John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 1
John Retcliffe

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Circus Dejan

Die stolze Schönheit der Coralie Ducos, die dunklen Augen Palmyre Anato's, selbst die graciöse Koquetterie der schönen Paul Seugnerie – alle die berühmten Koryphäen der Manège existirten seit vierzehn Tagen für den Sport und die fashionable Welt von Paris nicht mehr.

Die Fashing-Saison hatte einen neuen Stern gebracht, die Spanierin Rositta, deren Ruf von Petersburg und London her schon seit einem Jahre das auf alle Kunstgröße so eigensüchtige Publikum von Paris in die spannendste Neugier versetzt hatte, ohne daß es den gewandten Unterhändlern des Mr. Dejean gelungen war, sie eher zu gewinnen.

Diesmal hatte sich der anmaßende Satz nicht bestätigt, daß Paris es ist, welches den Ruf eines Künstlers macht!

Wie immer knüpfte die geschäftige Fama, die sich nicht mit dem Gewöhnlichen begnügt, an die Kunst und die Person der Sennora Rositta die fabelhaftesten Gerüchte.

Bald sollte es die Tochter eines spanischen Granden sein, der als Anhänger des Don Carlos aus seiner Heimath vertrieben und seiner Güter beraubt worden war – bald gar eine kleine Sünde der liebebedürftigen früheren Königin von Spanien, deren nachträglicher Anerkennung man sich genirte; – bald ein achtes Zigeunerkind aus der Sierra Morena des sonnigen Andalusien mit den seltsamsten Schicksalen! Noch Andere endlich behaupteten sogar, sie sei eine Tscherkessische Häuptlingstochter vom Kuban und die Geliebte eines russischen Großfürsten, der sie zur Gefangenen gemacht und nach Petersburg geführt habe.

Gewiß war allein, daß sie das Spanische und Französische vortrefflich sprach und daß sie die Vornehmheit und Abgeschlossenheit einer Fürstentochter und die wilden Launen eines Zigeunerkindes hatte.

Man wußte von dem Fürsten Trubetzkoi, der es bei seiner Rückkehr von Kopenhagen erzählte, daß die Sennora auf einem kaiserlichen Dampfschiff, das die Prinzen von Leuchtenberg von Kiel abgeholt, die ihr von einem der Großfürsten besonders offerirte Ueberfahrt gemacht hatte und ihrem ursprünglichen Plane entgegen, zunächst auf drei Monate nach London gegangen war. Daß seine eigene Intrigue in Kiel dazu beigetragen, ihr Auftreten in Paris zu verschieben, ließ er freilich nicht verlauten, aber in der That hatte er sich die größte Mühe gegeben, ihr Debüt in Paris unter seiner Protektion stattfinden zu lassen und sich vor der fashionablen Welt als ihr bevorzugter Cavalier zu geriren.

Mit diesem Recht hatte es freilich herzlich wenig auf sich. Der Fürst hatte das Recht, die Garderobe der Dame zu betreten – wenn er eben nicht von ihrem Kammermädchen abgewiesen wurde, oder ihr bei der Rückkehr aus der Manège eines jener prächtigen Blumenbouquets aus den Gewölben der Passage de l'Opéra zu überreichen, hin und wieder auch sie in seinem Phaeton in den Champs Elysées spazieren zu fahren; aber darauf beschränkten sich alle Begünstigungen und selbst die geschäftige und wenig scrupulöse Zunge ihrer Kolleginnen konnten nicht den mindesten Flecken auf ihren Ruf bringen, trotz der zahlreichen Anbeter, die sie umschwärmten und dem Fürsten Trubetzkoi den Rang streitig machten.

Der stete Begleiter der Sennora Rositta war ein Landsmann von ihr, ein ehemaliger Militairarzt der französischen Armee, der während des Krimfeldzugs in russische Gefangenschaft gerathen war. Man wollte wissen, daß er in Moskau oder schon früher ihre Bekanntschaft gemacht habe, aber der Arzt lehnte jede Mittheilung darüber ab.

Der Doktor war ein hagerer ernster Mann, von mittlerer Statur und auffallend dunkler Farbe, die den Orientalen verkündete. Seine Adlernase war scharf gebogen, aber fein und edel geformt und ein langer grauer Bart umgab den unteren Theil seines Gesichts, während seiner frühern Uniform gemäß ein Feß die hohe kahle Stirn bedeckte. Trotz des Auffallenden seiner Erscheinung lag doch nichts von Prätension oder jener Charlatanerie darin, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Der Doktor war überdies kein unbekannter Mann, sondern selbst über das Corps, bei dem er gestanden, den Garde-Zuaven, hinaus von Offizieren und Soldaten wegen seiner aufopfernden Menschenfreundlichkeit und seiner großen Kenntnisse hochgeachtet und mehr unter dem Namen der »Mohrendoktor« als unter seinem wirklichen bekannt. Bei der Auswechselung der Gefangenen nach dem pariser Frieden vom 30. März 1856 war er nicht nach Frankreich zurückgekehrt und hatte seinen Abschied genommen.

Dieser Mann war, wie erwähnt, nicht blos der stete Begleiter der Kunstreiterin und der Verwalter ihrer Geschäfte, sondern ersichtlich ihr väterlicher Freund, an dem sie mit großer Verehrung hing. Sein ernstes, abgeschlossenes Wesen, eine gewisse Schwermuth, die seine Züge verdüsterte, hielt die zudringlichen Elegants von Paris stets in genügender Entfernung und sicherte ihm selbst jede Rücksicht und Achtung.

Paris wimmelte zu dieser Zeit von Fremden, die hier die Saison verleben wollten. Aber nicht allein das Vergnügen, auch die Politik hatte ihren reichlichen Theil daran.

Die dreijährige Dauer des Krimkrieges hatte der vornehmen Welt Rußlands, die während der Saison gewöhnlich die pariser Salons füllt, dieses Eldorado des Genusses verschlossen gehalten. Der leichtfertige Hang des jüngeren Adels, der ohne Paris nicht leben zu können glaubt, hatte nicht wenig dazu beigetragen, verbunden mit dem Ruin des Handelsstandes, dessen Ausfuhr der Rohprodukte hauptsächlich nach England ging, die Friedenspartei in Petersburg zu stärken und ihr das Uebergewicht zu verschaffen.

Deshalb eilte Alles, was nur die russischen Grenzen verlassen konnte, sobald der Friede geschlossen war, nach Paris, um in den berauschenden Genüssen der Metropole das Versäumte nachzuholen. Diese förmliche Auswanderung wurde sogar auffallend von der Regierung begünstigt. Eine große und wichtige Aenderung in den politischen Stimmungen und Stellungen begann sich geltend zu machen.

Zwischen Rußland und Oesterreich war seit dem Krimkrieg eine sichtliche Spannung eingetreten. Nicht nur das russische Kabinet, sondern auch das russische Volk klagte laut über die Undankbarkeit Oesterreichs, das – nachdem es 1849 durch Rußlands Beistand gerettet worden, – die Russen gegen die Engländer und Franzosen im Stich gelassen habe.

Das Wort des verstorbenen Fürsten Schwarzenberg war zur Wahrheit geworden – und es kostete Oesterreich eine seiner schönsten Provinzen, um deren Besitz deutsches Blut seit Jahrhunderten geflossen war.

In Rußland hatte überdies der Krieg eine weit geringere Animosität gegen Frankreich hervorgerufen, als gegen England. Jedermann fühlte, daß England der Feind war, den man im Osten auf dem Wege nach Indien – mochte dieser Weg über Constantinopel, Cabul oder den Amur gehen, – treffen mußte, und daß Frankreich bei dem Krieg, dessen Ruhm allein es davongetragen, ganz andere persönliche, keineswegs antirussische Zwecke verfolgt hatte.

So war denn der Umschwung im petersburger Kabinet wie im Volk zu Gunsten Frankreichs sehr erklärlich und wuchs mit jedem Tage.

Wenn durch die russische Politik sich auch unverändert als Grundelement der Gedanke jenes Testaments Peters des Großen hinzieht, das vergeblich so vielfach geleugnet worden ist, so ist doch die sogenannte Tagespolitik – die Politik des Ministeriums neben der des Reichs – stets eine der Nützlichkeit und der Interessen, die im Grunde so wenig Dankbarkeit und Gefühlsgründe kennt, wie die österreichische oder englische.

Diese Politik empfahl jetzt, Oesterreich zu schwächen und ihm Verlegenheiten zu bereiten, wie sie 1848 und 49 empfohlen hatte, ihm gegen den überwältigenden Sturm der Revolution beizustehen und es zu kräftigen.

Durch sein Verfahren in Warschau, Dresden und Olmütz und das stete Mißtrauen auf den durch materielle Institutionen wachsenden Einfluß Preußens in Deutschland hatte sich Oesterreich von diesem seinem natürlichsten Verbündeten getrennt und konnte offenbar nur im äußersten Falle auf seinen Beistand rechnen.

Der Krimkrieg hatte das große Ziel der napoleonischen Politik, die Sprengung der aus dem Blut der Schlachtfelder von der Beresina bis Paris erwachsenen heiligen Alliance, vollständig erreicht, ein Ziel, an dem vergeblich seit vierundzwanzig Jahren die Revolution ihre Zähne geübt.

Das wußten nicht nur Louis Napoleon, Graf Nesselrode und Lord Palmerston – das wußte auch ebenso gut die Revolution selbst.

Darum begann sie auf's Neue nach dem Krimkrieg mit frischem Muth und den wiedergewachsenen Köpfen der Schlange das Werk, ihre Interessen zwischen die Politik der Mächte einzuschieben gleich einem Keil, der anfangs treibt, zuletzt Alles sprengt.

Gleich dem Antäus wird sie, zu Boden – das heißt in das Volk zurück – geschleudert, stets dort wieder neue Kräfte saugen und zum Kampf zurückkehren. Nur indem sie unter die Erde begraben oder in den Lüften, das heißt in der Bildung der Völker erstickt wird, ist sie zu besiegen.

Die Verständigung Rußlands mit Frankreich war schon bei den Verhandlungen des Friedens in Paris angebahnt worden und allein dem französischen Einfluß hatte es Rußland zu danken gehabt, daß es mit so geringen Opfern den Krieg beendete, obschon es in der Weigerung, den Bestand des türkischen Reichs in Europa zu garantiren, ganz offen das Grundprinzip seiner Politik bekundete und zu dem Traktat vom 30. März 1856 noch den Separat-Vertrag vom 15. April zwischen England, Frankreich und Oesterreich hervorrief.

Im September desselben Jahres ging die Kaiserin-Mutter von Rußland nach Nizza und wurde dort nicht blos von dem König von Sardinien, sondern auch von dem Kaiser mit Aufmerksamkeiten überhäuft, nachdem Graf Stackelberg, der russische Gesandte in Turin, sich offen dem sardinischen Premier Cavour angeschlossen und einen antiösterreichischen Kongreß italienischer Fürsten betrieben hatte.

Im folgenden Jahre brachte die Petersburg-Odessaer Dampfschifffahrts-Gesellschaft den Hafen von Villafranca käuflich an sich, was unter andern politischen Verhältnissen unmöglich gewesen wäre. Man gab dem Kauf anfangs den Schein, als handele es sich nur um Erwerbung eines Kohlenlagers, aber bald liefen russische Kriegsschiffe ein und es ward zur Station für die russische Flotte eingerichtet.

Im April 1857 besuchte der Großfürst Konstantin den Kaiser in Paris und wurde mit den größten Ehren als vertrauter Gast aufgenommen.

Zur Begrüßung des Kaisers Alexander wurde der Prinz Napoleon nach Warschau gesandt, und einige Monate später, am 27. September 1857, fand jene Zusammenkunft des russischen Kaisers mit Louis Napoleon an dem ihnen Beiden verwandten Hofe zu Stuttgart statt, von der die Unterredung des Fürsten Trubetzkoi mit seinem petersburger Kollegen in einer der letzten Scenen unseres Buches »Zehn Jahre« handelt.

Wie zurückhaltend auch öffentlich das Begegnen der beiden Kaiser sein mochte – die privaten Verhandlungen waren sehr ausführliche und intime, und die spätere flüchtige Zusammenkunft des nordischen Herrschers auf der Rückreise mit dem Kaiser Franz Joseph in Weimar war eine russische Maske und ohne Bedeutung.

Jene Rückreise des Kaisers Alexander war es auch, auf welcher die traurige Krankheit eines der begabtesten und hochherzigsten Monarchen, welche die deutsche Geschichte, ja überhaupt die Geschichte der Völker gekannt hat, – die unheilbare Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen am 24. Oktober zum Ausbruch kam.

Wenn je ein Monarch – nicht die Bewunderung, – aber die Liebe seines Volkes verdient hat, – wenn je einer Undank und Schmerzen geerntet für ein redliches Herz und den besten Willen, – so war es Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

Der Erbe einer großen Vergangenheit, ein warmes, offenes Herz, auf einem edlen und mächtigen Thron der geistreichste Fürst seiner Zeit, war er allein ein zu rechtschaffener Mann und ein zu aufrichtiger Christ, um ein großer Monarch zu sein.

Wir glauben, daß das Herz des Königs nie sich ganz von dem Schlage hat erholen können, den es im März 1848 empfangen.

Wäre Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1848 und 49 mehr Monarch als rechtschaffener Mann gewesen, – das Königreich Norddeutschland streckte seinen Scepter jetzt von den Ufern des Niederrheins bis Memel, von der Eider bis zum Main.

In der ersten Abtheilung unseres Werkes ist bereits zur Genüge auf das Anerbieten hingedeutet worden, das ihm zwei Mal zur Theilung Deutschlands gemacht wurde.

Er war ein echter deutscher Mann – nicht ein Deutscher, wie die frankfurter mainzer Advokaten unter dem schwarz-roth-goldenen Aushängeschild ihn verstehen, sondern ein deutscher Mann voll Sitte und Rechtsgefühl. Tiefe und schwere Wunden hat die Bewegung der Zeit ihm geschlagen – noch tiefere und schwerere der Undank.

Wir schreiben keine Geschichte des hochherzigen Preußenkönigs, und sein Bild ist nur eines der vielen, die in dem Gange unserer Darstellung vorübergerollt sind. Der König und der Bürger – Friedrich Wilhelm und der Bonner Professor – jener deutsche Riese gegen die liberalen Hanswürste und Alleweltsregierer, die nach ihm kamen auf den Kathedern der alten Bononia – sind Beide heimgegangen, einer kurz nach dem andern, ohne sich nochmals die Hand zu reichen, wie damals im Schloßgarten zu Charlottenburg am Tage der frankfurter Kaiser-Deputation.

Verstanden haben sie sich damals schon – jetzt sind sie auch vereint.

Auch in den letzten Jahren hatte den König manche Wunde getroffen, tiefer als die Kugel des wahnwitzigen Sefeloge. Der Tod seines kaiserlichen Freundes und Bruders auf dem russischen Throne, der bübische Verrath, der durch die Fahrlässigkeit seiner Vertrauten mit den geheimen Depeschen aus Petersburg getrieben worden war und in der preußischen Hauptstadt den Fall Sebastopols vorbereitete; – die patriotische aber ungeschickte Erhebung der neuenburger Royalisten und der schmähliche Ausgang dieser Sache – dieser unvertilgbare Flecken des Ministeriums Manteuffel – hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht und den Ausbruch der Krankheit befördert, zu welcher die reizbare und sensible Organisation seines Geistes sich neigte.

Die vertrauteste Umgebung des Königs weiß, daß namentlich die neuenburger Angelegenheit einen weit tieferen Eindruck auf ihn gemacht hat, als er bei den Verhandlungen darüber je zeigte und daß er selbst nur mit großem Widerstreben jenen für sein erhabenes Herz zeugenden, aber für die preußische Ehre schmachvollen Tractat vom 26. Mai 1857 unterzeichnete, durch welchen Preußen ganz zwecklos seinem königlichen Rechte auf ein altes Erbland entsagte, und für welchen der Erbe des Thrones dem Premier die Trümmer des zerbrochenen Stuhls vor die Füße warf.

Preußen war faktisch der einzige Staat gewesen, der durch die Revolutionen von 1848 ein – wenn auch noch so kleines – Territorium eingebüßt hatte. Zur Wiederherstellung seines alten Rechts, das ausdrücklich durch die Londoner Traktate der europäischen Großmächte von 1852 und noch neuerdings bei den pariser Friedens-Verhandlungen anerkannt und ausgesprochen worden war, und zum Schutz seiner treuen Unterthanen wollte der König nach der Gefangennahme und Einkerkerung der Royalisten im Herbst 1856 die Waffen ergreifen und den Krieg an die Schweiz erklären.

Damals war es die Undeutschheit Württembergs, der niedere Undank Badens und die Politik Österreichs, welche, unterstützt durch die englischen Intriguen, dies verhinderten.

Namentlich war es Oesterreich, welches dem preußischen Einmarsche sich widersetzte; Rußland und Frankreich hielten sich neutral.

Was man immer auch gegen die österreichische Politik im Krimkriege sagen, wie sehr man ihr auch den Vorwurf der Undankbarkeit gegen Rußland machen mag, – Jedermann muß zugestehen, daß die österreichischen Staatsmänner für die Interessen ihres Landes handelten. Die russische Herrschaft an der untern Donau war der Ruin des österreichischen Handels und Einflusses im Orient. Die Klugheit und Notwendigkeit gingen über eine moralische Verpflichtung.

Aber die gleiche Nothwendigkeit lag nicht in Bezug, auf den preußischen Krieg gegen die Schweiz vor – und seine Politik von 1856 hat Oesterreich die Lombardei gekostet, indem es sich seinem natürlichsten Alliirten entfremdete, den es so bald brauchen sollte.

Denn um den Horizont des mächtigen und so glücklich und geschickt geleiteten Kaiserstaates zogen mit jedem Tage ernstere Wolken empor.

Seit Jahrhunderten hatten Frankreich und Oesterreich ihre Rivalität an den Ufern des Ticino ausgefochten. Die Herrschaft Italiens lag in der Lombardei. Louis Napoleon brauchte für die Stimmung Frankreichs, das für seine tausend Millionen und seine 150 000 geopferte Menschenleben von der Dobrudscha bis zum Malakoff nur kriegerischen Ruhm, keine materiellen Vortheile gewonnen hatte, ein neues Ableitungsmittel.

Außerdem war Sebastopol bloß der erste Schritt zur Erfüllung der Erbschaft des Todten von Sanct Helena.

Ein Krieg am Rhein, so populair auch die Rheingrenze sein mochte, wäre ein zu gefährliches Spiel für die junge Macht des Kaiserthums an der Wiege des einjährigen kaiserlichen Kindes gewesen: Preußen, Oesterreich, England – und wenigstens die Neutralität Rußlands hätten ihm dort gegenüber gestanden.

In Italien jedoch war Oesterreich allein zu bekämpfen, Rußland rieb sich die Hände dabei, und England sah gleichgültig zu, nur auf schmutzige Handelsinteressen bedacht.

Ueberdies war hier das Feld so günstig, wie nirgend anderswo.

In keinem anderen Lande, selbst Frankreich und Polen nicht ausgenommen, hatten die politischen Leidenschaften von jeher ein so gewaltiges Spiel getrieben, als in Italien. Der heißblütige, zu Intriguen und Verschwörungen geneigte Charakter des Volks, die Leidenschaftlichkeit seiner Frauen, die politische Zerrissenheit des Landes, die Auflehnung der Geister gegen den hierarchischen Druck, die Ueberfluthung und Unterdrückung mit Fremdherrschaft – Alles wirkte hier zusammen. Nirgends hat die Tyrannei, nirgends die Revolution ärger gewüthet. Der blutige Schatten der französischen Guillotine von 1792 verschwindet gegen die Ströme von Blut und Opfern, welche die Geschichte der italienischen Staaten gekostet hat. Was sind die Traditionen der Bastille gegen die Erinnerungen von Mantua, der Engelsburg und Sanct Elmo! Vom Hungerthurm Ugolino's bis zum vergifteten Dolche Grecos hat der Mord aus politischem Fanatismus in Italien seine Schule und seinen Heerd gehabt.

Die großen materiellen Vortheile, welche die österreichische Herrschaft in deutscher Kultur, deutscher Sorge und deutschem Fleiß der Lombardei gebracht, hatten zwar das materielle Wohlsein bedeutend erhöht, aber doch nicht den gleichsam mit der Muttermilch eingesogenen Haß gegen das Deutschthum auszurotten vermocht. Während die revolutionaire Propaganda in anderen Ländern grade in der Unzufriedenheit der untern Stände ihre Hauptstütze fand, waren es in Italien die Aristokratie und die wohlhabenden und gebildeten Stände, welche die eifrigsten Anhänger und Betreiber der Revolution blieben und fortwährend die blutige Saat ausstreuten.

Kein Land hat so hervorragende und unermüdliche Agitatoren der Revolution aufzuweisen, wie Italien.

Wir brauchen nur die Namen Mazzini und Garibaldi zu nennen, um das zu beweisen, den Mann der Pläne und der Intriguen, der in zäher Ausdauer ein langes Leben und einen an Hilfsmitteln reichen und vor keinem Mittel zurückscheuenden Geist an die Idee einer italienischen Republik gesetzt hat; und den Mann der kühnen, offenen That, der für das Ziel der selbstständigen und freien Nationalität seines Vaterlandes, den politischen Kreuzzug predigt und den Säbel in der Faust, an seiner Spitze schreitet, willig ein Leben auf dem Altar seiner Meinung bietend, das dem Andern ein kostbarer Schatz als nothwendig zum Erfolg ist.

Die Welt hat längst ihr Urtheil über die beiden Namen gesprochen, – die Geschichte wird es noch schärfer thun. Aber wie getrennt auch die politischen Meinungen, die Sympathien und Antipathien sein dürften, wie scharf auch der Verstand und die Erfahrung urtheilen mögen, die in politischen Entscheidungen eben so berechtigt sind, wie das Gefühl: den Tribut des Respekts vor der Konsequenz ihres Charakters und ihres Lebens kann selbst der entschiedenste Gegner diesen beiden Männern nicht versagen.

Man könnte ohne Bedauern, mit der Genugthuung des Verstandes, jene blutige Hand Italiens, den schwarzen Geist der letzten fünfundzwanzig Jahre zwischen den Mauern des Kufsteins vermodern sehen, aber man wird ihn stets für einen bedeutenden Menschen halten; – man kann jenes »Schwert Italiens« – nicht die lächerliche Fanfaronade Carl Alberts, sondern den gehärteten Stahl des Helden von Rom, – im Kampfe fallen sehen und den rechtschaffenen Triumph des Siegers fühlen: – aber man wird niemals Giuseppe Garibaldi einen so kläglichen Untergang wünschen, wie der sardinische Dank von Aspromonte ihm drohte! –

Diese beiden Vertreter der Revolution waren es, welche seit der Niederlage von Neunundvierzig unablässig an den neuen Minen arbeiteten und die Katastrophe von 1859 vorbereiteten. Wir haben im Laufe unserer Erzählung mannigfach Gelegenheit gehabt, dem Leser einzelne Gestalten und Scenen dieser Agitation vorzuführen und müssen ihm jetzt, zur Uebersicht und Entwicklung des Folgenden einen kurzen Ueberblick über die Zustände in Italien geben, wie sie sich seit dem Niederwerfen der Revolution im Jahre Neunundvierzig gestaltet.

Louis Napoleon hatte noch immer seinen Fuß in Rom und auch nicht die geringste Lust, ihn fortzuziehen; denn der schlaue Erbe des Todten von Helena wußte sehr wohl, daß hierauf der französische Einfluß in Italien beruhte und daß bei einem Abziehen der französischen Besatzung sofort Oesterreich sich des vollen Protektoramts über den Kirchenstaat bemächtigen würde, dessen Legationen ohnehin als Gegengewicht gegen Frankreich österreichische Truppen besetzt hielten.

