John Retcliffe
Magenta und Solferino. Dritter Band
John Retcliffe

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Schwarz-Weiss!

Der Salon eines Jobbers.

In dem Salon des Herrn Samuel Jonas in Berlin – das Zimmer war ausnahmsweise zu dem Geschäft gewählt, – war Familien-Conferenz.

Der Privat-Bankier in seinem blauen Frack mit den vergoldeten Knöpfen und dem schmuzigen weißen Halstuch schob stoßweise, wie er zu gehen pflegte, in dem Zimmer auf und ab. Madame Jonas in der Glorie alles jüdischen Embonpoints und eines kolossalen Crinolins saß so breit auf dem Sopha, daß ihre beiden Töchter keinen Platz mehr gefunden und sich in die Sessel daneben zurückgezogen hatten. Fräulein Rosalie hatte etwas rothe Augen, vielleicht mehr von dem consequenten Gebrauch des Schnupftuchs, als von wirklichen Thränen. Dazwischen lächelte sie sehr süß und schmachtend den Premierlieutenant von Röbel an, der neben ihr saß, mit einem Gesicht, das eher alles Andere war, denn das eines glücklichen Bräutigams.

Denn Bräutigam oder vielmehr verlobt war der Offizier in der That und am nächsten Tage sollte diese Verlobung öffentlich gefeiert werden und in den Zeitungen stehen. Diese Frist hatte sich der Lieutenant noch ausbedungen, um zuvor mit seiner Familie die unvermeidliche Sache in Ordnung zu bringen.

Der Lieutenant von Röbel mußte weit genug heruntergekommen sein, daß er sich zu diesem coup de désesperation hatte entschließen können, aber es war ihm in der That Nichts mehr übrig geblieben, als dieser Ausweg, und wir haben bereits bei der Erzählung der Vorgänge in der Neujahrsnacht gesehen, daß er sich mit einer gewissen Philosophie bei Zeiten darauf vorbereitet und an den Gedanken gewöhnt hatte, Fräulein Rosalie Jonas als Frau von Röbel und den früheren Einbrecher und Zuchthäusler als Schwiegerpapa zu betrachten.

Leider war der Ehrgeiz des Herrn Jonas bei dieser Verbindung nicht stehen geblieben.

Wir bedauern, dem Leser so nahe dem Ende unseres Buches noch eine neue bisher nicht aufgetretene Person vorführen zu müssen. Es ist dies der junge Herr Jonas, der älteste Sohn seines Erzeugers, ein angehender Börsenjobber und Spekulant in Getreide und zwar, zum Besten seiner Nebenmenschen, immer in der hausse. Herr Jonas junior hielt sich ein Reitpferd, mit dem er eine sehr schlechte Figur unter den Linden spielte, und hatte sich bereits eigenes Vermögen gesammelt, indem er, eine keusche Lilie im Thale Josaphat, in seiner frühen Jugend den Louis bei alten wohlhabenden Wittwen und Jungfern spielte, sich reichlich beschenken und zwei Mal für kleine Gefälligkeiten adoptiren ließ. Gegenwärtig paßte ihm das nicht mehr, er saß im Opernhaus Parket zwischen den Prosceniumslogen, trug fuchsrothe Handschuhe, die damalige Modefarbe, und machte wie gesagt in Getreide. Beiläufig war er jetzt sechsundzwanzig Jahre.

Papa Jonas hatte aber bedeutend höhere Speculationen mit ihm, als den einfachen Kornwucher. Er hatte beschlossen, daß sein Stammhalter der Begründer einer neuen Aera in der Familie, daß er Rittergutsbesitzer werden solle. Der Stand als Rittergutsbesitzer gilt der haute finance als Passepartout in die adelige Gesellschaft.

Leider war der Weg zu diesem Ziel, den sich Herr Samuel Jonas ausgesucht, die Familie von Röbel, zu dem alten, aber leider nicht befestigten Grundbesitz der Mark gehörend.

Im gegenwärtigen Augenblick, bei dem Familien-Congreß, rekelte sich Herr Jonas junior rittlings auf einem Stuhl gegenüber seinem künftigen Schwager, indem er eine jener Stellungen nachzuahmen suchte, die bis zum Jahre 48 bei den Gardelieutenants auf der Kranzler'schen Rampe beliebt waren und seitdem von der Fonds- und Wechselbörse mit etwas weniger geraden Beinen, aber mit desto größerer Unverschämtheit executirt werden, und rauchte dazu eine sehr starke Cigarre.

»Es ist abgemacht,« sagte Herr Jonas auf- und niedergehend mit großer Bestimmtheit – »der Herr Major ist doch ein verständiger Mann; denn er ist ein alter Mann, der trägt das eiserne Kreuz, vor dem ich habe großen Respect, weil es beweist, daß er gewesen ist ein Simson in der Schlacht. Er wird einsehen, daß er nicht behalten kann das Gut, denn die Güter stehen schlecht im Preis, weil man nicht wissen kann, ob es giebt Krieg und weil der Grundbesitz nur bringt vier Procent. Ich hab' es taxiren lassen durch Hirsch Jüngling und die Hypotheken sind gerade eilftausendvierhundert Thaler mehr, als ist der reelle Werth.«

»Das ist, weil man gerade diese Krisis benutzt hat, um meinem Vater diese Hypotheken zu kündigen, die er unmöglich anschaffen kann,« bemerkte unwillig der Offizier.

»Sie reden, wie Sie's verstehn, Herr Sohn,« sagte wichtig der Alte, während Herr Jonas Junior sich bemühte, aus den mit einiger Mühe gespitzten wulstigen Lippen fliegende Ringe in die Luft zu blasen. »Ich meine es gut mit Ihrer Familie, weiß Gott, und ich werde es beweisen, wie ich es schon hab' bewiesen, als ich gegeben habe meinen Seegen zu Ihrer Verheirathung mit meiner Tochter Rosalie, die hätte haben können den Itzig Pinkus aus Bentsche mit baaren hunderttausend Thalern, während ich jetzt bezahle Ihre Schulden bis zum letzten Pfennig und gebe meinem Kind jährlich fünftausend Thaler Revenue, weil sie wird eine gnädige Frau. Ich werfe mir nicht weg' und laß mich nicht lumpen, denn ich bin ein Mann, der's kann! Aber das Gut hat kein Holz, das man könnte schlagen, um zu stopfen das Loch und drum ist es hin. Warum soll es kommen lassen der Herr Major, vor dem ich hab' großen Respect, zur Subhastation? Eine Subhastation ist ein Bankerott, und die Herrn Edelleute müssen niemals machen Bankerott, weil sie nicht verstehen daraus zu machen ein Geschäft, wie andre kluge Leute. Der Herr Major hat es nicht nöthig, ich werde kaufen das Gut und zahlen einen guten Preis, daß er sich zurückziehen kann in Ruhm und Ehren, wie so viele Herren vom Militair, wenn er hört auf einen vernünftigen Vorschlag!«

