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Der 2. Dezember.

Am 10. und 11. Dezember 1848 war der ehemalige Gefangene von Ham, der frühere Carbonari und Verschwörer von Straßburg und Boulogne, der Volksrepräsentant Bürger Louis Napoleon mit 5 Millionen 534 520 Stimmen unter 7 426 252 auf 4 Jahre zum Präsidenten der französischen Republik gewählt worden.

Die Geistlichkeit, die Bourgeoisie, die Armee, die Finanziers und selbst die Legitimisten hatten ihm ihre Stimmen gegeben: die Geistlichen, weil sie den Schutz der Kirche von ihm erwarteten, die Bourgeois und Financiers, weil sie das rote Gespenst der sozialen Republik fürchteten und Ruhe haben wollten um jeden Preis, das Landvolk und die Armee, weil sie an seinen Namen die unvergeßlichen Erinnerungen des Kaiserglanzes knüpften, die Legitimisten endlich, weil sie ihn für den geeigneten und notwendigen Übergang zur Wiederherstellung des Thrones hielten. Die Roten stimmten gegen Cavaignac, den einzigen bedeutenden Rivalen, trotz der Erinnerungen seiner Familie, weil sie ihm den Sieg der Junitage nicht vergeben konnten.

Fünf und eine halbe Million Stimmen! Es müßte ein Dummkopf gewesen sein, wer mit einem solchen Fundament die Traditionen des Kaiserreichs nicht fortzubauen versucht hätte. Das französische Volk ist zu nichts weniger, als zu einer Republik gemacht. Selbst der große Onkel des noch so kleinen Prinzen hatte bei den drei Gelegenheiten, wo er Frankreich über sich abstimmen ließ: im Jahre 8 der Republik wegen des Konsulats, im Jahre 9 wegen der Lebensdauer desselben, und wegen der erblichen Kaiserwürde nur 3½ Millionen Stimmen erreicht.

Louis Napoleon war also Präsident der französischen Republik, er repräsentierte nach der gegebenen Konstitution die exekutive Gewalt. Aber die Konstitution legte ihm bedeutende Fesseln an. Seine Wahl galt vor allem nur 4 Jahre, das heißt bis zum zweiten Sonntag des Mai 1852. Eine Wiederwahl durfte nur nach einer Zwischenfrist von 4 Jahren stattfinden. Der Artikel 50 untersagte ihm, je in Person das Kommando der Armee zu führen, Artikel 51 und 68 bei Strafe des Hochverrats und der sofortigen Entsetzung und Vogelfreiheit, die Herrschaft der Konstitution und der gegebenen Gesetze durch Vertagung oder Auflösung der Nationalversammlung auf irgend eine Weise aufheben zu wollen.

Diese Konstitution beschwor der »Bürger Carl Ludwig Napoleon Bonaparte, geboren zu Paris,« als Marrast, der Präsident der Nationalversammlung, ihn am 20. Dezember 1848 auf die Tribüne des Hauses rief, mit folgendem Eid:

 

»Im Angesicht Gottes und vor dem französischen Volke, das hier durch die Nationalversammlung vertreten wird, schwöre ich, der einen und unteilbaren demokratischen Republik treu zu bleiben und alle die Pflichten zu erfüllen, welche die Konstitution mir auferlegt.«

 

Der neue Präsident bezog das Elysée, ein bourbonisches Palais – den Lieblingsaufenthalt seines Onkels, der einst dem Grafen d'Evreux – der Marquise von Pompadour, dem Finanzier Beaujon, der Herzogin von Bourbon, der Regierungs-Buchdruckerei in den ersten Tagen der Republik, Mürat, dem Herzog von Berry und Madame Adelaide, der Schwester Louis Philipps, gehört hat. Kaiser Alexander von Rußland bewohnte es 1814, Wellington im Jahre darauf. In einem in blau und gold gehaltenen Schlafzimmer zeigt man noch das Bett, auf dem Napoleon I. nach der Schlacht von Belle-Alliance geschlafen, wenn er damals geschlafen hat! In dem Salon du Travail unterzeichnete er seine Abdankung.

Von dem Augenblick der Übernahme der Präsidentschaft an beobachtete der Prinz die kalte berechnende Politik, die Parteien bekämpfen und sich gegenseitig abnutzen zu lassen, nur von Zeit zu Zeit durch ein geschicktes Manöver den Kampf schürend und währenddes im stillen seine Macht befestigend, indem er die Augen der Menge auf sich richtete, als auf den einzigen, der das Gewirr zu lösen vermöge.

Es folgte die Wahl der neuen Nationalversammlung am 13. Mai 1849 und mit Schrecken erkannte die Bourgeoisie die Fortschritte der Sozialisten! Schon damals wurde der Ruf nach einem Staatsstreich, nach einer Diktatur laut. Die Bergpartei zählte über 200 Mitglieder, die Monarchisten unter Molé zählten an 300, die Demokratie unter Dufaure gegen 400. Durch den Zug nach Rom zur Vernichtung der römischen Republik und zur Wiederherstellung der Macht des Papstes hatte der Prinz-Präsident einen der kühnen und schlauen Schachzüge gethan, welche die Parteien spalteten. Die Kirche und die Legitimisten, die sich selbst im Ministerium durch de Falloux repräsentiert sahen, hielten ihre Erwartungen für erfüllt. Knirschend sahen die Roten im September die Freiheitsbäume in Paris auf Befehl der Regierung unter der Axt fallen.

Sie antworteten im März und April 1850 mit der Wahl der vier sozialistischen Repräsentanten von Paris: Carnot, Vidal, de Flotte und Eugen Sue.

Das vom Ministerium Baroche vorgelegte neue Wahlgesetz, welches das allgemeine Wahlrecht aufhob, ging am 31. Mai durch; Molé und Thiers, die Führer der Monarchisten waren in diesem Augenblick die vertrauten Gäste des Elysée.

