entlassen wurde. Sie erinnern sich – es war Canroberts wegen! Zehn Jahre. III. Band. Ein Ball in den Tuilerien. Carajo! daß ich bei meinem schlechten Namensgedächtnis auch auf den fatalen Namen nicht kommen kann!«

»Ei, ich erinnere mich dessen sehr gut, der Abenteurer nannte sich Kapitän Laforgne, François Laforgne!« sagte der Senator hämisch. »Sie waren damals sehr eifersüchtig auf ihn wegen Carmen und haben damit meine eigenen Absichten gestört.«

»Einen Augenblick!« unterbrach ihn der Spanier. »Es ist nötig, daß ich Herrn von Pietri sofort den Namen melde. Mit dessen Hilfe wird er dem Burschen leicht auf die Spur kommen und uns von ihm befreien, denn seine Anwesenheit steht sicher mit dem Erscheinen Carmens in Verbindung.«

Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb ein kurzes Billet, das er siegelte und sofort durch seinen Kammerdiener fortschickte.

Dann kehrte er zu der Unterhaltung mit dem Marquis zurück.

»Lassen Sie uns nun bedenken, Massaignac,« sagte er finster, »was wir zu thun haben. Sie wissen, wir waren damals, als ich der Verlobte Ihrer Schwester war, keine besonderen Freunde, weil Sie, klar herausgesprochen, deren Vermögen lieber selbst behalten wollten, als es einem Dritten überlassen.«

»Sie gehen zu weit, Freund; ich glaubte nur …«

»Daß sich Carmen ganz vortrefflich für irgend ein in dem Anspruch auf Mitgift mäßiges Kloster eignen würde, um dort alle Tage für die Seele ihres so unglücklicher Weise und Ihnen zu so gelegener Zeit erschossenen Vaters zu beten. Sie werden sich erinnern, daß sein Tod damals von einigen eigentümlichen, niemals ganz aufgeklärten Umständen begleitet gewesen ist, und daß Sie leider selbst damals das Unglück hatten, die Order zur Füsilierung der Gefangenen nach dem Marsfelde zu überbringen.« Zehn Jahre. III. Band. Der 2. Dezember.

Eine fahle Blässe überzog das Gesicht des Marquis. »Sie haben recht! es war ein schreckliches Unglück!«

Seine Augen irrten ruhelos in dem Zimmer umher.

»Sie heißen ja wohl Guzman, wie ich, lieber Freund?«

»Ja wohl! Ich dächte, Sie wüßten das, Graf!«

»Ich erinnerte mich bloß, daß jener Vagabond, der mir das Rendezvous zwischen Ihrer Schwester und dem Abenteurer Laforgne verriet, und den ich dafür in meine Dienste genommen hatte, bis er es für gut fand, mit meiner Uhr und einigen anderen Wertsachen zu verschwinden, mir bei einer Gelegenheit erzählte, er sei an jenem Unglückstage auch auf dem Marsfeld gewesen und habe zufällig gesehen und gehört, wie ein alter stattlicher Herr einem jungen Offizier zu Pferde ein Papier übergeben und ihn dabei Guzman genannt hat.«

Die Farbe wechselte in fliegenden Schatten auf dem widerwärtigen Gesicht des reichen Erben, er hatte offenbar alle Fassung verloren.

»Um Gotteswillen – Sie werden doch nicht etwa glauben …«

»Ich glaube nichts, lieber Senator, und weiß nichts. Ich erinnere mich ebenfalls nur, daß später von einer Begnadigungsorder die Rede war, die der Präsident einem alten Soldaten für seinen mitverurteilten Sohn bewilligt hatte, und daß Herr Louis Napoleon, mein hochverehrter Vetter und jetziger Kaiser der Franzosen, anscheinend sehr unwillig war, daß irgend einer seiner alten Freunde mit dem Leierkasten aus Versehen erschossen worden war. Sie wissen, lieber Marquis, ich liebe diesen hochverehrten Vetter und Kaiser keineswegs so überschwenglich, um ihm das Vergnügen zu machen, vielleicht an einem Prozeß à la Praslin seine Unparteilichkeit und Gerechtigkeit vor aller Welt zu zeigen. Genug, liebster Senator, die Sache ist bloß eine zufällige Erinnerung und geht uns vorläufig beide nichts an. Sie wissen, daß wir seit der Flucht Ihrer schönen Schwester die besten Freunde sind, was Sie auch früher gegen mich haben mochten!«

Der unnatürliche Sohn trocknete sich mit dem Taschentuch die dicken Schweißperlen ab, die seine Stirn bedeckt hatten. »Gewiß, gewiß! Auf meine Ehre, Graf, Sie haben keinen wärmeren und aufrichtigeren Freund als mich. Wenn Sie die undankbare Landläuferin, meine Schwester, noch haben wollen, Tod und Teufel, ich will sie zwingen, daß sie nicht wagen soll, den geringsten Widerstand zu leisten!«

» Lentamente! Lentamente!« sagte spöttisch lächelnd der Graf. »Vor allen Dingen müssen Sie sich doch erst überzeugen, ob ich überhaupt noch Lust habe, Sennora Carmen nach der langen Irrfahrt zur Gräfin Montijo zu machen.«

»Wie, Freund? ich glaubte. Sie liebten meine Schwester?«

»In der That, Sie haben sich nicht geirrt, aber jetzt –«

»Nun!«

»Jetzt hasse ich sie!«

Der Senator sah ihn angstvoll an. »Aber bedenken Sie, Graf, sie ist eigentlich noch immer eine gute Partie. Ihr Vermögen beträgt fast eine Million!«

»Ich weiß, daß es mehr als zwei Millionen beträgt,« sagte mit verächtlichem Achselzucken über die habsüchtige Spekulation seines Genossen selbst nach der eben erhaltenen Lektion der Spanier. »Aber Sie sind ein Feigling, Massaignac, und deshalb wissen Sie nicht, was Rache heißt! Ich will mich an Carmen, Ihrer Schwester, rächen, verstehen Sie mich? und deshalb überliefere ich sie in Ihre Hände, damit Sie Ihre frühere Absicht ausführen!«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Freund,« baute besorgt der Erbe vor. »Wenn die Kaiserin wirklich Carmen ihren Schutz zuwendet, immer vorausgesetzt, daß Sie sich nicht irren, und die Kunstreiterin wirklich die Verschwundene ist, was können wir dann thun?«

»Ich werde Ihrer Majestät, meiner hochweisen Cousine, dafür, daß sie sich in meine Angelegenheiten mischt, eine Pille zu schlucken geben, an der sie vollkommen genug haben wird. Haben Sie noch die Briefe, die Sie der Pierrefond entwendet haben?«

»Um Himmelswillen, was wollen Sie damit? Das sind zu gefährliche Dinge!«

»Nicht für uns, die wir keine Tölpel sind. Ich muß sie bis Mittag haben, um einen auszuwählen. Und nun hören Sie, denn die Zeit drängt, und wir haben manches zu thun. Hinter diesen Herrn Laforgne ist jetzt Signor Pietri gehetzt, und er wird uns sicher nicht in den Weg kommen. Mit dem andern Burschen, einem jungen Laffen, will ich schon selbst fertig werden, wenn die Polizei sich ihn nicht vorher langt. Hier ist seine Karte. Sie werden sogleich bei ihm vorfahren und ihm meine Forderung überbringen. Morgen früh 9 Uhr im Bois de Boulogne, bestimmen Sie das Nähere nach Belieben. Sennora Carmen Rositta wird morgen keinen galanten Ritter mehr haben, der ihre Reiterkünste unterstützt, aber ich denke, sie wird ihn auch nicht mehr brauchen, denn noch diesen Abend wird sie in unsern Händen sein!«

»Das ist unmöglich!«

»Es wird möglich sein! Wäre Monsignore Corpasini hier, so wäre die Sacher leichter. Aber auch so wird sie gehen. Wieviel von dem Vermögen Ihrer werten Schwester bestimmen Sie der Kirche?«

»Bester Freund, ich will sie ganz anständig ausstatten, gewiß, aber ich denke, sie braucht ja nicht gerade in eines der anspruchsvollsten und renommiertesten Klöster zu treten, vielleicht in der Provinz, wo man weniger fordert!«

»Ich habe nichts dawider,« sagte der Spanier hämisch, »daß Carmen sich in das Gelübde der Armut fügen soll, da es mit dem der Keuschheit nach einer fünfjährigen Irrfahrt wahrscheinlich etwas zweifelhaft aussieht. Aber vergessen Sie nicht, lieber Marquis, daß wir die Hilfe der Kirche brauchen, und diese ihren vollen Anteil haben will. Also bequemen Sie sich immerhin zu einem Drittel; wenn Sie das Vermögen Ihrer Schwester zu zwei Millionen rechnen, wird das ungefähr 6 bis 700 000 Franken betragen!«

Der Senator that einen tiefen Seufzer. »Es ist empörend,« sagte er kläglich, »was diese Kirche für einen weiten Magen hat! Wenn man dann nur wenigstens ganz sicher ist vor allen weiteren Ansprüchen!«

»Das zweite Drittel …«

Der Marquis sprang von seinem Stuhl auf. »Wie, Freund? ich dächte, es wäre an dem einen genug! Ich habe mit den Nachforschungen nach der verlaufenen Dirne so viele Kosten gehabt und bin ohnehin in dem Testamente betrogen!«

»Das zweite Drittel,« fuhr der Graf fort, »bleibt natürlich Ihnen!«

»Aber der Rest, der Rest! Ich bitte Sie, lieber Freund, Sie quälen mich!«

»Sollten Sie nicht einige Wechsel von einem Ihrer Freunde, einem gewissen Don Alvaro Guzman de Montijo aufbewahren, die Sie von den Juden der Coulisse in freundlicher Besorgnis für seine Ehre gekauft haben?«

Der Senator errötete und sah sehr verlegen zu Boden. »Es ist allerdings wahr, lieber Freund, Sie wissen, ich mache zuweilen einige kleine Geschäfte an der Börse, es rührt dies von meinem Schwiegervater her, und überdies macht ja jetzt alle Welt Börsengeschäfte, auch Morny. Aber es war allein, weil ich einen hochstehenden Namen nicht in den Händen schmutziger Jobber lassen wollte, daß ich einige Ihrer Wechsel eingelöst habe.«

»Alle, lieber Freund,« lächelte der Spanier. »Wenn meine Notizen richtig sind,« er nahm ein kleines Portefeuille aus einem Fach des Schreibtisches und öffnete dasselbe, »so sind es sieben Wechsel in dem lumpigen Betrage von 156 000 Franken.«

»Ich glaube, es ist die Summe!« stammelte der Senator verwirrt.

»Sie werden also dabei immer noch ein vortreffliches Geschäft machen, denn ich glaube kaum, daß Sie hunderttausend Franken dafür gegeben haben. Diese nichtswürdigen Wucherer schinden den Adel förmlich! Gerade wie damals, als Sie das erste Mal meine kleinen Schulden unter der Hand hatten zusammenkaufen lassen, weil Sie gehört hatten, daß Madame Eugénie, meine schöne Cousine, dieselben bezahlen wollte.«

Der edle Marquis mit dem schönen, ruhmvollen Namen aus der Kaiserzeit sah kläglich zu dem Peiniger auf. »Ich glaubte Ihnen einen Dienst zu leisten, lieber Freund, – gewiß – Sie werden mich nicht unbillig finden wegen der Wechsel, ich … ich will nur rechnen, was ich bar bezahlt – auf Ehre … wir wollen uns arrangieren!«

»Es wird um so nötiger sein, als meine werte Cousine diesmal sich schwerlich bequemen wird, meine Kassiererin zu machen,« sagte der Graf kalt, »namentlich nach dem kleinen Auftritt im Cirkus!«

Der vornehme Spekulant starrte ihn an. »Um Himmelswillen! Sie glauben doch nicht, daß diese Ungnade …«

»Von längerem Bestand sein wird? Allerdings, lieber Senator, ich bin dessen ganz gewiß und deshalb entschlossen, mich zu arrangieren. Sie sollen nichts verlieren dabei. Sie wissen aus unserer Unterhaltung, daß ich in Spanien ein Gut besitze, das Erbgut der Montijo, in der Provinz Valencia!«

»Sie haben mir davon gesprochen!«

»Ihro Majestät die Königin Isabella hat seit der Heirat meiner verehrten Cousine den Sequester auf das Besitztum der verbannten Mitglieder ihrer Familie aufgehoben, und hier sind die Urkunden über mein Eigentumsrecht.«

»Aber was hat das alles mit den Wechseln und Carmen zu thun? Wollen Sie denn nach Spanien zurückkehren?«

»Ich denke nicht daran! Aber ich will Ihnen einen vortrefflichen Handel vorschlagen. Wenn Sie zurückkommen von diesem Herrn de Reubel, wollen wir uns auf dem Boulevard im Café Anglais treffen und dann zu meinem Notar fahren. Sie haben 150 000 Franken für mich ausgelegt, ich verkaufe Ihnen mein spanisches Gut Montijo für 800 000 Franken, und Sie zahlen mir den Rest mit 650 000 bar oder in Wechseln aus. Sie machen da ein ganz vortreffliches Geschäft!«

Der junge Marquis saß einige Augenblicke wie niedergedonnert da, ehe er sich nur zu einer Antwort aufraffen konnte.

»Aber zum Henker, das Nest, das Sie mir anbieten, ist noch keine tausend Franken wert. Ich habe sichere Erkundigung darüber, ein alter Trümmerhaufen in irgend einer steinigen Sierra!«

»Ich sehe, welchen großen Anteil Sie an mir genommen. Der Preis des Gutes liegt auch keineswegs in dem materiellen Wert, aber bedenken Sie die Ehre – das Stammgut der Kaiserin von Frankreich!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich ein solcher Narr wäre,« platzte der Senator heraus. »Das hieße ja mein Geld geradezu zur Thür hinauswerfen! Was geht mich das Stammgut Ihrer Majestät der Kaiserin von Frankreich an!«

»Gewiß sehr wenig, lieber Freund,« erwiderte kalt der Spanier. »Ich erinnere mich, daß Sie keine besonderen Sympathieen für die Familie Bonaparte haben können, wie Ihr leider so unglücklich verstorbener Vater, der Herrn Louis Napoleon eine Million gesandt haben soll zur Kandidatur für die Präsidentschaft. In der That, der Kaiser hat dieser Freundschaft eigentlich schlecht gedankt, indem er keine strengeren Nachforschungen über die Ursachen des Todes des seligen Herrn Marquis von Massaignac anstellte.«

Das häßliche Gesicht des Erben, des Sohnes und Mörders des alten napoleonischen Kriegers spiegelte alle Farben bei dieser so ominösen Erinnerung.

»Siebenmalhunderttausend Franken! es ist unbillig für ein spanisches Steinfeld, auf dem höchstens ein paar Ziegen Futter finden. Hören Sie, Graf, seien Sie vernünftig, Sie sollen die Wechsel zurück haben!«

»Glauben Sie, einen Bettler vor sich zu haben? ich will nichts von Ihnen geschenkt, sondern habe Ihnen einen Kauf vorgeschlagen. Aber da wir nicht handelseinig werden, ist es besser, ich wende mich direkt an den Kaiser und, wenn ich ihn nur ein wenig zu interessieren verstehe, wird er sicher Ihre Wechsel einlösen. Haben Sie die Güte, Marquis, jetzt den Auftrag an den Preußen auszuführen.«

»Und Sie wollten sich wirklich an den Kaiser wenden?«

»Warum nicht, da mich meine Cousine im Stich läßt?«

»Aber Sie werden von andern Dingen mit ihm nicht sprechen?«

»Da wahrscheinlich von Ihrer Schwester die Rede sein wird, sehe ich nicht ein, wie man die Erinnerungen an den seligen Herrn von Massaignac wird vermeiden können.«

Der würdige Sohn lief wie ein Verzweifelter in dem Salon auf und ab und schlug sich wiederholt vor die Stirn.

»Nehmen Sie Dreimalhunderttausend für den Steinhaufen!«

»Ich wiederhole Ihnen, Sie beleidigen mich und meine Familie!«

»Aber – wenn nun das Duell einen unglücklichen Ausgang nehmen sollte?«

»Zum Henker! dann mag aus Montijo werden, was da will! Damit Sie sehen, daß ich Sie nicht drängen will, soll der Kontrakt erst morgen mittag in Gültigkeit treten!«

Der Sohn des Haciendero begriff, daß er sich fügen müsse, und die Aussicht auf einen ihm günstigen Ausgang des Duells beruhigte ihn einigermaßen.

»Werden Sie mich wenigstens von weitern Ansprüchen dieser liederlichen Dirne befreien?«

»Mein Wort darauf!«

Der würdige Genosse des Spaniers stieß einen tiefen Seufzer aus. »So mag es denn sein, ich werde das Gut kaufen! erwarten Sie mich im Café Anglais!«

»Gut! ich wußte es im voraus, daß Sie Lust haben würden, spanischer Grande zu werden und in den Cortes zu sitzen. Aber jetzt beeilen Sie sich, lieber Marquis, denn ich möchte diesen preußischen Junker nicht warten lassen. Ich bitte, vergessen Sie auch die Briefe der Pierrefond nicht!«

Der Senator hatte sich erhoben und machte sich bereit, den teuren Freund zu verlassen. In der Thür blieb er noch einmal stehen.

»Sie glauben also, daß wir uns heute abend schon die Dirne vom Halse schaffen können?«

»Ich hoffe es!«

Der vortreffliche Bruder rieb sich vergnügt die Hände. Wenn das Glück ihm wohl wollte, konnte er mit einem Schlage beide los werden, die Schwester mit ihren Erbansprüchen durch die Rachsucht des Spaniers, diesen selbst am andern Morgen durch die Chancen des Duells.

»Verlassen Sie sich ganz auf mich, Freund, ich werde alles aufs beste ordnen. Unterdes treffen Sie Ihre Anstalten!«

Er ging. Der Graf sah ihm mit einem Blick nach, der Bürgschaft gab, daß er den Charakter seines Genossen vollkommen zu würdigen verstand. – – – – – –


Als der Marquis von Massaignac in dem kleinen Hôtel de Rue St. Georges eintraf, sah er vor der Thür eine glänzende Equipage halten, und als er seine Karte an den jungen preußischen Edelmann schickte, wurde er ersucht, einige Augenblicke in das Zimmer desselben zu treten, da Otto von Röbel sich eben bei den Damen befand.

Hätte der Senator geahnt, wer in jener Equipage gekommen und sich eben im Kreise der Familie befand, er würde schwerlich von seiner Mission, die ihn von einem gefährlichen Freunde befreien konnte, so befriedigt gewesen sein.

Eine Viertelstunde vorher war die Kunstreiterin Rositta in Begleitung ihres alten Freundes, des maurischen Arztes, vor dem Hotel vorgefahren und hatte Frau von Röbel um die Erlaubnis bitten lassen, ihr einen Besuch zu machen.

Obschon die Stimmung der Familie sie wenig zum Empfange von Besuchen willig machte, denn Rosamunde war noch immer leidend und die kleine Kapitänsfrau voll Besorgnis über das Ausbleiben jeder Nachricht von ihrem Gatten, auch Frau von Röbel in den Vorurteilen ihres Standes ohnehin nicht geneigt zum persönlichen Verkehr mit den Damen von der Kunst, ließ ihre Herzensgüte doch eine Abweisung nicht zu; denn sie fühlte, wie sehr es das junge Mädchen schmerzen müßte, ihren Dank kalt zurückgewiesen zu sehen. Daß sich die Sennora damit zuerst an sie wandte, statt an den jungen Mann selbst, erregte überdies von vornherein eine günstige Stimmung für sie, und das Wesen des Doktors, der den Boten der Dankenden machte, hatte etwas so Ernstes und Würdiges, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, seine Bitte abzuschlagen.

Einige Augenblicke nachher führte der Doktor Achmet die schöne Kunstreiterin in den Salon, in dem die Familie versammelt war.

Sennora Rositta trug ein Kleid von schwarzer Seide mit dem Rebozo, ohne weiteren Schmuck als eine einfache goldene Kette und eine gleiche Spange um das feine Handgelenk ihres rechten Armes, deren Medaillon ein Veilchenbouquet von Emaille zeigte. Ein gleiche Brosche und Ohrgehänge schmückten Brust und Hals, und in ihrer Hand hielt sie ein Bouquet von frischen Veilchen.

Die Kunstreiterin ging mit der Ruhe und eleganten Haltung einer vornehmen Erziehung und zugleich mit der Bescheidenheit eines jungen Mädchens auf die ältere Dame zu, nahm ihre Hand und küßte sie, ehe Frau von Röbel es verhindern konnte.

»Madame,« sagte sie bewegt, »nächst dem Schutz der heilgen Jungfrau verdanke ich dem Mut und der edlen Aufopferung Ihres Herrn Sohnes ein Leben, das, so unbedeutend es auch ist, doch für einen alten und treuen Freund einigen Wert hat. In seinem und meinem Namen komme ich zu Ihnen, Madame, um Sie zu bitten, die Fürsprecherin meines Dankes bei dem Retter meines Lebens zu sein!«

Die Edelfrau sah mit einem gewissen Erstaunen, aber zugleich mit einer rasch entstehenden warmen Teilnahme auf das schöne Mädchen; denn jener feine Instinkt, der das Talent edler Frauen ist, ließ sie sogleich erkennen, daß sie hier nicht mit einer der gewöhnlichen Naturen zu thun habe, die in der Atmosphäre des öffentlichen Beifalls, sei es auf den Brettern oder in der Manege ihre höchste Aufgabe suchen und deren äußerer bestechender Glanz so häufig nur die Tünche für Gewöhnlichkeit oder Roheit ist.

Frau von Röbel ließ ihre Hand freundlich dem schönen Besuche.

»Wenn Sie dem Dienst, den mein Sohn Ihnen leisten konnte, und der, Gott sei Dank, glücklich für ihn abgelaufen ist, einigen Wert beilegen, Mademoiselle,« sagte sie, »so erinnern Sie sich, daß Gott Ihnen das Leben und diese schöne Gestalt nicht gegeben hat, damit Sie beide, selbst in Ihrer Kunst, in frevlen Wagnissen auf das Spiel setzen. Es sollte mir herzlich leid thun, wenn ich später einmal hören müßte, daß Ihnen ein Unglück zugestoßen sei!«

Die Kunstreiterin sah der alten Dame fest und klar ins Auge. »Madame,« sagte sie ernst, »ich verspreche Ihnen, nie mehr jenes Wagnis zu unternehmen, obschon der gestrige Ausgang nur die Folge einer niederen Bosheit war. Seien Sie versichert, daß ich jene Schaustellung einer Kunst, die in meiner Heimat das Eigentum jedes Kindes ist, nicht aus Eitelkeit und Übermut treibe, und daß ich den Heiligen danken werde, wenn ich sie nicht mehr nötig habe. Und jetzt, Madame, erlauben Sie mir, diese Blumen meinem Lebensretter anzubieten, als das einzige Geschenk, was ein Mädchen in meiner Lage zu machen wagen kann!«

Und jetzt zum erstenmal, seit sie den Salon betreten, richtete die Kunstreiterin ihr schönes Auge auf den jungen Mann, der hinter der Causeuse stand, auf der seine Schwester ruhte, und einen Schritt auf ihn zutretend überreichte sie ihm mit einer leichten Verneigung den Veilchenstrauß.

Otto von Röbel hatte verlegen und befangen der Scene beigewohnt. Er hätte sich gern entfernt, aber er fühlte, daß dies nicht ging, und sein Herz schlug rascher, als er die schöne stolze Erscheinung, die er bisher nur im blendenden Licht der Gasflammen, auf feurigem Roß, umrauscht von dem Beifall der Menge bewundert hatte, jetzt so mädchenhaft fromm und fast demütig vor sich sah.

Und als sie jetzt sich ihm näherte und bei der Überreichung des Bouquets, dessen Bedeutung nur ihm verständlich war und ihn wie ein Rausch überkam, ihre Hand die seine berührte, da durchbebte es ihn aufs neue wie gestern, und er wußte, daß er sein Herz verloren habe, um ein Herz zu gewinnen.

Es waren nur wenige Worte, die Rositta dem jungen Mann sagte, dann wandte sie sich wieder zu den Frauen, die alle drei sichtbares Gefallen an ihr fanden und sie einluden, in ihrer Mitte Platz zu nehmen, während der Mohrendoktor den jungen Mann ansprach und seinen flüchtigen Dank von gestern in warmen herzlichen Worten wiederholte.

Der Mohrendoktor sprach zu ihm von seiner eigenen Heimat, von Preußen, an dem er einen großen Anteil zu nehmen schien, und erzählte ihm, daß er selbst in seiner Jugend während des Bürgerkrieges der Karlisten und Christions einen preußischen Edelmann habe kennen lernen, dem er die Rettung seines Lebens zu verdanken gehabt, als er in die Hände fanatischer Gegner gefallen war.

»Haben Sie seinen Namen behalten?« antwortete der junge Mann, »vielleicht ist seine Familie mir bekannt.«

»Er ist tot,« sagte der Moriske traurig. »Sein Name stand unter den Ersten und Edelsten in seinem Vaterlande, es war der Principe Don Felicio Lichnowski!«

»Der unglückliche Fürst Lichnowski? Derselbe, der in Frankfurt von einer Rotte Bösewichter ermordet wurde?«

»Ich habe gehört, daß er dennoch ein Opfer seiner Kühnheit bei einem Aufstand geworden, nachdem er ihm doch in Barcellona glücklich entgangen war. Ich war damals in dem Land, aus dem meine Väter stammen, in Afrika!«

Der Ausruf des jungen Mannes hatte die Aufmerksamkeit der Frauen erregt und sie wandten sich zu der Unterhaltung der Männer.

»Wenn Sie den Fürsten gekannt haben und so aufrichtigen Teil an seinem Schicksal nehmen, mein Herr,« sagte Otto von Röbel, »dann wird es Sie interessieren, zu hören, daß meine Mutter und meine Schwester an seinem Sterbebett waren und dem Unglücklichen die letzten Dienste leisteten!« Villafranca II. Band.

Der Doktor wandte sich lebhaft erregt zu den beiden Frauen.

»Mein Himmel, welche Aussicht eröffnet sich mir hier! Halten Sie mich nicht für neugierig oder zudringlich, meine Damen, wenn ich Sie frage, ob Sie sich alles dessen erinnern, was an jenem Sterbelager vorging, was der Unglückliche sprach?«

»Die Scene war eine zu traurige, als daß sie je unserem Gedächtnis entschwinden könnte,« sagte die alte Edeldame. »Noch jetzt, nach zehn Jahren, erinnere ich mich deutlich aller Einzelheiten, und Rosamunde weiß noch jedes Wort, denn sie war am nächsten bei ihm.«

Der maurische Arzt schien einen kurzen Kampf in seinem Innern zu bestehen, dann wandte er sich an das Fräulein.

»Erinnern Sie sich vielleicht, ob der Fürst in den Fieberphantasieen einen Namen nannte, den Namen einer Frau …«

»Der Unglückliche war, so lange ich um ihn blieb, bei voller Besinnung. Dennoch …«

»Sprechen Sie; ich beschwöre Sie, Sie ahnen nicht, von welcher Wichtigkeit die Nachricht für uns ist!«

»Der Fürst,« sagte das Fräulein zögernd, »hat allerdings mehrmals leise vor sich hin, wie im Gebet oder als eine Erinnerung zwei Namen genannt, aber ich weiß nicht, ob ich berechtigt bin, die Geheimnisse eines Sterbenden einem Fremden zu wiederholen.«

»Ich ehre Ihre Rücksicht, aber ich glaube, Sie genügen ihr vollständig und zugleich meinem Wunsch, wenn Sie mir sagen wollen, ob der Name darunter ist, den ich Ihnen nennen will?«

Das Fräulein von Röbel nickte zustimmend.

Der Arzt beugte sich zu ihr nieder. »Ximene?« flüsterte er.

»Es war der Name!«

Der Moriske preßte die Hand auf das Herz. »Arme Schwester!« sagte er leise. »Du bist jetzt vereint mit ihm im Himmel. Aber ich habe noch immer Deinen Schatten zu sühnen und Dein Kind zu suchen; Fräulein,« fuhr er zu Rosamunden fort, »Sie haben mir einen großen Trost gewährt, wichtiger, als Sie denken; denn Sie haben das Andenken des Mannes, dem ich mein Leben schuldete, von einem schweren Vorwurf gereinigt. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht näher darüber aussprechen kann, das Grab deckt längst jene Verhältnisse, die Ihnen ohnehin gleichgültig und unbekannt sind. Aber ich bitte Sie, mir noch eine Frage zu beantworten, wenn es Ihnen möglich ist.«

»Gern, mein Herr!«

»Hat der Fürst auf seinem Sterbebett irgend jemandem noch sein Vertrauen geschenkt oder Aufträge hinterlassen?«

»Wir sind nur solange bei ihm gewesen, bis man ihn aus der Bethmannschen Villa nach dem Hospital am Bleichgarten brachte. Dort hat er der letzten Pflicht genügt und kurz vor seinem Tode einen Priester seines Glaubens empfangen.«

»Und wissen Sie zufällig den Namen desselben? Es ist möglich, daß wir binnen kurzem nach Deutschland kommen, und ich möchte ihn aufsuchen.«

»Ich habe durch einen Zufall gehört, daß es kein Geistlicher aus Frankfurt gewesen ist, sondern ein unbekannter fremder Priester, der auf der Durchreise in Frankfurt war. Er muß Ihr Landsmann gewesen sein, denn man erzählte uns, da wir uns für die letzten Augenblicke des Unglücklichen interessierten, daß er mit dem Fürsten spanisch gesprochen habe.«

Frau von Röbel bestätigte die Mitteilung ihrer Tochter.

Der Arzt hatte bei dieser Nachricht die Farbe gewechselt, sein sonst so mildes, freundliches Auge nahm einen finsteren drohenden Ausdruck an, und er versank in tiefes Nachdenken, während Otto von Röbel ablenkend die Unterhaltung aufnahm und auf andere Gegenstände brachte, aber er wurde darin durch einen der Aufwärter des Hotels unterbrochen, der in den Salon trat.

»Mein Herr,« sagte der Diener, »der Herr Senator Marquis von Massaignac läßt um die Ehre bitten. Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.«

»Der Marquis von Massaignac? ich habe nicht die Ehre, den Herrn zu kennen. Es ist wahrscheinlich ein Irrtum.«

Da alle auf den Diener sahen, hatte niemand bemerkt, daß die Kunstreiterin bei der Nennung dieses Namens erbleichte und die Hand ihres Begleiters faßte, als suche sie Schutz bei diesem.

»Fassung, Kind,« flüsterte der Doktor in spanischer Sprache. »Wir werden gleich sehen, was die Sache zu bedeuten hat.«

»Der Herr Marquis,« berichtete der Diener, »hat ausdrücklich Ihren Namen genannt und mir diese beiden Karten für Sie gegeben.«

Er überreichte dem jungen Edelmann zwei Visitenkarten, die eine enthielt den Namen und Titel des Besuchenden, in der anderen erkannte Otto von Röbel seine eigene, offenbar dieselbe, die er gestern dem von ihm so schwer Beleidigten gegeben hatte. Die Erinnerung daran, die er über der Gegenwart der Kunstreiterin ganz vergessen hatte, fuhr ihm wie ein Blitz durch den Kopf.

»Führen Sie den Herrn in mein Zimmer,« befahl er; »ich werde sogleich erscheinen. Es ist nichts, Mama,« fuhr er zu der ihn fragend anschauenden Mutter fort, »ein Herr, den Oberst Montboisier adressieren wollte, um eine Partie zu besprechen.«

»Du bist im Irrtum, Otto,« sagte die Dame, »oder verbirgst mir etwas. Erinnerst Du Dich nicht des Namens des Marquis von Massaignac?«

»In der That, mir ist so,« erwiderte der junge Mann errötend und schon im Begriff, sich zu entfernen.

»Es ist derselbe, dessen Vater Ferdinand bei seinem Aufenthalt in Paris so freundlich aufnahm, während der Sohn ihn später so hart wegen der leichtsinnig eingegangenen Schuld verfolgte.«

Otto von Röbel war in der Thür stehen geblieben, seine Stirn rötete sich, das Auge blitzte.

»Wir haben doch keine Verpflichtungen mehr gegen ihn, Mutter?«

»Nein, Ihr wißt, wir haben sie mit der schweren Hypothek auf unserm Gute erkauft.«

»Er gehört demnach zu der Familie, die uns durch Kapitän Laforgne jene Anerbietungen machen ließ und uns dann so niedrig vergalt. Sei ruhig, Mutter, ich werde meines Vaters würdig handeln.«

Die Bemerkungen zwischen Mutter und Sohn waren in deutscher Sprache gemacht worden. Obwohl die Kunstreiterin dieselbe nicht verstand, war sie doch mit kaum verhehlter Angst und sehr erregt den Worten gefolgt, während der Arzt, der aus seinen Studien genügend Deutsch verstand, um den Inhalt der Bemerkungen zu begreifen, sie aufmerksam und erstaunt anhörte. Als jedoch der junge Mann den Namen Laforgne nannte, erhob sich die Kunstreiterin rasch.

»Entschuldigen Sie meine Indiskretion, mein Herr,« sagte sie hastig, »ich verstehe zwar Ihre edle Sprache nicht, aber ich glaube in Ihrer Rede den Namen: Kapitän Laforgne gehört zu haben?«

»So ist es, Mademoiselle. Es ist der Gatte dieser Dame, die Ihnen meine Mutter wohl nur deshalb nicht besonders vorgestellt hat, weil sie als ein Mitglied unserer Familie betrachtet wird. Er war gestern mit uns im Cirkus und der erste, der mir beistand, Sie bei dem Unfall unter dem Pferd hervorzuziehen.«

»François Laforgne? Derselbe, der, fast ein Knabe noch, die kühnen Züge des Generals Garibaldi in Montevideo mitmachte?«

»Derselbe!« Er sah sie erstaunt an, denn die seltsamen flüchtigen Andeutungen des Freundes am vorigen Abend fielen ihm ein.

»Verzeihen Sie mir, aber ich möchte Gewißheit haben: wissen Sie, ob er im Januar 1853 sich in Paris befand?«

»Mein Gatte war in dieser Zeit in Paris, Madame,« sagte die kleine Frau nicht ohne eifersüchtige Regung.

»O dann ist alles gut; die Menge, der Schreck, meine Ohnmacht, oder …« sie zögerte die wahre Ursache zu sagen, »dies alles muß mich gestern verhindert haben, ihn zu sehen.«

»In der That, Mademoiselle,« sagte der junge Mann, »mein Freund machte mir Andeutungen, daß er Sie zu kennen glaube, aber er nannte einen anderen Namen – doch entschuldigen Sie, ich darf meinen Besuch nicht länger warten lassen.«

Sie war vor ihm stehen geblieben und legte jetzt, fast vertraulich, die kleine Hand auf seinen Arm. »Gehen Sie, und kehren Sie bald zurück, denn ich habe Sie noch viel zu fragen; aber,« setzte sie leise und hastig hinzu, »hüten Sie sich vor dem Mann, mit dem Sie jetzt sprechen wollen!«

Er antwortete ihr nur mit einem festen feurigen Blick und verließ das Zimmer.

Die Kunstreiterin wandte sich zu der, über den Verlauf des Gespräches, ziemlich erstaunten Edelfrau.

»Ich werde Ihnen seltsam und wohl zudringlich erscheinen,« sagte sie, die beiden Hände der Dame fassend und an ihre Brust drückend, »aber ich bitte Sie, beurteilen Sie mich nicht falsch. Ich kam hierher, Ihrem Herrn Sohn durch Sie meinen Dank für meine Lebensrettung abzustatten, und finde hier vielleicht Wichtigeres, aufrichtige Freunde einer schutzlosen Waise, die der Freunde bedarf. Es dringt plötzlich so vieles auf mich ein, Gutes und Drohendes, daß ich Sie nur bitten kann, haben Sie Geduld mit einer Fremden, und verschieben Sie Ihr Urteil über sie.«

Die Edeldame hatte die Erregte zu einem Sofa geführt und sie genötigt, dort Platz zu nehmen.

»Beruhigen Sie sich, Mademoiselle,« sagte sie mit freundlicher Würde, »der Schreck von gestern hat noch Ihre Nerven erschüttert. Es soll uns freuen, wenn Sie durch unsere Vermittelung frühere Bekannte oder Freunde wiederfinden können. Der Gatte dieser Dame hat allerdings ein so bewegtes und ereignisreiches Leben geführt und so viele Länder und Nationen kennen gelernt, daß es leicht möglich ist, daß Sie ihm früher schon begegnet sind, da Sie wohl Ihre Kunst in verschiedene fremde Länder geführt hat. Er ist gegenwärtig in Geschäften abwesend, aber seine Gattin oder mein Sohn werden gewiß Gelegenheit finden, ihn möglichst bald von Ihren Wünschen in Kenntnis zu setzen.«

»Kapitän Laforgne ist ein edler Mann, und ich hoffe, seine Gemahlin wird mir ihr Wohlwollen nicht versagen. Ich habe Vertrauen zu ihm, denn er kennt mich aus einer andern Zeit, als ich« – fügte sie mit mattem Lächeln hinzu, – »meinen Lebensunterhalt noch nicht als Kunstreiterin erwarb. Er genoß einst die Gastfreundschaft meines verstorbenen Vaters und war bereit, der Tochter des Mannes, der ihn und seine Freunde aufgenommen, später selbst mit persönlicher Gefahr einen wichtigen Dienst zu leisten, als ein Zufall oder vielmehr das Schicksal es anders wollte.«

»Daran erkenne ich François,« sagte mit einem gewissen naiven Stolz die kleine Frau, »auch wenn ich nichts Näheres davon weiß, Mademoiselle; denn ich weiß nur wenig von dem frühern Leben meines Mannes. Aber das ist gewiß, daß er stets bereit war, allen Unglücklichen Hilfe zu leisten!«

Die Augen der kleinen Frau funkelten vor Vergnügen bei diesem Lobe ihres Gatten, und der Fremden war sofort ihre Sympathie zugewandt, mit der sie bei der ersten Erwähnung der Bekanntschaft etwas zurückhaltend gewesen war.