»Aber warum wollen Sie mir nicht sagen, worin Ihr Vorschlag bestehen soll?« frug mit Besorgniß der Offizier. »Sie wissen, mein Vater ist etwas eigensinnig, ja stolz und hat veraltete Ansichten über gewisse Dinge.«

»Eigensinn hin, Eigensinn her,« sagte der Bankier patzig. »Was thu ich mit dem Stolz und mit den Ansichten, wenn kein Geld ist dahinter? Daß der Herr Major ist ein vernünftiger Mann, das beweist, daß er meinen Vorschlag einer Besprechung hat angenommen und sogar erklärt, daß er kommen wird hierher, damit ich nicht zu kommen brauche zu ihm. Darum wollen wir heute feiern zusammen ein Familienfest.«

Der Lieutenant zuckte bedauernd die Achseln – je näher der Augenblick kam, desto besorgter wurde er.

»Sie können sein übrigens ganz ruhig, Herr Sohn,« fuhr Herr Jonas senior fort, sich in die Brust werfend. »Ich bin ein guter Vater und will machen das Glück meiner Kinder, und wenn ich sage, ich will, so ist's so gewiß, als ob's schon wäre geschehn. Ich hab' doch gesorgt für ein Mittel, das bekehren mag einen Kopf, der noch viel härter ist, als der des Herrn Majors.«

Und gleich, als hätte er einen solchen Kopf gefunden, tätschelte er behaglich auf dem Toupé der Fräulein Rosalie Jonas umher.

Die Andeutung des unfehlbaren Mittels schien aber den künftigen Schwiegersohn noch weit weniger zu beruhigen, als alle andern Versprechungen, denn er warf einen hastigen scheuen Blick auf den zärtlichen Papa, den dieser jedoch nicht zu bemerken schien, und wechselte die Farbe.

Ehe er jedoch eine weitere Frage thun konnte, wurde er durch das Erscheinen des Kommissionair Günther unterbrochen, der hastig in's Zimmer polterte, den Hut auf dem Kopf.

»Der Alte ist da,« schrie er, ohne gleich den Lieutenant zu bemerken, – »er hat gleich die ganze Familie mitgebracht, die Blasse auch, ik sage Ihnen, Herr Jonas, et jeht vortrefflich, Victoria! Sie sind Alle mank in's Brittische Hotel abgestiegen, der Alte jeht zu keinem Andern, als zu Krüjern!«

Herr Jonas steckte vornehm die Hand in den Busen der weißen Weste.

»Ich muß sehr bitten Herr Günther – Sie sind hier nicht in Ihrer gewöhnlichen Gesellschaft – es ist Besuch hier!« Er nickte vornehm nach dem Lieutenant.

Der würdige Kommissionair schlenkerte mit den Fingern. »Ah so – des is wahr! – Na,« fügte er leiser hinzu, nachdem er mit einem Kunstruck den Hut abgenommen, »ik sage Ihnen, er wird nich schlecht Oogen machen, der Alte is verflucht tücksch, ik weiß et von der Male her. Apropos Male, haben Sie man Nischt von sie jehört?«

»Der Kommissionsrath Boltmann,« sagte der Bankier, »der gekommen ist vorgestern von Paris, hat mir erzählt, daß die Polenzen ist dort mit einer vornehmen Dame von Adel, und daß sie will fortziehen ganz von Berlin, weil sie hat wiedergefunden ihr Kind, ihre Tochter!«

»Ihr Kind?« stammelte der Kommissionair, und er mußte sich am nächsten Stuhl anhalten, so hatte die plötzliche Nachricht ihn überwältigt. »Aber das ist ja todt!?« –

»Was weiß ich?« sagte Hartmann Jonas – »das muß wissen eine Mutter am Besten. Gehn Sie jetzt hinein Günther in mein Zimmer und halten Sie sich bereit, wenn der Alte zeigt Mucken. So mir Gott helfen soll,« fügte er bei, und unter den grauen buschigen Brauen hervor blitzte die alte tückische Wildheit des Einbrechers von Profession, »ich will haben meinen Willen, oder die ganze Famille soll mir mit Schande an den Bettelstab!«

Er schob den Kommissionair in ein Seitenzimmer, denn soeben kam der Bediente herein mit der Anmeldung.

»Herr Major von Röbel und Sohn!«

Herr Jonas schoß auf die Thür zu und riß sie weit auf. »Sehr willkommen! äußerst willkommen! Nur hier herein, Herr Major – freut uns unendlich, Sie einmal bei uns zu sehn! Aber warum haben Sie nicht Ihre Frau Gemahlin und das gnädige Fräulein mitgebracht? – Erlauben Sie, Herr Major, meine Frau, meine Tochter Rosalie, sie ist es! meine Tochter Ida – ein sehr talentvolles Mädchen, spielt Ihnen, weiß Gott besser Klavier wie der Vieuxtemps oder Paganini. Mein Sohn Levy, mein Stammhalter!«

»Ich habe Dir schon oft gesagt, daß ich nicht Levy heiße, Papa, sondern Leon!« »Leon oder Levy,« meinte der Alte vergnügt, indem er dem Edelmann die Hand bot, »es kommt auf Eins 'raus, wenn man nur Geld hat, nicht wahr, Herr Major?«

Der alte Edelmann verneigte sich steif vor den drei Damen, die in ihren Crinolins zusammen knixten, namentlich Madame Jonas mit ihrem Embonpoint, wegen dessen auch Herr Jonas ihr verboten hatte, sich auf den Balkon zu setzen, damit sie ihm nicht, wie er sich ausdrückte, die neue Façade schimpfire. Den Lieutenant, der stark erröthend ihm zwei Schritte entgegen getreten war, grüßte er nur mit einem kurzen Kopfnicken, ohne ihn anzusehn. Desgleichen schien er ganz die dargebotene Hand des Hausherrn zu übersehen, der damit einige Zeit in der Luft herum fuhr und sie dann wieder in die Hosentasche steckte, wo er mit dem Gelde klimperte.