Alle Parteien erwarteten zu ihren Gunsten, einen Staatsstreich, die Legitimisten sahen bereits Heinrich V. auf dem Throne Frankreichs, die Partei Orleans hoffte von General Changarnier, dem Oberbefehlshaber der Armee, ihre Retablierung, die Roten zählten darauf, daß er an der Spitze des Heeres jeden Staatsstreich zur Wiederherstellung der Monarchie verhindern würde.

Nur der Präsident hüllte sich in Schweigen und begnügte sich, Rundreisen durch die Departements zu machen, Anreden an die Truppen zu halten und die napoleonischen Erinnerungen aufzufrischen.

Das Jahr 1851 hatte unter steigenden Verwickelungen begonnen, die große Frage der Session war die geschickt durch den Präsidenten in allen Parteien angeregte »Revision der Verfassung«.

Es war an der Zeit, die Laufgräben zu demaskieren, der offene Zwist der Regierung mit der Nationalversammlung brach los. Sehr geschickt hatte der Prinz dazu die Verweigerung der Haft eines Repräsentanten wegen Schulden benutzt, um die Finanziers auf seine Seite zu ziehen. Dem Mißtrauensvotum gegen sein Ministerium antwortete er keck mit der Enthebung des Generals Changarnier vom Kommando der Armee. Die Losung: Wiederwahl des Präsidenten wurde gegeben und der verunglückte Versuch der Parlaments-Kommission, ein Komplott zu beweisen, das den Präsidenten zum Kaiser machen wollte, mit der Entdeckung einer sozialistischen Verschwörung und hundert Verhaftungen beantwortet.

Die Ministerkrisis wurde aus dem Elysée klug mit der Bildung eines Übergangs-Ministeriums aus unberühmten und tendenziösen Namen beseitigt, unter deren Schutz die Spaltung zwischen der Exekutive und der National-Versammlung immer weiter gerissen wurde.

Die Presse war in der Zeit der Republik geknechteter, als je zuvor; die Konfiskationen und Prozesse jagten einander, während der Konstitutionell, das Organ des Elysée, geheimnisvolle Andeutungen über die Zukunft brachte. Unter der Herrschaft der Republik war das Gesetz entstanden, daß die Artikel der Journale mit den Namen der Verfasser unterzeichnet sein müßten.

Es ist wahrscheinlich, daß Louis Napoleon in dieser Zeit von einer Revision der Verfassung noch die Sicherung seiner Präsidentur hoffte und den Staatsstreich vermeiden wollte, deshalb wurde auch der Heber der Petitionen in Anwendung gebracht und 2 Millionen Wähler und die 80 Departementsräte verlangten in Adressen von der National-Versammlung diese Revision, während die bonapartistischen Journale mit Verschwörung und Emeuten der Roten drohten und die Armee ganz offen auf die Seite des Präsidenten trat. Der Kriegsminister sah sich genötigt, den heftigen Tagesbefehlen mehrerer Regiments-Kommandeure Einhalt zu thun, welche ganz offen ihren Soldaten erklärten, daß sie ohne Erbarmen die Demokraten niedermetzeln müßten.

Was aber auch die Absichten des Präsidenten sein mochten, die Ereignisse drängten zu einer raschen Entscheidung. Die Legitimisten hatten sich gänzlich von ihm zurückgezogen, die Nationalversammlung verwarf am 14. Juli den Antrag des Ministeriums auf Revision der Verfassung und vertagte sich bis zum 4. November, die Orleanisten, Thiers an ihrer Spitze, beschlossen, den Prinzen von Joinville als Kandidaten für die Präsidentur aufzustellen, die Roten: Carnot!

In diese Zeit fallen das große Fest der Einweihung der neuen Marktplätze, mit der sich der Prinz-Präsident bei den »Damen der Halle« populär machte, die Banketts, die er den Soldaten bei jeder Gelegenheit gab, die Feten an die Offiziere, bei denen der Champagner in Strömen floß und das Geschrei der großen Lieferanten, in deren Schuldbüchern er mit Hunderttausenden figurierte.

Es gab nur zwei Wege: die Eroberung der dauernden Herrschaft, oder den Schuldturm, sobald die Präsidentur abgelaufen war.

Die Wahl war leicht.

Zweimal hatte der Prinz-Präsident seitdem das Kabinett verändern müssen; alle Welt empfand die drückende Nähe einer Krisis, die Unabwendbarkeit eines Staatsstreichs, der den Sieg der roten Republik oder die Wiederaufrichtung der Napoleoniden herbeiführen mußte.

Es galt jetzt die letzten, entscheidenden Züge.

Der Präsident verlangte die Aufhebung des Wahlgesetzes und die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts. Das Ministerium Faucher weigerte sich und trat ab, ein neues aus meist unbedeutenden Namen wurde ernannt, aber zugleich Maupas, der bisherige Präfekt der Haute Garonne, feig und kraftlos, aber bereitwillig zu jedem Gehorsam, zum Nachfolger Carliers als Polizeipräfekt von Paris, und der General L. Roy de St. Arnaud, aus Algier vor kurzem zum Kommando der 2. Division der Besatzung von Paris berufen, zum Kriegsminister.

Die Nationalversammlung verwarf am 13. November die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts, aber es waren nur noch 7 Stimmen Majorität gegen das Elysée, und der Präsident hielt die berüchtigte Anrede an die Offiziere der Garnison, in welcher er die Hilfe der Armee verlangte und sagte: wenn der Tag der Gefahr käme, werde er nicht wie die früheren Regierungen ihnen zurufen: »Marschiert, ich folge Euch!« sondern: »Ich marschiere, folgt mir!«

Vergeblich versuchte am 17. die gesetzgebende Versammlung, durch Cavaignac, Changarnier und Lamoricière getrieben, das ausschließliche Kommando über die Truppen zu erhalten, statt die Befehle durch den Kriegsminister zu übermitteln; der Antrag ward schon mit 408 gegen 300 Stimmen abgelehnt, die Truppen empfingen den Präsidenten bei der Parade auf dem Marsfeld mit Jubel, und am 24. November schleuderte die Feder Graniers de Cassagnac im Konstitutionel die Anklage einer Verschwörung der Ordnungspartei gegen den Präsidenten in die Öffentlichkeit.

