John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 1
John Retcliffe

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Mailand!

Es war am 12. Januar – ganz Oesterreich trug im Herzen tiefe Trauer, selbst die Hauptstadt der Lombardei, die sich seit Jahrhunderten nur mit Zähneknirschen, mit geballter Faust – diese Faust um den Griff des verborgenen Dolches – unter der Wucht des gewaltigen deutschen Armes gebeugt, zeigte eine eigenthümliche Theilnahme, denn Viele hatten ihn geliebt, noch Mehr ihn gefürchtet, aber Alle hatten ihn geachtet.

Radetzki, der greise Feldherr und doch die kräftigste und treueste Säule des Kaiserhauses, hatte vor sieben Tagen die müden Augen geschlossen.

Trotz allen Hasses, welchen der Italiener den Deutschen bewahrt, lag der mächtige äußere Pomp einer gewaltigen Trauer über der alten Hauptstadt der Gallia cisalpina, die Pompejus schon: Roma secunda nannte.

Gar manche Schicksale und Herrschaften waren über die schöne reiche Stadt, den Schmuck des nördlichen Italiens, dahin gerauscht, seit Marcus Claudius Marcellus ihre Mauern erbaute, Gallinus die Allemannen schlug, Kaiser Maximianus sie mit Palästen schmückte und Constantin im Jahre 313 den christlichen Glauben von hier aus im römischen Reiche einführte. Was der wilde Hunnenkönig Attila verschont und die Herrschaft der stolzen Longobarden und Franken aufgebaut, das wurde abermals der Erde gleich gemacht, als die gewaltige Hand des deutschen Kaiser Friedrich Barbarossa auf seinem Römerzug rächend auf die Stadt fiel für den Verrath, den sie an ihm geübt, und aus dem ihn nur eines DalbergIm Jahre 1162. Daher noch der Ruf bei den frühern deutschen Kaiserkrönungen: »Ist ein Dalberg da?« Treue und das scharfe Schwert des kühnen Welfenherzogs Heinrich des Löwen rettete, dem er selbst später undankbar genug die Freundesthat lohnte.

Nach der Wiedererbauung, unter den blutigen Kriegen der Guelphen und Ghibellinen, der Welfen und Waiblinger, blieb die neu sich zu Reichthum, Stolz und Glanz empor schwingende Stadt deutsches Reichslehnen unter der wechselnden Herrschaft der della Torre, der Visconti und der Sforza, und manches ritterliche Herz, manch' reizendes Antlitz und manch' blutiges und schauerliches Verbrechen sahen ihre Paläste. Karl der V. gab sie, als der letzte der berühmten herzoglichen Condottieri´s gestorben, seinem Sohn, dem kaltherzigen Philipp II. und sie blieb bei der Krone Spanien bis zum Frieden von Rastadt (1714), wo wiederum die deutsche Hand – Oesterreich – die eiserne Krone der alten Longobarden-Stadt faßte, bis das blutige Marengo sie ihm entriß und sie zur Hauptstadt der cisalpinischen Republik und nachmals des Königreichs Italiens, des ersten von Bonapartes Gnaden! machte. Nach dem pariser Frieden wurde das prächtige reiche Mailand die Hauptstadt des lombardisch-venetianischen Königreichs, und viel, sehr viel hat die österreichische Herrschaft für diese Perle ihrer italienischen Krone gethan, ohne daß je die Mailänder ihr gedankt. – –

Auf diesen Plätzen, in diesen Straßen floß das Blut der Della Torres unter der ehrgeizigen Herrschaft Matteo Viscontis, wüthete der Bruderkrieg Galeazo's und Bernabos, endete Gian, der glänzendste Sprosse der Familie, durch Gift und Giammaria, ihr vorletzter Herzog, durch das empörte Volk. Hier feierte Franz Sforza, der Bauernsprößling, seine glänzende Hochzeit mit Bianka Visconti, die ihm den Herzoghut brachte, – wurde sein Sohn ermordet, sein unmündiger Enkel vom eigenen Oheim Ludovico vergiftet, der seinen Verrath gegen Frankreich durch zehnjährige Gefangenschaft im Kerker zu Loches büßte. Deutsches und französisches Blut färbte die Marmorquadern des Doms schon vor dreihundert Jahren im Kampf des ritterlichen Siegers von Marignano mit seinem Ueberwinder von Pavia.

Und wie vor Jahrhunderten die stolze Stadt dem mächtigen Hohenstaufen Trotz geboten und ihm mit Verrath gelohnt, so kämpfte sie auch unaufhörlich heimlich und offen gegen die Herrschaft Habsburgs und fast kein Jahr war vergangen, in dem nicht die carbonaristischen und mazzinistischen Verschwörungen hier ihre Opfer den Bayonneten, dem Kerker oder dem Galgen lieferten.

Auch der große lombardische Aufstand des Jahres 1848 hatte zu Mailand begonnen, im Februar mit den blutigen Raufereien zwischen Civil und Militair, und dem offenen Aufruhr am 18. März nach der Abreise des Vizekönigs Rainer. Erst nach dem blutigsten Straßenkampf hatte Graf Radetzky das Kastell und die Stadt geräumt, die rasch von den lauernden Piemontesen besetzt wurde. Die provisorische Regierung der Republikaner unter Mazzini mit seinem Arm, dem kühnen Condottiere der Revolution: Giuseppe Garibaldi hatte die provisorische Regierung nach dem Siege von Custozza gestürzt, aber nur kurz war ihre Herrlichkeit, denn schon am 6. August mußte die stolze Capitole der lombardischen Revolution mit dem unbeugsamen österreichischen Feldherrn kapituliren, der mit 50 000 Mann einzog und mit eiserner Hand die neuen Aufstandsversuche vom März 1849 und vom 6. Februar 1853 unterdrückte. Langer Belagerungszustand und scharfe Contributionen, die den Wohlstand des trotzigen mailänder Adels ruiniren sollten und ruinirten, und zugleich die Klugheit des alten strengen, aber gegen die unteren Klaffen überaus humanen Feldherrn und Statthalters hatten die deutsche Herrschaft seitdem aufrecht erhalten.

Jetzt lag der Mann, dem der Kaiserstaat die Erhaltung der Lombardei verdankte, nach langem, ruhm- und mühevollem Wirken, das weit über die gewöhnliche Gränze des Menschenlebens hinaus gereicht, todt und kalt auf der Bahre.

Der 92jährige Feldherr, der 72 Jahre dem Kaiser als Soldat gedient, war am 5. Januar 1858 in Mailand verschieden – in Mailand, wo er so gern verweilte, trotz aller Kämpfe mit dem Undank und Verrath, und das er mit dem Bollwerk der österreichischen Herrschaft in Italien, seinem eigensten Werk: Verona, nach seinem kaum vor einem Jahre erfolgten Rücktritt in den Ruhestand zu seinem letzten Aufenthalt gewählt.

Es war am 12. Januar – der Name Mailand, Maienland, den so viel süßer und wohlklingender die deutsche Sprache der Hauptstadt der sonnigen Ebenen der Lombardei gegeben, als selbst die, sonst an Wohllauten so reiche italienische Sprache, – zeigte eben nicht seine Berechtigung; denn es war während des Vormittags nach italienischen Begriffen bitter kalt gewesen – bis zu zehn Grad! aber das hinderte nicht, daß alle Straßen, die zu der Villa Reale und dem Giardino publico führten, dicht belebt von Menschen sich zeigten.

Es war der Tag der Ausstellung der sterblichen Ueberreste des alten Feldmarschalls – am zweitfolgenden Tage, den 14. sollte die Einsegnung im Dom und die Ueberführung der Leiche nach Wien und Wetzdorf stattfinden, wo der Verstorbene seit Jahren seine letzte Ruhestätte neben dem Sarge seines alten Freundes und Schlachtgefährten Wimpfen gewählt hatte.

Unter den mit italienischer Lebendigkeit plaudernden und von der Pracht des Leichencondukts, von dem Testament des Marschalls und hundert fremden Dingen schwatzenden Gruppen der Bevölkerung, die den Corso de Porta Nuova entlang zog, bewegten sich Offiziere und Soldaten von allen Waffengattungen und den verschiedensten Armeen; denn die Stadt war überfüllt von Deputationen aller Regimenter der italienischen Armee und solcher, die meist unter dem Feldmarschall gekämpft oder zu seiner Person in näherer Beziehung gestanden hatten, und während die nordischen Mächte ihre Ehren-Deputationen nach Wien abgesandt hatten, um dort dem großen Leichencondukt beizuwohnen, hatten sämmtliche italienische Staaten dasselbe nach Mailand gethan, und neben der abenteuerlichen, fast lächerlichen Uniformirung der sardinischen Bersaglieri sah man die alterthümlichen geschlitzten Beinkleider der päpstlichen Schweizergarde und die goldstrotzenden Umformen der neapolitanischen Gardereiter.

Es war übrigens charakteristisch, wie das mailänder Volk sehr ungenirt mit den Weiß- und Braunröcken in guter Kameradschaft verkehrte, während die höheren Stände sich sorgfältig von jeder Berührung mit den österreichischen Offizieren fern hielten. Die Damen in den Equipagen und auf den Balcons der Häuser benutzten ihre Fächer, um sich vor einem unvermeidlichen Gruß zu schützen, und nur hin und wieder erhielt einer der schlanken ungarischen Offiziere einen raschen feurigen Blick und eine verbindliche wenn auch stolze Verneigung.

Das Volk wie gesagt, die große Menge der arbeitenden Stände, kümmerte sich bei dieser Gelegenheit noch weniger um den von den Italianissimi unermüdlich angeschürten Nationalhaß. Wenn auch leicht entflammt und zu politischen Excessen von Natur aus geneigt, zollten grade die unteren Stände dem Verstorbenen trotz seiner Strenge eine gewisse Liebe und Verehrung, denn er war recht eigentlich ein Mann des Volks gewesen und seine eiserne Hand hatte nur schwer und lastend auf den Vornehmen und Reichen gelegen, die sein klares scharfes Auge als die Wurzeln und Triebfedern des revolutionären Treibens erkannt hatte und die er unnachsichtlich niederhielt, während den unteren Ständen so manche Freiheit nachgesehen wurde. Dazu kam, daß unter der österreichischen Herrschaft gerade die arbeitenden Klassen viel verdienten, vor Allem aber die Art und Weise, wie der alte Held mit ihren Charaktereigenthümlichkeiten und ihrem politischen Treiben umzuspringen wußte.

Wer erinnert sich nicht jener wirklich dramatischen Unterdrückung der carbonaristischen Verschwörung, der beabsichtigten Bluthochzeit in der Oper, die Franz Wallner, der alte Theaterpraktikus in seinen Bühnenerinnerungen so trefflich geschildert hat, wo die Verschworenen im Parterre lauerten, den Dolch in der Brusttasche, um ihn bei dem Aufruf Orovists zur Rache des Volks für die beleidigten Götter dem nächststehenden Oesterreicher in die Brust zu stoßen, und der aufgehende Vorhang die Terrasse der ungarischen Grenadiere zeigte, die Gewehre in Anschlag auf die dunkle Masse des Publikums, bereit, beim ersten Versuch des Widerstandes den Kugelstrom in das Parterre zu schleudern?! Eine solche Justiz- und Sicherheitspflege packte, ohne die Menge zu erbittern, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätten die Gallerien dem Feldmarschall applaudirt, während unten die Polizei die beschämt aus dem Parterre schleichenden Revolutionäre am Ausgang visitirte, um sich zu vergewissern, daß sie auch klüglicher Weise ihre Dolche und Stilets auf dem Fußboden und unter den Sitzen zurückgelassen hatten, wo man denn nach der Räumung nicht weniger als 135 Stück fand.

Man wußte es dem Marschall Dank, daß seine Energie und Klugheit der Stadt eine Menschenschlächterei en gros erspart hatte.

Haynau, der grimmige Sieger von Brescia, hätte wahrscheinlich anders gehandelt!

Deshalb aber genoß der greise Feldmarschall, der jetzt seine letzte Parade – nicht im Sattel hoch zu Roß, sondern zwischen den hundert Kerzen des Katafalks – hielt, einer gewissen Popularität selbst unter den Italienern. Von seinen Soldaten, die er wie ein Vater liebte, und für die er wie ein Vater sorgte, wurde er vergöttert.

Sie sollten erst noch die traurige Erfahrung machen, daß man Schlachten und Länder verlieren kann durch die Gaunereien betrügerischer Lieferanten und untreue Verwalter!


Wo das prächtige Gebäude der Scala, das Werk Piermarini's, an den Corso stößt, hielt eben ein Fiaker und ein im eleganten Paletot gekleideter Herr stieg aus.

Er war ein Mann gegen die Fünfzig, durch die Kunst der sorgfältigen Toilette jedoch, ohne deshalb im Geringsten geckenhaft zu erscheinen, vortrefflich conservirt, von sicherem, aristokratischem Aeußern.

Im Augenblick, wo der Fremde dem Kutscher bezahlte, kamen mehrere Reiter die Straße herab von der Piazza de Tribunale her. Es waren drei oder vier Offiziere mit ihren Damen, in ihre hellen Militärmäntel gehüllt, doch keine Oesterreicher.

Der Fremde aus dem Fiaker warf einen Blick auf die Gruppe. »Sieh da, lieber Graf, treffen wir uns in Mailand wieder?«

Der eine der Offiziere mit Generalshut hielt sein Pferd an.

»Guten Tag, Baron! ich freue mich, Sie wieder zu sehen. Sind Sie schon lange in Mailand?«

»Ich bin diesen Morgen mit dem Bahnzug von Venedig angekommen, will im nächsten Café frühstücken und dann nach der Villa Reale, um den alten Helden der Lombardei noch ein Mal zu sehen.«

»Das ist unser Weg. Ich werde Sie begleiten. Entschuldigen Sie mich, Excellenz, in einer halben Stunde bin ich wieder bei Ihnen.«

Er hatte sich bei den Worten zu dem Vornehmeren seiner Begleiter gewandt, der höflich salutirte und dann weiter ritt, während der Graf vom Pferde stieg und seinem Reitknecht die Zügel zuwarf.