Auch Otto von Röbel grüßte kalt, aber höflich die Familie. Dem Bruder reichte er die Hand.

»Wollen der Herr Major nicht die Güte haben, sich zu sehen und ein kleines Frühstück anzunehmen?« invitirte Madame Jonas, die es an der Zeit glaubte, auch ihr Wort einzuschieben, obschon ihr gestrenger Eheherr es ihr scharf untersagt hatte, »wir haben doch ganz, vortreffliche Salomon-Wurst und Staßfurter Gänseleberpastillen dazu holen lassen alles von Borchardt in der französischen Straße!«

Die beiden Mädchen wurden sehr roth und ihr würdiger Bruder lachte spöttisch auf. Der Major aber unterdrückte ein flüchtiges Lächeln und sagte freundlich: »Meine gute Frau, ich danke Ihnen bestens, aber ich habe mit Ihrem Mann einige dringende Geschäfte und meine Zeit ist sehr gemessen!«

Die »gute Frau« fiel wie ein Wasserguß auf die Familie und Madame Jonas sank wieder in ihren Divan zurück.

»Ich bitte Sie, Herr Jonas,« fuhr der Major ernst, fast streng fort, »mich gefälligst in Ihr Arbeitszimmer zu führen, oder an einen Ort, wo unsere Geschäfte Ihre Familie nicht stören. Ich glaube, wir haben Dinge zu verhandeln, die sich eben nur für Männer eignen.«

»Es ist nicht nöthig, daß wir gehn wo anders hin. Geht hinaus, bis ich Euch rufe!« befahl der Bankier ziemlich unwirsch den Frauen. Diese erhoben sich gehorsam, und entfernten sich mit einer Verbeugung, welche die beiden Edelleute höflich erwiederten. In gewissen Dingen war Herr Jonas ein Haustyrann und duldete keinen Widerspruch oder Zögerung. Herr Jonas Junior und der Lieutenant wollten ihnen folgen, aber der Veteran hielt sie durch eine Geberde zurück.

»Wenn Sie Nichts dawider haben, Herr Jonas,« bemerkte der Major hierzu, »so mögen diese Herren bei unserer Unterredung zugegen bleiben.«

»Ganz wie Sie befehlen – um so mehr, da es sich ja handelt mit um sie selber. Aber bitte, Herr Major, wollen Sie nicht Platz nehmen!«

Der alte Edelmann machte eine ablehnende Bewegung. »Ich danke Ihnen, mein Herr, ich werde mich möglichst kurz fassen.«

Er blickte einen Augenblick starr vor sich hin, als wolle er einen Entschluß in seinem Innern nochmals kräftigen. Dann richtete er sich straff empor, seine Blicke fielen kalt auf den Offizier.

»Dieser Herr,« sagte er kalt, »hat mich und seine Mutter benachrichtigt, daß er sich mit Ihrer älteren Demoiselle Tochter verlobt hat. Ist dem so und mit Ihrer Einwilligung geschehen?«

»Vater –!«

»Still, mein Herr, ich spreche jetzt mit Herrn Jonas! Antworten Sie gefälligst, mein Herr!«

»Der Herr Lieutenant hat uns die Ehre angethan, um die Hand meiner Rosalie anzuhalten, und da er ein sehr anständiger und braver Cavalier ist und die jungen Leute sich lieben, habe ich mit Vergnügen Ja gesagt. Ich hoffe, Herr Major, wir werden ausmachen eine vortreffliche Familie, wie sie im Buch steht!«

»Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen, aber ich muß Sie in dieser Beziehung auf Eines aufmerksam machen. Hat dieser Herr Ihnen auch gesagt, daß er keinerlei Erbtheil von mir zu erwarten, daß er jedes Anspruchs darauf sich längst verlustig gemacht, und Nichts als sein Lieutenantsgehalt und wahrscheinlich noch Schulden überdies hat?«

»O ich weiß, ich weiß Herr Major,« unterbrach ihn der Bankier hastig – »aber es ist doch Alles in Ordnung und wenn Sie ihm auch mitgeben kein Geld – nu, für was bin ich ä reicher Mann? Ich werde sie ausstatten, wie sich's gehört für eine künftige Frau von Röbel« – der alte Edelmann zuckte unwillkürlich bei diesem Namen, – ich gebe ihnen Fünftausend jährlich, denn ich kann's thun, – und was die Schulden betrifft, main, Herr Major, er ist doch ä Cavalier und wir sind doch auch Beide gewesen jung! ich und Sie!«

»Es ist nur der Unterschied,« bemerkte der Veteran stolz, »daß ich meine Jugend auf den Schlachtfeldern des Vaterlands zugebracht habe, und Sie ...« er brach, sich gewaltsam fassend ab. »Indeß, lassen wir das. Der Herr Lieutenant von Röbel ist längst mündig, und weiß, was er zu thun und zu lassen hat. Gegen den persönlichen Ruf des Mädchens kann man, wie ich höre, Nichts sagen, und ich habe daher kein gesetzliches Recht zu einer Einsprache, auch die Mittheilung der Verlobung überhaupt nur als das, was sie sein soll, eine Höflichkeit, betrachtet. Meine letzte Pflicht war es, Sie vor falschen Erwartungen zu warnen. Der Herr Lieutenant von Röbel wird hoffentlich selbst wissen, welche Stellung er künftig mir und seiner Mutter gegenüber einzunehmen hat.«

Der Bankier rieb sich mit ziemlich gut geheuchelter Befriedigung die Hände und that, als mißverstehe er den Major. »Ausgezeichnet, ausgezeichnet, Herr Major! ich wiederhole doch meinen Kindern auch täglich, daß sie niemals, so alt sie auch sein mögen, vergessen sollen den Respekt gegen ihre Eltern. So wäre denn Alles in Ordnung und Sie sollen sehn, sie werden leben, wie die Turteltauben, die Rosalie hat ä gar zu gutes Gemüth!«

Der junge Herr Jonas begann halblaut eine Melodie vor sich hin zu summen und an die Scheiben des Fensters zu trommeln, an dem er stand. Die Eintracht und das Familienglück schien ihm nicht so sehr einzuleuchten wie seinem Herrn Papa.

