John Retcliffe
Magenta und Solferino. Dritter Band
John Retcliffe

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Der Salon eines Veteranen.

Es lag eine traurige, düstere Stimmung über der Familie Röbel, als sie jetzt, – mit Ausnahme des Majors – in den zwei Zimmern des British-Hotel versammelt war, die ihr Logis bildeten. Otto hatte natürlich von den Vorgängen geschwiegen, aber der Ernst des jüngeren, die verzweifelte Stimmung des älteren Bruders war trotz aller Mühe, sie zu verbergen, zu sichtbar, um nicht die beiden Frauen auf das Höchste zu beunruhigen. Wir haben uns bereits früher bemüht, dem Leser den Charakter der Edelfrau zu entwickeln: sanft, gutmüthig,– muthig und entschlossen nur in der Aufopferung für die Ihren, – den Willen, das Wort ihres Gatten als die unbedingte Entscheidung betrachtend, selbst wenn es ihr das Herz brechen mochte, – an ihren drei Kindern mit unsäglicher Liebe hängend.

Frau von Röbel empfand demnach die schrecklichste Angst – eine unbestimmte Ahnung ihrer feinconstruirten nervösen Natur sagte ihr, daß etwas Schreckliches im Werke sei. Aber alle ihre Fragen scheiterten an dem finstern Schweigen der Brüder.

Etwa eine Stunde nachher, nachdem er die Söhne Unter den Linden verlassen, kam der alte Major nach dem Hôtel zurück.

Die kurze Zeit hatte ihn merkwürdig verändert – seine – trotz des Alters – sonst noch feste gerade Haltung war auf einmal gebeugt und gebrochen, – die strengen Falten um Augen und Mund schienen noch tiefer, finsterer.

Rosamunde eilte ihm entgegen. »Vater, um Himmelswillen – bist Du krank?«

Auch die Majorin trat zu ihm, ihre gewöhnliche Schüchternheit überwindend; aber er wehrte Frau und Tochter zurück. »Laßt mich einen Augenblick – ich habe Nichts! – ich werde später mit Dir sprechen, Marie – jetzt habe ich ein dringendes Geschäft mit Denen da!« –

Er winkte den Brüdern nach dem Nebenzimmer und schloß hinter sich die Thür.

Dann trat er auf sie zu.

»Weißt Du, wo der Fürst Windischgrätz logirt?« frug er den Jüngsten.

»Im Hôtel Royal, Vater, ich sah den Wagen dort halten.«

»Glaubst Du, daß er sich Deiner erinnern würde, daß er Dir noch wohl will?«

»Ich hoffe es!«

»Wohl. Du wirst Dich sofort bei ihm melden lassen und ihn um ein Empfehlungsschreiben für den ehemaligen preußischen Lieutenant Friedrich von Röbel an den kommandirenden General in Italien bitten, damit ihm der sofortige Eintritt als Freiwilliger in eines der Feldregimenter gestattet wird.«

»Vater .....«

»Keine Widerrede! –« Er wandte sich an seinen älteren Sohn und zog ein Papier aus der Tasche. »Nimm!«

»Was ist das – ich beschwöre Sie, mein Vater ....«

»Es ist Dein Abschied aus dem Dienst. Seine Königliche Hoheit, der Regent, haben ihn mir bewilligt. Es ist das Einzige, was er für mich thun konnte. Es wird wenigstens jetzt nicht ein Schandfleck für die Armee sein, wenn Dein Steckbrief in den Zeitungen steht. Es betrifft ja jetzt nicht mehr den Offizier – es betrifft nur die Familie Röbel!« – Es zitterte ein Klang von Bitterkeit durch seine Worte, in dem Ton seiner Stimme. Im nächsten Augenblick war auch das überwunden. – »Die Gerechtigkeit ist eine notwendige Sache und die beschworene Verfassung sagt: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich!« –

»Vater – ich ertrage das nicht länger! noch bleibt mir Gott sei Dank ein Weg, der Alles ausgleicht!«

»Und der wäre?«

»Eine Kugel vor den Kopf!«

Der alte Mann sah ihn mit Verachtung an. »Also ein Selbstmörder? – Das ist Eure ganze Kunst, Ihr Jünger der neuen und fortgeschrittenen Zeit! Keine Ehre im Leben und keinen Glauben im Tode. Du bist ein Christ, und das Gebot Gottes verbietet dem Christen, Hand an sein Leben zu legen!«