Ueberhaupt hatte der österreichische Einfluß in Italien wieder seine ganze Macht gewonnen, und auch die päpstliche Kurie hätte sich natürlich weit lieber unter dem Schutz der habsburgischen Bayonnete gesehen, als der eines so zweifelhaften, den Löwenantheil fordernden Verbündeten. Einer oder der anderen aber bedurfte sie unbedingt, denn das Feuer der Revolution, durch die ungeschickten Gewaltmaßregeln der päpstlichen Herrschaft mehr geschürt als unterdrückt, glühte unter der trügerischen Decke im Kirchenstaat ebenso heftig weiter, wie in den Herzogthümern. Während Österreich in der Lombardei offen und soldatisch gegen die Revolution auftrat, hatte man im Kirchenstaat anfangs eine gewisse Milde zur Schau getragen, deren Versprechungen in keinem Stück gehalten wurden und der bald der Racheakt in der leidenschaftlichsten Weise folgte. Innerhalb eines Jahres wurden 1644 Personen hingerichtet, darunter in Sinigaglia, der Vaterstadt des Papstes, das verhältnißmäßig sich am ruhigsten während der Revolution gezeigt, in einem Monat – Oktober 1851 – vierundzwanzig! Alle Mitglieder der konstituirenden Versammlung von 1849, alle Beamte, welche der Republik gedient hatten, bis auf die Schreiber, die Offiziere und Unteroffiziere, zuletzt Alle, die sich an der Vertheidigung Roms betheiligt hatten, so weit man sie ermitteln konnte, wurden unter der blutigen Herrschaft Antonelli's – der seine alten Intriguen mit der Revolution vergessen zu machen hatte, – der früher erlassenen Amnestie unwürdig erklärt. Im Jahre 1854 gab es im Kirchenstaat, der etwa 2 Millionen 900 000 Einwohner zählte, 13,006 politische Gefangene, also auf 230 Bewohner einen; im Jahre 1855 zählte man 19 000 politische Flüchtlinge. Mit den versprochenen Reformen im Kirchenstaat trieben die französische und englische Politik und die Jesuitenpartei ihr willkürliches Spiel.

Pius IX. – jener Mann, dessen mißverstandener Liberalismus eigentlich die Revolution in Europa entfesselte – hatte längst begriffen, daß seine Hand zu schwach war, sie wieder zu unterdrücken, und beschränkte sich nur auf seine geistlichen Funktionen.

In Neapel herrschte jene Gewaltherrschaft, die – in den richtigen Händen – allerdings für den größten Theil des italienischen Volkes nöthig ist und immer nöthig sein wird, – ohne Klugheit und am unrechten Orte aber ihr eigenes Fundament untergräbt und Drachenzähne sät. König Ferdinand II. – König Bomba! wie ihn die Revolution höhnend nannte – von Natur aus hart und finster, verstand es nicht, den Unterschied zwischen kräftiger Herrschaft und Despotie zu ziehen, und füllte durch eine schrankenlose Polizeiwirthschaft, aus der jenes entsetzliche System der Camora erwuchs: der Spionage und Willkür vom Minister bis zum Lazaronie herab, bloß die Bagnos. Daß er ein Mann von Energie war, zeigte seine Haltung während des Krimkrieges. Ausgesetzt jeder französischen und englischen Bedrohung, nahm er durch die Ausfuhrverbote gegen die Westmächte männlich und offen die Partei Rußlands.

Die russische Politik hat seinem Sohne, dem unglücklichen König Franz schlecht gedankt, als auf dessen Haupt sich die Folgen des unverständigen Systems seines Vaters entluden.

In Modena war nach der Rückkehr des Herzogs die Jesuitenpartei wieder am Ruder, im Parma herrschten despotisch die beiden Günstlinge des Herzogs, der später ermordete Gensdarmerie-Oberst Anviti und der frühere englische Stallknecht, spätere Baron Ward. Am wenigsten hatte das Volk wohl Ursache in Toskana sich zu beklagen, wo der Großherzog Leopold eine milde persönliche Regierung übte, die ihm dennoch mit schnödem Undanke vergolten wurde.

Diesen Verhältnissen gegenüber wuchs in der Stille ein mächtiger und perfider Feind empor: der Ehrgeiz des Hauses Savoyen, das sich nicht scheute, seine Heimath zu verkaufen für den lüstern erstrebten Titel eines Königs von Italien.

Die Fanfaronade Carl Alberts hatte als das »Spada d'Italia« auf den Schlachtfeldern Custozza und Novara ein klägliches Ende unter dem ehernen Griff des greisen Helden Radetzki genommen, – aber die Sucht war geblieben.

Die Erinnerungen des ritterlichen Prinzen Eugen gehörten einem vergangenen Jahrhunderte an!

Schon lange wahrscheinlich wucherte in dem Herzen der Dynastie Savoyen der Gedanke, sich zur europäischen Großmacht zu machen und aus einer Mediatisirung oder Unterwerfung der italienischen Staaten und einer Vertreibung Österreichs ein Königreich Italien herzustellen, das heißt, die bescheidene piemontesische Königskrone mit einer Wiederherstellung des alten römischen Reichs vom Golf von Syrakus bis in die Alpen zu vertauschen.

Das »Königreich Italien« des ersten Napoleon, bei dem das Haus Savoyen so schlecht weggekommen war, hatte wahrscheinlich zuerst diese Idee angeregt, obschon dasselbe Haus Savoyen herzlich wenig zur Befreiung Italiens von der französischen Herrschaft gethan hatte. Aber man war bisher zu ohnmächtig gewesen, um diesen ehrgeizigen Plan seinem Ziele näher zu führen und mußte sich darauf beschränken, im Stillen dafür zu wirken. Erst bei den europäischen Umwälzungen von 1848 trat man damit zum ersten Male hervor.

Der Versuch endete, wie oben gesagt, in kläglicher Weise. Er wäre schwerlich von dem Nachfolger Carl Alberts, dem König Victor Emanuel, diesem gekrönten Günstling der Revolution – so lange sie ihn brauchen wird! – wiederholt worden, wenn nicht ein überwiegender Geist dem brüsken, einseitigen und legeren Charakter seines Gebieters zu Hilfe gekommen wäre.

Dieser überwiegende, intelligente und kühne Geist war Camillo Graf Cavour, seit 1852 Minister-Präsident des Kabinets von Turin.

Man mag von dem Standpunkt der Notwendigkeit, des historischen und staatlichen Rechts auch mit voller Befugniß dagegen kämpfen, ein verwerfliches, unmoralisches Prinzip ist das der Nationalitäten nicht. Hohe und edle Charaktere aller Zeiten sind dafür in den Tod gegangen und ganze Nationen haben für die Bewahrung ihrer Nationalität begeistert ihr Blut und Leben eingesetzt.

Es kommt nur darauf an, für welche engeren Zwecke der Kampf, und wie er gefühlt wird!

Niemand wird von Camillo Cavour an seinem Grabe niedrig denken und aus seinem Wirken für die Erhebung seines Königs und seines Landes ihm einen Vorwurf machen – während das Urtheil der Geschichte über seinen Herrn wahrscheinlich ein ganz anderes sein wird.

Camillo Cavour war 1809 als der Sohn eines reichen von Carl Albert geadelten Getreidehändlers aus Nizza in Turin geboren. Er wendete sich frühzeitig den politischen und nationalökonomischen Studien zu und als ihn – ein Mitglied der Kammer und der gemäßigten Linken angehörig, – nach dem unglücklichen Ausgange des Krieges d'Azeglio in's Ministerium berief, sagte schon damals der König, dem es nicht an gesundem Verstande fehlt: »Sehen Sie denn nicht, daß dieser Mann Sie Alle ausstechen wird?«

Anfangs 1852 legte Cavour zwar wegen Differenzen mit seinen Kollegen das Portefeuille der Finanzen nieder, aber schon im Oktober trat er als Präsident des Conseils wieder ein und seitdem zeigte er offen die Aufgabe seines Strebens: die Unabhängigkeit und Einheit Italiens unter der Krone Savoyen.

Zwei Wege boten sich ihm zur Erreichung dieses Zweckes, da er wohl wußte, daß die eigene Macht der piemontesischen Regierung zu gering war: die Revolution und die Hilfe des Auslandes.

Der schlaue und kühne Staatsmann beschloß, beide Mächte für seine Zwecke zu benutzen und eine mit der andern in Schach zu halten.

Er stellte den König an die Spitze der italienischen Revolution und unterhandelte mit dem Ehrgeiz Frankreichs, dem Interesse Englands und dem Groll Rußlands.

Diese klug ersonnene und energisch ausgeführte Politik machte ihn zu einem der bedeutendsten und gefährlichsten Staatsmänner seiner Zeit.

Der erste Schritt auf diesem Wege war die geheime aber thatsächliche Verbindung des Turiner Kabinets mit dem Heerde der revolutionairen Propaganda in London, mit Mazzini, Garibaldi und anderen Führern.

Der nächste, das Bündniß mit England und Frankreich im Krimkriege, oder vielmehr, um es mit deutscher Offenheit zu sagen, der Verkauf der sardinischen Hilfstruppen an die Westmächte in einem Kriege, an dem Piemont nicht das geringste Interesse hatte.

Die öffentliche Meinung des gegenwärtigen Jahrhunderts hat Zeter geschrieen über den Verkauf hessischer Regimenter an England zum Krieg gegen den nordamerikanischen Aufstand.

Wir möchten wissen, was der König Victor Emanuel, der »Hochherzige« und sein Premier anders gethan haben, als sie die sardischen Truppen in die Laufgräben vor Sebastopol sandten? Es war einer der perfidesten und bewußtesten Handel mit dem Blute des Volks, der je geschlossen worden. Aber freilich – er kam dem demokratischen Lärmen gegen Rußland zu Gute, und deshalb war er löblich und recht.

Die politische Moral ist eines der erbärmlichsten und unkonsequentesten Dinge in der Welt, denn sie hängt allein von dem Geschrei der Zeitungsschreiber ab. –

Mit dem Opfer fast seiner halben Armee erkaufte Sardinien seinen Eintritt in die Verhandlungen der Großmächte auf dem pariser Kongreß.

Unter dem Schutz seiner westmächtlichen Alliirten wagte es der sardinische Premier hier bereits offener mit seinen Plänen hervorzugehen. Cavour legte seine Denkschrift vor, in welcher er die Ruhe Europa's von der Lösung der italienischen Frage abhängig machte, und von den Großmächten die Anerkennung der nationalen Einheit Italiens, die Verleihung liberaler Institutionen für das lombardisch-venetianische Königreich, die Entfernung der fremden Truppen aus dem Kirchenstaat und eine Intervention in Neapel und Sicilien verlangte.

Das Verlangen war verfrüht, aber es war die Bahn damit gebrochen.

Es ist erwiesen, daß zu dieser Zeit das sardinische Kabinet bereits in der engsten Verbindung mit den geheimen Gesellschaften stand, die durch Mazzini's Thätigkeit über ganz Italien verbreitet waren, und jede revolutionaire Bewegung und Vorbereitung in Mailand und Venetien, in den Herzogthümern, dem Kirchenstaat und Neapel materiell unterstützte, überall das Feuer und die Unzufriedenheit schürte und die auf Kosten jedes Rechts unter Diebstahl und Willkür geschaffenen liberalen Institutionen Sardiniens als das Eldorado politischer Freiheit rühmte.

Mit den Gütern, die man der Kirche gestohlen, wurde zugleich das Material zu dem künftigen Kriege gegen Oesterreich geschaffen und Alessandria zur Festung gemacht, die eine französische Landung decken konnte.

Der berechnende und kühne Minister öffnete Sardinien als Freistätte für alle Unzufriedenen und politischen Flüchtlinge, nicht blos Italiens, sondern auch aus dem ganzen österreichischen Kaiserstaat. Es lag nahe, daß er dadurch den Heerd der revolutionairen Bewegung in Italien nach Turin und Genua verlegte und mit leichter Mühe bei dem unruhigen, leidenschaftlichen Charakter des italienischen Volks Italien in fortwährender Aufregung hielt und alle Maßregeln der Gegner vereitelte.

Vergebens besuchte der Kaiser Franz Joseph seine italienischen Staaten, gewann durch seine persönliche Erscheinung und Leutseligkeit die Menge und erließ im Januar 1854 eine Amnestie für politische Vergehen. Die fortwährenden Hetzereien und Verdächtigungen der sardinischen Presse, an denen selbst die Regierungsorgane ganz ungescheut Theil nahmen, vertilgten bald den Eindruck, und statt Reuiger zog die Amnestie nur altes Gift in's Land. In der Gesellschaft von Mailand und Venedig standen sich die Italiener und Deutschen auf das Schroffste entgegen und die Kluft wuchs täglich durch Rancünen aller Art.

Auch Pius IX. machte im Sommer 1857 eine Rundreise durch den Kirchenstaat und theilte unter die eifrigsten seiner Anhänger viele Belohnungen und an die Armen reichliche Almosen aus, von der Geistlichkeit überall mit den größten Ehrfurchtsbezeugungen empfangen, – aber der kirchliche Triumphzug ließ in dem Volk keinen Eindruck mehr zurück.

In Neapel hatte der junge König an den unteren Klassen zwar noch eine zahlreiche, aber desto unzuverlässigere Stütze. Von falschen finstern Rathgebern – selbst im Schooße seiner Familie – geleitet, schloß er sich grollend mit den Bewegungen der Neuzeit in den abgelegenen Palast von Caserta oder zwischen die Felsenwände von Gaëta und überließ es der Revolution, Armee und Volk zu bearbeiten. Die einzelnen Beispiele von Strenge halfen nichts mehr gegen die allgemeine Krankheit und unterdrückten nur hier und da die zu Tage brechenden Symptome. Im November 1856 stellte sich in Sicilien der Baron von Bentivenga an die Spitze einer bewaffneten Schaar und wollte die Verfassung von 1812 wieder einführen. Er wurde überwältigt und hingerichtet; einige Wochen später büßte der Soldat Milano den Mordversuch auf den König bei einer Parade mit dem Strange. In der Nacht vom 4. zum 5. Januar 1857 wurde im Hafen von Neapel die Dampffregatte »Karl III.« mit 70 000 der Regierung gehörigen Gewehren durch die Verschworenen in die Luft gesprengt – 90 Matrosen und Seesoldaten verloren dabei ihr Leben. Mazzini, obschon offiziell geächtet, trieb ganz offen und ungescheut in Italien sein Wesen und arbeitete auf die allgemeine republikanische Erhebung hin, deren sich das Kabinet von Turin im günstigen Moment zu bemächtigen dachte; und obschon alle Aufstände, während der Erreger stets geschickt sich bei Seite zu halten wußte, fast immer unglücklich für die Theilnehmer endeten, fachte das vergossene Blut den Fanatismus seiner Partei nur von Neuem an.

In Genua, Livorno und Neapel griffen die Mitglieder der geheimen Gesellschaften zu den Waffen – in Genua machte deren Besiegung der Regierung selbst Schwierigkeiten. Oberst Pisacane, der republikanische Freund Mazzini's, landete sogar mit einer Schaar Bewaffneter an der Küste von Neapel, wurde aber schwer verwundet gefangen genommen, nachdem die meisten seiner Anhänger gefallen waren.

Unter diesen Verhältnissen richteten sich natürlich die Augen aller Parteien auf den Kaiser der Franzosen, denn die Intriguen des Kabinets von Turin wie die Dolche der Republikaner vermochten Nichts auszurichten, wenn er sich der Bewegung entgegenstellte.

Die Intriguanten, wie die Fanatiker wußten dies.

Aber dieses verschleierte Bild von Sais in dem politischen Leben der letzten 15 Jahre, dessen Schleier noch Keiner gehoben hat, ohne die Hand dabei zu lassen, schwieg noch immer.

Wir haben oben bereits ausgeführt, welche Aussichten und Nothwendigkeiten an den französischen Kaiser herangetreten waren – aber er ist nicht der Mann, seine Entschlüsse zu übereilen. Auch läßt sich nicht verkennen, daß in der letzten Zeit so manche andere bewegende Einflüsse auf ihn gewirkt hatten, denen er sich trotz aller Verschlossenheit nicht ganz entziehen konnte. Der Einfluß einer schönen Frau, noch dazu, wenn sie die Mutter eines Thronerben geworden ist, übt immer offen oder heimlich eine große Macht auch auf den stärksten Mann, und die schöne Kaiserin von Frankreich hatte diesen Einfluß bereits sehr befestigt.

Sie selbst unterlag gänzlich dem der Geistlichkeit und verlangte von ihrem Gemahl unter den heftigsten Scenen den Schutz des Papstes und der Kirche zum Besten ihres Sohnes.

Gegen die Kaiserin kämpfte auf der anderen Seite der Einfluß seiner alten Vertrauten – so weit ein Charakter gleich dem seinen überhaupt Vertraute haben kann, – mit Drouin de L'Huys und Morny an der Spitze. Hiermit vereinigte sich das Drängen des turiner Kabinets.

Noch ein dritter gefährlicherer Factor bereitete in der Stille sein furchtbares Werk.

Wir haben den Leser in dieser politischen Uebersicht bis zu dem Augenblick geführt, in dem wir wieder die Erzählung der Begebenheiten selbstredend aufnehmen können.


Die Zeitungen und die Affichen hatten schon mehrere Tage vorher verkündet, daß heute Abend »Sennora Rositta« zum ersten Mal mit dem Jagdpferd »Matador« den berühmten Brückensprung ausführen würde.

Das kecke Wagniß in der Arena war bisher nur von einem einzigen Force-Reiter der berühmten Renz'schen Gesellschaft in Berlin ausgeführt worden, der dasselbe auch nur drei Mal versuchte und beim dritten Mal so unglücklich stürzte, daß er zeitlebens ein Krüppel blieb.

Das Wagniß bestand darin, daß auf einer quer über die Manège gebauten brückenartigen hohen Estrade der Reiter im Galop ansprengend eine 5 Ellen breite Kluft übersprang.

Die Grabensprünge der englischen Fuchsjäger sind Nichts gegen dies Wagniß.

Bei den steeple chase's ist der Reiter in Gefahr, indem er den Graben nimmt, daß sein Pferd den andern Rand nicht faßt, und mit ihm herabrollt, aber er hat fünfzig Chancen für sich; den Rasen, den Abhang, das Wasser, daß ihm das wenigstens nicht den Hals kosten wird. Bei dem Sprung in der Manège aber muß die Distanz von einem der scharfen Holzränder zum andern glatt genommen werden, denn es ist von einem Nachhelfen des Pferdes mit den Hinterfüßen nicht die Rede, und auch nur ein Zollbreit zu kurz ist die Gewißheit des furchtbaren Sturzes und Überschlagens von Roß und Reiter zwischen den gefährlichen Holzmassen.

Dies war das Wagestück, welches die Programme des Circus in zweimaliger Ausführung von der ersten Reiterin Sennora Rositta angekündigt hatten.

Man kann sich denken, welches Aufsehen diese Ankündigung bei der Berühmtheit der schönen Centaurin und der Neugier der Pariser gemacht hatte Der Cirque ist sonst nicht der Sammelpunkt der vornehmen Damenwelt, da die schlechte Einrichtung der Plätze, die keine besondere Logenreihe umfaßt, die Absonderung von der »Canaille« nicht besonders begünstigt; aber die Verdoppelung der Preise hatte diesmal schon zwei Tage vorher alle Plätze vergriffen gemacht, so daß man sicher sein konnte, auf den Bänken des Parquets nur Crême der Gesellschaft zu finden.

Die Champs Elysées waren demnach in der Gegend des Cirque schon vor Beginn der Vorstellung überaus belebt. Die Flaneurs und Gaffer füllten trotz der rauhen Luft, die der empfindliche Pariser keineswegs liebt, die ihres Blätterschmucks baaren Alleen; die Kaffeehäuser und Buden ringsum strahlten im hellsten Gaslicht und alle jene Typen des pariser Volkslebens drängten sich in bunten Gruppen zwischen den anrollenden Wagen und Equipagen vor dem Eingang.

Es war Abend des 13. Januar – Mittwoch.

Aus einem eleganten Miethswagen, der eben auf dem Platze hielt, stiegen zwei Herren und eine Dame. Beide Männer waren noch jung, etwa 24 Jahr – der eine höchstens zwei oder drei Jahre mehr – obschon das sonnverbrannte energische Gesicht mit einigen Falten der Erfahrung eines reichen abenteuerlichen Lebens dem flüchtigen Beschauer ihn noch älter erscheinen ließ. Er hatte die volle Elastizität der Jugendkraft mit den festen sicheren Bewegungen des in hundert Gefahren geprüften Mannes.

Der Mann trug elegante Civilkleidung, im Knopfloch das Band eines sardinischen Ordens, doch sah man ihm auf jedem Schritt den Soldaten an, auch wenn den trotzigen kühn geschnittenen Mund nicht der schwarze Bart beschattet hätte. Er hob mit großer Sorgfalt eine junge Frau von zierlichem Wuchs aus dem Wagen, die einfach aber geschmackvoll gekleidet war und sich schüchtern und zärtlich an ihn schmiegte, und reichte dann dem zweiten Herrn die Hand, um ihm behilflich zu sein, auszusteigen.

Dieser war im Gegensatz zu dem andern blond und von jener hellen Gesichtsfarbe, die seinen nordischen Ursprung bewies. Es war eine hohe schlanke Gestalt, größer als sein Freund, von edlen aristokratischen Formen. Eine leichte Blässe des Gesichts zeigte die Spuren einer überstandenen langen Krankheit und indem er ging, stützte er sich leicht auf einen Stock, da anscheinend ein Fuß noch einiger Sorgfalt und Hilfe bedurfte.

»Merci François,« sagte der zuletzt Ausgestiegene. »Ich kann mir schon allein helfen und hätte große Lust, ohne Weiteres die fatale Krücke zum Teufel zu werfen, die mich nun länger als ein Jahr plagt, wenn ich sie nicht Mama zu Gefallen noch behielte, die mich wahrscheinlich erst auf dem nächsten Opernhausball den Sturmgalop mitrasen sehen will, ehe sie mich für fix und fertig hergestellt erklärt. Führe Deine Frau hinein, indeß ich hier Posten stehe und meine Damen erwarte.«

»Sie haben doch Ihr Bouquet nicht vergessen, Monsieur de Reubel?« frug neckend die junge Frau, indem sie den Arm ihres Gatten nahm.

Dieser lachte. »Da hast Du Deinen Stich, Otthon – Du siehst, meine kleine Frau hat scharfe Augen und hast Dir vergeblich zwei Stunden bei dem Restaurant Mühe gegeben, ihr vorzureden, daß allein die Hippologie und der Brückensprung Dich in den Circus führt!«

Der Angeredete erröthete bis über die offene kräftig gebildete Stirn. »Bah,« sagte er – »Eure Pfeile treffen nicht. Man muß die Mode mitmachen, und statt meine Blumen an eine Eurer Tänzerinnen oder trillernden Sängerinnen zu vergeuden, ziehe ich den Sport vor.«

»Parbleu – das Vergnügen kann man bei Tageslicht in Longchamps genießen,« beharrte lachend der Andere, »und deshalb braucht man nicht seit acht Tagen jeden Abend sich seinen Freunden zu entziehen, um den Circus zu besuchen. Aber, Caramba! ich bin in der That neugierig, doch auch die gerühmte Schönheit zu sehen, und da ich drüben über'm Ocean Einiges vom Reiten gelernt habe, so denk' ich ein Urtheil zu haben, ob sie wirklich den Ruf der modernen Centaurin verdient! – Laß uns eintreten!«

»Hier sind die Billets,« sagte der Blonde. »Führe Madame auf ihren Platz, ich will meine Mutter und Schwester hier erwarten.«

»Das ist schön von Ihnen, Monsieur de Reubel,« sprach die junge Frau, ihm die Hand reichend, »daß Sie uns die Freude gemacht haben, Ihre liebe Familie einzuladen. Sie wissen gar nicht, wie lieb ich Mademoiselle habe. Wenn sie nur nicht gar so ernst und immer traurig wäre!«

Die Stirn des jungen Mannes überflog ein dunkler Schatten. »Jeder im Leben hat seinen Antheil an den Schmerzen und Täuschungen desselben,« sagte er ernst. »Auch sie ist nicht davon verschont geblieben und die Zeit, von der wir Vieles hoffen, scheint keinen Einfluß darauf zu haben. Sie erträgt fest und muthig, was sich nicht ändern läßt, und ich liebe sie deshalb um so mehr. Wenn Sie wüßten, eine wie treue Pflegerin sie mir während des Sommers und Herbstes in den Pyrenäenbädern gewesen ist, Sie würden erst recht ihren Werth erkennen. Sie kam in der That fast der lieben Samariterin gleich, die uns Beide mit solcher Engelsgeduld während des traurigen Krankenlagers in Neuchâtel pflegte, und aus zwei Feinden, die sich alle Mühe gegeben hatten, einander den Hals zu brechen, zwei Freunde für's Leben gemacht hat.«

Er reichte seinem Begleiter die Hand und sah ihm treuherzig in das dunkle Auge, das seinen Blick lebhaft erwiderte.