Die Nationalversammlung, die Bergpartei und Legitimisten vereinte, suchte das seit zwei Jahren in Vergessenheit gekommene Gesetz über die Verantwortlichkeit des Präsidenten wieder zur Beratung hervor, dessen Paragraphen es für Hochverrat erklärten, wenn der Präsident es versuchen sollte, ohne Unterbrechung seine Amtsdauer über vier Jahre zu verlängern.

Die Frucht war reif, der Tag der Entscheidung gekommen.


Es war der Abend des 1. Dezember, ein Montag.

Paris amüsierte sich, wie sich Paris selbst unter der Guillotine und unter dem Einmarsch der Preußen amüsiert hatte. Wann hätte je das drohende Gewitter am politischen Himmel, selbst der zuckende Blitz Paris von seinem Amüsement abgehalten? Man wischt höchstens das Blut ab und tanzt auf derselben Stelle.

Auch heute wußte man, daß ein Gewitterschlag am Horizont schwebte, aber nicht, wann er sich entladen würde, und man glaubte an nichts weniger, als an seine unmittelbare Nähe.

Der Prinz-Präsident gab eine große Soirée; wer nicht dort, oder noch nicht dort war von der Modewelt, war sicher in der Opera comique, wo eine neue Oper von Limnandier: »Das Schloß des Blaubart« gegeben wurde. Das Theater war zum Erdrücken voll, die Diplomatie, die politischen Notabilitäten, die tonangebenden Schönheiten und die Börse waren zahlreich vertreten.

Der erste Akt war zu Ende, in dem prachtvollen Foyer drängte sich eine elegante Menge.

Eine Gesellschaft von drei Herren kam die Treppe herauf von den Orchesterplätzen und zog nach dem Foyer.

Einer der Herren, ein eleganter stattlicher Mann, in dem Knopfloch seines Fracks das Kreuz der Ehrenlegion und den päpstlichen Christusorden um den Hals, grüßte mit besonderer Höflichkeit nach der Loge, an der sie eben vorüber kamen.

Man sah der Haltung des Mannes an, daß er zu den aristokratischen Kreisen gehörte. Er trug Civil, obschon sein Gesicht durch mehrere breite Narben bedeckt und die früher wahrscheinlich schön und edel geformte Nase durch einen Bruch des Nasenbeins sehr entstellt war.

»Wen grüßten Sie da, lieber Graf?« frug ein Offizier in ausländischer, preußischer Uniform.

»Oh, eine kleine Höflichkeit, ich habe Fräulein Miron nur an das schöne Gesicht eines früheren Anbeters erinnern wollen.«

»Miron – wer ist die Dame? ich kenne sie nicht.«

» Valga me Dios! Da sieht man, mein junger Freund, daß Sie einzig und allein Augen für die kleine Argentinierin haben. Nehmen Sie sich vor dem Spanier in acht, Sie wissen, er ist der Bräutigam und die Familie steht famos im Elysée!«

Der Offizier errötete leicht. »Das sagt mir immer noch nicht, wer die Miron ist!«

»Glücklicher Mensch, dessen Finanzen so vortrefflich sind, daß er nicht einmal die Namen unserer Börsen-Krösusse kennt. Ich versichere Sie, Monsieur de Röbel, ich habe, bevor die kleine Erbschaft meines Onkels, des Ludwigsritters, mir erlaubte, mit meinen Gläubigern zu akkordieren und aus Rom zurückzukehren, einen ganz Besondern Respekt vor dem Namen Miron gehabt und bin sogar einmal nahe daran gewesen, die schöne Cora zu heiraten, wenn sie nicht zu klug gewesen wäre, um ihre guten Vierprozentigen mit dem letzten Blut der Montboisier zu vermischen.«

Der Offizier war bei der Erwähnung seiner Finanzen etwas verlegen geworden, aber er half sich geschickt, indem er das Gespräch bei dem wirklichen Gegenstand hielt. »Unsere Börsenmatadore werden leider auch zäh. Einer meiner Freunde hatte neulich alle Festigkeit seines Charakters nötig, um dem Bankier, der gern einen Grafen zum Schwiegersohn haben wollte, die zweimalhunderttausend Thaler Mitgift abzugewinnen. Der alte Jude hatte die Unverschämtheit, bei der Besprechung der Mitgift 40 000 Thaler zu bieten.«

»Und wie machte es Ihr Graf?«

»Er nahm, ohne ein Wort zu sagen, seinen Hut und ging. An der Thür des Salons hatte der künftige Schwiegervater die Aussteuer schon auf Sechzigtausend erhöht, an der ersten Treppenstufe bot er Hunderttausend, erhielt aber keine Antwort. Als er höflichst die Hausthür öffnete, waren die Zweimalhunderttausend richtig voll.«

Montboisier lachte. »Ich werde mir das Rezept merken trotz meiner entstellten Visage; denn ich fürchte, daß Fräulein Cora Miron, nachdem sie den Thron ihrer Herrschaft an die schöne Kreolin hat abtreten müssen, am Ende gezwungen sein wird, es bei mir auf einen Gegenkorb ankommen zu lassen!«

»Man sagt, daß sie sich nicht entschließen kann zu heiraten wegen einer romantischen Inklination, von der Papa Miron nichts wissen will.«

»Ach, liebster Düplessis, wer sagt das? die bösen Zungen! Ich bin Kapitän Fromentin viel zu viel Dank schuldig, daß er mich vor der fatalen Füsilade am San Montorio gerettet, der die arme Herzogin von Ricasoli zum Opfer fiel, als daß ich ihn so blindlings in sein Unglück rennen lassen würde! Mademoiselle Miron würde den braven Artilleristen noch um ganz andere Dinge bringen, als um seine Erfindung der gezogenen Geschütze!«

»Wissen Sie, daß der Kapitän in Paris ist?« frug der Journalist.