»Dann geben Sie mich also der Schande Preis?«

»Nein! Der Name von Röbel soll wenigstens nicht in den Registern der Zuchthäuser paradiren. Du hast meinen Willen gehört – Du wirst heute Abend nach Italien abreisen. Otto wird Dich bis Wien begleiten!«

»O Dank, tausend Dank Vater für diesen Ausweg. Ich schwöre Ihnen, daß ich jeden Leichtsinn von mir werfen, daß ich Ihrem Namen wenigstens auf dem Schlachtfelde keine Unehre machen werde!«

»Das wirst Du nicht, denn der Tod auf dem Schlachtfeld für das Königthum ist immer ein ehrenvoller!«

Die beiden Söhne sahen ihn an.

»Ein Röbel« fuhr der Greis fort, und seine Stimme zitterte leicht, – »ein Röbel, der dem Zuchthause lebend gehört, kann unmöglich leben wollen. Als Christ darf er nicht die Hand an sich selbst legen. Du weißt jetzt, warum ich, Dein Vater, Dich nach Italien sende. Dem Lebenden müßte ich fluchen – dem Tobten kann ich verzeihen. Du gehst, um zu sterben

Friedrich von Röbel senkte schweigend seine Stirn; seine Lippen waren krampfhaft auf einander gepreßt.

Dann fühlte er, daß eine Hand sich auf seine Schulter legte, – es war die Hand seines Bruders.

»Vater,« sagte der junge Mann ruhig und fest, – »ich wage es nicht, Ihrer Entscheidung zu widersprechen, aber ich habe Sie, ehe ich zu dem Fürsten gehe, meinerseits um Etwas zu bitten.«

»Was ist es?«

»Um die Erlaubniß, meinen Bruder Friedrich nicht bis Wien, sondern auf das Schlachtfeld begleiten zu dürfen. Wir haben an einer Brust gelegen, und als Knaben unsere Freuden und Leiden getheilt. Friedrich von Röbel soll jener schweren Stunde nicht entgegen treten, ohne daß sein einziger Bruder an seiner Seite steht! Will es Gott, daß zwei Röbel fallen, so wird die Ehrenschuld des Einen doppelt bezahlt sein!«

Das Herz des leichtsinnigen Mannes brach – heiße Thränen stürzten unaufhaltsam aus seinen Augen, als er sich in die Arme des Bruders warf.

Der Major hatte sich nach dem Fenster gewandt – die welke zitternde Hand verhüllte sein Gesicht.

Wir führen den Leser in einen andern Salon – in den Salon eines preußischen Veteranen.

Mit dem Recht der Unsichtbarkeit, das der Schriftsteller hat und das ziemlich das einzige ihm unbestrittene ist, nehmen wir Dich, Leser, an die Hand und führen Dich die breite Treppe hinauf in dem Hause, vor dem zwei Schildwachen ihren einförmigen Gang halten. Hand in Hand treten wir in den großen Saal, der das Vorgemach bildet zu der Reihe der vorderen Zimmer.

Einige Gemälde bilden allein seine Decoration. Dort rechts an der Wand hängt das lebensgroße Bild eines Mannes mit edlem, braunem Gesicht und befehlendem Auge, die große stattliche Gestalt in den knappen, schwarzen Soldatenrock gekleidet, der jedem Deutschen wohlbekannt ist von Quatre Bras! Es ist Einer vom Stamm der Welfen – der Herzog von Braunschweig, der Letzte des alten Heldengeschlechts! Wer wird künftig wohnen in der Burg Heinrich des Löwen?

Neben dem letzten Welf hängt einer seiner Ahnen – weiterhin auch ein Herzog, – aber kein Welfe!

An der Thürwand ist ein großes Bild – die Zeitungen haben seiner Zeit davon erzählt. Die Offiziere des 3ten Armeecorps schenkten es ihrem alten Chef am Tage, an dem er sechszig Jahre das Preußische Reiterschwert führte. Es zeigt eines der großen Reiter-Manövre, mit denen der preußische Feldmarschall die ritterliche Waffe wieder zu ihrer vollen Massenwucht im Kriegssturm herangebildet hat. Dort in der Mitte des Bildes hält er selbst und um ihn herum all die bekannten Soldatengesichter! – Die Thür öffnet sich – treten wir ein.