»Das ist ein Kapitel von Lobsprüchen, lieber Freund,« sprach die Dame, »auf das Ihnen längst verboten ist zurückzukommen. Das Wenige was ich thun konnte, war nur eine geringe Lösung meiner Schuld und ich danke Gott täglich auf meinen Knieen, daß er mich zum Werkzeug gemacht hat, zwei brave Herzen sich finden zu lassen, die sich im trotzigen Männerhaß den Tod geben wollten. Hab' ich doch eigennützig den besten Lohn mir gewonnen, indem eines dieser Herzen das Eigenthum der unbedeutenden Krankenwärterin geworden.«

Sie hatte sich an den Gatten geschmiegt und sah zärtlich zu ihm empor. Sein Arm drückte liebevoll den ihren – der kecke, kühne Abenteurer, der auf Land und Meer hundert Mal mit dem Tode gespielt hatte, war so sorgsam und zärtlich mit der kleinen Frau, wie eine Mutter mit dem Lieblingskind.

»Und rechnen Sie das Herz des Anderen, des dankbaren Freundes für Nichts?«

»O, gewiß,« sagte sie, rasch wieder in die fröhliche Laune zurückfallend. »Aber eben darum wünsche ich desto eifriger, daß dies liebe brave Herz des Freundes ein anderes findet, mit dem es so glücklich wird, wie Ihre kleine Freundin ist. Deshalb sollte es mir doppelt leid thun, wenn er wirklich mit einer schönen Kunstreiterin davon galopirt wäre, denn die Damen sollen grade nicht in dem Ruf großer Treue stehen. Aber – nous verrons! ich werde prüfen, als wäre ich Ihre zweite Mutter!«

Die Grandezza stand der kleinen jungen Frau so komisch, daß beide Männer sich nicht enthalten konnten, zu lachen. Die Drei hatten sich wieder dem Eingange des Circus genähert, von dem sie sich einige Schritte nach den Baumgruppen hin entfernt hatten, und Otto von Röbel forderte die Freunde nochmals auf, einstweilen ohne ihn einzutreten.

Nachdem dies geschehen, blieb der junge Mann an der Seite des Portals stehen, mit jenem Interesse die Anfahrenden und Eintretenden betrachtend, das immer die lebhaften wechselnden Scenen vor den Theatern und öffentlichen Lokalen in der Weltstadt für den müßigen Fremden haben.

Es waren in der That die beiden ehemaligen Feinde, die jugendlichen Vertreter und Enthusiasten des Königthums und der Revolution, welche unsere Scene so einig dem Leser vorgeführt hat, nachdem wir sie in der zweiten Abtheilung unsers Buchs in jenem schrecklichen Augenblick verließen, als der junge Preuße bei der Verteidigung der Fahne seines Königs auf dem Thurm des Schlosses von Neuchâtel, von einer meuchlerischen Kugel verwundet, den ihm zu Hilfe springenden Feind, den Kapitain Laforgne, umfaßt und mit sich in den furchtbaren Sturz gerissen hatte.

Wir haben damals angedeutet, auf welche Weise der junge Handwerker mit der Fahne seines Landesherrn von dem belagerten Thurmplateau entkommen war. Wir können hier gleich beifügen, daß es ihm in der That gelang, durch die nächste Luke den Dachboden zu erreichen und sich so lange versteckt zu halten, bis er sich unbemerkt unter die Republikaner mischen und in dem wüsten Treiben und Drängen das Schloß verlassen konnte.

Es geschah jedoch nicht eher, als bis er sich von dem Schicksal seines hochherzigen Gefährten in der Fahnenwache überzeugt hatte.

Der Schutzgeist der Kühnen und Tapferen hatte seine Hand ausgestreckt und die beiden Feinde auf seinen Flügeln getragen.

Das schiefe Dach, auf das sich André Droz, der Milchbruder des Fräuleins von Creuxdevent an der Stange des Blitzableiters und der Rinne niedergelassen, befand sich etwa 20 Ellen unter der Oeffnung des Thurms, aus dem der Preuße und sein Gegner stürzten.

Beide hielten sich bei dem schrecklichen Fall fest umschlungen und fielen so auf das Dach, auf dessen ziemlich steilen Senkung sie niederrollten.

Nach der alten Bauart war das Dach sehr hoch und endete über dem zweiten Stock. Der Theil, auf welchen die beiden Kämpfer des Königthums und der Republik gefallen waren, ging nach dem inneren Hof.

Bei dem Lärmen des ersten Angriffs und dem Toben der Montagnards hatte Niemand anfangs auf den Kampf geachtet, der in dem Thurm stattgefunden. Erst als durch den Pistolenschuß in der Höhe einer der Republikaner aufmerksam geworden, nach oben blickte und in der Helle der Morgendämmerung, denn es war grade um Sonnenaufgang, die beiden ringenden Gestalten auf dem gefährlichen Standpunkt sah, hatte sein Ruf die nächsten Gruppen aufmerksam gemacht, und einige Augenblicke ruhten der Haß und die Brutalitäten, welche die Uebermacht an den Besiegten verübte – und Alles starrte regungslos empor. Einen Moment, noch – und ein allgemeiner Aufschrei begleitete den schrecklichen Sturz.

Mit Blitzesschnelle – von keiner menschlichen Hilfe mehr zu halten – rollte das eng verschlungene Paar nieder – jetzt schlug es an der Dachtraufe auf und schnellte hinaus in die Luft.

Ein zweiter Aufschrei der Menge – im nächsten Augenblick glaubte man die zerschmetterten blutigen Körper auf den Quadern des Hofes zucken zu sehen.

Aber der Schutzengel der Kühnen breitete seine Flügel.

Etwa zehn oder zwölf Schritt von der Mauer entfernt, im Innern des Hofes, steht noch jetzt ein alter mächtiger Nußbaum, der seine breiten Aeste und Zweige bis an die Fenster des ersten und zweiten Stockwerks des Schlosses hinauftreibt.

Die zähen Zweige waren dicht belaubt, zwischen den Blättern schimmerte die grüne Frucht.

Als die beiden Körper hinaus in die Luft schnellten, schlugen sie in die oberen Zweige des Baumes. Die Zweige und leichten Aeste brachen zusammen unter der Last, aber ihre natürliche Elastizität brach zugleich die Wucht des Falls.

Zerschunden, zerrissen, zerfetzt fielen die beiden Körper durch die oberen Zweige auf die tieferen, stärkeren nieder und hier gelang es dem Kapitän, der selbst in dem schrecklichen Sturz nicht die Geistesgegenwart verloren hatte, mit dem freien Arm einen Ast zu umschlingen.

Dies brach vollends die Macht des Falls, obgleich von dem gewaltigen Ruck ihm der Arm aus der Achsel sich renkte.

Die Aeste, die sie hielten, senkten sich mit der Doppellast nieder, und langsam glitten – noch immer fest umschlungen – die beiden Körper auf den Boden nieder.

Jetzt erst sprangen die Nächststehenden, als wären sie von einem Bann erlöst, herbei und bemühten sich, die blutbedeckten Männer aufzuheben und zu trennen, was keine leichte Sache war, da die Arme des leblosen Preußen fest und krampfhaft um den Nacken seines Gegners geschlungen waren.

Schon hob einer der Montagnards, ein roher, wüster Bursche, seine Büchse, um den Kolben auf den Schädel des Bewußtlosen zu schmettern, als ein drohender Blick aus dem mit Blut überströmten Antlitz des Garibaldiens ihn traf.

»Zurück, Schurke, oder Du sollst es büßen! Seid Ihr Henker oder Kämpfer der Freiheit? Mit meinem eigenen Leben will ich den wackern Burschen schützen!«

Zum Glück kam in diesem Augenblick der Oberst der Indépendants Denzler selbst herbei, der mit eigner Lebensgefahr sich der Wuth der fanatischen Montagnards nach der Einnahme des Schlosses wiederholt entgegen geworfen hatte, um die Gefangenen zu schützen, was ihm – zur Schmach der republikanischen Partei – vielfach nicht einmal gelungen war.

Der Oberst befahl, den Kapitain Laforgne aufzuheben und in eines der nächsten Zimmer des Erdgeschosses zu tragen, bis ein Arzt herbei geschafft worden, und da der Abenteurer mit Bestimmtheit verlangte, daß gleiche Hilfe auch seinem Gegner zu Theil werde, sah man sich veranlaßt, auch den noch immer bewußtlosen Körper des Royalisten nach dem Gemach zu bringen.

Einem der in Folge einiger Verwundungen der Republikaner – denn um die Wunden der Besiegten kümmerte man sich nicht – herbeigeholten Aerzte gelang es durch Anwendung starker Salze, den jungen preußischen Edelmann wieder in's Leben zurückzurufen. Die Untersuchung ergab, daß er den linken Fuß gebrochen und außerdem verschiedene Verletzungen erhalten hatte. Die schwerste und gefährlichste Wunde aber war die, welche durch den Pistolenschuß im Thurm ihm zugefügt worden war; denn die Kugel war in seine Seite gedrungen und die Blutung so heftig, daß sie ihm das Bewußtsein geraubt.

Auch Kapitain Laforgne war nicht ohne schwere Verletzungen davon gekommen. Er hatte außer der Verrenkung des Arms eine schwere und tiefe Wunde an der Stirn, den Bruch zweier Rippen und so gefährliche Quetschungen davon getragen, daß er sich nur mühsam bewegen konnte.

Bei der geringen Beachtung, welchen die Sieger im Taumel der politischen Erbitterung in den ersten Tagen dem Zustand der Besiegten widmeten, hätten die schweren Verletzungen des jungen Preußen gewiß einen tödtlichen Ausgang genommen, denn seine Freunde waren nicht in der Lage, sich um ihn zu bekümmern, wenn nicht ein eigenthümlicher Umstand ihn gerettet hätte, der zugleich seinem Gegner zu Gute kam.

Der brave André Droz, jener junge Handwerker, der sich ihm im Auftrag des Lieutenant von Meuron zur Mitbewachung der Fahne angeboten oder vielmehr aufgedrungen und sie so kühn und glücklich gerettet hatte, verlieh nach seinem Entkommen aus dem Versteck, wie bereits erwähnt, das Schloß nicht, ohne sich um das Schicksal seines Gefährten bekümmert zu haben.

In der Aufregung und der Verwirrung, die noch herrschte, und die durch die zuströmenden Neugierigen noch vermehrt wurde, war es ihm leicht, nachdem er alle Abzeichen des royalistischen Kämpfers klüglich beseitigt hatte, unerkannt aus dem Gespräch der Gruppen das Geschehene zu erfahren.

Er wußte freilich nicht, wie er hier helfen sollte und mußte eilen, sich selbst seiner gefährlichen Lage zu entziehen und das anvertraute Pfand in Sicherheit zu bringen, als ihm außerhalb des Thors, unter der gaffenden Menge, welche die Trümmer der Barrikade und die Leiche des treuen Wächters derselben umstand, grade der Mann entgegentrat, nach dem Herr von Röbel ihn im Thurm befragt hatte.

Blitzschnell fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß er noch im Besitz der Karte war, die ihm der junge Preuße gegeben in dem Augenblick, als der Sturmruf der Republikaner erklang.

Er suchte sie in seiner Tasche – er fand sie in der That, und trat hinter den alten Mann, dessen Name darauf stand.

»Vater Aimard – auf ein Wort!«

Der Alte wandte sich um. »Sehr gern, mein Junge – aber ich will in meinen Sünden vergehen, wenn das nicht ...« »Still, Vater Aimard – kommt einen Augenblick mit mir, ich habe Euch Etwas zu sagen.«

Der Mann folgte ihm nach der Gartenmauer hin. »Was ist's, André Droz, soll ich Dich etwa aus der Klemme ziehen? Denn sicher warst Du doch bei Denen da drinnen. Aber Du mußt wissen, daß ein armer alter Mann, wie ich, nicht mit der Politik sich beschäftigt. Ich kann Dir nur den Rath geben, Dich so rasch wie möglich aus dem Staube zu machen; denn trotz des Tuchs, das Du um das Auge gebunden, wird man Dich sicher erkennen. Es ist gefährlich heute.«

Der Handwerker reichte ihm die Karte. »Das ist Alles, was ich von Euch will – ich werde mir schon selbst helfen. Für mich geb' ich Euch das Ding da nicht, wenn's überhaupt Etwas nützen kann.«

Der Alte hatte die Karte anfangs gleichgültig in die Hand genommen; er hatte sie aber kaum betrachtet, als sein verschmitztes Gesicht plötzlich den Ausdruck unverholenen Erstaunens zeigte und er den Handwerker anstarrte.

»Um Himmelswillen, Junge – wie kommst Du zu der Karte? – ich sehe, daß sie von einem alten Freund von mir ist. Komm hierher, laß uns etwas weiter abgehen von dem Volk, das nicht zu hören braucht, was wir miteinander reden. Wo hast Du die Karte her, aber sage die Wahrheit, und ich will Dir aus der Klemme helfen, in der Du steckst!«

»Ihr mögt vor Allem dem Herrn helfen, der mir die Karte gegeben hat, wenn ihm überhaupt noch geholfen werden kann.«

»Wer ist's – sprich!«

»Ein junger Offizier aus Berlin, ein Freund des jungen Herrn von Meuron.«

»Aus Berlin? – das stimmt. Wo ist er – hat er sich thörichter Weise auch an dem Narrenstreich betheiligt und ist gefangen?«

»Nennt es nicht einen Narrenstreich, alter Mann,« sagte der Handwerker unwillig, »wofür bessere Leute als Ihr und ich willig ihr Blut hingegeben, wenn auch der Erfolg leider diesmal nicht mit der gerechten Sache war. – Der Offizier, der mir vor einer Stunde die Karte gegeben, denn nach Allem, was ich von ihm gesehen, muß er ein Offizier sein, wenn er auch keine Uniform trug, ist gefangen, aber zum Tode verwundet dazu. Er hat sich mit einem der republikanischen Schurken aus dem Fenster des Thurms herab in den Hof gestürzt, statt sich zu ergeben,«

»Der Rasende! – ich habe davon gehört!«

»Er ist schwer verwundet, aber nicht todt. Ein glücklicher Zufall hat ihn geschützt. Jetzt liegt er in einem Zimmer des Erdgeschosses mit dem Feinde zusammen, mit dem er den Luftsprung gemacht, und wenn Ihr ihm auf dies Dings da noch helfen wollt und könnt, thätet Ihr wirklich ein gutes Werk, Meister Aimard.«

Der Andere dachte einige Augenblicke nach, dann sagte er langsam: »Ich habe Dir bereits gesagt, daß die Karte von einem alten Freunde kommt, und deshalb will ich sehen, was ich thun kann, so weit es in meinen Kräften steht und mich nicht compromittirt. Auch Du sollst nicht vergessen sein. Kennst Du den Bäckerladen des Meister Tenelli?«

»Des Welschen? gewiß!«

»So sieh zu, daß Du Dich unerwischt bis dahin stiehlst, geh' in den Laden und sage dem Mann oder der Frau, ich, der alte Cölestin Aimard, schickte Dich und sie sollten Dich bei sich behalten, bis ich selbst käme. Mach', daß Du fort kommst, denn der Weg da ist eben ziemlich frei. Ich hoffe, Du kennst die Parole bei den Wachen?«

»Nein!«

»Murten – und nun brauche Deine Beine und Deinen Verstand, wenn Du ihn nicht da im Schloß gelassen hast.«

Der junge Uhrmacher mit dem Namen der berühmten Familie ließ es sich nicht zwei Mal sagen und machte sich davon.

Der freundliche Leser, welcher sich unseres Buchs »Sebastopol« erinnert, ist dem jungen Royalisten an dessen Schluß in jener Scene begegnet, als König Friedrich Wilhelm IV. die letzte Rose von Charlottenhof gegen das Vergißmeinnicht von Sebastopol eintauschte. Ja wahrlich – daß er damals fest und treu nach des Vaters Testament zu dem kaiserlichen Freunde gehalten – das wurde ihm im Rath der feindlichen Kabinete, die vergeblich um seinen Beistand geworben, bei der Neuenburger Gelegenheit nicht vergessen!

Der Schankwirth aus Sérrières betrachtete nochmals kopfschüttelnd die Karte, die für ihn eine gewichtige Empfehlung, wenn nicht ein Befehl zu sein schien, dann steckte er sie in die Tasche und schloß sich dem Menschenstrom nach dem Schloß an, der durch das Thor ab- und zuzog.

Mit der ruhigen katzenähnlichen Schlauheit und Vorsicht, die ihm eigen, hatte er, bevor er noch das Zimmer erreichte, in welches man die beiden Verwundeten gebracht, schon den ganzen Vorgang so ziemlich erkundet, wenigstens Alles, was er zu wissen nöthig hatte für seinen Zweck.

Als er mit Andern in das Gemach trat – es war der Sitzungssaal des großen Raths, der mit den Wappen und Namen der Gouverneure von Neuchâtel seit zwei Jahrhunderten geschmückt ist, hatte eben der Doktor einen flüchtigen Verband der beiden Leidenden vollendet und erklärte, daß wenn ihr Leben erhalten werden sollte, sie so rasch als möglich aus diesem unruhigen Trubel an einen stillen Ort geschafft werden müßten, wo ihnen sorgfältige Pflege zu Theil werden könnte.

Vater Aimard nahm die Gelegenheit sofort beim Schopf, um sich als guter Bürger der Republik zu erbieten, einen so ausgezeichneten Streiter derselben, wie den jungen Kapitain in sein Haus zu nehmen, und da er gehört, daß dieser in seiner Großmuth für seinen Gegner, obschon dieser ein gottverdammter, verrätherischer Preuße sei, die gleiche Pflege verlange, – diesem Eigensinn zu willfahrten und aus christlichem Gemüth auch diesen mit nach seinem stillen Hause zu führen und dort kuriren zu lassen.

Der Arzt und wer etwa sonst sich anmaßte, mit zu sprechen, waren herzlich froh, auf diese Weise die beiden Kranken los zu werden, und da Niemand einen Widerspruch erhob, vielmehr der alte Schankwirth auf die Meisten einen besonderen Einfluß zu üben schien, so erreichte er ohne Weiteres seinen Zweck und kehrte bald mit vier Männern mit zwei Tragen nebst Decken und Kissen zurück, auf welchen die beiden Kranken fortgeschafft werden konnten.

Monsieur Aimard schien eine ganz besondere Sorge für sie zu empfinden, denn er hatte sich den geschicktesten Arzt von Neuchâtel ausgesucht, der sie nochmals sorgfältig untersuchen und verbinden und versprechen mußte, noch im Laufe des Tages in Serrières einzusprechen. Der alte Fuchs spielte dabei ganz seine Republikaner-Rolle, als gälte all' sein Eifer dem verunglückten Garibaldien, während dieser doch blos den Schild für seinen anderen Gast abgab.

Erst kurz vorher, bevor er mit den beiden Kranken aufbrach, schien sich der Schankwirth seiner Verwandten zu erinnern, die ja in der Familie des Kastellans sein mußten, und die er wahrscheinlich glaubte, gut zu der Krankenpflege gebrauchen zu können. Da er aber auf seine Erkundigungen erfuhr, daß sie nicht mehr im Schloß sei, glaubte er sie bereits in seiner Wohnung zu finden und brach mit den Verwundeten auf, indem er nicht vergaß, unterwegs den jungen Handwerker mitzunehmen, den er von Serrières am andern Tage nach seiner Heimath schaffte.

Serrières ist eigentlich eine Vorstadt Neuchâtels, so unmittelbar stößt es an dasselbe und zieht sich in einer spärlichen Reihe von Häusern an der Chaussee zwischen den Weinbergen den See entlang.

In dem Hause des alten Aimards, das geräumiger und bequemer eingerichtet war, als es äußerlich den Anschein hatte, fanden die beiden Verwundeten endlich Ruhe.

Auf das Verlangen des Kapitains wurden sie in demselben Zimmer untergebracht, obschon der Hausbesitzer gern sie getrennt hätte, um von dem ihn durch jene Karte überwiesenen Schutzbefohlenen, sobald er wieder zu einigen Kräften gekommen wäre, Näheres über den Besitz der Empfehlung erforschen zu können.

Wir haben bereits in der Unterredung des Handwerkers mit dem Wächter der Fahne angedeutet, daß der Vater Aimard in dem Rufe stand, mit den Jesuiten in dem nahe belegenen Freiburg und Luzern geheime Verbindungen zu haben. Dies erklärt der Eifer, mit dem er der Empfehlung oder vielmehr dem Befehle Folge leistete, welche die Karte des Kommissionsraths durch ein geheimes Zeichen ihm gegeben hatte.

Der Schankwirth ärgerte sich, seine Nichte – die er nur gezwungen, um das Gerede der Leute willen, als arme entfernte Verwandte bei sich aufgenommen hatte und die seine Wohlthaten bitter genug zu hören bekam, – noch immer nicht anwesend zu finden und schalt auf sie; aber bei der Verwirrung, die noch allgemein herrschte, waren Erkundigungen in diesem Augenblick unmöglich einzuziehen.

Der Einzige, der ihm hätte Auskunft geben können, Kapitain François, lag jetzt im Wundfieber. Selbst in diesem Zustande zeigte er noch fortwährende Besorgniß um seinen Gegner, und weigerte sich, ärztliche Hülfe anzunehnehmen, bis diese erst jenem zu Theil geworden. Der Zustand des jungen preußischen Edelmanns war in der That weit gefährlicher. Die Schußwunde hatte eine schwere Blutung herbeigeführt und durch den furchtbaren Sturz war sein ganzes Nervensystem so gewaltig erschüttert, daß der Arzt, der am Nachmittag kam, wenig Aussicht auf die Erhaltung seines Lebens gab und diese jeden Falls von der sorgfältigsten Pflege abhängig machte.

Unter diesen Umständen war Monsieur Aimard eigentlich herzlich froh, als am andern Morgen plötzlich seine junge Verwandte wieder erschien, obschon er nicht unterließ, sich äußerlich sehr zornig über ihre Abwesenheit zu stellen. Das junge Mädchen gab, der Wahrheit gemäß, ohne deshalb die ihr anvertrauten Geheimnisse zu verrathen, an, daß sie von der Besetzung des Schlosses durch die Royalisten erschreckt aus demselben geflohen sei und eine Gelegenheit benutzt habe, um über den See zu flüchten.

In der That hatte sie den Muth gehabt, die Fahrt über den See in dem Kahn des Präfekten zu machen, ein Unternehmen, das bei den so häufig wechselnden Windströmungen der Schweizer See'n zu keiner Zeit ungefährlich ist, und war glücklich in Cudrefin gelandet. Von dort hatte sie sich eiligst nach Murten bringen lassen und mit dem Telegraphen die ihr anvertraute Nachricht des Präfekten nach Bern gesandt, so wie die Zeilen des Kapitains durch einen Boten folgen lassen.

Sie selbst hatte sich nicht entschließen können, nach Bern zu gehen, obschon ihr dort Unterkommen und Schutz verheißen war, ja es litt sie nicht ein Mal in Murten, sondern trieb sie nach Cudrefin und Yverdon, dem Stationsort des Dampfschiffs von Neuchâtel zurück, um Nachrichten von da zu hören.

Mit Angst und Sorgen hatte sie dort jeder durch das Gerücht in's Unendliche übertriebenen Kunde gelauscht, und als endlich am zweiten Tage die Nachricht von der Ueberrumpelung der Royalisten durch die Montagnards und Independants mit der Erzählung eines ganz erschrecklichen Blutbades herüber gekommen war, als von mehreren Seiten eidgenössische Truppen herbei eilten und die Fama von dem entsetzlichen Tode zweier Führer der beiden Parteien, die sich vom Thurme gestürzt, mit den grellsten Ausschmückungen brachte – war ihre Angst und Besorgniß auf's Höchste gestiegen, und sie benutzte die erste Gelegenheit, nach Serrières in das Haus ihres Verwandten zurückzukehren, um irgend wie von dem Schicksal der beiden Gegner Sicheres zu erfahren, denen sie eine so innige Dankbarkeit und Neigung zollte.

Um so überraschter war sie, in dem Hause ihres Verwandten, das bisher ihr nur ein sehr trauriger Aufenthalt gewesen war, jene Beiden, an die sie so viel und mit solcher Angst ihres Herzens gedacht hatte, zu finden.

Der alte Aimard kannte zu gut den wahren Werth des Mädchens und ihr stilles Sorgen und Schaffen, als daß er sich nicht hätte im Stillen zu ihrer Rückkehr Glück wünschen sollen, wenn er auch äußerlich sie auf das Härteste ihr drückendes Verhältniß fühlen ließ. Der Kapitain aber war hocherfreut, in der Verwandten des Wirths, die ihre Pflegerin sein sollte, seinen Schützling und seine Befreierin wieder zu finden, von der er sich so schwer getrennt.