»Sie sind eine Spanierin, Mademoiselle?« fragte die Edelfrau, um das Gespräch auf ein anderes Feld zu lenken und wohl auch, unter den eigentümlichen Umständen, nicht ohne leicht verzeihliche Neugier.

»Nein, Madame,« sagte die Kunstreiterin, deren Blicke fortwährend unruhig an der Thür hingen, durch die Otto von Röbel sich entfernt hatte, »ich bin keine Europäerin. Halten Sie es nicht für einen Mangel an Vertrauen, daß ich in diesem Augenblick nicht mehr über mich selbst sagen kann, aber meine ganze Zukunft hängt gegenwärtig von meinem Schweigen oder vielmehr von einer Unterredung ab, die ich noch heute haben werde. Nur eines bitte ich Sie, Madame, bewahren Sie einer Waise, die sich dessen nicht unwürdig fühlt, das freundliche Wohlwollen, das mich bei meinem ersten Eintreten in Ihren Kreis so wohlthuend berührt hat. Ich habe meine Mutter früh verloren, Madame, und seit langer Zeit ist es das erste Mal, daß ich zu den Herzen edler Wesen meines Geschlechts reden darf. Scheint mir doch alles so wunderbar heimisch in diesem Kreise, ist mir doch, als wären die Züge dieser jungen Dame mir nicht unbekannt, ja selbst Ihr Name schlug, als er mir gestern als der meines Retters genannt wurde, so auffallend bekannt an mein Ohr!«

»Rosamunde,« sagte lächelnd, und bei all ihrer Einfachheit doch ein wenig geschmeichelt über den Enthusiasmus des schönen Mädchens, die Edelfrau, »ähnelt sehr ihrem älteren Bruder Friedrich von Röbel, der sich vor sechs Jahren in Paris aufhielt. Die französische Zunge korrumpiert meist den Namen unserer Familie etwas stark.«

»Monsieur de Reubel – und vor sieben Jahren in Paris,« sagte heftig die Reiterin, »heilige Jungfrau, dann ist …«

Der Mohrendoktor sagte rasch einige Worte auf spanisch zu ihr. Ihr Auge flog fragend von ihm auf die Frauen.

Der Doktor nickte. »Es ist so, meine Tochter, ich verstand, daß diese Dame Deinen Retter soeben noch an Beziehungen zwischen seiner Familie und dem Marquis von Massaignac erinnerte.«

»Ewiger Gott, wie wunderbar sind Deine Wege! Ja, Madame, Gott hat es gelenkt, daß die Hand Ihres Sohnes das Pferd der armen heimatlosen Fremden bändigen und ich zu Ihnen kommen mußte. Schatten meines heimgegangenen Vaters, sei gesegnet, denn Du zeigst mir den Weg, Deine Schuld zu lösen mit meinem eigenen Glück!«

Sie hatte die gefalteten Hände über die Brust gekreuzt, ihr Auge leuchtete in stillem Glück; verwundert, bestürzt schauten die deutschen Frauen auf sie, es schien ihnen alles, was in der Zeit einer kurzen Stunde so fremd und ungewohnt in den, wenn auch leidensreichen, doch stillen Gang ihres Lebens trat, so abenteuerlich, daß es all der Güte in dem Herzen der Matrone bedurfte, um in dem Gebühren der heißblütigen Tochter des Südens nicht etwas Verletzendes, Abstoßendes zu finden.

Aber auch die Kunstreiterin begriff sofort mit dem feineren Instinkt ihrer höheren Natur das Gefühl der Edelfrau und das Zweideutige ihrer Stellung.

»Madame,« sagte sie ehrerbietig, »ich fühle, daß mein Benehmen Ihnen allen sonderbar vorkommen und selbst ein ungünstiges Licht auf mich werfen muß. Aber dieser Mann, einer der besten und edelsten Menschen und bis jetzt der einzige wahre Freund eines armen Mädchens, das den Kampf gegen jene aufnehmen mußte, die durch die Bande der Natur und der Ehre verpflichtet wären, es zu schützen, er wird Ihnen bestätigen, daß die Kunstreiterin Rositta Ihrer Achtung nicht unwürdig ist, ja, daß sie Anspruch hat auf Ihre Teilnahme; denn nicht die edle That Ihres Sohnes allein verbindet uns. Sie haben ein Recht, jetzt mein Geheimnis zu wissen, ich bin …«

Der Eintritt Ottos unterbrach das Geständnis des Mädchens. Trotz seiner Bemühung, den Eindruck und Inhalt der eben gepflogenen Unterhaltung nicht merken zu lassen, zeigte sich doch ein gewisser Ernst auf seiner freien Stirn und in seinen Augen.

Die der Mutter und der Fremden hatten sich sogleich forschend auf ihn geheftet. Er fühlte dies und ging sogleich auf seine Mutter zu, aber er redete sie in französischer Sprache an, damit auch Rositta seine Entschuldigung verstehen sollte.

»Herr von Massaignac hat sich bereits wieder entfernt, Mama. Es war nichts als ein Auftrag des Grafen von Montboisier, des Freundes meines Bruders, den ich Dir bereits vorgestellt, und der uns so viele Freundlichkeiten bezeigt. Der Herr Marquis hatte es übernommen, im Vorüberfahren die Einladung des Obersten mir zu überbringen, ihn heute in der großen Oper zu treffen. Ich werde sogleich Billets für uns alle besorgen, wenn Rosamunde uns begleiten kann.«

»Nein, mein Sohn,« sagte die Edelfrau – »wir sind alle nicht in der Stimmung, heute das Schauspiel zu besuchen. Das soll Dich aber nicht daran hindern. Und hat Dir Herr von Massaignac nichts weiter gesagt?«

Eine leichte Röte überflog die Stirn des jungen Mannes. »O doch Mama, er erwähnte flüchtig, daß er unsere Familie kenne, und die Gelegenheit wahrgenommen habe, das Verfahren damals gegen Friedrich zu entschuldigen. Sein Notar habe ohne seinen Auftrag gehandelt.«

Die Edelfrau erhob sich. »Die Schuld ist bis zum letzten Sous bezahlt,« sagte sie stolz, »ich denke, wir schulden der Familie des Herrn Marquis von Massaignac keinerlei Verbindlichkeiten und haben ihr unsere Uneigennützigkeit genügend bewiesen. Ich hoffe, mein Sohn, Du hast diesem Herrn geantwortet, wie es Dein Vater von Dir erwarten darf!«

»Seien Sie unbesorgt, Mutter,« entgegnete der junge Mann finster. »Zwischen uns und dem Namen Massaignac ist jede weitere Annäherung unmöglich.«

Die alte Dame nickte zustimmend. »So ist es. Und nun, mein Sohn, wird es gut sein, wenn Du Deinen Freund, Kapitän Laforgne, aufzufinden suchst, um seine Frau zu beruhigen. Er wird uns wahrscheinlich auch am besten die Lösung manches Rätselhaften geben, das uns heute so unerwartet nahe getreten ist.«

Die Kunstreiterin fühlte, daß die kühlere Wendung ein Zeichen der Dame zur Beendigung ihres Besuches war. Die letzten Worte des jungen Edelmanns schienen ohnehin einen besonderen, ihre noch im Augenblick seines Eintritts so lebhafte Erregung niederschlagenden Eindruck gemacht zu haben, und ihr Blick suchte wie beratend das Auge ihres väterlichen Freundes.

Der Mohrendoktor winkte ihr zustimmend und bot ihr die Hand, um sie fortzuführen.

»Madame,« sagte das Mädchen, sich ehrerbietig verneigend, »ich fühle, daß es Zeit ist, diesen Besuch zu beenden, aber ich hoffe, daß Sie mir erlauben werden, ihn vielleicht schon morgen zu wiederholen und dann, durch die Gegenwart des Gemahls dieser Dame unterstützt, alles das aufzuklären, was Ihnen heute seltsam und selbst unrecht an dem Benehmen einer Fremden geschienen haben mag, die hierher kam, um eine heilige Pflicht der gewöhnlichsten Dankbarkeit zu erfüllen, und hier mehr gefunden hat, als sie zu hoffen wagte. Nehmen Sie auch den Dank für Ihre Güte, und glauben Sie, daß, wie Gott unsere Zukunft auch lenken möge, das Andenken daran und an die That Ihres Sohnes nie in meinem Herzen ersterben wird.«

Mit einer Verneigung verließ sie den Salon.

Ein Wink der alten Dame, auf die dieser Abschied nicht ohne Eindruck geblieben war, bedeutete den jungen Mann, die Fremde zu begleiten.

Er führte sie die Treppe hinab durch den Flur nach ihrem Wagen.

Als sie an diesem standen und er ihr die Hand zum Einsteigen bot, wandte sich Rositta zu ihm.

»Monsieur de Reubel,« sagte sie ernst, »können Sie mich versichern, daß der Besuch des Marquis von Massaignac, vor dem ich Sie warnte, keine andere Bedeutung hat?«

»Ich versichere Sie, er kam in dem Auftrag eines Dritten!«

»Was Sie auch von mir denken mögen, ich muß Sie sprechen. Wenn Sie heute abend die Oper besuchen, so suchen Sie mich in meiner Loge auf, ich werde Sie erwarten!«

Sie sprang in den Wagen, der Moriske drückte ihm herzlich die Hand und folgte ihr, die Equipage rollte davon.


Die Unterredung des jungen preußischen Edelmanns mit dem Abgesandten des Grafen Guzman de Montijo war folgendermaßen verlaufen.

Als Otto von Röbel sein Zimmer betrat, fand er den Marquis, den er bisher noch nie gesehen, in einem der Sessel behaglich seiner harren. Er entschuldigte sich mit kalter Höflichkeit, daß er ihn so lange habe warten lassen und bat um Mitteilung, was ihm die Ehre dieses Besuches verschaffe.

Der Marquis hatte den um mehrere Jahre jüngeren Mann ziemlich insolent lorgnettiert, ehe er wieder Platz genommen. »Monsieur de Reubel,« sagte er hochmütig, »ich sehe, daß ich mich in der Person geirrt habe, indem ich einen mir bereits bekannten Herrn Ihres Namens hier zu finden erwartete, mit dem ich vor etwa sechs Jahren hier in Paris zusammen traf; vielleicht war es ein Verwandter von Ihnen?«

»Soviel ich weiß, mein älterer Bruder, mein Herr. Nach der Karte, die Sie mir mit der Ihren zu senden die Güte hatten, scheint Ihr Besuch jedoch nichts mit früheren Verhältnissen zu thun zu haben, und ich bitte demnach, direkt auf den Gegenstand desselben zu kommen.«

Die Antwort war so ruhig und gemessen und von einem so ernsten Blick begleitet, daß der Marquis sich veranlaßt fand, sein legeres Benehmen einigermaßen zu moderieren. Dies hatte er angenommen, als er sich einem mehrere Jahre jüngeren Mann gegenüber gesehen, dessen Adel er nur mit Geringschätzung betrachtete.

»Sie begreifen mein Herr,« sagte er höflicher, »daß es mir nicht angenehm sein kann, mich einer Person Ihrer Familie gegenüber zu sehen, da ohne mein Verschulden einige Mißhelligkeiten zwischen uns stattgefunden, wie gesagt, ohne meine Schuld, da ich Geschäftssachen meinem Notar überlasse und von seinem Vorgehen erst später Kenntnis erhielt.«

»Zur Sache, wenn ich bitten darf,« sagte der preußische Edelmann kurz.

»Ich komme soeben darauf, mein Bester. Da diese Karte, wie ich annehmen darf, die Ihre ist, habe ich einen Auftrag an Sie, den ich, wie gesagt, der obwaltenden Verhältnisse wegen, nur ungern angenommen habe; aber der Graf Don Alvaro Guzman de Montijo ist ein spezieller Freund, fast ein Verwandter, von mir und Sie werden demnach begreifen …«

Der Preuße verbeugte sich kalt.

»Um also die Sache zu beenden, Sie scheinen den Herrn Grafen beleidigt zu haben, so daß er sich veranlaßt sieht, Satisfaktion zu fordern.«

»Ich habe den Herrn Grafen Don Alvaro Guzman de Montijo einfach geohrfeigt,« sagte der junge Mann ruhig.

»Teufel, das ist stark! Dann kann also von einer Ausgleichung nicht die Rede sein! Ich habe die Ehre, Sie hiermit um Satisfaktion zu bitten. Wir werden Sie morgen Vormittag um 9 Uhr im Bois de Boulogne am Mont St. Bernard treffen und dann leicht einen geeigneten Platz finden.«

Herr von Röbel verbeugte sich. »Ich stehe zu Diensten.«

»Da Sie gewiß die Botschaft bereits erwartet haben,« fuhr der Senator fort, »so bitte ich, mir Ihren Sekundanten zu nennen, um mit ihm das Weitere zu verabreden.«

»Ich bedauere, Herr Marquis,« entgegnete der junge Mann höflich, »daß ich Sie schon weiter bemühen muß. Ein Freund, auf den ich in der Angelegenheit rechnen durfte, ist augenblicklich abwesend, und ich muß daher erst, da ich nur wenige Bekanntschaften in Paris habe, einen geeigneten Sekundanten suchen.«

»Ich bin vollkommen zufrieden, wenn Sie mir ihn morgen früh vorstellen. Als Waffen werden Ihnen Degen konvenieren?«

»Ich verstehe mich nicht auf die Stoßwaffe, sie ist in meiner Heimat nicht gebräuchlich!«

»Gut! um so besser! dann nehmen wir Pistolen. Ein Fünffrankenstück entscheidet für die Wahl der Waffen. Zehn Schritt Distance, gleichzeitiges Feuern und Wechsel von zwei Kugeln.«

»Sie üben zu sehr französische Höflichkeit, Herr Marquis,« sagte der junge Edelmann, dem Beispiel seines Besuchs folgend und sich gleichfalls erhebend, »ich kann diese Bedingungen kaum annehmen, denn sie benachteiligen das Recht meines Gegners auf den ersten Schuß.«

»Nein, nein, das ist so Sitte bei uns, und ich würde ganz bestimmt nicht davon abgehen. Der Graf ist ohnehin nicht der Mann, einen Gegner zu schonen, und ich kann Ihnen nur raten, sich dies zu merken. Hier ist meine Uhr, um die Ihre danach zu stellen, und nun auf Wiedersehen morgen früh am Mont St. Bernard …«

Er grüßte mit herablassender Höflichkeit, während er einen gewissen Ausdruck der Befriedigung in seinem häßlichen Gesicht nicht ganz verbergen konnte, und empfahl sich.

Otto von Röbel geleitete ihn bis zur Treppe. Als er das unangenehme Gesicht nicht mehr sah, war es ihm, als sei ihm eine Last abgenommen. Er bedachte einige Augenblicke, was er seiner Mutter und den Damen gegenüber sagen wollte und trat dann, wie schon erzählt, wieder in den Salon.


Als Otto von Röbel von seiner Begleitung der Kunstreiterin zurückgekehrt war, entzog er sich möglichst bald den Vermutungen und Fragen der Damen und ging nach dem Café Anglais in der Erwartung, den Grafen von Montboisier dort zu treffen oder einen der anderen wenigen Bekannten, die er hatte, um einen Sekundanten unter ihnen zu suchen, da Kapitän Laforgne es so bestimmt abgelehnt hatte und er auch nicht wußte, wo er ihn suchen sollte. Er war zunächst in seine Wohnung gegangen und hatte dort von der Wirtin gehört, daß sein Freund gestern abend sich nur kurze Zeit daselbst aufgehalten hatte und dann fortgegangen war. Er war bis jetzt, ebenso wenig seine Gattin zurückgekehrt, aber bereits im Laufe des Vormittags hatten sich Personen nach ihm erkundigt, die die Wirtin für Mouchards gehalten hatte.

Als sich Röbel nunmehr in die Wohnung des Obersten begab, sagte ihm der Diener desselben, daß sein Herr von Lord Heresford abgeholt worden sei und nur gesagt hätte, daß er den Abend in der Oper zubringen werde.

Der junge Mann kehrte nach den Boulevards zurück und setzte sich in einem der Kaffeehäuser nieder. Der Besuch der Kunstreiterin gab ihm viel zu denken. Nebenbei war es ihm aus mehr als einem Grunde unangenehm, für sein bevorstehendes Renkontre keinen zuverlässigen Freund zur Seite zu haben. Er dachte unwillkürlich an den seiner Jugend, an Rudolf Meißner, den er gestern, auf einen, allerdings bitteren Verdacht hin so schnöde behandelt, und der sich so edelmütig gerächt hatte. Was Kapitän François in kurzer Andeutung über das Leben der Fürstin hingeworfen, machte ihn glauben, daß er sich übereilt haben könne, und indem er sich des ruhigen sicheren Entgegenkommens des alten Freundes erinnerte, war er immer mehr geneigt, seinem Verdacht zu entsagen und beschloß zuletzt, am Nachmittag durch ein kurzes Billet ihn zu einem Rendezvous in der Oper einzuladen, um für den Fall, daß er keine andere Person finden sollte, den Ehrendienst von ihm als Landsmann zu fordern.

Der Gedanke an das Rendezvous, das ihm die Kunstreiterin selbst für den Abend gegeben, das abenteuerliche Geheimnis, das sie nach den Andeutungen des Kapitäns und nach ihrem eigenen Auftreten bei dem Besuch in seiner Familie zu umhüllen schien, drängte aber zunächst alle anderen Gedanken und Sorgen in den Hintergrund und beschäftigte ihn so ganz, daß die Stunden wie Minuten verschwanden und es bereits spät am Nachmittag war, als er sich nach in einer Restauration flüchtig eingenommenem Diner nach Hause begab, um die Seinigen nicht noch mehr zu beunruhigen, und sich zu dem Besuch der Oper umzukleiden.

Otto von Röbel fühlte, daß der gestrige und der heutige Tag über sein Leben entschieden hätten, daß sein Herz mit der vollen Glut einer kräftigen, unentweihten Jugend das fremde abenteuernde Mädchen, eine Kunstreiterin, die Heldin einer öffentlichen Schaubude, liebte.

Und obschon er mit Angst und Besorgnis an den strengen Ernst und die Vorurteile seines Vaters, an den Schmerz seiner Mutter dachte, an alle die Wirrnisse und Leiden, die bereits das Verhältnis seines verstorbenen Bruders zu der armen Arbeiterin, die Liebe der Schwester zu dem bürgerlichen Freunde, die Verirrungen und die Leichtfertigkeit seines zweiten Bruders über die Teuren gebracht hatten, konnte er sich doch nicht enthalten, sich mit ganzer Seele diesem Zuge des Herzens hinzugeben und sich immer fester in diesen süßen Traum zu verstricken.

Warum sollte er auch nicht? Endete doch vielleicht schon am nächsten Morgen die Kugel des Gegners jeden Zwiespalt zwischen Herz und Pflicht!


Alle Welt weiß, daß die schöne Kaiserin von Frankreich zur Zeit jener interessanten Umstände, auf die der Kaiser Louis Napoleon so stolz war, die Erfinderin der Krinoline gewesen ist, jener umfangreichen Macht des Unterrocks, welche das starke Geschlecht auf allen Wegen und aus allen früher gewonnenen Positionen verdrängte. Ohne den Enthusiasmus der Fabrikanten, der Modehandlungen und der Schneider für diesen unnahbaren Wall weiblicher Tugend, das gelöste Prinzip des lenkbaren Luftballons und der Rheumatismen zu teilen, muß man doch bekennen, daß sie später eine gewisse Berechtigung gewonnen hat und die Augen der Männerwelt sich zuletzt an die bauschigen Formen gewöhnt hatten.

Die Jupes verdanken aber nicht allein diese Erfindung der schönen Herrscherin; diese war ihrer Zeit in Wahrheit auch die Kaiserin aller Moden in Paris geworden.

Es ist bekannt, daß die Salons der Kaiserin das Eldorado der Modehändler in Paris, der Künstler in Samt, Seide und Juwelen, der Erfinder jener tausend thörichten Eleganzen waren, zu deren Entscheidungen alle mit Zagen emporsahen. Während der Geist des dritten Napoleon von seinem Kabinett im ersten Stockwerk des Flügels der Tuilerien zwischen dem Pavillon de Flore und dem Pavillon d'Horloge, aus dem mittleren der berühmten Fassade der Königin Katharina von Medicis, damals die Geschicke von vier Erdteilen lenkte, so hatte die schöne Spanierin mit den aschblonden Haaren und den schwarzen Augen ihr unbestrittenes Reich des Luxus, des Geschmacks und der Eleganz in jenen Räumen des Parterre des südlichen Flügels aufgeschlagen, die unter denen ihres Gemahls lagen und früher von der Königin Marie Antoinette, später von Louis Philipp bewohnt wurden, den das in die Fenster einsteigende Volk daraus vertrieb, weil er zu konstitutionell war und die Courage von seinen Ministern erwartete, die keine hatten.

Aus diesen Gemächern, die zum Teil nach der südlichen Blumenterrasse des Tuileriengartens, zum Teil nach dem Quai der Seine blicken, hatte der luxuriöse Geschmack der Kaiserin einen wahren Zauberpalast gemacht. – –

Es war am 14. Januar.

Das Diner der Allerhöchsten Herrschaften war seit zwei Stunden vorüber. Der Kaiser arbeitete mit einigen Vertrauten in seinem Kabinett. Es war bestimmt, daß er am Abend mit der Kaiserin in die große Oper fahren sollte.

Die hohe Frau befand sich in dem kleinen Salon vor ihrem Boudoir mit ihren Damen, beschäftigt, neue Stoffe auszuwählen, die der Chef eines berühmten Modemagazins, die Ehre hatte, ihr vorzulegen.

Der Salon, nebst dem anstoßenden kleinen Arbeitszimmer der Kaiserin waren ihr Lieblingsaufenthalt. Beide lagen an und in dem Pavillon de Flore, und hatten die Fenster nach der Terrasse.

Es war jetzt beinahe 7 Uhr, die Vorhänge waren geschlossen und mehrere große Astrallampen verbreiteten ihr Licht in dem von der Glut des Kamins durchwärmten Gemach.

Die Vorhänge bestanden aus weißem Taffet, der bei Tage das Licht weniger durchdringen ließ, als der Mousseline, über den noch zwei dichte Vorhänge von rosa und schwarzem Brokat herabfielen.

Der Salon war mit persischer Seide von matter Lilafarbe tapeziert. Die Fütterungen der Thüren sind von glänzend poliertem Ebenholz, das mit Gold und Perlmutt ausgelegt ist.

Der Kamin ist von schwarzem Pyrenäen-Marmor.

Auf vier Postamenten in den Ecken stehen große Bronzegruppen, spielende Kinder darstellend; das breite Piedestal in der Mitte zeigt eine größere Gruppe: Engel, ein Kind überwachend. Um dieses Piedestal von schwarzem Marmor ist ein runder Diwan angebracht. Ein Brüsseler Teppich von dunkelrotem Muster, weich und elastisch, wie die berühmten Gewebe Turkomanniens, bedeckt den ganzen Fußboden.

Auf dem Sims des Kamins steht als einziger Schmuck eine große Pendule von Bronze.

Der Salon bietet in diesem Augenblick ein eigentümliches Bild von malerischer Unordnung dar. Es ist die Zeit, welche die Kaiserin ihr Plauderstündchen nennt, und in der sie ihre Lieferantinnen und Modistinnen empfängt, oder mit dem kaiserlichen Kinde spielt. An diesem Abend vereinigt sich beides, denn auf dem Teppich und den Möbeln lagen verschiedene Spielsachen mit kostbaren Stoffen in bunter Verwirrung umher. Die Diwans, Stühle und Tische waren mit Seidenzeugen, Modestoffen und prächtigen Shawls förmlich bedeckt. Mitten unter diesen, auf dem runden Diwan, saß die hohe Besitzerin dieser prachtvollen Räume, die Kaiserin von Frankreich.

Es befanden sich außer ihr fünf Damen und ein Herr in dem Salon. Die devote Haltung des letzteren, die Art und Weise, wie er die verschiedenen Stoffe in ihr bestes Licht zu bringen suchte, oder zusammenlegte, bewiesen, daß er nicht ein Mitglied dieses vornehmen Zirkels, sondern einer der Lieferanten des Hauses sei.

Die Kaiserin hatte soeben einen Stoff von rotem drap d'or aus der Hand gelegt, sie schien zerstreut und blickte häufig nach der Uhr auf dem Kamin, als sich ihr mit einer tiefen Verbeugung eine ältere Dame, groß, stattlich und ernst, von wirklich majestätischem Aussehen näherte.

Es war die Prinzeß von Eßlingen die Schwiegertochter des berühmten Marschalls Masséna, der Aspern nahm und 1810 und 11 Wellington in Portugal und Spanien schlug, die Groß-Hofmeisterin des Hofes.

»Ich erlaube mir, Ihro Majestät zu erinnern, daß das Kind von Frankreich sich noch nicht zur Ruhe begeben hat.«

Die Groß-Hofmeisterin sprach die unbedeutenden Worte mit der Wichtigkeit, mit der etwa ein Marschall die Meldung einer Schlacht gemacht haben würde.

Die Kaiserin lächelte ein wenig. »Es ist wahr, liebe Prinzessin, ich hatte es beinahe vergessen. Aber diese Damen verwöhnen ihn, sonst hätte er sich schon bemerklich gemacht. Rufen Sie die Amme, liebe Brüat, und bringen Sie ihn mir, damit ich ihn noch küsse.«

Die Gruppe der Damen vor dem Kamin öffnete sich jetzt, und man erblickte auf dem Teppich liegend einen kleinen, etwa zweijährigen Knaben, der mit einem großen Gummiball spielte, während die Damen sich mit ihm neckten. Die eine von ihnen hatte ihm eben den Ball fortgenommen, er lag auf dem Rücken, strampelte mit Händen und Füßen, als eine ältere Dame, in Schwarz gekleidet, eine auffallende Erscheinung unter diesen prächtigen bunten Toiletten, ihn aufnahm, und begann ein lautes Geschrei.

Die Dame achtete jedoch dieses Widerstandes nicht, sondern brachte den Kleinen zu der Kaiserin.

Madame de Brüat, die Witwe des Admirals, war die Gouvernante des Prinzen, oder vielmehr des enfants de france, wie es nach der Wiederherstellung des alten Ceremoniells der legitimen Könige heißen mußte, wenn eben weitere Kinder vorhanden gewesen wären.

Der künftige Erbe der Napoleoniden schrie sehr unbekümmert um die Dehors dieses Salons noch immer fort, selbst in den Armen seiner Mutter, aus denen er sich mit Thränen fortsträubte.

»Sie hören, Monsieur Boberg,« sagte die Kaiserin lächelnd zu dem Lieferanten, »er hat eine kräftige Stimme. Diese Herren Zeitungsschreiber lügen demnach, wenn sie verbreiten, er sei stumm. Ist Madelaine da?«

Die kräftige Figur der Amme trat alsbald in der bäurischen Tracht, die sie beibehalten, vor.

»Geben Sie ihn nur her, Madame,« sagte sie sehr unceremoniell, »ich will ihn schon zur Ruhe bringen. Willst Du still sein, Poll, oder Loulou kommt!«

Ein flüchtiges Lächeln glitt über die Gesichter der Anwesenden bei dieser ungenierten Citierung des würdigen Vetters des Kindes in Stelle einer Art von Knecht Ruprecht; Monsieur Boberg suchte seine Überraschung zu verbergen, indem er sich auf den Stoff, den er gerade zusammenfaltete, niederbeugte.

»Loulou ist fort, mein Kleiner,« sagte die Kaiserin, die weder den Prinzen noch seine Schwester, die etwas emanzipierte Prinzessin Mathilde besonders leiden mochte, »die garstige Madelaine lügt. Er ist im Eis am Nordpol erfroren. Da, nimm ihn, bring' ihn dem Kaiser und dann zur Ruhe.«

»Monsieur Thélin ist unten gewesen und hat bestellt, daß Seine Majestät nicht gestört sein will,« erwiderte die Amme, die, obschon ihre Funktion längst beendet war, sich doch als erste Wärterin des kaiserlichen Kindes vieles herausnehmen durfte. Merkwürdigerweise war auf ihre Drohung mit Loulou der Knabe sofort ruhig geworden und schlang jetzt, als die Kaiserin ihn zärtlich geküßt und der Amme zum Forttragen gereicht hatte, seine Ärmchen um den Hals der vertrauten Pflegerin.

Die Kindheit kennt glücklicherweise noch keinen Rang und kein Ceremoniell, obschon leider genug geschieht, sie beizeiten zu Affen der großen Welt zu machen!

Madame Brüat begleitete den Prinzen zu seiner Wiege, welche die gute Stadt Paris ihm geschenkt hatte und die etwas kostbarer war, als jener Panzer der Schildkröte, welche die guten Bürger von Pau am 4. Dezember 1553 Anton von Bourbon für den künftigen Heinrich IV. brachten.

Die Kaiserin wandte sich zu dem Modisten.

»Lassen Sie die Stoffe hier, Herr Boberg,« sagte sie, »ich werde mit Madame Vignon die Auswahl treffen. Lemonnier Der Juwelier der Kaiserin, der auch ihren prächtigen Brautschmuck mit Rubinen und weißen Perlen verfertigt hatte. hat mir heute morgen einen neuen Schmuck von Malachit gebracht und mich gebeten, den Stein in Mode zu bringen. Es ist eine kleine Genugthuung, die wir den Russen für unsere Siege in der Krim schuldig sind. Dieser braune Moiree wird sich gut zu dem Hellen Grün machen. Senden Sie den Stoff zu Madame Vignon.«

Ein huldvolles Kopfnicken entließ den Besitzer dieser Herrlichkeiten. Die Kaiserin sah wiederum nach der Uhr, es fehlten noch zwanzig Minuten an Sieben. Sie schien offenbar sehr zerstreut oder gelangweilt.

Eine junge allerliebste Dame näherte sich ihr. Es war die Baronin de Pierres, Palastdame der Kaiserin, ein Schoßkind der hohen Pariser Gesellschaft, und eine Tochter jenes amerikanischen Generals Thorn, der die reizenden Soireen im Hotel der Madame Adelaide d'Orleans im Fauburg St. Germain gab.

»Ihro Majestät, Madame Vignon ist im Ankleidezimmer. Sie wünscht einige Entwürfe und angekommene Neuigkeiten aus London vorzulegen.«

»Ah, das ist schön, sie wird uns unterhalten. Sie hat immer Neuigkeiten neben dem besten Geschmack von Paris. Lassen Sie sie eintreten, liebe Baronin. Kommen Sie hierher, Marquise, Sie sollen mir prüfen helfen, was das Westend uns schickt.«

Die Angeredete war die Marquise de las Marismas, eine geborene Engländerin, aus der bürgerlichen Familie Macdonald, die Gemahlin des Marquis Alexandre, des Sohnes Aguados, eines vortrefflichen Ehemannes.

Sie war ein Liebling der Kaiserin, nicht bloß ihrer großen Schönheit wegen, sondern auch wegen der Abstammung ihres Gatten.

Die Baronin näherte sich und nahm auf einen Wink der Kaiserin auf einem Tabourett Platz.

Madame Vignon, die Modistin, die auch das Brautkleid der Kaiserin geliefert hatte, war unterdes eingetreten, eine Kammerfrau trug ihr mehrere große Kartons nach.

»Sieh' da, unsere Vignon,« sagte die Kaiserin. »Was bringen Sie uns neues aus den Moden und aus der Gesellschaft?«

Die Modistin verneigte sich ehrerbietig. »Ihro Majestät wissen, daß gerade Sie es sind, welche die Moden macht.«

»Ja, ungefähr so, wie der Kaiser Schlachten gewinnt, die Herr Pelissier oder Herr Mac Mahon schlägt. Man erzählt mir ja Außerordentliches von dem Luxus, den eine kleine Schauspielerin von einem der Boulevard-Theater treiben soll?«

»Ihro Majestät,« sagte die Modistin mit etwas verächtlicher Miene, ihre Kartons auspackend, »meinen wahrscheinlich Mademoiselle Belangé?«

»Ich glaube, so ist der Name. Erzählten Sie mir nicht davon, Madame de Montebello

Die Palastdame, Gemahlin des Generals dieses Namens, des vierten Sohnes des berühmten Marschalls Lannes, eine junge, leidlich hübsche, aber sonst unbedeutende Dame, bejahte. »Ich hatte die Ehre, Ihro Majestät von dem Abenteuer der Marquise von Grézy d'Hornay zu erzählen!«

»Ich erinnere mich nicht mehr genau. Wie war es doch?«

Die geläufige Zunge der Modistin lief Madame de Montebello eiligst den Rang ab. »Mademoiselle Belangé hatte durch den Aufwand ihres Auftretens Aufmerksamkeit erregt, obschon ich Ihro Majestät versichern kann, daß ihre Toilette des Geschmacks entbehrt und nur von Madame Délaune besorgt wird, einer Größe dritten Ranges. Aber trotzdem wünschte die Marquise von Grézy die Toilette jener Dame in Augenschein zu nehmen und beauftragte ihre Kammerfrau, dies möglich zu machen, als Mademoiselle bei dem Neujahrsaufenthalt des Hofes in Compiegne gleichfalls ihren Haushalt dorthin verlegt hatte. Denken Ihro Majestät, daß diese Person es gewagt hat, förmliche Verhandlungen darüber zu führen, als gelte es eine Angelegenheit der Politik des diplomatischen Korps.«

Die Damen waren, höchst interessiert von dem kleinen Skandal, näher getreten. Die Kaiserin nickte lächelnd der Modistin, die dabei fortwährend ihre Novitäten auspackte.

»Wissen Ihro Majestät, daß Sie die Herren Barrière und Capendu in Mode gebracht haben? Ihro Majestät haben neulich das Gymnase beehrt und sind von der Aufführung der Cendrillon so gerührt gewesen, daß Ihro Majestät während zweier Akte Thränen vergossen haben. Seit der Zeit muß jede Dame, die sich achtet, die Cendrillon gesehen und in Cendrillon geweint haben. Ich habe für 10 000 Franken Spitzen von Alençon kommen lassen für die Taschentücher à la Cendrillon! Das Glück des Herrn Barrière Verfasser des Rührstücks. ist gemacht!«

Diesmal lachte die Kaiserin. »Sie vergessen über Ihren Taschentüchern die arme Marquise, beste Vignon.«

»Bitte unterthänigst um Entschuldigung. Ich wollte nur zuvor die Ehre haben, die neue Façon der Handschuhe Ihro Majestät vorzulegen. Sie sind so geschnitten, daß der Daumen nicht abreißen kann, und mit einer kleinen Agraffe, die zweckmäßiger zusammen hält, als die Knöpfchen. Also das Resultat dieser unverschämten Verhandlungen war, daß Mademoiselle Belangé eines Mittags ihren Phaëton nach den Alleen fuhr und dabei ihre Rivalin, Mademoiselle Cora Pearl zu einem Wettritt aufforderte, und daß während dieser Zeit die Marquise mit mehreren Freundinnen, ja man will wissen, die Prinzessin Mathilde selbst, die Garderobe der Künstlerin bis in die kleinsten Details mit Muße in Augenschein nahm. Eine schöne Künstlerin, aber der Titel artiste dramatique ist für diese Damen unentbehrlich, weil er einen besonderen Reiz für die Herren hat.«

»Die Prinzessin Mathilde?« warf stolz die Großhofmeisterin ein, »ich glaube, Sie irren sich, Madame Vignon. Ihre Kaiserliche Hoheit sind über ein solches Interesse für die Garderobe einer Schauspielerin erhaben!«

Die kleine Vignon war sehr pikiert über die Zurechtweisung, umsomehr, als sie sehr wohl wußte, daß an diesem Ort die frühere Repräsentantin des kaiserlichen Hofes keineswegs sehr beliebt war.

»Die Frau Prinzessin hat wohl noch andere Dinge gethan. Man erzählt sich gar viele Sachen aus dem Luxembourg. Mein Gott, wir sind nun einmal das schwache Geschlecht, und ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, wo eine vornehme Dame 20 Louisdors gegeben hat für einen Galerie-Platz bei dem Bankett der Sozialisten!«

»Still, still,« sprach die Kaiserin, »Sie vergessen sich, Vignon! Zeigen Sie mir jenen Hut her!«

Die Großhofmeisterin war mit großem Aplomb und sehr unwillig von der Gruppe fortgerauscht und hatte sich in einem Fauteuil am Kamin niedergelassen.

»Etwas neues, das Ihro Majestät vortrefflich kleiden wird. Es ist filzgraue Seide mit Hahnenfedern, über der Stirn ein turbanartiges Band von grünem Samt, und eben solche Bindebänder. Ich beabsichtige, die Hahnenfedern im Mode zu bringen. Darf ich den Hut Ihro Majestät aufprobieren? Er macht sich zu dieser Robe von dunkler quergestreifter Seide vortrefflich!«

»Gut! ich werde ihn behalten und heute sogleich tragen. Doch Sie vergessen immer wieder unsere Anekdote, meine kleine Vignon. Es freut uns, unsere Cousine doch auch auf einer solchen Schwäche für Toilette zu ertappen, wenn die Toilette auch nur die anderer ist!«

Die Modistin hatte unterdes aus eigener Machtvollkommenheit einen Capuchon-Mantel von grüngrauer Farbe, zu dem Hut passend, mit quer aufgesetzten bunten Streifen verziert, dazu gelegt. Es war der Anzug, den die Kaiserin später an dem verhängnisvollen Abend trug.