Otto von Röbel stand finster und stumm an einen Sessel gelehnt. Der Bruder, so sehr er auch dessen Handlungsweise mißbilligte, that ihm leid in der traurigen Rolle, die er hier, in eine Ecke des Sophas gedrückt und die Augen finster zur Erde gerichtet spielte, indem er bald einen gewissen Trotz, bald ein spöttisches Lächeln zu heucheln strebte.

»Gehen wir zu etwas Wichtigerem über mein Herr,« fuhr der Major fort. »Sie wissen, Herr Jonas, daß Röbelsberg, das Gut meiner Familie, verschuldet ist.«

Ein Strahl boshafter Freude und Genugthuung brach – aber, nur einen Moment lang – aus den Augen des Bankiers, verschwand aber sogleich wieder.

»Lieber Himmel,« seufzte Herr Jonas – »welcher Grundbesitz ist das heutzutage nicht, Herr Major! Weiß Gott – es ist ä theures Vergnügen! Vier Prozent Ertrag, die Mißerndten nicht mitgerechnet, und fünf Prozent die Kapitalien zum Mindesten. Ich hab' mir immer gewundert, Herr Major und hab' oft davon gesprochen zum Herrn Lieutenant, warum Sie nicht gründen eine Brennerei, oder eine Raffinerie?«

»Der Edelmann sollte kein Schnapsfabrikant sein!« sagte der Major kurz. »Doch das ist keine Sache zur Erörterung zwischen uns. Das Gut hat in der alten Ritteschaftstaxe freilich nur einen Werth von 52  Thaler, aber es ist seine neunzig werth.«

»Gewiß, gewiß Herr Major,« – bemerkte der Bankier, sich die Hände reibend. Aber wie ich gehört habe, stehen hinter meiner dritten Hypothek noch zwei andere jetzt darauf, im Ganzen dreiundsechszigtausend Thaler, so daß ...«

»Kein Ziegel über dem Kopf mehr mein ist! Aber wem hab' ich's zu danken? Noch vor zehn Jahren standen nur fünfunddreißigtausend Thaler auf dem Gut!«

Er warf einen finstern Blick auf den Sohn.

»Die schlechten Zeiten, Herr Major, die schlechten Zeiten! Sie wissen, daß Sie haben verloren viel Geld bei der Aufkündigung von der zweiten Hypothek vor drei Jahren, als es geben sollte Krieg!«

»Nein – nicht den schlechten Zeiten allein will ich die Ursach geben,« sagte der Greis streng, – »Der dort ist die Ursach von der Verarmung seiner Familie. Der Schlag in Paris mit den zehntausend Thalern und die andern Schulden, die er gemacht, und die ich um der Ehre der Familie willen bezahlen mußte, haben das Eigenthum seiner Familie gefährdet. –«

»Es wird nicht so schlimm sein, Herr Major!«

»Es ist so schlimm und noch schlimmer, und Sie wissen das so gut oder besser wie ich,« sagte der alte Edelmann, unter den buschigen Brauen hervor einen strengen Blick auf den Wucherer heftend. »Vor acht Tagen ist mir von dem Gericht diese Anzeige zugegangen, wonach die Subhastation meines Gutes beantragt ist!«

Der Lieutenant sprang empor. »Wie? was? davon hatte ich keine Ahnung! Sie müssen helfen, Jonas!« Er faßte heftig den Arm des Bankiers, der sich ruhig los machte.

»Geduld! Geduld – es wird sich Alles finden. Sie wissen, Herr Major, daß ich nicht schuld bin daran. Ich habe gekauft die zweite Hypothek auf Ihr Gut mit Siebenzehntausend, weil ich wußte, daß mir das Geld sicher ist, und weil man helfen muß seinem Nebenmenschen in der Verlegenheit. Ich lasse sie Ihnen stehn, so lange Sie sie haben wollen, das bin ich der Verwandtschaft schuldig. Wie ich seh' aus dem Papier, hat der Hirsch Meyer gekündigt die sechstausend auf der vierten Hypothek.«

»Man hat mit gesagt, daß Herr Meyer, gleich dem Besitzer der fünftausend Thaler vor denselben, nur vorgeschobene Personen und Sie der wahre Eigenthümer der Hypotheken wären!«

»Gott soll mir helfen, wie können Sie so was von mir glauben, Herr Major!« schrie der Bankier. »Ich will verschwarzen, wenn's wahr ist. Aber freilich, die Leute brauchen ihr Geld, der Krieg hat die Papierchens heruntergedrückt und der Hirsch Meyer hat eine große Ohrfeige gekriegt an der Börse mit den Metalliques!«

Der alte Edelmann sah finster vor sich nieder, ohne auf diese Betheuerungen zu achten, von denen er vollkommen wußte, was sie werth waren.

»Röbelsburg ist seit vierhundert Jahren in dem Besitz meiner Familie gewesen, schon damals, als die Hohenzollern in die Mark kamen,« sagte er, wie vor sich hin. Der Vater hat es auf den Sohn oder Enkel vererbt. »Sie sind keine Grafen und Barone geworden, wie Andere, aber sie waren die alten von Röbel, und wo die schwarz-weiße Fahne auf einem Schlachtfeld wehte, da standen sicher auch die Söhne meines Hauses! Jetzt geht's zu Ende und ich wollte gern meinem Letzten das kleine Gut mit dem alten Thurm auf dem Hügel am See erhalten, – das Einzige, was von all' dem Grundbesitz übrig geblieben; denn das Haus Derer von Röbel ruht jetzt allein noch auf zwei Augen!«

Die Trauer des alten stolzen Mannes, die sich, kaum das er selbst daran dachte, vor wem er sprach, über seine Lippen gedrängt, machte selbst auf das kalte gemeine Herz des Wucherers Eindruck, daß er mehrere Minuten lang schwieg. Der Offizier preßte die Hand vor die Augen.