»Folge den Anderen,« befahl er, »ich komme zu Fuß nach.« Dann nahm er den Arm des Barons. »Ich bin herzlich erfreut, lieber Neuillat,« sagte er, »Sie nach so langer Zeit einmal wieder zu sehen. Als wir uns das letzte Mal trafen, war es zu Mantua in der Behausung des Wechslers.«

»Richtig, lieber Graf, bei Ihrem Namensvetter. Und seltsamer Weise führt mich außer dem Auftrag, Seine Majestät den König bei der Feierlichkeit übermorgen zu vertreten, eine ziemlich ähnliche Angelegenheit hierher, wie damals nach Mantua.«

»Darf man etwas Näheres wissen, ohne indiscret zu sein?« frug der General. »Aber lassen Sie uns hier in das Café treten, um unsere Chokolade zu nehmen. Es ist ziemlich leer, denn alle Welt zieht nach der Leichenparade. Doch wir haben noch reichlich eine halbe Stunde Zeit bis zu der Eröffnung und Oberhofmeister Conte Forni, mit dem ich als Deputation Seiner Kaiserlichen Hoheit des Herzogs hierher gekommen bin, sichert uns unterdeß den Platz.«

Sie waren in das Innere des Café's getreten, denn obschon die Vormittag-Sonne jetzt hell und warm schien, war es doch zu kalt, um nach der beliebten Sitte des Südens vor dem Kaffeehause Platz zu nehmen.

Der nur durch eine Glaswand von dem Vorplatz geschiedene Raum war fast ganz leer – nur wenige unbedeutende Gäste, in die öffentlichen Blätter vertieft, waren anwesend. Der modenesische General und der Diplomat nahmen an einem Tisch in der Nähe der Glaswand Platz, von wo sie das ganze Leben und Treiben auf dem Corso übersehen konnten. In einiger Entfernung saß ein Fremder, ein blasser, schlanker Mann, offenbar nach seinem Typus ein Engländer, wofür auch die Times sprach, deren Kolossal-Format ihn beim Lesen halb verbarg.

Der Garçon brachte die Chocolade.

»Sie sprachen von einem besondern Zweck?« frug der Graf.

»Ich brauche Ihnen gegenüber kein Geheimniß daraus zu machen. Ich habe vor drei Tagen einen eigenthümlichen Brief erhalten, dessen Poststempel Mailand ist und der eine Art Warnung oder vielmehr eine Mahnung enthält. Ich will versuchen, ob der unbekannte Freund, wenn er mich hier sieht, sich nicht zu einer nähern Mittheilung veranlaßt findet.«

»Der Brief ist anonym?«

»Ja. Und doch erwähnt er Umstände, die mich stutzig machen und mir eine Spur an die Hand geben. Doch eben fällt mir ein, daß Sie dieselben bestätigen können; da – lesen Sie.«

Er nahm aus seinem Portefeuille ein zusammengefaltetes Papier und reichte es ihm.

Der Graf öffnete es und las es mit Bedacht. Es enthielt nur wenige Zeilen, sie waren aber offenbar von Bedeutung, denn er las sie zum zweiten und dritten Male und schien tief darüber nachzudenken.

Der Brief war in italienischer Sprache und lautete:

»Seiner Excellenz dem Herrn Baron von Neuillat in Venedig:

Wenn Derjenige, der den rechtmäßigen Anspruch auf die Krone von Frankreich hat, gleich Königlichen Muth besitzt, das Erbe seiner Väter wieder zu gewinnen, wie er ein Königliches Herz zeigte, das die Gelegenheit zurückwies, seinen Feind mit Schimpf zu bewerfen, weil selbst eine irregeleitete Wahl der Nation ihre Krone ihm heiligt, so möge er sich und seine Freunde jeden Augenblick bereit halten und der französischen Grenze nahe sein.

Das Leben auch der Gewaltigsten ist ein unsicher Ding, und der Mann, der jetzt auf dem Throne Frankreichs sitzt, schwebt in einer großen Gefahr.

Ein Freund

»Ich würde den Brief für eine der zahlreichen anonymen Mittheilungen, Drohungen oder Warnungen gehalten haben, die uns fortwährend zugehen,« fuhr der Baron fort, »wenn wie gesagt, nicht eine Wendung darin enthalten wäre, die mich stutzig macht.«

»Und die ist?«

»Jene Worte, daß Seine Majestät lieber die Verbannung ertragen, als von einer Gelegenheit profitiren wollten, Louis Napoleon zu beschimpfen.«

»Nun?«

»Ich erinnere mich einer eclatanten Gelegenheit, wo diese Grundsätze Seiner Majestät und zwar gerade von mir, fast mit denselben Worten, ausgesprochen wurden.« »Und die war?«

»In Ihrer Gegenwart, Graf – an jenem Abend in Mantua, als ich im Magazin des Wechsler Mortara das Anerbieten des Ankaufs der Papiere ein für allemal zurückwies, welche die Unrechtmäßigkeit der Geburt des gegenwärtigen Beherrschers von Frankreich nachweisen sollten.«

»So daß also...«

»Diese Mahnung von Ihnen herrühren könnte oder ...«

»Oder?«

»Von dem Juwelier Mortara, wenn sie nicht eben von Mailand käme.«

Der General versank in tiefes Nachdenken, seine Stirn furchte sich.

»Der letztere Umstand wäre kein Grund – man kann Briefe leicht an jedem Ort zur Post geben. Aber Sie werden begreifen, lieber Baron, daß, wenn die Mittheilung von mir ausgegangen, sie klarer und verständlicher gewesen wäre.«

»Das weiß ich, denn unsere Interessen sind dieselben. Also bleibt uns der Wechsler.«

Der Graf lächelte finster. »Sie verfolgen auch da eine falsche Spur. Wenn der Mann ein Geheimniß von solcher Bedeutung wüßte, so wäre ich unzweifelhaft im Besitz desselben.«

»Verzeihung, lieber Freund,« meinte der Baron, »Sie schienen mir damals zwar in einer Beziehung zu ihm zu stehen, aber diese keineswegs sehr freundlicher Art zu sein, jedenfalls suchten Sie ein Erkennen Ihrer Person zu vermeiden.«

»Er ist in meiner Hand, wenn nicht sein Leben, so doch sein theuerstes Interesse!«

»Das ist etwas Anderes!«

»Wehe ihm, wenn er es wagte, mich zu hintergehen. Aber jene Gesinnung Seiner Majestät ist so allgemein bekannt, daß Ihr Verdacht etwas sehr problematisch ist.«

»Der Gedanke oder vielmehr die Erinnerung an jene Scene fuhr mir auch nur durch den Kopf, als ich Sie so zufällig wieder sah. Aber lassen Sie uns von Wichtigerem sprechen. Wie steht es bei Ihnen? ich muß Ihnen gestehen, ich traue der jetzigen Ruhe nicht.«

Der General warf einen Blick umher, um sich zu versichern, daß kein Lauscher in der Nähe. Mit Ausnahme des Engländers, der in solcher Entfernung sah, daß er ein halblaut geführtes Gespräch unmöglich verstehen konnte, auch nach Art seiner Landsleute sich ohne das geringste Interesse für andere Personen zeigte, – war Niemand in der Umgebung.

»Ich auch nicht. Ich bin im Stande, im Umtausch für Ihren anonymen Brief Ihnen ein wichtigeres Geheimniß mitzutheilen.«

»Das wäre?«

Ehe der Modeneser antwortete, lenkte sich seine Aufmerksamkeit auf eine Equipage, die eben vorüber rollte.

»Kennen Sie die Damen in jenem Wagen?« frug er.

»Die große, stattliche, in Trauer, ist, so viel ich weiß, eine Mailänderin – ich muß ihr schon sonst in Mailand begegnet sein, aber ich weiß ihren Namen nicht.«

»Es ist Signora Manara, die Gattin des bekannten Anhängers Garibaldis, der als Oberst der Bersaglieri bei der Vertheidigung Roms in der Villa Spada den Tod fand.«

»Die Aermste! – jetzt erinnere ich mich, es soll eine Frau von großem Muth sein, eine enragirte Italienerin.«

»Sie ist eines der gefährlichsten Weiber von Mailand, denn ihrer Schönheit und ihres Schicksals wegen huldigt ihr die ganze Jugend der Aristokratie. Der Feldzeugmeister hätte sie längst ausweisen sollen – leider ist sie so schlau wie sie schön ist und weiß geschickt jeden Beweis gegen sich zu vermeiden. Die junge Signora, die ihr gegenüber sitzt, ist ihre Verwandte, die kleine Bignatelli, eine der reichsten Erbinnen von Mailand, die das Testament ihres Vaters, des großen Seidenhändlers, unter die Aufsicht dieser Italianissima gestellt hat.«

»Aber die dritte Dame – die starke, rothe?« »Eine ungarische Gräfin!«

»Ihr Namen?«

Der Graf warf ihm einen scharfen Blick zu. »Eine geborene Gräfin Zriny, eine Tante der Fürstin Trubetzkoi, die zur Zeit, als wir uns damals in Mantua trafen, sich auch dort befand!«

Der Baron sann nach – keiner von Beiden hatte es bemerkt, daß der Engländer bei der Nennung der Namen eine unwillkürliche Bewegung gemacht hatte. Wie um sie zu verbergen, beugte er das Gesicht noch tiefer auf die Times.

»Wie ist mir denn« – frug der Diplomat nach einigem Nachdenken, – »wenn sie die Schwester der Gräfin Palffy ist, mit der Haynau vor Temesvàr die Ruthen-Exekution von Brescia wiederholte, so war sie die Gemahlin des Grafen Törkyöny, des Gesandten?«

»So ist es! – Sie lebten getrennt wegen ihres berüchtigten Lebenswandels.«

»Der Graf, ihr Gemahl ist todt?«

»Seit Kurzem ja, – sie führt gegenwärtig einen Prozeß mit den Verwandten um das Vermögen und ist hier unter ihrem Familiennamen aufgetreten.«

Die Damen waren längst vorüber, aber der Diplomat beharrte noch immer auf der zufälligen Unterbrechung.

»Ich erinnere mich jetzt – die Gräfin Törkyöny – gehörte sie nicht bei der Wiener Revolution von 1848 zu den Enragirten?«

»Gewiß!« »Und nachher? – ich habe lange Nichts von ihr gehört? Sie wurde verbannt?«

Der General lächelte bedeutsam. »Sie hielt sich seitdem in Berlin und Paris auf und hat von der Amnestie nur zeitweise Gebrauch gemacht.«

»Aber was thut sie hier? wie kommt sie nach Mailand?«

Der finstere gehässige Zug, der dem Modeneser eigen war, flog wieder über das dunkle Gesicht.

»Was weiß ich? – Jedenfalls, seit den drei Tagen, daß ich hier bin, habe ich sie immer in sehr ominöser Gesellschaft gesehen. Aber da Sie für meine wichtigeren Mittheilungen weniger Interesse heute zu haben scheinen, Baron, – es befindet sich augenblicklich auch eine andere Person Ihrer Bekanntschaft hier.«

»Wen meinen Sie?«

»Monsignore Corpasini!«

»Der Jesuit aus Spanien? von dem ich mit Ihnen wegen des angeblichen Sohnes des deutschen Principe Don Felicio sprach?«

»Derselbe! ich will Ihnen sogar im Vertrauen sagen, daß er einen jungen Menschen von etwa 20 Jahren bei sich hat, einen Novizen, der eine merkwürdige Aehnlichkeit mit Ihrem Fürsten besitzt!«

»Das wäre! wahrhaftig, Sie machen mich neugierig und ich möchte den jungen Mann wohl sehen, um so mehr, als ich erst kürzlich einen zweiten Brief von jenem maurischen oder französischen Arzt erhalten habe, der der Bruder des unglücklichen Mädchens war, mit welcher der Fürst die wirkliche oder Scheinheirath einging, und der nach einem Kinde dieser Schwester forscht.«

Der General zog die finstern Brauen zusammen. »Dann kann er vielleicht Gelegenheit haben, Monsignore Corpasini persönlich zu inquiriren!«

»Wieso? will der Prälat nach Paris reisen?«

»Das ich nicht wüßte!«

»Dann verstehe ich Sie nicht!«

Ei, Diavolo! Ihr maurischer Prinz, von dem Sie mit mir sprachen, ist ja wohl so eine Art Militair-Doktor?«

»Ja wohl!«

»Nun – cospetto! dann kann er ja sein Regiment nach Italien begleiten!«

»Wie meinen Sie das!«

»Es hängt mit dem zusammen, was ich Ihnen vorhin erzählen wollte und was Sie nicht anhörten. Ich meine, wenn die Franzosen in Italien einrücken!«

»In Rom? aber da sind sie ja längst!«

»Corpo di baccho!« was Sie für einen Diplomaten heute schwerfällig von Verständniß sind! – Sie werden alt, lieber Neuillat, gerade wie ich, und die Zeit brauchte doch wahrhaftig ungeschwächte Kraft. Ich meine, bei einem Kriege des französischen Usurpators in der Lombardei.«

»Aber wie kommen Sie darauf, lieber Graf, es ist nicht die geringste Aussicht dazu da und es herrscht die beste entente cordiale zwischen den Kabineten von Wien und Berlin.«

Der Modenese lächelte spöttisch. »Ich hätte in der That nicht gedacht, daß der Kriegsmann einen so feinen diplomatischen Kopf erst auf das weisen müßte, was in Turin und Genua die Quadern auf den Straßen erzählen! Ist es Ihnen denn so ganz unbekannt, daß in Sardinien auf das Eifrigste im Geheimen gerüstet wird?«

»Ich habe davon gehört – aber es ist eine jener Gaskonaden des Herrn Cavour, die ihm Kammer-Majoritäten verschaffen müssen, und die die Spada d'Italia schon einmal an den Rand des Verderbens gebracht haben.«

»Radetzky ist todt!«

»Wenn auch, – Oesterreich hat der tüchtigen Führer mehr, ich brauche Ihnen nur Gyulai, Benedek, Schwarzenberg, Clam Gallas und andere zu nennen. Aber das ist das Wenigste – der Sohn ist zwar um Nichts klüger als der Vater, und ehrgeizig genug, aber man hat doch unmöglich schon in Turin die Lection von Custozza und Novara vergessen und kennt seine Schwäche!«

»Darum eben verläßt man sich auf England und Frankreich!«

»England blutet noch an seinen Wunden vom Krimkrieg und ist vollkommen beschäftigt in Indien. Ueberdies besteht sein Beistand für die revolutionairen Kämpfe bekanntlich mehr in Zeitungs- und Parlamentsfloskeln und Handelsgeschäften, als in reellem Handeln – mit Erlaubniß unsers verehrlichen Nachbars da drüben gesagt! – Was Frankreich betrifft, so hat ihm der Krimkrieg fünfzigtausend seiner besten Soldaten und dreihundert Millionen Franks gekostet. Ein neuer Krieg Sardiniens gegen Oesterreich und die italienischen Fürsten ist nur denkbar in der Stützung auf die revolutionaire Partei. Daß diese da ist, ja daß sie leider sehr verbreitet und mächtig ist, das zu leugnen wäre thöricht. Aber ich weiß ganz bestimmt, daß Louis Napoleon entschlossen ist, sie energisch zu unterdrücken, und in dieser Beziehung den continentalen Kabinetten die bündigsten Versicherungen noch ganz kürzlich gegeben hat,«

»Glauben Sie denn, Cavour hätte ohne geheime Stipulationen die piemontesische Hilfe in der Krimm geleistet?«

»Er mag sich an Herrn Palmerston halten dafür. Der Großmachtskitzel des Hauses Savoyen ist bekannt und der Sitz in der pariser Konferenz war Bezahlung genug für den Feldzug des Herrn Lamarmora. Glauben Sie mir, die Revolution hat nie so wenig Chancen gehabt wie in diesem Augenblick, und Österreich stand nie fester und sicherer, als jetzt, und seine Bundesgenossen und Schutzbefohlenen dürfen fest darauf bauen.«

Der alte Soldat schüttelte den Kopf. »Es soll mich freuen, wenn Sie wahr sprechen – indeß ich fürchte, das zu große Selbstvertrauen Ihrer Freunde täuscht sich. Die liberalen Amnestien und Concessionen taugen Nichts und Oesterreich hat seine größte Stärke selbst geopfert.«

»Sie wollen sagen, die sogenannte heilige Alliance?«

Der General nickte. »Das ist es, was ich meine. Wenn über kurz oder lang ein Sturm kommt, und darauf deuten nach meiner Meinung alle Zeichen hin, und sei es zum Beispiel ein solches Ereigniß, wie der anonyme Brief an Sie andeutet, so wird Oesterreich im Kampf gegen die Revolution allein stehen und von Rußland und Preußen im Stich gelassen werden; darum ist es die größte Thorheit, die man in Wien begehen kann, jetzt mit dem Liberalismus zu kokettiren und Concessionen über Concessionen zu machen, statt der Revolution desto kräftiger den Fuß auf den Nacken zu setzen. Zum Glück sind in Wien nicht Alle blind und man hegt bereits Verdacht – wie Sie sich selbst überzeugen konnten.«

Der Baron sah ihn fragend an.