Nur Frauen verstehen es, mit jener Sorgfalt und Aufmerksamkeit am Krankenbett zu walten, die mehr als alle Kunst des Arztes leistet, und wo die Liebe noch die folgende Hand führt, das wachende Auge offen hält, wo das Herz betheiligt ist: da hat Gott der Herr die Kraft seiner Wunder in diese Sorge gelegt und der magnetische Strom der Liebe beruhigt die entfesselten Geister des Fiebers.

In dem Umgang, seines alten Führers und Helden hatte zwar oft der junge Abenteurer die Proben heroischer Gatten- und Mutterliebe vor Augen gesehen, er war der Zeuge des Opfertodes jener muthigen Frau, die dem Mann ihrer Wahl über's Meer und in den Donner der Schlachten gefolgt war, in den Bergen von Rimini gewesen, aber niemals hatte bisher die wilde Abenteuerlichkeit seines Lebens, das Umherschweifen über Land und Meer, der wilde phantastische Kampf in des Pampas der Laplata, wie in den Blutströmen des italienischen Revolutionskrieges ihm Gelegenheit geboten, in stiller friedlicher Häuslichkeit das Wirken und Schalten eines edlen hingebenden Frauenherzens zu beobachten.

Wie das junge Mädchen von ihm zu seinem hilflosen, im Fieber rasenden und von der fernen Mutter und Schwester phantasirenden Gegner ging, wie sie ihm ein freundliches Wort sagte und jenem die kleine Hand auf die fiebernde Stirn legte oder ihn gleich einem hilflosen Kinde wartete – wie sie so aufrichtig und fromm zu Gott vertraute, daß er ihre Mühen nicht vergeblich sein lassen werde – wie sie den harten Druck ihres Verhältnisses im Hause, schlechter als das einer Magd, die ihre Rechte hat, ohne Widerspruch ertrug – wie er sah, daß die Thräne in ihrem Auge zum strahlenden Tropfen der inneren Freude wurde bei jedem Dienst, den sie ihm selbst leisten konnte, – da kam ein neues Element, ein neues Gefühl und Denken und Sehnen in sein bisher so unruhiges Leben. Schon damals, als er sie, ein halbes Kind, unter so entwürdigenden Umständen aus der tiefsten Noth in Berlin rettete, hatte grade der Schutz, den er, selbst noch so jung, einem fremden hilflosen Wesen leistete, ein ganz eigenthümliches Interesse in ihm wach gerufen, das sich durch die geheimnißvolle Art ihres Verschwindens steigerte.

Selbst jene glänzende, seine Phantasie und Eitelkeit fesselnde Erscheinung und das Vertrauen der jungen Marquise, der reichen Haciendera, hatte nicht vermocht, das kleine stille leidende Gesicht, das zu ihm aufgesehen, wie zu einem Engel der Erlösung, aus dem innersten Winkel seiner Gedanken und Erinnerungen zu entfernen, und als er sie unerwartet und unter so eigenthümlichen Umständen wieder traf, die seinen Groll und im Glauben eines gewissen Rechts auf sie, seine Eifersucht erregten; als sie sich so ganz ihm auf's Neue vertrauend gezeigt und ihm unbewußt ihre eigenen Gefühle kund gegeben – da empfand er erst, wie tief sein eigenes Herz plötzlich in's Spiel gekommen war. Ihr Walten an den beiden Krankenbetten, seine stille und ernste Beobachtung ihres ganzen Seins und Thuns flößten ihm neue Achtung von diesem kleinen zarten Wesen ein, eine Ueberzeugung weiblichen Werths, ein Vertrauen auf ein weibliches Herz, wie er sie bis dahin nie empfunden; und als er das Krankenlager verließ, hatte er mit der ihm innewohnenden Kraft einen festen unwandelbaren Entschluß gefaßt. Dies war freilich nicht so bald geschehen; denn selbst seine kräftige Natur bedurfte nicht Tage, sondern Wochen, um sich von den Folgen des schrecklichen Sturzes ganz wieder zu erholen.

Von Seiten der Schweizer Behörden und namentlich der Rothen wurde ihm jede Unterstützung und Hülfe. Auf diesem Wege hatte er an seinen väterlichen Freund und Schützer schreiben und ihn von seinem Unfall in Kenntniß setzen lassen. Die Antwort des Generals war, daß er ihn jetzt grade entbehren könne und daß er nur bedauere, nicht selbst herbeieilen zu können, um ihn zu pflegen. Die politischen Umstände erforderten grade eine möglichste Zurückhaltung der Agitationspartei und so möge der Kapitain vor Allem nur sorgen, seine Gesundheit vollständig wieder herzustellen, damit er dann, wenn es Zeit sei und der Ruf an ihn erginge, mit frischer Kraft für das große Werk der Befreiung Italiens eintreten könne.

Darüber war der Winter gekommen, und die schweizer Berge hatten ihr gewaltiges Schnee- und Eiskleid angelegt. Kapitain François war längst wieder hergestellt, aber noch immer zögerte er, das einsame triste Serrières zu verlassen – denn nicht der Winter sondern der Frühling blühte um ihn her und in seinem Herzen.

Er hatte das arme kleine Mädchen, die stille schutzlose Dulderin gefragt, ob sie ihn hinfort zu ihrem rechtmäßigen Beschützer machen, ob sie sein Loos theilen und seine Gattin werden wolle.

In Piemont nahe der Küste des Golfs von Genua, und mit der Aussicht auf diesen bei Savona besaß der Kapitain jetzt ein kleines Gütchen, das ihm von der Freundschaft eines älteren Kampfgefährten vermacht worden war, der auf dem Rückzuge von Rom neben ihm eine Wunde erhalten hatte und vor zwei Jahren an den Folgen der wieder aufbrechenden starb.

So klein das Besitzthum auch war, so gewährte es ihm doch eine gewisse Selbstständigkeit, und hierhin hatte er beschlossen, seine junge Gattin zu führen und sich ein Asyl zu bereiten, wohin er immer, sei es auf Jahre, Monden oder auch nur Tage von seinem abenteuerlichen Leben und Kämpfen sich zurückziehen könne.

Aber seine offene und männliche Erklärung, seine Hoffnungen und Erwartungen stießen auf einen unvermutheten Widerstand.

Es war das junge Mädchen selbst, welche sich weigerte, seine Hand anzunehmen.

Die kleine Gouvernante machte kein Hehl daraus, daß ihr ganzes Herz mit aller jener Zärtlichkeit und Hingebung, deren grade die schüchternsten und zartesten Frauen fähig sind, ihm gehöre, und daß sie ihn wie ein Ideal, wie einen Halbgott verehre. Aber sie erklärte eben so, daß sie sich seiner nicht würdig fühle, daß sie sich ewige Vorwürfe machen würde, sein hoffnungsreiches, aufstrebendes Leben, dem die glänzensten Aussichten offen ständen, an ihr halbgebrochenes gefesselt zu haben.

Jenes traurige Ereigniß in Berlin, die tiefe untilgbare Schaam, die sie darüber empfand, die Anklagen mit denen sie sich marterte, warfen ihre schweren Schatten noch immer auf ihr Dasein.

Es bedurfte langer und schwerer Kämpfe, ehe es dem jungen Mann gelang, diesen Wiederstand zu besiegen und das arme, sich selbst mit seiner Liebe und Reue quälende Mädchen zu überzeugen, daß nicht die bloße Dankbarkeit oder eine flüchtige Neigung, sondern eine aufrichtige auf Erkenntniß ihres Werthes sich begründende Liebe und Achtung ihn an sie fessele und sie zu seinem künftigen Leben und Glück eine Notwendigkeit geworden sei.

Erst nach und nach, und nach Monaten gab sie diesen Widerstand auf, und es war im Monat März – an demselben Tage, an dem sie ihren gemeinsamen Freund, den kranken Preußen, zum ersten Mal hinaus in die helle Frühlingssonne geführt hatten – daß sie ihre Hand in die seine legte und ihm sagte, wenn er sie denn so haben wolle, wie sie sei, dann wolle sie als seine Frau ihr ganzes Leben ihm geben und bemüht sein, das seine zu erheitern.

So hatte sich der kecke kühne Abenteurer, ein bisher heimathloser Landsknecht der modernen Ideen, so recht eigentlich spießbürgerlich verlobt und zum Ehemanne gemacht.

Wenige Wochen darauf war die Hochzeit, nachdem der junge Kapitain noch auf seine kleine Besitzung gereist war, um dort Alles zur Aufnahme der jungen Frau in Bereitschaft zu setzen, und von Genua aus seinen alten Schützer und Freund auf seiner einsamen aber durchaus nicht von dem öffentlichen Leben und Treiben abgeschiedenen Insel besucht hatte.

Gleich nach der Trauung verließ das junge Paar Serrières. Der Kapitain hatte sich sehr ernstlich jede Einmischung des Vater Aimard verbeten und dieser war froh, seine Verwandte und den unerwünschten Gast auf diese Weise los zu werden.

An demselben Tage wollte der junge Preußische Edelmann als Gefangener nach Bern gehen.

Wir haben einiges Wichtige über das Verhältniß zu sagen, das sich zwischen ihm und seinem Gegner während dieser Zeit gestaltet hatte.

Er hatte lange und schwer an dem Gehirnfieber, das von dem gewaltigen Sturz ihn durchraste, krank gelegen, ohne zum Bewußtsein zu kommen. Mehr als einmal hatten die Aerzte, die Vater Aimard zu Hülfe gerufen, ihn aufgegeben, und nur seiner kräftigen ungeschwächten Natur war es zu verdanken, daß nach und nach eine Besserung eintrat.

Als er wieder zum' Bewußtsein zurückgekehrt, war der Namen seiner Mutter der erste, den er nannte. Wie in einem Traume schaute er auf den Mann, der neben seinem Bett saß, und erkannte erst nach längerer Zeit seinen Gegner, denn erst nach und nach kehrte ihm die Erinnerung des Geschehenen zurück.

Er blieb anfangs stumm und zurückhaltend, bis endlich das zarte sorgsame Walten des jungen Mädchens und die unablässige Sorge, die sein Feind ihm widmete, in seinem jedem edlen und hohen Gefühl offenen Herzen eine vollständige Reaktion hervorbrachte.

Otto von Röbel war es, der zuerst dem Gegner die Hand reichte und mit offenen männlichen Worten ihr Verhältniß zur Sprache brachte. Von da ab waren sie Freunde und mit jedem Tage wuchs diese Freundschaft und das Interesse an einander. Durch ein stillschweigendes Uebereinkommen blieben die Politik und die politischen Controversen stets von ihren Gesprächen ausgeschlossen und Jeder lernte, des Anderen Ueberzeugung achten.

Daß hierbei das junge Mädchen ihnen Allen unbewußt das vermittelnde Element, gleichsam der milde Engel des Friedens und der Versöhnung war, braucht wohl kaum erwähnt zu werden, und es wob sich ein Band um die Drei, das sie für's Leben verknüpfte und in dem nur das vierte Glied noch fehlte.

Mit dem höchsten Interesse horchte auf seinem Schmerzenslager und später in dem bequemen Sorgenstuhl des alten Aimard der Royalist der Erzählung all der abenteuerlichen Fahrten seines jungen Gegners in Südamerika, seiner Kämpfe in Italien und seiner romantischen Seefahrten vor und während des Krimkrieges. Mehr als einmal wurde in diesen Erzählungen der Namen und das geheimnisvolle Verschwinden der jungen Carmen von Massaignac erwähnt, und unwillkürlich hatte sich die Phantasie des Sohnes der märkischen Haiden ein Bild von dem kecken wilden Kinde der Pampas zusammen gewoben.

Während so die Zuhörer des Kapitains mit höchstem Interesse der wilden Romantik seines Lebens lauschten, hörte dieser wieder mit großer Aufmerksamkeit die Erzählungen des jungen Preußischen Edelmanns von dem stillen häuslichen Leben nicht ohne Sorgen und Leiden, aber auch mit den stillen und süßen Freuden der Familie geschmückt, auf dem einsamen Gute in der Mark. Der Kapitain kannte aus eigener Anschauung die handelnden Personen dieser kleinen Familienscenen, er hatte den starren aber ehrenhaften Charakter des alten Majors achten gelernt, er hatte sich mit aufrichtiger Schätzung vor der stillen weiblichen Würde und Milde, der Edelfrau gebeugt und auf das sanfte blasse Mädchen mit ihrem Liebesleid und ihrem stummen Gehorsam den Blick der Theilnahme geworfen. Freilich hatten ihm die andern Familienglieder die stolze und herrschsüchtige Anmaßung der Kammerherrin und der Leichtsinn des älteren Sohnes weniger behagt, aber trotz seiner Jugend bei jener seltsamen Erbschaftsmission nach Berlin war er durch seine Lebenserfahrungen doch schon befähigt gewesen, wahren Werth zu unterscheiden und zu erkennen.

Mit nicht weniger Interesse, als Otto von Röbel die romantischen Erinnerungen an die Bekanntschaft des Kapitains mit der jungen argentinischen Haciendera angehört hatte, folgten dieser und die Gouvernante den kurzen Andeutungen, die der junge Edelmann über die stille Liebe seiner Schwester zu dem Predigerssohn und ihre Trennung durch seine jugendlichen Verirrungen und die starren Ansichten des alten Familienhauptes gab. Obschon Kapitain François offen für die freien Rechte des Herzens und ihren Sieg über die Gewohnheiten und Vorurtheile der Gesellschaft in ihren Unterredungen kämpfte, vermied er doch Alles, was den Sohn in dem Vater verletzen konnte, und nur Elise – die in dem Schicksal der jungen Edeltochter Aehnlichkeit mit ihrer eignen Entsagung suchte, – beklagte offen das getrennte Paar und widmete ihm ihre ganze Sympathie.

Schon bevor der junge Brandenburger wieder auf dem Wege der Besserung war, hatte Kapitain Laforgne es übernommen, an seine Verwandten nach Berlin zu schreiben und ihnen das Unglück mitzutheilen, indem er ihnen zugleich die Versicherung gab, daß Alles, was Pflege und ärztliche Hilfe leisten könnten, aufgeboten sei, den jungen Wann zu retten. Bald waren denn auch Briefe, sowohl von der Kammerherrin als auch von den Eltern des Kranken eingetroffen, welche die tiefe Betrübniß der Familie aussprachen und um ferneren Beistand baten. Frau von Röbel wäre selbst sofort an das Lager ihres Sohnes geeilt, wenn nicht gerade ein eigenes Leiden und die Kränklichkeit des Majors sie an das Haus gefesselt hätten. Als der junge Mann sich so weit erholt, daß er selbst diktiren oder schreiben konnte, hatte er sofort die Seinen beruhigt und ihnen die liebevolle Pflege gemeldet, die er gefunden.

Wir haben bereits gemerkt, daß seine Genesung nur sehr langsam erfolgte und er sie wohl allein nur den glücklichen Verhältnissen seiner Pflege zu danken hatte. In dem Streit, der in Folge der royalistischen Erhebung in Neuchâtel und ihrer Unterdrückung zwischen der Krone Preußen und der Schweizer Regierung entstand, und während dessen bekanntlich die gefangenen in strenger Haft behalten wurden, hatten die Behörden zwar auch die Einlieferung des jungen Preußen in diese verlangt, doch war sie bisher immer umgangen und sein Name bei dem Prozeß deshalb nicht genannt worden, und als er jetzt selbst verlangte, sich zur Haft zu stellen und das Loos seiner früheren Gefährten zu theilen, that er den Behörden selbst keinen Dienst mehr, sondern bereitete ihnen nur bei dem Stande der Sache Verlegenheit, und man wies daher unter der Hand sein Erbieten ab mit der Andeutung, daß er so bald als möglich das schweizer Gebiet verlassen möge.

Die Aerzte hatten ihm erklärt, daß zu seiner völligen Wiederherstellung ein längerer Aufenthalt in milderem Klima unbedingt nöthig wäre und namentlich die Pyrenäenbäder des südlichen Frankreichs empfohlen. Seine Mutter und seine Schwester wollten ihn dahin begleiten und es wurde verabredet, daß er am Oberrhein mit ihnen zusammentreffen sollte.

Es war jene Zeit, als der traurige Vertrag zu Stande kam, durch welchen König Friedrich Wilhelm IV. seinen unbezweifelbaren, noch von den Großmächten in den Londoner Protokollen von 1852 anerkannten Rechten auf Neuchâtel und Valengin freiwillig entsagte, nur um den Treuen, welche bei jener unglücklichen Erhebung eingekerkert waren und deren Vermögen die demokratische Despotie konfisziren wollte, ihre Freiheit und ihr Eigenthum wiederzugeben. Zu ihren Gunsten verzichtete der König auf die von der Schweiz angebotene Geldentschädigung.

Wir haben oben bereits angedeutet, durch welche Verhältnisse die Akte vom 26. Mai 1857 veranlaßt wurde.

Nichts desto weniger bleibt sie ein schwerer Flecken auf der Manteuffel'schen Politik und ein tiefer Stachel in dem Herzen jedes Preußen.

Zwei Tage nach der Trauung und Abreise des feindlichen Freundes verließ auch Otto von Röbel sein bisheriges Asyl, wozu ihm der geheime Einfluß des Vater Aimard, dem seine Bemühungen reichlich vergütet worden, die nöthigen Papiere verschaffte, um bei Pontarlier die französische Gränze zu überschreiten. In Mühlhausen traf er dann mit Mutter und Schwester zusammen und wurde von ihnen zunächst nach Hyéres und dann in die Pyrenäenbäder begleitet.

So wohlthätig die milde Luft des Ligurischen Meeres und die kräftigende Bergnatur von Bagnère auch auf ihn wirkte, so bedurfte es doch fast eines Jahres, ehe die Aerzte ihn für völlig wiederhergestellt erklärten und seine Rückkehr in die nordische Heimath gestatteten. So lange verweilten auf die ausdrückliche Bestimmung des Majors Mutter und Schwester auch bei ihm und erst zu Anfang des Jahres 1858 traten sie die Rückreise an und waren in Paris angekommen, wo die drei Reisenden sich vierzehn Tage aufhalten sollten.

Hierhin auch hatten sich die beiden Freunde und Gegner, die sich seit der Trennung in Serrières nicht wiedergesehen, aber in Briefwechsel geblieben waren, ein Rendezvous gegeben, da Kapitain François ihm ohne jede weitere Andeutung über dessen Natur mitgetheilt hatte, daß ein Auftrag ihn zu dieser Zeit nach Paris führen und daß er auf ihren dringenden Wunsch seine kleine Frau mitbringen werde.

Auf diese Weise vereinigte, wie der Leser alsbald sehen wird, der Zufall oder vielmehr die Verkettung der Ereignisse die verschiedensten Gruppen unserer Erzählung.

Zwischen der kleinen Kapitainsfrau und dem deutschen Mädchen, das mehrere Jahre älter war als sie, hatte sich bald eine innige Freundschaft entsponnen. Auch die Majorin fand großen Gefallen an der jungen bescheidenen und nur einer fast abgöttischen Verehrung und Zärtlichkeit für ihren Gatten lebenden Frau, und die Damen machten täglich ihre Ausflüge und Ausgänge zusammen und sprachen mit Bedauern von dem nahenden Tage der Trennung.

Es war bald dem Freunde aufgefallen, daß der Kapitain häufig unruhig und zerstreut schien, ja daß er auffallender Weise den Zeitpunkt ihrer Abreise und Trennung nicht zu verzögern, sondern selbst zu beschleunigen wünschte. Otto traf häufig, wenn er unerwartet zu ihm kam, fremde Männer von finsterm ausländischem Aussehen bei ihm und wußte, daß Laforgne viel in den italienischen und polnischen Clubs verkehrte. Auch wurde der Kapitain selbst immer finsterer und ernster und gab sich nur zuweilen noch – wie eben bei dem Begegnen am Cirque – seiner früheren unbefangenen und frischen Laune hin. Fragen wollte der junge Edelmann auch den Freund nicht; denn er konnte sich leicht denken, daß der Ernst und die Verstimmung desselben mit politischen Verhältnissen zusammenhing, und bei ihrer so gänzlich verschiedenen Ansicht in diesen Dingen vermied er sorgfältig, das Gespräch darauf zu bringen.

Dagegen hütete er sich ebenso, auf die Andeutungen einer Beschleunigung ihrer Abreise einzugehen. Ein geheimes Interesse, das sich seines noch frischen und bisher so ruhigen Herzens bemächtigt hatte, fesselte ihn an Paris.

Dies war die Situation, in der wir unsere Darstellung der Szene vor dem Circus in den Elysäischen Feldern am Abend des 13. Januar 1858 wieder aufnehmen. – – –


Das abendliche Leben auf den Boulevards vor den Cafés und Theatern, wie in den elysäischen Feldern in Paris ist von allen Tageszeiten sicher das interessanteste.

Die Tausende von Gasflammen der öffentlichen Laternen und aus den Magazinen und Restaurationen verbreiten Tageshelle – nicht jene klägliche und spärliche Beleuchtung wie sie z.B. der Berliner Magistrat der Umgebung der großen Gebäude und Monumente der prächtigen Königsstadt bewilligt hat, sondern intensives, klares Licht, das durch keinen Schatten komischer Sparsamkeit unterbrochen ist.

In diesem Meer von Licht und Glanz bewegt sich die rastlose Menge. – Der Limonadenverkäufer ruft seine Erfrischungen aus, die Bilder- und Billethändler bieten ihre Waaren, die Fächerverkäuferinnen umschwärmen die Gäste der Café's oder die lange Chaine der Queue, die sich schon stundenlang vor Eröffnung der Theater über den Straßendamm dehnt – es ist Alles Leben, Bewegung, Lust und Licht.

»Voilà Pradier!«

Ein Kreis hat sich rasch um den Virtuosen im Stockspiel, den aller Welt in Paris bekannten Batonisten geschlossen. Er hat soeben das Rohr in vertikaler Richtung in der Luft gewirbelt zu einer Höhe, daß kein Gaslicht mehr da hinauf reicht, und mit langgestreckten Hälsen harrt der Ring der Gaffer des nächsten Augenblicks, wo der wunderbare Stock mit Blitzesschnelle gehorsam wieder herab und in die Hand auf den Rücken fährt, ohne daß der Batonist sich nur von der Stelle bewegt hat.

Die Galerie verlangt andere Kunststücke, die Gamins werfen ihre Mützen in die Luft und fangen sie mit gleicher Geschicklichkeit wieder auf, obschon sie dessen kaum noch werth sind, klappern mit Würfeln statt den Sousstücken in der Tasche und erklären, der ehrenwerthe Bourgeois vor ihnen, der eben mit seiner Gattin auf den zweiten Platz des Circus sich drängen will, werde sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, Monsieur Pradier in seiner Unübertrefflichkeit zu bewundern, und der Bourgeois bleibt in der That stehen, obschon ihn seine bessere Hälfte zwickt und stößt, um mit ihrer neuen Mantille aus dem Gedränge zu kommen. Es ist so angenehm, Maulaffen feil zu halten und der echte Pariser thut Nichts lieber als das. An Neugierigen fehlt es nie und die Einnahme ist gesichert.

»Meine Damen und Herren – merken sie auf, wie ich diesen Stock auf meiner Nasenspitze balancire. Ich werde zwei Sous auf das andere Ende des Stocks legen, ich gebe ihm einen leichten Stoß und die zwei Sous fallen in meine Westentasche. Aber meine Herren – bemerken Sie wohl, dazu gehören zunächst die zwei Sous. Haben Sie die Güte, Monsieur, sie mir zu leihen!«

Er hat sich an den dicken Bourgeois aus dem Marais gewendet und dieser beeilte sich trotz des ehelichen Kniffs in seinen Arm das Portemonnaie zu ziehen und die verlangten zwei Sous auf dem Altar der Kunst zu opfern.

Die Großmuth sollte nicht unbelohnt bleiben; zum Staunen des Kunstmäcens und unter dem Enthusiasmus der Menge verschwanden in der That die zwei Sous in der rechten etwas weitläuftigen Westentasche des Künstlers auf Nimmerwiedersehen.