Da, links vom Salon, ist auch eine Ahnen-Gallerie – freilich aus der modernen Zeit und doch alt und ehrwürdig! Die ernste, dunkle Rittergestalt dort im Hintergrund, der schwedische Feldmarschall, hat bereits seinem Enkel, dem preußischen, den Weg gezeigt über die Eider und Schlei – und die Dänen geklopft zu Wasser und zu Land. Was er an Brandenburg versündigt, das hat sein Enkel gesühnt. Die eiserne Hand des großen Kurfürsten strafte es überdies bei Rathenow und Fehrbellin und zerriß den Schweden den Siegeskranz von Femarn Zusmarshausen und Warschau. – Hier der Malteserritter mit dem frischen kühnen Gesicht, in den dunklen Rittermantel gehüllt, – von Mademoiselle Bardoi gemalt – wer würde da glauben, daß der junge Kürassiermajor von 1814, der bei Etoges sich mit seinem Regiment durch den Feind hieb, wie drüben die Skizze zeigt, der faltige alte Feldmarschall ist, dessen Bild von Krügers Meisterhand gemalt dort unter den andern Familienbildern hängt über dem Dom der alten Wiedertäuferstadt Münster, wo zum ersten Mal der freche Aufstand seine feste Hand fühlte, damals, als der Erzbischof von Köln König von Preußen spielen wollte.

Auch das Nebenzimmer ist ernsten Erinnerungen geweiht. Dort steht das Geschenk eines großen Todten; – Kaiser Nicolaus – der eherne Kaiser, der auf dem Bett den Heldentod für sein Land starb – sandte ihm die Silbervase mit den Schlachtgruppen von Heilsberg und Etoges an seinem fünfzigsten Soldatentag, die Vase und den Marschallstab, und darunter liegt das silberne Porte-d'epee, die Reliquie des Todten. Drüben aber im Salon hängt sein Bild mit den großen durchbohrenden Kaiseraugen, die er so oft freundlich und dankend gerichtet hat auf den preußischen Reitergeneral, der auch die Rebellion hielt unter eiserner Faust.

Auch ein anderer großer Todter ist da – kein Fürst, aber ein Held, der seinem Fürsten den starken Arm bot und ihm festhielt die eiserne Krone der Lombardei, bis er selbst auf dem Paradebette lag des undankbaren Mailand. – »Radetzky« ist es, der Heldengraf, der sein Bild dem alten Waffenfreunde geschenkt hat.

Von Erinnerungen zu Erinnerungen! Es ist ein Stück preußische Geschichte, die hier zusammengedrängt ist in dem einfach geschmackvollen Salon. Zwei Kamine erwärmen ihn, wenn draußen der Wintersturm tobt. Ueber dem einen hängen die schönen Bilder König Friedrich Wilhelm's IV. und seiner Königin Elisabeth, daneben König Friedrich Wilhelm's III. und seines Generals »Drauf!«, Blüchers – des Marschall »Vorwärts!« Daneben stehen die schönen Bronzegruppen von Drake's St. Georg im Kampf gegen den Drachen und des Erzengel Michael aus dem Babelsberger Schloß, Geschenke der Königin und des kronprinzlichen Paars – in dem Kamin aber liegt ein großer Steinkohlenblock und darauf steht mit einfacher Schrift: »Glück auf dem Vater Wrangel! 1849.«

Eine charakteristische, vielleicht Wenigen bisher bekannte Anekdote verknüpft sich mit dem Kohlenblock. Es war im Frühjahr des oben bezeichneten Jahres, als es den Bergleuten eines Kohlenschachtes bei Waldenburg in Schlesien einfiel, auch ein Wenig Rebellion zu spielen. Sie weigerten die Arbeit, zerschlugen die Geräthe und vertrieben den Besitzer. Dieser wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er in der Gegend das Gerücht verbreitete, General Wrangel in Berlin habe die Bergwerke gekauft und werde in Kurzem hinkommen. Ueber den Eingang wurde: Wrangel-Schacht geschrieben. – Kaum hörten die Revoltanten das Gerücht, so war es mit ihrer Courage vorbei, sie schickten geschwind eine Deputation – an ihren bisherigen Brodherrn, erklärten, daß sie gerne wieder arbeiten wollten und baten um Himmelswillen, den Kauf wieder rückgängig zu machen, damit nur »der olle Tüfel aus Berlin« nicht hinkäme! – Der Bergwerksbesitzer aber, hocherfreut über den Erfolg seiner List, ließ von den bekehrten Knappen jenen Block aushauen und schickte ihn an den General, der ihn zum Andenken aufbewahrt hat.