»Die Schlinge ist schlau genug, und ich hoffe, der Profoß bekommt nächstens hier in Mailand volle Arbeit. Auch bei uns in Modena fehlt es nicht an Stoff. Aber lassen Sie uns aufbrechen, es ist Zeit. Wenn Sie über den Novizen des Monsignore Corpasini nähere Auskunft wünschen, so kann ich Ihnen einen Burschen empfehlen, dessen Spürnase vortrefflich ist und der unter den Leuten des Prälaten verkehrt.«

»Sie würden mich verbinden, wenn Sie ihn zu mir schicken, ich wohne im Albergo grande. Wie ist sein Name, damit ich meinem Kammerdiener den nöthigen Befehl geben kann?«

»Er ist ein bucklicher Jude und heißt Abraham.«

»Ein Jude im Haushalt des strengen Geistlichen?«

»Cospetto – was wollen Sie? Die heilige Kirche und der Staat dürfen ihren Feinden gegenüber in der Wahl ihrer Mittel nicht zaudern. Der Bucklige ist ein vortrefflicher Spion und ich benutze ihn selbst zur Ueberwachung eines Feindes. – Sehen Sie, die Menge, die nach der Villa reale zieht, wird immer dichter. Lassen Sie uns gehen. Frauen und Kinder, Priester und Laien, Alles wird von der Schaulust dahin gezogen, Diavolo! ich kenne meine Mailänder, – die Liebe zu dem Todten bringt sie trotz alles Guten, was er ihnen gethan, sicher nicht so auf die Beine, aber die Neugier thut's und der Vortheil, denn die Stadt ist überfüllt von Fremden. Sehen Sie, selbst bis von der Adria sind sie gekommen, und die verschiedensten Stände finden sich zusammen.«

Sie standen bereits in der Thür, während er unter der dahin ziehenden Menge auf zwei ihm auffallende Personen deutete.

Es waren zwei Männer, von denen der eine die Kutte eines der zahlreichen Bettelorden der italienischen Klöster trug, die Kaputze der Kälte wegen weit über den bloßen Kopf gezogen, während der andere die gewöhnliche Kleidung eines Matrosen von einem der Küstenfahrer an den Ufern der Adria oder des Golfs von Genua zeigte. Der Letztere mit dem braunen von einem schwarzen Bart umrahmten Gesicht war eine hohe schlanke Gestalt, während sein Begleiter der Mönch kleiner und untersetzter erschien. Bei all' dem bunten Gewühl der Trachten und Uniformen, die heute die Straßen füllten, achtete Niemand der ganz gewöhnlichen Erscheinungen und nur durch einen Zufall waren sie dem Modenesen in's Auge gefallen.

Der Blick des Barons schweifte gleichfalls über die Bezeichneten, aber er blieb an dem Matrosen hängen. »Ein interessantes Gesicht – ich muß ihm schon irgend wo begegnet sein; ich habe ein merkwürdiges Gedächtniß für Physiognomieen selbst ganz untergeordneter Personen.«

Sie traten auf die Straße – auch der Engländer hatte sich erhoben und warf dem Kellner ein Geldstück zu.

Als er langsam mit gemessenem Schritt dem General und seinem Gesellschafter folgte, hatte er zufällig unter der Thür noch die letzte Bemerkung des Diplomaten gehört.

Das Lorgnon, das er in's linke Auge geklemmt trug, wandte sich nach jener Richtung; das Paar war einen Augenblick stehen geblieben, einen der Anschlagzettel der Polizei über die Ordnung der Begräbnißfeier zu lesen, und der Matrose kehrte sich eben um und so ihm das volle Gesicht zu. Als das Auge des Engländers auf, dieses traf, zeigte er eine flüchtige hastige Bewegung wie vorhin bei den Namen der ungarischen Magnaten, die der Modenese ausgesprochen, und der Schritt, mit dem er über den Platz ging, war etwas hastiger, als das frühere Phlegma hätte erwarten lassen.

Wenn er jedoch dabei den Zweck gehabt haben sollte, den Mönch und den Seemann, an dem ihm vielleicht die lazzaroniartige Tracht aufgefallen, näher zu betrachten, so war sein rascherer Gang vergeblich; denn die nächste Menschenwelle trennte sie und der Mönch und der Matrose waren in dem Gewühl verschwunden.

Alles zog den Corso der Porta Nuova entlang, jenen schönen Gärten zu, die im Frühling und Sommer den Vereinigungspunkt der Bevölkerung Mailands bilden, während der anstoßende Corso zwischen der Porta nuova und der Porta orientale jeden Abend der Sammelpunkt der glänzenden Equipagen des Adels und der Reichen ist.

Zwischen dem Palazzo de Contabilita Generale und den Giardini publici liegt die Villa Reale mit ihren schönen, jetzt von dem Frost entblätterten Gartenanlagen. Hierhin wandte sich der Strom der Menschen.

Reiche und Arme, Männer, Frauen und Kinder, Geistliche, Soldaten, Nobilis und Fabrikarbeiter, Damen und Weiber aus dem Volk drängten sich mit den zahlreichen Fremden durch den Portikus in den innern Hof und dem Aufgang der großen Treppe nach dem ersten Stock zu. Die mit der Aufrechthaltung der Ordnung beauftragten Unteroffiziere bildeten hier die Reihen des Publikums, wie sie emporzusteigen und an dem Katafalk zu passiren hatten.

Im innern Hofraum hielt eine Compagnie des Infanterie-Regiments Graf Kinsky Nr. 47 die Ehrenwache für den verstorbenen Helden. Die trauerumflorte Fahne vor dem rechten Flügel, stehen die schnurgeraden Linien der dreigliedrigen Reihen in voller Kriegsausrüstung trotz der bittern Kälte unbeweglich, – die treuen Waffen im Arm, mit denen sie auf den Schlachtfeldern der Lombardei den ihnen aufgezwungenen widerstandslosen Abzug damals aus Venedig so glänzend gerächt.

Die Treppen und Korridore sind an den Seiten mit Reihen dekorirter Veteranen besetzt, die ernst und lautlos die Menge zwischen sich hindurch passiren lassen. Der schweigende Zug geht nach dem großen Saale des ersten Stocks.

Düster und feierlich ist der Anblick; die Majestät des Todes übt ihre volle Macht selbst auf die rohesten und leichtfertigsten Gemüther. Die Wände sind schwarz behangen, das Tageslicht, der goldene Sonnenschein draußen, der über der prächtigen Stadt liegt, ist gänzlich ausgeschlossen, wie das Grab Alles ausschließt, was dem frischen fröhlichen Leben gehört. Auf einem auf drei Stufen erhöhten mit schwarzen Sammet überzogenen und mit goldenen Borten reich besetzten Paradelager liegt die von den Aerzten einbalsamirte sterbliche Hülle des großen Kriegers, als ob er dort im tiefen Schlaf ausruhte. Er ist in seine große Marschallsuniform gekleidet, seine Brust zieren die zahlreichen ihm verliehenen österreichischen Orden; die Großkreuze seiner fremden Dekorationen sind mit ihren bunten Bändern, deren Ehren den Athem in der Brust, die sie einst schmückten, nicht wieder lebendig machen können, auf sechs schwarzen Kissen um die Bahre gereiht. Zu seinen Füßen liegen Hut, Säbel und Marschallsstab – vier mit dem Panzer des Mittelalters gerüstete riesige Krieger halten über der Leiche den hohen mit Lorbeerkränzen und Siegespalmen geschmückten Baldachin, während an der Wand gegenüber das mit Flor umhüllte, im Jahre 1329 vom Böhmerkönig, dem Luxemburger Johann, bestätigte Wappen des alten Freiherrn- und Grafengeschlechts der Radetzky von Radetz prangt.

Zu den beiden Seiten des Paradebetts stehen Unteroffiziere der italienischen Armee mit der Tapferkeitsmedaille und den Zeichen langer guter Dienstzeit geschmückt; zwischen ihnen eben so viele meist reich dekorirte Offiziere und zwar je einer von allen Waffengattungen der Land- und Seemacht, sich wechselsweise ablösend. Zu den Füßen der Leiche rechts Oberst Baron Alexander Koller, der Kommandant des Radetzky-Husaren-Regiments Nr. 5 aus der böhmischen Heimath, zur Linken sein erster Adjutant Karst von Karstenwerth. Und überall das glänzende traurige Gepränge und auf die verwitterten eingesunkenen Züge des alten Helden werfen die Flammen unzähliger Wachskerzen, in acht Pyramiden um das Todtenlager geordnet, ihr geisterhaftes feierliches Licht.

Sein Kaiser hatte den alten Krieger mit jeder militärischen Pracht geehrt, es war, als habe sein Kriegsherr gewußt, daß mit dem eilenden Dampfroß, das den eisernen Marschall auf immer von lombardischer Erde führen sollte, auch das Glück der österreichischen Fahnen auf italischem Boden entfliehe. – – –

Im endlosen Zuge mit langsamen Schritten, geräuschlos wie eine Geisterprocession, bewegte sich die lange Reihe des Publikums durch die Flügelthür an einem Ende des Saales herein, an der Balustrade um das Paradebett des Todten entlang, hielt einen Augenblick diesem gegenüber an, um zum letzten Mal die eingesunkenen Züge mit dem geschlossenen, sonst so milden und doch festen Auge zu schauen, und schritt dann ebenso still zur entgegengesetzten Thür hinaus.

Nur zuweilen unterbrach ein Schluchzen, das aus dem Herzen irgend eines dankbaren Armen sich Luft machte, das feierliche Schweigen.

Viele, namentlich Frauen aus den unteren Ständen, legten einen Kranz, einen Lorbeer- oder Orangenzweig auf den schwarzen Stufen des Leichenbetts nieder.– – –

Durch einen jener Zufälle, welche die Mutter der Verkettungen und Ereignisse im Leben der Menschen und der Völker sind, hatten sich bei dem Zuge durch die Trauerhalle fast alle die Personen zusammen gefunden, die wir dem Leser zu Anfang unseres Kapitels vorgeführt haben.

Als die Equipage der Oberstin Manara vor der Villa Reale vorfuhr, sprang aus einer Gruppe von Herren ein junger, elegant gekleideter Mann an den Schlag und öffnete denselben.

»Welches Glück, Signora, daß ich einige Freunde hierher begleitet, um zu sehen, wie die Hand Gottes diesen Feind der Freiheit Italiens zu todtem Staube gewandelt,« sagte der Herr. »Da Sie zu demselben Zweck gekommen sind, meine Damen und das Gedränge sehr groß ist, so bitte ich um Erlaubniß, Ihr Cavalier sein zu dürfen!«

Er hob die Oberstin aus dem Wagen, leistete dann der Gräfin denselben Dienst und wollte seine Hand der jungen Dame bieten.

Diese jedoch hatte bereits den zweiten Schlag geöffnet und war rasch auf den Boden gesprungen.

Der Cavalier biß sich auf die Lippen, als er die spöttischen oder boshaften Blicke der Freunde bemerkte, die in einiger Entfernung standen, und der schwarze Schnurrbart über dem festen trotzigen Mund schien sich zu sträuben. Er war ein stattlicher Mann, etwa 26 bis 28 Jahre alt, von stolzer Gestalt und stolzem, finsterm Gesicht, dessen Züge jenen besonderen Familientypus trugen, den man auf Bildern der alten Herzoge im Ospedale grande findet. Die Stirn des jungen Mannes war schmal und hervorspringend, die Nase leicht gebogen – in dem ganzen Ausdruck der Physiognomie ein sichtlicher Hochmuth gepaart mit einer Ungeduld und Leidenschaftlichkeit, die keine Schranken achtete oder kannte.

Er faßte sich rasch, unterdrückte die Bewegung des Mißmuths und wandte sich zu den Damen, zu denen die Signorina um den Wagen geschlüpft war.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Signorina,« sagte er, galant das Spiel wendend, »daß ich nicht rasch genug war, auch Ihnen meine Dienste widmen zu können. Sie wissen, daß Ihnen dieselben ohnehin gehören. Aber – was sehe ich, meine Damen, – wenn mich mein Auge nicht täuscht, tragen Sie Kränze unter Ihren Mänteln? ich kann unmöglich glauben, daß sie für jenen Mann bestimmt sind, dessen Andenken mit dem besten Blut unserer Freunde verbunden ist.«

Die Oberstin Manara, eine hohe königliche Gestalt in ihrer Trauerkleidung, mit einer sichern Würde in den feinen blassen Zügen, schlug das feine Tuch in ihrer Hand zurück und wies auf den Kranz von Olivenzweigen.