»Nun, meine Damen und Herren, wollen wir bei solchen Kleinigkeiten nicht stehen bleiben. Ich werde die Ehre haben, Ihnen zu beweisen, daß ich auch fünfzig Sous auf die Spitze meines Stockes legen kann und diesen in Gleichgewicht auf der Spitze meiner Nase halten werde, ohne daß diese Nase eine andere wäre, als die gewöhnlicher Menschenkinder. Sie, mein Herr, zum Beispiel,« er wandte sich wieder an den Bourgeois, – »obschon der Himmel Sie gewiß zum Vergnügen Ihrer Frau Gemahlin nach Juvenal mit dieser Zierde des menschlichen Antlitzes in recht großmüthigem Maaße gesegnet hat, würden es dennoch nicht fertig bringen. Aber überzeugen Sie sich – ich gebe fünfundzwanzig Sous dazu – leihen Sie die andern fünfundzwanzig.«

Diesmal schien der Bourgeois weniger Lust oder Neugier zu empfinden; zwei Sous hatte er geopfert und sie ohne zu große Gewissensbisse in dem mer noirs, wie Pradier seine Tasche nannte, verschwinden lassen, aber fünfundzwanzig schien ihm doch ein zu großes Opfer und er begann dem Drängen seiner Frau Gemahlin Gehör zu schenken, als eine kräftige Faust über die Umstehenden langte und ihn derb auf die Schulter schlug.

»Sacre bleu, alte Gurke!« sagte eine kräftige Stimme, »ein Sergeant und nächstens Lieutenant des fünften Bataillons der Nationalgarde von Paris wie Meister Pellereau, der Bandhändler, wird sich nicht lumpen lassen, wo es gilt, der Nation ein Vergnügen zu machen! Hier sind die zwei Sous eines armen Teufels von Arbeiter als Beisteuer.«

So bei seiner Eitelkeit und in Gegenwart von Personen, die ihn offenbar kennen, kann der ehrliche Bandhändler nicht widerstehen und greift nach seinem Portemonnaie um ein Vierzigsousstück als Beisteuer heraus zu holen – aber sein Gesicht verlängert sich plötzlich, seine Hände suchen krampfhaft in allen Taschen.

»Aber ich bitte dich, Pierre mache ein Ende, oder wir versäumen den Anfang. Was suchst du denn?«

»Madame – man hat mich bestohlen – mein Portemonnaie ist fort – man rufe die Polizei!«

Ein allgemeines Gelächter antwortet ihm und den sehr geläufigen Redensarten, mit denen Madame ihren unglücklichen Ehegatten zu regaliren beginnt. »Die Polizei? Um einer solchen Bagatelle willen? Warum paßt er nicht auf sein Geld! Pour la mer noire

Der würdige Bourgeois entzieht sich grollend dem Haufen der Spötter und führt mit möglichst langen Schritten seine Gattin davon, die darauf besteht, den Kommissär des Quartiers herbeiholen und am liebsten die ganze Versammlung vor dem Circus visitiren zu lassen. Mit dem Besuch der Vorstellung ist es für heute natürlich nichts.

Aber bevor der würdige Bandhändler noch die nächste Allee erreicht hat, denkt schon der ganze Haufe nicht mehr an ihn. Alexandre, der berühmte Alexandre mit seinem Karren, der vielleicht etwas dem Triumphwagen seines großen macedonischen Namensvetter gleicht, ist eben herangefahren und preist seine unvergleichlichen Bleistifte an. Ihm folgt der alte Stelzbein Barbadier mit seinem humoristischen Pudel, der den Tornister auf dem Rücken und eine Czako auf dem Ohr trägt und auf Kommando sich erschießen läßt. »Garde à vous peleton!« Der Pudel dramatisirt einen Soldaten, der sich im Wirthshaus betrunken hat und deswegen desertirt ist. Man verliest ihm die Anklageakte und das Urtheil. Die Nachricht, daß er die Marketenderin betrogen, die dem vieux lapin pumpte, erregt allgemeinen Unwillen. Der Verräther verdient den Tod und Barbadier lehnt den Delinquenten mit einer rührenden Anrede an den nächsten Baumstamm oder Zeltpfahl. Dann kommt ein altes Reiterpistol zum Vorschein, das vier Mal versagt, ehe es den »Deserteur« todt schießt. Während Stelzbein die Beiträge zum Begräbniß einsammelt, faßt plötzlich die Hand eines unbemerkt herangekommenen Mannes einen elegant gekleideten Herrn beim Kragen.

»So mein Vögelchen! das heißt auf der That attrapirt. Allons nach der Wache.«

Der ertappte Dieb läßt die geschickt von ihrer Kette abgeschnittene Uhr und die scharfe Zange zwar auf die Erde fallen, indeß der Beweis ist zu eclatant, man findet in seiner Tasche noch das Portemonnaie des Bandhändlers und als er jetzt gleichfalls unter dem Spott der Menge abgeführt wird, macht sich Azor, der unterdeß längst wieder zum Leben gekommen ist, noch das Vergnügen, den beschämten Taschenleerer in die Wade zu beißen.

»Sie da Herr von Reubel – es scheint, daß Sie Interesse für Volksscenen haben; dann haben sie in der That den richtigen Ort gewählt.« – »Herr Graf, ich bin erfreut, Sie zu sehen!« Es ist der Obrist Graf Montboisier, der mit zwei Fremden zu ihm getreten. Der junge Mann hat die Karte seines Bruders vor einigen Tagen bei ihm abgegeben und ist von der gewöhnlichen Courtoisie der Franzosen sehr artig empfangen worden.

»Erlauben Sie, Monsieur de Reubel, daß ich Sie zwei Freunden vorstelle. Se. Herrlichkeit der Lord Viscount von Heresford, den ich vor fünf Monaten in der Gesellschaft eines arabischen Mollah verließ, und hier Kapitain Peard, eine ehemalige Zierde der britischen Armee. Sie können sich freuen, zu dieser Zeit nach Paris gekommen zu sein; denn die Anwesenheit Se. Herrlichkeit verbürgt Ihnen, daß uns interessante Dinge bevorstehen.«

»Bah«, sagte der Lord – »Sie übertreiben. Mein Freund der Bierbrauer Stansfeld hat mir ganz einfach geschrieben, im Januar ihn in Paris zu treffen.«

»Mylord und Herr Kapitain – ich habe die Ehre Ihnen Herrn von Reubel vorzustellen, einen jungen Preußen der in der Schweiz bei irgend einem kühnen Wagniß verwundet wurde und unser provencalisches Klima zu seiner Wiederherstellung benutzt hat. Ich verdanke die Ehre seiner Bekanntschaft meiner frühern Freundschaft mit seinem älteren Bruder. Sie werden sich erinnern Mylord, desselben Offiziers, der an jenem Decemberabend mit uns Ihre Loge in der Opera comique benutzte und bei jenem famosen Duell mit dem Banquier Miron zum Secundanten unsers armen Fromentins bestimmt war.«

»Yes« – ich erinnere mich, – er wurde ja wohl von dem Katakombenwächter halb ermordet und beraubt. Mein Herr es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen; Ihre Familie scheint zu Abenteuern zu incliniren und Sie müssen mir das Ihre bei Gelegenheit erzählen. Aber à propos Graf, da Sie den Namen Miron nannten, – haben Sie Nachrichten aus Algier? Ich sagte Ihnen bereits, daß ich über Tunis zurückgekommen bin.«

»Der Bruder des Matadreo ist nach langer Krankheit genesen, er ist unter die Zuaven getreten.«

»Und der Ansiedler – wie hieß er doch gleich?« – »Renaud Samson Mylord, der Sohn jenes Katakombenmannes. Dank Ihrer Großmuth besitzt die Familie jetzt eine sichere Ansiedlung, die sie reichlich nährt.«

»Ah – ich frug nicht danach – sondern wie es ihm geht!«

»Gut Mylord, ich erhielt vor vierzehn Tagen noch einen Brief von Kapitain Delille. Die Soldaten des Forts und die Ansiedler treffen sich oft an dem Grab im Thale der sieben Palmen.«

»Goddam – ich bin damals um eine schöne Beobachtung gekommen« näselte der Kapitain.

Der Lord zuckte leicht die Achseln. »Was ich Sie eigentlich bei jenem Namen fragen wollte – was ist aus der Marquise geworden, der Miron?«

Der Graf lachte. »Was aus allen alten Koketten wird, Mylord – eine Betschwester. Sie hat so viel Unheil in ihrem Leben angerichtet, daß sie endlich glaubt, sich mit dem Himmel versöhnen zu müssen. Ihr einziges weltliches Interesse sind noch die Zänkereien mit Monsieur le Marquis um ihr Vermögen, das sie gern den frommen Stiftungen in den Hals stecken möchte, wovon Massaignac nichts wissen will. Aber sehen Sie, da kommt der Wagen des Fürsten Trubetzkoi, den Sie ja kennen. Der Narr bildet sich wirklich ein, die Rositta halte ihn für mehr als ihren Lakaien.«

Eine glänzende Equipage rasselte heran; ihr folgte auf der Spur ein zweiter Wagen.

Auf dem Trittbrett der ersten Equipage stand der lange Kosak Petrowitsch. Er sprang eilig herunter und öffnete den Schlag.

»Hier Batuschka. Will ich nehmen die kleine Durchlaucht, Gospodina, gnädigste Fürstin, daß ich ihn trage hinein.«

Der Knabe hing bereits an seinem Halse und raufte seinen Bart. »Hei Petrowitsch, wie freu ich mich, die Reiter zu sehen. Morgen spielen wir Kunstreiter und du bist das Pferd!«

Der Fürst war langsam mit Hilfe seines Stocks und der Diener aus dem Wagen gestiegen. Er wandte sich um und hob die Hand, als wolle er der Dame, die noch im Wagen sah, helfen.

Es war natürlich nur eine Geberde der Höflichkeit. Die Fürstin – denn diese war es, – lehnte mit einer kalten Bewegung den Dienst ab, und sprang leicht und rasch mit jener Grazie und Energie, die ihre Jugend ausgezeichnet hatte, auf den Boden.

»Valga me dios – eine schöne Frau. Ich habe niemals ein so hochmüthiges Leiden auf einem Gesicht gesehen. Sehen Sie die kleine Person dort?«

Die Frage des Grafen galt einem Mädchen, das in auffallender Toilette an der Hand eines Mannes aus dem zweiten Wagen gestiegen war, diesem einen feurigen Blick zuwarf und dann zu der Fürstin sprang.

»Soll ich Dimitri nehmen, Herrin!«

»Laß ihn Petrowitsch hineintragen, er hängt an ihm. Sie sehen daß ich warte!«

Die Bemerkung, in dem kältesten hochmütigsten Tone gesprochen, galt dem Fürsten, der mit gemeiner Nonchalance die Dame negligirend, eben dem Grafen Montboisier freundlich zunickte.

»Verzeihen Sie Madame, ich bin zu Ihren Diensten. Ich glaubte nur, Ihr Faktotum wäre bereits an seinem Platz!« Er reichte mit einem malitiösen Lächeln seiner Gemahlin den Arm und hinkte mit ihr in den Eingang.

Die Gesellschafterin oder Dienerin der Fürstin sah ihren Begleiter an, als erwarte sie einen gleichen Dienst von ihm. Dieser aber wies ruhig und kalt nach dem Eingang der Kasse.

»Ist es Ihnen gefällig, Mademoiselle Tunsa?« Ein Blitz voll Leidenschaft und Schmerz sprühte aus den Augen des Mädchens, dann eilte sie der Gebieterin nach, während der Mann langsam folgte.

In diesem Augenblicke war der Blick des jungen Preußen auf ihn gefallen und sah ihn erstaunt und aufmerksam an.

»Um Himmelswillen – Rudolph ...«

Der Secretair der Fürstin Trubetzkoi war bereits im Eingang verschwunden. Ehe er ihm nacheilen konnte, fesselte eine Bemerkung des Grafen seine Schritte.

»Parbleu – es soll eine magyarische oder russische Zigeunerin sein, aber Feuer hat die Dirne, wie eine andalusische Tänzerin. Sie ist die Maitresse des Fürsten und vermag Alles über ihn. Die Fürstin duldet sie und soll sogar in einem freundlichen Verhältniß zu ihr stehen. Die Dame ist zu kurze Zeit erst von ihren ungarischen Gütern oder ihrer Villa am Garda-See hier eingetroffen, um darüber schon Details erfahren zu können. Nur soviel erzählt die böse Welt bereits, daß die Fürstin ihrem gichtbrüchigen Gemahl gern ihre Gesellschafterin leiht, weil er selbst beide Augen zumacht in Betreff des Erziehers oder Gouverneurs seines Sohnes!«

»Des Herrn, der aus dem Wagen stieg?«

»Ja wohl – es ist ein Landsmann von Ihnen Monsieur de Reubel und die Fürstin ist nie ohne ihn zu sehen. Die Fürstin Trubetzkoi lebt für gewöhnlich getrennt von ihrem Gemahl, und der Fürst in seinem Egoismus hat sich längst zur Höhe der pariser Gesellschaft aufgeschwungen und macht seine derben Witze über den Cicisbeo – nur nicht in ihrer Gegenwart, denn sie soll ein wahrer Teufel sein, wenn sie zornig ist. Bah – die Civilisation schreitet fort, – Sie wissen, nach dem Code Napoleon deckt die Heirath Alles und Sie werden in der guten Welt von Paris wenig Ehen finden, wo man nicht sehr kommunistisch denkt und über die kleinbürgerlichen Ansichten spottet.«

Das Blut war dem jungen Edelmanns auf die Stirn gestiegen – es war ihm, als krampfte sich sein Herz zusammen, und der Fuß, der schon gehoben war, um dem Freund seiner Jugend nachzueilen, blieb an den Boden gefesselt.

»Arme Rosamunde!«

Der Seufzer entschlüpfte unwillkürlich seinen Gedanken, seinem Munde.

Wie fest hatten sie Alle auf diesen Mann vertraut, wie treu seiner gedacht, wenn auch der strenge Befehl des Vaters jede Verbindung mit ihm abgebrochen und sie nur selten von ihm gehört hatten. Er wußte, daß das Herz seiner Schwester treu und fest an ihrer Jugendliebe hing, obschon die Rosen der Jugend längst gebleicht waren und ihre Wangen nur die Farbe ihres stillen Leids trugen.

Und jetzt war der Mann, auf dessen Treue und Redlichkeit auch bei seinen Verirrungen im politischen Kampf sie stets gebaut hatte, unwürdig dieser frommen und stillen Liebe.

Jeden Augenblick mußten seine Mutter und Schwester eintreffen. Wie leicht mußte sie ihn im Circus bemerken!

Gern hätte er ihr diesen Schmerz, dieses Aufreißen der alten Wunde erspart. Rudolph Meißner hatte sich, seit er ihn zum letzten Mal gesehen, und das waren jetzt fast acht Jahre, sehr verändert; er war ein Mann geworden, geprüft in den Stürmen des Lebens. Dennoch hatte er ihn sofort wieder erkannt und überdies benahmen ihm die Worte des Grafen jeden Zweifel; denn er wußte von seiner Mutter, daß der ehemalige Student als Erzieher und Secretair in dem Hause des russischen Fürsten lebte. Sicher war das Auge der Liebe nicht weniger scharf als das seine, und es konnte kaum anderes kommen, als daß Rosamunde den Mann ihrer freien Neigung, der ihrer unwürdig geworden, erkannte, erkannte an der Seite der Frau, um die er sie vergessen.

Er sann hin und her, wie er diese Begegnung vermeiden sollte – es war auf der andern Seite unmöglich, die beiden Damen nicht eintreten zu lassen, und sie zurück zu schicken.

Endlich glaubte er ein Auskunftsmittel gefunden zu haben, er erinnerte sich, daß er das Opernglas der Damen bei sich habe und daß seine Schwester etwas kurzsichtig war. Wenn er verhindern konnte, daß sie sich eines andern Glases bediente, etwa dessen der kleinen Kapitainsfrau, und der Zufall die Familie des Fürsten nicht allzu sehr in ihre Nähe placirt hatte, durfte er hoffen, daß sie wenigstens den Unwürdigen nicht erkannte; das Andere wollte er schon verhindern.

Das Gespräch der Gesellschaft hatte indeß längst den Gegenstand verlassen.

»Sie erwähnten vorhin den Namen Stansfeld Mylord« frug der Graf. »Ist das derselbe, der bei dem Prozeß gegen Tibaldi und Bertolotti wegen der Verschwörung gegen das Leben des Kaisers als einer der Vertrauten Mazzinis eine Rolle spielte?«

»Ich habe Signor Mazzini mehrmals in Walsam Grenn bei ihm gesehen.«

»Dann möchte ich dem reichen Brauherrn doch nicht rathen, sich in Paris blicken zu lassen. Pietri versteht in dieser Beziehung keinen Spaß.«

»Bah – Ihr Herr Pietri ist ein Maulwurf, der nicht sieht, sonst würde er wissen, daß Paris in diesem Augenblick mit Italienern angefüllt ist. Ich wette darauf, daß Plonplon in Island besser unterrichtet ist, als Ihr Senator und Polizeipräfekt. Die pariser Polizei wird sich hüten, einen Engländer von dem Ansehen des Master Stansfeld zu belästigen, sonst hätte sie gewiß längst mir den Eintritt über die französische Grenze verweigert.«

Der Oberst lachte. »Oh, mit Ihnen, Mylord, ist es ein Anders. Sie haben seit vielen Jahren das Privilegium, alle Dinge zu machen, die andere Leute nicht thun dürfen. Man weiß daß Euer Herrlichkeit...«

»Ein Narr sind«, vervollständigte der Lord freundlich nickend und sich die Hand reibend, die Rede. »Sprechen Sie es immerhin aus, Graf, ich betrachte es als ein Compliment.«

»Ich wollte Excentric sagen, Mylord,« sagte der Oberst mit einem halben Lächeln, »doch bin ich nicht genug Engländer, um die feineren Unterschiede zwischen Bedlam und dem Club der Gentlemen zu würdigen, die Euer Herrlichkeit nacheifern.«

Der Lord lachte. »Das war tüchtig gegeben, haben Sie es gehört Peard? – Aber der Mann hat für nichts Sinn, als für die Akrobaten dort, weil er hofft, der Kerl, der auf der Seite der dreistöckigen Menschenpyramide steht, werde herunterfallen und den Hals brechen, – doch Goddam my eyes, wenn ich länger hier stehn bleibe, um auf Herrn Louis Napoleon zu warten.«

»Sie warten auf den Kaiser Mylord?«

»Gewiß!«

»Aber dann warten Euer Herrlichkeit vergeblich – der Kaiser wird nicht erscheinen,«

»Damned! weshalb sind denn diese Maulaffen von Polizisten und Gardisten da?«

»Ihre Majestät die Kaiserin wird allein den Circus besuchen. Es ist erst vor einer halben Stunde bestimmt worden, da auf heute Ministerrath angesagt ist.«

An dem Baumstamm unfern dessen die Gesellschaft stand, lehnte ein wandernder Cigarrenkrämer, ein langer hagerer Kerl mit grauem Bart und sehr verkommenem Aussehen, der mit heiserer Stimme die Vorübergehenden von Zeit zu Zeit einlud, von seinen schlechten Regiecigarren, die er als echte Importados anpries, zu kaufen, oder ihnen für zwei Centimen das Feuer seines Lämpchens anbot.

Der Mann schien die Worte des Kammerherrn gehört zu haben, denn er machte eine leichte Bewegung, sah scharf nach der Gruppe, und ein aufmerksamer Beobachter würde bemerkt haben, daß bei der Nachricht des Grafen der Alte eine Geberde des Aergers nicht hatte unterdrücken können.

Eine zufällige Bewegung der Sprechenden in Folge eines anfahrenden Wagens trennte sie jedoch in diesem Augenblick von dem Cigarrenhändler.

»Aber warum sind die Wachen dann im Dienst?« frug der Lord.

»Ich sagte Ihnen bereits, daß Ihre Majestät die Kaiserin kommen wird. Wenn Sie jedoch morgen die große Oper besuchen, Mylord, werden Sie sicher Gelegenheit haben, den Kaiser zu sehen. Ich weiß, daß er morgen die Oper besuchen wird.«

»Ich werde kommen!«

Wiederum stand der Cigarrenhändler in der Nähe der Gruppe durch ein geschicktes Manövre.

»Wollen wir eintreten – ich bin nicht im Dienst, habe also nicht auf die Ankunft der Kaiserin zu warten.«

»Cigarren Messieurs! Echte Miraflores direkt aus der Havannah von der hohen Regie importirt! Sie haben noch Zeit eine zu verrauchen, ehe die Vorstellung beginnt.«

»Pfui Teufel, – geht uns mit der Regie vom Hals – wir kaufen nur geschmuggelte Waare. Kommen Sie mit uns Monsieur de Reubel?«

Der junge Preuße hatte auf ein Blatt seiner Schreibtafel einige Zeilen geworfen und dieses ausgerissen.

»Ich will meine Mutter und Schwester erwarten, die jeden Augenblick kommen müssen. Doch bitte ich Sie um eine Gefälligkeit Herr Graf.«

»Befehlen Sie!«

»Der Kapitain Laforgne hat die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein!« »Gewiß. Der kecke Garibaldiner ist eine zu interessante Persönlichkeit, als daß man ihn nicht kennen sollte, obschon er sich diesmal bei Hofe noch nicht vorgestellt hat.«

»Er sitzt auf der dritten Bank rechts; – neben ihm sind zwei Plätze leer. Wollen Sie die Güte haben, durch einen der Logendiener ihm dies Billet reichen zu lassen?«

»Mit Vergnügen. Ich hoffe Sie später noch im Stall zu sehen. Wenn es Ihnen gefällig ist, Mylord, – aber Valga me dios! Sie werden doch keine Regie-Cigarre rauchen?« »Warum nicht? Ich habe unter den Indianern schon schlechtern Tabak geraucht.«

Der Lord hatte unter den Cigarren des alten Händlers hin und her gewühlt und dabei mehrmals dem Mann scharf ins Gesicht gesehen. Aber die tiefen gefurchten Züge desselben blieben unverändert.

Der Brite hat zwei oder drei Cigarren gewählt und warf dem Händler ein Sovereign in den Korb. »Was für Wetter wird es morgen geben, Alter,« frug er leichthin. »Ihr kennt die Pariser Athmosphäre und müßt es wissen?«

»Gutes Wetter, Monsieur – ohne Zweifel!«

»Damned – ich hoffe auf Sturm, weil die Sturmvögel fliegen. – Euer Bart hat sich an der rechten Seite etwas verschoben, Alter,« fügte er mit gleichgültigem Tone auf Englisch hinzu – »bringt ihn in Ordnung. – Adieu!«

Er trat zu seinen Gesellschaftern. »Wollen wir hineingehen? Sie sehen, ich habe einen guten Handel gemacht, Graf. Drei merkwürdige Cigarren für einen lumpigen Napoleon. Wir wollen sie im Circus rauchen und wetten, ob die Pferde es lange aushalten!«

Er hatte die Cigarre angebrannt und ging, den jungen Preußen mit steifem Kopfnicken grüßend, nach dem Eingang des Circus.

Der Oberst lachte. »Eure Herrlichkeit sollten nicht vergessen haben, daß in den Pariser Theatern, nicht geraucht werden darf. Sie mußten sich deshalb einmal mit fünf Polizeidienern herumboxen.«

»Yes!« sagte der Lord vergnügt, »aber ich warf sie Alle zur Loge hinaus.«

»Das ist wahr – aber Sie brachten die Nacht dafür unter Spitzbuben und Gesindel im Präfecturgefängniß zu, bis am andern Morgen durch Ihren Kammerdiener Ihre Person reclamirt wurde.«

»Yes, yes! ich habe ihn zum Teufel geschickt wegen seiner unberufenen Einmischung. Man muß Alles probiren, und ich habe in der Gesellschaft ganz interessante Bekanntschaften gemacht.« Er blies dem Sergeant de Ville, der am Eingang des Circus stand, den Rauch in's Gesicht und trat ein.

Der Aufsichtsbeamte, deren Rücksichtnahme und Höflichkeit in Paris ein Muster für alle Polizei der Welt sein könnte, drehte sich um, als bemerke er Nichts – er hatte auf den ersten Blick einen Engländer erkannt und überließ es dem Publikum, sich mit ihm auseinander zu setzen.

Der Alte mit den Cigarren war unterdeß an den Preußen herangetreten. »Monsieur, darf ich es wagen, eine Frage an Sie zu richten?« fragte er höflich.