Auf dem Kohlenblock liegt ein antikes Marmorgebild – ein Medusenhaupt. Die revoltirenden Redifs in Smyrna ließen es für den »Brennibor-Pascha«, als sie den ihren erschlugen und den Sarkophag zertrümmerten, zu dem es gehörte. Auf der Platte des Kamins aber liegt ein anderer Stein: ein Stück vom Wrangelthurm an der preußischen Ostmark, – in Königsberg!

Selten wohl sieht man ein so scharfes gewaltiges Bild des großen Königs, des »Alten Fritz«, als da von der Wand auf all' die andern Heldengestalten herunterschaut, und ernst zu nicken scheint, daß der dritte Kriegsherr des alten Reitergenerals, König Wilhelm dort über dem zweiten Kamin einen York und Gneisenau nicht blos im Bilde zur Seite hat! Sinnig hat der König seinem Reitergeneral sein Portrait auch gerade in Reiteruniform geschenkt! Die festen Soldatengesichter sehen recht seltsam zu der Madonna della Sedia in ihrer Gesellschaft. Da liegt auch die Erinnerung an das Jubiläum des Ordens pour le mérite, den der 23jährige Dragoner-Lieutenant sich bei Heilsberg aus den Franzosen heraushieb. Daneben unter dem vorhin erwähnten Bild des Kaiser Nicolaus, hangt ein anderes,– eine öde Gegend – ein Hünengrab darauf! Es ist der Hügel, den ein anderer Romanoff, Peter der Große, über den Leichen der Schweden und Russen, nach der grimmen Schlacht von Pultawa thürmen ließ, und zwanzig Wrangel liegen unter jenem Hügel. Der Gouverneur von Poltawa schenkte es seinem Namensvetter, dem Preußischen Feldmarschall, als dieser im September 1852 an diesem Hügel stand. Das einfache, aber merkwürdige Reiterbild des Schwedenkönigs, Karl XII., paßt dazu! –

Licht und hell unter diesen blutigen Erinnerungen steht die schöne Marmorbüste der Kronprinzessin mit dem einfachen Kornblumenkranz geschmückt und ihr sinniges Geschenk an den alten Maltheser, der gelbe Marmorstein von Malta mit dem Kreuz. Die Hand der Prinzessin Carl hat ihre Jubiläumsgabe daneben gestellt, den wunderbar schönen Leuchter von dem seltenen rothen Marmor. Drüben an der Fensterwand steht aus dem Kreise der Paladine, die den Weg zum Throne bewachten: Brandenburgs, des edlen Grafen Büste. Des Prinzen Albrecht Dragonerbild, die Erinnerungen aus Pompeji, das Bild des Prinzen, dem der alte Held fünf Jahre später den lorbeerumflochtenen Kommandostab reichen sollte, und die prächtigen Albums und Bürgerbriefe von Berlin, Rathenow, Stettin und Pollnow und hundert andere Erinnerungen bedecken die Tische umher. Bald, in Jahresfrist, werden sich ihnen die sinnigen schönen Gaben zum goldenen Hochzeitsfest anreihen!

In diese Räume, Leser, haben wir Dich geführt, um den Schmutz der vorigen Umgebung aus Deinen Erinnerungen zu wischen. –

In dem größeren Salon befinden sich in diesem Augenblick zwei Greise – nein, nicht zwei Greise, zwei alte Leute, – sondern zwei jener Männer, die alt geworden an Jahren und an Erfahrung, aber jung geblieben im warmen Herzen und frischen Geist, und denen Gott der Herr gleichsam zum Wahrzeichen für die jüngeren körperlich und geistig markloseren Geschlechter zu ihrer ehernen Seele auch Muskeln von Stahl und Leiber von Eisen gegeben hat, an denen die Marken der Zeit keine Macht zu haben scheinen, bis der Herr sagt: Bis hierher, nicht weiter! Diese beiden Männer, – der eine 75, der andere 72 Jahre – sind die Repräsentanten der unbefleckten Ehre, des niedergebeugten Wuthes und der unverbrüchlichen Treue, Paladine des deutschen Königthums von Gottes Gnaden – der eine am Thron des Doppeladlers, der andere die eiserne Hand am Reichsschwert der Aare, die ihren Flug glorreich vom Felsen zum Meere genommen – die wahren Feldmarschälle und Schildhalter Preußens und Österreichs gegen die Legion der Untreue und der Empörung!