»Sie haben wahrscheinlich vergessen, Signor Sforza,« sagte sie eisig, »daß der Graf Radetzky es war, welcher die Gattin und die Wittwe des Obersten Manara – der sich nicht mit Worten für Italien begnügte, sondern ihm sein Leben gab – während jener traurigen Zeit gegen die Chicanen der Polizei in Schutz nahm. Antonia Manara kann den Oelzweig des Friedens auf den Sarg des edelmüthigen Feindes legen, ohne daß eine Seele in Mailand an ihrem Patriotismus zweifeln wird!«

Der strenge Verweis überzog nochmals das Gesicht des jungen Mannes mit einer tiefen Röthe. »Verzeihen Sie, Signora,« sagte er finster, – »ich dachte nicht daran, Sie zu beleidigen, Jedermann kennt Ihre Gesinnungen. Meine Verwunderung galt allein der Signorina, denn wenn ich nicht irre, sind es Lorbeerzweige, die sie trägt.«

Das junge Mädchen hielt ihm herausfordernd den Kranz entgegen, der allerdings von zwei in einander verschlungenen Lorbeerzweigen gebildet war.

»Ueberzeugen Sie sich, Signor Conde!« sprach sie herausfordernd. »So viel ich weiß, steht mein Gärtner nicht unter Ihrer Vormundschaft.«

»Sie nehmen wenig Rücksicht auf meine Gefühle und meine Stellung, Julia,« sagte finster der Graf. »Die Verlobte eines Sforza kann mit den Österreichern Nichts gemein haben!«

Ein spöttischer widerwilliger Zug flog um den Mund des schönen Mädchens. »Ich habe noch nicht die Ehre, den Namen dieses erlauchten Hauses für den meinen eingetauscht zu haben,« erwidert sie kalt. »Kriegerischer Ruhm wird sich stets des Beifalls einer Dame erfreuen, und dieser Lorbeer gilt dem Helden, nicht dem Oesterreicher!«

Die letzten Worte, schon in der Nähe der großen Treppe gesprochen, die zum Hauptportal der Villa führt, waren laut genug, daß sie die Aufmerksamkeit zweier Personen in vorüberziehendem Gedränge erregten. Es waren der Mönch und der Matrose, die vorhin an dem Kaffeehause der Scala vorübergezogen waren.

Der Mönch wandte sich um und ein großes ernstes Auge begegnete unter der Kapuze hervor dem suchend umherstreifenden Auge der jungen Dame.

»Carrajo, Freund Andreas,« sagte er leise mit gutmüthigem Lachen, »da siehst Du, daß mehr Leute wie eine gewisse Person denken, die ich hier nicht gerade nennen mag. Das hübsche Mädchen hat Recht.«

»Still, General – es sind hundert Ohren um uns!«

Ein zweites heiteres Lachen klang unter der Kapuze hervor. »Wenn Du einen grauen Kuttenträger noch oft so nennst, wird es ziemlich auf dasselbe heraus kommen, als wenn ich selbst meine Adresse gebe, Cospetto, mache Deine langen Beine lieber etwas breiter auseinander und zeige, daß Du wirklich eine Seeratte bist, oder ich will zehn Paternoster in einem Athem sprechen, wenn man Dich nicht eher für einen Reiter auf dem Roß der Pußten, als für einen auf dem hölzernen der Schiffsplanken hält!«

Das Gedränge hatte sie während der gewechselten Worte weiter getrieben, wobei der Mönch sich nochmals umwandte und unter der Kapuze hervor auf die Wittwe einen Blick voll Theilnahme und Interesse warf, während diese sich zu dem Grafen gewandt hatte.

»Signor Conde – es möchte besser sein, Ihren Streit mit Julia zu Hause abzumachen, für jetzt bitte ich um Ihren Arm, denn es dürfte sonst unmöglich sein, uns anzuschließen.«

Der junge Nobile gehorchte, indem er sich umsah, ob keiner seiner Freunde in der Nähe, dem er die nachfolgenden Damen anvertrauen könnte, aber er war bereits mit diesen im Gedränge mitten zwischen Frauen und Männern aus dem Volk, von denen sich nur die steife, in ihrem langen bis zu den Fersen reichenden hellen Sürtout gehüllte Gestalt des Engländers auszeichnete, der vorhin im Café unsern des modenesischen Generals und seines Freundes so eifrig die Times studirt hatte und nun mit der ungenirten Indolenz der Inselbewohner zwischen dem Italiener und den nachfolgenden Damen in die Reihe trat.

Die Gräfin Zriny, wie vorhin der Modenese sie bezeichnet, hatte den kleinen Wortstreit mit einem boshaften Lächeln beobachtet und warf der Signorina, deren Arm sie jetzt vertraulich unter den ihren zog, aus dem Winkel ihres Auges einen spöttischen Blick des Verständnisses zu.

»Gehen Sie nur unbesorgt voran, lieber Graf,« sagte sie auf französisch, »ich werde Ihr Täubchen bewahren gegen alle Nationen wie meinen eigenen Augapfel, und Nichts zugeben, was Ihrem Patriotismus zu nahe treten könnte. Aber Sie wissen, meine kleine Julia hat ihr eigenes Köpfchen voll interessanter Launen und muß ihren Willen haben!«

Der Menschenstrom, in dem sie sich fortbewegten, hatte die Paare bereits einige Schritte getrennt und führte sie ohne Stillstand die breite Marmortreppe zwischen dem Spalier der gleich Bildsäulen rechts und links gereihten Krieger empor.

»Der eifersüchtige Narr,« flüsterte sie ihrer schönen Begleiterin zu, sie dichter an sich ziehend, »Es ist ganz in der Ordnung, wenn Sie ihn gehörig ablaufen lassen. Der schöne Kürassierrittmeister gefiele mir als mein Romeo auch viel besser, als dieser hochmüthige finstere Thor!« Die junge Signora an ihrem Arm zuckte unwillkürlich zusammen bei den Worten.

Sie war eine jener üppigen lebenswarmen Gestalten mit tiefblondem Haar, wie sie Tizian seinen Frauenbildern gegeben und wie sie die Vermischung des germanischen Bluts mit dem romanischen unter dem Himmel Italiens nicht selten erzeugt hat. –

Das italienische Feuer, die Gluth der Leidenschaft war gepaart mit der deutschen vollsaftigen Lebenskraft und Innerlichkeit des Gefühls. Die Signorina zählte höchstens achtzehn Jahre, ein Alter, in dem unter dem italienischen Himmel das Weib bereits vollkommen entwickelt ist, und das aus der Tiefe ihrer dunkelblauen, fast schwarzen Augen blitzende Feuer verrieth genugsam ihr Bedürfniß nach Liebe.

»Ich weiß in der That nicht Signora Contessa, was Sie meinen. Was Signor Sforza betrifft, so besteht sein einziger Anspruch an mich in der Verlobung, die unsere Väter eingegangen, als ich fast noch in der Wiege lag, und Sie wissen ...«

»Daß er Ihnen höchst gleichgültig, ja verhaßt ist, liebe Julia, und Sie die Frau sind, eine lästige Fessel zu sprengen. Unsere liebe Manara, von so trefflichen Grundsätzen sie auch sonst ist, denkt darin etwas pedantisch. Mein Gott, Sie sind jung, reich und schön – warum sollen Sie nicht das Leben und sich die Männer wählen, die Ihnen gefallen!«

»Aber Sie kennen die ausdrückliche Bestimmung im Testament meines Vaters!«

»Bah – in jedem Testament findet sich eine Handhabe, um es umzustürzen, namentlich wenn man die Machthaber auf seiner Seite hat. Sie sind das einzige Kind, also die einzige Erbin!« Die Gräfin schien ganz besonderes Interesse zu haben, sich dieser Erbin angenehm zu machen.

»Ich muß gestehen, Signora,« sagte das Mädchen, noch immer zerstreut mit den Augen umher suchend, »von Ihnen hätte ich kaum diese Zustimmung erwartet, während alle Welt mich bestürmt, den Grafen zu heirathen, selbst mein Beichtvater...«

»Ei so nehmen Sie einen anderen, der vernünftiger ist, wenn Sie wirklich glauben, all' Ihre kleinen Geheimnisse dem Beichtstuhl verrathen zu müssen, zum Beispiel...

»Gräfin!«

»Zum Beispiel die Geheimnisse eines gewissen kleinen Balkons an der Gartenmauer...«

»Heilige Madonna – schweigen Sie! – wenn man Sie hörte...«

»Bah – etwa dieser täppische Engländer hier? Aber ich muß Ihnen sagen, Julia, Sie haben Geschmack und er ist rasend in Sie verliebt!«

»Wie und Sie – die Vertraute der Gräfin Montalban-Cornello, die eifrige Patriotin, Sie verdammen mich nicht, weil mein Herz sich einem Feinde zugewendet?«

»Cara mia – ich Sie verdammen oder verrathen? Heirathen Sie meinetwegen den Sforza und lassen Sie ihn zum neuen Podesta des freien Mailand machen mit ihrem Gelde, aber lieben Sie und genießen Sie, wen Sie wollen! Was hat die Politik mit der Liebe zu thun und wenn ich Ihnen helfen kann, dem Eifersüchtigen einen Streich zu spielen, so rechnen Sie auf mich. Wäre ich noch jung, ich beneidete Sie ernstlich um ein solches Rendezvous!«

Sie standen am Eingange des Trauersaales, wo der Zug sich stopfte. Durch das gleichzeitige Heraustreten einiger Offiziere entstand einige Unordnung und das augenblickliche Drängen trennte die beiden Damen.

Als die Gräfin sich eben nach ihrer schönen Begleiterin umsah, beugte der steife Engländer wie zufällig sich nieder und an ihrem Ohr tönte mit unverkennbar nationalem Ausdruck das Wort:

»A Hon!«

Sie machte eine Bewegung der Ueberraschung und sah erstaunt auf ihren Nachbar.

Der Britte putzte mit seinem Taschentuch eifrig das Augenglas.

»Gott gebe Ungarn einen blauen Himmel!« flüsterte er in magyarischer Sprache hinter dem Tuch. »Ich muß Sie sprechen, noch heute, Cousine!«

Sie sah ihn noch immer erstaunt, verwundert an. »Wer sind Sie? diese Benennung – –«

»Hat die Gräfin Törkyöny, seitdem sie sich wieder Martha Zriny nennt, kein Gedächtniß mehr für ihre unglücklichen Verwandten?«

»In der That Herr – reden Sie deutlicher – ich erkenne Sie nicht!«

Er beugte sich nieder zu ihrem Ohr und flüsterte zwei Worte – sie hätte beinahe einen lauten Schrei ausgestoßen und starrte ihn fast mit Entsetzen an. »Wie – träum' ich denn? Sie leben ...?«

Der Engländer machte eine hastige Geberde des Schweigens. »Wenn es nach einem Ihrer früheren Freunde gegangen wäre, allerdings nicht. Aber da ich ihn nicht mehr in Ihrer Nähe sehe, hoffe ich, Sie werden mein Vertrauen nicht mißbrauchen. Ich muß Sie sprechen. Wo finde ich Sie?«

»Ich wohne bei der Oberstin Manara in der Casa Paulina. Kommen Sie diesen Abend, wenn es dunkel ist!«

»Es bedarf dieser Vorsicht nicht – ich werde mich in zwei Stunden einführen lassen.«

»So haben Sie Freunde hier?« frug sie lauernd.

»Ich werde deren finden, zum Beispiel dort!«

»Wo?«

Er deutete auf den Matrosen, der eben mit dem Mönch, seinem Begleiter, den kurzen gestatteten Stillstand vor der Leiche machte.

Zugleich sah sie ihre Schutzbefohlene, Julia Bignatelli, am Arm eines stattlichen jungen Offiziers in österreichischer Kuirassier-Uniform, zu der Barriere heran treten.

Der Offizier war ein großer schöner Mann mit offenem, martialisch-kräftigem Gesicht von deutschem Schnitt, eine jener Gestalten, wie sie stets bei den Frauen von heißen Leidenschaften Glück machen.

Das Paar war eben an die Barriere getreten, das untere Volk machte dem glänzenden Offizier willig Platz, die junge Dame, von Röthe übergossen, als sie in Folge ihrer Begleitung viele Augen auf sich gerichtet sah, wollte hastig den Lorbeerkranz zu den anderen auf die Stufen des Paradebetts legen.

»Einen Augenblick, meine Tochter!«

Es war der Mönch, der gesprochen und dessen Hand die ihre aufhielt. Er brach einen kleinen Zweig von dem Kranze und warf ihn auf die Leiche.

Sein Gefährte, der Seeman, sah ihn überrascht an.

»Dem Andenken eines Tapfern! Der Herr sei seiner Seele gnädig!«

Sie schritten weiter.

Die Signorina hatte gleichfalls ihren Kranz niedergelegt, die Trauermarschälle gaben dem Zuge ein Zeichen, sich weiter zu bewegen.

Die ungarische Gräfin, die sich von dem Engländer bereits getrennt und jetzt wieder alle Herrschaft über sich selbst gewonnen hatte, beobachtete mit scharfem Auge alle die kleinen Züge, ein Lächeln boshafter Schadenfreude überzog ihr rothes Gesicht, als sie von dem Ausgang des Saales her zwei feuersprühende Augen auf das Paar zurück gewendet sah.

Es war der Verlobte der Signora, der Graf Sforza, der bei dem Umherschauen nach der Vermißten den unwillkommenen Anblick gehabt und den nur die ernste Mahnung der Oberstin abhalten konnte, durch seine wüthende Eifersucht eine Szene in dem Trauersaal selbst herbei zu führen.

Die Gräfin war übrigens nicht die Einzige, welche die kleinen Vorgänge mit Interesse beobachtet hatte.

Unter der Gruppe von hohen Offizieren und Beamten die zur Seite an der Wand standen, hatten auch der modenesische General und Herr von Neuillat ihren Platz gefunden.

Der Diplomat stieß den Grafen an. »Sehen Sie da, General, die hübsche Signora, die vorhin mit der Gräfin Törkyöny und der Oberstin Manara an uns vorüber fuhr. Wenn ich nicht irre, ist es der Baron von Trautmannsdorf, der sie fährt?«

»Der Adjutant Gyulay's, ja wohl. Aber er bemüht sich vergeblich um die reiche Erbin, sie ist mit einem unserer enragirtesten Demokraten, dem Grafen Sforza verlobt durch das Testament ihres Vaters, um mit ihrer Million dem zerrütteten Vermögen des entarteten Abkömmlings der alten Herzöge wieder auf die Beine zu helfen.«

Der Diplomat verfolgte mit seinem Lorgnon nochmals den Matrosen von der Adria, dessen Physiognomie ihm so bekannt vorgekommen war, ohne daß er wußte, wo er sie unter seinen reichen Erinnerungen von Menschen gleich hinthun sollte.