»Was beliebt – ich bedarf keiner Cigarren!«

»Oh, Monsieur, ich wage auch nicht, sie Ihnen anzubieten. Der Herr, der bei Ihnen war, der Monsieur Englishman hat mich so vortrefflich bezahlt, daß ich mir und meiner armen Familie einen guten Tag machen und noch die Miethe dazu bezahlen kann. Es ist Gold, ich habe in meinem ganzen Leben noch keins in der Hand gehabt, und bin doch ein Vater von sechs lebenden Kindern, von denen drei in der Armee Seiner Majestät des großen Kaisers Louis Napoleon dienen. Ich möchte mich deshalb nicht gern beim Wechseln von einem dieser Halunken von Wirthen über's Ohr hauen lassen. Sie haben ein ehrliches Aussehen, mein Herr, deshalb bitte ich Sie, mir zu sagen, ob dies wirklich Gold und wie viel es werth ist in Franks und Centimen?«

»Es ist ein englischer Sovereign, mein Alter, und gilt, so viel ich weiß, 24 Franks und etwa 70 oder 75 Centimes.«

»Fünfundsiebenzig, Monsieur, fünfundsiebenzig! es ist immer besser, man nimmt die höchste Summe. Ich danke Ihnen unendlich, Monsieur. – Dieser Mylord ist in der That ein generöser Kerl, obschon er ein Engländer ist. Ich bedauere nur, daß ich den Kaiser nicht sehen werde, indem ich mich jetzt mit meinem Reichthum zu meinem kranken Weibe zurückziehe.«

»Darüber brauchen Sie sich nicht zu grämen – der Kaiser wird nicht erscheinen, nur die Kaiserin.«

»Pesth!Das ist fatal! ich hätte ihm so gern meine Reverenz gemacht! Wissen Sie gewiß, daß er nicht kommt?«

»Ganz gewiß!«

»Das thut mir leid – es war eine so schöne Gelegenheit, ihm einen Wink wegen meiner drei Jungen zu geben, sie avanciren zu lassen. Aber vielleicht kommt er morgen?«

Der Preuße mußte unwillkürlich lächeln über die Naivetät des Bettlers, denn etwas Besseres war der Mann kaum. »Sie würden sich auch morgen vergebliche Hoffnung machen, mein Freund,« sagte er, »denn ich habe so eben gehört, daß der Kaiser und die Kaiserin morgen die große Oper besuchen werden.«

»Pardieu – das wäre vortrefflich für meine drei Jungens, um Sergeanten zu werden. Ich danke Ihnen für diese Nachricht, mein Cavalier. – Das ist Alles, was wir brauchen – die Nachricht ist gut,« fuhr er leise fort, als er sah, daß der Mann, den er angeredet, sich rasch entfernte und auf einen eben haltenden Fiakre zuging, aus dem er zwei Damen hob – »Graf Montboisier ist keine schlechte Quelle, und es läßt sich darauf zählen. Allons – wir wollen die Parole ausgeben, denn das Warten ist unnütz. Aber zuvor will ich doch den Wink Seiner Herrlichkeit benutzen – der Teufel hole seine Augen! Hätte Herr Pietri sie zur Hälfte so scharf, sein alter Correspondent wäre sicher nicht in Paris!«

Mit dem Ruf: »Cigarres, Messieurs – echte Millaflores, direkt von meinem Agenten in der Havannah!« schlenderte er durch das Publikum, bot hier seinen Kasten und ward dort von einem Sergeant de Ville fortgewiesen. Dabei waren seine tiefliegenden Augen in scharfer Thätigkeit und blitzten überall umher, bis er einem noch ziemlich jungen, elegant aber verlebt aussehenden Mann mit scharfen sarmatischen Zügen begegnete.

Der Cigarrenhändler schnalzte im Vorübergehen in einer eigenthümlichen Weise mit der Zunge und setzte seinen Weg nach einer einsamen Stelle der großen Promenade fort.

Der Andere hatte, ohne es auffallend zu machen, gleich darauf sich gewendet, und war ihm gefolgt.

Als er ihn in der einsamen Allee erreichte, klopfte er ihm vertraulich auf die Schulter und machte das gleiche Zeichen.

»Reicht mir einmal Eure Hand, alter Bursche.«

Der Cigarrenmann gab sie ihm mit einem besonderen Druck.

»Alles recht,« sagte der Pole, »aber man kann nicht vorsichtig genug sein. Habt Ihr das Wort?«

»Ora!«

»E sempre!«Jetzt – und immer! erwiederte der Cigarrenmann. »Haben Sie viele Brüder Ihrer Venta gesehen?«

»Alle, die ich kenne, sind auf ihrem Posten.«

»Dann sagen Sie ihnen sogleich, die Umgebung des Circus zu verlassen, die Sache ist aufgeschoben.«

»Verzeihen Sie, bemerkte der Pole schon etwas höflicher, »aber ich kenne weder Ihre Person, noch Ihren Grad, und das dürfte bei dem meinen doch nöthig sein, ehe ich Befehle empfange.«

»Sie sind der Graf Hippolyt von Kraczynski?«

»Ich sehe, Sie kennen mich.«

»Sie sind Hauptmann der ersten Legion in der vierten Venta?«

Der Graf bejahte.

»Kennen Sie die Losung der dritten?«

»Nach Allem, was Sie mir gesagt haben, müssen Sie wissen, daß den Führern das Recht zusteht, das Wort des nächst höheren Grades zu kennen.«

»Richtig. Nun wohl.«

Der Cigarrenmann machte ein Zeichen mit dem Daumen über Kinn und Brust und sprach leise zwei italienische Worte aus.

Der Pole gab sofort die nachlässige, vertrauliche Stellung auf, die er bisher bewahrt, trat einen Schritt zurück und verbeugte sich.

»Sie haben das Recht zu befehlen. Haben Sie weitere Ordres?«

»Lassen Sie die unteren Grade in gleicher Weise benachrichtigen. In einer Stunde müssen die Elysäischen Felder geräumt sein.«

»Sogleich!«

»Zunächst – sehen Sie die Bude der Seiltänzer dort drüben?«

»Ja wohl!«

»Auf der linken Seite am sechsten Baum werden Sie ein Kind, ein Mädchen, das Blumen verkauft, finden. Sagen sie ihr, sie solle sofort den Mann aus der Montauban-Straße suchen und ihm sagen: Paris ist eine schöne Stadt!«

Der Pole verbeugte sich. »Es wird sofort geschehen. Haben Sie sonst Befehle? Darf ich fragen, ob wir uns für einen andern Tag bereit zu halten haben?«

Der Cigarrenhändler erwiederte die Frage mit einer anderen. –

»Sie werden heute noch den Salon des Fürsten Czartoriski besuchen?«

»Gegen Mitternacht.«

»Sie werden die Parole dort finden. Wie viel Mann hatten Sie heute in den elysäischen Feldern?

»Hundert zwei und siebenzig. Ein großer Theil entschlossene Soldaten von Achtundvierzig, die unter General Miroslawski den Feldzug in Posen mitgemacht.«

Wäre es nicht Nacht gewesen, der Sprecher hätte das spöttische Lächeln sehen können, das bei dem Namen des polnischen Gaskogners, dem »Pistol« der Revolution, über das strenge Gesicht seines Genossen flog.

»Es ist gut – ein Jeder an seinem Platz. Vor Allem Schweigen, mein Herr – Sie kennen Ihren Eid und es gilt die Zukunft Ihres Vaterlandes. Sobald der Prinz an der Spitze der französischen Republik steht, ist der Fürst Czartoriski König des freien Polens. Jetzt Herr Graf auf Ihren Posten!«

»Sgie Polska! Wenn man uns Wort hält, Monsieur, sind wir bereit, mit unserm Blut jede Meile zwischen hier und Warschau zu tränken oder unsere Leiber auf den Barrikaden von Paris zu lassen. Leben Sie wohl, Bundesbruder, Ihre Befehle sollen sogleich erfüllt werden.«

Er verschwand mit hastigen Schritten in der Allee.

Der Cigarrenmann sah ihm einige Augenblicke nach. »Er ist von dem Holz, das wir brauchen,« murmelte er. »Polen, Ungarn und Italiener – es müßte seltsam gehen, wenn die Trikolore nicht die Welt in Flammen setzen sollte. Jetzt gilt es vor Allem, Felicio zu überwachen, daß er keine Thorheit macht, wenn die Wagen der Kaiserin kommen.«

Er hatte einen Handspiegel aus der Tasche genommen und kontrollirte sorgsam beim Schein der nächsten Laterne in diesem seine Maske. Dann, nachdem er den grauen Bart wieder in Ordnung gebracht, begab er sich auf's Neue in die belebteren Theile der Allee, in die Nähe des Circus.

Zwei Mal noch sprach der alte Cigarrenverkäufer Personen von verschiedener Lebensstellung an, das eine Mal einen Offizier, das zweite Mal einen Arbeiter in der Blouse, ließ sie an einsamere Stellen folgen und unterhielt sich einige Augenblicke mit ihnen.

Sie verloren sich sofort in der Menge.

Es hätte einem scharfen Beobachter auffallen können, daß, als der Cigarrenhändler wieder unfern des großen Eingangs des Circus Platz genommen, die frühere Menge der Neugierigen und Gaffer sich bedeutend gelichtet hatte. Nach wenigen Minuten war kaum die Hälfte noch anwesend.

In diesem Augenblicke hörte man die Avenue vom Place de la Concorde her den scharfen Trab einer Reiterkolonne.

Sofort trieben die Polizeibeamten das Publikum auseinander und öffneten eine breite Gasse. Die matten überbuschten Augen des alten Cigarrenhändlers schienen sich zu erweitern und gleichsam die Reihen der Zuschauer zu überstiegen.

Plötzlich blieben sie auf einem Mann haften, der auf der andern Seite in der vordersten Reihe stand.

Es war ein Mann von mittlerer Größe, einfach dunkel, aber gut gekleidet. Das Gesicht, deutlich erhellt von dem Schein der zahlreichen Gaslaternen, zeigte einen ganz besonderen Ausdruck von Energie und seine Augen funkelten in scharfem Blick nach der Richtung, von der das Traben der Reiterschaar, jetzt gemischt mit Waffenklirren, rasch näher kam.

Der Mann trug einen krausen pechschwarzen Bart und mochte etwa vierzig Jahre alt sein.

In diesem Augenblick bemerkte der Cigarrenhändler, daß Jener mit der Hand in seine Rocktasche faßte und einem hinter ihm Stehenden zunickte. Er drängte sich mit Gewalt vor.

»Tölpel! könnt Ihr nicht auf Eurem Platz bleiben? Ich will Euch Ordnung lehren alter Narr!« Die Reiterschaar donnerte heran – es war eine Abtheilung der Chasseurs à cheval, die am Eingang des Circus sofort ausschwenkte und rechts und links der Thür sich aufstellte.

Eine glänzende Equipage – ganz geschlossen – auf der Decke der Kutsche die silbernen kaiserlichen Adler, die Stangenreiter der sechs feurigen Isabellen, der breite Kutsche, die drei Diener auf dem Tritt reich bordirt in der kaiserlichen Livree – folgte der Reiterabtheilung fast unmittelbar.

Der Cigarrenmann hatte kaum Zeit gehabt, zwischen dem Militair und den Wagen nochmals einen Blick nach jener Stelle zu schleudern, wo der Mann mit dem dunklen Bart und dem dunklen Auge vorhin gestanden.

Ein tiefer Athemzug hob wie erleichternd seine Brust.

Neben jenem Mann stand ein kleines Blumenmädchen mit ihrem Korb. Sie hatte die Hand des Fremden gefaßt und sprach mit ihm. Er drehte sich um und verließ die Reihe der Zuschauer.

»Dem Himmel sei Dank – es war die höchste Zeit!« Der Alte kehrte zurück zu seinem Baum und lehnte sich wieder gleichgültig an den Stamm.

Der kaiserlichen Equipage folgten noch zwei Wagen. Ehe die von ihrem Trittbrett herabspringenden Lakaien noch die Wagenthür geöffnet, hatte der dienstthuende Kammerherr bereits den zweiten Wagen verlassen und stand, den Hut in der Hand, an dem Wagentritt.

In der geöffneten Wagenthür erschien in einen pelzausgeschlagenen Sammetmantel gehüllt eine hohe schlanke Frauengestalt. Der kurze von dem Lillahut herabfallende Schleier verdeckte zwar das Gesicht, aber der Salut der Ehrenwache konnte über die Person der Dame keinen Zweifel lassen.

»Garde!

»Présentez les armes!

Der Kammerherr reichte der Dame ehrfurchtsvoll die Hand zum Aussteigen. Sie legte nur leicht ihre Finger auf den Arm des Cavaliers und sprang graziös auf den Boden.

»Kommen Sie, Frau Marschallin!«

Eine zweite Dame von kurzer üppig voller Gestalt verließ die Equipage, deren Thür sich sofort wieder schloß.

»Ich habe die Ehre, Ihrer Majestät zu folgen!«

»Ihren Arm, Vetter!«

Aus dem Wagen des Kammerherrn vom Dienst war noch ein Cavalier gestiegen, hager, klein, von brauner Farbe und unheimlichem Ausdruck des Auges. Im Knopfloch des schwarzen Fracks hing die Kette mit einer Reihe von Miniaturorden.

Mit einem stolzen Neigen des schönen Kopfes die gezogenen Hüte und ehrfurchtsvollen Begrüßungen der Umstehenden erwiedernd, rauschte die schöne Kaiserin in den Eingang, der zum Vestibül der kaiserlichen Loge führte. Der Kammerherr führte, die Marschallin, noch zwei Hofdamen der Begleitung aus dem dritten Wagen schlossen sich an.

Wer fünf Minuten nachher noch den Cigarrenmann gesucht hätte, würde ihn nicht mehr an seinem bestimmten Platz gefunden haben.

Er war fort.


Im Circus rauschte die Musik. – Auf ihrem gelehrigen Schimmel, von dem aufmerksamen Baucher in die Mitte der Manège begleitet, machte eben die graziöse Coralie ihre Pirouetten über die Shawlbänder, und die breiten papierbespannten Reifen wurden in die Bahn gebracht, die sie im kecken Ritt durchspringen sollte.

Noch selten wohl hatte die Rotunde einen glänzenderen Anblick geboten. Die beiden Galerien waren bis zur Decke hinauf gefüllt, die erste ausschließlich mit der vornehmen Welt von Paris und mit Fremden besetzt. In dem Ausgang und dem Eingang zur Manège vom Stall drängten sich zwischen den Ecuriers, den Clowns und den Reitknechten die Uniformen der Offiziere und die fashionablen Toiletten der bevorrechteten Elegants.

Während die Galerie in der gewöhnlichen Weise der französischen Theater, selbst durch die Nähe des Hofes nicht abgehalten, lärmte und mit ihren Bravos und Vorruf, oder lauten, mit Gelächter aufgenommenen Bemerkungen mitspielte, verhielt sich das vornehme Publikum ausfallend zurückhaltend mit seinen Gunstbezeugungen gegen die Künstlerinnen des Circus.

Alle Erwartungen, alle Ovationen schienen für die Königin des Abends, für die fremde Reiterin aufbewahrt zu bleiben. Vergeblich sahen die stolzen herausfordernden Augen der Ducos, die schmachtenden Blicke Palmyra Anato's nach den großen Bouquets in den Händen der Cavaliere – sie waren ihnen diesmal nicht bestimmt, und selbst die sonst so beliebte Paul Seugnerie ging leer aus, denn die zweitfolgende Nummer des Programms annoncirte das erste Erscheinen der Sennora Rositta mit dem berühmten Rapphengst »Nureddin« die hohe Schule executirend.

Eine kurze Zwischenpause, ausgefüllt durch die Späße und Kunststücke der Clowns – dann begann das Orchester eine herausfordernde kecke Weise und die Stallmeister und Künstler bildeten eine breite Chaine rechts und links.

»Platz meine Herrn – Platz!«

Der Ruf des jüngern Dejean, die Bemühungen der Diener öffneten von der schweren Portiere vor dem Foyer des innern Heiligthum des Sports bis zur geschlossenen Barriere unter den drängenden Cavalieren, die auf die Seitenbänke und Stufen kletterten und so dicht an einander standen, daß Monsieur Auriol ohne besondere Balance über ihre Köpfe hätte hinweg spazieren können, eine möglichst breite Gasse, dennoch schmal genug, daß Füße und Arme in Gefahr blieben. Aber wer hätte danach gefragt, wenn es galt, die göttliche Rositta in der Nähe zu sehen, von ihrem Kleide gestreift zu werden!

Dann plötzlich auf ein Zeichen des Direktors rauschte die bunte Teppich-Portiere aus einander und das summende Geräusch des Publikums wurde von einem bewundernden: Ah! da ist sie! da kommt sie! unterbrochen.

Ein leichtes Schnalzen der Lippen, eine kleine Bewegung der Reitpeitsche und nach kurzem Galopp zwischen dem Spalier der Cavaliere hindurch trug das edle Thier in kräftigem Sprung über die geschlossene Barriere seine schöne Reiterin, und flog sich bäumend mit einem zweiten bis in der Mitte der Manege.

Als wäre es von einer Gigantenfaust in seinem wilden Lauf aufgehalten, hielt das edle Roß dort an. Seine kräftigen und doch so feinen Glieder erzitterten einen Augenblick unter der gewaltigen Anstrengung, und dann streckten sich die schlanken Vorderfüße lang aus, bis der stolze schöne Kopf niedergebeugt die Erde berührte, gleichsam in Respect vor der Anwesenheit der schönen Kaiserin Frankreichs, und auch die Reiterin senkte salutirend nach der kaiserlichen Loge Kopf und Peitsche. Ein wahrer Orkan von Applaus machte die Mauern des Circus erbeben. Das Reiterstück war so rasch, so kühn und so elegant ausgeführt, daß es seine volle Wirkung nicht verfehlt hatte. Selbst Ihre Majestät die Kaiserin applaudirte lebhaft der schönen Fremden. Und schön – graziös und phantastisch schön war in der That die ganze Erscheinung.

In leichter ungezwungener Haltung und doch so sicher und fest, als wäre sie Eins mit dem edlen Roße saß die Kunstreiterin im Sattel.

Die Gestalt der Dame war von mittlerer Größe und wundervoll gezeichneten Formen, die das lange Reitkleid von grünem Sammet, nur vorn an dem köstlich gewölbten Busen sich öffnend und einem um den kräftigen Hals sich erhebenden Stuart-Kragen Raum gebend, zum Entzücken abzeichnete.

Von dem dunklen Sammet hob sich reizend das eigenthümliche Incarnat dieses schönen und frischen Gesichts mit dem kräftigen zurückfallenden Kinn, der halb gewölbten Stirn und der leicht gebogenen Nase. Dieses Incarnat sah fast wie eine Fortsetzung des Sammets ihres Gewandes aus; so weich und flaumartig war es in seiner hellen Olivenbräunung anzuschauen, die nur von dem Purpur der vollen Lippen, dem Rabenschwarz des üppigen Haarwuchses und der fein und scharf gezogenen Braune, sowie von dem dunklen tiefen Blau des großen Auges in wundervoller Harmonie der Farbentöne unterbrochen war.

Diese Augen waren jetzt von den langen Wimpern bedeckt, zu Boden gesenkt, und als sie sich zugleich mit dem emporspringenden Pferde erhoben, traf ihr flüchtiger Blick die kaiserliche Loge und begegnete den von dem Opernglas bedeckten Augen der Kaiserin von Frankreich.

Es war nur ein kurzer Moment, den das Auge der Kunstreiterin auf der hohen Dame weilte, aber in diesem raschen halb verstohlenen Blick lag eine Welt voll Ausdruck, eine rührende dringende Bitte, Liebe und Verehrung.

Im nächsten Augenblick schon courbettirte das edle Roß in kurzer Volte an der Barriere entlang und begann unter der sichern Hand der Reiterin seinen Schulgang.

Unter dem stürmischen Beifall, der ringsum forttobte, war ein unwillkürlicher Ruf der Ueberraschung ungehört verschwunden, der bei dem Halt der Kunstreiterin Rositta in der Mitte der Manege aus dem Hintergründe der kaiserlichen Loge selbst laut geworden.

Diesen Ruf hatte der Cavalier im schwarzen Frack ausgestoßen. Er war zwei Schritte vorgetreten fast bis hinter den Stuhl der Kaiserin und verfolgte mit dem Opernglas am Auge jede Bewegung der Reiterin.

Auch die Kaiserin folgte der schönen Erscheinung Rossitta's mit ihrem Glas. Eine eigenthümliche Unruhe schien sich der hohen Dame bemächtigt zu haben; denn sie setzte wiederholt das Glas ab und nahm es wieder auf. Plötzlich beugte sich der Cavalier vorwärts zu ihrem Ohr und redete sie, die Etikette verletzend, an, welche vorschreibt, daß man den gekrönten Häuptern nur antwortet.

»Es ist kein Zweifel – haben Ihre Majestät sie erkannt?«

Die hohe Dame wandte sich rasch um und sah den Fragenden fest und stolz an.

»Was meinen Sie Vetter, – wen soll ich erkannt haben?«

»Sehen Sie denn nicht Cousine, daß sie es ist, die Verschwundene, – meine Verlobte, – die Marquise –«

Die Spanierin sah ihn stolz an. »Sie sind närrisch mein Herr und sehen in Ihrer unerträglichen Manie Gespenster!«

Die Kaiserin wandte sich mit einer jener kurzen Geberden ab, mit denen Diejenigen, welche auf den Thronen der Erde sitzen, so unendlich tief alle andern Menschenkinder zurückzuweisen und in das Nichts zurückzuschleudern vermögen.

Don Alvaro, denn es war in der That der Vetter der Kaiserin, Don Alvaro Guzman de Montijo. der ehemalige Verlobte der jungen Marquise von Massaignac, zog sich in den Hintergrund der Loge zurück. Trotz der kalten und harten Zurückweisung verfolgte er in der höchsten Erregung die schöne Reiterin mit seinen unheimlich brennenden Augen, als wolle er sie verzehren.

Die Kunstreiterin hatte bereits zwei Mal die Gangart ihres Pferdes gewechselt, und bei dem Ende jeder Tour verdoppelte sich der stürmische Beifall.

In der kurzen Pause, die sie hielt, schweifte ihr schönes seelenvolles Auge mit raschem Blick über das dunkle Gedränge der Cavaliere, gleich als suche es einen Gegenstand.

Dann blieb es einen Augenblick an der Seite des Eingangs dicht unter der kaiserlichen Loge hängen. Eine leichte Röthe färbte den Sammetton ihrer Wangen und ein Lächeln der Befriedigung zuckte um ihren schönen Mund.

Gleichsam als habe der Strom einer electrischen Berührung ihn betroffen – jener für Menschenwitz noch unerklärte magnetische Rapport der Seelen, – so hatte in demselben Augenblick eine dunkle Gluth die Stirn des jungen Preußen überzogen, der unfern des Eingangs stand.

Ohne recht zu wissen, was er unter dem Blick der schönen Reiterin that, hob er das einfache Veilchenbouquet, das er in der Hand hielt, zu seinen Lippen empor und küßte die Blumen.

In demselben Moment sprang der »Nureddin« zu einer neuen Tour an und tanzte zierlich, im Takt der Musik die Hufe setzend, durch die Manège.

In dem entgegengesetzten Ausgang zum Stall stand bis auf die Stufen der Logentreppen eine zahlreiche Gesellschaft der Tonangeber der Mode, jenes Foyer der Celebritäten von Paris und damit der Welt – Deputirte, Lions, Offiziere, Journalisten, Fremde – kurz jene vornehmen, anmaßenden und interessanten Flaneurs, welche am Mittag die rennommirtesten Cafe's der Boulevards, um Mitternacht die fashionablen Salons füllen.

Der Fürst Trubetzkoi, der Marquis von Heresford, der Graf Montboisier befanden sich unter den Gruppen. Die Gespräche stockten, denn Alles hatte nur Augen und Lorgnons für die Reiterin Rositta.

In diesem Augenblick war die Tour zu Ende. Die Gefeierte ließ ihr Pferd zum kurzen Galopp gegen die Barriere anspringen und flog über diese unter dem donnernden Applaus der Menge zwischen den Stutzern zurück nach dem Eingang des Stalles.

Hinter ihr fielen die Portieren zusammen.

Aber leichter hätte sich mit einem Zauberschlag ein brausendes Meer beruhigt, als die erregte Masse der Zuschauer.

Der Applaus von Händen, Stöcken und Stimmen dauerte fort und schwoll zu einem wahrhaften Sturm an, als ihm nicht sofort gewillfahrtet wurde. Als einer der Tollsten geberdete sich der Fürst Trubetzkoi.

Endlich mußte Monsieur Dejean selbst sich bequemen, fortzugehen, um Mademoiselle Rositta zu holen. Dann öffnete sich wiederum die Portiere und die Reiterin erschien, nicht mehr zu Pferde, sondern bereits abgestiegen, die Schleppe ihres langen Reitkleides um ihren linken Arm geschlungen, an seiner Hand und wurde von ihm bis in die Mitte der Bahn geleitet.