»Halten Ihro Majestät es für möglich? man denkt in London daran, die Krinoline aufzugeben und sie durch gesteppte Röcke zu ersetzen. Aber ich bin daran, Madame Alberst Eine der ersten Modistinnen in London. aus dem Felde zu schlagen, gerade wie wir die Engländer vor Sebastopol blamiert haben. Verzeihung, Frau Marquise, aber ich rechne Sie schon längst zu den unseren.«

»Bitte, genieren Sie sich nicht, Madame Vignon,« lachte gutmütig die Marquise. »Die Macdonalds waren von jeher Anhänger der Stuarts.«

»Ich denke, Lady Cowley einen Schlag zu versetzen, wenn wir ihr mit einer Erfindung zuvorkommen, die sie nicht nachahmen kann. Ich sinne seit zwei Nächten darüber, aber sie wird Aufsehen machen, auf Ehre!«

»Aber so kommen Sie doch heraus mit Ihrem Geheimnis,« sagte neugierig die Baronin. »Ist es eine Coiffüre à la Sebastopol?«

»Oh, Madame, was denken Sie von mir? Sebastopol ist längst vergessen. Es handelt sich allerdings um die Verbannung der Krinoline, aber nicht durch Jupes, sondern durch einen ganz neuen Schnitt der Roben!«

Die Damen waren ganz Ohr, selbst die Kaiserin.

»Bitte, liebe Vignon,« tönte es von allen Seiten, »sprechen Sie! welcher Schnitt?«

Die Modistin machte eine majestätische Gebärde. »Nein, meine Damen, mein Geheimnis gehört zuerst Ihro Majestät. Man muß eine Gestalt haben, wie Ihro Majestät, um es recht zu begreifen. Ich kann Ihnen nur soviel sagen, daß es sich um einen Keilschnitt handelt, der eine ganz neue Figur macht. Aber ich brauche noch eine Nacht, um mit mir ins Reine zu kommen! Ich bringe Ihro Majestät unterdes eine andere Erfindung.«

Sie langte rasch nach einem neuen Karton.

»Aber was hatte denn diese Mademoiselle Belangé für die Ehre, ihre Garderobe zeigen zu dürfen, verlangt?« fragte die Generalin Montebello.

»Oh, nichts weniger als auch die Garderobe der Frau Marquise und der anderen Damen besichtigen zu dürfen, und ihre Kammerfrau hatte sich eine Gratifikation von 10 Napoleonsdor ausgemacht.«

»Ich hoffe, diese Person wird die Unverschämtheit nicht so weit getrieben haben, sich in das Kaiserliche Schloß zu drängen,« sagte die Großhofmeisterin vom Kamin her, wo ihr trotz ihres Unwillens kein Wort entging.

»Ganz im Gegenteil, Madame, Mademoiselle Belangé rühmt sich, zwei Stunden lang in den Gemächern der Damen gewesen zu sein und die geheimsten Geheimnisse der Toilette der Frau Marquise gesehen zu haben. Sie hat deren Kammerfrau mit 20 Napoleonsdor bezahlt. Aber die Polizei hat dafür ihren Wettritt mit Mademoiselle Cora Pearl nicht gestattet!«

Die Kaiserin wandte ruhig den Kopf nach der Seite der Großhofmeisterin.

»Sie werden die Güte haben, Madame, die Frau Marquise von Grézy d'Hornay von der nächsten Liste für Saint Cloud und Compiegnie zu streichen. Wie, liebe Vignon, eine Puppe? ist sie für den Prinzen? aber was soll er mit dieser Modedame, einen Soldaten hätten Sie ihm bringen sollen.«

»Entschuldigen Ihro Majestät, es ist meine Modellpuppe. Ihro Majestät sprachen neulich von den Agraffen à la Pompadour?«

»Ich erinnere mich, es handelte sich um das Aufnehmen der Kleider.«

»In der That, Ihro Majestät, der Jupe ist bis jetzt viel zu wenig zu seinem Recht gekommen. Man muß ihn poussieren. Haben Sie die Güte, Frau Baronin, dieses Band um Ihre Taille zu legen!«

Die hübsche, junge Frau schloß das einfache schwarze Band, an dessen beiden Seiten gleiche lange Schlingen herunterhingen, um ihre blauseidene Robe.

»So, Madame,« erklärte die Modistin, »man bauscht auf beiden Seiten die Robe durch die Schlinge« – sie ließ die That dem Worte folgen – »und der Zweck ist in der einfachsten Weise erfüllt.«

»Ei, das ist allerliebst – sehr hübsch!«

»Es zeigt den Fuß und mit einem gut gestickten weißen Unterrock wird es sich nicht übel machen,« erklärte diktatorisch die Modistin. »Aber es ist einfach, bürgerlich, und ich habe es darum Margaretenbänder genannt, nach dem Gretchen im Faust des Herrn Schiller, des berühmten Komödienschreibers der Deutschen. Ich bringe Ihro Majestät etwas Besseres. Sehen Sie diese Puppe!«

»Sie haben das Kleid aufgenäht!«

»Nein, Frau Generalin. Belieben Sie nur ihr Kleid aufzuheben, und Sie werden einen Einblick in die neue und sinnreiche Maschinerie gewinnen.«

»Ah – vier Knöpfe und Schnüre!«

»Richtig! Sehen Sie, mit welchen geringen Mitteln Personen von Genie große Erfolge zu erzielen wissen. Bemerken Sie diese kleine Öffnung vorn im Kleid. Der porte-jupe-Pompadour, wie wir ihn mit Erlaubnis Ihro Majestät nennen wollen, vereinigt Zweckmäßigkeit mit Eleganz. Er faßt die Robe gleichzeitig an vier Seiten, zieht sie nach Belieben empor und drapiert sie zugleich in sehr graziöser Weise. Man befestigt einfach vier Knöpfe an die Innenseite des Kleides, welche den Enden der vier Schnüre entsprechen. Ehe man das Kleid anzieht« – sie entkleidete das Modell – »legt man den Pompadour um die Taille, hängt ihn hinten ein und befestigt ihn vorn am Korsett durch ein Band. Dann überzeugt man sich, daß die Schnüre in den Hülsen sich leicht bewegen lassen, zieht die Robe an und bringt die beiden Knöpfe des Pompadour durch die kleine Öffnung vorn. Dann läßt man von der Kammerfrau das Ende jedes Schnürchens des Pompadour an die vier Knöpfe im Innern des Kleides hängen und voilà tout! die Maschinerie ist fertig!«

Die Damen probierten sämtlich die neue Erfindung an der großen Puppe, während die Modistin einige Exemplare ihres Werkes von grauem und weißem Moiree auspackte, das seitdem die Runde durch die civilisierte Welt machte, denn die uncivilisierte Welt darf entweder nach dem strengen Gebot Mohammeds möglichst wenig aufheben, außer vor den Ehemännern, und der übrige Teil trägt gewöhnlich nichts, an dem der porte-jupe-Pompadour anzubringen wäre!

Man probierte rechts und links und besprach lebhaft die neue Toiletten-Erfindung.

»Ihre Erfindung ist vortrefflich, liebe Vignon,« sagte die Kaiserin, »und ich bitte Sie, sie bis zu dem nächsten Fest am Hofe aufzuheben. Ich beabsichtige, sie bei der Balltoilette anzuwenden. Sie werden dafür sorgen, liebe Vignon, daß die beiden Knöpfe vorn mit Blumen, gleich denen in der Coiffure, verziert sind!«

In diesem Augenblick trat die spanische Kammerfrau der Kaiserin in den Salon und näherte sich ehrerbietig der Kaiserin, die sogleich aufstand.

»Bitte – einen Augenblick, meine Damen!«

Eine Handbewegung gab der Bitte bestimmten Ausdruck. Die Damen nebst der Modistin traten in ehrerbietige Entfernung zurück.

»Ist der Graf gekommen?«

»Zu Befehl, Ihro Majestät!«

»Allein?«

»Nein. Eine Dame begleitet ihn!«

»Hast Du sie gesehen?«

»Nein, Ihro Majestät, sie trägt einen Schleier.«

»Und wo sind sie?«

»Die Dame befindet sich Ihro Majestät Befehl gemäß in dem kleinen Arbeitszimmer, der Herr Graf wartet in der Antichambre des Pavillons, durch den sie eingetreten sind!«

»Gut. Bleibe hier und sieh' zu, daß sich keine unberufenen Lauscher der Thür nähern.«

Die kurze Unterredung war in spanischer Sprache geführt worden. Die Kaiserin wandte sich jetzt wieder französisch zu ihren Damen, von denen ohnehin nur die Marquise de las Marismas Spanisch verstand.

»Meine Damen, ich gebe Ihnen auf eine halbe Stunde Urlaub. Marquise, und Sie, liebe Baronin, werden mich in die Oper begleiten. Adieu, Madame Vignon, und Verschwiegenheit in betreff des Jupe.«

Eine gnädige Handbewegung entließ die Modistin. Die Kaiserin trat durch die südliche Thür, welche die Kammerfrau mit ehrerbietiger Verbeugung öffnete, in das anstoßende Zimmer.

Dies war ein ziemlich schmales Durchgangsgemach und führte nach dem kleinen Arbeitszimmer. Die Kaiserin öffnete selbst die kleine Thür und trat ein.

Dieses Zimmer, in das sich die Kaiserin häufig zurückzog, und das nebst ihrem Schlafgemach nur wenige vertraute Personen betreten durften, bildete ein längliches Viereck, ging auf die Tuilerien-Terrasse und ist zu jeder Jahreszeit reich mit Blumen geschmückt. Es war ganz mit mattem dunkelgrünem Taffet ausgeschlagen; die Thüren waren von Elfenbein und Gold, die grünen Vorhänge mit rotem Atlas unterlegt und die Verzierungen von rotem Atlas und schwarzem Samt. In dem Zimmer waren, nach der Angabe der Kaiserin, die schönsten Gemälde und Kunstwerke verteilt. Die Möbel waren von Ebenholz oder Elfenbein und ein kostbarer Smyrnateppich bedeckte das Parkett. In diesem Gemach hatte die hohe Frau alle ihre teuren Erinnerungen vereinigt, die zahllosen Geschenke und Gegenstände, die ihr in der Kindheit angehörten, Miniaturen und Photographien, und gegenüber der Stelle, wo sie zu sitzen pflegte, das Porträt ihrer verstorbenen Schwester, der Herzogin von Alba, im weißen einfachen Kleide, von blühenden Gewächsen halb verhüllt, der Schwester, die zweimal gestorben war!

Die Herzogin von Alba teilte das traurige und merkwürdige Schicksal der Freiin Mathilde von Asseburg, die im Scheintod begraben, durch die freche Beraubung der Gruft wieder zum Leben erwachte und im Leichengewande zu dem trostlosen Gatten zurückkehrte. –

Als die Kaiserin der Franzosen in ihr von dem Schein einer in silbernen Ketten hängenden Ampel von durchsichtigem Sèvres-Porzellan erleuchtetes Arbeitszimmer trat, erhob sich eine junge, schwarz gekleidete Dame von einem der umherstehenden Sessel und schlug einen an dem ihren üppigen Haarwuchs fesselnden Goldkamm nach spanischer Sitte befestigten und Hals und Brust und zum Teil das Gesicht bedeckenden, bis auf die Taille herabfallenden schwarzen Spitzenschleier zurück.

Die Kaiserin trat rasch einige Schritte auf die Dame zu und streckte ihr die Hände entgegen.

» Carmen

Die Kunstreiterin, denn diese war es, beugte, als ob sie den freundlichen liebevollen Ausruf nicht gehört hätte, rasch ihr Knie vor der hohen Frau, faßte ihre Hand und zog sie an die Lippen. Die Kaiserin fühlte einen heißen Kuß und eine Thräne auf der Hand, aber als sie die Knieende umarmen wollte, erhob sich diese und trat in ehrerbietiger Haltung zwei Schritte zurück.

»Empfangen Ihro Majestät den ehrerbietigsten Dank der Kunstreiterin Rositta,« sagte die Fremde mit bewegter, aber fester Stimme, »für die gnädige Teilnahme, die Sie an meinem gestrigen Unfall zu nehmen die Gnade hatten!«

»Der Abscheuliche!« rief die Kaiserin. »Aber ich werde ihn dafür bestrafen! Hier sind wir unter uns, Du kannst Deine Maske fallen lassen, und ich will Dir sagen –«

»Erlauben Ihro Majestät die Bitte,« sagte das Mädchen, »selbst in diesen Räumen nur die Kunstreiterin Rositta vor sich sehen zu wollen. Ihro Majestät wissen nicht, wie tief Ihre Gnade mein Herz rührt, und daß ich gern mein Leben zu Ihren Füßen lege. Aber eben, weil die Kaiserin von Frankreich zu hoch über der Actrice des Cirkus steht und das Geschick von Nationen mit in ihrer Hand liegt, darf diese Hand nichts zu thun haben mit dem Kampf eines unbedeutenden Mädchens für ihre Freiheit gegen das Gesetz und gegen Personen, die dieser erhabenen Frau zu nahe stehen, um nicht jede Rücksicht fordern zu können.«

»Meine Mutter … Sie haben recht! Aber Mademoiselle Rositta wird der Kaiserin von Frankreich erlauben, daß sie die Kunst beschützt und sich gern einer kleinen Freundin erinnert, die sie einst recht lieb gehabt hat, und deren Schicksale sie gern wenigstens aus drittem Munde hören möchte. Nehmen Sie jenes Tabourett, mein Kind, und fetzen Sie sich, ich befehle es Ihnen.«

Die Kunstreiterin folgte dem Befehl.

»Wie alt sind Sie, Mademoiselle Rositta, wenn Sie denn einmal diesen Namen vorziehen?«

»Ich werde in zehn Tagen vierundzwanzig Jahr, es fehlen mir also noch zehn Tage zu der Mündigkeit, oder zu dem Recht, über mich selbst bestimmen zu dürfen!«

»Ah, jetzt verstehe ich, und deshalb sind Sie in Paris! Das ist richtig! So lange haben Brüder und Vormünder das Recht über die Hand einer Waise!« Die Kaiserin lachte. »Armer Vetter Alvaro, Sie haben herzlich wenig Aussicht auf die Hand einer Erbin! Aber fürchten Sie nicht bis dahin einige Gewaltmaßregeln Ihrer mir natürlich unbekannten Verwandten?«

»Die Kunstreiterin Rositta steht unter dem Schutz des Pariser Publikums, was wahrscheinlich jene andere Person nicht beanspruchen könnte!«

»Das ist wahr; das Gesetz muß sein Recht haben! Die Kaiserin von Frankreich ist vor allen verpflichtet, das Gesetz zu achten. Ich kenne demnach nur die Kunstreiterin Rositta. Aber ist Ihnen nicht vielleicht in Ihrem gewiß sehr wechselvollen Leben der letzten fünf Jahre eine mir werte Person aufgestoßen, deren Verschwinden mich lange beunruhigt hat. Ihr Name war Carmen von Massaignac.

»Dieselbe,« sagte lächelnd die Kunstreiterin, »welche der Appellhof von Paris auf den Antrag des Herrn Marquis von Massaignac als verschollen aufgefordert hat, sich bis zum 1. März dieses Jahres zu stellen, widrigenfalls sie gerichtlich für tot erklärt werden würde!«

»Ja, ja, ich begreife! und deshalb ist die Kunstreiterin Rositta hier erschienen, um das Interesse ihrer Freundin wahrzunehmen!«

Die hohe Frau reichte dem Mädchen die Hand, die diese nochmals küßte.

»Und nun erzählen Sie mir mehr von dieser Freundin, von diesem jungen Wildfang von jenseits des Meeres, die Paris noch immer für ihre Pampas hielt, während sie doch bestimmt war, sogar meine Verwandte zu werden, und die ein abenteuerliches Zigeunerleben dem Glanze des ersten Hofes von Europa vorzog!«

»Ihre Majestät zürnen ihr deshalb nicht?«

»Ah – hätte ich ihr denn sonst fortgeholfen? Ihre Flucht war sicher das Ergebnis einer geheimen Herzensneigung, und für so etwas sind wir Frauen, ob auf dem Thron oder in der Hütte, immer sehr nachsichtig. Man zerbrach sich damals den Kopf, wer wohl der Entführer und glückliche Liebhaber sein könnte; denn der junge hübsche Offizier des Generals Garibaldi, den man dafür hielt, und den Othello-Alvaro durch die Polizei des Kaisers einsperren ließ, schien es merkwürdiger Weise nicht zu sein, weil er selbst die eifrigsten Nachforschungen nach der Verschwundenen anstellte. Oder war das nur Komödie?«

»Ich glaube in der That, daß die kleine Wilde der Pampas sich in Kapitän Laforgne hätte verlieben können, wenn sie Zeit dazu behalten hätte. Kapitän Laforgne befindet sich aber in diesem Augenblick wieder in Paris und ist der glückliche Gatte einer anderen!«

»Dann habe ich mich getäuscht, aber um so rätselhafter ist mir jene Flucht!«

»Gott und die heilige Jungfrau wachten über einer Waise, indem sie ihre thörichte Handlung zu ihrem Glück lenkten und ihr Herz vor einer flüchtigen Neigung bewahrten, um es einer großen und wahren Liebe offen zu halten!«

»So liebt jetzt mein kleiner Schützling? und Carmen ist glücklich?«

»Sie liebt, obschon die Blüte ihrer Jugend vorüber, zum erstenmal wahr und tief, sie weiß, daß sie ebenso wieder geliebt wird, um ihrer selbst willen, und hofft, den Mann ihrer freien Wahl glücklich zu machen!«

Ein leichter Seufzer kam über die Lippen der schönen Frau, sie wandte das schöne Haupt zur Seite, und ein gedankenvoller Blick streifte das Bild ihrer verstorbenen Schwester.

Waren die Träume ihrer Jugend erfüllt? Die des Ehrgeizes, des Stolzes gewiß, denn selten hat eine Frau ein glänzenderes Los aus der Urne des Schicksals gezogen!

»Erzählen Sie mir, wenn ich Sie darum bitten darf, und es kein Geheimnis ist, das Schicksal jenes wilden Mädchens.«

»Ihro Majestät wissen, daß die Tochter des Obersten Fourichon de Massaignac durch ein Versprechen ihrer zu früh verstorbenen Mutter schon in ihrer Wiege dem Abkömmling einer berühmten spanischen Familie, dem Verwandten der hohen und geliebten Frau verlobt war, die auf dem Throne von Frankreich sitzt. Das mutterlose Mädchen wurde zuerst in Frankreich erzogen, und sie hätte sich vielleicht willig dem Gebrauch gefügt, der die Hand reicher und vornehmer Erbinnen aus dem Kloster oder dem Institut heraus dem bestimmten Bräutigam giebt, ohne das Herz zu befragen. Aber die Zärtlichkeit eines gütigen, unvergeßlichen Vaters rief das junge Mädchen schon in ihrem vierzehnten Jahre zurück in sein Haus, in ein freilich wenig civilisiertes, aber desto freieres und glücklicheres Leben, und indem sie ungehindert auf ihrem feurigen Renner durch die Apostaderas und Wälder Montevideos streifte, bildete ihr Charakter und Wesen sich zu einer Selbständigkeit, zu einer Liebe für die Freiheit, die gefährlich wurde für jeden Zwang.«

Die Kaiserin nickte. »Ich kannte sie so!«

»Zu jener Zeit kam Don Alvaro, der ihr bestimmte Bräutigam nach Montevideo auf die Hacienda ihre-s Vaters. Carmen Massaignac war ein eitles Kind, das liebte, bewundert und geschmeichelt zu werden, und wenn auch der finstre, intriguante Spanier ihr wenig gefiel, hätte sie sich doch nicht geweigert, das Gelöbnis ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen. Da …«

»Nun?«

»Da kam ein Tag, an dem er sich ihr verhaßt machte, an dem edlere, würdigere Bilder vor ihr auftauchten? Vgl. »Villafranca« Band 3. Sie gingen zwar rasch vorüber, aber sie veränderten vieles, denn Oberst Massaignac kehrte unmittelbar darauf nach Europa, nach Paris zurück und nahm seine Tochter mit. Hier fand Carmen Freunde, wahre, edle Freunde, ihr Herz erschloß sich, und ihre Abneigung, ja ihr Haß gegen den Verlobten wuchs täglich. Ihr Vater liebte sie viel zu sehr, um sie zu einer ihr widrigen Verbindung zu zwingen, und wäre er am Leben geblieben, er hätte jenes ihr verhaßte Band sicher in der einen oder andern Weise gelöst.«

»Ich erinnere mich, der Marquis wurde das Opfer eines unseligen Zufalls in den blutigen Dezembertagen!«

»Eines Zufalls?« die Kunstreiterin sah finster vor sich hin, ihr Auge funkelte. »Carmen hat später oft gedacht, daß es mehr gewesen! Aber genug davon; mit dem Tode ihres Vaters, des treuesten Freundes des Kaisers Napoleon, war ihre Freiheit zu Ende. Don Alvaro hatte Freunde und Beschützer, die zur Vollziehung ihrer Heirat mit diesem drängten …«

»Die Gräfin von Teba, meine Mutter,« schaltete die Kaiserin ein.

»Auf der andern Seite standen der Geiz und die Habsucht ihres bösen Bruders ihr zwar gegen die verhaßte Heirat bei, aber nur um sie zu zwingen, ihre Tage in einem Kloster zu verbringen und ihm das Erbe des Vaters allein zu überlassen. Da, von allen Seiten gedrängt, die einzige, mächtige Beschützerin, die sie hatte, in Verhältnissen sehend, die all ihre eigene Aufmerksamkeit erforderten, beschloß sie, nach dem schönen Lande ihrer Geburt zu entfliehen, wo das Testament ihres Großvaters ihr ein selbständiges reiches Erbe sicherte. An dem Tage, an welchem Eugenie Montijo den Thron Frankreichs gewann, wollte Carmen Massaignac nichts als ihre Freiheit gewinnen. Sie hatte einen Freund gefunden in dem jungen Offizier des Generals Garibaldi, den auf dem Ball selbst der Kaiser auszeichnete, und dieser hatte ihr versprochen, ihre Flucht zu fördern, und sie nach Montevideo zu geleiten.«

»Also doch!«

»Er war ein treuer und mutiger Freund, und Carmen hätte ihn Wohl lieben gelernt, wenn das Schicksal sie nicht getrennt hätte. Er hatte alles zur Flucht vorbereitet und wollte des Mädchens mit seinem Diener im Garten der Tuilerien harren. Die hohe Freundin des armen Mädchens, gerührt von ihrem Kampf gegen ihre Bedränger, befreite sie auf dem Ball des Palastes von den Spionen, die sie bewachten, und half so zu ihrer Flucht. In dem Gedränge der Equipagen der abfahrenden Gäste gelang es ihr, am Pavillon der Flora nach der Terrasse des Gartens zu entschlüpfen und die Stelle zu erreichen, wo sie Kapitän Francois mit seinem Diener treffen sollte.«

»Nun? – weiter! – Sie machen mich in der That immer begieriger, den Ausgang dieses Abenteuers zu hören!«

»Der Kanadier Felsenherz, so hieß der Diener oder vielmehr Freund des Kapitäns, einer jener kühnen und unbeugsamen Trapper aus dem Norden Amerikas, den Carmen gleichfalls schon in ihrer Heimat kennen gelernt hatte, erwartete sie auch wirklich an jener Stelle, aber seltsamer Weise in einem Zustand, den sich die Angsterfüllte nicht zu erklären vermochte. Er lag wie trunken oder tot am Boden, und keine Bemühung des Mädchens vermochte ihn zu erwecken. Der Kapitän war nicht dort und in größter Angst wartete sie vergeblich, als plötzlich ein ihr fremder Mann unter den Bäumen hervortrat, sich ihr näherte und sich für einen Boten des Offiziers ausgab, dessen Hilfe sie vertraut hatte. Er trug zwar die Livree ihres Verlobten, aber er wußte sie zu überreden, daß dies nur zum Schein sei, und da er sich in der That mit der Absicht der Flucht vertraut erwies und Umstände kannte, die eben nur Kapitän Laforgne ihm anvertraut haben konnte, ließ sich die Angsterfüllte einreden, daß dieser durch einen unglücklichen Zufall verhindert sei, zu erscheinen, und daß er sie zu ihm führen solle. Ein Paket mit männlichen Kleidungsstücken, das er bei sich hatte, überzeugte sie vollends und er gab die Gelegenheit, unbemerkt mit ihm an der Seite des Pavillon Marsan durch die Wachen und durch das Gedränge der Wagen aus dem Garten nach der Straße zu entkommen.«

»Und war der Mann wirklich ein Bote jenes Offiziers?«

»Er war ein Schurke, ein niedriger Dieb, aber doch nicht ganz ohne Herz. Erst später erfuhr Carmen den Zusammenhang. Durch einen unglücklichen Zufall hatte er eine Unterredung des Mädchens mit dem Kapitän Laforgne im Bois de Boulogne belauscht und die Absicht ihrer Flucht dem Grafen Guzman, ihrem Verlobten, verraten, der ihn sofort als Spion in seine Dienste nahm. Aber er betrog diesen so gut wie das angsterfüllte Mädchen, und da er den Ort ihrer Zusammenkunft mit dem Kapitän Laforgne durch seine Schlauheit und List erfahren, wurde es ihm leicht, seinen Plan auszuführen. Dieser bestand in nichts weniger, als den unbesonnenen Flüchtling selbst zu entführen und dann wahrscheinlich an den Teil auszuliefern, der ihm den meisten Vorteil bot. Vielleicht auch, daß er von vornherein die Absicht hatte, sie zu berauben und zu ermorden. Genug, es gelang ihm, den treuen Wächter, den Kapitän Laforgne an die Stelle des Rendezvous gesandt hatte, mit Chloroform, dessen sich die Pariser Diebe damals vielfach bedienten, in einen Zustand vollständiger Betäubung zu versetzen. In diesem beraubte er ihn der Kleider, die für Carmen bestimmt waren, und als sie dann erschien, überredete er sie, wie gesagt, leicht, daß der Kanadier betrunken, und daß er der Bote seines Herrn sei.«

»Aber was that er mit der Unbesonnenen?«

»Als sie auf der Straße waren, führte er sie unter allerlei Vorwänden immer weiter und in dem nächsten Fiaker, den sie trafen, bis vor eine der Barrieren, ich glaube nach den Steinbrüchen von Asnières. Ihre Majestät wissen, daß die junge Argentinerin kühn und furchtlos war, aber dennoch ergriff sie Schauder und Angst, als sie in jene Schlupfwinkel des Elends und Verbrechens hinabsteigen mußte. Sie weigerte sich, aber es war zu spät; er zwang sie mit Gewalt, ihm weiter zu folgen.«

»Der Schurke!«

»Ich habe bereits gesagt, daß ein Mord weniger seine Absicht schien, als noch weitere Vorteile aus ihrer Gefangenschaft zu ziehen. Ja, er schien selbst eine gewisse Teilnahme für die Unglückliche zu empfinden und nahm sie in dieser Höhle der Verworfenheit gegen mehrere Genossen in Schutz. Carmen konnte, nach dem, was sie sah, nicht länger zweifeln, daß sie unter Dieben und Mördern, dem Abschaum der Bevölkerung von Paris, sich befand; Furcht bemächtigte sich ihrer, all ihr Mut schwand bei dieser schrecklichen Überzeugung, und sie verlor die Besinnung.«

»Armes Kind!« Die hohe Frau faßte die Hand der Kunstreiterin.

»Als Carmen Massaignac wieder zu sich kam,« fuhr die Kunstreiterin fort, »fand sie sich in eine enge, in die Wand der Kalkbrüche eingehauene Zelle eingesperrt, auf einem dürftigen Lager, ihres Schmucks und aller Wertsachen, ja ihrer Ballkleider beraubt und dafür in ein schlechtes, schmutziges Kleid gehüllt. Ihr Kopf war schwer und wüst, Fieberglut brannte in ihren Adern und kaum vermochte sie, sich auf das Geschehene zu besinnen. Vergebens rief sie um Hilfe, rüttelte sie an der Thür, die Täuschung aller ihrer Hoffnungen war zu viel für sie, und in einem schweren Fieber verlor sie nochmals das Bewußtsein ihrer schrecklichen Lage.«

»Wie, und solche schändlichen Verbrechen können in unserer unmittelbaren Nähe verübt werden, in der Hauptstadt Frankreichs?« zürnte die Kaiserin.

Die Sennora Rositta sah finster vor sich nieder. »Was weiß die Majestät auf ihrem Thron von dem, was Elend und Armut gebiert! Wird doch Schlimmeres geübt selbst unter den Reichen und Vornehmen aus Habsucht und bösem Herzen, Thaten, die selbst die Raubtiere der Wüste scheuen würden! Ja, Kaiserin von Frankreich, deren Weg durchs Leben nur mit Freuden und Blumen bestreut war, die arme Carmen Massaignac, an deren Wiege ja so wenig wie an Deiner solch Lied gesungen war, hat seit dem Abend jenes glänzenden Festes in diesen Räumen, wo Eugenie Montijo jetzt die Herrin des schönsten Reiches der Welt ist, so viele Scenen des menschlichen Elends, der Schrecken und der Ströme von Blut und Schmerzen gesehn, daß ihr Herz in der Brust erbebte und sie gelernt hat, daß alle irdische Macht und aller Reichtum nichts sind, wie Spreu im Winde, wenn der Schutz der Heiligen nicht mit uns ist!«

Sie schwieg; auch die Kaiserin hatte die schönen schwarzen Augen gesenkt und die Stirn nachdenkend aus der Lehne ihres Sessels in die Hand gestützt.

Vielleicht dachte ihr starker Geist daran, wie unsicher bei aller Macht, allem Glanz und aller Klugheit seines Vaters das Los des Kindes sein könnte, das wenige Schritte von ihr in der goldenen Wiege schlummerte.

Dann erhob sie den Kopf.

»Erzählen Sie mir weiter, Sie wissen nicht, wie sehr mein Herz teilnimmt an dem allen!«

»Als Carmen Massaignac am dritten Tage aus schwerer Krankheit wieder zum Leben erwachte, fand sie sich in einer ärmlichen aber reinlichen Stube und nicht mehr in jener Höhle des Lasters und Verbrechens. Eine alte, ehrbar aussehende Frau saß als Wärterin in ihrer Nähe, und an ihrem Bett stand als Arzt der Mann, der seitdem ihr bester Freund, ja ihr Vater geworden ist.«

»Wer ist er?«,

»Ein Landsmann Ihrer Majestät, von den alten maurischen Herrschern Spaniens abstammend. Man nannte ihn Achmet den Hacenen. Unter dem Volk oder vielmehr unter den tapferen Soldaten Ihres Gemahls, des Kaisers, ist er unter dem Namen ›der Mohrendoktor‹ bekannt.«

»Mir ist, als hätte ich den Namen nennen hören. Doch fahren Sie fort!«

»Frühere Beziehungen, ich glaube aus den Kriegen der Christinos und Carlisten, verbanden den würdigen Arzt mit dem Dieb und Vagabunden, der Carmen Massaignac in jene Höhle des Lasters und Verbrechens gelockt hatte. Als sie von Aufregung und Furcht erkrankt war, hatte der Elende aus Mitleid oder noch immer seine Spekulation verfolgend, den Arzt herbeigerufen, der sich nicht scheute, an das Lager der Armen und Verworfenen zu treten, und der Einfluß, den er noch immer auf den alten Dieb übte, hatte diesem bald das Geheimnis der Täuschung und Entführung des unglücklichen Mädchens entlockt. Er hatte sie an einen ruhigeren und geeigneteren Ort bringen lassen und widmete ihr die aufopferndste Sorgfalt. Ihre Fieberreden in spanischer Sprache während der Tage der Krankheit hatten ihr sein besonderes Interesse gewonnen, und eine seltsame Verkettung der Umstände hatte ihn an jenem Ballabend sogar auf die Terrasse der Tuilerien und zu den Personen geführt, die Carmen dort vergeblich nach ihrer Flucht gesucht hatte.

»Doch das alles erfuhr sie erst nach mehreren Tagen als sie den freundlichen Arzt, den selbst ein schwerer Kummer zu bedrücken schien, auf sein Zureden ihr Herz geöffnet und ihr volles Vertäuen geschenkt hatte. Er traf sogleich Anstalten, den Kapitän Laforgne, auf den sie alle ihre Hoffnung gesetzt hatte, aufzusuchen. Doch der Offizier Garibaldis, der in jener Nacht durch ein Mißverständnis, oder, wahrscheinlicher, durch den Haß und die Eifersucht Don Alvaros mit seinem Diener verhaftet worden war, hatte zwar am andern Tage wieder entlassen werden müssen, da man ihm keine Schuld, weder an dem Scheingrund jener Verhaftung, dem Tode eines Adjutanten des Kaisers, noch an Carmens Verschwinden, nachweisen konnte, aber der Verdacht des getäuschten Verlobten und des habgierigen Bruders hatten mit Argusaugen jeden seiner Schritte bewacht, und er hatte zwei Tage nachher Paris verlassen und war zu seinem General nach Amerika zurückgekehrt, ohne von dem Schicksal des unglücklichen Mädchens Kunde erlangen zu können.«

»Aber warum kehrte die Unbesonnene nicht in den Kreis der Ihren zurück, als sie es vermochte?«

»Warum war sie geflohen? War nicht ihr einziger Zweck gewesen, den Fesseln einer verhaßten Verbindung zu entgehen und die Tyrannei eines entarteten Bruders zu täuschen? Sie war frei, sie hatte einen würdigen, treuen Freund gefunden, und als dieser, nachdem sie kaum genesen, eines Tages zu ihr kam und mit Bekümmernis ihr sagte, daß er plötzlich und gegen seinen Willen, wahrscheinlich durch den Einfluß eines mächtigen im Verborgenen wirkenden Feindes wieder zur Armee nach Algier auf eine der entferntesten Stationen zurückversetzt sei und ihr riet, auf alle Gefahr hin zu ihrer Familie zurückzukehren, da weigerte sie sich standhaft, dies zu thun, sie warf sich in seine Arme und flehte ihn an, sie mit sich zu nehmen und nicht zu verlassen, bis es ihr gelänge, unbehindert in ihre Heimat, nach Montevideo, zurückzukehren, und dort auf ihrem Erbe Sicherheit und Freiheit zu finden.«

»Welche Thorheit, welche romanhaften Ideen!«

»Ihro Majestät,« fuhr die Erzählerin fort, »kannten den Charakter des wilden eigensinnigen Mädchens und dies wird Ihnen ihr Thun erklären. Genug, der Doktor Achmet ließ sich von ihren Bitten bewegen, und da er Order erhalten hatte, sofort abzureisen, mußten alle Anstalten schleunig getroffen werden. Von ihrem Schmuck, den sie an jenem Ballabend getragen, hatte Carmen durch die Drohungen des Doktors nur ein Paar Ohrgehänge von den Dieben wieder erlangen können; denn der Mensch, der sie entführt, hatte, als er sah, daß er keinen Vorteil mehr aus dem Betrug ziehen konnte, seinen Dienst bei dem Grafen Guzman mit einem Diebstahl verlassen und war aus Paris geflüchtet. Der Verkauf der wenigen Juwelen aber reichte hin, denn ihr Beschützer selbst war arm, ihr die Mittel zu verschaffen, um ihn in Männerkleidung begleiten zu können. Sie ging ihm nach Marseille voraus, um keinen Verdacht zu erwecken, dort trafen sie wieder zusammen und haben sich seitdem nur einmal und zum Glück nur auf kurze Zeit getrennt.«

»Und wie geschah das?«

»Als die junge Abenteuerin,« sagte Sennora Rositta lächelnd, »vor Sebastopol in russische Gefangenschaft fiel.«

»Wie? so ist die wunderbare Erzählung, die man mir gemacht hat, wahr?«

»Es wäre für Carmen Massaignac schwer gewesen und hätte leicht auf ihren Wohlthäter ein falsches Licht werfen können, wenn sie jene Verkleidung beibehalten hätte. Deshalb beschlossen sie nach sorgfältiger Beratung, daß Carmen bei ihrer Ankunft in Algerien wieder die Kleidung ihres Geschlechts annehmen und von dem Arzt für die arme Waise eines Ansiedlers ausgegeben werden sollte, die er zu sich genommen. Der Doktor Achmet war in Algerien sehr bekannt, er hatte an zehn Jahre dort zugebracht und besaß das Vertrauen Jussufs und anderer Generale. Es wurde ihm leicht, auf der Station, die ihm angewiesen war, das Mädchen bei der wackeren Frau eines Sergeant-Majors unterzubringen und als das Regiment im Frühjahr 1854 nach der Krim beordert wurde, folgte Carmen ihrem Beschützer, den sie nicht verlassen wollte, als die Cantinière Marketenderin. eines Linien-Regiments in das Lager vor Sebastopol.«

»Unsinniges Kind!«

»Was wollen Ihro Majestät! Carmen Massaignac besaß alles, was sie wünschte; ein freies unabhängiges Leben unter braven Männern, die jeden Augenblick bereit gewesen wären, so gut wie auf Canroberts oder Bosquets Befehl für sie in den Tod zu gehen. In der Schlacht an der Tschernaja geriet Carmen in russische Gefangenschaft, und schon in der nächsten Nacht ließ sich ihr Freund, der bereits bei Inkerman durch seine aufopfernde Thätigkeit an den Verwundeten beider Parteien einmal in die Hände der Russen gefallen, aber von diesen ehrenvoll wieder frei gegeben war, zum zweitenmal und freiwillig gefangen nehmen, um seinen Schützling nicht zu verlassen. Durch einen russischen Oberoffizier, den er nach der Schlacht von Inkerman verbunden, gelang es dem Arzte, seinen Schützling wiederzufinden. Er erklärte sich bereit, da es in Sebastopol gleichfalls an Ärzten fehlte, getreu seinem erhabenen Beruf, in den Lazaretten und auf den Verbandstätten Dienste zu leisten, und Carmen begleitete ihn auf diesen blutigen und schrecklichen Wegen. O, gnädigste Frau, was ist aller Ruhm gegen das Elend und das Leid, das sie dort gesehen – unbeschreiblich, unfaßbar, zum Himmel schreiend über den Ehrgeiz der Mächtigen!«

»Sie vergessen, Kind,« sagte die hohe Dame ernst, »daß Sie zu der Kaiserin jener Nation sprechen, die stets bereit war, für den Ruhm das Leben zu opfern!«

»Hätten Ihro Majestät, wie ich, an hundert Sterbelagern gesehen, wie auch jene rohen Krieger wüster Steppen für den bloßen Gehorsam, für den ehernen Willen eines Herrschers litten und starben, den sie vielleicht nie in ihrem Leben gesehen, hätten Sie die zuckenden Glieder, von sprühenden Kugeln zerrissen, die entsetzlichen Leiden der Krankheit, die gebrochenen Augen mit der Frage gen Himmel: warum dies alles? geschaut, o, Madame, selbst auf dem Throne von Frankreich würden Sie anders über den Ruhm denken!«

Die Kaiserin schwieg, von den Worten tief ergriffen.