Der Kürassier-Offizier hatte unterdeß seine Dame in dem langsamen gemessenen Schritt des Zuges weiter nach dem Ausgang geführt.

»Nehmen Sie sich in Acht, Signor Enrico – der Graf hat uns so eben gesehen!« flüsterte die junge Dame.

»Der Teufel hole ihn,« sagte ziemlich rücksichtslos der Deutsche. »Ich wünschte, das hochmüthige Gesicht versuchte nur, sich an mir zu reiben – bis jetzt hat es seine Courage immer sorgfältig vermieden. Wie glücklich hat es mich gemacht, Sie einige Augenblicke sprechen zu können. – Und diese Nacht?« Seine Stimme war zum leisen Hauch gedämpft.

»Zur gewöhnlichen Stunde!«

Sie waren an der Thür des Vorsaals, in welchem die Oberstin mit ihrem ungeduldigen Begleiter wartete.

Auch die Signora Manara sah finster und unwillig, als sie das Paar herankommen sah – der Mailänder Nobile vermochte nicht länger an sich zu halten, sondern ging, trotz des Rücksicht gebietenden Ortes, hastig auf seine Verlobte zu.

»Kommen Sie, Julia,« sagte er laut, – »die Frau Gräfin hat sehr Unrecht gethan, Sie einer solchen Belästigung auszusetzen, vor der man selbst nicht einmal bei dieser Gelegenheit sicher scheint!«

Der Offizier richtete sich straff empor, auf seiner kräftigen Stirn trat eine Narbe, die von einem Säbelhieb im ungarischen Kriege herrührte, in der dunkelen Röthe, die sie übergoß, weiß hervor; aber ohne den Italiener einer Antwort zu würdigen, schob er ihn mit einer Handbewegung zur Seite und führte die fest auf seinen Arm lehnende Dame bis zu der Oberstin.

»Madame,« sagte er, sich höflich verbeugend, »ich habe die Ehre, Signora Bignatelli Ihrem Schutz wieder zu überliefern. Ich fand sie, im Gedränge von Ihnen abgekommen, im Vestibüle unter der Menge und hatte die Ehre, ihr meinen Arm anbieten zu dürfen.«

Die Gräfin Törkyöny hatte sich jetzt herbeigedrängt. »Das arme Kind, ich sah ihre Verlegenheit,« entschuldigte sie hastig, »aber ein Flegel von Engländer hatte uns getrennt und es war nicht möglich, wieder zu ihr zu gelangen, denn die ganze Menschenreihe hatte sich zwischen uns geschoben.«

»Sie hätten verständiger Weise an unserer Seite bleiben sollen, Julia,« sagte kalt die Oberstin. »Mein Herr, unsern Dank für Ihre Bemühung!« Sie machte eine gemessene Verbeugung und gab dem jungen Mädchen ein Zeichen, sich ihr anzuschließen, aber der Offizier nahm kaltblütig die Hand der jungen Erbin und führte sie an seine Lippen.

»Signora,« sagte er ruhig, »empfangen Sie, ehe ich mich beurlaube, den Dank der Armee unsers Kaisers für die patriotische Gabe am Sarge des besten und treuesten Mannes in Italien, die Sie ja wohl im Namen aller dieser treuen Unterthanen dargebracht haben. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen, da mein Dienst mich hier oben gebunden hält.«

Die Oberstin hatte den Arm ihrer Mündel oder Pflegebefohlenen genommen und führte sie fort, der Nobile wollte ihr nach einem gehässigen Blick auf seinen Nebenbuhler folgen, als dieser eine Hand auf seine Schulter legte.

»Was beliebt, Signor?«

»Ich glaube, Herr Graf, Sie sprachen so eben einige Worte, die an mich adressirt waren?«

»Ich erzeigte Ihnen die Ehre!«

Der Offizier lachte. »Echauffiren Sie sich nicht, Signor Conde. Ich wünschte Ihnen bloß Gelegenheit zu geben, mit meiner Zudringlichkeit ein für alle Mal fertig zu werden, – das heißt, wenn Sie den Muth dazu haben!«

»Elender!«

»Still – man könnte Sie hören, und ich wäre dann gezwungen, Sie zu ohrfeigen, was ich gern vermeiden möchte. Treten wir gefälligst ein wenig zur Seite. Sie haben mich also verstanden?«

»So wohl, daß ich Sie noch diesen Abend zu tödten hoffe!«

»Halt, halt, Signor Conde, – lassen Sie Ihr Pferd nicht zu stark galopiren. Ich werde Ihnen morgen zwei Freunde senden, um das Nöthige zu besprechen und stehe eine Stunde nach dem Begräbniß des Feldmarschalls zu Ihrer Disposition!«

»Wie – ich sollte bis übermorgen warten? – Sie sind ein Prahler, Signor, wenn Sie eine solche Sache aufschieben wollen.«

»Ich bin im Dienst, mein Herr,« sagte der Rittmeister kalt – »und bei uns Soldaten kommt der Dienst vor unserer Person. Sie werden sich also gedulden müssen!«

»Nimmermehr – heute! spätestens morgen früh, denn ich will Sie selbst tödten und übermorgen ...«

»Haltet ein, thörichte Männer,« sagte plötzlich eine ernste Stimme hinter ihnen, »Morgen wie übermorgen und alle Tage gehört Euer Blut dem Vaterlande und der gerechten Sache, darum lasset ab von dem unnützen Streit – ich verbiete ihn!«

Sie hatten beide sich umgewendet nach dem unberufenen Einmischer in ihren Wortwechsel.

Es war der Mönch, der mit dem Seemann zu der Leichen-Ausstellung gekommen. Der hochmüthige Graf wandte seinen Zorn, den er an dem Gegner nicht auslassen konnte, gegen den Priester. »Elender Bettelpfaffe, was untersteht Ihr Euch?« herrschte er ihn an. »Trollt Eurer Wege, wenn die Unverschämtheit Euch nicht schlecht bekommen soll!«

»Geht, guter Bruder,« sagte lächelnd der Offizier, »und betet einige Paternoster und Ave Marias für eine arme Seele, die im Begriff steht, zum Teufel zu fahren!«

Der Mönch antwortete weder auf die Beleidigung noch auf den Spott. Er stand jetzt so, daß er die Oeffnung seiner Kapuze dem Nobile zugewandt hatte.

»Im Namen der heiligen Kirche,« sagte er mit tiefem Ton, »entferne Dich, leichtsinniger Mann, von dieser Stätte, wo nicht einmal die Nähe des Todes Deinen thörichten Leidenschaften Einhalt gebieten kann.«

Der Graf wollte heftig antworten, als die erhobene Hand des Mönchs wie zufällig seine Kapuze halb öffnete, so daß Jener sein Gesicht erkennen konnte.

Der Abkömmling der Sforza fuhr zurück, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen, dann drehte er sich kurz um, maß mit einem finstern haßvollen Blick den Gegner und verließ mit den Worten: »Auf Wiedersehen, Signor!« das Vorzimmer, in dem die Scene durch sein eigenes Ungestüm nicht unbemerkt vorübergegangen war und sich bereits eine Gruppe in der Nähe der Streitenden gesammelt hatte, die jetzt von den Ordnung haltenden Unteroffizieren zum Weitergehen ernstlich angetrieben wurde.

Der Rittmeister hatte verächtlich hinter dem Fortgehenden drein genickt. »Ich hoffe es – wenn die italienische Courage so lange vorhält! – Aber es war auffallend, daß der werthe Graf so plötzlich auf das Wort des Mönchs hörte und es wird gut sein, wenn ich mir den frommen Bruder einmal näher besehe!«

Er blickte nach diesem umher, aber weder der Mönch noch der Seemann waren mehr zu sehen, und er mußte zu seinem Dienst in den Trauersaal zur Ablösung der Ehrenposten zurückkehren.

Als die Damen eben in die harrende Equipage steigen wollten, kam der Nobile hastig und erhitzt hinzu. Die Oberstin winkte ihn mißbilligend zu sich.

»Warum blieben Sie zurück, Francesco? – Sie haben gewiß einen thörichten Streit angefangen mit dem Menschen!«

»Keine Sorge, Signora – ich habe ihm bloß angedeihen lassen, was er verdiente. Wahrlich, es ist ein Glück, daß die Stunde endlich da ist, wo der Unverschämtheit dieser deutschen Eindringlinge ein Ende gemacht werden kann!«

»Still – Sie sind unvorsichtig in Ihren Reden und werden noch Alles gefährden. Steigen Sie ein und fahren Sie mit uns zur Stadt zurück!«

Der Graf entschuldigte sich, daß er mit einigen Freunden versagt sei und hob die Damen in den Wagen.

Das kurze Gespräch hatte Gräfin Martha benutzt, um der Erbin in's Ohr zu flüstern: »Der eifersüchtige Unhold! – Hoffentlich giebt ihm Ihr schöner Rittmeister die gebührende Lection. – Wenn Sie meiner Hilfe bedürfen, so vertrauen Sie mir!«

Die Signorina hatte bis dahin noch kein Wort gesprochen, nur ihre Augen funkelten entschlossen.

»Befreien Sie mich von dieser Fessel, und mein halbes Vermögen ist das Ihre!«

»Wir sprechen weiter darüber! – Suchen Sie diesen Abend mich auf.«

Der eifersüchtige Liebhaber beurlaubte sich bei den Damen im Wagen und derselbe rollte mit ihnen dem Corso zu. –

Eine Stunde später trennten sich am Portikus mit der Verabredung des baldigen Wiedersehens der Graf Mortara und der Agent der vertriebenen Königsfamilie von Frankreich; der Erstere ritt mit der modenesischen Deputation zurück, der Zweite, der sich gern im Volksgewühl bewegte, kehrte langsam unter der Menge, die nach dem Schluß der Paradeausstellung zur innern Stadt wogte, zu Fuß unter dieser nach seinem Hôtel zurück. Er hatte kaum die Ecke der Neuen Straße erreicht, als sich ein alter Mann an ihn drängte und ehrerbietig den Hut zog.

»Ich habe die Ehre, dem Herrn Baron zu bezeigen meinen ganz gehorsamsten Respekt, wenn der Herr Baron sich erinnern thut noch eines armen unbedeutenden Mannes!«

»Wie – Sie hier in Mailand, Herr Mortara?«

Der alte Juwelier und Geldwechsler aus Mantua verbeugte sich nochmals, »Ich habe doch auch sehn wollen noch einmal das Antlitz eines Gerechten in Israel, der gethan hat meinem Volk vieles Gute und nicht gelitten hat die Ungerechtigkeit. Der Herr Jehovah lasse ihn eingehen in das Eden der Christen!«

Der Graf schritt nachdenkend eine kurze Strecke neben dem alten Mann her. »Das ist schön von Ihnen, Herr Mortara, eine solche Gesinnung auch gegen Andersgläubige ehrt Sie. Doch Sie haben davon schon öfter Beweise gegeben, selbst noch in letzter Zeit – oder vielmehr in den letzten Tagen.«

Er warf einen scharfen Blick auf seinen Begleiter.

Der Jude hielt ihn ruhig aus.

»Ich verstehe nicht Euer Excellenz!«

»Es ist hier weder die Zeit noch der Ort, mich näher auszusprechen,« sagte der Baron. »Dennoch wäre es mir sehr lieb, Herr Mortara, wenn ich Sie auf eine Stunde ungestört sprechen könnte. Ich hoffe, Sie bleiben bis morgen hier?«

»Ich beabsichtige abzureisen mit der Eisenbahn morgen früh, Herr Baron. Mein Haus in Mantua kann nicht länger entbehren das Auge des Herrn!«

»Wohl – so sagen Sie mir, wo ich Sie diesen Abend finden kann, wenn Sie nicht vorziehen, mich zu besuchen, denn leider bin ich bis dahin sehr beschäftigt.«

»Ich wohne bei Einem von unseren Leut', und ein so vornehmer Herr wird nicht gehen wollen unter so niedriges Dach. Ich werde machen dem gnädigen Herrn meine Aufwartung wann und wo er befiehlt.«

»Gut denn! ich wohne im Albergo grande und werde Sie heute Abend um 9 Uhr bei mir erwarten.«

»Der alte Mortara wird nicht warten lassen seinen hohen Gönner!«

Der Baron grüßte den Juden höflich, wiederholte noch einmal die Stunde und setzte seinen Weg fort. Der Jude sah ihm einige Zeit nach.

»Er ist ein gerechter und kluger Mann, und hat kein Vorurtheil gegen unser Volk,« murmelte er. »Wenn alle Christen wären wie er und der Mann, auf dessen müdes Auge gelegt Samael seine dunkle Hand, könnten der Christ und der Jude gehen neben einander glücklich durch das Leben. Warum sollte ich nicht helfen ihm oder vielmehr seinem Herrn zu gewinnen das, was die Menschen das Höchste halten im Leben, einen Thron?«

Er wollte gleichfalls weiter gehen, aber zwei Personen, die auf ihn gewartet zu haben schienen, nahmen ihn in Empfang.

Es waren der Mönch und der Schiffer, die einander so treue Gesellschaft leisteten.

»Kommen Sie hierher, Signor Mortara,« sagte der Zweite mit einer dem Juden nicht ganz unbekannten Stimme, »wir haben mit Ihnen zu reden. Lassen Sie uns hier hinter den Vorsprung der Kirche treten, wir werden dann weniger bemerkt sein von dem Menschenstrom.«

Der alte Wechsler sah sich ängstlich um, als sei ihm an der neuen ihm noch unbekannten Gesellschaft nicht viel gelegen.

»Was wollen Sie von mir, Mann?« frug er hastig, »es wird doch nicht sein passend, daß ein ehrwürdiger Klosterbruder gesehn wird auf offenem Corso in Mailand mit Einem von meinem Glauben!«

»Kutya lanczos! machen Sie keine Umstände! Der Rock macht den Pfaffen nicht, aber er ist wenigstens gut, um unsern Verkehr mit einem Ebräer zu heiligen. Hierher, Signor, in diesen Winkel – wir haben Ihnen nur wenige Worte zu sagen!«

Mortara, der bei seinen vielen und sehr verschiedenartigen Geschäften jedes unnütze Aufsehen fürchtete, war dem ernsten Drängen gefolgt – die vorspringende Seiten-Kapelle der Kirche, in deren Nähe sein Gespräch mit dem Baron geendet, verbarg sie vor neugierigen Blicken der auf der Hauptstraße Vorüberziehenden.