»Dennoch,« fuhr der Greis fort – »hat sich keine Hand unter meinen Standesgenossen gefunden, so viel Mühe ich mir auch gegeben, die bereit wäre, den Röbel's ihr altes Erbe erhalten zu helfen; der Einzige, der es gethan hätte und gern, mein alter Waffenbruder, ist seit einem halben Jahre todt und seinen Nachlaß verwalten die Pupillen-Gerichte. – Sie haben sich erboten, mir zu einem Arrangement mit den Gläubigern zu helfen, mein Herr, deshalb bin ich hierher gekommen. Sie sollen Ihre guten Prozente haben, das verspreche ich Ihnen bei meiner Ehre, wenn Sie die Rücknahme der Kündigung vermitteln können. Die nächste Erndte wird nicht so schlecht als die vorige sein und es trifft nicht alle Jahre ein solches Unglück wie im vergangenen die Seuche unter meinem Viehstand. Wir werden uns leicht wieder erholen von dem Schlag und ich und mein Sohn« – er sprach immer, als hätte er nur den einen – »werden es an redlichem Fleiß und Arbeit nicht fehlen lassen!«

Der Bankier rieb sich verlegen die Hände, seine gewöhnliche Geste, wenn er sie nicht in den Hosentaschen hatte. »Es sind schlechte Zeiten, Herr Major,« sagte er – »bei Gott – nirgends baar Geld an der Börse – und der Hirsch Meyer ist in großer Verlegenheit, und Friedenthal, der die dritte Hypothek besitzt, will, wie ich höre, auch seine Kapitalien einziehen. Bei Gott, ich lasse Ihnen meine Hypothek so lange Sie wollen. Aber der Hirsch Meyer ist nicht zu bewegen. Ich will Ihnen doch machen einen andern Vorschlag, wenn Sie wollen die Güte haben, mir zu beantworten ein Paar Fragen.«

»Fragen Sie!«

»Sie glauben also nicht, Herr Major, daß Sie aufbringen können die 11  Thaler Hypotheken, wenn der Hirsch und der Friedenthal nicht warten wollen?«

»Hätte ich mich sonst an Sie gewandt?«

»Und Sie meinen, das Gut wäre seine Neunzigtausend werth?«

»Zum Mindesten, in einer Zeit, die die Preise nicht drückt.«

»Es hat, glaub' ich, die Standschaft als Rittergut?«

»Es hat seine Stimme auf den Kreis- und Provinzial-Landtagen und bei der Wahl in's Herrenhaus.«

»Gut! Warum wollen Sie also behalten mit Gewalt das Gut, wenn ich Ihnen schaffe einen Käufer, der giebt nicht neunzig, sondern fünfundneunzigtausend Thaler?«

»Fünfundneunzigtausend?«

»Fünfundneunzigtausend Thaler baar und blank. Sie können dann abzahlen alle Schulden auf dem Gut, und behalten noch Zweiunddreißigtausend baar, womit kaufen kann der junge Herr dort ein anderes Gut. Wenn man anzahlt Zweiunddreißigtauscnd heut zu Tag, kann man doch kaufen für Hunderttausend!«

»Aber warum kauft Ihr Klient dann nicht selbst ein solches Gut?«

»Er hat doch nun einmal einen Narren an dem Gut Röbelsburg. Wer kann dafür? Ja, Herr Major, der Käufer ist sogar der Mann, der sich freuen wird, wenn Sie wohnen bleiben auf dem Gut, das er will kaufen, so lange Sie leben, als wären Sie der Herr, es braucht Niemand anders zu wissen!«

»Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte der alte Edelmann mit einer gewissen Ahnung. »Wer ist denn dieser merkwürdige Käufer?«

»Wer soll es anders sein,« sprach hastig, als wünsche er die Sache mit einem Male abzuschütteln, der Bankier – »hier steht er, Levy oder Leon Jonas mein Sohn, mein Aeltester!«

»Wie – und Sie glauben ...«

Herr Jonas legte vertraulich die Hand auf den Arm des Edelmanns. »Ich glaube Nichts, gar Nichts, Herr Major, als daß ist noch eine kleine Bedingung bei dem Kauf, das beste Mittel, Alles zu arrangiren zu unserer Zufriedenheit! Sie sind ein Mann von Erfahrung, Herr Major, und Sie sind ruinirt. Sie haben eine Tochter, Herr Major, und ich habe einen Sohn. Ich bitte um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, Herr Major, für meinen Sohn, und es bleibt beim Alten, bis der liebe Gott, was noch lange anstehn soll, über Sie verfügt!«

So ernst die Situation war, so sehr es sich um die Existenz seiner Familie handelte, Otto von Röbel konnte sich nicht enthalten, aufzulachen.

Der Major sah den Bankier starr an, als habe er nicht recht gehört.

»Wie – Ihr Sohn will Fräulein von Röbel, meine Tochter, heirathen?«

»Er wird es sich doch rechnen zur Ehre und zum Vergnügen, zu heirathen in eine so anständige Familie, wenn er auch erhalt keine Mitgift und die Braut ist ein wenig älter wie er. Ich werde ihr aussetzen ein gutes Nadelgeld. Die beiden Familien werden dann sein doppelt verschwägert und Ihre Enkel werden behalten das Gut, das ist seit vierhundert Jahren im Besitz der Herren von Röbel. Levy, mein Sohn, ich werde Dir kaufen den Adel; geh jetzt her und bring Dein Wort selber an!«

»Ersparen Sie es dem Herrn!« sagte der Major straff emporgerichtet. »Ist das die Bedingung für den Ankauf?«

»Sie werden sie finden doch sehr billig, wie könnt' ich sonst geben ein solches Geld für das Gut, das doch ist schon in meiner Hand!«

»Das also war's! Nun ich muß gestehn, Sie haben gut operirt, mein Herr, aber die Unverschämtheit ist denn doch zu stark. Lassen Sie Röbelsburg subhastiren, sobald Sie wollen. Nur bitte ich, daß so lange ich auf dem Gut bin, weder Sie noch Ihr Sohn wagen, einen Schritt darauf zu setzen, oder ich lasse Sie durch die Knechte vom Hofe jagen!«

Die Stirn des Bankiers färbte sich dunkelroth, die dicken Adern darauf schwollen empor. »Was wollen Sie damit sagen, Herr Major?« rief er mit erhöhter Stimme. »Wollen Sie mich beleidigen? Ist mein Sohn keine Partie für Ihre Tochter, da doch heirathen kann der Ihre Rosalie, mein Kind?«

»Ich habe nur einen Sohn noch,« sagte stolz der Edelmann, »der Herr dort ist nicht mehr der meine. Komm Otto, unsere Geschäfte sind beendet!«

Er nickte kurz und vornehm zum Abschied und ging nach der Thür, die der Sohn ihm ehrerbietig öffnete. Stock und Hut hatte er während der ganzen Unterredung nicht aus der Hand gelegt.