»Arme Carmen!« sagte sie endlich.

Die Kunstreiterin hatte den Kopf erhoben, die Thränen in ihren Augen verschwanden.

»Und dennoch,« sagte sie mit tiefer, begeisterter Stimme, »war es schön und Carmen Massaignac nicht umsonst die Tochter eines alten Soldaten. Sein Blut regte sich in ihr, wenn sie die Thaten voll Aufopferung und Heldenmut sah, mit denen diese Männer von Wall zu Wall, Schritt um Schritt den mächtigen Feinden jede Scholle Sebastopols streitig machten, selbst als die siegreiche Fahne Frankreichs schon auf den Trümmern des Malakof wehte. Mit den Fliehenden wurden der Arzt und sein Schützling über die zusammenbrechenden Brücken hinüber nach der Nordseite der Festung gerissen und hatten dort Gelegenheit, noch hundert Leidenden beizustehen. Unter ihrer treuen Pflege starb ein Stabsoffizier des General Gortschakof, der junge Fürst eines der georgischen Stämme am Kaukasus, und setzte die arme französische Cantinière sterbend zur Erbin seiner Habe, seiner Pferde, seiner Waffen und einiger Juwelen ein. So kam das Paar, nachdem der Friede geschlossen war, zuerst nach Moskau und dann nach Petersburg. Die Dienste des Doktor Achmet machten, daß man sie nicht als Gefangene behandelte und ihnen die Rückkehr nach Frankreich freistellte. Aber Carmen wollte nicht als Bettlerin dort erscheinen, sie durfte es überhaupt nicht eher, als bis sie ihre Freiheit geschützt und gesichert wußte, und deshalb mußte sie sich erst in der Ferne ein neues Leben gründen, wozu die wilde Erziehung ihrer Heimat ihr half. – Das gnädigste Frau, ist das Leben, ist das Schicksal Carmens von Massaignac.«

Die Kunstreiterin schwieg; die Kaiserin sah ihr voll Teilnahme lange und freundlich in das bittende Auge.

»Und Carmen Massaignac,« fragte sie endlich, »ist jetzt zurückgekehrt, um ihr Erbe zu fordern?«

»Sie wird es thun, sobald der Augenblick gekommen, auf die Gerechtigkeit des erhabenen Herrschers dieses Landes vertrauend. Sie wird es streng und unbeugsam thun, denn es ist das Vermächtnis ihres Vaters und soll nicht in der Hand des Mannes bleiben, den sie ihren Bruder nennen muß. Ihre Aufgabe ist eine ernstere, schlimmere, als die bloße Forderung ihres Erbes! Bis dahin muß die Maske, die sie trägt, sie schützen vor ihren Feinden; denn daß sie diese hat, das hat ihr der gestrige Tag bewiesen. Aber die Heiligen sind ihr gnädig, und indem sie einen neuen Freund gewonnen, hat sie gesehen, daß auch alte Liebe und früheres Wohlwollen ihr erhalten geblieben ist.«

»Stehen Sie auf, mein Kind,« sagte die Kaiserin, vor der sie das Knie gebeugt hatte, »die Kunstreiterin Rositta steht von dieser Stunde an ebenso wie Marquise Carmen von Massaignac unter dem Schutz der Kaiserin von Frankreich!«

Die Kunstreiterin erhob sich, in diesem Augenblick klopfte es zweimal leise an die Thür des Kabinetts.

»Das ist Ines, meine alte Kammerfrau. Komm' herein! was willst Du?«

Die spanische Kammerfrau der Kaiserin hatte auf das Zeichen der Erlaubnis sofort die Thür geöffnet und war eingetreten. Sie trug auf einem goldenen Teller einen zierlich zusammengefalteten Brief in Rosa-Couvert.

»Was hast Du da, Ines? war es so eilig?«

»Entschuldigen Ihro Majestät, es ist dieser Brief in einem Couvert an mich in die Antichambre gebracht worden, und das Couvert enthielt einen Zettel, daß die Inlage sofort an Ihro Majestät abgegeben werden sollte.«

»Gieb her! Einen Augenblick, Mademoiselle, ich habe Ihnen noch einige Worte zu sagen.«

Die hohe Frau hatte sich wieder in ihren Sessel zurückgelehnt und erbrach den Brief; ein zweites Blatt fiel heraus. Die Kaiserin warf anfangs einen gleichgültigen Blick auf die Zeilen, aber im nächsten Augenblick überflog eine dunkle Röte ihre Stirn und ihr schönes Gesicht.

Sie griff heftig nach dem zweiten Blatt und durchflog es, ihre Augen funkelten, während sie aufsprang.

»Wo ist der Kaiser, Ines?«

»Um Gotteswillen, Ihro Majestät, was ist geschehen? Was ist Ihnen?«

Sie stampfte mit dem niedlichen Fuß das Parkett. »Antworte! Ich befehle es Dir! Hat die Amme ihm seinen Sohn wie alle Abende zum Kuß gebracht, ehe er in sein Bett gelegt wurde?«

»Ich weiß nicht; ich glaube, nein! Thélin hat es untersagte – Se. Majestät sind beschäftigt und haben jede Störung verboten!«

»Gottes Blut! ich werde ihn stören!« Sie schritt hastig nach der Thür, die zu ihrem Schafzimmer führte, ihre kleine Hand preßte krampfhaft die Papiere zusammen, während sie dieselben in den Busen schob, ihre Blicke schienen Flammen zu sprühen.

An der Schwelle blieb sie stehen, sie schien sich zu erinnern, daß eine dritte Person der Scene beiwohnte.

»Führe diese Dame wieder zu ihrem Begleiter zurück. Leben Sie wohl, Mademoiselle – halt! Warten Sie!« Ihre Blicke flogen hastig umher und blieben durch eine Bewegung ihrer Hand auf dem blitzenden Strahl haften, mit dem ein Ring mit einem prächtigen Diamanten das Licht reflektierte. »Da, nehmen Sie, hier! Wenn Sie meine Hilfe brauchen, wenn Sie mich sprechen wollen, senden Sie diesen Ring an Ines und, so wahr ich Kaiserin von Frankreich bin! Eugenie Montijo wird Ihre Bitte erfüllen!«

Sie verschwand in der Thür ihres Schlafzimmers. Die Kammerfrau faßte die Hand der über den Auftritt Erschrockenen und zog sie hastig fort. »Kommen Sie, kommen Sie, Madame, der Herr Graf erwartet Sie!«

Rositta ließ sich fast willenlos fortziehen aus dem Arbeitszimmer der Kaiserin.

Einige Augenblicke blieb dieses leer, dann öffnete die spanische Kammerfrau wieder die Thür, schaute vorsichtig umher und trat hastig ein.

Die Thür des Schlafzimmers, durch die ihre Gebieterin sich so stürmisch entfernt hatte, war halb geöffnet, die Kammerfrau schlich vorsichtig durch diese in das Schlafzimmer, that einige Schritte vorwärts und blieb dann lauschend stehen.

Aus der linken Ecke des ziemlich großen, mit geblümtem Seidenzeug ausgeschlagenen Gemaches führte eine Wendeltreppe von vergoldetem Eisen nach dem ersten Stockwerk in die Gemächer des Kaisers.

Diese Treppe führte in ein kleines Ankleide-Kabinett.

Durch die offene Wölbung der Treppe schallte ein ziemlich heftiger Wortwechsel herunter.

Mit Heftigkeit sprach eine weibliche Stimme, die andere, die eines Mannes, sprach mit großer Zurückhaltung, mit Respekt, mit serviler Überredung.

Aber sie verweigerte offenbar etwas, das die andere Stimme verlangte.

Die spanische Kammerfrau schlich noch näher, sie stand beinahe am Fuß der Treppe und beugte horchend den Oberkörper vorwärts.

»Es ist der Kammerherr vom Dienst – Santissima Virgen! ich erkenne die Stimme!«

»Wollen Sie Platz machen an der Thür! im Augenblick – ich befehle es zum letztenmal!«

»Es ist unmöglich, der strengste Befehl – – –«

Ein eigentümlicher Ton scholl herunter, ein zweimaliges, doppeltes, rasches Klatschen.

Es war, als wenn eine kräftige Hand eine Wange berührt.

Die Kammerfrau schlug gleichfalls unwillkürlich die Hände zusammen.

»Santa Brigitta! ich glaube gar – – aber par Dios! sie ist eine echte Spanierin!«

Man hörte oben eine Thür heftig zuschlagen – das war der letzte Ton. – – – – – – – – – –


Als die Kunstreiterin Rositta die Antichambre erreichte, wo der Kammerherr Graf Montboisier auf sie wartete, fiel ihr Auge auf den Ring, den ihr die Kaiserin gegeben.

Es war der schwarze Diamant, derselbe, den der Mohr La Muerte Aniella Garibaldi aus dem Körper ihres Kindes gebracht, Villafranka. I. Band, Der schwarze Diamant. und den sie sterbend zu Rimini ihrem Gatten hinterlassen, der Stein, nach dessen Verkauf den Londoner Juwelier der Tod ereilt hatte – das Geschenk des Kaisers am Abend seiner Verlobung, Zehn Jahre. III. Band. Ein Ball in den Tuilerien. das Oberst Canrobert den Tod gebracht und das die Kaiserin seitdem als verhängnisvoll für ihr Glück, nie von ihrer Hand gelassen.

Nur der drängende Augenblick konnte sie veranlaßt haben, es Rositta als Pfand anzuvertrauen!


Es ist halb acht Uhr, zur selben Zeit etwa, als die Kaiserin von Frankreich die Audienz der Kunstreiterin Rositta so rasch beendete.

Wie führen den Leser aus den vergoldeten Gemächern der Tuilerien nach der Straße, deren Namen die Überschrift dieses Kapitels unseres Buches trägt, und die bald eine blutige Berühmtheit erreichen sollte.

Die Straße Lepelletier, nach dem berüchtigten Grafen von St. Fargeau also genannt, der als früherer Präsident des Parlaments in dem Konvent für die sofortige Hinrichtung Ludwig XVI. stimmte, und dafür am 20. Januar 1793 von einem treuen Gardisten erstochen wurde, läuft parallel der Straße Lafitte von dem Boulevard des Italiens nach der Rue des Provence. An ihrer rechten Seite vor der Rue Rossini befand sich das Gebäude der Oper.

Der Eingang für den Hof befand sich am Ende der großen Marquise, die das Parterre der Front nach der Rue Lepelletier zwischen den beiden vorspringenden Balkonbauten überdacht. Eine Estrade von breiten Marmorstufen läuft um die ganze Front und schützt das ins Theater strömende Publikum vor den anfahrenden Wagen.

Die mehr als gewöhnliche Erleuchtung des Opernhauses beim Eintritt des Abends verkündete dem Publikum, daß der Hof die Vorstellung besuchen werde. Zahlreiche Gruppen von Flaneurs und Schaulustigen hatte sich daher schon vor Beginn der Vorstellung in der Straße und vor der Oper versammelt und vergrößerten sich mit jedem Augenblick. Es handelte sich eben nur darum, den Hof ankommen zu sehen, denn Eintrittsbillets zu erhalten war unmöglich.

Unter dem sich versammelnden Publikum bemerkte man auffallender Weise viele Männer mit grünen wollenen Shawls um den Hals.

Ziemlich schrägüber dem Opernhaus, auf der andern Seite der Straße befand sich ein unbedeutendes Kaffeehaus, das zu jener Zeit die Schildinschrift trug: » Café français et Italien – à la Ville de Naples« und von einem Italiener gehalten wurde.

Das Café war von jeher von einem sehr gemischten Publikum besucht, Fremden und Parisern, das in die Oper gehend und von dorther kommend für seine Erfrischungen die billigen Preise dieser Restauration denen der großen Café des Boulevard vorzog.

Im Hintergrunde des Hausflurs, abgesondert von den gewöhnlichen öffentlichen Verkehrsräumen und durch einen eigenen Eingang nur von vertrautern Gästen benutzt, befand sich ein besonderes Zimmer.

In diesem Hinterzimmer waren vier Personen versammelt.

Sie saßen um einen Tisch, auf dem Wein und Gläser standen. Es waren Männer in verschiedenem Lebensalter, alle gut gekleidet, zwei davon, wenigstens einiger Eigentümlichkeiten der Toilette nach, Engländer.

Die Unterhaltung erfolgte teils in italienischer, teils in englischer Sprache.

Der eine der beiden Engländer war ein Mann von etwa 39 bis 40 Jahren und von mittlerer Größe. Seine Haare begannen grau zu werden, sein Blick hatte etwas Durchbohrendes, seine Nase war kurz und kräftig gebogen, sein Mund fein. Seine Haltung deutete auf Entschlossenheit und Energie.

Neben ihm saß ein Mann von ungefähr 25 Jahren mit dickem, energischem Kopf und starkem, schwarzem Haar. Seine Schultern waren sehr hoch, die Gesichtsfarbe war matt, der untere Teil des Gesichtes, noch mehr hervorgehoben durch Schnurr- und Knebelbart sehr hervortretend. Seine Redeweise in der Unterhaltung war auffallend kurz und barsch. Von seinen Gefährten wurde er wiederholt mit dem Namen Da Sylva angeredet.

Der dritte, dessen Kleidung sehr einfach war und noch mehr als die des zuerst Beschriebenen den Engländer affektierte, war offenbar der Unbedeutendste von allen: sein bartloses Gesicht war frisch und hatte einen ziemlich gutmütigen Ausdruck.

Von ganz anderem Schlage war offenbar der letzte der Gesellschaft, zugleich der älteste, denn Haare und Bart, den er ganz, obschon kurz abgeschnitten trug, waren bereits sehr grau, und er mußte mindestens fünfzig Jahre zählen. Sein Gesicht hatte einen überaus entschlossenen Ausdruck, und die Leidenschaftlichkeit, die seine Rede belebte, spiegelte sich in den leicht beweglichen Zügen. Man nannte ihn wiederholt Andrea.

Der junge Mann mit dem unbedeutenden Gesicht trocknete sich den Schweiß von der Stirn, der dort in großen Tropfen perlte, und stürzte mit einem Zuge das Glas, das vor ihm stand, hinunter.

» Cospetto! ich wünschte die Sache wäre vorbei. Es hat sich gestern gezeigt, daß wir kein Glück damit haben, und wir sollten sie lieber aufgeben oder verschieben, bis Bernard eintrifft.«

»Bernard ist in Paris, so gut wie der Prophet!«

»Wie, Signor Felicio, Sie haben ihn gesehen? Aber warum ist er denn nicht bei uns? Warum sollen wir allein …«

»Zuerst, mein lieber Swiney,« sagte der angebliche Engländer mit dem dunklen Haar und scharfen Blick, der soeben erklärt hatte, daß Bernard sich in Paris befinde, »zuerst richten Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, selbst wenn wir unter uns sind, sich nicht so häufig zu vergessen, und erinnern Sie sich, daß, was auch passieren möge, ich einzig und allein Master Alsop heiße. Was Monsieur Bernard betrifft, so können Sie versichert sein, daß er im rechten Augenblick zum Vorschein kommen wird.«

»Swiney hat ein Hasenherz,« meinte mit einem erzwungenen Lächeln da Silva.

»Den Henker auch! Wenn ich meinen Kopf riskieren soll, sehe ich nicht ein, warum andere den ihren aus der Schlinge ziehen wollen!«

Der Mann, der sich Andrea nannte, sah den Furchtsamen mit einen drohenden Blick an. »Schweig', Bursche,« sagte er heftig. »Meinst Du, daß der Dolch der Brüder des Todes Dir weniger sicher ist, als die Guillotine? ich schwöre Dir, daß unsere Brüder Dich finden würden, wenn Du im letzten Augenblicke zurücktreten wolltest, und wenn Du im innersten Zimmer und unter den Wachen des Tyrannen selbst wärest oder in der fernsten Einöde Amerikas! Du hast den Eid geleistet und mußt ihn halten.«

»Zum Henker, ich will es ja auch! Aber ich darf mich doch beklagen, daß der, der mich geworben, nicht selbst gegenwärtig ist. Ich bin Neapolitaner und glaube nun einmal an Vorbedeutungen. Oder nennen Sie es nicht eine solche, daß wir heute morgen, trotz aller Mühe, die Plätze in dem Theater nicht bekommen konnten, und dieser Schurke von Straßenfeger Sie und Signor Rud – da Sylva von dem Eingang fortgetrieben hat?«

»Was soll der unnütze Streit,« sagte mit strengem Ton der Mann, der sich Alsop nannte. »Wir sind nicht unter hundert Gefahren der Entdeckung hierher gekommen und allen Spionen der Polizei entgangen, um jetzt im Augenblick der Ausführung zu zögern. Ob in dem Opernsaal oder hier auf der Straße bleibt sich gleich – er ist verurteilt zu sterben, und er wird sterben.«

»Aber es kann das Leben vieler Unschuldigen kosten,« meinte da Sylva. »Bedenken Sie, wenn es uns gelungen wäre, die Bomben in die Logen zu schleudern, was sehr leicht geschehen konnte, so wäre der Zweck erreicht gewesen!«

»Junger Mann,« sagte der angebliche Engländer finster, »erinnern Sie sich, daß während Sie in dem Hotel de France und de Champagne sicher oder ruhig schliefen oder dieser Mensch da,« er wies aus den Neapolitaner, »in der Straße St. Honoré in dem Arm der Demoiselle Menager sich in Wollust berauschte, ich mit der Uhr und dem Thermometer in der Hand am Feuer stand, um das furchtbare Werkzeug der Rache einer ganzen Nation zu bereiten, jeden Augenblick gewärtig, daß eine Explosion mich und das ganze Haus in die Luft schleudern würde! Das Blut ist die wahre Taufe der Weltgeschichte, und wenn hundert Leben unter dem Eisenhagel unserer Geschosse verenden, wenn nur das eine Leben darunter ist, das der Freiheit Italiens im Wege steht, so werden sie alle den Märtyrertod für eine große Sache gestorben sein!«

»Wir haben es geschworen, und schon zu lange haben wir gezögert,« sprach heftig der Alte. »Jedes neue Opfer, das in Italien der Freiheit fällt, klagt uns der Schwäche und des Eidbruchs an! Er soll nicht lebendig die Schwelle des Theaters überschreiten! Wenn der Satan seinen Schützling beschirmt, wenn die Bomben ihn nicht in Stücke reißen, ihn und das Weib, das blinde Werkzeug der Priester, so müssen unsere Revolver und unsere Dolche das Werk vollenden. Es ist nur das Haupt der Natter, das wir zertreten, der Leib bleibt den anderen und der morgende Tag wird blutig genug werden, so daß man wahrlich nicht nach ein Paar Dutzend Opfern mehr oder weniger fragen darf!«

»Genug der Worte!« sagte der Engländer. »Wir müssen unsere Dispositionen in anderer Weise treffen, da unsere Verabredungen durch den Zufall vereitelt sind.«

»Wir sind bereit!«

»Der Tyrann trifft gewöhnlich nach acht Uhr ein. Der vorderste Wagen ist der des Gefolges, dann kommt die Eskorte.«

»Aber dann wird sie die Straße sperren, und wir werden keine Gelegenheit finden!«

»Nein, sie wird nur die Verwirrung vermehren. Wir müssen ein Mittel finden, die rasche Abfahrt des ersten Wagens zu verhindern, dadurch stockt der Zug, der Wagen des Tyrannen muß in der Mitte der Straße halten, und er ist in unseren Händen!«

»Und wie soll es geschehen?«

»Du, Swiney, stellst Dich dem Eingang gegenüber, mitten unter das Publikum, und sobald der Wagen hält, schleuderst Du Deine Bombe zwischen die Pferde des Wagens und die seiner feilen Söldner.«

Swiney nickte.

»Du, Antonio,« fuhr der Redner fort, »wirfst die zweite an den Wagen des Tyrannen, das andere ist unsere Sache.«

»Wo soll ich stehen?«

»Hinter dem Volk auf dem Trottoir, an meiner Seite. Sobald Du die Bombe geworfen, magst Du meinetwegen in den Flur des Hauses zurückspringen, damit Du durch die Stücke der meinen nicht verletzt wirst.«

»Es bleiben demnach noch drei?« meinte Swiney fragend, indem er auf ein Tuch deutete, das in einer Ecke des Zimmers einen Haufen von runden Gegenständen verdeckte.

Den Anführer – denn dies schien Alsop in der Gesellschaft zu sein, obschon ihm sein Gefährte Andrea nichts an Energie nachgab – stand auf und hob das Tuch vorsichtig in die Höhe.

»Nehmt,« sagte er, »denn es wird bald Zeit sein, und Brappi könnte herein kommen und etwas merken. Obschon er ein Italiener ist und zu den Flüchtlingen hält, ist er doch eine niedere Seele und man darf ihm dergleichen nicht vertrauen. Nehmt die beiden größeren, Antonio und Carlo; Andrea, hier ist Deine Waffe; dies sind die meinen.«

Er hob zwei Gegenstände auf und legte sie auf den Tisch.

Es waren anscheinend zwei etwa handlange runde Cylinder von entsprechender Dicke, in dunklen Stoff genäht.

Ein wahrhaft teuflischer Blitz zuckte aus den Augen Andreas, als er den ihm bestimmten Gegenstand gegen das Licht erhob und in der Hand wog.

»Sie haben gerade genug Gewicht, um den Wurf sicher zu machen. Taylor wird sich über sein Werk wundern können, wenn er von seiner Wirkung in den Zeitungen liest!«

Alsop sah starr auf die Bomben. »Was weiß Taylor davon? er war das bloße Instrument! Sein Eisen wäre in der That nichts denn das leere Metall, als welches es Georges und Zuguero so geschickt über die Grenze brachten, wenn der schwäbische Bauer Es ist in der That erwiesen, daß die Verschworenen schon im Jahre 1856 das Geheimnis der Erfindung dieser neuen Höllenmaschine von einem jungen Manne in Karlsruhe kauften. mir nicht seine Erfindung verkauft hätte, die bestimmt ist, uns von allen Feinden zu befreien.« Er lachte grell auf. »Blickt hin, wie sie sich plagen und Belohnungen und Orden verteilen, die Tyrannen der Völker, um für ihre Kartonen täglich neue Erfindungen zu schaffen, gegenseitig ihre feilen Söldnerheere zu vernichten, und hier liegt, von entschlossenen Männern gebraucht, was ihre Throne in die Wolken schleudern kann. Seid Ihr bereit, Brüder, und habt Ihr Eure Waffen?«

Die drei Verschworenen zeigten jeder einen Revolver, dann verbargen sie ihn wieder in der Tasche.

»Aber warum haben Sie uns die größeren Kugeln gegeben?« fragte Swiney.

»Du bist ein Tropf! Siehst Du nicht ein, daß sie eine ausgedehntere Wirkung machen müssen und leichter unter die Menge zu werfen sind, wo das Ziel gleichgültig ist?«

Der Neapolitaner schwieg.

In diesem Augenblick ließ sich an der Thür, die das Zimmer mit den vorderen Gemächern des Hauses verband, ein Ton wie ein leichtes Kratzen vernehmen.

Alsop und Andrea wechselten rasch einen Blick.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen,« sagte der erstere. »So laßt uns denn den letzten Trunk thun auf das Gelingen unserer That, von der noch die spätesten Enkel reden werden, wenn über unseren Gräbern die Sonne der ewigen Freiheit leuchtet! Schenk' die Gläser voll, Carlo von Rudio, als der jüngste in der Kohorte des Todes!«

Der Mann, den er angeredet, und den sie bisher da Sylva genannt, goß die Gläser voll, er war in diesem Augenblick bleich wie der Tod, seine Hand zitterte so stark, daß der Wein über den Tisch floß.

Alsop faßte die Hand über dem Gelenk und hielt sie wie mit einer eisernen Klammer fest.

»Du bist eine Memme, Carlo von Rudio,« sagte er streng. »Laß den Propheten eintreten, Andreas, damit er sieht, mit welchen Leuten wir den Ruhm teilen sollen!«

Der ältere Verschwörer ging an die innere Thür, schob den Riegel zurück und öffnete.

Sofort trat ein Mann von hoher Gestalt ein. Er trug einen alten Militärmantel, den Kragen in die Höhe geschlagen, so daß er mit dem tief in die Stirn gedrückten Kasket fast das ganze Gesicht verbarg, von dem außer der kräftigen langen Nase und den dunkel blitzenden Augen nur ein langer Schnauzbart sichtbar war.

Der Fremde hatte, auch dem geübten Auge eines Mouchards gegenüber, ganz das Äußere eines der zahlreichen alten Soldaten, die zum Teil als Kommissionäre und Eckensteher ihr Brot in den Straßen von Paris verdienen. Darauf deutete auch das Schild an seiner Mütze und der geflochtene Tragstrick, den er unter dem Mantel um die Schulter trug.

»Gottes Tod!« sagte der Mann, ohne weiteres an den Tisch tretend und mit einem scharfen Blick die Vier musternd, »ich glaubte schon, die Konferenz würde kein Ende nehmen. Es ist Zeit, Felicio, daß jeder auf seinem Posten ist.«

»Der Prophet!« murmelte Swiney und stellte sein Glas wieder auf den Tisch.

»Signor Präsidente,« sagte Alsop, »wir waren im Begriff aufzubrechen, als wir das Zeichen Deiner Nähe vernahmen. Ich bat Andrea, Dich eintreten zu lassen; denn es scheint, daß diese Feiglinge im Augenblicke der Gefahr zögern und sich fürchten, ihr Leben für die Freiheit einzusetzen!«

Der Fremde hatte den alten Mantel zurückgeworfen, er stand hoch aufgerichtet da. Es war eine hagere aber sehnige Gestalt, das Gesicht markiert, mit festem ruhigem Auge.

Wer bei dem Viscount von Heresford am Abend vorher gewesen wäre, als er in den Champs Elysees mit dem Cigarrenhändler sprach, würde eine auffallende Ähnlichkeit mit diesem in dem Eingetretenen gefunden haben.

»Urteile nicht zu rasch, Felicio,« sagte er ruhig in italienischer Sprache. »Es sind junge Männer, die noch nicht gelitten haben, was Dein Herz gestählt bat, ihr Fleisch zittert vielleicht noch; aber ich weiß, ihr Wille ist stark und ihr Entschluß unverändert.«

Er hatte sein Auge ruhig auf die beiden jüngeren Verschwörer gerichtet, die seinen Blick nicht ertragen konnten und den ihren zu Boden richteten.

» Anton Gomez,« fuhr er fort, »Du weißt, was Du freiwillig geschworen hast?«

Swiney stammelte ein »Ja!«

»Wenn es Dir leid ist, kannst Du noch in diesem Augenblick zurücktreten!«

»Nein, niemals,« sagte hastig der Neapolitaner. »Seit ich Sie in der Nähe weiß, bin ich ruhig und zu allem bereit. Befehlen Sie, was ich thun soll!«

»Nicht ich habe hier zu befehlen, sondern dieser Mann da,« er wies auf Alsop. »Aber es ist nicht genug, daß Du Deinen Eid durch Gehorsam lösen willst, Du mußt auch selbst bereit sein, Dein Leben für die heilige Sache der Freiheit zu opfern.«

»Ich bin's!«

»Bedenke, daß man Dich ergreifen, mit allen Leiden des Kerkers foltern, auf das Schafott bringen kann, um Dich zum Verrat zu zwingen!«

»Ich schwöre Ihnen, ich werde Sie niemals verraten! Sie sind der Prophet!«

Der Fremde nickte. »Und Du, Carlo von Rudio, dessen Väter im Senat Venedigs saßen, Sohn eines alten Geschlechts, ich entbinde Dich Deines Schwurs!«

Der junge Mann mit dem Stiergesicht wankte, als hätte er einen Schlag bekommen. Dann stürzte er plötzlich vor dem Fremden auf die Knie. Große Thränen rollten aus seinen Augen.

»Bei der Erde Italiens, Signor, thun Sie mir die Schmach nicht an! Nehmen Sie auf der Stelle mein Leben, aber vertrauen Sie mir. Ich will allein zu dem Wagen des Tyrannen gehen und ihn ermorden …«

»Unsinniger! wir sind keine Mörder, sondern die Rächer eines gebrochenen Eides, die Rächer eines blutenden Volkes. Schick' sie fort, Felicio, sie werden beide auf ihrem Posten sein!«

Das Haupt der Vier winkte seinen jüngeren Gefährten. »Wir müssen einzeln das Haus verlassen. Versteckt sorgfältig die Bomben und wartet links auf dem Trottoir in der Menge. Ihr kennt Eure Pflicht!«

Ohne ein Wort dagegen zu sagen, nahmen die beiden Verschwörer die furchtbaren Waffen und verbargen sie, der eine unter seinem Mantel, der andere unter seinem Rock.

»Deinen Segen, Prophet, wenn wir sterben sollten bei unserem Werk!« bat der Neapolitaner.

Sie beugten sich vor dem Fremden, dieser machte rasch das Bundeszeichen mit dem Daumen und Zeigefinger über ihre Stirn und Brust.

»Im Namen des freien Gottes und der Freiheit Italiens, geht!«

Sie verließen einer nach dem anderen ohne Geräusch das Zimmer durch den zweiten Ausgang.

Der Fremde setzte sich sogleich nach ihrer Entfernung nieder und wandte sich hastig zu den beiden Zurückgebliebenen.

»Jetzt zu Euch! denn die Augenblicke sind kostbar und der Verrat uns auf der Ferse. Glaubst Du, daß die Burschen ihre Schuldigkeit thun werden, Felicio?«

»Jetzt – ja! Sie würden selbst im schlimmsten Fall nur das verraten, was sie selbst angeht.«

»Wohlan denn! Es muß unter allen Umständen heute versucht werden. Beide Parteien lassen sich nicht mehr länger halten, alle Anstalten sind getroffen, die Führer bereit, obschon sie blind genug sind, um die Puppen in unserer Hand zu sein. Paris und Frankreich wird morgen abend weder der Dynastie Orleans, noch einem neuen Bonaparte gehören, sondern der Freiheit! Aber die Gefahr ist dringend, die Polizei ist auf Eurer Spur!«

» Diavolo! was sagst Du!« Alsop hatte unwillkürlich nach dem Griff seines Revolvers gefaßt.

»Beruhige Dich, diesmal gilt's nicht Dir, sondern dem da!« Er wies auf Andrea. »Ihr wißt bereits, daß seine Rückkehr schon seit vierzehn Tagen von dem Gesandten in Brüssel signalisiert war. Es war unvorsichtig von Euch, so offen auf Jersey und in Brüssel mit Personen zu verkehren, die von der Polizei beobachtet werden. Nur ein glücklicher Zufall ist's, daß Ihr die Granaten unbemerkt über die Grenze gebracht habt. Aber diesen Mittag ist ein neues Telegramm eingegangen, aus London selbst, das vor einem Attentat auf den Tyrannen warnt. Der alte Palm wird schwach und bekommt Gewissensbisse. Pietri ist zwar ein Maulwurf, wenn er noch vor zwei Stunden bei dem Diner im Hotel Lagrange sich rühmte, er müsse sich pensionieren lassen, weil sein Amt eine Sinekure geworden, aber nicht alle sind so blind wie er, und unter den Mouchards sind viele, die Dich kennen müssen, Andrea.«

Der Graubärtige beugte den Kopf. »Zum Teufel, das ist wahr! Aber was thun? Es werden gewiß genug Polizeileute unter den Gaffern vor dem Eingang sein, und wenn ich erkannt werden sollte, ist alles verloren!«

»Eben deshalb bin ich gekommen. Felicio und die beiden anderen sind unbekannt in Paris, Du aber darfst Dich in ihrer Nähe und auf dem Schauplatz der That nicht zeigen.«

Der finstere Italiener knurrte wie ein Bulldogg, dem die stärkere Hand einen Knochen entreißen will. »Aber ich habe es geschworen. Du weißt – damals in San Pietro di Montorio, als seine Bomben um uns krachten. Jetzt sollen ihm die meinen um die Ohren springen und sein falsches Herz zerreißen!«

»Es muß sein! Du weißt, daß ich die Macht habe, Dich zu entbinden. Aber Du sollst wahrlich nicht müßig sein. Halte Dich in der Straße Rossini, und wenn Du den ersten Schlag hörst, so schleudere Dein Geschoß auf irgend ein beliebiges Haus – die Explosion in einer anderen Straße wird die Verwirrung nur steigern und die Aufmerksamkeit teilen.«

»Das ist wahr. Aber das Gas, ich sollte die Hauptröhren sprengen!«

»Sei unbesorgt! die Anstalten sind getroffen, die Flammen werden sofort verlöschen. Eine Stunde später müßt Ihr hinter den Barrikaden sein.«

»So ist die Revolution sicher?«

»Der Ausbruch wartet nur auf das Signal. Die Ventas der Roten sind bereit, auch die Polen. Von der anderen Seite werden sich sofort die Orleanisten erheben. Sie sind gut genug, die Soldaten so lange zu beschäftigen, bis dieser Affe seines Onkels proklamiert ist, der sich einbildet, wir arbeiten für ihn. Ledru Rollin, Charras, Hugo können morgen mittag schon in Paris sein, obschon es hier nicht an Führern fehlt. In Madrid, Neapel, Mailand und der Romagna bricht zugleich die Revolution aus. Garibaldi hat uns seinen entschlossensten Offizier geschickt, und der Plan, den er entworfen, ist vortrefflich. Die drei Kohorten werden zu gleicher Zeit sich der Tuilerien, des Stadthauses und des Palais Royal bemächtigen, und wenn der Pöbel den neuen Präsidenten der Republik ausschreit, dürfen nur wenige Soldaten auf ihn schießen.«

»Wer ist der Offizier Garibaldis?«

»Kapitän Laforgne! Du mußt ihn von Rom her kennen!«

»Gewiß – aber eben deshalb,« sagte unzufrieden Alsop, »warum sind wir nie mit ihm in Berührung gebracht worden? warum erfahren wir überhaupt erst jetzt im letzten Augenblick der That die Details der Erhebung?«

»Weil die vollendete That sich nicht mehr ändern läßt. Die meisten dieser Leute aber, sowohl von den unseren, als von den Bourgeois, Laforgne an der Spitze, würden sich geweigert haben, wenn von einer That die Rede gewesen wäre, die sie Mord schelten, während sie nur Notwehr und Vergeltung ist. Wir hätten nicht den zehnten Teil dieser Unzufriedenen in der Armee für den Aufstand gewinnen können, wenn wir ihnen unser Geheimnis preisgegeben hätten. Sie glauben an einen offenen Kampf mit der Bedeckung des Tyrannen, darin mag er fallen oder gefangen werden, aber sie dürfen von diesen da nichts wissen. Ist es geschehen, werden die albernen Skrupel von selbst vorbei sein! Aber es ist Zeit – zum letztenmal: seid Ihr bereit, Brüder des Bundes?«

Die beiden Verschworenen hatten ihre Hüte genommen und die furchtbaren Waffen eingesteckt.

»Wir sind's! bis in den Tod! Es lebe Italien!«

»Dann vorwärts! Brüder, ich weihe Euch mit diesem Kuß dem Siege selbst im Tode. Auf Wiedersehen in der Ewigkeit, hier – oder dort!«

Er küßte beide feierlich auf die Stirn, einen Augenblick später hatten sie das Zimmer verlassen.

Der Zurückgebliebene schlug den Mantel wieder in die Höhe und wand einen grünen Shawl um den Kragen. Es war das Erkennungszeichen der Verschworenen. Nach einem sorgfältigen Blick umher, ob auch kein Gegenstand, der sie verraten konnte, zurückgeblieben war, verließ auch er das Zimmer.