Unter den graciösen Verbeugungen der Künstlerin nach der kaiserlichen Loge, wo die Kaiserin lebhaft applaudirte, und rings nach dem Publikum verdoppelte sich der Beifallsturm und ein wahrer Regen von Blumenbouquets flog von allen Seiten auf die Gefeierte nieder.

Unter diesen Bouquets befand sich ein Riesenstrauß von den kostbarsten Blumen, wie ihn eben nur die Bouquetkünstler der Rue Lafitte oder der Passage de l'Opera in der ganzen Welt zu winden verstehen. Dieses wie eine Küchenschüssel große Bouquet mußte mindestens vier Napoleonsdor gekostet haben und war von dem Fürsten Trubetzkoi mit Ostentation geworfen worden.

Neben das Riesenbouquet fiel von der andern Seite her ein einfacher Veilchenstrauß.

Sennora Rositta dankte graciös nach allen Seiten und bemühte sich, mehrere Bouquets aufzuheben, wozu ihr die Stallmeister halfen, die ganze Armladungen sammelten und ihr nachtrugen.

Aber indem die glückliche Künstlerin von dem Direktor unter dem Beifallsjubel des Publikums nach nochmaligem Gruß zurückgeführt wurde, begegnete sie an dem Ausgang der Manège einem ältlichen Mann von kleiner schmächtiger Gestalt in dunkler Kleidung, das kahle Haupt von einem türkischen Feß bedeckt, der zu dem scharfen arabischen Schnitt seiner Gesichtszüge paßte.

Sie schien ihn hier erwartet zu haben, denn sie reichte ihm sogleich die Hand. »Hier Papa, führen Sie mich!«

Ob es absichtlich oder durch die rasche Bewegung geschah – genug, die Bouquets, die sie im Arm trug, fielen achtlos zu Boden, und sie behielt nur den Veilchenstrauß in der Hand.

Während die Cavaliere und Stallmeister sich überstürzten, ihr die Blumen aufzuheben, und Fürst Trubetzkoi vergeblich sich anstrengte, zu seinem Schüsselbouquet sich zu bücken, war die Kunstreiterin an der Hand des Mannes, den sie »Papa« nannte, bereits hinter dem Teppich des Eingangs verschwunden.

Mit der Tour war die erste Abtheilung der Vorstellung beendet, und das Herrenpublikum stürzte sich wie eine Lavine nach den Büffets und den Korridors zum Stall. Aus allen Gruppen hörte man die Erscheinung der schönen Reiterin besprechen und hundert mit großer Phantasie erfundene Züge von ihr erzählen.

Ein großer stattlicher Offizier von martialischem Aussehen in der Uniform der Garde-Zuaven, mit dem Kreuz der Ehrenlegion und der englischen und französischen Medaille von Sebastopol stand in der Mitte einer Gruppe von Militairs und Civilisten, die mit demselben Gegenstande sich beschäftigte.

»Parbleu – ich erinnere mich deutlich des Gesichts und könnte darauf schwören. Oder glauben Sie etwa, daß wir in dem Hundeloch Balaclawa und in den nichtswürdigen Trancheen vor Sebastopol neben all den tartarischen Stumpfnasen, den Juden und Armeniern so vielen Damenbesuch gehabt haben, um eine solche Physiognomie zu übersehen?«

»Es ist unmöglich Kapitain, bedenken Sie, daß eine so hübsche Cantiniere sicher noch eher ruinirt worden wäre, als die Mademoiselles Clemence und Zephise, die, wie sie dort sitzen, nicht viel besser als die Ruinen eines jener Schlösser am Bosporus aussehen: Moder in der prächtigen Hülle.«

Die Augen und Lorgnons der Plaudernden wandten sich nach einer Stelle des Parkets, wo zwei Damen, gleich und auffallend gekleidet, neben einander saßen.

Ein einziger Blick genügte dem Kundigen, um aus der übertriebenen Toilette zwei Bewohnerinnen der Straße Breda zu erkennen.

Der Vergleich des Kapitains war in der That nicht unrichtig. Die beiden Frauen mußten noch jung sein und dennoch sahen sie wie Ruinen aus, die Gesichter schrecklich eingefallen, breite dunkle Ringe um die hohlen Augen. Man bemerkte deutlich, wie die Hand der Einen, indeß sie den Fächer hanthierte, nervös zitterte.

»Als sie nach Balaclawa kamen,« fuhr der Zuaven-Kapitain fort, »konnten sie höchstens siebzehn Jahre sein. Sie waren die Ersten und nahmen zwei Napoleond'ors für den Besuch. In sechs Wochen hatte jede ein Vermögen, aber sie mußten sich auf den Dampfer tragen lassen, mit dem sie nach Marseille zurückkehrten.«

Die Gesellschaft lachte gleichgültig über die abscheuliche Anekdote. »Das erinnert mich,« sagte der Eine, »an Etwas, das mir ein preußischer Offizier aus der baden'schen Revolte erzählte. Bei der Besetzung Rastatt's fand man die weibliche Bevölkerung in einem Zustande, daß bald der dritte Theil der Garnison angesteckt und das Militair-Commando mit der Polizei gezwungen war, ein öffentliches Haus einzurichten. Der Zudrang war so groß, daß Posten aufgestellt werden mußten, um Queue zu halten.«

»Das mag für die deutschen Bären gut sein, aber was hat das mit der himmlischen Erscheinung der Rositta zu thun, die nur allzu unzugänglich ist; denn der Teufel soll mich holen, wenn ich die Prahlereien des alten Gecken Trubetzkoi glaube. – Was meinten Sie doch vorhin von der Spanierin Livaronne – ich war gerade anderweitig beschäftigt, als Sie erzählten.«

»Pardieu – es war nur eine Erinnerung, die mir durch den Sinn fuhr. Das Gesicht der Dame kommt mir so bekannt vor und ich möchte darauf wetten, daß sie vor ihrer Carrière als Kunstreiterin Cantinière eines Linienregiments im Lager vor Sebastopol gewesen.«

Man lachte ungläubig bei der Behauptung. »Ich glaube eher, was man erzählt, daß sie die Tochter eines heruntergekommenen spanischen Granden ist – jede ihrer Bewegungen zeigt von gutem Blut!«

»Das hat mein Schimmel Nerac auch. Aber wir können den Streit leicht erledigen; denn hier kommt unser würdiger Mohrendoktor und er wird uns aus alter Freundschaft dafür, daß ich mich drei Mal in seinen Händen befunden habe, erzählen, wie er zu dieser Vaterschaft gekommen ist.«

In der That war der maurische Arzt, den die Soldaten den Mohrendoktor nannten, und der mit der Kunstreiterin aus Petersburg zurückgekehrt war und die Stelle ihres Beschützers und Geschäftsführers bekleidete, wieder in die Manège getreten.

»Willkommen, Doktor,« sagte der Kapitain«, dem Nachkommen der Kalifen von Granada die Hand reichend und schüttelnd. »Ich habe mit um so größerem Vergnügen gehört, daß Sie aus der russischen Gefangenschaft glücklich zurückgekehrt sind, als ich mir oder meiner Kompagnie eigentlich die Schuld beimessen mußte, daß Sie darein gerathen, weil Sie bei Inkermann die armen Burschen nicht im Stich lassen wollten.«

»Ein Jeder hatte seine Pflicht, Kapitain«,« sagte der Arzt, den Offizier gleichfalls freundlich begrüßend. »Sie, die Russen zu schlagen, ich, für Verwundete zu sorgen. Und da war es denn gleich, ob ich das vor oder hinter den Wällen von Sebastopol gethan.«

»Es ist wahr, wir hörten von einem der Parlamentaire, welche Dienste Sie in den Lazarethen unserer damaligen Feinde geleistet. Um so mehr bedauert es das ganze Regiment, daß Sie Ihren Abschied genommen. Aber mort Dieu, wenn man als alter Knabe bei einer Schönheit ersten Ranges den Beschützer spielen kann, dann wundert's mich nicht!«

Das Gesicht des Mohrendoktors verfinsterte sich bei der Anspielung und ein Blick auf die umher lauernden Männer bewies ihm, daß Absichtlichkeit darin lag.

»Es hat mich gefreut, Kapitain Livaronne,« sagte er kalt, »daß Sie sich meiner erinnert haben und von Ihren Wunden vollständig genesen sind. Damit Gott befohlen!«

Er wollte sich aus dem Kreise der Neugierigen entfernen, aber diese umschlossen ihn nur desto fester.

»Ein Wort noch, Doktorchen, eine Auskunft aus alter Freundschaft,« lächelte übermüthig der Offizier. »Sie sollen eine Wette entscheiden. Erinnern Sie sich des Tages vor der Schlacht an der Tschernaja, als wir mit dem Obersten des Vierzehnten und Méricourt zusammen waren?«

»Ich erinnere mich!«

»Nun denn, zum Henker, die kleine Cantinière, die uns die Flasche Brussa-Wein einschenkte und mich auf die Finger schlug, als ich ihr an das Kinn faßte – ich habe sie später nicht mehr auffinden können und es hieß, sie sei von einer russischen Kugel gefallen – aber der Teufel soll mich zu einer Pastete hacken, wenn die schöne Rositta ihr nicht wie ein Ei dem andern gleicht, wenn sie's nicht in eigener Person ist. Heraus, Doktor, mit dem Geheimniß!«

Der kleine Doktor lachte ihm in's Gesicht. »Die Kugel, die an der Alma ihren Kopf streifte, Kapitain,« sagte er mit Humor, »hat das Organ des Erkennungsvermögens berührt. So viel ich mich erinnere, sind unsere Cantinièren ziemlich schlechte Reiterinnen.«

»Aber, mort Dieu, wer ist die unbekannte Schönheit denn, und wie kommen Sie zu der Bekanntschaft?«

Das gewöhnlich so ernste Gesicht des kleinen Arztes lächelte spöttisch.

»Möchten Sie es im Ernst gerne wissen?«

»Sie sehen, wie wir Alle gespannt sind!«

»Aber es ist ein Geheimniß!«

»Eben deshalb!«

»Und Sie versprechen, zu schweigen?«

»Auf Ehrenwort!«

»Nun denn ...«

Der Mohrendoktor zögerte absichtlich – Alle steckten die Köpfe näher zusammen.

»Mademoiselle Rositta ist ...«

»Was?«

»Eine Tochter des berühmten Imam Schamyl, die er dem Kaiser Nicolaus in der Jugend als Geißel gegeben und die der Kaiser bei Lejars hat zur Kunstreiterin ausbilden lassen, wegen ihres wunderbaren Reitertalents.«

Der Kreis starrte ihn an – die Meisten wußten in der That nicht, ob der Mohrendoktor sie narrte oder nicht. Aber dieser machte ein so ernstes Gesicht, daß selbst der Zuaven-Kapitain ihn zweifelhaft anschaute.

»Doch wie kommen Sie zu dem Amt ihres Vertrauten und Begleiters?« fragte endlich einer der Stutzer.

»O – ich kurirte eine russische Großfürstin von den Pocken, ohne daß es ihrer Schönheit schadete,« sagte der Doktor mit der ehrlichsten Miene, »und dafür hat man mir Rositta oder Rosinka als Leibeigene geschenkt!«

»Als Leibeigene – wie?«

»Ganz recht – das Mädchen ist eine wahre Goldgrube für mich. Dejéan zahlt mir für jeden Abend tausend Franken und füttert noch unsere Pferde.«

Die Verblüfftheit des Lions wurde immer größer.

»Aber Sie wissen, Doktor,« sagte endlich der Feuilletonist des »Figaro,« – »in Frankreich ist die Sclaverei längst aufgehoben – selbst der Negersclave, sobald er den Fuß auf den edlen Boden Frankreichs setzt, ist frei!«

»Bah – sehen Sie dort den langen Kosaken des Fürsten Trubetzkoi, und fragen Sie sie Beide, ob Petrowitsch in Paris weniger der Leibeigene des Fürsten ist, als in Moskau oder Kasan!«

»Aber ein so himmlisches Wesen – es ist eine Schande, und sie muß von ihren Menschenrechten in Kenntniß gesetzt werden, wenn nicht Alles ein thörichter Scherz von Ihnen ist, Doktor!«

»Probiren Sie es – aber ich mache Sie auf Eins aufmerksam!«

»Das ist?«

»Wenn Sie Kapitain Livaronne fragen, wird er Ihnen bestätigen, daß ich der beste Pistolenschütze bei den Garde-Zuaven durch ein eigenthümliches Talent war, und ich habe mich in Petersburg noch vervollkommnet. Es sollte mir leid thun, wenn Jemand mir mein rechtmäßiges Kapital stehlen wollte! Adieu, Messieurs, die Vorstellung wird sogleich wieder beginnen!«

Die Erzählung des Doktors – so sehr sie auch bezweifelt wurde – hatte Sensation erregt und machte alsbald die Runde durch den Circus. –

Unterdeß hatten in den Gruppen der Zuschauer manche andere Scenen gespielt.

Otto von Röbel hatte sich in der Nähe seiner Verwandten und Freunde gehalten und stand an einem der Pfeiler der kaiserlichen Loge. Der Zufall hatte seine Besorgniß begünstigt; denn der Platz des Fürsten Trubetzkoi mit seiner Familie, oder vielmehr dieser allein, befand sich auf der andern Seite, so daß die beiden Gesellschaften wenig oder Nichts von einander gewahrten. Er beschloß im Innern, möglichst zeitig aufzubrechen, damit jede Begegnung am Ausgang vermieden werde.

Als Rositta den einfachen Veilchenstrauß aufgenommen und auf Kosten aller der anderen kostbaren Blumenspenden bewahrt hatte, als der seelenvolle Blick ihres großen Auges ihn traf, – stand er wie mit Purpur übergossen stumm, ja verlegen, und das Herz pochte ihm mit gewaltigen Schlägen. Um keinen Preis hätte er vermocht, seinen Platz zu verlassen und dem Strom der Stutzer und Sportsmen nach dem Stall oder den Büffets der Gallerien zu folgen.

Die Augen der Mutter weilten besorgt auf ihm, aber Kapitain Laforgne deckte mit einer Wendung des Scherzes den Freund.

»Lassen Sie ihn, gnädige Frau – Otto ist ein Enthusiast der Sports geworden. Wir wollen ihn nicht in seiner Extase für die Kunst oder vielmehr die Künstlerin stören. In der That, hätte ich nicht meine kleine Frau an der Seite, ich würde zu seiner Fahne schwören, denn dies Gesicht macht auch auf mich einen eigenthümlichen Eindruck, und ich muß ihm schon irgendwo begegnet sein.«

»Wollen Sie mir einen Augenblick Ihr Glas erlauben, Herr Kapitain?« bat das deutsche Edelfräulein.

Der Offizier erinnerte sich der seltsamen Bitte des Freundes, aber schon langte seine Gattin nach dem Operngucker.

»Hier, liebes Fräulein! o wie ungeschickt, meine Theure!«

Der Kapitain, der sich nicht anders zu helfen wußte, hatte in dem Augenblick das Glas, nach dem seine Frau reichte, fallen lassen und es rollte durch die breiten Spalten der Bretter in die Tiefe.

»Carrajo – ich werde einen der Logenschließer rufen!«

Das Edelfräulein beklagte naiv den Unfall, der Kapitain aber benutzte die Gelegenheit, seine Gesellschaft auf einige Augenblicke zu verlassen und den Freund aufzusuchen.

Als er durch den Corridor ging und einem der Logenschließer den Auftrag gab, den Operngucker unter den Plätzen hervorzuholen, aber ihm erst beim Fortgehen einzuhändigen, stieß wie zufällig ein Herr ihn an.

»Verzeihung, Herr Kapitain!«

Der junge Mann schaute den ihm Unbekannten scharf an. »Sie kennen mich, mein Herr?«

»Ich habe die Ehre, Kapitain Laforgne vor mir zu sehen?«

»Das ist mein Name!«

»Eben deshalb bitte ich Sie, mit mir einen Augenblick in jenen Gang zu treten, wo die Geräthschaften stehen, wir sind dort unbemerkt; ich habe eine Botschaft an Sie!«

Der Abenteurer schien an dergleichen Begegnungen und anonyme Mittheilungen gewöhnt, denn er machte rasch dem Fremden ein Zeichen, voran zu gehen, und folgte ihm.

Die großen Papierballons, durch welche bei einer der nächsten Produktionen die kleine Adele Monfroid ihre Sprünge machen sollte, verdeckten sie hier vor jedem unberufenen Blick.

»Ora e sempre!« sagte der Fremde leise.

Der Kapitain nickte zum Zeichen des Einverständnisses. »Was haben Sie mir zu sagen?«

»Man hat Sie heute Nachmittag nicht zu Hause getroffen, als man Sie brauchte.«

»Carrajo – ich bin kein Sclave – ich war mit Bekannten auswärts – wenn man mich brauchte, hätte man mich früher benachrichtigen sollen!«

»Eben deshalb soll ich Sie ersuchen, sich morgen nicht aus Ihrer Wohnung zu entfernen und für jeden Augenblick bereit zu halten.«

»Ich bin es ohnehin und muß Ihnen sagen, daß ich dieses Lauern und Warten vollständig satt habe!«

»Zu den Pflichten des Soldaten gehört das Ausharren auf seinem Posten. Ich kann Ihnen jedoch sagen, daß Ihre Geduld nicht mehr lange auf die Probe gesetzt werden soll. Halten Sie sich zu morgen Nacht bereit. Sie haben den Plan von Paris vollkommen inne?«

»Als ob ich als Gamin hier geboren wäre – wer in den Pampas gefochten hat, orientirt sich überall mit leichter Mühe! – Indeß ...«

»Nun?«

»Was Sie mir da sagten, ist keine Mittheilung mehr, sondern eine Frage, und ich kenne Sie nicht weiter als durch die allgemeine Loosung!«

Der Fremde öffnete die linke Hand und zeigte dem jungen Soldaten ein Geldstück, das er darin bereit gehalten.

Es war ein römischer Thaler, von jenen, die im Jahre 1849 das Direktorium der Republik hatte schlagen lassen, an einer gewissen Stelle durchbohrt.

Der Kapitain überzeugte sich von dem Zeichen und gab es dann zurück. »Fragen Sie,« sagte er kurz. »Ich werde antworten.«

»Es ist möglich, daß die Barrikaden bereits morgen Nacht gebraucht werden. Haben Sie alle Punkte genau gewählt?«

»Ich habe meine Aufgabe erfüllt.«

»So kann man sich darauf verlassen, daß beim ersten Signal die Stellen in Vertheidigungszustand sein werden?«

»Wenn man mir die Soldaten dazu stellt, gewiß!«

»Auch gegen eine bedeutende Truppenzahl?«

»Nöthigenfalls gegen die ganze Garnison!«

»Bah – wir brauchen nur zwölf Stunden, dann werden wir mindestens die halbe für uns haben.«

»Das kümmert mich nicht. Ich habe die Ordre, mich zu schlagen, und ich werde mich schlagen!«

»Eben mein Herr, weil man weiß, daß Sie ein kühner Soldat sind und vor keiner Gefahr zurückscheuen, hat man Sie gewählt. Außerdem sind sie geborener Franzose, besitzen also Alles, was dazu gehört, das Volk von Paris zu leiten. Indeß Sie werden begreifen, daß es sich bei Ihnen nur um die Avantgarde handelt und die Schlacht selbst, wenn sie geschlagen werden muß, von Andern geschlagen werden wird.«

Obschon das seltsame Gespräch der Beiden, das über den Zweck des Aufenthalts des Kapitain Laforgne und seine Verbindungen Licht gab, mit leiser Stimme geführt worden, war der Ton dieser Worte doch so fest und bestimmt und verrieth so sehr die Gewohnheit des Befehlens, daß der Garibaldien ziemlich betroffen aufsah und zum ersten Mal den Unbekannten näher in's Auge faßte.

Es war ein Mann von etwa 40 bis 43 Jahren, von hoher schlanker Figur in einfacher Civilkleidung. Seine Haltung war gerade und verrieth den Soldaten, sein Gesicht war länglich, von sorgenvollem ernstem Ausdruck und wurde von einer blauen Brille entstellt.

»Wir haben uns bisher noch nicht gesehen, Herr Kapitain«,« sagte der Fremde, – »aber ich hoffe, daß es künftig öfter geschehen wird. Wenn es Ihnen gelingt, zwölf Stunden die Barrikaden zu halten, werden Sie am andern Tage Oberst der französischen Armee und Kommandeur der Ehrenlegion sein. Ich bin erst seit gestern in Paris und habe erst heute von unsern gemeinsamen Freunden, oder Verbündeten, wie ich sie wenigstens in Betreff meiner Partei nennen muß, den Wink erhalten, Sie aufzusuchen. Man hat mir Sie im Circus gezeigt und ich habe auf die Gefahr hin, mich zu kompromittiren, die Gelegenheit wahrgenommen, Sie anzusprechen. Nehmen Sie dies Papier, es enthält einige Fingerzeige und Rathschläge über die Punkte, die am meisten Erfolg versprechen in dem Straßenkampf.«

Der Fremde reichte dem Kapitain ein eng zusammen gefaltetes Papier. Dieser sah noch immer ziemlich verblüfft ihn an.

»Sie brauchen sich nicht zu verwundern,« fuhr Jener lächelnd fort, »solchen Beistand von Jemand zu erhalten, der weit eher die Aufgabe hat, Barrikaden zu nehmen, statt sie zu vertheidigen. Die Chancen und Stellungen wechseln wunderbar in diesem lieben aber sehr launischen Frankreich. Doch nun Adieu,, denn ich darf mich nicht länger exponiren auf die Erfahrung hin, daß man gerade mitten unter den Feinden am wenigsten Gefahr läuft. Sobald der Kampf ausgebrochen, sehen wir uns wieder.«

Er grüßte mit einem freundlichen Kopfnicken und trat in den Korridor zurück, wo er bald verschwand. Einer der Stallmeister hatte ihn dort erwartet. Kapitain Laforgne blieb einige Augenblicke in tiefem Nachdenken stehen.

»Seltsam!« murmelte er – »der Mann gehört offenbar nicht zu den Unseren und ist doch mit dem Zweck bekannt und hat die Zeichen. Der Henker hole dies Versteckspielen – ich wünschte, die Geschichte wäre vorüber und vor Allem – die Frauenzimmer hätten Paris im Rücken!«

Er steckte die Papiere nach einem raschen Umherblicken, ob Niemand ihn beobachte, zu sich und setzte dann seinen Weg fort, seinen jungen Freund und Gegner aufzusuchen.

Er fand ihn auf seinem Platz.

»Ich habe Deinen räthselhaften Zettel erhalten und ihm ein hübsches Opernglas zum Opfer bringen müssen,« sagte er, sich gewaltsam zu einer heiteren Stimmung zwingend. »Was zum Teufel Mensch, glaubst Du, daß man erst ein Lorgnon nöthig hat, um Deine Leidenschaft für Mademoiselle Rositta zu sehen? Aber was fehlt Dir – es ist doch nichts Unangenehmes vorgefallen, seit ich Dich aus den Augen gelassen – oder ärgerst Du Dich bloß über einen glücklichen Rivalen, der unterdeß der hübschen Reiterin in ihrer Garderobe die Kur schneidet, während Du hier wie eine Schildwach auf ihrem Posten stehst?«

Die Stirn des jungen Preußen war in der That von Zorn geröthet, das sonst so ruhige freundliche Auge sah unmuthig und der Mund war fest geschlossen.