Das Gesicht des Bankiers schien auf einmal seinen ganzen Ausdruck, ja seine ganze Form zu verändern; – nicht mehr der behäbig listig lächelnde Herr Jonas, – sondern der schwarze Schmuel aus der Jakobsstraße, wie er dem alten Zuchthausgenossen gegenüber stand, schien in dem reichen Salon Unter den Linden zu stehen, so teuflisch blitzten seine Augen, so drohend war die Falte auf der niedern Stirn.

Der Major wollte eben aus der Thür schreiten, als ihn die kreischende Stimme des Hausherrn zurückhielt.

»Einen Augenblick, mein Herr – einen Augenblick, es handelt sich um Ihren ehrlichen Namen!«

Der alte Soldat wandte sich wie von einer Kugel getroffen um. »Meinen ehrlichen Namen? Schurke, wenn Sie es wagen, daran zu tasten, dann wehe Ihnen!«

»Was schmusen Sie von Schurken? wenn hier die Rede ist von Schurken, dann soll's treffen den Herrn Edelmann mit dem vornehmen Namen, der sich zu gewaltig dünkt, zu werden verwandt mit dem Jüd, während der Jüd ist ä ehrlicher Mann und das Blut und Fleisch vom Edelmann nicht! Herr Günther, kommen Sie herein!«

Der Veteran hatte zwei Schritte zurück in's Zimmer gethan, er stand zitternd und sehr bleich in dem Salon, aber er hielt mit der freien Hand den jungen Mann zurück, der in aufbrausendem Zorn den Beleidiger beim Kragen fassen wollte.

Die Seitenthür hatte sich geräuschlos geöffnet; Herr Günther, der Kommissionair, war eingetreten und blieb mitten zwischen beiden Parteien stehen, denn sowohl der Lieutenant als der junge Börsenjobber hatten sich unwillkürlich ihren Vätern genähert.

»Ruhe, Otto – ich befehle es Dir – ich, Dein Vater! Das geht mich an! – Was wollen Sie, Herr – was soll diese Sprache bedeuten?«

»Das soll bedeuten,« sagte der Bankier giftig, »daß sich der Hartmann Jonas anders besonnen hat und nicht zuläßt die Verlobung seiner Tochter mit einem Herrn Offizier von Habenichts, der wird sein infam gekassirt vom Regiment!«

»Herr Jonas ...«

»Still – Sie haben hier mitzureden gar Nischt! Die Rosalie wird heirathen den Itzig Pinkus aus Bentsche mit 100  Thalern, weil sie ist ä wohlerzognes Kind; der Herr von Röbel aber werden gehen in's Zuchthaus, weil der Herr von Röbel haben gemacht ä falschen Wechsel!«

»Das ist niederträchtig – das ist nicht wahr!«

»Ich werde doch beweisen, was ich hab gesagt. Herr Günther, Sie sind der Zeuge, Sie haben mir doch gebracht das Papier. Soll mir Gott helfen, hier stehts schwarz auf weiß! Ä Wechsel auf fünfhundert Thaler, ausgestellt vom dreißigsten Dezember vom Herrn Hauptmann von Röbel und acceptirt vom Herrn Lieutenant Grafen von Ringsheim.«

»Unserm unglücklichen Vetter?« frug der jüngere Röbel erstaunt.

»Sie wissen, Herr Jonas,« sagte der Lieutenant, »daß Sie mehr als einen Wechsel mit dem Accept meines Vetters in Königsberg discontirt haben, weil Sie sein Vermögen kannten, und daß alle richtig eingelöst worden sind. Nur der unglückliche Tod desselben ist schuld, daß es mit diesem nicht geschehen.«

Otto von Röbel athmete auf – aber schon der nächste Augenblick sollte seine Hoffnung zu Schanden machen.

Der Wucherer lachte hämisch auf. »Wissen der Herr Major von Röbel vielleicht, an welchem Datum der Herr Graf von Ringsheim in Königsberg im Duell erschossen worden ist?«

»Es war am 29. Dezember vorigen Jahrs,« sagte der jüngste Röbel hastig.

»Richtig, der junge Herr, ist ein Salomon. Wenn also der Wechsel ausgestellt ist am Dreißigsten – muß sein die Unterschrift falsch, denn die Todten können nicht schreiben ein Accept. Wer hat gefälscht die Unterschrift – wer?«

Der Lieutenant sank bei dem teuflischen Triumpf, der sich auf dem Gesicht des Juden spiegelte, vernichtet auf einen Stuhl.

»Barmherziger Gott – mein Sohn ein Ehrloser, ein Fälscher!«

»Wenn der Herr Lieutenant von Röbel nicht mehr ist Ihr Sohn,« höhnte der Wucherer, »weil er wollte heirathen die Rosalie Jonas mit hunderttausend Thalern Mitgift, braucht er auch nicht zu sein Ihr Sohn, wenn er hat gemacht falsche Wechsel. Herr Günther, Sie haben mir gebracht den Wechsel am Sylvestertag, Sie werden sein der Zeuge. Wo ist die Denunciation an den Herrn Staatsanwalt, daß er sorgt für die Gerechtigkeit?«

»Hier!« – Der Kommissionair vermied, so schlecht er war, dabei auf den Greis zu sehen, der gebrochen, mit der Hand, aus der Hut und Stock gefallen war, auf die Lehne eines Stuhls gestützt, dastand, der Veteran, der in zehn blutigen Schlachten dem Feinde ohne Zucken des Auges getrotzt, der nie in seinem langen Leben ein Haar breit von dem Wege der Ehre und Redlichkeit gewichen war.

Otto von Röbel dachte mit Schaudern jener Sylvesternacht – des Geschäfts des Bruders – seiner damaligen Andeutungen.