Die Garçons und die Gäste des Cafés waren in diesem Augenblick viel zu beschäftigt, um sich um die Ab- und Zugehenden zu bekümmern. Alles stand an den Fenstern oder vor der Thür, um die Ankunft der kaiserlichen Equipage zu sehen. Das Haus war zahlreich bewohnt und der Verkehr der Fremden, namentlich der Italiener, war zu jener Zeit in dem Café nicht unbedeutend.

Als der Mann in dem alten Militärmantel und mit dem Schilde des Kommissionärs unbemerkt wieder auf die Straße gelangt war, blieb er einige Augenblicke stehen und sah sich aufmerksam um. Etwa zehn Schritte von sich zur Linken, hinter einer dichten Gruppe von Männern, Frauen und Kindern sah er den angeblichen Alsop stehen, neben ihm Rudio, etwas entfernter Gomez.

Die Beleuchtung des Opernhauses und der Straße war so glänzend, daß es fast tageshell und jedes Gesicht deutlich zu sehen war.

Der »Prophet«, wie sie ihn genannt hatten, ging hinter den Zuschauerhaufen entlang und berührte dabei die Hände zweier Männer, die unter den Gaffern standen, welche die Sergeants de Ville auf dem Trottoir zurückhielten, damit der Straßendamm frei blieb.

Die beiden Personen trugen, wie der Unbekannte, einen grünen Shawl und folgten ihm, ohne es auffällig zu machen.

An der Ecke blieb der Kommissarius stehen und lehnte sich an das Haus.

Die beiden Männer traten zu ihm, als wollten sie eine jener gewöhnlichen Unterhaltungen beginnen, welche die Pflastertreter aller großen Städte lieben.

» Ora!« sagte der eine.

» E sempre!« antwortete der Kommissionär. »Stellen Sie sich sofort in der Nähe der Separat-Anfahrt des Opernhauses auf, und wenn die erste kaiserliche Equipage anfährt, so verzögern Sie durch irgend ein Mittel um fünf Minuten die Weiterfahrt.«

»Es soll geschehen. Ist sonst noch etwas zu thun?«

»Aufmerksam auf alles. Zu welcher Venta?«

»Zur achten!«

»Gut! Wir treffen uns also um Mitternacht vor dem Hotel de Ville. Adieu!«

Er ging weiter und bog zur Rechten in die Straße Rossini ein. Hier begegnete ihm Andrea. Die beiden Männer tauschten nur einen Blick, und der Unbekannte ging weiter.

Er war eben bis an die Ecke der Straße Drouot gekommen und bog nach den Boulevards ein, als er plötzlich stehen blieb und einem Manne nachschaute, der auf der anderen Seite der Straße mit raschen Schritten an ihm vorüber gegangen war.

»Verdammt!« murmelte er, »das ist Hébert! Er hat eine der feinsten Nasen der Präfektur und muß Andrea kennen. Ich hoffe, daß der Bursche sich nicht unvorsichtig exponiert und ihm in den Weg kommt, aber ich muß zusehen, sonst ist alles verloren!«

Er drehte auf der Stelle um und ging dem Manne nach; aber an der Ecke der Straße Rossini versperrten ihm entgegenkommende Wagen den Übergang und hielten ihn ein paar Minuten auf.

Als er endlich die Straße passierte, sah er etwa fünfzig Schritt entfernt einen Menschenknäuel.

So große Selbstbeherrschung der Unbekannte auch bewahrte, so vieles Mißlingen ihn auch schon gestählt hatte, eine Totenblässe überzog sein Gesicht.

Er ging vorsichtig näher unter den sich sammelnden Menschen, denn in Paris wie anderwärts vereint das um bedeutendste Straßenereignis in frequenter Gegend sofort Hunderte.

»Was ist denn hier geschehen?« fragte er einen der Neugierigen.

»Ei, ich weiß nicht! Man wird einen Taschendieb verhaftet haben, deren sich immer eine Menge bei der Oper herumtreiben, oder es hat jemand ein Bein gebrochen. Sehen Sie – das erste ist richtig!«

Eben öffnete sich der Kreis, zwei Sergents de Ville führten Andrea, ihn an beiden Armen festhaltend, heraus. Der Polizeikommissar Hébert folgte ihnen.

»Führen Sie diesen Mann,« sagte derselbe laut, »sofort nach der Mairie des 9. Arondissements und untersuchen Sie ihn dort auf das genaueste. Geben Sie acht, er ist ein entschlossener und gefährlicher Mensch; obschon er sich Andreas nennt und im Hotel de France und de Champagne wohnen will, möchte ich meinen Kopf verwetten, daß es der Revolutionär Josef Pierri ist, der uns annonziert worden. Gebe Gott, daß sein Umherstreifen hier kein Unheil bedeutet. Ich will schnell nach der Thür der Oper eilen und alle Sicherheitsmaßregeln treffen, denn der Kaiser muß sogleich kommen!«

Er eilte in die Straße Lepelletier.

In dem Augenblick, als ihn die Sergeanten, zu denen sich rasch zwei Polizeidiener in Civil gesellten, fortführten oder vielmehr stießen, hob der Gefangene zum erstenmal das finstere Auge und ließ es über die Menge schweifen.

Sein Blick traf auf den Kommissionär, mit Gedankenschnelle machte dieser ein Zeichen mit dem Daumen und Zeigefinger über Mund und Brust und trat dann zurück in den Schatten.

Der Gefangene warf stolz den Kopf zurück, ließ seinen spöttischen Blick über die Menge gleiten, die zum Teil, durch die Worte des Polizeiagenten zur Neugier angereizt, diesem gefolgt war, und schritt vorwärts.

Er hatte noch keine zwanzig Schritte gethan, als sich plötzlich ein starker die Luft erschütternder Knall hören ließ.

Der Knall kam offenbar aus der Straße Lepelletier vom Opernhause her. Gleich darauf erscholl ein zeterndes Geschrei, dann ein zweiter und dritter Knall und ein furchtbares Geheul, als rängen hundert Menschen mit dem Tode.

Ein grimmiges, frohlockendes Lachen überflog die finstern Züge des Gefangenen; er versuchte mit plötzlichem Ruck sich aus den Händen seiner Wächter loszumachen, während Zetergeschrei und Geheul von der Straße Lepelletier herübertönte, aber obschon die Sergeanten von der Explosion verdutzt und erschrocken waren, gelang es ihm nur, die eine Hand frei zu bekommen, mit der er nach der Rocktasche fuhr. Aber schnell hatte einer der nebenstehenden Agenten sie gepackt und hielt sie fest.

»Zum Henker, Jerôme, ich glaube, Ihr habt dem Kerl Waffen gelassen! Sieh nach, was er in der Tasche da hat! Was mag da drüben geschehen sein, es ist ein Gejammer, als sei eine Höllenmaschine losgebrannt!«

»Einen Revolver haben wir ihm schon abgenommen, aber schau, was der Bursche hier noch hat; es fühlt sich an, wie eine Kanonenkugel – aber auf beiden Seiten spitzig. Ich glaube, es ist von Eisen, obschon es in Tuch genäht ist!«

»Werft's auf den Boden, dann werdet Ihr's sehen!« sagte der Italiener.

»Nichts da! Parbleu! Daß wir Narren wären! Schafft den Burschen fort zur Mairie, und wenn er nicht gehen will, braucht Gewalt. Ich muß wissen, was an der Oper los ist, der Lärm wird immer ärger!«

Andrea wurde fortgeschleppt, aus allen Seitenstraßen strömte das Publikum, entsetzt, fragend, schreiend, nach der Straße Lepelletier. Der Ruf: »Der Kaiser ist ermordet! Eine Höllenmaschine! Man steckt die Häuser in Brand!« erscholl aus tausend Kehlen und pflanzte sich bis auf die Boulevards fort.

Vor dem Eingang der Oper war unterdes etwas geschehen, was schon am nächsten Morgen durch den Telegraphen aller Welt bekannt ward und ganz Europa in Schrecken und Bewegung setzen sollte. – – – – – –


Noch immer rasselten Wagen heran, Phaetons, Tandems, Broughs, Fiaker, Equipagen; die Sergents de Ville hatten in der That Mühe, die Ordnung aufrecht zu erhalten, denn die zahlreichen anwesenden Agenten der Geheimpolizei kümmerten sich nicht um den untergeordneten Dienst der Straßenordnung, begnügten sich, das Publikum zu mustern und bildeten die vordersten Reihen desselben. Es ist einmal Mode in Paris, zu spät in die Theater zu kommen, um möglichst viel Aufsehen zu erregen.

Aus einem vorfahrenden viersitzigen Wagen stieg eine muntere Herrengesellschaft: Lord Heresford, sein Schatten in Paris: Kapitän Peard, und zwei andere Herren, von denen der eine der dicke Journalist Duplessis war, der damals bei dem Souper der Guerin die komische Figur spielte und, seitdem Chefredakteur, noch dicker und noch mehr Gourmand geworden war.

»Ich hoffe, Montboisier ist bereits im Orchester,« sagte der Lord. »Ich möchte in der That wissen, warum er uns mitten im Diner verließ.«

»Ich habe es Ihnen ja gesagt, Mylord, eine neue Liebschaft. Faronne, der Advokat von Maquet, erzählte mir, als er bei Véfour eintrat, daß er ihn eben mit einer verschleierten Dame in einem Wagen gesehen. Aber wollen wir nicht eintreten, der zweite Akt muß schon begonnen haben. Die Ristori spielt in der That nicht ganz schlecht in der Tragödie.«

»Meinen Sie? Ich will wünschen, daß die italienischen Tragödien immer Ihren Beifall finden mögen! Aber lassen Sie uns noch einige Augenblicke in der frischen Luft verweilen, der Latour des Herrn Véfour ist vortrefflich. Warum hat sich so viel Publikum hier versammelt?«

»Man erwartet den Kaiser,« sagte der vierte Herr.

»Und deswegen so viele Leute!« meinte der Kapitän. »Die Pariser sind neugierig für nichts. Ich werde mich auch im Schauspiel langweilen, es ist doch alles bloß Komödie!«

»Zum Henker!« meinte der Journalist, »wünschen Sie vielleicht, daß man Ihnen zum Dessert nach unserem Diner bei Véfour für Ihre acht Franken eine Maria Stuart in Wirklichkeit köpfen soll?«

»Warum nicht? in Dahomey hat man's umsonst gethan. Nun habe ich leider noch keine Gelegenheit gehabt, in Europa ein gekröntes Haupt sterben zu sehen. Ich wollte, ich hätte schon 1793 gelebt, da verlohnte es sich noch der Mühe, Beobachtungen zu machen. Nach dem fatalen Zufall von gestern wäre mir das Glück wirklich einen Ersatz schuldig. Goddam! was hatte dieser Dummkopf von Deutschen sich in den schönen Sturz der Miß Rositta zu mischen!«

»Die Journale sind heute voll des Lobes für die entschlossene Hilfe. Ich bedauere, daß ich nicht im Cirkus war,« sagte der Journalist. »Ich hoffe, der junge Mann hat keinen Schaden genommen?«

»Montboisier versprach bei ihm vorzufahren und ihn mit in den Cirkus zu bringen,« bemerkte der Lord. »Der junge Mann interessiert mich. Sehen Sie einmal, Stansfield, wie diese guten Pariser an Ordnung gewöhnt sind. Unsere Bursche würden sich vor Drury-Lane oder Conventgarden schwerlich so in Ordnung halten lassen!«

Das Bier brauende Parlamentsmitglied, denn die vierte Person der Gesellschaft war in der That der bekannte Beschützer Mazzinis, der vor einiger Zeit als Partisan und Kabinettsmitglied des alten Pam der Regierung Ihrer Majestät nicht geringe Kompromittierungen bereitet hat, machte eine sehr verächtliche Gebärde.

»Es sind lauter Mouchards, Mylord! Man hat mir gesagt, daß an solchen Abenden an hundert dieser Halunken die Wache in der Oper haben. Es ist eine Tyrannei sondergleichen für eine civilisierte Nation! Alle diese Kerle mit den grünen Shawls gehören zur geheimen Polizei.«

Der Lord sah ihn mit einem eigentümlichen Lächeln an. Sie sprachen ungestört, da der Journalist mit Kapitän Peard in einen Streit über die Vorzüge der Guillotine vor der englischen Hinrichtungsweise durch den Strang geraten war.

»Aber erlauben Sie mir die Bemerkung, Sir, Sie tragen ja selbst einen solchen Shawl!«

Das Parlamentsmitglied errötete einigermaßen. »O ich, Mylord, das ist etwas anderes. Niemand wird mich für einen Mouchard halten!«

»Das nicht – aber … die Wahl des Tuches ist jedenfalls nur zufällig!«

»Nicht so ganz, Mylord, nicht so ganz! Ein anonymes Billet, das ich diesen Morgen empfing, hat mich ersucht, heute und morgen einen solchen Shawl zu tragen.«

»Und Sie glaubten wahrscheinlich, daß es das Zeichen zu einem galanten Rendezvous sein sollte?«

»Oder zu einem politischen! Sie wissen, Mylord, man wendet sich häufig in geheimen Interessen an mich! Aber ich sehe, daß man sich einen schlechten Spaß mit mir gemacht hat, und ich will sogleich …«

Der Viscount legte die Hand auf seinen Arm, der sich schon nach dem Tuche erhob, um es abzunehmen und einzustecken.

»Nicht so hastig, werter Sir! Ich glaube, Sie irren sich in der Uniformierung der Myrmidonen des Herrn Pietri. Sehen Sie her!«

Er zog aus der Seitentasche seines Rockes ein grünes Tuch.

»Wie, Mylord, Sie auch?«

Der Viscount zuckte die Achseln. »Lieber Herr Stansfeld,« sagte er spöttisch lächelnd, »Sie sehen, daß Sie nicht allein Verbindungen haben, und nicht den Geheimnisvollen gegen mich zu spielen brauchen. Wenn mich nicht sehr alles trügt, wird es heute nacht oder morgen früh zu einigen Schlägen zwischen der Demokratie und den Soldaten des Herrn Bonaparte kommen, und da ich den Spaß gern in der Nähe ansehen möchte, habe ich in diese Tasche, wie Sie sehen, das diesmalige Erkennungszeichen Ihrer Freunde, und in die andere Tasche eine kaiserliche Kokarde gesteckt. Sie sehen, ich bin für beide Teile vorbereitet.«

»Aber Gott soll meine Augen verdammen, Mylord, ich weiß wahrhaftig von nichts! Man hätte mich doch unterrichten müssen! Für was bin ich denn eigentlich nach Paris gekommen?«

»Vielleicht, um zu bestätigen, daß Ihr Freund Alsop ein Kommissionär Ihres trefflichen Bierverlags ist! Sie müssen das schon mit Ihren Freunden abmachen, daß man gegen einen Mann von Ihrem Eifer und Ihrem Gewicht so hinterm Berge hält; aber ich kann Sie versichern, daß wenn Ihre lieben Freunde, die Herren Mazzini, Ledru Rollin und so weiter sich nicht etwas mit dem Barrikadenbau beeilen, sie Herr Pietri trotz seiner Schläfrigkeit vielleicht morgen schon beim Kragen nehmen wird, und wahrscheinlich auch Sie dazu, obschon Sie so vortreffliches Ale brauen!«

Der Dummkopf, der sich seit Jahren von den Mazzinisten brauchen ließ und sein Geld an sie wegwarf, konnte sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen, daß ein Hochtory mehr wissen sollte als er, aber er hatte keine Zeit, diesem Erstaunen weiter Ausdruck zu geben, denn von den Boulevards her kamen im gestreckten Galopp zwei Vorreiter in der kaiserlichen Livree gesprengt und hinter ihnen drein rasselten Wagen und der scharfe Trapp eines Kavalleriepiketts auf dem Steinpflaster.

In dem Wagen, der hinter den beiden Vorreitern kam und vor dem Separateingang des Opernhauses anhielt, saßen die beiden Palastdamen der Kaiserin, die sie bei dem Besuch der Oper begleiten sollten, und der dienstthuende Kammerherr. Die drei Personen stiegen eilig aus; als aber der Kutscher weiterfahren wollte, um der kaiserlichen Equipage Platz zu machen, wollte das Handpferd weder Zügel noch Peitsche gehorchen, schlug hinten aus gegen den Wagen und versuchte mit wütendem Schnauben über die Deichsel zu springen.

Wie sich später ergab, war in dem Gedränge, das sich vor den Pferden gebildet hatte, dem einen das brennende Ende einer Cigarre in die Nüstern geschoben worden.

Die zuspringenden Bedienten und einige Polizeiagenten suchten das Pferd zu beruhigen und dem Kutscher zu helfen, die Anfahrt frei zu machen.

Indes ward dadurch jener Aufenthalt veranlaßt, den der Unbekannte von den beiden Männern verlangt hatte. Hinter der Equipage der Hofdamen war in vollem Trab die Eskorte des kaiserlichen Wagens angekommen, ein ziemlich starkes Detachement der Munizipal-Gardisten, Garde-Lanziers unter der Führung eines Offiziers.

»Platz! Platz!«

Aber der erste Wagen konnte noch immer nicht von der Stelle gebracht werden.

Mehrere andere Polizeiagenten sprangen zu, aber die Eskorte mußte bereits halten und hinter ihr die kaiserliche Equipage, in der der Kaiser und die Kaiserin im Fond saßen, auf dem Rücksitz der General Roquet.

Endlich fuhr der erste Wagen weiter. Das Kommando des Offiziers erklang:

»Abgeschwenkt! – Links! – Rechts!«

Aber ehe die Pferde noch aus den durch den Aufenthalt dicht aneinander gedrängten Reihen in Gang gebracht werden konnten, flog aus dem Publikum ein dunkler Gegenstand zwischen das vorletzte Glied der Lanziers und fiel auf das Pflaster.

In demselben Augenblick erfolgte ein erschütternder Knall. Pferde und Reiter stürzten übereinander, ein lauter Aufschrei aus zwanzig Kehlen erscholl.

Ehe er noch die Luft durchzittert hatte, folgte ein zweiter noch stärkerer Knall, ein noch entsetzlicheres Wehgeheul. Das eine Pferd vor dem kaiserlichen Wagen sprang in die Höhe, das andere stürzte sogleich zu Boden, der Kutscher wurde von seinem Sitz geschleudert, alle Fensterscheiben am Opernhause und den Häusern gegenüber bis in das dritte Stockwerk klirrten auf das Pflaster, die Flammen der Gaslaternen am Opernhause verloschen mit einem Male. – –

In das gellende Hilfegeschrei, in den Ruf: Flieht! Flieht! Rettet den Kaiser! donnerte eine dritte Explosion. Während das zweite fürchterliche Geschoß gerade unter den Pferden des kaiserlichen Wagens explodiert hatte, war die dritte Bombe, von der sicheren Hand Alsops geschleudert, unter den Wagen selbst gefallen.

Ein furchtbares Jammergeschrei erfüllte die Luft, alles umher war einige Augenblicke fast finster, denn die Erschütterung der Luft hatte die meisten Gaslaternen an den Häusern ausgelöscht, während die an der Front des Opernhauses, wie sich später erwies, durch das Zudrehen eines Haupthahnes sämtlich erloschen waren. Eine unbeschreibliche Verwirrung herrschte in dieser Finsternis in der Straße, Blutende, Tote, schlagende Pferde, herbeistürzende Menschen im wilden Knäuel durcheinander.

Auf dem mit Blut und zuckenden Körpern bedeckten Trottoir stand ein Mann, das Blut rann in dunklem Strom von seiner eigenen Stirn, er hob die Hand, die Hand hielt einen dunklen Ballen.

In diesem Augenblick fiel der Lichtstrahl aus einer von einem entschlossenen Polizeiagenten aufs neue an der Häuserreihe entzündeten Gaslaterne durch die zerbrochenen Scheiben auf die Gruppe vor ihm – einen Mann, der eine blutende Frau vom Boden aufhob.

Der Schein der Gasflamme beleuchtete das offene Gesicht dieses Mannes, das Schrecken und Abscheu widerspiegelte.

Der andere auf der Trottoir trat einen Schritt zurück und ließ den Arm sinken.

»Er – beim Himmel! mein Retter von Mantua!« murmelte er. »Der Teufel selbst führte ihn gerade jetzt hierher! Und dennoch – –«

Er wollte den Arm wieder erheben, aber es war bereits zu spät.

Drei, vier neue Gasflammen leuchteten auf, die Polizeiagenten mit ihren Revolvern und Dolchen umringten den kaiserlichen Wagen, hundert Augen suchten zwischen der greulichen Mordscene.

Der Mann mit der verwundeten Frau stand bereits vor dem blutenden Verschwörer.

»Helfen Sie mir diese Dame in ein Haus bringen. Aber Sie bluten selbst! – wie? sehe ich recht? Signor Or…?«

»Still! Wollen Sie mich verderben! Helfen Sie mir selbst fort von hier aus dem Gedränge, ich bin verwundet!«

Der Deutsche, der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi, der auf das erhaltene Billet Otto von Röbels eben auf dem Wege war, ihn in der Oper aufzusuchen, als die furchtbare Blutscene sich ereignete und die Stücke der explodierenden Bomben seine Kleider zerreißend, um ihn her sprühten, hatte die verwundete Frau in die Arme herbeieilender Personen gelegt und faßte den falschen Alsop am Arm.

»Kommen Sie! stützen Sie sich auf mich! Geschwind, oder Sie sind verloren!«

Der blutende Verschwörer stützte sich schwer auf seine Schulter; er fühlte, daß er allein nicht von dieser Mordstätte flüchten könne.

Dennoch zögerte er einen Augenblick.

»Der Kaiser? Was ist mit dem Kaiser?«

»Die Mörder haben ihr Ziel verfehlt,« sagte der Deutsche streng. »Der Kaiser Louis Napoleon hat soeben mit der Kaiserin den Wagen verlassen. Kommen Sie!«

Er führte ihn die Häuser entlang nach der Rue Rossini hin, wo das Gedränge der herbeiströmenden Menschen weniger groß war, als von den Boulevards her.

Als sie in der nächsten Straße waren und nach der Rue Lafitte sich wendeten, blieb der Erzieher stehen.

»Mein Herr,« sagte er kurz, »sind Sie in der That der Flüchtling von Mantua?«

»Ja, Herr, Sie gaben mir damals das Leben und die Freiheit. Sie gehören Ihnen. Rufen Sie die Häscher, ich bin Ihr Gefangener!«

»Signor Orsini,« sagte der Deutsche kalt, »ich bin ein Kämpfer für die Freiheit wie Sie, und habe ihr mehr als das Blut geopfert, das von Ihrer Stirn fließt. Aber ich bin kein Meuchelmörder und will mit Meuchelmördern nichts weiter zu thun haben. Sie sind der ersten Gefahr entronnen; fliehen Sie, wenn Sie können, ich habe nichts mit Ihnen weiter zu schaffen – Gott wird über Sie richten!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ließ den Italiener auf der Straße stehen.

Dieser starrte ihm einige Augenblicke finster nach, dann suchte er seine Kräfte zu sammeln und seinen Weg fortzusetzen, nachdem er die Bombe und den Revolver, den er trug, in einen dunklen Winkel der Straße niedergelegt hatte.

Aber er konnte bald nicht weiter. In der Straße Lafitte schleppte er sich in die Apotheke Vautrin, wo er mit mehreren anderen flüchtig verbunden wurde. Als er heraus kam, sprach er den ersten ihm Begegnenden an:

»Wenn Sie ein Christ sind, Herr, so helfen Sie mir bis zum nächsten Fiaker; ich bin schwer verwundet, wie Sie sehen!«

Der Mann, auf den der Verschwörer gestoßen, war der Bürger Decoilly. Er bot mit der Gefälligkeit und dem Eifer, die den Franzosen auszeichnen, dem Schwankenden seine Unterstützung und geleitete ihn zu dem Fiakerstand an der Rue de Provence. – – – – – –


Der Schauplatz des abscheulichen Verbrechens bot ein erschütterndes Bild.

Mehr als hundertundfünfzig Personen – diese Zahl wurde später amtlich konstatiert – waren von den teuflischen Höllenmaschinen mehr oder weniger verwundet worden. Darunter allein elf Munizipalgardisten, zwölf Lanciers, drei Bediente des Kaisers, einige dreißig Polizeiagenten, neun Frauen und Mädchen. Die Verwundeten, die Weiber und Kinder wurden in der Dunkelheit von den erschreckten Flüchtenden unter die Füße getreten. Von den Stahlstücken der zweiten Granate waren beide Pferde vor dem kaiserlichen Wagen getroffen worden, das eine stürzte tot zu Boden, das andere mußte erstochen werden, mehrere Pferde der Eskorte wälzten sich in ihrem Blut; nach dem späteren Gutachten der Sachverständigen genügte jeder der Granaten, hundert Menschenleben zu vernichten, nur dem Umstand, daß die Mörder ihr Werk allzugut hatten verrichten wollen und daß sie die stählernen Bomben mit dem furchtbaren Explosionsstoff, dem Knallsilber, überladen hatten und so die Eisenhülle in zu kleine Splitter zerstoben war, ist es zuzuschreiben, daß nicht noch mehr Verwundungen tödlich wurden.

Dennoch – die wieder angezündeten Gasflammen und die herbeigeschafften Fackeln warfen jetzt ein helles Licht auf die Stätte der grausigen Metzelei – wälzten sich auf dem Pflaster auch viele nur leichter verwundete Personen mit wahnsinnigem Schmerzensruf und schrieen unter den Händen der Fortschaffenden: » Mais il y a poison! ah c'est du feu!«

Die Leiden der Verwundeten waren so entsetzlich, daß man glaubte, die Mordwaffen seien noch mit Gift getränkt gewesen.

Ein Soldat zählte siebenundzwanzig Wunden, ein anderer zwanzig.

Der Wagen des Kaisers war von 76 Bombensplittern getroffen und an einer Seite durchlöchert wie ein Sieb, die starken Kupferbeschläge waren zerfetzt, zerbrochen, die Fenster zersplittert.

Den General Roquet, der auf dem Rücksitz des Wagens saß, hatte ein Sprengstück am Nacken verwundet, zum Glück nicht gefährlich, ein anderes Eisenstück hatte den Hut des Kaisers durchlöchert und ihn heruntergeworfen, dennoch hatten die mörderischen Geschosse den Kaiser und die Kaiserin selbst gänzlich verschont, nur ein Glassplitter des Fensters hatte die Wange des Beherrschers von Frankreich blutig geritzt.

Während der ganzen Fahrt von den Tuilerien bis zur Oper hatte die Kaiserin nur wenig an der Unterhaltung der beiden Männer teilgenommen. Sie war verstimmt und unzufrieden, es schien, daß eine jener kleinen häuslichen Scenen, irgend ein Wortwechsel vorgefallen war, die in den Ehen der Throne ebenso gut spielen, wie in denen der Hütte.

In dem Augenblick aber, als der Knall der ersten Bombe die Luft erschütterte, warf sie sich mit dem Ruf: » Mon fils, mon pauvre fils!« vor den Kaiser und griff, die zum Schutz heranstürzenden Polizeiagenten für Verschwörer haltend, nach dem Revolver, der stets im Bereich seiner Hand in der Seitentasche des Wagens des Kaisers steckte.

Im nächsten Augenblick erfolgte die zweite und dritte Explosion; die mutige Frau, die Spanierin von blauem Blut, deckte mit ihrem Leib den Gatten gegen die sprühenden Eisenstücke.

Die Agenten der Polizei sprangen zu dem Wagen des Kaisers, ihren Mäcen zu schützen; die Hälfte von ihnen ward von den sprühenden Bomben Rudios und Orsinis zu Boden geworfen.

Die Übriggebliebenen rissen den Schlag auf.

»Um Himmels willen! sind Euer Majestät verwundet?«

Es erfolgte eine Pause, ehe die Antwort kam: »Nein, ich glaube nicht. Ces miserables m'ont manqués encore une fois! Lassen Sie den Wagen umkehren! Nach den Tuilerien!«

Die Kaiserin sprang entrüstet aus dem Wagen ohne irgend einen Beistand.

»Nimmermehr! Allons, Monsieur! Faisons nôtre métier et montons!«

Der Direktor der Oper war unterdes herbeigeeilt, er bot zitternd der Kaiserin den Arm. Sie lehnte sich darauf, um die Stufen der Ballustrade emporzusteigen.

Der Kaiser hatte sich unterdes von dem ersten augenblicklichen Schrecken erholt und war ausgestiegen, den General Roquet unterstützend. Er war jetzt ganz wieder der kalte, ruhig überlegende Diplomat.

»Sie haben Recht, Madame, wie immer! Wir werden dem Schauspiel beiwohnen. Mein Herr, führen Sie die Kaiserin in den Salon der Loge. Ich habe hier meine Pflicht zu erfüllen.«

Indem der Direktor der Oper die Kaiserin zu ihrer Loge begleitete, wandte sich der Kaiser sofort zu der schrecklichen Scene und befahl die möglichste Hilfeleistung für die Verwundeten.

In diesem Augenblick eilte der Graf von Goyon, General-Adjutant des Kaisers, herbei und zog ihn beiseite.

»Euer Majestät, ich fürchte das Schlimmste! Man hat den Marschall Magnan auf den Boulevards insultiert! Überall sammeln sich Menschenhaufen. Ich zweifle keinen Augenblick, man beabsichtigt eine Revolution!«

»Eine Revolte, wollten Sie sagen, Herr Graf,« antwortete ruhig der Kaiser. »Lassen Sie die Narren es probieren, wenn sie Lust haben, aber ich glaube es nicht. Eine Revolte hätte nur einen Sinn, wenn ihr Attentat gegen mich gelungen wäre. Helfen Sie mir, für diese armen Leute zu sorgen!«

Alles legte jetzt Hand an, um die jammernden und stöhnenden Verwundeten fortzubringen.

Dieselben wurden entweder nach den zunächst liegenden Häusern oder nach der Apotheke Gagnière geschafft. Ein zufällig in der Nachbarschaft anwesender Geistlicher leistete den auf den Trottoirs Sterbenden den letzten geistlichen Beistand.

Unter den Schwerverwundeten befanden sich der Gardist Batty und der Beamte Riquier, die schon am anderen Tage in dem Hotel Lariboissiere starben, wohin man sie gebracht. Der amerikanische Kaufmann Haas und fünf andere Männer starben mehrere Tage später an den erhaltenen Wunden.

Von allen Seiten eilte jetzt Beistand herbei. Der Kaiser wich fast eine halbe Stunde lang nicht vom Platze und leitete selbst die Anstalten zur Fortschaffung der Verwundeten. Erst dann begab er sich nach dem Salon der kaiserlichen Loge, wo die Kaiserin ihn erwartete.

Die Eskorte hielt noch immer auf der Straße und drängte jetzt nach beiden Seiten das herbeidrängende Publikum zurück, um das Fortschaffen der verwundeten Menschen und Pferde zu ermöglichen. Vierundzwanzig Pferde der Lanciers waren von dem Eisenhagel verwundet, drei auf der Stelle tot geblieben.

Der kommandierende Offizier wandte sich an seine Leute.

»Ist jemand noch verletzt?«

Eine gebrochene Stimme antwortete ihm.

»Ich, mein Offizier!«

Im nächsten Augenblick sank der Soldat vom Pferde in die Arme seiner Kameraden.

Wenige Minuten später war er verschieden. Der Tapfere hatte auf seinem Posten unter den Waffen den Todeskampf gekämpft!

Kapitän Peard hatte zu seiner großen Befriedigung das Glück, zu dieser Scene zurecht zu kommen, nachdem er in den Nachbarhäusern und in der Apotheke Gagnière den Leiden der Verwundeten bei ihrem ersten Verbande beigewohnt hatte, die fürchterlich waren, da die Verletzungen wie Gift brannten und einen dem Wahnsinn ähnlichen Zustand hervorriefen.

Der Lord, der Journalist und das Londoner Parlamentsmitglied hatten auf der Rampe des Opernhauses der schrecklichen Scene beigewohnt, glücklicherweise ohne schwer verletzt zu werden, da der Wagen des Kaisers und das Zuschauerspalier zwischen ihnen und den explodierenden Geschossen gestanden. Nur der Hut Master Stanfelds war von einem kleinen Eisenstück gleich dem des Kaisers getroffen worden.

» Goddam!« murrte der Bierbrauer, »die Schurken haben mir meinen Hut verdorben, den ich diesen Morgen erst gekauft habe!«

»Sie haben immer Glück, Sir,« antwortete der Lord. »Hier nehmen Sie den meinen, ich zahle noch zehn Pfund zu und werde ihn der Raritätensammlung auf meinem Landsitz in Schottland einverleiben zum Andenken daran, daß Herr Louis Napoleon ganz unverschämtes Glück hat. Wenn ich Ihnen raten darf, Sir, so kaufen Sie keinen neuen in Paris, sondern warten Sie damit bis London, wohin Sie morgen mit dem Frühzuge abreisen!«

»Wie, Mylord, Sie meinen doch nicht etwa –«

Der Viscount hatte das Parlamentsmitglied beiseite gezogen. »Ich meine,« sagte er trocken, »Monsieur Pietri wird morgen sich alle Mühe geben, die kleine Fahrlässigkeit von heute wieder gut zu machen, und die Polizei wird alle Hände voll zu thun haben mit einer recht hübschen Anzahl von Verhaftungen. Man wird es stark auf die grünen Shawls absehen!«

Das Parlamentsmitglied band den seinen eiligst ab.

»Aber Sie selbst, Mylord, haben ja …«

»Ich trage den meinen nur in der Tasche. Auch bin ich eine zu unbedeutende Person und von der lieben Pariser Polizei viel zu gut gekannt, um ihren Verdacht zu erregen. Es ist nicht wie bei Ihnen; man wird Sie offenbar mit den Barrikaden in Verbindung bringen, die Herr Mazzini, Ihr ganz spezieller Freund und Schützling bei einem besseren Ausgang des kleinen Feuerwerks bauen lassen wollte, und ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, daß in diesem Augenblick Lord Russel wegen des vortrefflichen Porters von Walsam Green eine Kriegserklärung an Frankreich machen wird. Die Krim hat uns in der That etwas an Kriegsruf und Soldaten geschwächt.«

»Aber ich versichere Sie auf Ehre, Mylord, ich weiß ja von nichts, man hat mir schändlicherweise gar nichts von einer Revolution gesagt!«

»Eben darum, mein Bester! Die hohe Polizei faßt gewöhnlich nur die Personen, welche nichts wissen! Doch, wie gesagt, das ist Ihre Sache, machen Sie das, wie Sie wollen!«

Er ging gleichgültig, als sei nichts vorgefallen, nach seiner Loge, wo er um so bequemer saß, als Master Stansfeld es in der That für nützlicher gefunden hatte, sich sogleich nach seinem Hotel zu begeben, von wo er am nächsten Tage mit dem Frühzuge abreiste, ohne etwas Näheres über die Revolution erfahren zu haben. Monsieur Duplessis war seinem Geschäft nach auf die Jagd nach Details über das famose Attentat gegangen, und Kapitän Peard konnte sich nicht eher von den Leidenden trennen, als bis die Ärzte ihn geradezu fortwiesen.

Das Publikum im Saale hatte zuerst geglaubt, es sei eine Gasexplosion erfolgt, aber bald hatte sich von Bank zu Bank, von Loge zu Loge die Nachricht von dem Geschehenen, durch das Gerücht noch vergrößert, verbreitet und einen so allgemeinen Aufstand hervorgerufen, daß die Vorstellung unterbrochen werden mußte. Alles wollte nach den Ausgängen, doch wurde von den dienstthuenden Inspektoren der Austritt nicht gestattet, um das Gedränge auf der Straße nicht unnütz zu vermehren. Man begann sich erst zu beruhigen, als der Ober-Regisseur auf der leeren Bühne erschien und verkündete, daß beide Majestäten unverletzt seien und auf den ausdrücklichen Befehl des Kaisers die Vorstellung ihren Fortgang haben solle.

Dennoch hat die Ristori wohl nie vor einem unaufmerksameren Publikum gespielt, und als endlich der Kaiser mit der Kaiserin am Arm in der Loge erschien und bis an die Brüstung vortrat, wurde das Spiel zum zweitenmal unterbrochen.

Ein ungeheurer Applaus, jener gewaltige Orkan, der bei politischen Anlässen aus der Menge bricht, gegenüber dem Windesrauschen des gewöhnlichen künstlichen Beifalls, erhob sich aus allen Rängen, die Damen wehten mit ihren Tüchern, die Männer erhoben ihre Hände gegen die Loge, und immer und immer wieder, während das kaiserliche Paar dankte, brach der gewaltige Zuruf aus und wollte bei dem so leicht erregbaren französischen Naturell fast kein Ende nehmen. Dreimal mußten der Kaiser und die Kaiserin aus dem Hintergrund der Loge, wohin sie sich wieder zurückgezogen hatten, zur Brüstung treten.

Erst allmählich beruhigte sich der Sturm und das gestörte Spiel konnte seinen Fortgang nehmen.

Kaum war der Vorhang wieder gefallen, als sich alles in die Korridore und in das Foyer drängte, selbst die Damen der vornehmsten Gesellschaft verließen ihre Logen und füllten den Saal.

Es gab diesmal natürlich nur einen Stoff der Unterhaltung: die wahrhaft wunderbare Rettung des Kaisers und die Mutmaßungen über die Urheber des schändlichen Attentats. Man hörte ganz offen den Namen Mazzini, mehrere anwesende Offiziere ergingen sich in lauten Drohungen gegen England, das den Revolutionären des Festlandes stets Schutz und Beistand gewähre. Von anderen, namentlich den enragierten Bonapartisten, wurde der Verdacht gegen die Orleanisten oder die Bourbons geschleudert. Viele bezeichneten die Verbannten der Julitage als die Anstifter.