Der Seemann wandte sich jetzt voll zu dem Juden, rückte ein Wenig die rothe Mütze aus der Stirn und sagte spöttisch:

»Nun, Signor Mortara, kennen Sie mich jetzt? – Sie hatten doch scharfe Augen, als wir uns das letzte Mal sahen!«

»Gott der Gerechten, Signor – wenn ich den Bart wegdenke – Sie sind der Oberst Türr! Wie können Sie wagen sich wieder in die Höhle des Löwen?«

»Bah – es thun's bessere Männer als ich! – Jetzt da Sie mich kennen, ist es weiter nicht nöthig, daß Sie es forterzählen. Wir wissen, daß Sie ein zuverlässiger Mann sind, und Niemand verrathen, der Ihnen vertraut.«

»Der Gott Abrahams soll mich verlassen, wenn ich's thue. Aber Signor, ich weiß, Sie sind ein Mann von der großen Bewegung in diesem Land. Darum will ich Sie bitten, mir zu sagen kein politisches Geheimniß, denn ich bin gebunden durch einen bösen Contract an Ihre Feinde!«

»Wir wissen, daß Sie beiden Parteien dienen, aber daß Sie es mit Verstand thun und Niemand verrathen. Was wir jedoch mit Ihnen zu thun haben, schlägt in Ihr Handelsgeschäft. Sie haben aus dem Verkauf der Diamanten des General Garibaldi und Lord Heeresford noch circa zwei Millionen Lire in Händen.«

»Zwei Millionen und fünfundzwanzigtausend Lire, nachdem vor acht Tagen fünfmalhunderttausend auf mich gezogen worden sind.«

»Ich weiß es – aber wir sind unversehens noch einer Summe benöthigt, wo möglich noch diesen Abend oder noch diese Nacht, etwa fünfzigtausend Lire! Haben Sie Geld in Mailand oder können Sie es sich hier verschaffen?«

»Die Unterschrift des Samuelo Mortara,« sagte der Juwelier mit einem gewissen Stolze lächelnd, »hat in Mailand Geltung für mehr als das Zehnfache. Aber! ...«

»Was haben Sie für ein Bedenken?«

»Ich muß haben die Unterschrift von dem Eigenthümer oder seinem Freund, dem Lord Heresford!«

Der Oberst lachte. »Teremtete! Also Sie trauen mir nicht für 50 000 Lire?«

»Ich bin ein Mann des Handels, Signor, und weiche nie ab eine Handbreit von meiner Regel. Wenn Sie mir bringen die Vollmacht von Denen, die haben gegeben die Diamanten und mir anvertraut unterzubringen den Werth, können Sie disponiren über jede Summe!«

»Nun, es ist recht, daß Sie Ordnung halten – wir vertrauen Ihnen desto mehr. Aber ich will Ihnen Besseres geben, als die bloße Vollmacht?«

»Was könnte das sein?«

Der Oberst legte die Hand auf die Schulter des Mönchs.

»Den Depositeur selbst, Signor Mortara!«

Der Jude sprang unwillkürlich einen Schritt zurück. »Gott der Gerechte – der General Garibaldi?«

»Still!« befahl der Mönch. »Die Wände haben in Mailand Ohren. Kommen Sie diesen Abend acht Uhr in die Casa der Oberstin Manara, Signor Mortara, und bringen Sie das Geld mit, und Sie werden Ihre richtige Quittung erhalten. Aber bringen Sie Gold, nicht Papiere, die Letzteren könnten binnen zwei Tagen in Mailand zu schlecht im Course stehen!«

»Gott Abrahams,« stöhnte der Wechsler leise, »das ist ein schlimmes Zeichen! – Signor Mazzini in Paris und der General Garibaldi in Mailand – das wird geben einen neuen Strom von Blut und die Geschäfte werden stocken und es wird ausbrechen ein neuer Krieg!«

»Still!« befahl der Mönch nochmals mit ernster Stimme. »Das sind keine Dinge, um auf offener Straße davon zu reden. Schweigen Sie bei Ihrem Leben von Allem, was Sie gehört oder erfahren haben, bis ich mit Ihnen weiter gesprochen. Ich erwarte Sie um acht Uhr an dem bewußten Ort.«

Der Jude legte betheuernd die Hand auf die Brust.

»Gehen Sie jetzt die Contrada del Monte hinab, während wir wieder in den Coso einbiegen. Auf Wiedersehen!«

Der Wechsler beeilte sich so hastig, als es ihm seine alten Beine erlaubten, dem Befehl Folge zu leisten. Der Mönch und der Seemann blieben noch eine Weile hinter der Kapelle, dann kehrten sie wieder zu der Straße zurück und mischten sich in das noch immer herrschende Gewühl.

Sie setzten hier ihren Weg fort, ohne zu bemerken, daß zwei Personen sie scharf dabei beobachteten.

Der Eine war ein lahmer, buckliger Krüppel von jämmerlichem Aussehen, der sich aber behend auf seinen beiden Krücken fortzuschieben verstand und der während der Unterredung auf den Vorstufen der Kirche, wie gewöhnlich die Bettler in Italien, gelagert hatte; die Andere der Engländer, der vor den Läden der gegenüber liegenden Seite stehen geblieben war, bis er den Mönch und den Seemann wieder ihren Weg fortsetzen sah, worauf er ihnen in gemessener Entfernung folgte.

Beide Personen waren übrigens von dem Platz an der Villa Reale bis zur Kirche mit dem Menschenzug den beiden Gruppen nachgegangen, der Krüppel dem Juden, der Engländer dem Seemann und seinem Begleiter.

Während die Letzteren ihren Weg bis zum Domplatz verfolgten und dann in das Straßengewirr nach der Porta Romana einbogen, blieb der Krüppel noch einige Minuten auf seinem Platz, anscheinend, um die Rückkehr des Juden zu erwarten, oder zu überlegen, ob er den Männern, die mit ihm gesprochen, folgen solle; erst als der Wechsler nicht nach dem Corso zurückkehrte, überzeugte er sich durch einen Rundgang um die Kirche, daß dieser in einer anderen Richtung sich entfernt haben müsse.

Der Krüppel kroch hierauf wieder in das tiefe Portal der wie alle Gotteshäuser im Süden während des ganzen Tages offen stehenden Kirche zurück, und nachdem er sich sorgfältig umgesehen, ob auch kein neugieriges Auge sein Thun und Treiben belauschte und sich überzeugt hatte, daß dies nicht der Fall, schob er sich in einen dunklen Winkel, in dem Maurer einiges Baugerüst zu irgend einer Reparatur stehen hatten, lehnte die Krücken an die Wand und schnallte dann einen Riemen los, welcher unter den Kleidern sein linkes Bein in verkrümmtet Stellung zusammengezogen und so der Täuschung Vorschub geleistet hatte. Hierauf nahm er das schwarze Tuch ab, mit dem er das linke Auge und die Hälfte des Gesichts verborgen, wischte einige Farbe von dem letzteren und war mit einem Mal ein ganz anderer Mann. Wäre er in dieser seiner wahren Gestalt dem alten Juwelier begegnet, dieser würde in ihm sofort seinen ehemaligen Gehilfen, den buckligen Abraham erkannt haben, der so undankbar ihn zu morden und zu berauben versucht hatte.

Nachdem der Jude diese Variation mit seinem Aussehen vorgenommen, verbarg er die Krücken sorgfältig in dem Winkel und verließ die Vorhalle, nicht ohne zuvor gegen den Weihkessel verächtlich ausgespieen zu haben, und warf sich in den Menschenzug, hastig und ohne auf einige Tritte und Stöße zu achten, sich vorwärts drängend, indem er die Mißhandlungen dadurch rächte, daß er – wo es ohne die Gefahr des Entdecktwerdens geschehen konnte – die Kleider der Männer und Frauen mit einem spitzen kleinen Messer, das er in der Hand trug, durchlöcherte.

Trotz seines Eifers und seiner Gewandtheit brauchte der Bucklige mehr als eine halbe Stunde, bevor er zu seinem Ziel, dem Kapitelhause von San Nazaro in der Nähe des Gorso di Porto Romana gelangte.

Grade als er vor einem geräumigen, mit hohen Mauern von der Straße abgeschiedenen Hause anlangte, stieg der modenesische General vom Pferde. Die ihm das Roß abnehmenden Diener grüßten vertraulich den buckligen Juden, der hier so gut wie zu Hause zu sein schien!

»Der Gott Isaks und Jakobs segne den Eintritt Eurer Gnaden,« sagte kriechend der Jude. »Monsignore werden sich freuen, Euer Excellenz zu sehen – aber wenn Sie es nicht haben gar so eilig, möchte ich wohl sprechen vorher ein Wort im Geheimen mit Ihnen.«

»Das trifft sich gut, Abraham,« erwiderte der Offizier – »ich habe Dir auch Etwas zu sagen! – Laß uns hier hinein treten in das Zimmer am Flur. – Nun, was bringst Du Neues – Hast Du ermittelt, ob er kürzlich in Mailand gewesen?«

»Wenn Excellenza meinen den schäbigen Hund, den Juwelier – er ist hier noch immer!«

»Wie, also doch! – weißt Du es bestimmt?«

»Ich kann mich verlassen auf meine Augen bei Tag und bei Nacht. Ich habe doch gesehen ihn vor dem Palazzo, wo der große Held liegt mausetodt wie unsereins, wenn er ist gestorben, als Excellenza gesprochen haben mit dem, fremden Cavalier, den er dann hat angeredet später auf dem Corso.«

»Herrn von Neuillat?«

»Ich weiß nicht, wie er heißt – ich weiß nur, daß Excellenza sind gekommen auch mit ihm zu Fuß nach dem Palazzo.«

»Es ist derselbe. Aber ich habe Dich nirgends bemerkt, Abraham, und Du bist doch ziemlich kenntlich.«

Der Bucklige lachte. »Für was hat gegeben Jehovah dem Abraham sein Bischen Witz, wenn er sich präsentiren sollte seinem alten Baas, daß dieser bloß brauchte zu sagen: Fangt ihn! – Excellenza mit ihrem Freunde haben gegeben mir selbst zwanzig Centesimi aus Mitleid.«

»So warst Du der Bettler mit den Krücken? ich erinnere mich jetzt. Aber das ist Nebensache. Wohin sind der Baron und Dein alter Herr gegangen?«

»Sie sind gegangen den Corso hinauf und haben sehr eifrig mit einander gesprochen, aber nur kurze Zeit – der Herr Cavalier hat bestellt den Wechsler, den die Hölle verdamme, auf heute Abend zu sich.«

»Hast Du die Stunde gehört?«

»Ich bin gewesen zwanzig Schritt hinter ihnen, als sie haben sich getrennt. Ich habe gehört, wie der Cavalier gesagt hat noch ein Mal: Also um Neun! daß er kommen soll zu ihm.«

»Gut – ich weiß, wo er logirt. Es muß auf eine oder die andere Weise benutzt werden. Hast Du bemerkt, wo der Wechsler dann hingegangen ist? – wir könnten damit vielleicht seine Wohnung ermitteln.«

»Nun ich erst weiß, daß er ist in Mailand, kann er nirgends anders sein, als bei dem alten Manego, seinem Freund, der so geizig ist wie er. Es wird mir leicht sein, ihn dort zu erspähn. Ich bin ihm nicht gefolgt, weil ich es hatte eilig, hierher zu kommen, um zu berichten, was ich sonst noch gesehen!«

»So sprich.«

»Ich möcht es doch gern sagen dem Monsignore selber, der mir befohlen hat zu haben die Augen und die Ohren offen.«

»Narr – Du weißt, daß es dasselbe ist und der Superior ist sehr beschäftigt. Aber wir können zu ihm gehen.« Er sah aus der Thür. »Heda, Felicio! fragen Sie sogleich bei Monsignore an, ob er einen Augenblick Zeit hat, mich zu sprechen. Ich hätte ihm dringende Mittheilungen zu machen!«

Der Bote, dem er den Auftrag gegeben, war nicht einer der gewöhnlichen Diener, sondern seiner Kleidung und Haltung nach ein junger Novize des Ordens der Gesellschaft Jesu. Er war groß und schlank gewachsen, hatte ein hübsches aber hageres und bleiches Gesicht und mochte etwa achtzehn bis neunzehn Jahr alt sein.

Der angehende Schüler Loyolas verneigte sich, ohne die Augen vom Boden zu erheben, und stieg dann mit gleichmäßigem, ruhigem Schritt die Treppe hinauf, um den Befehl auszuführen.

Der Graf sah ihm nach und schloß dann nachdenkend die Thür. »Neuillat hat mich in der That da auf einen Gedanken gebracht,« murmelte er. »Die Aehnlichkeit ist auffallend und ich will mir doch Gewißheit darüber verschaffen.« Er wandte sich wieder zu dem Juden.

»Höre, Abramo, ich weiß, daß Du schlau und verschwiegen bist und habe versprochen, Dich wegen dieser Eigenschaften in einer Angelegenheit zu dem Herrn zu schicken, den Du heute mit dem Wechsler« – er vermied ausdrücklich den Namen auszusprechen – »gesehen hast.«

»Dem Herrn Baron von Neuillat?«

»Demselben – Du kannst ihn im Laufe des Nachmittags besuchen und Dich auf mich berufen, damit Du vorgelassen wirst. Die Angelegenheit ist die seine und kümmert mich Nichts – ich will also auch weiter nicht damit zu thun haben. – A propos! hast Du vielleicht zufällig den Novizen Felicio näher beobachtet?«

»Den Secretair des hochwürdigen Herrn?«

»Denselben!«

»Gott Abrahams – was soll ich sagen davon? er ist ein stiller verschlossener Jüngling, der wenig spricht – am Allerwenigsten mit Unsereinem. Aber wenn mich mein Auge nicht täuscht, das sonst ist ziemlich gut, ist viel Feuer unter dem schwarzen Eis. Monsignore der Superior behandeln ihn zuweilen sehr hart und streng.«

»Es handelt sich nicht darum, sondern ob Du vielleicht weißt, woher er stammt, wie sein Familienname ist und wie er in den Orden gekommen? Doch wie gesagt – es kümmert mich weniger, nur vergiß nicht, zu Herrn von Neuillat zu gehen. Ah, da ist die Antwort!«

Die Thür öffnete sich fast ohne Geräusch und der junge Novize trat eben so still ein, blieb an der Thür stehen und verneigte sich, die hagern fast durchsichtigen Hände über der Brust gekreuzt, ohne die Augen zu heben.

»Der hochwürdigste Superior lassen bitten, zu ihm zu kommen,« sagte er mit leiser Stimme; dann machte er Platz und öffnete die Thür.