»In Paris? das ist unmöglich!«

»Ich habe ihn vor zwei Stunden auf dem Boulevard Italien gesprochen. Er fragte nach Ihnen, und ich sagte ihm, daß er uns hier treffen würde.«

Der Graf biß sich leicht auf die Lippe – die Begegnung war ihm offenbar nicht ganz angenehm. »Was führt ihn her? ist er auf Urlaub?«

»Er hat seinen Abschied genommen, weil man ihm, wie er mir sagte, den Urlaub beharrlich verweigert hat.«

»Wann ist Kommandant Fromentin hier eingetroffen?«

»Heute Mittag erst; aber Sie nennen ihn mit Unrecht Kommandant, er ist nicht so glücklich wie Sie und hat den Abschied nur in seiner Charge als Kapitän erhalten.«

»Das ist ungerecht, denn er ist ein braver Bursche und verdienter Soldat. Da sehen Sie, wie das demokratische Elysée mit dem Faubourg St. Germain kokettiert. Ich habe kaum drei Monate Dienst gethan, und man hat dem Bürger Montboisier das Patent an den Hals geworfen, bloß weil er zufällig Graf ist.«

»Die Herren Legitimisten scheinen den guten Willen des Präsidenten wenig zu würdigen,« sagte der Journalist lachend, »sie haben sich so gut von ihm losgesagt wie der Berg und die Gemäßigten. Man scheint in der Straße de Lille ganz besondere Erwartungen zu hegen, sonst hätte de Laborde unmöglich heute in der Nationalversammlung den Antrag auf einfache Wiederherstellung der legitimen Monarchie einbringen können!«

»Er hätte damit warten sollen, bis Soulouque Ein damaliger Spottname des Präsidenten. in Clichy sitzt. Waren Sie dort?«

»Wie halb Paris! Man erwartete besondere Dinge und sah sich ärgerlich getäuscht. Dupin wies den Antrag als inkonstitutionell zurück, obschon Larochejaquelin ihn unterstützte, und er fiel mit ungeheurer Majorität. Nachher bloß eine Debatte über die Bahn von Avignon und einige unbedeutende Paragraphen des Wahlgesetzes – voilà, tout!«

»Da haben Sie den Staatsstreich,« sagte der Legitimist lachend, »man tanzt im Elysée und denkt vorläufig an andere Dinge als an Ordonnanzen. Miron ist ein Schlaukopf gewesen, als er das schöne Geschäft ablehnte!«

»Was meinen Sie?«

»Ei, die hundert Millionen des Präsidenten, die ihm zuerst angetragen wurden zu zehn Prozent, die Sache ist kein Geheimnis mehr.«

»Aber mir unbekannt!«

»Dann müssen Sie in der That weniger wissen, lieber Redakteur, als hier unser preußischer Freund. Wo zum Teufel sollte Soulouque denn das Geld hergenommen haben, um täglich Feten im Elysée zu geben, er, der doch aller Welt schuldig ist?«

»Oh, die Feten ruinieren ihn nicht; es ist bekannt, daß man dort sehr ordinären Punsch trinkt.«

»Ja, aber die Gelage der Offiziere schwimmen in Champagner, Sie kennen doch die neueste Karikatur? Und die Soldaten, welche die Sparsamkeit der würdigen Nationalversammlung vom petit bleu Ein berüchtigter kleiner Wein aus der Nähe von Paris, zur Ration des Militärs gehörig. Man wird sich einen Begriff davon machen, welches Gebräu von dem Volk unter diesem Namen getrunken ward, wenn man hört, daß der Ortoy (die Thorsteuer) für die Flasche mehr betrug als der Preis, zu dem er in den Pariser Kneipen verkauft werde. auf Coco Süßholzwasser; ein sehr übliches Getränk der untern Volksklassen. gesetzt hat, konsumieren aus bonapartistischer Tasche eine ganz anständige Masse Spirituosen.«

»Es ist allerdings auffallend!«

»Aber erklärlich und bar bezahlt. Soulouque hat wie gesagt eine Anleihe von hundert Millionen gemacht, das heißt, er hat zehn Millionen erhalten, wofür hundert gezahlt werden sollen, wenn er erst Kaiser von Frankreich ist!«

»Wer in aller Welt sollte so thöricht gewesen sein, ein solches Geschäft zu machen?«

»Königswarter, der Bonapartist, hat sie übernommen; ich weiß es von seinem eigenen Bruder, der zu den Unsern gehört. Das Geschäft ist mit englischen Kapitalisten in London geschlossen worden. Aber ich weiß, daß von diesen zehn Millionen kein Sous mehr da ist, und deshalb eben zweifle ich an diesem Staatsstreich, den alle Welt fürchtet; denn zum Kriegführen gehört vor allem Geld, wie Ihr großer Friedrich gesagt hat, Monsieur de Röbel.«

»Und Miron hatte man dies Geschäft angeboten?«

»So vertraute mir der Sohn. Er hatte sich gehütet, es mit den Millionen seiner Braut zu machen, sonst würde er jetzt schwerlich so zufrieden und guter Dinge zwei Tage vor seiner Hochzeit dort drüben in seiner Loge sitzen und seiner kleinen Braut von den heutigen Kursen der Coulisse schwatzen können, statt ins Foyer zu kommen. Sie sind doch eingeladen zur Hochzeit?«

»Man hat mir eine Karte gesandt, aber ich habe bei Cavaignac zugesagt, die Hochzeit des Generals ist an demselben Tage.«

»Zwei Millionärinnen; die Börse und die Fraktion der konstitutionellen Demokratie haben Glück. Der General scheint sich die pikanten Artikel des Herrn Girardin wenig anfechten zu lassen.«

»Girardin ist ein Mensch ohne Ehre und Gewissen. Der General meint es ehrlich mit der Konstitution. Was kann er dafür, daß sein Bruder zur Partei der Roten gehörte.«