Wo irgend jemand mit einer neuen Nachricht von dem Schauplatze des blutigen Ereignisses herbeikam, oder die Dreistigkeit hatte, eine Erfindung seiner Phantasie als Thatsache zu erzählen, sammelten sich rasch um ihn neugierige Kreise. Die tollsten Gerüchte begannen den Saal zu durchkreuzen.

Der Lord stand in einer Gruppe, der der dicke Journalist eben seine Neuigkeiten zum besten gab, als er Montboisiers ansichtig wurde, der eben in den Saal trat.

»Hierher, Oberst, und befreien Sie uns endlich von den Phantasiestücken des Herrn Duplessis. Der Spektateur wird morgen so viel Lügen bringen, daß ein nüchterner Mensch für ein ganzes Jahr sich den Magen daran verderben kann. Hat die Polizei des Herrn Pietri die Mörder erwischt?«

»Man glaubt, einen derselben zu haben,« berichtete der Kammerherr. »Ich war eben im Foyer der kaiserlichen Loge, als der Präsident selbst die Meldung brachte.«

» Goddam! wie sieht er aus? Hat er vielleicht Schwanz und Hörner, oder ist es ein tollgewordener Kosak, der sich für die Krim revanchieren will? Sie sehen ja, diese Herren sterben vor Neugier und Peard beneidet bereits Monsieur Samson, oder wie gegenwärtig Ihr Kopfabschneider heißt, um den Platz auf den Brettern.«

»Man hat in dem Kaffeehaus gegenüber der Oper einen jungen Menschen festgenommen, der sich auffallend ängstlich zeigte und nach seinem Herrn forschte. Er nennt sich Swiney.«

»Pah! das ist alles?«

»In einer Lade des Zimmers hat er einen Revolver zu verbergen gesucht. Man ist eben daran, seinem angeblichen Herrn in der Rue Montauban einen Besuch abzustatten.«

»Was ist der Bursche für ein Landsmann?«

»Ein Italiener. Das Wichtigere ist, daß ein Polizeikommissar fünf Minuten vorher, ehe die Bomben knallten, in der Rue Rossini einen höchst gefährlichen Verschwörer, einen der Trabanten Mazzinis und Garibaldis von 1849, verhaftet hat. Man hat bei ihm eine Art Höllenmaschine gefunden, wahrscheinlich von derselben Gattung, wie man sich deren bei dem Attentat bedient hat.«

»Sein Name?«

»Er giebt an, Andreas zu heißen, aber der Polizeikommissar Hébert, der gleich darauf vor der Oper verwundet wurde, behauptet auf das Bestimmteste, in ihm einen gewissen Pierri erkannt zu haben, der vor mehreren Jahren aus Paris ausgewiesen wurde, und dessen Ankunft der Gesandte in Brüssel vor kurzem signalisiert hat.«

»Ah – Major Pierri! Er hat sich in den Legationen bekannt genug gemacht, er ist ein Teufelskerl, der nichts scheut!«

»Der Henker hole seine Majorschaft! Der Kerl ist ein Meuchelmörder der schlimmsten Art, mehr als hundert unschuldige Menschen den Mordgeschossen zu überliefern!«

»Und wie hat Meister Louis die Explosion vertragen?«

»Der Kaiser scheint mehr ergriffen, als die Kaiserin. Wissen Sie, was sie in dem Salon zu ihm sagte, als das Publikum stürmisch ihre Gegenwart verlangte?«

»Nun?«

»Sie nahm seinen Arm. ›Kommen Sie, Sire‹ sagte sie, ›zeigen wir ihnen, daß wir mehr Mut haben, als sie!‹«

»Sie ist eine Spanierin!«

Der Oberst gab ihm einen Wink. »Treten wir einige Augenblicke zur Seite, Mylord!«

»Sehr gern, lieber Graf. Was zum Teufel haben Sie so Wichtiges?«

»Mylord,« sagte der Oberst ernst, indem er ihn in eine der Fensternischen führte, »heute war Herr Stansfeld in unserer Gesellschaft!«

»Gewiß! Sie saßen ihm ja gegenüber!«

»Es ist mir unangenehm genug. Master Stansfeld ist der vertraute Freund oder vielmehr Beschützer des Signor Mazzini!«

»Mein Gott, alle Welt weiß das! Sein vortreffliches Ale bringt ihm viel Geld, und er muß doch eine Verwendung dafür haben!«

»Es unterliegt bereits keinem Zweifel mehr, daß das infame Attentat von diesem Abend von den Mazzinisten ausgegangen ist. Man hat die sichere Nachricht, daß nach der Ermordung des Kaisers eine sozialistische oder orleanistische Revolte, vielleicht beides zu gleicher Zeit ausbrechen sollte und daß Mazzini selbst in Paris ist und den Mordanschlag geleitet hat!«

» Goddam! ich traue es ihm zu!«

»Wenn dem so ist, Mylord, dann könnte Herr Stansfeld in sehr unangenehme Verwickelungen geraten. Es sind Befehle zu zahlreichen Verhaftungen gegeben!«

»Bah! unser Bierbrauer ist kein Narr und wird hoffentlich im Hotel der englischen Gesandtschaft logieren, wenn er nicht schon unterwegs nach Havre oder Calais sein sollte, obgleich ich Sie versichern kann, daß er so unschuldig ist, wie der dümmste seiner Brauknechte!«

»Desto besser, Mylord! aber …«

Er zögerte sichtlich, weiter zu sprechen.

»Ah, Sie meinen mich selbst?«

»Wenn Sie es selbst aussprechen, nun ja, Mylord, etwas Vorsicht wäre gut. Man weiß, daß Sie ein Gegner des Kaisers sind!«

»Ah bah! ich denke nicht daran! Monsieur Louis Napoleon ist für mich eine Art Seiltänzer, oder wenn Sie wollen, eine Art van Aken, der mit Tigern und Hyänen experimentiert, und ich sehe einfach zu, wie lange ihm das glückt. Überdies war ich ihm noch eine kleine Revanche schuldig von den Dezembertagen her. Ich danke Ihnen bestens, lieber Graf, aber ich versichere Sie, Monsieur Louis ist viel zu klug, um mich zu belästigen und sich mit der englischen Nation zu verfeinden!«

»Sie vergessen Morny; er treibt den Kaiser!«

»Zum Teufel, was thue ich mit allen Bastarden der seligen Hortense, schönen Angedenkens! Herr Morny ist ein Spekulant, der gescheit genug ist, in seiner eigenen Familie zu suchen und befände sie sich auch am Nordpol. Seien Sie unbesorgt um mich! Aber sehen Sie, was geht da vor? Das ist ja wohl Ihr kleiner Preuße von gestern abend, den die Polizei da beim Wickel hat!«

Es hatte sich in der That am anderen Ende des Saales eine Scene ereignet, die allgemeines Aufsehen verursachte.

Am Arm ihres alten Freundes und Begleiters war Sennora Rositta in den Saal getreten, neben ihr, in intimem Gespräch, ging Otto von Röbel. Die Mordscene bildete natürlich auch unter ihnen, seit er sie in ihrer Loge aufgesucht, das Thema der Unterhaltung, aber doch hatte gar manches Wort eine weit höhere Bedeutung für das Paar.

Auf dem Wege durch den Saal trat ihnen ein Mann entgegen, es war der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi.

»Verzeihung, Madame,« sagte er höflich, »daß ich Ihre Unterhaltung unterbreche und die Gelegenheit benutze, mitten unter all den schrecklichen Eindrücken meinen Glückwunsch darzubringen, daß Sie gestern dasselbe Glück gehabt haben, wie heute Ihre kaiserliche Landsmännin. Aber dieser Herr hat gewünscht, mich zu sprechen, und ich stehe zu seinem Befehl!«

Der junge Edelmann war anfangs etwas verlegen, er wußte nicht gleich, wie er sich dem Jugendfreunde gegenüber, den er am Abend vorher so brüsk zurückgestoßen hatte, benehmen sollte. Aber bald siegte das ehrliche Rechtsgefühl in ihm. Er reichte dem Freunde die Hand.

»Ich glaube, Rudolf, ich bin gestern zu rasch gewesen mit meinem Urteil über Dich. Heute ist alles Licht und Glanz in mir trotz der schändlichen That, die uns erschreckt. Ich bedarf Deines Beistandes, wenn Du vergessen kannst, daß ich Dich gestern beleidigt.«

»Mein Herz schlägt unverändert für jeden, der den Namen Röbel trägt!«

»Gott sei Dank, wenn ich dies glauben darf. Aber erlauben Sie einen Augenblick, Sennora, ich habe sogleich wieder die Ehre, an Ihrer Seite zu sein!«

Er nahm den Arm des Informators und trat mit ihm zur Seite. Die Kunstreiterin, sofort von einer Menge ihrer Bewunderer aus dem Cirkus umringt, ließ sich auf dem nächsten Diwan nieder.

Der Mohrendoktor drückte ihren Arm. »Ruhe, Kind, und Kraft,« flüsterte er leise. »Blick' dort hinaus. Rechts!«

Sennora Rositta schauderte. Durch die mittlere Thür war soeben der Conde Guzman de Montijo an der Seite des Marquis von Massaignac eingetreten.

Der Preuße hatte den wiedergewonnenen Freund aus dem Gedränge der Herren und Damen geführt.

»Du warst gestern abend Zeuge einer Scene in den Elysäischen Feldern!«

»Leider! Ich hoffe, daß sie weiter keine schlimmen Folgen haben wird!«

»Ich werde mich morgen um 9 Uhr im Bois de Boulogne mit dem Grafen Montijo schießen.«

»Um Himmels willen! mit dem Verwandten der Kaiserin?«

»Mit demselben. Er ist derjenige, dessen Bosheit gestern jener Dame das Leben kosten konnte. Der Freund, den Du bei mir gesehen, ist abwesend, ich fürchte in politische Intriguen verwickelt, und ich kann daher nicht auf ihn rechnen, andere Bekannte konnte ich nicht treffen, deshalb wandte ich mich an Dich, den Landsmann und Freund meiner Jugend, mir den Dienst zu leisten und mein Sekundant zu sein.«

»Verlaß Dich darauf! Was habe ich zu thun?«

»Dort ist mein Gegner und sein Sekundant. Ich werde Dich dem Marquis von Massaignac vorstellen, das übrige ist Eure Sache.«

Er schritt durch die Gruppen mit dem Freunde auf den Senator zu, der bei seiner Annäherung sofort seinen Begleiter verließ und ihm höflich entgegen kam.

Aber ehe sich beide begegnet waren, veränderte sich plötzlich die Scene.

Der Spanier mußte schon beim Eintritt seinen Gegner von gestern und dem nächsten Morgen bemerkt haben, denn er gab einem Mann, der in seiner Nähe stand, heimlich einen Wink und deutete mit dem Auge auf den Preußen.

Eine Hand faßte den Arm Otto von Röbels. Als er sich umsah, stand ein Herr mit anfangs zugeknöpftem Paletot und finsterer entschlossener Miene vor ihm.

»Mein Herr,« sagte der Fremde, »ich bitte Sie, mir ohne Aufsehen aus dem Saale zu folgen. Ich habe mit Ihnen zu sprechen!«

»Mit mir? Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, und bin eben beschäftigt!«

»Ohne Umstände! Ich bin, wie Sie sehen, der Polizei-Kommissar der Oper, Dupret, und ersuche Sie, mir zu folgen!«

»Aber ich begreife nicht, ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen! Wenn Sie meine Legitimation verlangen …«

»Wenn Sie nicht augenblicklich folgen,« sagte der Beamte streng, »so werde ich Sie im Saale verhaften. Man macht mit Meuchelmördern und deren Genossen in Paris nicht viel Umstände!«

Der junge Edelmann wurde totenblaß. Er wollte aufbrausen, aber der Gedanke an François und sein geheimnisvolles Treiben schoß ihm durch den Kopf. »Sie irren sich wahrscheinlich in meiner Person, Herr,« sagte er gefaßt. »Graf Hatzfeldt, der Gesandte meines Königs, wird Rechenschaft für jede mir angethane Beleidigung fordern.«

»Das sind Redensarten und wird sich finden.«

Der Graf Montboisier war, wie wir bereits erwähnt haben, durch das laute Sprechen und das sich um die Streitenden sammelnde Publikum auf den Vorgang aufmerksam geworden und näher getreten.

»Sie scheinen in der That im Irrtum, mein Herr,« sagte in diesem Augenblick der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi, »ich kenne diesen Herrn und leiste für ihn Bürgschaft!«

»Sie werden vielleicht in der Lage sein, das für sich selbst thun zu müssen, da Sie sich in seiner Gesellschaft befinden,« bemerkte der Beamte streng. »Ich bitte Sie, mich nicht in die Lage zu versetzen, meine Leute rufen zu müssen!«

»Ei, Herr von Röbel,« sagte der Oberst, »was haben Sie, was giebt es?«

»Dieser Herr hat mir angekündigt, daß ich verhaftet sei!«

»Sie? Der Held von ganz Paris wegen Ihrer entschlossenen That von gestern! Was zum Teufel will man von Ihnen?«

»Ich weiß es nicht, oder vielmehr – –«

Sein Auge war in diesem Augenblick dem lauernden Blick des Grafen Montijo begegnet, der unter den Zuschauern der Scene stand.

Er war selbst zu ehrenhaft, um trotz des Verdachts, der ihm durch den Kopf schoß, die Wahrheit für möglich zu halten und anzudeuten.

»Mein Herr,« sagte der Graf zu dem Kommissar, »ich bin der Oberst Graf Montboisier, Kammerherr Sr. Majestät des Kaisers. Ich habe die Ehre, diesen Herrn, einen preußischen Edelmann, der sich hier auf der Durchreise aufhält, zu kennen und verbürge mich nötigenfalls für ihn.«

Der Beamte war bei der Nennung des Namens und Ranges dieses Bürgen weit höflicher geworden, aber er zuckte die Achseln und sagte mit Bestimmtheit: »Bei aller Achtung für Ihre Person, Herr Graf, bedauere ich, meiner Pflicht Folge leisten zu müssen. Die Verhaftung dieses Herrn geschieht auf speziellen Befehl des Herrn Polizei-Präfekten. Soviel ich weiß, hat man ihn gestern in der Gesellschaft von Personen gesehen, die der Teilnahme an dem Attentat verdächtig sind; ich zweifle keinen Augenblick, daß es ihm gelingen wird, die nötige Aufklärung zu geben, aber bis dahin muß ich den mir gewordenen Befehl erfüllen.«

Der Graf wandte sich an den jungen Mann. »Das ist eine sehr unangenehme Sache, Monsieur de Reuble,« sagte er höflich, »und ich bedauere, daß ich Ihnen die augenblickliche Unannehmlichkeit, diesen Herrn zu begleiten, nicht werde ersparen können. Aber es kann sich eben nur um eine Auskunft handeln. Ich bitte Sie, sich nötigenfalls auf mich zu berufen, wenn ich Ihnen dienen kann, mein Kammerdiener sagte mir, daß Sie heute zweimal während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung waren.«

Otto von Röbel verbeuge sich höflich. »Sie sind eben so gütig, als ehrenhaft, Herr Graf. Ich wollte Sie um eine Gefälligkeit ersuchen, indes hat sie dieser Herr, ein Landsmann, bereits übernommen, und ich hoffe,« fuhr er lauter fort, »morgen ohne weitere Verhinderung davon Gebrauch machen zu können. Beruhige meine Mutter und Schwester, Rudolf,« sagte er zu dem Freunde auf Deutsch, »und besorge alles Nötige. Sobald ich auf der Präfektur entlassen bin, suche ich Dich auf! Entschuldige mich bei der Sennora, ich bitte Dich! Mein Herr, ich bin bereit, Ihnen zu folgen!«

Der Beamte, dem selbst das Aufsehen lästig war, das die Scene gemacht hatte, beeilte sich, mit dem Preußen den Saal zu verlassen, verfuhr aber infolge der Einmischung des Obersten sonst mit der größten Höflichkeit gegen ihn. Das Signal zum Wiederbeginn der Vorstellung, das in diesem Augenblick in dem Foyer erklang, half die Neugier und Aufmerksamkeit des Publikums ablenken, und überdies begriff man, daß diese Detinierung auf die Polizei unter den Konsequenzen des furchtbaren Ereignisses wahrscheinlich nicht die einzige sei.

Otto von Röbel hatte es absichtlich vermieden, bei seiner unfreiwilligen Entfernung aus dem Saal noch einen Blick nach der Stelle zu werfen, wo er die Kunstreiterin mit dem Arzt zurückgelassen hatte; es war ihm widriger als alles andere, daß sie gerade Zeuge dieser Scene gewesen sein mußte. In der That war sie auch der Beachtung der Sennora nicht entgangen, und sie war um so erregter und besorgter, als ihrer verschärften Aufmerksamkeit, die der Mohrendoktor selbst auf den Grafen Montijo und seinen Begleiter gerichtet hatte, das Zeichen nicht verloren gegangen war, mit dem der erstere dem Polizei-Kommissar heimlich die Person des jungen Preußen gezeigt hatte.

Da ihr die Funktion des in Civil gekleideten Beamten unbekannt war, glaubte sie, daß die Bosheit des Spaniers ihren Lebensretter in irgend einen gefährlichen Streit verwickelt habe und beschwor eben auf das dringendste den Arzt, dem jungen Mann zur Seite zu stehen und ihm zu folgen, als der Sekretär der Fürstin zu ihr herantrat.

»Madame,« sagte er hastig, »ich habe den Auftrag von Herrn von Röbel, ihn bei Ihnen zu entschuldigen. Ein unangenehmer Vorfall hat ihn zu einer schleunigen Entfernung genötigt, ohne sich bei Ihnen beurlauben zu können!«

»Um Gotteswillen! reden Sie, mein Herr, was ist geschehen? Ich höre von einer Verhaftung sprechen, Sie ahnen nicht, wie wichtig es ist, daß ich die Wahrheit erfahre, Monsieur de Reuble hat mächtige Feinde hier!«

»Aber auch aufrichtige Freunde, wie ich sehe! Es ist allerdings richtig, Herr von Röbel ist, wahrscheinlich infolge irgend eines Mißverständnisses verhaftet worden, eine Unannehmlichkeit, die vielen Fremden passieren kann.«

»Nein – nein,« sagte die Reiterin heftig, »das ist es nicht. Er darf nicht aus den Augen gelassen werden, oder er ist verloren! Seine arme Mutter! seine Schwester – –«

»Ich werde sogleich in ihr Hotel gehen,« bemerkte der Sekretär, »um Frau von Röbel von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen und sie zu beruhigen!«

»Thun Sie das; sagen Sie ihnen, daß alles mögliche aufgeboten werden soll, um ihn zu befreien. Ich habe ein Mittel dazu in Händen. Heilige Jungfrau, ich verdiente nicht zu leben, wenn ich es zu einem anderen Zwecke benutzen wollte.«

Sie wendete sich zu ihrem Begleiter und redete eindringlich in spanischer Sprache mit ihm. Er schien anfangs etwas zu verweigern, endlich aber sich den Gründen, die sie angab, zu fügen.

Dann wandte sie sich wieder zu Meißner. »Sind Sie bekannt in Paris? Haben Sie Bekanntschaft auf der Polizei oder mit einflußreichen Personen?«

»Ich bin erst seit kurzem hier und ganz unbekannt!«

»Dann, Papa Achmet, mußt Du gehen. Du siehst es ein und darfst keinen Augenblick verlieren. Dieser Herr wird mich zu meiner Loge begleiten, und Du holst mich ab.«

Der Mohrendoktor zögerte noch, aber ein dringender, fast herrischer Wink der Dame entschied. Er entfernte sich eilig, um ihrem Verlangen gemäß Erkundigungen über die Haft des jungen Preußen einzuziehen.

Rudolf Meißner geleitete die schöne Fremde, dann beurlaubte er sich, um in das Hôtel d'Orient zu gehen und Frau von Röbel von dem unangenehmen Vorfall in Kenntnis zu setzen.


Der fünfte Akt der Tragödie hatte begonnen, als die Logenschließerin die Loge der Sennora öffnete und ihr ein flüchtig zusammengefaltetes Billet überreichte.

Die Kunstreiterin war allein, ihre Unruhe, ihre Besorgnis hatte ihr nicht erlaubt, das fade Geschwätz und die Schmeicheleien jener Gesellschaft länger mit anzuhören, die sich berechtigt glauben, jede Künstlerin umdrängen zu dürfen, und sie hatte diesen Schwarm entfernt, darunter den Fürsten Trubetzkoi. Für das Schauspiel oder die kaiserliche Loge, heute der Brennpunkt alles Interesses und aller Operngläser, hatte sie nicht die geringste Aufmerksamkeit, diese war vielmehr fortwährend der Thür ihrer eigenen Loge zugewendet geblieben, durch die sie jeden Augenblick ihren väterlichen Freund oder den Landsmann ihres Lebensretters eintreten zu sehen hoffte.

Sie griff daher hastig nach dem überbrachten Billet, denn sie vermutete mit Recht, daß es zu dem Gegenstand ihrer Besorgnis in Bezug stehe. Es war in französischer Sprache mit Bleistift von einer ihr unbekannten Männerhand geschrieben und lautete:

»Wenn Sie der Person, die Ihnen gestern das Leben gerettet, einen bedeutenden Dienst leisten wollen, so folgen Sie augenblicklich dem Überbringer, einem zuverlässigen Manne. Jede Zögerung macht die Sache unmöglich!«

Die Kunstreiterin, bei der raschen Entschlossenheit ihrer Sinnesart und der gewohnten Selbständigkeit ihres Handelns, zögerte keinen Augenblick. Sie zog ihren Shawl um sich und verließ die Loge.

Indem sie an der Thür derselben noch einen Blick auf den Saal warf, sah sie an der allgemeinen Bewegung, daß soeben das kaiserliche Paar sich zurückgezogen haben mußte. In dem Interesse dafür blieb natürlich auch das Verschwinden der Kunstreiterin in dem Orchester, dem Sammelpunkt der Lions, unbemerkt.

Die Sennora traf vor der Thür der Loge einen Mann in Civil.

»Sind Sie der Herr, der mir dies Billet überbracht hat?«

»Ja, Madame!« Der Fremde öffnete seinen Paletot, die Kunstreiterin sah, daß er darunter die Uniform eines Polizeibeamten trug.

»Woher kommt der Brief? Was ist geschehen? Was kann ich thun?« fragte sie hastig.

»Madame,« sagte der Beamte höflich aber bestimmt, »ich bin nur beauftragt. Ihnen diese Zeilen zu überreichen und Sie an den Ort zu geleiten, wo Sie den Schreiber derselben finden werden, von dem ich nur weiß, daß er ein Fremder ist. Mein Dienst verlangt meine schleunige Rückkehr, ich muß Sie also bitten, sich zu entschließen, ob Sie mich begleiten wollen oder nicht.«

Die Kunstreiterin zögerte nur einen Augenblick, dann war sie entschlossen.

»Meinen Mantel, Madame!«

Die Schließerin selbst half ihr denselben umlegen. Dann bot der Beamte ihr den Arm, sie nach dem Ausgang der Oper zu führen.

Das Gedränge an der Thür war groß, das kaiserliche Paar hatte soeben das Haus verlassen, die Straßen waren dicht gedrängt voll Menschen und fast tageshell, denn mit Ausnahme der Häuser an der Unglücksstätte selbst strahlten alle Fenster in hellem Kerzenschein; ganz Paris war illuminiert; wo die kaiserliche Equipage vorüber kam, donnerte der Jubelruf der Menschenmassen, denn das feige Attentat, welches das Leben so vieler Unschuldiger gefährdet und vernichtet hatte, rief selbst bei denen, welche keine Freunde des bonapartistischen Regiments waren, Entrüstung und Verdammung hervor.

Als der Beamte mit der Sennora im Ausgang der Oper erschien, gab er einem dort harrenden, wie ein Sergent de Ville gekleideten Mann einen Wink, und dieser rief sofort einen Wagen.

Erst als die Kunstreiterin eingestiegen war, und der Wagen eilig durch die Nebenstraßen hinrollte, wie ihr Führer ihr sagte, um das Gedränge auf den Boulevards zu vermeiden, bemerkte sie, daß es einer jener geschlossenen Coupés zu zwei Personen war, die in Paris fast in allen Straßen in besonderen offenen Remisen bei Tag und Nacht zum Dienst bereit stehen.

Die Vorhänge der Fenster waren geschlossen, und als die Sennora einen derselben nach einiger Zeit zurückschob, bemerkte sie, daß sie eben über die Pontneuf fuhren und sich in das Straßengewirr des Marais wendeten.

Wiederholt hatte sie ihren Begleiter gefragt, wohin er sie führen wolle, und wie sie dem Verhafteten helfen könne; der Beamte erklärte ihr, daß er nur im Auftrage eines Vorgesetzten handle, ohne Näheres zu wissen, und vermehrte dadurch ihre Besorgnis und zu gleicher Zeit ihre Entschlossenheit, dem Gefährdeten zu Hilfe zu kommen. Endlich bog der Wagen in einer ziemlich engen Straße in ein offenstehendes Thor ein und fuhr über das Pflaster eines Hofes.

Man schien ihre Ankunft erwartet zu haben, denn die Sennora hörte, wie sich gleich hinter ihnen das Thor schloß.

Nach einigen Augenblicken hielt der Wagen dicht vor einem großen dunklen Hause, der Beamte öffnete den Schlag und half der Dame aussteigen.

Sie befanden sich vor einer offenen Thür, alles umher war dunkel, nur eine düster brennende Lampe erhellte matt einen langen Korridor.

»Kommen Sie, Madame!«

Die Kunstreiterin schauderte; es war alles so kalt, so öde, eine unerklärliche Angst legte sich plötzlich wie ein drückender Alb auf ihr mutiges Herz.

»Wo sind wir? Wohin führen Sie mich?«

»Kommen Sie nur! wir sind zur Stelle, man erwartet Sie!«

Sie waren eine Strecke in dem Korridor hingegangen, dann öffnete er eine Thür.

»Treten Sie ein, Madame, ich werde sogleich die Personen von Ihrer Ankunft benachrichtigen.«

Die Kunstreiterin trat ein, sie war so aufgeregt, daß sie nicht bemerkte, wie sich hinter ihr die Thür schloß.

Das Zimmer war gewölbt, ebenso düster, wie der Korridor, von einer Ampel erleuchtet und in der Mitte durch ein eisernes Gitter geteilt.

Die Thür dieses Gitters stand offen.

Die Sennora Rositta hatte mit einem Blick alle diese Einzelheiten überflogen, das spärliche Möblement, das nur in einem Betpult und einigen Holzschemeln bestand, das Gitter, alles dies schien ihr so unbekannt, so klösterlich einfach – eine entsetzliche Ahnung überkam sie, sie drehte sich rasch um und wollte die Thür, durch die sie eingetreten war, wieder öffnen.

Es war vergeblich, die Thür war verschlossen.

»Warum wollen Sie sich entfernen, liebe Tochter?« fragte aus dem Hintergrunde des Zimmers eine weibliche Stimme. »Treten Sie näher, wir haben viel mit einander zu reden, und es wird gut sein, wenn Sie sich geduldig fügen! Danken Sie der heiligen Jungfrau, die Ihnen das Mittel gewährt, Ihr sündiges und schlimmes Leben abzulegen und Buße zu thun!«

Die Kunstreiterin starrte betroffen, verletzt auf die Erscheinung, die sich aus dem dunklen Hintergrund des Zimmers erhob, wo sie sie bisher nicht bemerkt hatte.

Es war eine große hagere Frau, mit strengen finsteren Zügen, in die einfache weiße Tracht der Camaldulenserinnen, des asketischen Ordens gekleidet, der in neuerer Zeit in vielen Orten unter anderen Namen wieder aufgetaucht ist und sich durch seine Strenge und seine Ränke bereits ebenso gefürchtet als verhaßt gemacht hat.

Das goldene Kreuz auf der Brust zeigte der Kunstreiterin, die ihre Jugenderziehung in einem Kloster erhalten hatte, daß die Frau Oberin war, und im raschen Gedankengang wurde ihr die Überzeugung, daß sie sich in einem Kloster oder einer jener klösterlichen Anstalten befinde, deren in Paris viele bestehen und die sich meist der inneren Aufsicht des Staates gänzlich zu entziehen wissen.

»Mein sündiges und schlimmes Leben? Was wollen Sie damit sagen? Wo ist Monsieur de Reuble, zu dem man mich führen wollte?«

»Was haben wir in diesen heiligen Mauern mit fremden Ketzern und Rebellen zu schaffen! Ich sehe, man hat mich recht berichtet, es war die höchste Zeit, Sie auf Ihrem Wege zum leiblichen und ewigen Verderben aufzuhalten. Aber ich werde den mir gewordenen Auftrag mit aller Strenge meines heiligen Amtes erfüllen, und es wird gut sein, wenn Sie sich sofort fügen und allen Gedanken an die sündigen Eitelkeiten der Welt und Ihren liederlichen Lebenswandel entsagen.«

»Madame, Sie sind unverschämt! Es scheint hier überhaupt ein Irrtum obzuwalten und ich ersuche Sie, diese Thür öffnen zu lassen, damit ich mich entfernen kann!«

»Verblendete, die Heiligen mögen Erbarmen haben mit Deiner Verstocktheit! Bist Du nicht die Person, die sich Rositta nennt und mit Springern und Gauklern ihr Wesen treibt?«

»In der That, Madame, mein Name ist Rositta! Man hat mich aus der großen Oper zu einem ganz anderen Zweck hierher geführt, und ich will mich entfernen.«

»Aus dem Pfuhl der Sünde hat man Dich zur heiligen Buße geholt! Die, welche Macht haben über Dich, haben Dich unserer armen Anstalt überwiesen, damit Du gebessert werdest und durch Reue einst vielleicht gewürdigt werden kannst, selbst unter die Gemeinschaft eintreten zu dürfen.«

Die Sennora wurden totenbleich, und ihre Hand zuckte nach dem Herzen, als hätte sie einen Stich empfangen. Im nächsten Augenblick aber hatte sie ihre volle Entschlossenheit wieder gesunden und trat mit blitzendem Auge einen Schritt auf die Klosterfrau zu.

»Also ein nichtswürdiger Verrat, der hinterlistige Versuch zu einer Beraubung meiner Freiheit? Hüten Sie sich, Madame, daß ich nicht die Gesetze dieses Landes gegen Ihr Thun in Anspruch nehme!«

»Ich werde verantworten, was ich thue,« sagte die Oberin kalt. »Sie sind minorenn, und der Beschluß Ihrer Familie hat Sie mir übergeben mit unbeschränkter Vollmacht!«

»Meiner Familie? Ich kenne keine und will keine kennen. Ich bin frei und selbständig! Zum letztenmal: wollen Sie mir sofort die Thür öffnen lassen, oder soll ich mir einen Ausgang erzwingen?«

Die Oberin klatschte zweimal in die Hände.

Sogleich öffnete sich eine Seitenthür und zwei große kräftige Frauenzimmer mit harten, männlichen Gesichtszügen traten ein.

»Führen Sie diese Person in ihre Zelle,« sagte die Nonne kalt, »nehmen Sie ihr diesen eitlen Putz, der ein Abscheu ist für ehrbare Augen, und legen Sie ihr Rock und Kapuze der Büßerinnen an. Wenn sie nicht folgen will, so brauchen Sie Gewalt und binden sie. Wenn Sie demütig geworden sind, wie sich ziemt, werden Sie mich wieder sehen. Einstweilen nehmen Sie dies!«

Sie reichte der Entsetzten ein Papier und verschwand durch das Gitter.

Rositta starrte angstvoll auf das Blatt in ihrer Hand. Es enthielt nur zwei Zeilen, aber als sie dieselben gelesen hatte, ließ sie es fallen und schaute wild um sich.

Die Worte lauteten:

»Ich übergebe hiermit dem Stift vom Blutenden Herzen meine entartete Schwester zur strengsten Zucht bis zur Ablegung ihres klösterlichen Gelübdes.«

Ein Name stand darunter, sie kannte ihn nur zu gut!

»Vatermörder! Schändlicher Vatermörder! Willst Du auch mich opfern! Aber nimmermehr soll es Dir gelingen! Ich kenne die Schlange, die ihr Gift gegen mich wendet! Aber Gott sei Dank, ich habe eine Beschützerin, an die Eure Bosheit nicht hinan reicht, und die heilige Jungfrau hat sie beschirmt vor Mörderhand, wie mich deren Gnade gerettet hat durch den teuren Freund!«

Sie wandte sich nochmals zur Thür, die beiden Weiber vertraten ihr den Weg.

»Na, machen Sie keine Dummheiten!« sagte die eine von robuster, voller Gestalt mit gemeinem Gesicht. »Hier geht's nicht heraus, sondern da! Sie haben gehört, was die hochwürdigste Frau befohlen hat, also fix!«

»Selig sind die Reumütigen,« setzte mit näselndem Ton die zweite hagere Person von noch abschreckenderer Häßlichkeit hinzu, »die lieben Heiligen haben Wohlgefallen an dem Lamm, das zur Herde zurückkehrt. Thue ab die schnöden Flitterblumen aus Deinem Haar; die Palmen, mit denen die himmlischen Jungfrauen uns schmücken, sind kostbarer als Perlen und Edelsteine!«

Ihre lange, knochige Hand streckte sich nach der dunklen, im Kelch mit einem blitzenden Diamant geschmückten Rose aus, welche die Reiterin im Haar trug, die Sennora bebte zurück.

»Rührt mich nicht an, Ihr Elenden, laßt mich los!«

»Ach was! zugefaßt, Schwester Benedikte! Wenn Du nicht hören willst, sollst Du fühlen!«

Die Megäre stürzte sich auf das entsetzte Mädchen, deren Hilferuf vergeblich an den dicken Mauern sich brach. Die magere Hexe hielt sie wie eine Spinne mit ihren Armen umschlungen, während die andere ihr das seidene Kleid vom Leibe riß.

Ein entsetzliches, widriges Ringen erfolgte, dann verstummte der Hilferuf zu einem leisen Stöhnen, wie wenn mit einem Knebel der Schrei unterdrückt wird.


Eine ungeheure Volksmenge wogte auf den Boulevards, durch die Straße Richelieu und die Rue St. Honoré, überall hörte man den Ruf: » Vive l'Empereur! Vive l'Imperatrice! – à bas les meurtriers! – à bas les républicains!«

Aus dem Boulevard du Poissonnière bog ein Mann, tief in den Mantel gehüllt, mit raschen Schritten in die Rue du Faubourg Montmartre, als eine Hand ihn am Mantel faßte und ihn in die Gasse der Cité Bergère zog.

Der Fremde, der diese Vorsicht gebraucht, war eine hohe stattliche Gestalt. Als sie an der Ecke der Rotonde standen, ließ er zuerst den Mantel fallen. Es war der Unbekannte, der am Abend vorher im Cirque Déjean den Kapitän Laforgne angesprochen und zu der geheimnisvollen Unterredung eingeladen hatte.

Der Mann, den er anhielt, war Kapitän Laforgne selbst. In der Miene der beiden Partisanen war Verdruß und Zweifel zu lesen.

»Unvorsichtiger!« sagte der Fremde zu dem jungen Offizier, »wie können Sie es wagen, in diesem Augenblick über den Boulevard zu gehen.«

» Caraï« entgegnete der Kapitän wild, »ich schere mich den Teufel um die Spione, wo alles verloren ist! Hol' Sie der Henker! Hätte ich gewußt, daß ich einem gemeinen Meuchelmord zur Folie dienen sollte, ich hätte Paris seit 24 Stunden im Rücken. Schämen Sie sich, Herr!«

Der Fremde richtete sich hoch und stolz auf. »Was fällt Ihnen ein, Herr Kapitän?«

» Pardioux! Man hat mich hierher kommandiert, um einen Kampf auf den Barrikaden gegen die Tyrannei zu leiten, aber statt des offenen Angriffs bedienen Sie sich des Meuchelmordes! Ich erkläre Ihnen, wie ich vor einer Viertelstunde Signor Mazzini rund heraus gesagt habe, daß ich damit nichts zu thun haben will und sofort Paris verlassen werde.«

»Kapitän Laforgne, ich ehre und achte Ihre Gesinnung,« sagte der Unbekannte stolz. »Kennen Sie mich?«

»Nein! Sie haben mir das Losungswort gesagt, das andere ist nicht meine Sache!«

»Nun wohl, ich schwöre Ihnen auf meine Ehre als Soldat, daß man mich so gut, wie Sie getäuscht hat. Man hat eine Revolution veranlassen wollen, indem man uns sorgfältig verheimlichte, durch welche verächtlichen Mittel man sie zustande bringen wollte. Sie sind ein Ehrenmann, es wird nur die Nennung meines Namens bedürfen, um Sie zu überzeugen, daß weder ich noch meine Partei etwas mit dem Mordanschlag zu thun haben!«

Er bog sich zu ihm nieder und flüsterte ihm einen Namen ins Ohr.

Der Abenteurer fuhr betroffen zurück. Wie eifrig er auch geholfen hatte, Throne zu stürzen, er hatte doch Herz genug, ein erhabenes Unglück zu ehren.