Es herrscht eine seltsame Uebereinstimmung zwischen den beiden Männern und ihrem Wirken, – nur ist der Preuße, der Aeltere, der Rüstigere, auch der Glücklichere. Aus seiner Jugend schon leuchtet eine Heldenzeit herüber mit den Namen: Heilsberg, Haynau, Groß-Görschen, Leipzig, Montmirail, Champaubert, Laon! Die Erinnerungen an den Wald von Etoges und an den Wald von Beaumont sind es vielleicht, die ihn noch zum rüstigen Jägersmann in den grünen Wäldern der Mark machen – und kein Mißlingen hat das Vertrauen der Gekrönten prüfen und erschüttern können, denen er sein Leben geweiht und sein Blut vergossen hat; denn seine Ehren sind mit ihm gewachsen in unverändertem Glück und seine Treue hat selbst den Haß seiner Feinde besiegt! Wie er dem Königthum, so ist das Königthum ihm treu geblieben und selbst die Wetterlaunen der Volksgunst feiern seinen Abend!

Wir sind beiden Veteranen schon früher in unserm Buche begegnet – damals auf dem Belvedere von WienVillafranca II. Bd. – damals im Park von Charlottenburg, als der alte Soldat seinen König bewachte und von ihm gejagt wurde. Es sind dem Leser bekannte Gestalten, ohne daß wir ihren Namen zu nennen brauchen.

Vor den beiden Veteranen auf dem Tisch liegt eine Karte, auf welche der Eine wiederholt bei seiner Rede hinweist. Es ist die Karte der Lombardei und Venetiens. Die Stirn des österreichischen Feldherrn und Diplomaten ist sehr sorgenvoll, das offene, martialische Gesicht des Andern mit dem spitz in die Höhe gedrehten Schnurbart freundlich und zuversichtlich.

»Ich gehe mit schwerem Herzen nach Wien zurück, Herr Kamerad,« sagte der Oesterreicher. »Ich muß Ihnen allerdings Recht geben, daß Oesterreich bei den unglückseligen Zerwürfnissen von Warschau und Ollmütz und in Dresden nicht so gegen Preußen gehandelt hat, als es hätte thun sollen, und daß die Schuld des Bruchs jenes großen Gedankens, der heiligen Alliance, die so lange Europa den Frieden gesichert hat, sich jetzt schwer an uns rächt. Aber Schwarzenberg ist todt – und meine Mission hierher ist der Rath eines Sterbenden, der immer in dem festen Zusammengehen Oesterreich und Preußens nicht blos das Heil Deutschlands erkannt hat. Das Telegramm von heute Morgen meldet den Tod des Fürsten Staatskanzler – aber sein Geist soll uns bleiben. Der Kaiser ist bereit, jede Forderung Seiner Königlichen Hohen in Betreff des Oberkommando's der Bundestruppen zu genehmigen. Aber Ihre Regierung darf sich auch nicht über die Gefahren täuschen, die auch ihr drohen.«

»Durchlaucht,« sagte der Preuße, »wir wissen sehr gut, daß uns man von Frankreich noch nie was Gescheut's gekommen ist – aber von Oesterreich auch nicht viel!«