»O, was das anbetrifft,« sagte der Graf kalt, den Rest aus seinem Glase Eis löffelnd, »so liegt das im Blut. Père Cavaignac hat nicht umsonst zu den Mitgliedern gehört, die Marie Antoniette zum Tode verurteilten, und als Kommissär des Konvents jene zwanzig jungen Mädchen in Verdun unter das Messer der Guilletine gesandt, weil sie den König von Preußen – es war ja wohl der Großvater Ihrer jetzigen Majestät, Monsieur de Röbel? – beim Einzug in die Festung mit Blumen begrüßt hatten.«

»Herr Girardin ist doch bei andern Gelegenheiten in der Politik sehr tolerant!«

»Ah nicht bloß in der Politik, er war es auch im Häuslichen,« sagte lachend der Graf, »und seine Kurzsichtigkeit soll ihm bei einigen Gelegenheiten vortrefflich zu statten gekommen sein, als er nicht sehen wollte, wenn Madame Delphine sich gerade amüsierte. Die Dame hatte das Vorrecht, so ungeniert zu sein, wie ihre Mutter, Madame Gay, die dem ersten Napoleon auf seine Frage, was sie denn während der zwei Jahre ihrer Verbannung nach Aachen dort gemacht habe, sehr naiv antwortete: ›Drei Kinder, Sire!‹ Aber fassen Sie sich in Geduld, Herr Kamerad, ich kann um keinen Preis den zweiten Akt der Oper einbüßen, auch wenn Sie noch so große Eile haben, ins Elysée zu kommen.«

»Mein Gesandter …«

»Ihr Gesandter wird sich den Henker um die schlechte Gesellschaft im Elysée scheren, auch wenn der Prinz noch zehnmal Herrn Kossuth und Konsorten die Durchreise durch Frankreich verweigert, um sich bei den östlichen Höfen lieb Kind zu machen. Überdies habe ich eben Herrn Morny noch ganz ruhig neben Cavaignac und Thiers in ihren Logen sitzen sehen; wir leben in einer wahren Idylle von Politik heutzutage. Was Sie zur Eile drängt, das ist, die kleine Kreolin dort zu sehen, deren Papa, der enragierte Bonapartist, eine so besondere Aufmerksamkeit für Sie zeigt, daß man glauben könnte, er habe Sie zum Schwiegersohn ausersehen, wenn dieser langweilige Spanier nicht bereits das Vorrecht hätte.«

»Das besondere Vertrauen, das mir Oberst Massaignac zeigt,« bemerkte der Offizier, »rührt von einem Dienst her, den ihm mein Vater 1815 geleistet.«

»Das ist eine ganz hübsche Anwartschaft auf Cadeaux wie der prächtige Braune, den Sie gestern in den elysäischen Feldern ritten, und selbst hier und da auf eine kleine Anleihe, denn Nabobs gegenüber braucht man nicht allzu schwierig zu sein; aber hüten Sie sich, sich an den Feueraugen der Signora Carmen die Flügel zu verbrennen, die Kleine ist eine ärgere Kokette, als selbst die Miron.«

Sie hatten eben das Foyer verlassen und waren im Begriff, die Treppen hinabzusteigen, als der ziemlich laut gesprochene Name die Aufmerksamkeit eines Entgegenkommenden erregte.

»Herr Graf …«

» Valga me Dios! Kapitän Fromentin! Seien Sie willkommen in Paris!«

Der Legitimist reichte dem ehemaligen Gegner unbefangen die Hand. Nur zwischen den Zähnen murmelte er: »Da geht der zweite Akt des Blaubart zum Teufel.«

»Ich bedaure,« sagte der Artillerie-Offizier, »Sie einige Augenblicke aufhalten zu müssen, da ich Sie sprechen muß!«

»Hat die Sache nicht Zeit, bis morgen?«

»Es thut mir leid, aber ich bin nicht gewöhnt, derartige Geschäfte aufzuschieben.«

Der Graf verbeugte sich. »Das Foyer wird in einem Augenblick leer sein. Die Herren werden entschuldigen.«

»Diese Herren,« sagte der Kapitän, »würden mich verbinden, wollten sie unserer Unterredung beiwohnen. Herr Duplessis ist uns beiden befreundet und dieser Herr …«

Der Graf beeilte sich, den Offizier als auf Urlaub in Paris anwesend und an ihn empfohlen, vorzustellen.

Die Männer verbeugten sich.

»Darf ich bitten!«

Das Foyer war in der That leer; alles strömte nach dem Saal.

Die vier Männer nahmen in einer Ecke Platz, in der sie nicht gehört werden konnten.

»Mein Herr,« sagte der Artillerist, »Sie wissen, daß aus früherer Zeit noch eine Angelegenheit zwischen uns zu ordnen ist. Ich habe Sie an dem Tage des Sturms auf die Villa Corsini schwer beleidigt, und wenn auch Ihre Gefangenschaft in Rom ein hinreichender Grund war, die Verzögerung dessen zu rechtfertigen, was unter Männern von Ehre in solchem Fall üblich ist, so durfte ich doch erwarten, daß Sie Rom nach Ihrer Befreiung nicht verlassen würden, ohne unsere Angelegenheiten zu ordnen.«

Zwei rote Flecken zeigten sich auf den Wangen des Grafen; sein Auge schoß einen Blitz zorniger Erregung auf seinen Gegner, aber er unterdrückte mit Gewalt diese Aufregung.