»Es ist Nichts von Bedeutung,« sagte er rasch – »ich habe nur einem Unwürdigen meine Verachtung gezeigt, und dennoch bin ich nicht recht zufrieden mit mir. Ich danke Dir übrigens für den Dienst, den Du mir geleistet.«

»Den ich aber wirklich nicht verstehe. Kannst Du mir eine Erklärung geben?«

»Du weißt bereits so viel von unserer Familie, daß ich Dir auch dies sagen kann. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich Dir früher schon von einer unglücklichen Liebe meiner Schwester gesprochen?«

»In Serrières, als wir beide von unsern Wunden genasen. Diese Liebe interessirte mich um so mehr, als der Mann, von dem Dein Vater Nichts wissen will, ja mein politischer Glaubensgenosse ist und das hauptsächlich seinem Glück im Wege war.«

»Er ist ein Schurke!«

»Bah – das ist eine andere Sache und keineswegs, wie ich hoffen will, mit einem Republikaner gleichbedeutend. Aber, wenn mir recht ist, sprachst Du damals mit Achtung und Liebe von ihm. Was hat so plötzlich Deine Meinung geändert?«

»Das, was ich heute Abend hier über ihn erfahren und gesehen!«

»Hier?«

»Ja – er ist hier – als ich vor dem Cirque auf meine Mutter und Schwester harrte, sah ich ihn unerwartet mit einer Gesellschaft aussteigen, und deshalb bat ich Dich, das Lorgnon bei Seite zu schaffen, damit Rosamunde, die ziemlich kurzsichtig ist, ihn nicht erkennen und die alte Wunde ihres Herzens wieder aufbrechen sollte.«

»Weiter!«

»Der Zufall hat meinen Wunsch in den Plätzen begünstigt. Aber während der Pause – vor zehn Minuten – legte sich seine Hand auf meine Schulter und seine Arme öffneten sich, wie sonst dem Knaben. Er hatte mich erkannt!«

»Und Du?«

»Soll ich einem Unwürdigen Freundschaft heucheln, dem meine Schwester das Glück ihrer Jugend geopfert, und der die Arme vergessen hat, um der verächtliche Louis einer vornehmen Dame zu sein? Hätte mich nicht die Erinnerung an frühere Tage abgehalten, ich würde mich nicht begnügt haben, ihm den Rücken zu kehren und mir jede Annäherung zu verbitten.«

»Woher weißt Du das Alles?«

»Der Zufall machte mich zum Zeugen der spöttischen Bemerkungen, die über dies Verhältniß ganz öffentlich gemacht werden. Sieh hin – die dritte Loge dort – die Dame mit dem ungarischen Kopfschmuck, die Fürstin Trubetzkoi, die getrennt von ihrem Gatten lebt, hat ihn unter der Firma eines Sekretairs bei sich und eben spricht sie mit ihm.«

Der Kapitain beobachtete einige Augenblicke die Gruppe. »Wenn das der Geliebte Deiner Schwester ist,« sagte er endlich, »so muß ich Dir gestehen, daß er mir das Aussehen eines ehrlichen Mannes zu haben scheint. Er sieht offenbar hierher und weiß, daß wir von ihm sprechen. Was aber die Fürstin anbetrifft ...«

»Nun?«

»So glaube ich, daß Du Dich irrst. Oberst Türr erzählte uns auf Caprera ihre traurige Geschichte! Viel eher würde ich glauben, daß die Kleine dort hinter ihr ihm gefährlich ist, denn sie verschlingt ihn fast mit den Feueraugen. In jedem Fall ist es gut gewesen, daß Du die Annäherung an die Deinen verhindert hast und es wird das Beste sein ...«

»Was?«

»Daß Ihr morgen schon nach Deutschland oder der Schweiz abreiset und meine Frau soll Euch begleiten!«

»Das ist unmöglich – ich kann Paris noch nicht verlassen. Es wird andere Mittel geben, ihn entfernt zu halten, und müßte ich zu den strengsten greifen.«

»Charracho! ehrlich gestanden sähe ich Euch am liebsten fort von Paris. Die Luft hier taugt augenblicklich nicht für Euch! Doch gegen Eigensinn ist nicht zu kämpfen und vielleicht gestalten sich die Dinge überhaupt anders. In jedem Fall rechne auf mich! Ich gehe jetzt zu den Damen zurück und werde aufpassen, daß wir nicht mit jenen Personen zusammentreffen.«

Der Kapitain drückte dem Freunde die Hand und verließ ihn, denn die eigenen wichtigen Interessen nahmen alle seine Gedanken in Anspruch. Der junge Edelmann war unzufrieden mit sich selbst; denn unwillkürlich wandte sich von Zeit zu Zeit sein Blick nach dem Freunde seiner Jugend, dem Mann, den er so lieb gehabt, und begegnete jedesmal dem ernsten, traurig auf ihn gerichteten Auge desselben.

»Sie haben mir unter verhängnißvollen Umständen einst das Leben gerettet, als Sie noch ein Knabe waren und anders dachten, Herr von Röbel,« hatte ihm der Erzieher auf seine beleidigende Zurückweisung geantwortet – »auch die jetzige schmerzliche Erfahrung kann mich daher meiner Dankespflicht nicht entbinden.«

Man trennt sich allerdings nicht so leicht von den Erinnerungen und Sympathieen der Jugendzeit.

Hatte Otto von Röbel allerdings auch über manche Lebensverhältnisse seither anders denken lernen, sein Herz hatte noch die volle Wärme und die Ideale der Jugend bewahrt, und die cynische Weise, mit der seine Achtung und Liebe für den alten Freund zerstört worden, hatte ihn um so tiefer verletzt und aufgeregt.

Es ist eine alte aber traurige Erfahrung des Menschenherzens, eine jener schnöden Maximen des großen Menschenkenners Larochefoucauld, daß gerade in Augenblicken, wo wir selbst Fehler begehen oder zu begehen im Begriff stehen, die der Anderen die wenigste Nachsicht in unserer Beurtheilung finden. Der junge Mann wußte sehr wohl, daß seine thörichte Liebe für eine Reiterin des Circus sich nie der Billigung seiner Familie erfreuen könne, und dennoch hielt er gerade jetzt die Strenge der väterlichen Entscheidung gegen die Schwester für vollkommen gerechtfertigt.

Er bezwang sich mit Gewalt und kehrte der Seite, wo die Plätze der Fürstin sich befanden, den Rücken; er bemerkte mit Vergnügen, daß Kapitain Laforgne eifrig bemüht war, durch seine Unterhaltung die Aufmerksamkeit seiner Mutter und Schwester von den Logenreihen abzuziehen, die sich wieder füllten; denn die Pause war zu Ende und die Vorstellung begann eben wieder mit der kecken Voltige des jungen Carré auf dem ungesattelten Pferde.

Auch die kaiserliche Loge hatte sich wieder gefüllt. Einige Personen vom Hofe hatten Ihrer Majestät während der Pause im Salon ihre Aufwartung gemacht und die Einladung erhalten, in die Loge zu treten.

Die Kaiserin unterhielt sich viel, es war, als suche sie Zerstreuung von gewissen Gedanken und durch die Vergrößerung ihres Cercles jede weitere Annäherung ihres Verwandten zu vermeiden.

Don Alvaro hatte sich während der Pause nicht entfernen können, da ihn sein Dienst an die Kaiserin band. Er stand jetzt außerhalb des Cercles in tiefen Gedanken, wie die Falten auf seiner Stirn andeuteten; aber mit jener Kunst, zu hören und zu sehen, die man allein auf dem Parquet der Fürstensäle lernt, horchte er auf alle Aeußerungen aus dem Kreise, der sich natürlich auch vielfach über die hervorragende Erscheinung des Abends unterhielt.

Der Graf von Monboisier, der gleichfalls der Kaiserin seine Aufwartung gemacht, erzählte die verschiedenen Gerüchte, die über die Primadonna des Circus umherliefen. Er hatte Dejéan selbst befragt, aber Herr Dejéan wußte eben nicht mehr als jeder Andere. Monsieur Herrmann, sein thätiger Agent, war auf den Ruf der Sennora Rositta nach London gegangen und hatte dort das Engagement mit ihrem Geschäftsführer, dem »Mohrendoktor« geschlossen, der in der groben Abfertigung der Neugierigen beinahe dem berüchtigten Factotum Pelissiers gleich kam, wie der Graf behauptete.

Es war bekannt, daß der berühmte Herzog von Malakoff sich durch seine, keine Rücksicht kennende Grobheit auszeichnete. Alle seine Untergebenen fürchteten seine Sottisen – aber er sagte sie nicht bloß den Untergebenen, sondern auch ganz anderen Leuten. Der Duc de Malakoff genoß in den Tuilerien ganz denselben Ruf, dessen der verstorbene Oberstlieutenant von Duxen in dem Cercle des preußischen Hofes sich erfreute. Einmal jedoch hatte der Marschall vollkommen seinen Meister gefunden, und dieser Meister war – ein Gassenkehrer!

Pelissier, damals noch Oberst, gerieth auf der Straße mit dem Mann in Streit, weil dieser ihm nicht ausgewichen. Beide Parteien sagten sich unglaubliche Artigkeiten und Pelissier, der staunend erkannte, daß die Zunge und der schlagfertige grobe Humor dieses Menschen ihm gewachsen sei, wollte die Debatte durch einen Schlag mit der Reitpeitsche beenden. Aber der Gassenkehrer kam ihm zuvor und leerte ihm etwas über den Kopf, das man nicht gern näher bezeichnet. Unterdessen war die Wache gekommen und Pelissier schrie ihr unter seiner Bürde zu: »Arretirt mir den Kerl, der muß bei mir bleiben, zwei solche Grobiane gehören zusammen!« – Der Mann ward Pelissier's Diener, später sein Kammerdiener und hat traurig an seinem Sarge gestanden. Denn indem wir die Anekdote niederschreiben, hat der berühmte Sieger von Sebastopol vor dem höchsten Richter seine furchtbare That in den Felsenhöhlen von Kantara zu verantworten. Der ehemalige Gassenkehrer ist vielleicht der einzige Mensch, der über den Tod des Herzogs von Malakoff weinte. Er wird nie wieder solche klassische Grobheit hören, wie aus dem Munde des Verstorbenen. Aber bedauert hat seinen Tod sicher der Mann auf dem Throne von Frankreich, denn der unbeugsame Soldat war eine der sichersten Stützen des neuen Kaiserthrones. –

Unterdessen hatte die Vorstellung ihren Fortgang genommen und näherte sich jenem Theil, den Alle mit der größten Spannung erwarteten.

Das Programm zeigte als die vorletzte Nummer den doppelten Brückensprung der Sennora Rositta an; eine Quadrille aus der Zeit Ludwig XIII. sollte den Schluß bilden.

Allgemein war die Aufregung, als endlich die Stallmeister die Manège räumten und die Diener die Brücke aufzustellen begannen.

Die beiden Thüren der Barriere wurden geöffnet und unter Leitung des Direktors selbst das Gerüst gebaut.

Es war das, wie wir am Eingang dieses Kapitels erwähnt, eine etwa 5 Fuß breite, flach gewölbte Estrade, die von dem Ausgang zu den Ställen bis zu dem Eingang der Vorderseite quer über den Kreis der Manage lief, da, wo sie sich der grade darüber befindlichen kaiserlichen Loge näherte, etwa 8–9 Fuß hoch über dem Boden.

Diese Estrade war zwar leicht aus über abwechselnd hohe Böcke gelegten Balken und Brettern gebaut, die Zusammenfügung und Befestigung derselben aber genau und sorgfältig. Neben dem Direktor des Circus überwachte der Mohrendoktor mit der größten Aufmerksamkeit den Bau.

Obschon unter der braunen Färbung seines Gesichts sich eine gewisse Blässe zeigte, schien er doch voll Vertrauen auf die Sicherheit seines Schützlings und aus die Kraft des Pferdes, das den gefährlichen Sprung machen sollte. Er prüfte genau den Bau und traf verschiedene Anordnungen, die von seiner Sorge für die schöne Reiterin zeugten.

Die Aufstellung des Gerüstes hatte etwa zehn Minuten gedauert. Als die Diener dasselbe mit Sand bewarfen, gab der erste Stallmeister dem Orchester das Zeichen zu beginnen.

Die Spannung im ganzen Hause war überaus groß. Auf allen Plätzen drängten sich die Zuschauer und hielten die Augen auf die Portiere gerichtet, die noch den Zugang der Manage schloß.

Selbst die Kaiserin lehnte, das Glas am Auge, über die Brüstung. Dicht unter der kaiserlichen Loge lief das Gerüst hin. Wer ein Interesse für seine Person in diesem Augenblick gehabt hätte, würde bemerkt haben, daß auch Don Alvaro seinen Platz im Hintergrunde der kaiserlichen Loge verlassen hatte und bis nahe an die Brüstung auf der andern Seite vorgetreten war. In seiner Nähe stand der Graf Monboisier.

Das Orchester spielte den großen Marsch aus Gortez. Nach den ersten Takten öffnete sich die Portière und Rositta erschien auf dem Schimmel »Matador.« Ein tausendstimmiger Ruf der Bewunderung begrüßte die schöne und romantische Erscheinung.

Die Reiterin trug das reiche phantastische Kostüm der tscherkessischen oder georgischen Fürstinnen.

Sie ritt diesmal à deux coté. Eine Nachahmung jener biegsamen elastischen Panzer von Rehhaut, in welchen bei den lesghischen Stämmen die Büste der Jungfrau schon vor ihrer Mannbarwerdung eingenäht wird und die den sich entfaltenden Busen so lange bedeckt, bis der Dolch des Gatten oder des Käufers ihn zerschneidet – eine That, die jedem Andern das Leben kosten würde! – umschloß hier von Silberstoff gefertigt, den schlanken und vollen Oberkörper bis zu dem schön geschwungenen Halse, und zeichnete jene Formen ab, die ein Händler des Sclavenmarkts von Constantinopel dem Kislar Aga des Herrschers der Gläubigen mit hunderttausend Piastern angesetzt haben würde – einer jener Händler, der unter'm Schutz der britischen Fregatten im schwarzen Meiere sein Menschenfleisch von Trebizend nach dem Bosporus transportirt, während das humane England stündlich mit seinen Thaten für Abschaffung der Sclaverei in Amerika und wo sonst – nur möglichst weit von seinen europäischen Interessen – prahlt! Halb geöffnete Aermel von Purpurseide, durch Smaragdknöpfe am obern Theil zusammengehalten, fielen aus den Schulteröffnungen dieses Panzers oder Corsets und verhüllten bis zum Ellbogen die Wellenlinien der vollen kräftigen Arme, deren Handgelenke mehrere Zoll breit mit Goldspangen und Bracelets bedeckt waren. Ein kurzer Rock von gleicher Seide faltete sich unter dem Silberpanzer her bis auf die Kniee der weiten Beinkleider von gelbem Atlas. Eine reiche hellblaue Schärpe flatterte um die Hüften und das lange, in vielen mit Goldstücken durchflochtenen Zöpfen herunter fallende Haar war von einem Turban aus Silber und Purpur mit kostbaren Reiherfedern geschmückt, bedeckt.

Dieses an sich schon prächtige Kostüm funkelte von kostbaren Perlen und Juwelen, deren strahlender Glanz dem Kenner bewies, daß hier von keinen Theatersteinen die Rede war.

Das prächtige Thier, das sie ritt, war von jener persisch-kaukasischen Race, welche ihre Reiter durch die Steppen zur Jagd und über die Klippen und Felsensprünge des Elbrus mit der Kraft und Sprungfertigkeit der Gemsen zum wilden Angriff oder zur rasenden Flucht trägt. Das edle Roß war in orientalischer Weise gesattelt und gezäumt und trug breite Zügel von Purpur und Silber, während die Steigbügel von diesem massiven Metall waren. Es schien sich der Schönheit seiner Bürde bewußt, denn seine röthlichen Augen blickten wie stolz umher, seine Nüstern blähten sich und es warf den lang und seidenartig bemähnten Nacken kräftig aufwärts.

Die Reiterin trug auf der rechten Hand, als sie das erste Mal erschien, statt eines Exemplars jener Falken, deren sich die persischen und thybetanischen reichen Herren zu der Jagd auf das rothe Rebhuhn und den Steppenfasan bedienen, eine weiße Taube.

Die ganze Erscheinung der schönen Reiterin erschien wie ein phantastisches Bild aus Tausend und Eine Nacht und machte auf das Publikum einen förmlich berauschenden Eindruck.

Diese Stimmung bewies auch der enthusiastische Applaus, der sie begrüßte. Die Pariser sind wie die Kinder, je glänzender, je phantastischer eine Erscheinung, in desto größeres Entzücken gerathen sie. Unter Denjenigen, welche sich die Hände fast wund klatschten vor lauter Enthusiasmus, zeichnete sich Tunsa – oder vielmehr Feodora – aus, die mit dem Knaben auf ihrem Schooß um die Wette applaudirte und dem Entzücken ihrer wilden Natur vollen Lauf ließ, so daß sie sich weit vorbeugte über die Loge und die Fürstin sie zurückziehen und sie daran erinnern mußte, wo sie sich befänden.

Die schöne Tscherkessin ritt unter den rauschenden Klängen der Musik langsam die schmale Bahn hinauf und die Estrade entlang. Sie hatte das Pferd fest und kurz in der Hand und man sah, wie das feurige Thier nur mit Ungeduld sich in die Fessel fügte. Jede Ader an ihm schien von Kraft und Erwartung des freien wilden Laufs zu schwellen.

Als die Reiterin sich gerade gegenüber der kaiserlichen Loge befand, hielt sie an – und wie vorhin den »Nureddin«, sich zu strecken, – so zwang sie jetzt den feurigen Perser, das linke Knie vor der Loge zu beugen. Dann, während noch der Sturm des Applauses tobte, riß sie plötzlich das Pferd in die Höhe und ließ es steigen, daß die Vorderhufe durch die Luft schlugen.

Ein allgemeiner Schrei der Angst begleitete das auf dieser schmalen Bahn so kühne Reiterstück; aber mit stolzem Lächeln, als ob sie jede Gefahr verachte, hielt Rositta einige Sekunden lang das Thier in dieser Stellung, drehte es um sich selbst, und warf während des gefährlichen Manövres mit einer raschen Bewegung die weiße Taube in die Luft.

In demselben Moment hatte sie das bäumende Pferd wieder niedergeworfen, und sich tief bis auf die Mähne verneigend, zwang sie es, in langsamem stolzem Schritt seinen Weg über die Estrade fortzusetzen und verschwand durch die entgegengesetzte Thür.

Das kühne Manövre war so rasch vor sich gegangen, daß das Publikum noch nicht Zeit gehabt hatte, von seinem Schrecken zu neuem Beifall über das Gelingen überzugehen, als die Sennora bereits verschwunden war – aber donnernder Applaus hallte ihr nach, während aller Augen jetzt den Falken suchten, den die kecke Reiterin in die Höhe geschleudert.

Der Vogel, betäubt und verwirrt von dem Lärmen und dem Glanz der hundert Glasflammen, flatterte ängstlich an der Decke der Rotunde umher. Endlich schien er sich der Lection zu erinnern, zu der er offenbar abgerichtet war, umkreiste drei Mal den großen Kronenleuchter de« Mitte, und ließ sich dann auf der Balustrade der kaiserlichen Loge vor der Kaiserin nieder.

Erst während des Fluges hatte man bemerkt, daß die Taube in ihren Fängen ein kleines Blumenbouquet trug mit einem flatternden Seidenband.

Das Publikum begriff sogleich diese sinnige Huldigung und brach in neuen Beifall aus, während die hohe Frau, offenbar angenehm berührt von dem kleinen Intermezzo, das zierliche überaus zahme Thierchen liebkoste und ihm selbst das Bouquet und das Band abnahm.

Das Band enthielt wahrscheinlich ein kleines entsprechendes Madrigal oder Sonnett, denn die Kaiserin las es und reichte es dann mit befriedigtem Lächeln der Marschallin.

Das Bouquet behielt sie zurück und während ihre schlanken Finger damit spielten, senkte sich ihr schwarzes Auge sinnend darauf nieder.

Die Blumen, die es bildeten, waren sehr einfach. Es bestand allein aus einer Calla, jener prächtigen Blüthe der amerikanischen Tropen, umgeben von den kleinen zierlichen Blumen des Myosotis oder des oreille de souris – unserem gewöhnlichen Feld-Vergißmeinnicht.

Welches Interesse die hohe Dame aber auch an dem kleinen Bouquet nahm, es konnte bei weitem sich nicht mit dem Glück vergleichen, das eine andere Person im Circus über ein anderes Bouquet empfand.

Der junge Preuße hatte bei dem Bau der Estrade seinen Platz behauptet, er stand jetzt dicht neben ihr in der vordersten Reihe der Zuschauer.

Als die schöne Tscherkessin zuerst auf der gefährlichen Brücke erschien, durchlief ein Erbeben der Freude seinen kräftigen Körper, sein ehrliches blaues Auge strahlte einen Blitz des Glücks, und alles Andere war vergessen.

Während des begeisterten Jubels und Lärmens des Publikums und des Spiels dieser kleinen Scenen, die für die Menge unverständlich waren, hatten die Diener der Manège im letzten Drittel der Estrade nach dem Eingang von Außen her zwei Joche derselben ausgehoben und so eine Kluft von mindestens 5 Ellen Breite gebildet.

Man wußte, daß über diese Kluft die Reiterin den verwegenen Sprung machen sollte!

Nach dem kühnen Reiterstück von vorhin zweifelte zwar Niemand, daß die Sennora die Aufgabe lösen würde, aber man verhehlte sich nicht, wie gefährlich sie war und die Spannung wuchs mit jedem Moment fieberhaft.

Die Reiterin sollte zum ersten Mal im Galop den Sprung wagen, nachdem sie dem Pferde die gähnende Oeffnung gezeigt, – um den äußern Gang des Circus jagen und noch ein Mal über die Brücke galopirend über die gähnende Oeffnung und zugleich eine feste Pallisadenbarriere setzen, die man – mit den Spitzen 4 Fuß über das Podium der Estrade ragend, – unterdeß in die Oeffnung geschoben haben würde, um die Schwierigkeiten, aber auch den Ruhm der Ausführung zu vergrößern.

Die kecksten und verwegensten Reiter unter dem Publikum erklärten die Sache für kaum möglich und geradezu halsbrecherisch. Die entsetzliche Aufgabe hatte selbst das höchste Interesse des Garibaldiens erregt, und er vergaß alles Andere über die Theilnahme an dem Schauspiel, das ihn an die wilden Ritte und Reiterstücke der Pampas erinnerte. Lord Heresford erzählte von einer Fuchshetze im Westen von Irland, bei der drei Jäger über einen um einen Fuß schmäleren Hohlweg gesetzt waren und der eine den Hals, die beiden anderen Arm und Bein gebrochen hätten, und Kapitain Peard bot Jedem, der sie annehmen wollte, eine Wette an, daß das Schicksal der schönen Rositta dasselbe sein würde.

Welche Theilnahme aber auch das Wagniß fand – kein Herz schlug wohl heftiger und beklommener, als das Otto's von Röbel.

Der junge Mann wurde, je näher der verhängnißvolle Augenblick herankam, desto bleicher. Seine Hand war unter dem Rock krampfhaft gegen das Herz gepreßt und er hätte sicher mit Freuden Alles, was er im Leben besaß, darum gegeben, wenn er diesen Theil des Programms hätte beseitigen können.

Wenn auch nicht gleiche Besorgniß, so doch gewiß gleiche Theilnahme fühlte offenbar auch der Mohrendoctor. Er hatte nochmals sorgfältig die Festigkeit der Brücke geprüft und nahm jetzt auf der rechten Seite derselben seinen Platz, während der junge Preuße links stand.

Auf ein Zeichen schwieg jetzt die Musik und der erste Stallmeister machte in jener eigenthümlichen Redeweise, die in allen Managen hergebracht ist, das Publikum nochmals mit der Gefährlichkeit der Piece aufmerksam und bat deshalb, sich ganz ruhig zu verhalten und namentlich nicht durch Bewegungen oder Winken mit den Tüchern u.s.w. die Aufmerksamkeit des Pferdes abzulenken.

Dann trat er zurück. Nur der Stallmeister, der Mohrendoktor und die Diener, welche die Barriere einzuschieben hatten, blieben in der Manage.

Eine kurze Pause ängstlicher Spannung und Erwartung!

Jetzt begann das Orchester eine wilde rasche Musik und Rositta sprengte in kurzem Galopp auf die von den Hufschlägen dröhnende Estrade.

Zwei Schritt vor der geöffneten Kluft hielt sie an, wie um dem edlen Pferde seine Aufgabe zu zeigen, wendete dasselbe dann geschickt und ritt zurück nach dem Anlauf in dem Stallgang.

Don Alvaro hatte sich bis dicht an die Balustrade der kaiserlichen Loge gedrängt und lehnte sich weit über die Brüstung. Er hielt in seiner Hand ein weißes Taschentuch.

In diesem Augenblick der allgemeinen Aufregung und Spannung, die selbst die höchsten Zuschauer ergriffen hatte, achtete Niemand auf die Unschicklichkeit seines Benehmens, denn Alles beugte sich vor und drängte sich, um keine Phase des Kommenden zu verlieren.

Die Musik lauschte ihre schnellen wilden Takte – – – Und dann, nach einem kurzen Moment der Zögerung, rascher, als diese Worte sich gelesen haben, donnerte der kräftige Galop des Matador die Brücke herauf!

Rositta – – –


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