»Wie – der Tapfere von Constantine? Euer Königliche Hoheit …«

»Still, still, Kapitän, wenn Sie uns nicht beide nach Vincennes oder Ham bringen wollen. Es genügt, daß Sie nicht mehr glauben werden, ich hätte bei dieser Abscheulichkeit die Hand im Spiel. Ich sehe, daß unsere Partei gemißbraucht worden ist und nur hat dazu dienen sollen, die Verwirrung zu vermehren und die Kastanien für die Roten aus dem Feuer zu holen. Ich fange an zu glauben, daß der gegenwärtige Beherrscher von Frankreich ebenso viele Verräter um sich hat, wie die Orleans und vor ihnen die Bourbonen sie hatten. Leben Sie wohl, Herr Kapitän, und nehmen Sie den Rat an, Paris sobald wie möglich zu verlassen. Vielleicht treffen wir uns einst auf einem besseren Schlachtfeld, und es soll mich freuen, selbst den Gegner dann begrüßen zu können.«

Er reichte dem Partisan der Revolution die Hand und verschwand in der nächsten Straßenbiegung.

Kapitän Laforgne setzte eilig seinen Weg fort. Er fühlte, daß es galt, Paris so rasch wie möglich zu verlassen, und es kam jetzt nur darauf an, daß es ihm glückte, seine Frau, ohne Verdacht zu erregen, zu benachrichtigen und sie über ihr Verhalten zu instruieren.

In der Rue de Provence war ein Laden, auf dessen Inhaber er sich, wie er wußte, verlassen konnte.

Hier schrieb er ein kurzes Billett und ließ es durch den Vertrauten seiner Frau bringen, auf dessen unbedingten Gehorsam er sich verlassen konnte. Der Brief wurde richtig übergeben; er enthielt die Anweisung, sofort am anderen Tage nach der Schweiz abzureisen und ihn entweder an einer bestimmten Station diesseits der Grenze oder in Neufchâtel zu erwarten.

Es versteht sich, daß die kleine, von Angst und Besorgnis um den geliebten Gatten verzehrte Frau nichts Eiligeres zu thun hatte, als buchstäblich den Anweisungen ihres Mannes zu folgen. – – – – – – –


Es war am nächsten Vormittag gegen 10 Uhr. Die Familie Röbel war in der größten Besorgnis. Otto von Röbel war während der Nacht und auch am nächsten Morgen nicht zurückgekehrt.

Rudolf Meißner hatte sich am Abend vorher bald nach 11 Uhr in dem Hotel eingefunden und unter Übersendung seiner Karte Frau von Röbel um eine kurze Unterredung bitten lassen.

Im ersten Augenblick, da ihr Sohn und Tochter die Anwesenheit des früheren Freundes, den sie fast als einen ihrer eigenen Söhne zu betrachten gewohnt gewesen war, noch verschwiegen und sie ihn in der That unter der Menschenmasse des Cirkus nicht bemerkt hatte, war ihr bei der Trennung der beiden Liebenden der Besuch befremdend und peinlich. Die Nachricht von dem schrecklichen Ereignis vor der Oper war aber bereits auch zu ihr gelangt, und die beiden Frauen hatten sich umsomehr geängstigt, als sie wußten, daß Otto die Oper hatte besuchen wollen; die Angst der Mutter führte sogleich die Edelfrau dem Informator entgegen, indem sie sich nur Zeit nahm, der Tochter die Karte zuzuwerfen.

Die Peinlichkeit der ersten Augenblicke des Wiedersehens wurde durch die Umstände gemildert.

»Um Gotteswillen! Rudolf! Herr Meißner, Sie hier? Um diese Stunde, das bedeutet ein Unglück! Otto – er war in der Oper – der schreckliche Mord …«

Sie konnte nicht weiter, die Mutterangst raubte ihr die Sprache.

»Beruhigen Sie sich vor allem, gnädige Frau,« sagte der Bote, ihre Hand nehmend und sie zum Sofa geleitend, auf dem mit pochendem Herzen und fliegend wechselnder Farbe die Geliebte seiner Jugend mit der durch den Empfang des Billetts ihrer größten Sorge um den Gatten entledigten Freundin saß. »Otto lebt und ist unverletzt, er selbst sendet mich mit dieser Botschaft zu Ihnen.«

»Aber warum kommt er nicht selbst, er kann sich doch denken, welche Angst uns verzehren muß!«

»Ein unangenehmer Zufall verhindert ihn daran. Es sind von dem übertriebenen Eifer der Polizei eine Menge Personen verhaftet worden, die zufällige Zeugen des traurigen Ereignisses gewesen sind, und durch irgend ein Mißverständnis befindet sich Herr von Röbel darunter!«

»Heiliger Gott!« rief die Mutter, »Sie verschweigen mir die Wahrheit, Otto ist tot, ermordet, wie die anderen!«

»Auf meine Ehre! So wahr ich Sie, meine gütige Beschützerin, und jene dort« – er wandte zum erstenmal das ernste Auge auf Rosamunde, »nie aufgehört habe, im treuen Herzen zu verehren und zu lieben, Otto ist unverletzt, und es ist so, wie ich Ihnen sage. Ich würde es nicht gewagt haben. Sie zu täuschen.«

Und dennoch täuschte er sie, oder er verschwieg wenigstens die drohende Gefahr des nächsten Morgens.

Auf seine ernste Versicherung hin beruhigte sich Frau von Röbel. Wenn auch die Verhaftung ein unangenehmer Vorfall war, so wußte sie doch, daß sie nur wenige Stunden dauern konnte und das Mißverständnis, das sie annahm, sich am anderen Morgen lösen mußte. Ihre nächste Sorge war jetzt die Tochter und der Eindruck, den das unerwartete Wiedersehen des Geliebten, den die Strenge des Vaters von ihr getrennt hatte, auf diese machen mußte.

»Verzeihen Sie unserer Angst, Herr Meißner,« sagte sie freundlich, »wenn bei diesem plötzlichen Wiederfinden nach so langer Zeit unsere ersten Gefühle dem Sohn und Bruder gehörten und wir Sie nicht willkommen geheißen und das Interesse für Sie selbst gezeigt haben, das ein so alter Freund unserer Familie verdient. Reichen Sie Rosamunden die Hand und begrüßen Sie das arme Kind als die Schwester Ihrer Jugend.«

Der Informator nahm die Hand der Geliebten und küßte sie schweigend. Der leise Druck, den er empfand, sagte ihm mehr, als Worte es hätten thun können, daß die Gefühle ihres Herzens so unverändert geblieben waren, wie die seinen.

Die Frauen wollten nunmehr das Nähere wissen, sowohl über das blutige Ereignis in der Straße Lepelletier als über die Verhaftung des jungen Edelmannes. Meißner erzählte mit Vorsicht, aber die Fragen, die gethan wurden, seine eigenen Wahrnehmungen am Abend vorher, die Worte des verhaftenden Beamten und die ängstlichen Äußerungen der jungen Frau führten ihn bald auf die richtige Spur, daß der Begleiter seines jungen Freundes am Abend vorher, wenn auch nicht in den Mordanschlag verwickelt, so doch der Teilnahme an einer politischen Intrigue verdächtig war und der Umgang mit diesem die Gelegenheit zur Verhaftung Otto von Röbels gegeben hatte. Unter diesen Umständen hielt er es für das Beste, in dieser Beziehung die volle Wahrheit zu sagen.

Dies steigerte wieder die Besorgnis der Frauen, und sie fühlten, daß sie am besten thäten, dem so unerwartet gefundenen Freunde volles Vertrauen zu schenken. Frau von Röbel hatte zwar gewußt, daß der Kapitän der politischen Partei angehörte, die der ihres Gatten und Sohnes gegenüberstand, aber sie bekümmerte sich absichtlich zu wenig um Politik, sah in dem Offizier nur den bewährten Freund ihres Sohnes, und die beiden Freunde selbst hüteten sich zu sehr, in Gegenwart der Frauen politische Fragen zu verhandeln, als daß sie von den wirklichen Zwecken des Aufenthaltes des Kapitäns in Paris eine Ahnung gehabt hätte. Ebenso wenig wußte die eigene Frau davon. Die Angst, die Verwirrung bei allen war groß, als ihnen der Sekretär der Fürstin in seiner ruhigen klaren Weise bewies, daß der Kapitän offenbar stark kompromittiert sei, und wahrscheinlich bereits die Flucht ergriffen habe, was jedenfalls für alle das beste sei.

Es wurde auf seinen Rat beschlossen, daß die junge Frau nicht mehr nach ihrer Wohnung zurückkehren, sondern aus dem Hotel d'Orient sogleich am nächsten Morgen mit dem ersten Zug nach Straßburg abreisen sollte. Das Fräulein von Röbel konnte sie mit der nötigen Wäsche und Kleidern versehen, an Geld fehlte es ihr nicht, da der Kapitän, offenbar aus Vorsorge für einen solchen Fall, seine bedeutende Barschaft in Banknoten, 30 000 Franken, bei der Edeldame niedergelegt hatte. Die Haft Otto von Röbels konnte unter den obwaltenden Umständen von den Seinen fast für einen Glücksfall angesehen werden, da er dadurch verhindert wurde, sich mit der Sorge um den gefährdeten Freund zu kompromittieren, die er gewiß in jeder Weise zu bethätigen, für seine Pflicht gehalten haben würde.

Die Mitteilung, daß der Doktor Achmet, der Geleiter und Beschützer der Kunstreiterin, es übernommen hatte, ihrem Sohn zu folgen und für seine baldige Befreiung zu sorgen, beruhigte Frau von Röbel am meisten; denn der maurische Arzt hatte durch sein würdiges, verständiges Wesen bei dem Besuch am Morgen sich ihr besonderes Vertrauen erworben. Die Edeldame erklärte, im Fall, daß ihr Sohn nicht im Laufe des nächsten Vormittags in Freiheit gesetzt sei, sich an Graf Hatzfeld, den preußischen Gesandten, wenden und seinen Schutz in Anspruch nehmen zu wollen.

Es war Mitternacht vorüber, als der Informator die Frauen verließ, denen er kurz die Verhältnisse seiner Stellung und die Persönlichkeiten, unter denen er lebte, geschildert hatte. Er trug einen tiefen Schmerz mit sich hinweg. Das Wiedersehen des blassen leidenden Mädchens, dem seine erste Liebe gehört hatte und noch gehörte, das er unter dem Druck unglücklicher Verhältnisse, die er selbst nicht einmal abschütteln und verurteilen konnte, in treuer Gegenliebe zu ihm dahin welken sah, hatte alle Wunden der Seele wieder aufgerissen. Er begann zu fühlen, wie wenig das trotzige Festhalten an jenen politischen Utopien der demokratischen Freiheit, das ihn hinausgetrieben aus dem Vaterhaus in die Welt, ihn entschädigen konnte für zerstörtes Lebensglück! Tief und innig fühlte er die Milde und Freundlichkeit, mit der die edle, stille, nur ihrer Familie und dem engen Kreis ihrer Pflichten lebende Edelfrau ihm entgegen gekommen, er verglich unbewußt ihre mütterliche Sorge, ihr zartes Walten und klares Empfinden für Recht und Unrecht mit der inneren Zerrissenheit, dem Unglück und dem ewigen Kampfe der weit höher begabten Dame, der er diente, und er fühlte tief, wie groß der Unterschied war, und auf wessen Seite sich die Wagschale neigte. Und dieses Wohlwollen, die alte Liebe und Treue, die er so oft schon und so schmerzlich hatte verletzen müssen, sollte er vielleicht in wenig Stunden bereits einer neuen harten Prüfung unterwerfen; denn, wenn in dem bevorstehenden Duell den jungen Freund ein Unglück treffen sollte, würden ihm nicht Mutter und Schwester mit Recht die Verheimlichung der Gefahr, die Unterstützung des Beginnens zuschreiben?

Mit sich selbst uneins setzte er jetzt selbst seine Hoffnung für eine Verhinderung des Duells auf den Zwischenfall der Verhaftung und sann über ein Mittel, vielleicht für alle Teile eine Hilfe zu finden.

Als er das Hotel der Fürstin erreichte, hatte er seinen Entschluß gefaßt.

Tunsa, oder Feodora, wie sie selbst jetzt nur genannt sein wollte, war aufgeblieben, ihn zu erwarten. Die Nachricht von den Schreckensscenen hatte sie in die wildeste Besorgnis um ihn versetzt, und als er jetzt kalt und frostig ihr diese Sorge kaum dankte und hastig nach seinem Zimmer ging, brach sie in leidenschaftliche Schmähungen aus, nannte ihn einen Undankbaren und gebärdete sich wie ein verzogenes Kind, bis sie sich spät in Schlaf weinte.

Rudolf Meißner zog es vor, sich nicht erst niederzulegen, da er schon vor sieben Uhr im Hotel der Rue Saint Georges sein mußte, um die kleine Kapitänsfrau zum Bahnhof zu geleiten. Er brachte die Stunden der Nacht damit zu, mehrere Briefe zu schreiben und zu adressieren.

Um 6 Uhr verließ er das Hotel. – – – – –


Rosamunde hatte mit dem Geliebten die Freundin zu dem unfernen Bahnhof begleitet, die gütige Mutter hatte es selbst so angeordnet. Die Abreise erfolgte ohne Hindernis, aber schon wenige Stunden darauf eilte der Telegraph der ungefährlichen Reisenden voraus nach Straßburg und veranlaßte dort bei der Ankunft ihre Verhaftung. Die Zeitungen meldeten damals, daß eine Frau daselbst infolge des Attentats von der Polizei festgenommen und im Besitz von 30 000 Franken gefunden worden sei. Sie wurde allerdings, da Kapitän Laforgne bereits über Besançon die schweizerische Grenze glücklich erreicht hatte und der armen jungen Frau nichts weiter zur Last gelegt werden konnte, als daß sie die Gattin eines der revolutionären Agenten war, nach kurzer Haft wieder entlassen und traf mit dem Gatten in Bern zusammen.

Als das so lang getrennt gewesene Paar, Rudolf Meißner und Rosamunde von Röbel, allein in dem Wagen zu dem kleinen Hotel zurückkehrte, fand anfangs keines von beiden ein Wort, nur ihre Hände ruhten ineinander.

Endlich ermannte sich der Informator. »Es ist wahrscheinlich das letzte Mal, Rosamunde, meine Geliebte, nach dem Wort Ihrer Mutter, meine Schwester, daß wir uns allein sprechen. Ich glaube, daß Ihrer Familie das Verweilen in Paris durch die Vorgänge verleidet sein wird, und daß Sie bald nach unserer teuren Heimat zurückkehren werden. Unsere Wege begegnen sich vielleicht nie wieder im Leben; so lassen Sie uns denn, wenn Gott es will, scheiden für dieses mit der Gewißheit, daß unsere Herzen unverändert geblieben sind. Ich habe manchen Irrtum abgetan, Rosamunde, manche bittere Lehre aus dem Leben erhalten, und wenn ich auch kein Abtrünniger von jenen Gefühlen und Träumen meiner Jugend sein kann, so habe ich doch begriffen, daß sie der Wirklichkeit gegenüber eben nur Träume sind, die uns als Ideal vorschweben dürfen, um geistig nach dieser Freiheit zu streben, während ihr Beiwerk so voll Blut und Schmutz ist, so voll Egoismus und Verbrechen, daß selbst das Prinzip davon beschmutzt wird!«

»Armer Freund!«

»Wenn jene Lehrer der Jugend, ich möchte lieber sagen, jene Verführer der Jugend wüßten, welches heillose Samenkorn sie mit Lehre und Beispiel oft in die empfänglichen Herzen werfen, indem sie mit den glänzenden Theorieen und Idealen nicht auch zugleich die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft, die Festhaltung des Geheiligten und Reellen lehren, und jene so für das wirkliche Leben tüchtig machen, statt sie Phantomen nachjagen zu lassen, sie würden behutsamer sein und nicht mutwillig die heiligen Bande sprengen helfen, die an Zucht und Ordnung, an Treue und Liebe fesseln sollen. Doch was langweile ich Sie mit all den Klagen, die dem Munde nur überströmen, weil die Brust sie so lange verschließen mußte. Auch zwischen uns hat der politische Zwist seine Scheidewände gebaut, aber Sie wenigstens, Rosamunde, dürfen nicht untergehen daran. Nehmen Sie das Wort zurück, das Sie mir verpfändeten, damals, als ich im Park Ihres Gutes Ihnen meine Liebe zu gestehen wagte, und wiederum an jenem blutigen Tage im Garten der Villa Bethmann zu Frankfurt, als ich die Freundeshand von mir stoßen mußte, die Ihr Vater mir bot für den Abfall von meiner Überzeugung. Nehmen Sie es zurück, verschönern Sie die letzten Lebenstage Ihres würdigen Vaters durch den Gehorsam der einzigen Tochter, und werden Sie eine liebende Gattin und die Mutter eines blühenden Geschlechts, das einen besseren Mann seinen Vater nennt, als den unglücklichen Freund Ihrer Jugend.«

»Niemals! niemals! Rudolf, ich bin eine gehorsame Tochter, ich habe Dir entsagt! Mehr verlangt selbst der starre Wille meines Vaters nicht, und Gott hat Mitleid mit einem gebrochenen Herzen. »Hier,« sie legte die Hand auf die Brust, »ich fühle es tief, wird bald alles ruhig und friedlich sein, nur in einer andern Weise!«

Ihr Haupt war an seine Brust gelehnt, seine Lippe trank den Duft ihres schönen blonden Haares.

»Rosamunde!«

»Meine Kraft ist zu Ende,« sagte sie leise schluchzend, »ich fühle es, daß es für mich nur ein Glück giebt: das Grab! dann, Rudolf, bist Du frei, der kräftige, starke Mann, nicht gebunden mehr durch Deine Liebe zu einem thörichten verkümmerten Mädchen, und kannst nach dem stolzesten Ziel streben und es erreichen. Nur eines bitte ich Dich, halte mein Gedächtnis wert und bleibe der treue Freund des Bruders derer, für die das Grab nur der Grenzstein des Lebens aber nicht ihrer Liebe ist!«

»Unglückliche! Du weißt nicht, was Du sprichst. Nicht Du darfst das Opfer sein, dies Recht ist mein, und ich denke Dir meine Liebe in Deinem Bruder zu beweisen.«

Der Wagen hielt, er öffnete den Schlag und hob das bleiche Mädchen heraus, das über die thränenfeuchten Augen den Schleier herabgezogen hatte.

Oben in der Wohnung der Edelfrau hörte er, daß noch keine Nachricht von Otto eingegangen. Die besorgte Mutter bat ihn, nach der Polizei-Präfektur zu gehen und dort Nachfrage zu halten, denn Madame Maher, die Dame des Hauses, war bereits gegen die Gewohnheit der Pariserinnen, die vor 11 Uhr selten sichtbar werden, herauf gekommen und hatte hundert Gerüchte erzählt, die aus dem Barbierladen gradeüber von der Entdeckung einer großen Verschwörung und der Verhaftung mehrerer tausend Mörder und Attentäter herüber gekommen waren.

Der Informator versprach, was man von ihm verlangte, und sobald wie möglich wieder zu kommen. Dann nahm er Abschied von den beiden Frauen, und nur der eigenen Sorge der Mutter und dem aufgeregten Gefühl des Mädchens konnte es entgehen, daß dieser Abschied von seiner Seite ein bewegterer war, als die kurze Frist des Scheidens rechtfertigte.

Rudolf Meißner ging, als er das Hotel d'Orient verlassen, nach dem Fiakerstand in der Rue de Provence und winkte dem nächsten Kutscher.

Er sah nach der Uhr, es war acht.

»Rue St. Dominique,« befahl er, »Hotel Massaignac!«

Unterwegs, bei Devisme, hielt er an und kaufte ein Paar einfache, aber gute Pistolen. – – – – –


Es war 12 Uhr, die beiden Frauen hatten noch nichts von dem Sohn und Bruder gehört; auch der Freund, auf dessen Nachricht sie mit Bestimmtheit gerechnet, war seltsamerweise nicht wiedergekehrt.

Dagegen hatte ein anderes Ereignis, eine andere Kunde ihre Besorgnis vermehrt. Doktor Achmet, der Begleiter der Kunstreiterin Rositta, war schon zweimal im Hotel gewesen, in der größten Angst und Aufregung, um nachzufragen, ob sie nichts von der Dame wüßten.

Die Kunstreiterin war seit dem Abend vorher spurlos verschwunden.

So sehr sie auch die näher liegende Besorgnis in Anspruch nahm und so flüchtig ihre Bekanntschaft mit dem fremden Mädchen auch war, so konnten sie doch dem Schmerz, der Angst des älteren Mannes ihre innige Teilnahme nicht versagen, und diese mußte sich umsomehr steigern, als sie von ihm hörten, daß die seltsame, spurlose Entfernung der Sennora in Zusammenhang mit der Verhaftung des jungen Edelmannes stand, durch die wenigstens der Doktor veranlaßt worden war, seinen Schützling zu verlassen.

Es war ihm auf der Polizei-Präfektur trotz der dort wegen des Attentats und der Verfolgung der Mörder herrschenden Verwirrung gelungen, zu erfahren, daß Otto von Röbel auf speziellen Befehl des Polizei-Präfekten arretiert worden sei, sich aber in einem anständigen Haftlokal allein und mit allen Bedürfnissen versehen befinde, und daß seine Sache am andern Tage so rasch wie möglich vorgenommen werden solle.

Als er nach der Oper zurückkehrte, war die Vorstellung eben beendet und das Haus geschlossen. In der Annahme, daß die Sennora allein oder von einem ihrer zahlreichen Verehrer begleitet, nach Hause gefahren sei, war er nach ihrer Wohnung geeilt, hatte sie jedoch dort nicht gefunden. Es war möglich, daß sie noch eine Fahrt durch die illuminierten Straßen gemacht hatte, und er wartete von Minute zu Minute auf ihre Rückkehr. Aber aus den Minuten wurden Stunde«, das Mädchen kam nicht, und seine Angst wuchs. Mit dem ersten Tageslicht lief er von Ort zu Ort, um Nachricht über sie zu suchen, aber überall fand er taube Ohren; das Attentat, die bereits in der Nacht erfolgte Verhaftung der mutmaßlichen Mörder hatte alles Interesse in Anspruch genommen, in der Oper waren die Logenschließer nicht so rasch aufzutreiben, um befragt werden zu können; Monsieur Déjean, zu dem er in seiner Angst eilte, um seine zahlreichen Verbindungen in Anspruch zu nehmen, geriet über das Verschwinden in Extase und behauptete geradezu, seine Angst sei Komödie und die Künstlerin nach einem andern Engagement durchgegangen, und auf der Polizeipräfektur hatte man in diesem Augenblick in der That Wichtigeres zu thun, als sich um die Abwesenheit einer Reiterin zu kümmern, die wer weiß wo in den Armen eines Liebhabers die Nacht zugebracht und bis in den Tag hinein verlängert haben mochte!

Vergeblich waren seine Beteuerungen, daß dies bei dem Charakter der Sennora unmöglich sei. Das Beste, was ihm passierte, war ausgelacht zu werden, und ohne Resultat hatte er mehrere Stunden mit Nachforschungen zugebracht.

Welche tausend Zufälle übrigens auch die Abwesenheit des Mädchens veranlaßt haben konnte, er konnte im Innersten seines Herzens den Argwohn nicht los werden, daß andere persönliche und mächtige Feinde damit in Verbindung ständen.

Bei der zweiten Nachfrage hatte er sich von den Frauen die Adresse des Mannes erbeten, des Freundes Ottos, den er im Foyer der Oper bei der Sennora zurückgelassen, um sie nach ihrer Loge zu begleiten. Aber zufällig hatte Meißner nicht erwähnt, in welchem Hotel die Fürstin wohnte, oder die Frauen hatten den gleichgültigen Umstand überhört und wußten nur, daß er zum Haushalt der Fürstin Trubetzkoi gehörte. Jetzt war der Doktor zu diesem selbst geeilt, um sein bekanntes Interesse für die Verschwundene in Anspruch zu nehmen und den Informator des jungen Erben des Fürsten zu ermitteln.

Es war zwölf Uhr, die Edelfrau hatte soeben ihre Toilette vollendet, um nach dem Hotel der Preußischen Gesandtschaft in der Rue de Lille zu fahren und den Schutz des Grafen von Hatzfeld für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen, als ein verschlossener Wagen vor dem kleinen Hotel der Rue St. Georgs vorfuhr.

Ein Freudenruf Rosamundens, die zufällig am Fenster stand, führte die Mutter hastig dahin, aus dem Wagen, auf dessen Bock neben dem Kutscher ein Municipal-Gardist saß, waren zwei Herren gestiegen, Otto von Röbel und ein Beamter. Beide traten soeben in das Hotel.

Mutter und Schwester flogen dem Befreiten an der Thür entgegen und umarmten ihn zärtlich. Aber er erwiderte ihre Liebkosungen nur kurz, sein ganzes Wesen war finster und erregt. Er flüsterte bei der Umarmung der Schwester zu, ob François in Sicherheit? und als sie das, soweit sie wußte, bejaht und ihm mitgeteilt hatte, daß seine Gattin auf seinen Befehl bereits am Morgen nach Straßburg abgereist sei, schien ihm ein Stein vom Herzen zu fallen, und er wandte sich zu seinem Begleiter, der an der Thür des Zimmers stehen geblieben war.

»Sie sehen, mein Herr,« sagte er, »daß ich die Wahrheit gesagt, und daß hier nur zwei Frauen zu finden sind, meine Mutter und meine Schwester, die der Polizei Ihres Kaisers wohl keine Besorgnis einflößen werden.«

»Wir wußten dies bereits, mein Herr,« erwiderte der Beamte ruhig, »ebenso, daß heute morgen eine dritte Dame, wahrscheinlich die Frau oder Zuhälterin Ihres Freundes von hier abgereist ist.«

»Herr …«

Die Edelfrau machte eine befehlende Gebärde gegen ihren Sohn. »Mein Herr,« sagte sie mit der ganzen Würde einer Matrone, »ich bin die Gattin des ehemaligen Preußischen Majors von Röbel, eines treuen Dieners seines Königs, und dies ist meine Tochter. Ich glaube, es wird nur dieser Bürgschaft bedürfen, um Sie zu überzeugen, daß wir nur mit der Gattin des Herrn Kapitän Laforgne verkehren konnten.«

Der Beamte verbeugte sich etwas beschämt. »Verzeihen Sie, gnädige Frau,« entschuldigte er – »Kapitän Laforgne ist als Mitglied einer Verbindung ermittelt worden, die beabsichtigt, die Regierung zu stürzen und den Kaiser zu ermorden. Wir haben Ursache, den Gliedern dieser Gesellschaft jede mögliche moralische Schlechtigkeit zuzutrauen, und eine Täuschung ist so leicht …«

»Nicht in dieser Beziehung, mein Herr,« sagte die Dame stolz. »Was die politischen Agitationen des Herrn Kapitän Laforgne betrifft, so stelle ich nicht in Abrede, daß uns bekannt war, daß er ein Freund und Anhänger des Generals Garibaldi ist, aber wir haben mit seiner politischen Meinung nichts zu schaffen und in ihm stets nur den privaten Freund unserer Familie gesehen. Ich kenne den Herrn Kapitän als viel zu rechtschaffen und ehrenhaft, um glauben zu können, daß er an einem so schändlichen Verbrechen, wie die Ermordung so vieler Unschuldiger, sich beteiligt haben könnte!«

Der Beamte dachte einige Augenblicke nach. »Ich mag dies auch nicht behaupten, Madame,« sagte er endlich. »Es scheint, daß ein Mordanschlag, unabhängig von einer beabsichtigten Schilderhebung der Roten und der Orleanisten zur Ausführung gekommen ist. Die Sache der Justiz wird es sein, die Wahrheit zu ermitteln, die Polizei hat nur mit den naheliegenden Thatsachen zu thun, und in dieser Beziehung muß ich bedauern, streng meine Pflicht üben zu müssen.«

»Und worin besteht diese?«

»Sie werden selbst begreifen, Madame, daß Ihr Herr Sohn durch den vertrauten Umgang mit einem der Führer der beabsichtigten Emeute, um nur diese gelten zu lassen, in den Augen der Regierung stark kompromittiert ist, um so mehr, als er sich hartnäckig geweigert hat, über die Person dieses Freundes gestern abend bei seiner ersten Vernehmung die geringste Auskunft zu geben, und sich erst heute dazu herbeigelassen hat, als die Persönlichkeit bereits auf andere Weise festgestellt war. Unter diesen Umständen, gnädige Frau, werden Sie es selbst gerechtfertigt finden, wenn ich den Befehl habe, für Ihre sofortige Abreise zu sorgen und Sie bis an die Grenze zu begleiten.«

»Nimmermehr! Das ist eine unerhörte Tyrannei,« brauste der junge Mann auf. »Ich werde Paris verlassen, aber erst, wenn ich hier notwendige Geschäfte in Ordnung gebracht habe!«

»Sie werden mich nicht zwingen, Herr von Reuble,« sagte der Beamte kalt, »Zwangsmaßregeln in Anwendung zu bringen. Ich habe den strengen Befehl, und ich hoffe, Ihre Frau Mutter wird die unangenehme Notwendigkeit einsehen.«

»Wir haben meines Wissens nichts mehr in Paris zu thun,« erwiderte Frau von Röbel kalt. »Wie lange gestattet die Regierung des Kaisers uns Zeit?«

»Der nächste Zug nach Brüssel oder Saarbrücken geht um 1 Uhr 45 Minuten ab, Sie würden also noch fünf Viertelstunden für Ihr Gepäck haben. Madame haben vollkommen Freiheit, diese zu benutzen, wie Sie wollen, ich habe nur den Befehl, Ihren Herrn Sohn nicht zu verlassen.«

»Was meinen Sohn angeht, gilt auch seiner Mutter. Still, Otto, im Namen Deines Vaters befehle ich es Dir. Mein Herr, wir werden in einer Stunde zu Ihren Diensten sein. Bitte die Wirtin, Rosamunde, uns eines der Mädchen zu senden, um uns beim Einpacken zu helfen und zugleich um unsere Rechnung.«

Das Benehmen der Dame war so ruhig, so kalt und würdevoll, daß der Beamte sich in einer peinlichen Lage fühlte. Nachdem die Edelfrau nochmals ihrem Sohne streng befohlen hatte, jeden Streit zu vermeiden und so rasch wie möglich seine Sachen zu ordnen, entfernte sie sich in das Nebenzimmer, um den Koffer zu packen.

Der junge Mann ging finster in dem Zimmer auf und nieder, über einem Entschluß brütend. Endlich trat er zu dem Beamten.

»Mein Herr, waren Sie Soldat?«

»Ich diente unter Bugeaud in Afrika.«

»Dann wissen Sie, was eine Ehrensache ist. Ich habe eine solche, durfte es aber in Gegenwart meiner Mutter nicht erwähnen. Geben Sie mir eine halbe Stunde Zeit, um wenigstens meinen Sekundanten aufzusuchen und durch ihn mich rechtfertigen und andere Arrangements treffen zu lassen; denn ich habe durch meine Haft das Rendezvous versäumen müssen. Ich wollte Sie auf der Fahrt hierher nicht darum bitten, weil wir nicht allein waren. Ich verpfände Ihnen mein Ehrenwort, daß ich vor der Abfahrt hier zurück sein werde.«

»Monsieur,« sagte der Beamte höflich, »es thut mir aufrichtig leid, daß ich Ihnen nicht gefällig sein kann. Ich hatte bereits die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich Soldat gewesen, also gewohnt bin, den mir erteilten Befehlen strenge Folge zu leisten. Ich habe die Order, Sie direkt nach Ihrem Hotel und von dort mit dem ersten Bahnzug nach der Grenze zu begleiten, ohne Ihnen einen Besuch oder die Absendung von Briefen zu gestatten: Im übrigen bin ich bereit, Ihnen gern zu dienen!«

»Also auch dies! nicht einmal schriftlich soll ich einen Schimpf von meinem Namen abwenden dürfen!« knirschte der Preuße. »Gut denn, mein Herr, die Post von Brüssel nach Paris wird mir hoffentlich 24 Stunden später Satisfaktion verschaffen.«

Er sollte dessen nicht bedürfen.

Die Thür des Zimmers, in dem er sich mit dem Beamten befand, wurde hastig aufgerissen, der maurische Arzt, der Begleiter der Kunstreiterin, trat ein. Sein ganzes, sonst so ruhiges und ernstes Wesen war verändert, und hatte einer heftigen Aufregung Platz gemacht.

»Endlich!« rief er, die Hände des jungen Mannes fassend. »Gott sei Dank, daß Sie frei sind! Sie werden mir sie suchen helfen; denn ich weiß, Ihre Teilnahme ist aufrichtig, und Sie haben ihr nicht das Leben gerettet, um sie jetzt in den Händen ihrer Feinde zu lassen, die ja auch die Ihren geworden sind. Helfen Sie, raten Sie, was sollen wir thun?«

Der junge Edelmann sah ihn erschrocken an. »Um Himmelswillen, was ist geschehen? was meinen Sie?«

»Die Sorge um Sie, gestern bei Ihrer Verhaftung, war die Ursache! Jetzt, da Sie frei sind, ist es an Ihnen!«

»Ich verstehe Sie noch immer nicht! Was soll ich helfen? Sehen Sie nicht, daß ich noch ein Gefangener bin?«

»Wie? man hat Sie nicht entlassen?«

»Gewiß! aber nur um mich und die Meinen gleich Vagabunden über die Grenze Frankreichs zu transportieren!«

Der Doktor schlug die Hand vor die Stirn. »O das ist ein schreckliches Unheil! ich rechnete sicher auf Sie, dann ist sie verloren!«

»Verloren? – wer?«

»Wer anders, als meine Tochter, mein Kind, die Sennora!«

»Rositta?«

Der Preuße stürzte auf ihn zu, bleich, mit drohendem Auge, und schüttelte wild seinen Arm.

»Reden Sie, was ist mit ihr geschehen?«

»Wie? hat Ihre Mutter Sie nicht unterrichtet?«

»Meine Mutter? ich habe noch nicht zehn Worte mit ihr gewechselt! Um Himmelswillen, wo ist die Sennora?«

»Fort! seit gestern abend spurlos verschwunden! Niemand weiß, wo sie geblieben, seit ich sie gestern abend verlassen habe, um Ihnen nach dem Gefängnis zu folgen!«

Der junge Mann war bei der unerwarteten Nachricht zurückgewankt, als wäre er von einem heftigen Schlage getroffen. Seine Hand faßte unwillkürlich nach der Lehne des nächsten Stuhles, um sich darauf zu stützen.

»Fort? verschwunden? wie wäre das möglich in einer Stadt wie Paris? unter tausend Augen!«

»Es sind gar viele Dinge möglich in Paris! das sehen Sie an sich selbst! Ihr unglücklicher Freund, den Sie uns gestern im Foyer vorstellten, war der letzte, der sie gesehen. Er versprach, sie nach ihrer Loge zu bringen, aber er muß mehr wissen, wenn er nur erst sprechen könnte. Offenbar steht sein Duell im Zusammenhang mit Rosittas Verschwinden!«

»Sein Duell? Doktor, machen Sie mich nicht wahnsinnig? Rudolf hat sich duelliert? Mit wem? wann?«

»Vor kaum zwei Stunden! Lord Heresford, der englische Sonderling, hat ihn selbst aus dem Boulogner Holz zurückgebracht!«

»Wie? – Rudolf sollte sich mit dem Lord geschlagen haben? aber warum?«

» Par dios! nicht mit dem Lord! wie ich im Vertrauen erfahren habe, mit dem Grafen Montijo!«

»Höll' und Teufel! dann hat der Elende seine Stellvertretung angenommen. Rudolf hat sich für mich geschlagen! Es war mein Duell! Wo ist er, ich muß ihn sprechen um jeden Preis!«

Er stürzte nach der Thür, um das Zimmer zu verlassen. Der Polizeibeamte stellte sich ihm in den Weg.

»Nicht von der Stelle, Herr! Sie kennen meine Instruktion!«

»Aber haben Sie denn nicht gehört? Sie ist fort – er hat sich für mich geschlagen! Ich muß ihn sprechen, um Auskunft zu erhalten …«

Der Beamte blieb unbeweglich. »So leid es mir thut, mein Herr, in diesem Fall – es ist unmöglich! Übrigens die Zeit verrinnt, ich muß Sie daran erinnern, sich fertig zu machen, in kaum einer Stunde geht der Zug ab, und ich habe den strengen Befehl, Sie nötigenfalls mit Gewalt zur Abreise zu zwingen.«

Der junge Mann stand in der Mitte des Zimmers, sein Gesicht nahm eine eigentümliche Blässe an; sein sonst so ruhiges, klares Auge fing an, in ganz besonderer Weise zu funkeln.

In diesem Augenblick trat die Edelfrau wieder ins Zimmer.

»Mein Gott, Otto – Du noch hier – hast Du Deine Sachen bereit? – Wie, auch Sie hier, mein Herr? Kommen Sie von Rudolf? Haben Sie Ihre Pflegetochter, haben Sie Sennora Rositta gefunden?«

Sie hatte die Aufregung ihres Sohnes noch nicht bemerkt, da sie hinter ihm stand.

»Nicht Sennora Rositta, Madame,« sagte der Arzt entschlossen, »sondern Carmen von Massaignac, die Tochter des verstorbenen Freundes Ihres Gemahls, des Obersten Fourichon von Massaignac, und die Schwester des Senateurs dieses Namens!«

»Carmen?« Ein Zittern durchlief den Körper des jungen Mannes; erst jetzt bemerkte die Mutter den Zustand ihres Sohnes und eilte auf ihn zu. »Und Rudolf? Aus dem Wege, Herr, wenn nicht ein Unglück geschehen soll! Ich muß Rudolf sprechen, er weiß von ihr!«

Seine Augen blitzten so tödlich, daß der Beamte unwillkürlich zurücktrat und nach dem Revolver in der Brusttasche des Rocks griff.