»Ich habe Rom nicht verlassen, mein Herr,« sagte er mit ruhiger Würde, »ohne Ihnen wenigstens schriftlich die schuldige Andeutung über mein Betragen gegeben zu haben. Ich habe die Ehre, den Namen Montboisier zu tragen, und ich glaube, daß dieser genügt, mich vor dem Verdachte der Feigheit zu schützen.«

Der Kapitän verbeugte sich höflich. »Niemand denkt an einen solchen Vorwurf.«

»Wohlan denn, Sie werden vor diesen Herren zugeben, daß ich der Beleidigte war!«

»Ich habe Sie beleidigt!«

»An mir war es also, Genugthuung zu fordern. Meine Gefangennehmung verhinderte dies. Später wollte ich es nicht, und zog deshalb vor, mich von Rom zu entfernen.«

»Aber Sie haben auch keinen meiner Briefe beantwortet!«

»Einen Augenblick noch! Ich habe diesen Herren zu erklären, weshalb ich mich nicht mit Ihnen schlagen konnte.«

»Ich wiederhole: Niemand zweifelt an Ihrem Mut, Herr Graf.«

»Das ist nicht genug! Diese Herren müssen wissen, warum ich es nicht konnte und niemals können werde. Ich zweifle, daß einer von Ihnen schon einmal in seinem Leben vor der Mündung von zehn Büchsen gestanden, die auf seine Brust gerichtet waren, mit der Gewißheit, in zwei Minuten eine Leiche zu sein.«

» Parbleu!« rief der dicke Journalist, »ich habe zwar schon oft einer Pistolenmündung Stand gehalten, aber da waren die Chancen gleich. Die Empfindungen müssen etwa die nämlichen sein, die unser würdiger Nationalvertreter in seinem dernier jour d'un condamné gemalt hat.«

»Nun, ich versichere Sie, daß nur der, welcher es selbst erfahren, wissen kann, was es bedeutet. Ich habe es erfahren, und hier Kapitän Fromentin war es, der in jener Stunde mein Leben gerettet.«

Der dicke Journalist legte ganz gegen seine Gewohnheit sehr ernst die Hand auf den Arm des Artilleristen. »Dann, Herr Kapitän, kann sich der Graf unmöglich mit Ihnen schlagen!«

»Er wird müssen, oder eingestehen, daß er gelogen hat!«

»Mein Herr!«

Ich bedauere aufrichtig, zu diesen Worten gezwungen zu sein, aber Sie sehen, daß der Herr Graf selbst nicht antwortet.«

In der That hatte der Legitimist auf die neue Beleidigung sich begnügt, finster den Kopf zu senken.

Der Journalist, dessen Ruf als Duellant bekannt war, rückte den Stuhl unwillkürlich einen Schritt von dem seines Bekannten zurück, als sei dieser durch sein Schweigen verfehmt. »In der That,« sagte er, »ich begreife das nicht. Ist es vielleicht erlaubt, etwas näheres von der Sache zu erfahren?«

Der Graf hob ruhig den Kopf; sein Gesicht war finster, aber er schien einen bestimmten Entschluß gefaßt zu haben.

»Sie werden Ihre Beschuldigung zurücknehmen, Herr Kapitän, ich, der Graf Anatole Montboisier, bitte Sie darum.«

»Sie wissen, daß das unmöglich ist!«

»Es ist möglich, denn die Sache ist wahr!«

»Herr …«

»Still! keine neue Beleidigung, Sie wissen, daß ich gegen Sie waffenlos bin. Hätten Sie nicht mein Leben gerettet und mich dadurch zu einem andern Mann gemacht, als ich war, so würde ich Ihnen, mit dem Degen in der Hand, die Antwort geweigert haben. Jetzt habe ich eine andere Pflicht; ich kann mich nicht mit Ihnen schlagen, aber ebenso wenig in Ihren Augen einen Flecken auf meiner Ehre lassen. Ich gestehe es jetzt ganz offen, daß ich es gewesen bin, der es seit zwei Jahren bei dem Kriegsminister hintertrieben hat, daß Ihnen der wiederholt verlangte Urlaub von Rom verweigert worden ist.«

Der Kapitän verbeugte sich ironisch. »Ich begreife, daß gewisse Rücksichten …«

»Sie irren, Herr Kapitän,« sagte der Graf ruhig. »Eben um Ihren Wünschen nichts in den Weg zu legen, habe ich Ihre Urlaubsgesuche bisher hintertrieben. Ich weiß nicht, welche Ursache Sie veranlaßt hat, durch Aufgabe Ihrer Stellung Ihre Rückkehr nach Paris zu erzwingen; aber um Erfüllung Ihrer Wünsche willen, bitte ich Sie nochmals, Ihre Beleidigungen zurückzunehmen.«

»Ich bin gezwungen, bei meinen Worten zu verharren!«

»Dann, Herr Kapitän, ist die Sache eine andere.« Er nahm ein Portefeuille aus der Brusttasche seines Rocks, und suchte in einer Seitentasche ein Papier. Es war die kleine flüchtige Skizze eines Kopfes, nur in einzelnen Zügen, aber von Meisterhand.

Er reichte sie dem Offizier.

»Kennen Sie das Gesicht?«

»Die Fleur de Mort,« rief der Kapitän erstaunt, »wie kommen Sie zu dem Bilde?«

»Es ist ein Andenken an einen Toten. Chevaulet, der in der Villa Corsini erschlagen wurde, hat es bei der Guerin gezeichnet!«

»Das ist …«

»Still! Ich hätte Ihnen damals mit leichter Mühe die Wahrheit meiner Worte beweisen können, denn zwei Personen waren zugegen, die sie bestätigen konnten. Aber meine verletzte Eitelkeit suchte Streit mit Ihnen, da ich Sie für die Ursache des Korbs hielt, den Mademoiselle Miron mir gegeben.«

»Sie irren! Welchen Anspruch hätte ein armer Soldat auf die Beachtung einer reichen Dame.«

Die Worte waren nicht ohne Bitterkeit gesprochen, aber der Graf schüttelte ernst den Kopf. »Der Irrtum ist auf Ihrer Seite; glauben Sie mir, Sie sind der einzige Mann, für den diese Kokette je empfunden hat und noch empfindet. Sie hat in den zwei Jahren gewiß fünfzigmal Ihrer erwähnt und hatte im Sommer das Projekt, nach Italien Zu reisen. Aber eben weil ich Ihr Freund bin, würde ich sie lieber selber heiraten, als zugeben, daß Sie sich zeitlebens unglücklich machen!«

Der Offizier zuckte ungeduldig die Achseln. »Ich bin kein Kind, mein Herr!«

»Deshalb versuche ich auch nicht, die Medizin zu versüßen. Chevaulet und Rainville, der mit ihm in einem Grabe schläft, waren die Zeugen Ihrer Beleidigung, und gerade sie hätten Ihnen sagen können, daß ich die Wahrheit gesprochen.«

»Sie berufen sich auf die Toten!«

»Deshalb ist es nötig, Ihnen andere Beweise zu geben.« Er nahm ein zweites, klein zusammengefaltetes Blatt aus der geheimen Tasche seines Portefeuilles und reichte es dem Offizier.