Der General nahm seinen Hut und ging voran. Als er an dem Novizen vorüberschritt, sagte er einige gleichgültige Worte, einen Dank, aber in spanischer Sprache.

Das Auge des jungen Mannes blitzte unwillkürlich empor, ein freudiges Erzittern schien seinen Körper zu beleben und eine helle Röthe erschien auf seinen hagern Wangen; aber schon im nächsten Augenblick senkten seine Augen sich wieder zu Boden und die ganze Gestalt zeigte in ihre frühere gleichgültige Ruhe.

Der General nickte mit dem Kopf. »Er versteht Spanisch!« dachte er ohne jedoch eine Bemerkung weiter zu machen, indem er die Treppe hinaufstieg, gefolgt von dem Juden.

Droben in dem Vorzimmer fanden sie einen älteren Jesuiten, der sie durch ein Klopfen an die Thür meldete und sie dann in das Zimmer seines Vorgesetzten treten ließ.

Außer dem Superior war in dem ziemlich großen Gemach, der Bibliothek des Kapitelhauses, das wie fast alle Häuser von Mailand zur Aufnahme der Fremden bei dem großen Andrang derselben zu den Begräbnißfeierlichkeiten hatte dienen müssen, – noch eine zweite Person zugegen; doch diese – ein Mann in gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung – stand vor dem einen der Regale, den Rücken gegen die Eintretenden gewendet und schien allein mit dem Durchforschen der Bücherschätze beschäftigt.

Monsignore Corpasini – jetzt Superior und Rektor der Jesuiten-Kollegiums zu Bologna – hatte sich seit der Zeit, daß wir ihm zuletzt begegnet sind – an jenem Fest in den Tuilerieen – nur wenig verändert, außer daß seine Gestalt noch hagerer, knochiger, seine Züge noch schärfer, finsterer geworden waren und durch das Bewußtsein der bereits erreichten Gewalt und der Ziele, die sein Fanatismus und Ehrgeiz verfolgte, sich ein Ausdruck von Hochmuth und Härte auf sie gelagert hatte.

Er saß auf einem Lehnsessel vor einem mit Schriften und Brochüren bedeckten Tisch, drehte sich aber sogleich um, als der General eintrat und reichte ihm die Hand.

Der bucklige Abraham blieb in demüthiger Haltung an der Thür stehen.

»Sie kommen sehr gelegen, mein werther Sohn,« sagte er, mit der Hand nach einem nahen Stuhle winkend. »Bitte, nehmen Sie Platz – ich war eben im Begriff zu schicken, ob Sie nicht bereits von der Ceremonie zurückgekehrt.«

»Ich komme direkt aus der Villa Reale, aber ich bin unterwegs aufgehalten, da ich Freunde hier getroffen. Ich habe Ihnen Dinge von Wichtigkeit zu sagen, Monsignore und mir erlaubt, gleich Abraham mitzubringen, weil er dasselbe behauptet.«

Er warf einen bezeichnenden Blick auf die Person an den Bücher-Regalen. Der Superior beugte sich zu ihm und flüsterte ein Wort, worauf der General lächelnd mit Kopf nickte.

»Dann habe ich mich nicht zu geniren. Wissen Sie, wen ich auf dem Wege nach der Villa getroffen?«

»Nun?«

»Einen alten Bekannten aus Spanien, Herrn von Neuillat, den Se. Majestät der König als seinen Vertreter zu dem Begräbniß gesandt hat!«

»Er ist ein Lauer,« sagte der Jesuit streng, »ich wünschte, Seine Majestät hätten ihr Vertrauen auf einen Zuverlässigeren gerichtet.«

»Sie thun dem Baron Unrecht, mein Freund,« meinte der Modenese. »Er ist treu und geschickt und die gute Sache verdankt ihm manche Erfolge. Aber hören Sie, was er mir mitgetheilt hat:«

Er erzählte ihm hierauf was Herr von Neuillat ihm von dem anonymen Briefe gesagt. So eifrig er auch dem Baron gegenüber die Ansicht zurückgewiesen, daß die Nachricht von dem reichen Wechsler herrühren könnte, war ihm doch die Sache von Anfang an sehr eigenthümlich erschienen und die Mittheilung des Buckligen, daß er Beide im Gespräch gesehen und eine Zusammenkunft verabredet worden war, bestärkte seinen Argwohn und machte ihn fast zur Gewißheit.

Der Superior hatte die Erzählung aufmerksam angehört und ohne seine Meinung darüber zu äußern, wandte er sich an Abraham.

»Was hast Du mir mitzutheilen, ungläubiger Jude?«

»Ich habe zu sagen, Monsignore, daß der alte Mortara gehalten hat nach der Unterredung mit dem Herrn Baron noch eine zweite mit verdächtigen Personen.«

»Wer waren sie?«

Der Jude deutete auf den Fremden. »Ich weiß nicht, ob ich darf sagen meine Meinung, da wir nicht sind allein!«

»Sprich ungescheut und faß Dich kurz. Mit wem verkehrte Dein früherer Herr?«

»Ich habe gesehen, wie zwei Fremde ihn haben angesprochen und haben ihn gezogen in einen Winkel und haben gesprochen heimlich und lange mit ihm, ein Mönch mit einer grauen Kutte, wie sie ziehen unter den Christen umher, zu sammeln für die Klöster, und ein Mann, der ausgesehen wie ein Fischer oder Schiffer von Venedig oder Fiume; aber ich will verschwarzen und verwetten meinen Hals, daß die Beiden nicht gewesen sind, was sie haben wollen scheinen.«

»Und wer meinst Du, daß sie waren?«

»Was angeht den Mönch, so hab' ich nicht gesehen, trotz aller Mühe, sein Gesicht, denn er hat es verborgen die ganze Zeit unter der Kapuze von seinem Gewand; aber ich habe den Mann, der gewesen ist gekleidet als Fischer, schon gesehen in einem andern Gewand und er ist gewesen bei dem Baas in Mantua an jenem Abend, als die Diebe ihm haben stehlen wollen die kostbaren Diamanten, die er hat machen sollen zu Geld.«

»Und hast Du einen Verdacht, wer der Mann ist?«

»Ich kann nicht wissen den Namen, gnädiger Herr Prälat,« sagte der Jude kriechend, »aber ich bin gewiß, daß er einer ist von den Unzufriedenen, die gebracht so viel Elend und Blut über das Land. Ich habe gehört genug aus den Reden der Frau, die mit ihm gewesen ist bei dem Baas, dem ich gönne den Dalles und alles Unglück, daß er hat gehabt Verbindung mit den Gefangenen im Fort, von denen einer überlistet die Wachen und geflohen ist damals bei Nacht.«

»Hast Du ihre Unterredung mit Deinem früheren Herrn gehört?«

»Ich habe mir Mühe gegeben, so viel zu erlauschen als gewesen ist möglich – aber ich habe nicht kommen können so nahe an sie, ohne zu erregen Verdacht.« Er verschwieg sorgfältig, daß er sich in der Vorhalle einer christlichen Kirche dabei versteckt hatte, denn er wußte sehr wohl, daß ihm dies eine strenge Strafpredigt des Superiors zuziehen würde. »Das Einzige, was ich habe deutlich gehört, ist, daß sie haben geredet von 50 000 Lire, die der Baas soll schaffen noch diesen Abend,«

»Und ist dies Alles, was Du zu sagen hast?«

»Ich wollte Eure hochwürdigen Gnaden darauf aufmerksam machen, daß mir zu sein scheinen viele verdächtige Gesichter in der Stadt, viele Fremde, die heimlich hereingekommen mit der Menge und sich geben besondere Zeichen. Es geht Etwas vor in der Stadt, aber ich weiß noch nicht was.«

Der Jesuit sah einige Augenblicke vor sich nieder, dann richtete er wieder seinen Blick auf den Buckligen, unter dem dieser sich kriechend bis zur Erde beugte.

»Es ist löblich, daß Du so eifrig bist in unserem Dienst, unglücklicher Mann, der in der Finsterniß geboren ist,« sagte er ernst. »Aber ich hoffe, daß Dir bald der Seegen der heiligen Taufe wird als Belohnung zu Theil werden können, wenn auch jetzt noch, um der höheren Zwecke der Kirche willen, Dein Verbleiben in dem verfluchten Glauben Derer nöthig ist, die unsern Herrn gekreuzigt. Geh' jetzt hinaus und warte, bis wir Dich rufen.«

Der Spion schnitt eine Grimasse, die auf nichts weniger als Vergnügen über diese Aussicht von Belohnung hinauslief, da er wahrscheinlich eine klingende vorgezogen hätte; aber er fürchtete den Geistlichen zu sehr, um sich die geringste Bemerkung zu erlauben und hoffte sich überdies an dem General und der ihm von diesem neu zugewiesenen Kundschaft schadlos zu halten.

Er hatte kaum die Thür auf eine ungeduldige Bewegung des Superiors hinter sich, als dieser den Fremden rief.

»Kommen Sie hierher, Signor Lazare, wir müssen ernsthaft über die Sache berathen. Diese Winke stimmen auffallend mit Ihrer Nachricht überein.«

Der Angeredete trat zu dem Tisch und wechselte mit dem General einen vertraulichen Gruß.

Es war die Person, der wir schon häufig genug im Lauf unserer Darstellung begegnet sind, der gefährliche Galan und Gefährte der Gräfin Törkyöny.

»Der Signor Conde weiß noch nicht, um was es sich handelt,« sagte er, sich auf einen Stuhl lehnend. »Ich habe eben Monsignore eine eigenthümliche Nachricht mitgetheilt, die mir die Gräfin brachte!«

»Ich habe die Frau Gräfin in der Villa Reale bei der Leichenausstellung gesehen,« bemerkte der General. »Ganz recht, sie war dort – ebenso wie ich selbst in der Gesellschaft dieses hochmüthigen Thoren, der sich den Abkömmling der Sforza nennt und gar zu gern einen neuen Herzog von Mailand spielen möchte, in Wahrheit aber so viel von dem Geist seiner angeblichen Ahnen hat, daß der erste beste Stallknecht bei seiner Mutter geschlafen haben muß.«

»Aber die Nachricht der Gräfin? ich habe gehört, daß ein Wortwechsel zwischen Signor Sforza und einem Adjutanten Gyulay's stattgefunden haben soll.«

»Das ist Nebensache – die Kugel des Herrn von Trautmannsdorf würde ihm nur den Strick ersparen. Die Gräfin gab mir beim Einsteigen, als sie mich unter der Menge sah, das geheime Zeichen, daß sie mich dringend zu sprechen wünsche. Ich wartete an dem bestimmten Ort und sie kam eilig, sobald es ihr gelungen war, sich bei der Rückfahrt von ihrer Begleitung los zu machen. Ich weiß nicht, Signor Conde, ob Sie vielleicht unter dem Publikum in der Villa einen langen Engländer in einem hellen Sürtout bemerkt haben?«

»Ich erinnere mich, – ich sah ihn sogar in der Nähe der Gräfin!«

»Der Engländer war eine Verkleidung – es ist ein höchst gefährlicher Rebell aus der ungarischen Revolution, ein Neffe des Hingerichteten Grafen Ludwig Batthyanyi, den wir Alle längst todt glaubten und der auf unerklärliche Weise hier jetzt wieder auftaucht. Ja noch mehr – die Gräfin erzählte mir, daß er auf das Paar, was jener Bursche eben erwähnte, sich als seine Freunde berief.« »Das ist bedenklich – was ist da zu thun? Hat man der Polizei oder dem Gouvernement bereits einen Wink gegeben?«

»Nicht doch – die vorzeitige Einmischung der Polizei würde Alles verderben,« sagte der Superior. »Einer der Bösewichter mehr oder weniger, die gegen Kirche und Thron streiten, thut hierbei Nichts. Sie wissen, daß der Doktor und die Gräfin hierher gesandt worden, weil sie in Mailand unbekannt sind, um den geheimen Absichten und Verbindungen der Turiner Regierung auf die Spur zu kommen, was hier leichter möglich ist, als in Turin selbst. Die Gräfin mit ihrer großen Gewandtheit ist auf dem besten Wege dazu und ich hoffe, dem Signor Doktore hier wird es auch gelingen. Aber wir dürfen unser Werk nicht durch ein zu rasches Eingreifen stören.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Monsignore,« stimmte der Doktor bei.

»Aus den zwei verschiedenen Mittheilungen, die wir eben gehört,« fuhr der Jesuit fort, »geht hervor, daß die Brut der Verschwörer die Gelegenheit der Versammlung so vieler Fremden hier benutzt hat, um sich hier ein Rendezvous zu geben, wenn man nicht etwa noch weiter gehende gefährliche Pläne verfolgt. So wird es vielleicht möglich sein, das ganze Nest mit einem Schlage zu vernichten. Wie weit, Signor Doktore, sind Sie in Ihrer Bekanntschaft mit den Verschwörern gediehen?«

»Graf Sforza,« berichtete der Doktor – »scheint besonderes Vertrauen zu mir gefaßt zu haben, aber die Andern sind vorsichtiger. Ich weiß, daß geheime Zusammenkünfte stattfinden, aber ich habe noch nicht den Zutritt dazu erlangen können.«

»Er ist durch seinen Namen hier ihr Führer,« bemerkte der General, »wenn ihm auch sonst die Kapazität dazu fehlt; denn er ist hochmüthig, eitel und ein Sklave seiner Leidenschaften.«

»Darauf baue ich meinen Plan,« sagte der Doktor. »Die Gräfin hat mir eine Mittheilung versprochen, die mir sein volles Vertrauen erwerben soll. Ist er erst in meiner Hand, so wird es nicht schwer sein, sich im Besitz aller Geheimnisse zu setzen.«

»Wir müssen ihrer Herr sein, ehe wir sie der Regierung vorlegen und sie zu dem einen großen Schlage drängen können,« meinte der Superior. »Die Partei des Liberalismus hat jetzt in Wien einen mächtigen Einfluß, den selbst das Konkordat nicht paralysiren kann, und nur wenn wir dem Kaiser die unzweifelhaften Beweise einer großen Gefahr vorlegen können, wird es uns gelingen, ihn wieder aus den Schlingen der Demokratie loszureißen. Aber wie gesagt, wir müssen mit großer Vorsicht dabei verfahren.«

»Das ist Alles richtig, Monsignore,« sagte der General, »aber was denken Sie in Bezug auf jenen anonymen Brief des Wechslers und was sollen wir mit ihm thun?«

»Die Sache ist so wichtig, daß wir uns noch heute unter allen Umständen nähere Kenntniß verschaffen müssen. Diese von Gott verfluchte Nation hat eine Macht durch ihr Geld erreicht, die uns gefährlich ist. Ihre Verbindungen sind groß und es ist möglich, daß dieser Mann geheime Nachrichten aus Paris hat, die uns noch unbekannt sind. Der Brief deutet offenbar auf einen plötzlichen Tod des Kaiser Louis Napoleon hin!«

»Das wäre ein Ereigniß von unberechenbaren Folgen,« sagte der Doktor.