»Ich bin in Besitz von noch tausend Thalern aus einem Legat meines Onkels,« sagte er vortretend, »nehmen Sie die Summe, mein Herr, und geben Sie mir das unglückliche Papier.«

Der Wucherer lachte spöttisch auf. »Sie sind meschukke, junger Herr! Wenn Sie mir geben zehntausend, ist es mir nicht feil für das Vergnügen, das ich hab' in dem Augenblick, mich zu rächen für die Beleidigung.«

»So haben Sie wenigstens Achtung vor diesem grauen Haar! welchen Nutzen könnte Ihnen eine solche schändliche Denunciation gewähren? Wir werden jedes Opfer bringen, die Vernichtung dieses Papiers zu erkaufen.«

»Achtung? was thu ich mit der Achtung! Die Familie will mir abkaufen das Papier? Hat die Familie von Röbel Geld? Nein! sie sind Bettler! ich will haben die Familie selbst zur Satisfaction, weil sie glaubt, sie wäre was Bessres als der Jud! – Die Sache ist eine Familiensache unter uns – wenn ich zerreiße dies Geschrift, ist der Name von Röbel so ehrlich wie zuvor und es bleibt Alles beim Alten und ich bei meinem Wort mit dem Verkauf. Herr Major von Röbel, der Hartwig Jonas bittet um die Hand Ihrer Fräulein Tochter für seinen Sohn Levy!«

Der alte Edelmann fuhr, wie aus einem Traum, empor. Er that zwei Schritte gegen den Offizier, der vernichtet, mit verhülltem Gesicht, in dem Sessel hing.

»Friedrich von Röbel,« sagte er eintönig – »hörst Du mich?«

Der Offizier zuckte empor, er warf einen stehenden Blick auf den Alten und streckte die Hand nach ihm aus. »Vater, verurtheile mich nicht, ehe Du mich gehört hast!«

»Ich fürchtete längst, daß es dahin mit Dir kommen werde! – Beantworte meine Frage wenigstens als ein Mann. Rührt diese Unterschrift von Dir her?«

»Vater – ich hatte ein Recht dazu – ich habe dem Vetter ähnliche Gefälligkeiten erwiesen – nur sein Tod ...«

»Hast Du den Namen geschrieben.'?«

Er zögerte – endlich brachte er ein stockendes »Ja« über die Lippen.

»Also ein Fälscher – ein Röbel ein Ehrloser!« sagte der alte Mann mit schneidender Verachtung. »Gott im Himmel – und dieser Fälscher mein Sohn!«

Der Bankier schob seine Vermittelung ein. »Es ist nicht so schlimm, als es aussieht, Herr Major,« sagte er begütigend – »die Jugend ist leichtsinnig – es kann ja noch Alles geordnet werden, wenn Sie annehmen wollen meinen Vorschlag!«

Der alte Edelmann wandte sich schroff gegen ihn. »Wollen Sie Röbelsburg annehmen für die darauf lastenden Hypotheken gegen Rückgabe jenes Papiers?«

»Ich gebe fünfundneunzigtausend, aber nur im Fall der Heirath!«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Mein allerletztes!« sagte der Jude brüsk.

Der Major von Röbel wandte sich nochmals an seinen älteren Sohn.

»Was sagst Du zu dieser Heirath? Willst Du Dich mit dem Opfer Deiner Schwester loskaufen?«

Der Offizier kämpfte sichtbar einen schweren Kampf in seinem Innern. Die Forderung des Wucherers war ihm selbst ganz unerwartet gekommen. Endlich sagte er zögernd, mit niedergeschlagenen Augen: »Nur, wenn Rosamunde selbst einwilligte ...«

Der Major hatte nur ein Wort. »Elender!« Dann kehrte er sich zu dem Juden. »Thun Sie, was Sie wollen. Rosamunde von Röbel ist nicht für den Sohn eines Zuchthäuslers! Kommt! – Du auch! ich befehle es, bei meinem Fluch!«

Er ging nochmals nach der Thür; der Wucherer warf sich ihm in den Weg – seine Augen sprühten Haß und Bosheit.

»So wahr ich Hartwig Jonas heiße, er soll gestoßen werden mit Schimpf aus dem Regiment!«

»Ich werde es verhindern!«

»Sie glauben, weil Sie find ä Herr Von, wenn Sie auch Schulden haben bis über die Ohren – die Gesetze wären nicht für Sie! Aber die Zeiten sind vorbei – wir haben eine Constitution und ich werd's bringen in die Volkszeitung und in die Nationalzeitung und überall hin. Sie wollen ihm helfen zur Flucht! Gut! Aber es wird sich machen recht hübsch, wenn der Herr von Röbel verfolgt wird mit Steckbriefen in der Zeitung wegen Fälschung und Betrug!«

»Mensch! der Name meiner Ahnen in einem Steckbrief!«

Der Jude sah mit teuflischer Freude, daß er die wunde Stelle des Greises getroffen hatte. »Ich werde gehen sogleich zum Herrn Staatsanwalt. Und wenn Sie mich würden bitten jetzt auf den Knieen, ich würd's doch thun. Das Recht ist für Alle gleich, steht in der Verfassung! Der Herr von Röbel soll stehen vor dem Kriminalgericht oder im Steckbrief, und der Jude wird machen den Namen von Röbel so klein, so klein ...«

»Schurke!« Die kräftige Hand des jungen Edelmanns schleuderte den geifernden, kreischenden Wucherer zurück, während die Frau und Töchter auf den Lärmen in den Salon stürzten und stieß die Thür auf.

»Kommen Sie, mein Vater!«

Der Veteran schritt hinaus – nicht mehr den Kopf erhoben, sondern tief gesenkt; auf eine fast befehlende Geberde des jüngeren Bruders folgte ihm der Offizier, dann verließ Otto von Röbel, dessen strenger Blick währenddeß den Hausherrn stumm und in gehöriger Entfernung gehalten hatte, den Salon.

Die Thür hatte sich kaum geschlossen, als der Wucherer wie ein Besessener umhersprang und die lästerlichsten Flüche und Verwünschungen ausstieß. Der Vorschlag an den Major war einer seiner Lieblingspläne aus verschiedenen Ursachen und er hatte ein Mißlingen nicht für möglich gehalten nach den eben so schlauen, als niederträchtigen Manövern, mit denen er sein Opfer umgarnt hielt.

»Aber lieber Himmel, Jonas, was ist denn geschehen?« frug die dicke Frau – »Du bist ja so älterirt – warum kommen der Herr Major und der Herr Schwiegersohn nicht zum Theejünöh? Ich muß Dir sagen, Jonas, wenn ich wär die Rosalchen, hätt ich mir lieber genommen den Andern!« »Es hat sich was zu nehmen,« schrie der erzürnte Hausherr – »sie soll nehmen gar keinen von der Lumpembagage, die Rosalie wird heirathen den Itzig Pinkus aus Bentsche! Punktum!«

Mutter und Tochter kreischten laut auf – die Letztere hielt es sogar für nöthig, auf dem Sopha in Ohnmacht zu fallen.