»Sind Ihnen diese Worte bekannt?«

Der Kapitän öffnete das Papier; er zuckte zusammen, als er die eine Zeile las und fuhr mit der Hand über die Augen, als wolle er eine böse Erinnerung verscheuchen.

Auf dem Papier stand in kleiner zierlicher Schrift:

 

»Ich bitte, dem Überbringer zu vertrauen und ihm zu folgen.

Cora von Miron.« Vgl. »Villafranca« Bd. II.

 

»Dies Blatt …«

»Wird Sie vielleicht an ein anderes von gleichem Inhalt mit Ihrer Unterschrift erinnern.«

»Und mit jenem Papier?«

»Hat man das vollführt, was ich behauptet. Ich bedaure jetzt aufrichtig den Anteil, den ich an einer Sache hatte, die ich damals höchstens für einen leichtfertigen Spaß hielt; aber hier ist ein dritter Zeuge, der Ihnen bestätigen wird, daß ich die Wahrheit gesprochen.«

Der Kapitän sah mit verstörtem Blick um sich. »Wo? wer?«

Der Graf wies auf den dicken Journalisten: »Dieser Herr war Zeuge!«

»Von was? zum Henker, ich verstehe die ganze Geschichte nicht!«

»Daß am Abend des 9. Oktober Achtundvierzig Herr Levy oder Leon von Miron ein Mädchen, das man die Fleur de Mort nennt, infolge einer Wette in eine etwas lockere Gesellschaft bei der Guerin brachte.«

»Das ist wahr, ich erinnere mich, die Kleine ersetzte jene seltsame Schöne, die der arme Chevaulet die ›Venus von Rom‹ nannte. Sie war in der That hübsch, aber kalt wie Zampas Marmorbraut.«

»Und wer wettete?«

»Chevaulet! Er verlor hundert Louisdor und Herr Miron gewann die Wette.«

»Durch jenes Papier!«

»Durch das Papier!«

Der Kapitän preßte krampfhaft den Arm des Kavaliers; die Worte kamen ihm schwer aus der Kehle. »Auf Ihre Ehre, Herr! – die Mortelle – was geschah mit meiner Schwester?«

»Ihre Schwester?! – um Gotteswillen, das ist unmöglich …«

»Es ist gleich – uns nährte dieselbe Brust! Auf Ihre Ehre, Graf, was geschah mit der Mortelle?«

Der Aristokrat sah finster zur Seite. »Sie waren noch nie bei der Guerin?«

»Nein!«

»Dann erlassen Sie mir die Antwort! Ich bin jetzt bereit, Herr Kapitän, mich mit Ihnen zu schlagen! Sollte die Sache von Folgen gewesen sein, so ist Miron reich genug …«

Der Offizier aus dem Volk warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen machte. Er erhob sich, seine Lippen waren fest aufeinander gepreßt, seine Stirn in Falten.

»Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu schaffen und bitte Sie vor diesen Herren um Verzeihung.«

Der Graf streckte ihm die Hand entgegen. »Es giebt kein Unglück, das sich nicht wieder gut machen läßt. Haben Sie das Mädchen gesehen? ich gestehe, daß ich mich leider nicht weiter um sie gekümmert habe.«

Der Kapitän verbeugte sich kurz, ohne die gebotene Hand zu berühren. »Ich habe Mademoiselle diesen Abend gesehen, mit ihrem Bruder, der gestern aus Afrika hier eingetroffen ist, um seine Schwester, nach seiner neuen Heimat zu holen. Der Geist des Mädchens, das leider nicht erzogen war, so kleine Scherze gebührend zu würdigen, ist jetzt vollends umnachtet, und Ihre Erklärung, mein Herr, wirft ein entsetzliches Licht über ihre Reden!«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich es bedauere.«

Der Offizier machte eine kurze abwehrende Bewegung mit der Hand. »Ich bitte Sie, mir zu sagen, wo ich Herrn Leon von Miron treffe!«

»Beruhigen Sie sich, lieber Freund! keine Übereilung! bedenken Sie …«

»Wollen Sie meine Frage beantworten?«

»Das ist meine Pflicht! Herr Miron befindet sich im Theater, Loge Nummer Fünfzehn, er wird sich am Donnerstag vermählen.«

Der Offizier that einen Schritt nach dem Ausgang des Foyers, der Graf hielt ihn zurück. »Bedenken Sie, was Sie thun, mein Freund. Er ist nicht allein, seine Braut und seine Schwester befinden sich in seiner Gesellschaft.«

»Desto besser, Sie werden die Güte haben, mir einige Worte mit Herrn Miron zu verschaffen!«

»Überlegen Sie es nochmals! wenn wirklich Ihr Glück im Spiel ist, wenn Sie Mademoiselle Miron ernstlich lieben …«

Der Offizier machte eine ungeduldige Bewegung. »Wollen Sie? oder soll ich selbst die Loge öffnen?«

»Das ist nicht nötig! Ich erkläre Ihnen, daß ich nichts mit der Sache zu thun haben mag. Aber eben verläßt Lord Heresford mit dem Kapitän Peard feine Loge; ich habe die Ehre, Mylord zu kennen, und er wird Ihnen gern seine Loge überlassen, die neben der Mirons sich befindet.«

In der That kamen eben durch den Korridor zwei Herren, denen man, so verschieden sie auch waren, die englischen Originale auf den ersten Blick ansah.