»Hören Sie mich an, Excellenz,« sprach der Andere eifrig. »Sie können in kleinlicher Rache für begangene Fehler, wie es Rußland thut, unmöglich wollen, daß Oesterreich geschwächt wird. Der Kampf, den wir jetzt kämpfen, ist nicht ein Streit um die Lombardei. Lebte Der dort noch, unser alter Freund,« er wies nach dem Bilde Radetzki's, »wir hätten auch die nicht verloren. Es ist ein Racenkampf, der Krieg des Romanismus gegen das Germanenthum, und über uns hinweg reichen sich Frankreich und Rußland die Hand. Der König Victor Emanuel ist für die Pläne in Paris nur die Puppe. Wird Oesterreich von seinem Vorposten im Süden der Alpen zurückgedrängt, so ist ganz Süddeutschland dem Andrang des Romanismus, das heißt der ewigen Revolution geöffnet. Das Festungsviereck von Peschiera, Mantua, Verona und Legnano deckt allein die Pässe nach Deutschland durch Tyrol und selbst durch die Carnischen Alpen. Der Sieg des Romanismus in Italien ist nichts Anderes, als das Signal auch für die griechischen und slavischen Stämme. Wir drei – Preußen, Oesterreich und England müssen treu zusammenstehen, wenn das Gleichgewicht in Europa festgehalten und nicht eine zweite napoleonische Herrschaft mit Rußland sich in Europa theilen soll. England sieht die Gefahr sehr wohl, aber der indische Krieg macht es in diesem Augenblick schwach. Steht Preußen aber zu Oesterreich, so wird die Gefahr wenigstens abgewendet bis wir zu dem großen Kampfe gerüstet sind, der einmal doch kommen muß! Baiern und die Kleinstaaten sind bereit, eine Bundesarmee am Oberrhein aufzustellen – aber das ist nutzlos, wenn Preußen nicht sein Schwert in die Wagschaale wirft. Oesterreich verlangt jetzt Preußens Beistand – wird Preußen Oesterreich im Stich lassen gegen den gemeinsamen Feind?«

Der alte Feldmarschall sah lächelnd auf den Fürsten.

»Schwerenoth, Durchlaucht,« sagte er herzlich, »für was hätten wir denn zusammen bei Leipzig geschlagen? Ich sage Ihnen, der Prinz ist man ein ganzer Soldat, und was der arme König gethan hätte, das wird er auch thun, trotz aller neuen Aera und wie der Schnickschnack sonst heißt! Danken Sie's unserer lieben Elisabeth! denn schlecht, Durchlaucht, haben Sie doch nun einmal an uns gehandelt und wenn's auch bloß mit dem verfluchten Neuchâtel gewesen wäre!«

Der Fürst streckte ihm erfreut die Hand über den Tisch entgegen. »Ich denke, Excellenz, das läßt sich ausgleichen im Norden. Ich hoffe, daß unsere Fahnen zusammen noch einmal an der Eider wehen!«

Der alte Reitergeneral schüttelte ihm die Hand. »Ich bin kein Diplomat, wie Sie, Durchlaucht,« sagte er biederherzig, »dergleichen Versprechungen müssen Sie den Herren Ministern am grünen Tisch sagen. Aber der Teufel soll mir holen, wenn es mir nicht gerade so viel Freude machen sollte, noch ein Mal droben in Schleswig die Dänen zu klopfen, wie die Franzosen, und meinetwegen mögen die Oesterreicher auch dabei sein, obschons nicht nöthig ist, bloß damit die Andern 's Maul halten. Reisen Sie mit Gott, Durchlaucht, und wenn's Ihnen eine bessere Fahrt machen kann,« er war mit dem Fürsten aufgestanden und hatte von einem andern Tisch ein Papier genommen, das er ihm reichte – »so lesen Sie immerhin das da! Ich werd's verantworten!«

Der Fürst hatte nur einen Blick auf das entfaltete Papier geworfen, dann sah er freudig erschrocken in die munter leuchtenden Augen des preußischen Veteranen.

»Wie – Excellenz – ist es wahr? Sie zum Befehlshaber der Main-Armee?«

»Still, still, Durchlaucht,« sagte lächelnd der Veteran, seinen Finger erhebend, – »morgen ist auch noch ein Tag und wir alten Knaben dürfen nicht aus der Schule plaudern. – Glückliche Neise, Durchlaucht – und, à propos, – ein alter Kamerad von uns, von 1813 und 1814, ist vor einer Stunde bei mir gewesen und will seine Söhne zu Ihrer Armee schicken. Dem Jüngsten habe ich Landwehr-Urlaub gegeben, der Aeltere hat seinen Abschied. Es ist eine verfluchtige Geschichte, aber es läßt sich nicht ändern! Diese Halunken ruiniren mir noch die ganze Armee! Wenn Sie ihnen eine Empfehlung geben können, so thun Sie's, der Alte verdient es und er jammert mich in der Seele!«