Aber Papa Jonas war keineswegs in der Stimmung sich daran zu kehren, er tobte noch immer umher, wie ein angeschossener Eber.

»Günther – wo sind Sie? Kommen Sie her, hierher zu mir!«

Der Kommissionair, der ein stummer Zeuge der Scene gewesen war, eilte zu seinem Patron.

»Haben Sie gehört, was er gesagt hat, der hochmüthige alte Narr? aber ich will sie noch bringen selber über den Berg! – Sie werden gehn sogleich zum Staatsanwalt – hören Sie, zum Staatsanwalt, nicht zur Greiferei, damit sie ihm nicht hilft durch – und werden einreichen die Denunciation mit dem faschen Wechsel!«

Der Kommissionair kraute sich verlegen hinter den Ohren.

Obschon er auf die andern Mitglieder der Familie Röbel nicht besonders gut zu sprechen war und sie sogar für den kleinen Unfall verantwortlich machte, der auch ihn »über den Berg« gebracht hatte, so hatte er doch die Gewohnheit, sich in einer Art von Verwandtschaft zu ihnen zu denken und der vielfache Verkehr mit den leichtsinnigen jungen Cavalieren, namentlich auch mit dem Lieutenant von Röbel, hatte ihm ein gewisses Faible für die Aristokratie eingeflößt, das ihn – nicht vor deren Ruinirung – aber vor solchen Maßregeln, wie der alte Einbrecher sie rachsüchtig jetzt ergriff, zögern ließ.

»Warum wollen Sie es nicht selbst thun, Herr Jonas?« sagte er vorsichtig – »Sie wissen besser mit den Herrn zu sprechen, als ich– und sie könnten mir unangenehme Fragen thun!«

Bei all' seiner Wuth und Erbitterung aber verlor Herr Hartmann Jonas doch keineswegs sein Interesse aus dem Auge. Er wußte sehr wohl, daß eine direkte Denunziation seinerseits so viel gewesen wäre, als in ein Wespennest zu stechen, dessen Bewohner dann alle sich gegen ihn gekehrt hätten. Der Esprit du Corps hätte die Cavaliere gezwungen, den Geschäftsverkehr mit ihm abzubrechen, der seine zweihundert Prozent abwarf. Mit dem Commissionair war das etwas anders, das war eine zu untergeordnete und zu gemeine Person, um in Betracht zu kommen und konnte auch nötigenfalls ganz geopfert weiden.

Er beeilte sich daher, alles Gift und alle Galle, die er vorhin nicht hatte auslassen können, auf sein unglückliches Werkzeug auszuschütten und befahl ihm, sofort nach dem Molkenmarkt zu gehen und die Denunciation einzureichen, mit der Drohung, sonst auf der Stelle jede weitere Verbindung mit ihm abzubrechen.

Das half natürlich und Herr Günther wanderte alsbald nach dem Wolkenmarkt, bis zur Thür des alten unheimlichen Gebäudes von Jonas junior auf Ordre des Alten vorsorglich escortirt.

 

Otto von Röbel hatte den Arm seines Vaters genommen und führte ihn aus dem Hause. Er zog es vor, noch einen kurzen Gang mit ihm zu machen und die nöthigen Schritte zu besprechen, ehe er ihn nach dem Hotel zu den Frauen geleitete.

So gingen sie die Linden hinauf – der alte Edelmann, der schon nach einigen Schritten seinen Arm dem Sohn wieder entzogen hatte, schweigend und düster, offenbar über einen Entschluß brütend. Der Offizier ging an des Bruders Seite, unruhig und finster.

Sie waren bis in die Nähe des mächtigen Denkmals gekommen, das Rauch's Meisterhand dem großen König und seiner Tafelrunde geschaffen hat und das so leuchtend zwischen den Königspalästen steht, daß es gern der ruppigen Beleuchtung entbehren kann, welche die Berliner Stadtverordneten dafür votirt haben.

Auf der Rampe vor dem Palais des Prinz-Regenten hielt eine Equipage.

Der alte Edelmann blieb stehen – er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben. Die Söhne folgten seinem Beispiel. Die Blicke Otto's hatten sich unwillkürlich nach dem Palais gewandt – rasch legte er die Hand auf den Arm seines Vaters.

»Sehen Sie, Vater! das ist der Fürst!«

»Welcher Fürst?«

»Der Fürst Windischgrätz, der so freundlich gegen mich war, den Knaben, damals bei der Erstürmung von Wien!«

»In der That!«

Die beiden Posten auf der Rampe vor dem Palais hatten präsentirt. Aus den geöffneten Thürflügeln war ein alter Herr in Eivil getreten, von einem Adjutanten begleitet. Es war in der That der sichere Generalissimus Feldmarschall Fürst Windischgrätz. Die zweiundsiebenzig Jahre, die er damals bereits zählte, hatten die hagere Gestalt des alten Helden nur leicht zu beugen vermocht, nur die Falten des gutmüthigen und doch so ernsten Gesichts waren noch tiefer und schwerer geworden.

Die Lakaien rissen den Wagenschlag auf, der Fürst stieg ein mit dem Offizier und die Equipage rasselte die Rampe hinunter und den Fahrweg an den Linden hinauf nach dem Hôtel Royal zu, wo der alte Held, den sein Kaiser in einer geheimen Mission nach Berlin gesandt hatte, abgestiegen war.

Als er an den drei Röbel vorüber kam und diese ihn ehrerbietig grüßten, nickte er freundlich zum Gegengruß.

Der Major wandte sich zu seinen Söhnen, aber er richtete seine Worte nur an den jüngeren.

»Kehre nach dem Hôtel zurück, Otto, kein Wort von dem, was vorgefallen! Dieser da wird Dich begleiten – Du verläßt ihn keinen Augenblick – Du haftest mir für ihn!«

»Ja Vater!«

»Geh! – In einer Stunde werde ich dort sein!« Er wandte sich mit einem kurzen Kopfnicken und ging auf die Rampe des Palais zu.

Otto von Röbel nahm den Arm des Bruders und führte ihn den Weg, den sie gekommen, zurück.

»Was soll das heißen, Otto – was will der Vater thun? wo geht er hin?«

»Du siehst es – zum Prinz-Regenten!«


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