»Gewiß, mein Sohn. Eben darum müssen wir Näheres wissen. Von dem Leben und Sterben dieses Mannes hängt in diesem Augenblick das Schicksal des heiligen Stuhls ab. Ich muß den Juden daher selbst sprechen. Er ist längst verdächtig, denn alle die Mittheilungen, die er uns bisher gezwungen gemacht, sind nur unbedeutend. Wir wissen durch die Berichte der Provinzialen, daß er noch immer sehr bedeutende Summen in Neapel, in Rom, in Venedig, Mailand und Genua bei seinen Geschäftsfreunden deponirt hält als ein todtes Kapital. Er ist ein zu großer Wucherer und kluger Kaufmann, als daß dies sein eigenes Geld sein sollte.«

»Wir wissen von Abramo,« bemerkte der General, »das er für die Revolutions-Partei im Auftrag eines vornehmen Engländers Diamanten im Betrag von einer Million römischer Thaler verkauft hat.«

»Ja – aber warum ist das Geld dann nicht in der Bank von England? Jedenfalls ist die Sache verdächtig und dieser Jude scheint ein doppeltes Spiel gegen uns zu spielen.«

»Sie wissen, Monsignore, daß wir das Mittel in Händen haben, ihn zu unserm Willen zu zwingen.«

»Und es soll angewandt werden, noch ehe der nächste Tag vergangen ist. Es ist ohnehin eine schwere Sünde, daß die Seele eines Christen so lange der Gefahr ausgesetzt bleibt und nur Ihr ausdrückliches Verlangen, General, hat mich zum Schweigen bewegen können.«

»Erinnern Sie sich, Monsignore,« sagte der Graf ziemlich stolz, »daß das Geheimniß das meine war und ich darüber zu disponiren habe. Aber ich stimme Ihnen vollkommen bei, daß, wenn dieser Mann uns betrogen, jede Zögerung aufhören muß. Ich hoffe, der Knabe steht unter strenger Aufsicht, so daß er uns nicht entgehen kann?«

»Verlassen Sie sich darauf – das Auge des Ordens wacht über ihn. Es bedarf nur eines Wortes von mir und die geistliche Behörde schreitet sofort ein.«

»Was soll nun geschehen?«

»Weiß der Jude Abraham die Wohnung seines früheren Herrn?«

»Nein – aber er hofft sie bald zu ermitteln. Auch wenn das nicht der Fall, wissen wir, wann und wo er diesen Abend zu finden sein wird.«

»Das genügt. Glauben Sie, daß dem Buckligen ganz zu trauen ist?«

»Sie wissen, Monsignore, was es mit ihm für eine Bewandtniß hat. Daß er sich uns und der Polizei als Spion angeboten und als solcher gute Dienste leistet, hat seine Ursache offenbar in dem Antheil, den er an jenem Raubversuch gegen den Wechsler in Mantua genommen haben mag, obschon der Juwelier vorgezogen hat, keine Klage gegen ihn zu erheben. Wir haben ihn also stets in der Hand. Ueberdies haßt er den Juden auf's Heftigste.« »Wie Sie, Signor Generale!«

Eine dunkle Röthe überflog die Stirn des Modenesen und er warf dem Priester einen finstern Blick zu. »Ich sollte meinen, Monsignore,« sagte er scharf, »es hatte Jeder von uns seine kleinen Antipathieen aus der Vergangenheit. Der Eine macht deshalb einen Judenknaben aus Bologna, der Andere einen maurischen Bastard aus Spanien zum Jesuiten!«

Der Superior sah ihn kalt und beherrschend an. »Sie täuschen sich, Signor Conde, in dem Vergleich. Ich kenne nur die Interessen der heiligen Kirche und die Rettung einer armen Seele. Aber es ist unnöthig, darüber zu streiten. Sie sagten, daß um 9 Uhr der Jude sich zu Herrn von Neuillat begeben wird?«

»Um neun Uhr!«

»Ueberlassen wir bis dahin sein Thun der Beaufsichtigung Abramos, wenn er seine Spur zu finden versteht. Wollen Sie es übernehmen, ihn hierher zu führen?«

»Das würde seinen Verdacht von vornherein erregen. Aber ich kann ihm schreiben, daß ich ihn auf der Stelle und ohne jeden Verzug sprechen müsse auf Grund unserer Bedingungen,«

»So thun Sie es. Ich werde für einen Mann sorgen, der auf ihn in der Nähe des Hotels wartet und ihn herführt. Abraham mag ihm die Person des Juden bezeichnen. Bitte, Signor Dottore, lassen Sie den Hebräer eintreten.«

Der Doktor hatte sich während des Gesprächs der Beiden gleichgültig abgewandt, obschon ihm kein Laut und keine Miene verloren ging. Er eilte auf die Worte des Jesuiten dienstfertig zur Thür und ließ den Spion wieder eintreten.

Der Bucklige empfing kurz seine Instruktionen, die darin bestanden, die Gänge seines alten Herrn, wenn er ihn wieder aufzufinden vermöchte, während der noch übrigen Stunden des Tages zu überwachen, am Abend vor 9 Uhr aber sich vor dem Albergo grande einzufinden und dort einem ihm bezeichneten Manne den Juden zu zeigen, ehe dieser das Hôtel betrat.

Der schuftige Verräther seines Herrn war diesmal zufriedener mit dem Lohn, den er empfing, als vorhin, denn der General reichte ihm ein Zwanzig-Lire-Stück für die erhaltenen Nachrichten.

Als der Bucklige sich wieder entfernt hatte, fand eine Berathung zwischen den drei Männern statt, in welcher Weise die erhaltenen Nachrichten zu benutzen wären. Es ging daraus hervor, daß der Doktor Lazare und die Gräfin, die seit längerer Zeit zu geheimen politischen Missionen oder vielmehr Spionagen benutzt worden waren, den Auftrag erhalten hatten, sich nach Mailand zu begeben, um dort die Revolutionspartei zu überwachen und hauptsächlich in ihre Verbindungen mit der sardinischen Regierung einzudringen.

Die intriguante Politik des Grafen Cavour hatte bereits seit einiger Zeit nicht nur die Besorgniß der österreichischen Regierung, sondern auch der kleinen italienischen Höfe und des heiligen Stuhls erregt. Wir haben bereits zu Anfang dieses Kapitels die politischen Verhältnisse in der Unterredung des Grafen Mortara mit dem Agenten der Bourbonen angedeutet und daß Sardinien ganz offen mit der Beschützung der Revolutionäre hervorzutreten begann, so wie daß man ihm geheime Pläne gegen die anderen Regierungen zuschrieb. Die Revolutionspartei war jedoch durch die vielen Erfahrungen und die Schlauheit ihrer Führer so vorsichtig geworden und so gut bedient, daß man mit den gewöhnlichen Mitteln der Ueberwachung nicht ausreichte.

Die Gräfin und ihr Zuhalter waren in Italien persönlich unbekannt; ihre Klugheit hatte überdies so viel als möglich vermieden, sich öffentlich als Verräther an ihrer früheren Partei zu compromittiren, von Lazare's Thätigkeit während des ungarischen Feldzugs wußten nur Wenige, und die Gräfin galt in den meisten Kreisen von Wien und Berlin selbst als eine Art Opfer ihrer früheren polischen Extravaganzen und in einer Art von stillem Exil. So war die Wahl der beiden Personen eine ganz passende, und von ihnen überdies die Vorsicht gebraucht, getrennt auf dem Schauplatz ihrer neuen Thätigkeit zu erscheinen und Jede für sich in ihren Kreisen zu operiren.

Der Gräfin, die, wie wir erwähnt, für ihr Auftreten in der Lombardei wieder ihren Familiennamen angenommen, ohne deshalb ihre Person zu verleugnen, war es durch ihre früheren Verbindungen mit der ungarischen Propaganda und selbst mehreren Führern der italienischen National-Partei ein Leichtes gewesen, sich in die Kreise der »Patrioten« einzuschmuggeln und an die Fortdauer ihrer früheren politischen Gesinnungen glauben zu machen. So war es ihr in der Zeit von kaum zehn Tagen vollkommen gelungen, die Bekanntschaft der Oberstin Manara, in deren Hause sie durch ein geschicktes Manövre Wohnung gefunden, zu machen und das Vertrauen der Gräfin Montalban Cornello zu gewinnen, einer ebenso intriguanten als fanatischen Frau, welche die Seele der geheimen Verbindungen, und eine der eifrigsten Anhängerin Mazzinis war. Die Dame war bereits zwei Mal in politische Untersuchungen verwickelt gewesen und durch die Contributionen, mit denen man zur Strafe ihr Vermögen belegt hatte, eine noch heftigere Feindin der österreichischen Partei.

Durch die Empfehlungen, welche der Kommissionsrath dem Paar gegeben, war dasselbe bei seiner Ankunft in Italien bald mit den Leitern des Ordens in Verbindung getreten, der in den italienischen Herzogthümern und dem Kirchenstaat bereits wieder den größten Einfluß übte und dessen Interessen gegen die drohenden politischen Gefahren mit denen der Regierung zu sehr übereinstimmten, als daß er nicht gleichfalls alle seine Mittel hätte aufbieten sollen, dem drohenden Gewitter vorzubeugen.

Während die Gräfin ihre Rolle in den vornehmsten Familienkreisen der Italianissimi spielte, war Doktor Lazare als einer der tausend Reisenden aufgetreten, die alljährlich aus allen Ländern Europas und selbst von jenseits des Weltmeeres nach Italien strömen als der Wiege der Cultur und Kunst und der Herrlichkeit der Natur. Sein ausgebreitetes Wissen und scharfer kritischer Geist hatten ihn bald in den Kreisen der Gelehrten heimisch gemacht, während auf der andern Seite seine Gewandtheit, seine raffinirte Genußsucht und seine Grundsatzlosigkeit ihn zu einem beliebten Gesellschafter jener thörichten Jugend machte, deren hitziges Blut und gährende Leidenschaften stets das Hauptcontingent der nationalen Revolutionen stellt. Die Nichtachtung, mit der er das Geld behandelte, sein Glück oder seine Geschicklichkeit im Spiel und der vornehme polnische Name, den er sich beigelegt, förderten seine Pläne unter den jungen Nobilis von Mailand und Graf Sforza, der ruinirte Verschwender und hochmüthige Verschwörer gehörte bald zu seinen intimsten Freunden.

Aber auch bei Denen, mit welchen er im Geheimen zu thun hatte, verfehlte der scharfe Verstand und der bedeutende Geist, den er besah, nicht seinen Eindruck. In dieser herzlosen, kalt berechnenden, jedes bessere Gefühl als eine Schwäche seinen Zwecken opfernden Natur erkannte der fanatische, finstere Superior des Jesuitercollegiums von Bologna, der sich seit einiger Zeit in Angelegenheiten seines Ordens in Mailand aufhielt und an den der berliner Agent des Ordens den Gefährten der Gräfin besonders adressirt hatte, einen verwandten Geist. Der Fanatismus reichte hier dem Cynismus die Hand und jene furchtbare Lehre, daß der Zweck die Mittel heiligt, fand ihren Ausdruck in diesen beiden Männern und näherte sie einander, wie sehr auch die Zwecke selbst, denen Beide – der Eine herzlos, mit boshafter Kälte, der Andere in zelotischem Eifer – zu opfern bereit waren, auseinandergehen mochten.

Selbst die theologischen und politischen Disputationen, die der Superior häufig herbeiführte, hatten ihren besonderen Reiz für ihn und sein eifriges Bemühen war darauf gerichtet, diesen scharfen teuflischen Geist für die Zwecke des Ordens zu werben, während Lazare die Gelegenheit benutzte, sich mit dessen Institutionen vertraut zu machen.

Er war zu schlau und kaltblütig, um den Jesuiten oder später den Grafen merken zu lassen, daß er entschlossen war, die Aufgabe, die ihm und der Gräfin geworden, möglichst zum eigenen Voltheil auszubeuten und nicht das Werkzeug, sondern der Leiter zu werden.

Diesen Plänen drohte in dem plötzlichen Erscheinen seines Feindes und Opfers des Grafen Batthyanyi, den auch er längst in den Wildnissen des Kaukasus begraben wähnte, eine große Gefahr. Der Graf war offenbar unbekannt mit der späteren Rolle, welche die Gräfin gespielt und hatte sich – wie wenig er auch sonst mit ihr und ihrer Emancipation sympathisirt – bei der so unerwarteten Begegnung in Mailand an sie gewendet, da er wenigstens ihrer politischen Sympathien sicher zu sein glaubte. Er hatte sicher auch keine Ahnung davon, daß die Verbindung zwischen ihr und dem ehemaligen Legionair noch fortdauerte. Jede Begegnung desselben mit dem Grafen, der nach den kurzen Andeutungen, welche er der Gräfin gemacht, mit den Kreisen der Patrioten bereits in Verbindung stand, drohte daher doppelt Gefahr und mußte zur Entlarvung des Doktors führen.

Es wäre zwar ein Leichtes gewesen, die Polizei sofort auf den Flüchtling zu Hetzen – aber eines Theils hätte man dadurch den Verdacht der Patrioten erweckt – andererseits mochte Lazare dies Mittel nicht ergreifen, weil dann an den Tag gekommen wäre, daß das Urtheil des Kriegsgerichts an dem jungen Grafen durch sein Zuthun nicht vollstreckt worden war und die unterdeß für die meisten Mitglieder der ungarischen Revolution erlassene Amnestie sicher auch auf den Unglücklichen ausgedehnt worden wäre.

Es galt also zu seiner Vernichtung ihn zuvor in eine neue Schuld zu verwickeln.

Uebrigens hütete sich Lazare wohl, dem Superior und dem Modenesen sein Verhältniß zu dem Ungar näher mitzutheilen und begnügte sich mit der Andeutung, daß er diesem von Person bekannt sei und daher die größte Vorsicht üben müsse. Es wurde beschlossen, daß er die Gräfin nochmals diesen Abend zu sprechen suchen solle, um von ihr zu erfahren, ob der Ungar bei ihr gewesen und wo man ihn zu suchen habe.

Unter diesen Berathungen war die Zeit vorgerückt und als die Drei sich trennten, und Doktor Lazare durch einen Seiten-Ausgang das Kapitelhaus verließ, zeigten die Uhren die vierte Nachmittagsstunde.



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