Der Fürst entgegnete, daß er es bereits gethan und schied sich sichtlich erfreut und beruhigt. Der preußische Veteran begleitete ihn bis zum Wagen. Als er zurückkam, fand er in seinem Arbeitszimmer einen höheren Offizier, welcher zu seinem Truppentheil, einer Cavallerie-Abtheilung, ging und sich verabschieden wollte. Der alte Reiter-General trat auf ihn zu – er war wieder ganz der stramme, straffe Kommandeur. »Kennen Sie die Kabinetsordre Friedrich des Großen vom 10. Juni 1764, Herr Oberstlieutenant?« – Der Offizier schweigt etwas verlegen. – »Nun, dann will ich sie Ihnen zur Richtschnur sagen: »»Die preußische Cavallerie läßt sich nicht angreifen, weil sie immer zuerst angegriffen hat!«« Und jetzt Gott befohlen; wir sehen uns als wackere Soldaten wieder; sollte es aber auf Erden nicht mehr sein – nun, dann ist auch Nichts daran gelegen!« – Zwei Tage darauf wurde der Befehl zur Mobilmachung von sechs preußischen Armeecorps bekannt. –

Es ist gleich 11 Uhr Abends – bereits hat die Glocke zum ersten Mal das Zeichen für den Breslauer Schnellzug gegeben – denselben, der nach Wien, nach Italien führt.

Es ist ein hastig Getreibe, ein Drängen und Stoßen auf dem Perron und am Eingang, denn jeden Augenblick rasseln noch Droschken heran und bringen verspätete Reisende.

Draußen auf der Straße unter dem Sternenhimmels nicht in der Athmosphäre des Wartezimmers, stehen drei Männer – ein Greis und zwei jüngere, in der Vollkraft des Lebens – es ist der Major mit seinen beiden Söhnen.

Die Söhne selbst haben die Begleitung von Mutter und Schwester verweigert. Die Frauen wissen nur, daß der Offizier, um jene Heirath abzubrechen, die Erlaubniß erhalten hat, zur Armee nach Italien zu gehen, und daß Otto ihn begleiten will. Dennoch ist der Abschied schwer und herzzerreißend genug gewesen; welches Mutterherz ließe sich auch täuschen?

Ihr weniges Gepäck ist übergeben, die Plätze sind belegt – sie selbst haben den Vater gebeten, hier allein von ihnen zu scheiden, nicht im Gewühl der Menge.

Da stehen sie – die drei Letzten eines alten treuen und ehrenfesten Geschlechts – die Träger eines Jahrhunderte lang unbefleckten Namens, durch den Gott der modernen Zeit, das Geld, dem Untergang geweiht. Der Jüngste liegt an der Brust des alten Mannes – der Schuldige steht finster und stumm neben ihnen.

Da schallt die Glocke zum zweiten Mal!

»Vater – laß ihn nicht so scheiden!«

Und das Vaterherz ist stärker, Zorn und Leid – ein dumpfes Schluchzen bricht sich aus der Brust des alten Mannes den Weg und er legt die zitternden Hände auf das sich in Thränen beugende Haupt des schuldigen Kindes. »Gott vergebe Dir, Sohn, wie Dein Vater, Dir vergiebt aus vollem Herzen, und stehe Dir bei in der schweren Stunde, die Alles sühnt!« Er drückt das Haupt des Sohnes an seine Brust und zwei schwere Thränen fallen darauf nieder. Dann reißt er sich los aus ihren Armen – er winkt mit der Hand nach der Bahn – er verschwindet im Dunkel! –

Otto von Röbel zieht den Bruder, der kaum sich aufrecht zu halten vermag, mit sich fort.

Wenige Augenblicke darauf schallt die Glocke zum dritten Mal – der gellende Pfiff der Locomotive schneidet durch die Luft – der Zug rasselt davon.

Unter dem Nachthimmel aber steht ein einsamer Vater – die Hände gefalten – das Auge zu den Sternen erhoben.

»Vater, dort oben, vergieb uns Allen unsre Schuld, und laß ihn enden, treu und mit Ehren, wie ein Röbel sterben soll!«

(Schluß des dritten Bandes.)


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