»Otto – mein Kind! um Gotteswillen, komm zu Dir! Rühren Sie ihn nicht an, er ist entsetzlich!«

Sie kannte diesen Zustand aus seiner Knabenzeit.

Er wehrte sie mit einer langsamen und unwiderstehlichen Bewegung seines Armes zurück und schritt weiter.

Aber eine Hand legte sich auf die seine. »Es ist unnütz. Sie können ihn nicht sprechen,« sagte der Arzt. »Dieselben Feinde, die meine Tochter gestohlen, haben auch ihn getroffen. Er ist in dem Duell für Sie durch die Brust geschossen und ohne Besinnung!«

Ein jäher Aufschrei, in der Thür des Nebenzimmers stand die Gestalt des bleichen Mädchens aus der Mark, ihre beiden Hände zuckten nach dem Herzen, dann fiel sie ohnmächtig zu Boden.


Es war am Abend desselben Tages.

Infolge der Ohnmacht des Fräulein von Röbel und auf die dringenden Vorstellungen der Mutter und des Arztes hatte es der Beamte auf sich genommen, die Abreise bis zum nächsten Zuge, der um 5 Uhr 10 Minuten von Paris nach Brüssel geht, zu verschieben, nachdem Otto von Röbel sein Ehrenwort gegeben, sein Zimmer bis dahin nicht zu verlassen.

Rosamunde war infolge der angewandten Mittel bald wieder zu sich gekommen. Ihr Schmerz war still und in sich gekehrt, sie erklärte sich zur Abreise bereit und verlangte nur noch vorher Nachricht von dem Befinden des Geliebten.

Der Arzt hatte es, trotz der eigenen Sorge, die ihn verzehrte, übernommen, nachmals nach dem Hotel der Fürstin Trubetzkoi zu gehen, wohin man den Kranken gebracht hatte. Er war in den wenigen Stunden ihrer Bekanntschaft der Freund der Familie, der Vertraute aller geworden.

Die Nachricht, die er brachte, und mit der er nicht täuschen wollte, lautete wenig tröstlich. Die Fürstin hatte die ersten Ärzte von Paris berufen, und seine eigene Erfahrung in Schußwunden aus den Feldzügen in Algerien und der Krim zeigte ihm, daß ihr Ausspruch richtig war.

Die Kugel war unter der rechten Schulter durch in die Brust gegangen, die Wunde schien nicht unbedingt tödlich, aber es war für die Erhaltung des Lebens infolge der starken Blutung nur wenig Hoffnung, und jedenfalls die sorgsamste Pflege notwendig.

Die Fürstin that alles, was eine Freundin, was eine Mutter an dem Krankenlager ihres eigenen Kindes nur thun kann. Doktor Achmet versprach, den Kranken so oft zu besuchen, wie es ihm die Nachforschungen nach Rositta, oder vielmehr Carmen, die er jetzt ganz rücksichtslos betreiben wollte, gestatten würden, und täglich nach Brüssel Nachricht zu geben, wo die Familie bis zur Entscheidung des Schicksals ihres unglücklichen Freundes bleiben wollte. Otto von Röbel hatte erklärt, unter keinen Umständen eher die Nähe der französischen Grenze verlassen zu wollen. Offenbar bannte ihn noch ein anderer Gedanke dahin.

Um 5 Uhr 10 Minuten war die Familie in Begleitung des Polizeibeamten, der sich mit aller Rücksicht, aber mit ebenso festem Beharren auf der ihm erteilten Order benahm, abgereist. Es war Otto von Röbel nicht gestattet worden, aus dem Hotel Briefe abzusenden.

Um 8 Uhr 20 Minuten war der Expreßzug von Brüssel eingetroffen, die Züge kreuzen sich auf einer Zwischenstation von Douay.


Als Rudolf Meißner am Morgen dieses Tages auf dem Wege nach dem Hotel des Marquis von Massaignac in dem Magazin eines Waffenhändlers des Boulevard des Italiens ein Paar Pistolen kaufte, hatte er seinen Entschluß gefaßt.

Er wußte aus der kurzen, flüchtigen Mitteilung seines Freundes am Abend vorher die Stunde und den allgemeinen Ort des Rendezvous, und daß der Senateur der Sekundant des Gegners sein würde.

Wenn sich dieser also zu dem Rendezvous begeben wollte, obschon der Preuße am Abend vorher verhaftet worden war, so mußte er entweder den Marquis abholen oder dieser ihn.

Rudolf beschloß also, vor dem Hotel des Senateurs zu warten und ihm dann zu folgen. So mußte er den Ort der Zusammenkunft erreichen und konnte dort nach den Umständen handeln, das heißt, die Abwesenheit Ottos von Röbel rechtfertigen oder seine Stelle einnehmen.

Er hatte oft gehört, daß ein Franzose sich selten weigern würde, einem anständigen Manne einen Ehrendienst zu leisten. Er beabsichtigte also, die erste geeignete Person, der er im Bois de Boulogne begegnen würde, zu seinem Zeugen zu machen.

In der Nähe des Hotels ließ er den Fiaker halten. Er hatte noch nicht zehn Minuten gewartet, als eine Chaise heranfuhr, und Graf Montijo aus dieser sprang und in das Hotel ging.

Bald darauf kam er in Begleitung des Marquis von Massaignac und zweier anderen Herren zurück.

Einer derselben trug die Uniform der Garde, der andere Civil; dieser schien ein Arzt.

Die vier nahmen in der Chaise Platz, und dieselbe rollte in der Richtung der Champs Elysées davon. Der Graf schien sehr aufgeräumt zu sein, er scherzte und lachte mit dem Offizier. Nicht so heiter gestimmt schien der Marquis.

Es war etwas später, als halb neun Uhr; die Chaise der vornehmen Herren rollte rasch die Champs Elysées entlang, um den arc d'etoile durch die Porte Maillot nach dem See, in dessen Nähe sich die Anhöhe befindet, die den pomphaften Namen des Mont St. Bernard trägt.

Der Informator versprach dem Fiakerkutscher fünf Franks Trinkgeld, wenn er den Wagen stets im Auge halten würde. Die Coupés der Regie haben eine vortreffliche Bespannung, und der Fiaker erfüllte ohne Anstrengungen seinen Auftrag.

Die Equipage hielt an dem in der Nähe befindlichen Kaffeehaus, die Herren stiegen aus.

Es waren nur wenige Gäste da, kaum sechs oder acht, die meisten aus Auteuil und der Nachbarschaft. Nur ein Mann von Stande saß im Zimmer des Café und las eine englische Zeitung, während sein Reitknecht die Pferde in der Allee umherführte.

Die Ankommenden schienen ihn zu kennen, denn sie grüßten ihn höflich. Der Fremde dankte mit einem kurzen Kopfnicken und wendete sich dann wieder zu seiner Zeitung.

Der Graf hatte seine Uhr gezogen, er hielt sie seinen Begleitern hin. »Punkt neun Uhr. Noch ist niemand hier!«

» Pardious!« meinte ziemlich unwirsch der Marquis, »ich denke, es wird wohl auch niemand kommen. Sie wissen …«

»Das kümmert uns nichts,« sagte der Graf finster. »Wir haben unsere Pflicht zu erfüllen und an Ort und Stelle zu sein, zur bestimmten Zeit. Erscheint dieser Herr Preuße nicht, so haben wir das Unsere getan, und er mag den Flecken auf seiner Ehre wegwischen, so gut er kann. Ich denke. Sie stimmen mir bei, Herr Kapitän?«

Der Offizier, aus einer hohen adligen Familie und einer der Tonangeber der Modewelt von Paris, nickte ihm Beifall. »Gewiß, gewiß, lieber Graf, ich bin Autorität in Duellen und ich denke, mein Ausspruch ist entscheidend im Klub. Wir werden hier eine Viertelstunde warten, und wenn Ihr kleiner Preuße bis dahin nicht erscheint, oder eine genügende Entschuldigung beibringt, ist er ein verlorner Mann für die anständige Gesellschaft. Das Wetter ist schön, ich denke, wir nehmen ein Glas Absinth und promenieren auf und ab.«

Man war einverstanden, die Herren plauderten, als seien sie nicht hier, um selbst zur Zielscheibe einer Kugel zu dienen, von dem Attentat des gestrigen Abends und den Entdeckungen, die während der Nacht die Polizei gemacht hatte.

Unterdes war der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi herangetreten, aber unbeachtet geblieben von den Herren, da auch der Marquis sich wohl kaum seines Gesichts erinnerte.

Rudolf Meißner war einige Augenblicke in Verlegenheit, als sein Blick glücklicherweise auf den Gast fiel, den die Gesellschaft bei ihrem Eintreten begrüßt hatte, und dessen Pferde vor dem Café auf und nieder geführt wurden.

Der Fremde kam ihm bekannt vor, er mußte ihn schon gesehen haben, noch vor kurzem. Einige Augenblick Nachdenkens zeigten ihm, das dies am gestrigen Abend geschehen. Es war der Herr, der sich in Begleitung des Obersten Montboisier befunden hatte, als dieser sich bei der Verhaftung des jungen Preußen seiner annahm.

Der Sekretär hatte nur den Namen Montboisier gehört, als dieser sich selbst nannte und kannte die andern Herren nicht, aber das ehrenwerte Benehmen des Kammerherrn bürgte ihm für seine Gesellschafter, und er beschloß, bevor er sich an die Gesellschaft der Gegner wandte, sich womöglich in dem Fremden einen Zeugen zu verschaffen.

Mit diesem Entschluß trat er an den Tisch.

»Mein Herr, darf ich Sie um einige Worte bitten?«

Der Fremde sah auf, schob das Lorgnon in das Auge und betrachtete ihn.

»Was wünschen Sie?«

»Erlauben Sie mir zuerst, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Preuße, der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi, mein Name ist Rudolf Meißner.«

» Well, well! was weiter?«

Der Fremde betrachtete ihn aufmerksamer und legte das Zeitungsblatt weg. »Sie sehen nicht aus, wie ein Bettler, Sir. Sprechen Sie, womit kann ich Ihnen dienen?«

»Wenn die Frage nicht unbescheiden ist, befanden Sie sich gestern abend nicht in der Gesellschaft des Herrn Grafen von Montboisier im Foyer der Oper bald nach dem Attentat?«

»Ja. Es wurde da ein junger Mann verhaftet, der mir am Abend vorher vorgestellt war.«

»Desto besser. Herr von Röbel ist ein Jugendfreund von mir, oder vielmehr, ich bin der Jugendfreund seiner älteren Brüder.«

» Goddam! ich erinnere mich, den einen hier in Paris im Dezember 1851 gekannt zu haben. Er hatte ein famoses Renkontre mit einem alten Totengräber aus den Katakomben.«

»Ich weiß davon nichts, weil ich seit längerer Zeit fern von der Familie gelebt und den jüngeren Sohn nur zufällig hier wieder getroffen habe. Aber ich bin hocherfreut, daß Sie sich für die Familie interessieren, welche die Achtung jedes Ehrenmannes im höchsten Grade verdient. Herr von Röbel, der gestern verhaftet wurde, hatte auf heute morgen ein Duell angenommen. In dem Augenblick, als er mich gestern dem Sekundanten seines Gegners, dem Marquis von Massaignac, vorstellen wollte, wurde er verhaftet.«

»Dem Marquis von Massaignac? demselben, der sich erlaubt, dort eben meinen ›Atlantic‹ so unverschämt zu betasten?«

»Demselben!«

» Goddam! und der Gegner?«

»Ein Graf Montijo!«

Der Engländer ließ ein Pfeifen durch die Zähne hören. » By Jove! die Sache wird interessant! Wissen Sie zufällig, was die Veranlassung des Duells war?«

»Herr von Röbel hat vorgestern abend nach der Vorstellung im Cirkus den Grafen Montijo in den Elysäischen Feldern, als er mit ihm in Wortwechsel geraten war, geohrfeigt. Er und ein Freund von ihm wurden schon damals von der Polizei verfolgt, und ich und andere Personen hegen starken Verdacht, daß die gestrige Verhaftung mehr ein Akt persönlicher Rache als der Politik ist!«

Der Engländer rieb sich sichtlich vergnügt die Hände: » Very well! die Sache wird immer besser. Ich möchte darauf wetten, daß die hübsche Kunstreiterin dabei im Spiele ist, denn ich sah die Bosheit des spitzbübischen Spaniers, dessen Visage mir schon lange fatal ist, und die entschlossene That Ihres Freundes. Ich liebe die Jugend und den Mut. Aber sagen Sie mir jetzt, warum haben Sie sich an mich gewandt, und wie kann ich Ihnen beistehen?«

»Sir, ich sehe, daß man offenbar die Ehre meines Freundes beflecken will! Diese Herren wissen, daß er verhaftet ist, sie sind trotzdem hier erschienen, offenbar, um sein Ausbleiben zu konstatieren. Ich hatte keine Zeit, um mich heute morgen an den Herrn Grafen von Montboisier zu wenden. Ich bin hierher gekommen, um gegen jede Folgerung aus dem Ausbleiben des Herrn von Röbel zu protestieren, oder besser und lieber noch, um seine Stelle zu vertreten.«

Der Engländer sah ihn scharf an.

»Das wollten Sie?«

»Gewiß! mit Freuden! ich hatte beschlossen mich an den ersten Fremden zu wenden, der mir Vertrauen einflößte, um ihn zu bitten, mein Zeuge zu sein.«

»Und ich flößte Ihnen dies Zutrauen ein?«

»Ja, mein Herr! und ich habe gesehen, es war kein Zufall, Gott hat meine Wahl gelenkt!«

Der Engländer nickte. »Sie haben vielleicht Recht. In einem bewegten Leben habe ich die Erkenntnis des Spruchs geschöpft: Es fällt kein Sperling vom Dach, ohne Seinen Willen! Ich bin der Viscount von Heresford. Wollen Sie Ihre Angelegenheit meinen Händen überlassen? Sie sehen, diese Herren sind im Begriff, eben ihren Wagen zu besteigen!«

»Wie, Mylord, Sie sind der berühmte Lord Heresford?«

»Berühmt, oder berüchtigt, das bleibt sich gleich! Wollen Sie Ihre Sache meinen Händen vertrauen?«

»Mit Dank! mit tausend Freuden, Mylord!«

» Well! Ihr Freund, der junge Held aus dem Cirkus von vorgestern abend soll deshalb nicht schlechter fahren. Kommen Sie jetzt, und sagen Sie diesem Herrn Marquis aus Montevideo, was Sie ihm zu sagen haben! sans gêne!«

Er erhob sich und ging mit dem Preußen auf die Gesellschaft zu, die eben wieder unter höhnischen Bemerkungen ihren Wagen besteigen wollte.

»Monsieur le Marquis de Massaignac!«

»Mylord! Ich freue mich sehr, Sie begrüßen zu können. Was steht zu Diensten?«

»Sie sind ja wohl der Sekundant des Herrn Grafen von Montijo?«

Der Marquis stutzte. »Wie soll ich das verstehen, Mylord?«

» Goddam! man sagt, daß ich ein verständliches Französisch rede! Also kurz heraus, ja oder nein?«

Der Marquis blickte zögernd auf seinen Begleiter. Als ihm der Kapitän zunickte, sagte er entschlossen: »Ja, Mylord! indes, wir haben bis jetzt vergeblich hier auf die Ankunft dieses Herrn aus Preußen gewartet, und sind eben im Begriff, nach Paris zurückzukehren.«

»Mit unser aller Übereinstimmung,« bemerkte der Kapitän.

»Ich habe mit Ihnen nichts zu thun, Sir,« sagte der Lord trocken, »sondern mit diesem Herrn. Herr Marquis, Sie wissen wahrscheinlich eben so gut, wir Ihr Auftraggeber, daß Herr von Röbel verhindert ist, hier zu erscheinen.«

»Mylord, das geht uns nichts an, er hätte dann eine Entschuldigung senden und sein Ausbleiben rechtfertigen müssen.«

» Well! Er hat noch besseres gethan, er hat Ihnen hier einen Stellvertreter geschickt!«

»Wie, Mylord?«

»Ich habe das Vergnügen, Ihnen hier, Herrn – zum Henker, wie heißen Sie doch?«

»Rudolf Meißner!«

»Also Herrn Meißner vorzustellen. Er ist ein Freund und Landsmann des Herrn von Röbel und hierher gekommen, um seine Stelle einzunehmen.«

Es zuckte wie eine geheime Freude über das häßliche, unangenehme Gesicht des Marquis.

»Ich weiß nicht, ob ich das annehmen darf. In solchen Fällen, Mylord, kann unmöglich eine Stellvertretung gelten, und dieser Herr ist uns ganz unbekannt!«

»Ei, zum Henker, Herr Senateur, machen Sie keine Umstände. Wenn es bloß darauf ankommt, daß Sie eine bekannte Person haben wollen, an die Sie sich halten können, so bin ich jeden Augenblick bereit, selber den Herrn Vetter der Kaiserin Eugenie zu maulschellieren. Herr von Röbel ist gestern verhaftet worden, wir wollen vorläufig nicht untersuchen, auf wessen Veranlassung. Wer aber von den Klauen der Polizei des Herrn Pietri festgehalten wird, der kann offenbar nicht zu gleicher Zeit hier im Gehölz von Boulogne sein. By Jove! ich dächte, das wäre sonnenklar! Dieser Herr ist hier, um Ihnen dies mitzuteilen und seine Stellvertretung anzubieten. Ich habe mich ihm zum Sekundanten offeriert, und ich denke, diese Bürgschaft wird allen Klubs von Paris genügen!«

»Gewiß, Mylord, gewiß!« beeilte sich der Marquis zu versichern. »Aber erlauben Sie mir, mit diesen Herren mich zu besprechen.«

» Vendre Dien!« fiel der Kapitän ein, »was braucht es da große Überlegung. Ich denke, wir sind nicht zum Spaß hierher gekommen. Die Entschuldigung des Herrn von Röbel ist vollkommen genügend, und wenn dieser Herr, unter der Bürgschaft eines so ausgezeichneten Edelmanns, wie Mylord, sich erbietet, an seiner Stelle ein paar Kugeln zu wechseln, so wird der Graf von Montijo nichts dawider haben.«

Der Spanier biß sich auf die Lippen. Indes es fehlte ihm, wie erwähnt, von Natur nicht an Mut und Entschlossenheit, und er nickte seinem Sekundanten einfach zu, worauf er sich abwandte und die Allee entlang ging.

Der Marquis konnte den Ausdruck einer geheimen Freude nicht ganz unterdrücken. »Ich stehe Ihnen zu Diensten, Mylord,« sagte er. »Wenn es Ihnen gefällig ist, treten wir zur Seite und besprechen die Vorbereitungen.«

Rudolf Meißner entfernte sich gleichfalls. Der Lord und der Senator besprachen sich einige Augenblicke und riefen dann den Kapitän heran. Nachdem die Präliminarien geordnet waren, kehrten die Sekundanten zu ihren Freunden zurück.

Der Spanier hörte finster und schweigend den Bericht seines Freundes. Ein spöttisches Lächeln flog über seine Züge, als dieser darzuthun sich mühte, daß er nicht anders habe handeln können, als die Stellvertretung anzunehmen, da man sonst von der bekannten Exzentrizität des Lords alles mögliche zu erwarten gehabt hätte.

Es war bestimmt worden, daß die Gegner auf fünfzehn Schritt von einander gestellt werden sollten und jeder fünf Schritt avancieren und nach Belieben feuern könne. So hatte es der Viscount durchgesetzt.

Man ließ die beiden Wagen bis an den See fahren und dort bleiben, nachdem man den Kasten mit den Pistolen genommen. Dann schlug man den Weg nach dem Mare d'Auteuil ein, in dessen Nähe sich noch prächtige Baumgruppen befinden.

Die Jahreszeit und die frühe Stunde – die Pariser lieben nicht das zeitige Aufstehen – ließen das Gehölz fast menschenleer, und bald hatte man eine geeignete Stelle gefunden.

Das Los entschied für die Pistolen des Grafen.

Der Lord gab dem Deutschen die Waffe.

»Haben Sie für den Fall eines unglücklichen Ausgangs einen Auftrag?«

»Ich wohne im Hotel du Louvre, Mylord: in meinem Zimmer wird man zwei Briefe finden, die Sie befördern wollen.«

» Well! Verlassen Sie sich darauf. Sind Sie ein guter Schütze?«

»Nein; ich bin etwas kurzsichtig.«

»Das ist schade. So bleibt Ihnen nur zu warten, bis er den ersten Schuß gethan hat, und dann bis an die Barriere zu treten. Heben Sie die Pistole von unten, und feuern Sie, so wie Sie die Richtung haben. Wenn Sie ihn erschießen, ist nichts daran gelegen. Ich schütze Sie. Nun leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl, Mylord, und nehmen Sie meinen Dank!«

Der Viscount war zurückgetreten. Er hatte vielleicht schon fünfzig Duellen beigewohnt oder selbst ausgefochten, aber selten hatte er so viele Teilnahme gezeigt. Sein Auge verließ das Gesicht seines Mandanten keinen Moment.

»Er hat Mut und verdient ein anderes Schicksal,« murmelte er. »Wäre Peard hier, so könnte er einen Mann sterben sehen!«

Der Spanier stand auf seinem Platz; als ihm der Marquis die Pistole reichte, hielt er ihn einen Augenblick zurück.

»Besten Dank, lieber Freund, für das Arrangement!« sagte er spöttisch. »Sie erinnern sich doch, daß unser Kaufvertrag heute mittag in Gültigkeit tritt!«

»Ja wohl!« In den schweren Seufzer der Antwort mischte sich einige Hoffnung.

Der Graf sah ihn spöttisch an. »Machen Sie sich keine unnützen Illusionen, lieber Senateur,« sagte er. »Ich werde diesen Herrn dort erschießen, und im Fall mir etwa ein Unglück passieren sollte –«

»Nun?«

»Caramba! so sind die nötigen Anordnungen getroffen, daß Sennora Rositta diesen Abend im Cirkus wieder kunstreiten kann!«

Er wandte sich ab, während der Marquis, sehr blaß geworden, sich auf die Lippen biß und zurücktrat.

»Sind Sie bereit, meine Herren?« fragte der Kapitän.

»Ja!«

»Dann steht es Ihnen frei, mit dem Wort drei zu avancieren, jeder bis zu der Stelle, wo das Taschentuch liegt. Sie feuern nach Belieben. Eins!«

Der Vetter der Kaiserin hob das Pistol.

»Zwei!«

Lord Heresford hielt unverrückt seinen Schützling im Auge. Dieser war fest und ruhig, um seinen Mund zuckte ein schmerzlicher Zug.

»Drei!«

Das Losungswort war kaum gesprochen, als der Graf von Montijo von seinem Platz aus feuerte, ohne zu avancieren. Der Informator ließ die Pistole fallen, streckte die Hände in die Luft und fiel nach vorn über.

»Das war nicht viel besser als ein Mord!« sagte der Engländer laut, während er zu dem Getroffenen ging.

Der Arzt war bereits an seiner Seite und drehte den blutenden Körper um. Durch Rock und Stilett aus der rechten Seite strömte ein starker Blutstrom. Lord Heresford half dem Doktor die Kleider entfernen. Der Verwundete hielt die Augen geschlossen, zwischen dem Stöhnen des Schmerzes, das sich seinen Lippen entrang, flüsterte er einen Namen: Rosamunde!

Der Arzt hatte die Kleider und das Hemd geöffnet und die Wunde untersucht. Er machte ein bedenkliches Gesicht.

»Wie steht es, Herr? sprechen Sie!«

»Der Schuß ist gefährlich. Es wird alles darauf ankommen, ob die Lunge verletzt oder nur gestreift ist. Ich hoffe das letztere. Der Herr muß aber sofort in die sorgsamste Pflege kommen, und auch da kann ich nicht für sein Leben stehen.«

»Kann er den Transport nach seiner Wohnung vertragen?«

»Wo ist diese?«

»Im Hotel du Louvre!«

»Wir müssen es auf alle Fälle versuchen. Ich werde das möglichste thun, um eine Verblutung zu verhindern; mehr ist die Wissenschaft für den Augenblick außerstande zu leisten. Aber wir dürfen ihn nicht im Wagen fortschaffen, sondern müssen eine Krankenbahre haben. Es stehen dergleichen immer in den Bureaus der Mairien bereit. Das von Neuilly wird das nächste sein.«

»In fünf Minuten bin ich dort. Adieu bis dahin!«

Der Viscount nickte den Gegnern, die in einiger Entfernung zusammenstanden, einen kalten Gruß, und ging hastig nach der großen Allee, wo sein Reitknecht mit den Pferden hielt.

Einige Augenblicke darauf jagte er nach Neuilly.

Der Marquis und der Gardeoffizier waren zu dem Verwundeten getreten.

»Können wir Ihnen irgend Beistand leisten, Doktor?«

»Nein. Die Natur allein muß hier das beste thun. Schicken Sie mir meinen Mantel aus dem Wagen hierher. Es ist unnütz, daß Sie bleiben.«

»Das denke ich auch. So leben Sie denn wohl, und lassen Sie mich heute abend hören, wie es mit Ihrem Patienten geworden ist. Es war ein verteufelt guter Schuß!«

»Und ein sehr eiliger dazu!« sagte der Doktor, ohne sich weiter mit besonderen Abschiedskomplimenten aufzuhalten.

Die drei entfernten sich.

Eine halbe Stunde später passierte eine jener Hospitaltragen, in denen die Kranken gewöhnlich nach den öffentlichen Anstalten der Barmherzigkeit transportiert werden, die Porte Maillot und nahm ihren Weg durch die Elysäischen Felder nach der Rue Rivoli.

Dergleichen ist in Paris, wie in allen großen Städten zu gewöhnlich, um weitere Aufmerksamkeit zu erregen.

Neben dem Tragkorb ging der Arzt; der Lord war nach dem Hotel voran geritten, um die Vorbereitungen zur Aufnahme des Kranken zu treffen und die Fürstin von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen.

Sie ließ sofort einen der berühmtesten Ärzte holen, um dem Doktor, welcher dem Duell beigewohnt und sich des Verwundeten so freundlich angenommen hatte, beizustehen. – – – – – – – – – – – – – –


Um 8 Uhr 20 Minuten abends war der Expreßzug von Brüssel eingetroffen.

Es war 9 Uhr, als eine verschleierte Dame bei dem Portier des Hotels du Louvre am Platz des Hotels Royal sich nach der Wohnung des Sekretärs der Fürstin Trubetzkoi erkundigte und als ihr diese bezeichnet war und sie zugleich erfahren hatte, daß er noch am Leben sei und die Ärzte sogar Aussicht auf seine Erhaltung gäben, stieg sie die Treppe empor nach der Wohnung der Fürstin.

Das Benehmen der verschleierten Fremden war ängstlich und befangen, ihre Aussprache verriet offenbar die Ausländerin, so daß sich der Portier veranlaßt sah, ihr einen der Aufwärter nachzuschicken.

Ohne weiter zu fragen, hatte die Unbekannte den Korridor erreicht, in welchem, abgesondert von der vorderen Wohnung der Fürstin, die beiden Zimmer lagen, die der Informator bewohnte.

Die Dame horchte an der Thür, über der sie die genannte Nummer sah, dann öffnete sie leise.

Das Zimmer war leer, eine Ampel erhellte es. Die Thür des anstoßenden Zimmers war offen, ein leises schmerzliches Stöhnen drang manchmal von dort her.

Leicht wie ein Geist schlüpfte die Fremde über den Teppich.

In der Mitte des Zimmers blieb sie einen Augenblick stehen und preßte die Hände auf die Brust. Dann schlug sie den Schleier zurück, ein bleiches, von schönem blondem Haar umrahmtes Gesicht mit thränenfeuchten Augen wurde sichtbar; leise wie sie gekommen, schritt sie weiter und trat über die Schwelle des Schlafzimmers.

Man hatte das Bett des Kranken etwas von der Wand ab in die Mitte des Zimmers gerückt, weil die Ärzte diese Lage zu der am Mittag vorgenommenen Operation des Kugelausziehens nötig gefunden. Es war eines der Gardinenbetten, wie sie im Süden und in Paris üblich sind. Die Gardinen waren an beiden Seiten aufgeschlagen, – aus einer Ecke des Zimmers leuchtete das gedämpfte Licht einer Lampe, auf einem Tisch zu Häupten des Bettes standen Medizinflaschen, und was sonst zum Bedarf und zur Pflege eines Kranken gehört.

Dieser selbst schien eben im Wundfieber zu liegen. Das Gesicht war von fliegender Hitze gefärbt, er warf sich unruhig hin und her und stöhnte dann tief auf, wenn durch die Bewegungen die Wunde ihn schmerzte. Die trockenen brennenden Lippen stammelten wiederholt verworrene Reden oder einzelne Worte.

Ehe die Fremde selbst recht wußte, was sie that, kniete sie an der Seite des Bettes und hatte die eine Hand des Kranken gefaßt, die sie mit ihren Thränen benetzte.

»Rosamunde! Rosamunde!« fieberte mit geschlossenen Augen der Kranke. »Mein Blut, wie damals! die Mörder sind hinter ihm – gerettet!«

»Hier, Rudolf, hier! ich bin bei Dir und weiche nicht von Dir im Leben oder Tode!«

Sie hatte die Worte nur leise gesprochen, fast geflüstert, aber der Kranke schien sie doch gehört und verstanden zu haben, denn er wurde plötzlich ruhig.

Aber auf der andern Seite des Bettes erhob sich eine Gestalt, ein funkelndes Auge in dunklem Gesicht schien Flammen zu sprühen, als es sich auf die Fremde richtete.

»Was ist das? was wollen Sie hier? Entfernen Sie sich, er gehört mir allein, wenigstens im Tode!«

Der Kranke selbst überhob die Fremde der Antwort. Er schlug die Augen auf, sie suchten einen Moment umher und blieben dann an dem Gesicht der blonden Dame hängen.

Das Licht des Erkennens zuckte über sein Gesicht.

»Rosamunde! Du hier?«

»Rudolf, teurer Freund! es ist Rosamunde, Deine Schwester, die zu Dir kommt, Deine Wunde zu heilen, mit der Du ihr den Bruder gerettet hast!«

»Rosamunde?« sagte gellend eine andere Stimme, »also Du bist es, die ihn kalt macht wie das Eis seines Nordens gegen alles, was ihn liebt! Dein Name ist es, den seine Lippen sprachen, während der blasse Tod auf ihnen saß! Fluch Dir, der Fremden! was willst Du hier, die nie um ihn gefragt und gesorgt? Eher mög' er sterben, als daß er Dir gehört!«

»Feodora!«

»Ich heiße nicht Feodora, ich bin Tunsa, die Zigeunerin, in der das heiße Blut ihrer Väter wallt!« schrie leidenschaftlich das Mädchen. »Was kümmert es mich, ob alle Welt weiß, daß ich Dich liebe! Als sie Dich sterbend hierher brachten und Dein Blut in dunklem Strom aus der Wunde quoll, daß die weisen Ärzte und Doktoren, die Narren, sich nicht zu helfen wußten, da war ich es, die mit der geheimen Kunst meiner Großmutter Mumeli-Swa, die ich damals in der Csárda vor Enyád mit Füßen stieß, dies Blut stillte. Mir dankst Du Dein Leben, und wenn ich auch nur die Hündin bin, die zu Deinen Füßen kriecht, um einen Blick aus Deinen kalten Augen bettelnd, so sollst Du doch auch keiner anderen gehören, und lieber will ich das Blut, das der Zauber des armen Zigeunerkindes Dir erhielt, zurücknehmen, als daß es ihr fließen soll!«

Und mit wilder Bewegung warf sie sich auf den Verwundeten und faßte nach dem Verband auf seiner Brust, um ihn in eifersüchtiger Wut abzureißen.

Der Kranke machte keine Bewegung, sie zu hindern, aber Rosamundes Hand faßte die ihre.

»Sie lieben ihn?«

Die Zigeunerin schaute sie wild an. »Wissen Sie, was Liebe ist? Ich trotze Dir, obschon sein Mund Deinen verhaßten Namen selbst im Todeshauch nannte! Ja, ich liebe ihn, wie die Hündin ihren Herrn.«

»Und Sie haben ihm das Leben gerettet?«

Tunsa hob grollend den Blick zu ihr empor. »Was kümmert es Sie, wie es geschah? Die Eltermutter unseres verachteten Stammes lehrte die Mädchenbrut das Geheimnis des Blutbesprechens. Konnte es die tausend Quellen zurückhalten, aus denen das Lebensblut des Vaters floß, dort auf den Steinen von Enyád? Möge er ebenso sterben, ehe er Dir gehört!«

Und abermals faßte sie wild nach dem Verband.

»Halten Sie ein,« sagte das deutsche Mädchen sanft, »ich entsage ihm!«

Die Zigeunerin starrte sie an.

» Ebbadta! Du willst ihm entsagen?«

»Mit Freuden, wenn Sie dafür sein Leben retten und erhalten wollen! Lassen Sie mir nur eines, lassen Sie mir gleiches Recht zu seiner Pflege, denn ich habe ihn geliebt seit meiner Kindheit!«

Ein Kampf schien in der Seele der wilden Tochter der Pußta vorzugehen; ihre kleine, schmächtige Gestalt wand sich wie in glühenden Schmerzen unter diesen Eindrücken, ihr rundes, schwarzes Auge brannte zornig und voll Haß auf dem deutschen Mädchen und kehrte sich dann wie zitternd auf den Kranken, der sie unter der magischen Fessel seines ruhigen, ernsten Blicks wie gebannt hielt.

Es war vergeblich, gegen diese Macht zu kämpfen, die seit Jahren den schlimmen Geist in ihr gefesselt hielt. Ein lautes, krampfhaftes Schluchzen machte sich Luft aus ihrer Brust, und an das Bett eilend warf sie sich nieder vor der Jungfrau und preßte unter heißen Thränen ihr Kleid an die Lippen.

»Vergib der wilden Tunsa, Herrin,« schluchzte sie, »Du bist besser, als ich, die ihn in blinder Wut vernichten wollte! Was bin ich? ein zertretener Wurm, das verlorene Kind eines verachteten Volks, verloren und verdorben seit meiner Jugend, ein Spiel der Launen des Gebieters, ein nichtswürdiges, unglückliches Geschöpf, wie der Wolf an der Kette gehalten wird, daß er nicht über seine Herren herfallen und sie zerfleischen kann. Du aber siehst aus, wie die Reine, Heilige, wie die Madonna selbst, von der die Leute erzählen, und wie die Bilder sie malen! O, vergib mir, Heilige, und bitte für mich bei ihm, daß er mich nicht von sich stößt mit Verachtung, wie seit Jahren, und daß Tunsa wie ein Hund zu den Füßen seines Bettes wachen darf über ihn!«

Und krampfhaft schluchzend verbarg das Zigeunermädchen ihr Gesicht in den Falten des Kleides.

»Feodora!« sagte eine ernste, mahnende Stimme.

Rosamunde wandte sich um, mit sanfter Hand sich von der Schluchzenden befreiend.

Es war die Fürstin, die in der Thür des Nebenzimmers stand, neben ihr ein Mann. Die Diener hatten ihr gemeldet, daß eine fremde Frau in das Zimmer des Kranken gegangen war. Sie befand sich gerade in einer kurzen Beratung mit Doktor Achmet, der gekommen war, trotz der eigenen Sorgen noch am Abend nach dem Zustand des Verwundeten zu sehen.

»Fräulein von Röbel, wie, Sie hier? Ist Ihre Familie denn nicht abgereist? ich hörte es doch im Hotel!«

Das Fräulein ging hastig und etwas verwirrt und verlegen auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Gott sei Dank, daß ich Sie sehe!« sagte sie. »Ja, meine Familie muß bereits in Brüssel sein und wird große Unruhe um mich haben. Aber ich konnte nicht anders, es war eine heilige Pflicht, die ich zu erfüllen hatte, und ich folgte der Stimme meines Herzens, die wahrer und treuer spricht, als alle Schicklichkeitsgebote der Menschen. Gott und meine Mutter werden mir verzeihen, daß ich den Freund meiner Jugend, der für meinen Bruder sein Leben geben wollte, nicht verlassen konnte. Ich habe mich in Donay heimlich aus dem Coupé entfernt und die Kreuzung der Züge zur Rückkehr benutzt.«

»Aber Ihre Mutter und Ihr Bruder werden in der größten Sorge um Sie sein!«

»Ein Zettel, auf den ich flüchtig einige Worte mit Bleistift schrieb, und den ich einem der Kondukteure des Zuges für sie gab, wird sie einstweilen beruhigen. Morgen schreibe ich. An Sie richte ich die Bitte, mir hier die Erlaubnis zu verschaffen, ihn pflegen zu dürfen, bis Gott entschieden hat!«

Die Fürstin war auch hinzugetreten. »Seien Sie mir willkommen, Fräulein,« sagte sie, »die Freunde des Herrn Meißner, dem ich gar vieles verdanke, sind auch die meinen, und keiner ist an diesem Bett zu viel. Auch Du nicht, Feodora, ich habe alles gehört und freue mich, daß der bessere Teil in Dir gesiegt hat! Jetzt aber, Doktor, lassen Sie uns vor allem nach unserm lieben Kranken sehen, den ich nur einige Augenblicke verlassen hatte, Fräulein, um mit diesem würdigen Mann zu sprechen. Ich fürchte, die Aufregung könnte ihm sehr geschadet haben!«

Der Arzt stand bereits an dem Bett und hatte den Finger am Puls des Kranken.

»Gott sei Dank! das Fieber ist geschwunden, die Krisis ist überstanden, ich glaube, jetzt können wir seine Rettung verbürgen.«



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