Der eine war der berühmte Excentric, Viscount Heresford.

Er hatte inzwischen verschiedene Reisen gemacht, und aus diesen Reisen hatte er seinen Begleiter getroffen, der ihm sofort Interesse eingeflößt hatte. – Liebte er es doch, Originale zu studieren und mit sich zu führen, er, der selbst durchaus ein Original war.

Es war in der That der Kapitän Peard, der weibisch verzärtelte Stutzer, der seinen Schoßhund nicht der rauhen Berührung der Erde aussetzen mochte, und an den Ufern des Uruguay zu seinem Vergnügen Indianer erschoß. Vgl. »Villafranca« Bd. IV.

Die beiden Herren waren in eleganter Salontoilette und beabsichtigten offenbar den Rest des Abends noch an einem andern Ort zuzubringen, denn sie traten an die Garderobe und ließen sich ihre Paletots reichen.

» By Jove! ich habe noch nie einen Menschen am Kitzeln der Fußsohlen sterben sehen,« sagte der englische Stutzer. »Dieser Blaubart muß ein genialer Kopf gewesen sein. Es ist schade, Mylord, daß ich nicht in Indien auf den Gedanken gekommen bin; wissen Sie, die Anwendung der Zimmermannskäfer auf die Geschlechtsteile ist bei weitem nicht so interessant, die Weiber schneiden zu weinerliche Gesichter dabei und ihr Gekreisch verletzt das Trommelfell. Aber lachend, lachend sterben, noch dazu, wenn das Frauenzimmer jung und hübsch ist, das muß amüsant sein, ich möchte das Experiment wohl sehen.«

»So kaufen Sie ein Individuum dazu!«

»Ei, ich bin nicht so reich wie Sie, ich darf mir nicht alle Liebhabereien erlauben. Man hat so viel Schwierigkeiten in diesem Europa, und an anderen Orten muß man so viel Unbequemlichkeiten ertragen. Glauben Sie wohl, daß man bei diesem rohen Burschen, dem König von Dahomey das Antilopenfleisch ohne Champignonsauce bereitete, als ich ihm die Ehre anthat, seinen Opferfesten beizuwohnen?«

»Ich pflege meinen Koch bei mir zu führen,« sagte der Lord trocken.

»Das können Sie! Ich habe leider nur viertausend Pfund Rente. Aber trotz der Unbequemlichkeit war das Fest doch höchst amüsant. Denken Sie, acht Tage lang, am ersten gleich hundertfünfzig Neger und so jeden Tag, die Weiber und Kinder gar nicht mitgezählt. Was ich da für allerliebste Studien gemacht habe – ich will Ihnen mein Tagebuch geben, die Beobachtungen über das Aufschneiden des Bauchs bei lebendigem Leibe und das Herausnehmen der Eingeweide sind wirklich interessant. Im Durchschnitt lebten die Leute ohne Magen immer noch zwischen fünf und acht Minuten. Aber es sind sehr rohe Naturen, müssen Sie wissen; hier in Frankreich hielt man es gewiß nicht so lange aus.«

Der Viscount lächelte. » Goddam! wir werden ja sehen, wie lange es Frankreich aushält, wenn Freund Louis es tranchiert.«

»Oh,« sagte der Kapitän, »ich bin sehr gespannt darauf, den Prinz-Präsidenten kennen zu lernen. Er soll ein Mann von Geist sein, den man Vorschläge machen kann. Nicht so langweilig, wie dieser Prinz-Gemahl!«

In diesem Augenblick war der Graf zu dem Viscount getreten, hatte ihn begrüßt und ihm einige Worte gesagt.

Der Lord verbeugte sich mit der Höflichkeit des Weltmanns gegen die Herren. »Sie erzeigen mir eine große Ehre,« sagte er zuvorkommend, »wenn Sie meine Loge benutzen wollen. Ich muß mir das Vergnügen versagen, die Oper zu Ende zu hören, da ich versprochen habe, im Elysée zu sein.«

»Ich hoffe, Sie dort noch zu treffen, Mylord,« bemerkte der Graf. »Empfangen Sie vorläufig unsern besten Dank.«

Man wechselte nach einige Höflichkeiten, dann trennten sich die beiden Gruppen, und der Lord stieg mit seinem Begleiter in dem gewohnten trägen Gang die Treppe hinab, um seinen Wagen zu erwarten.

Die Schließerin öffnete die Loge, der Kapitän trat ein, gefolgt von den drei Männern. Keiner hatte sich entschließen können, dem Auftritt fern zu bleiben.

Der Akt ging zu Ende, man spielte eben die vorletzte Scene.

In der Loge zur Linken saß Herr Leon von Miron mit seiner Braut und Schwester. Die Damen hatten die vorderen Plätze eingenommen, die schöne Cora saß zunächst an der die Logen trennenden niedern Wand, der junge Bankier saß hinter seiner Braut.

Helle Röte flog über das Gesicht der Dame, als sie so unerwartet ihren alten Verehrer eintreten sah, und sie konnte sich nicht enthalten, seine stumme Verbeugung mit einer freundlichen Bewegung zu erwidern. Im nächsten Augenblick aber gewann die Koketterie und Launenhaftigkeit den Sieg über das Gefühl, und die freundliche Bewegung des Willkommens wurde zu einer spröden hochmütigen Verbeugung.

Der Kapitän überließ seinen Begleitern mit einer Handbewegung die Vorderplätze, der Graf und der fremde Offizier nahmen die Stühle der ersten Reihe, der Graf an der Seite der schönen Miron; der Kapitän setzte sich hinter ihn.

»Wir bitten um Entschuldigung, Mademoiselle de Miron,« sagte der Graf mit jenem nachlässigen halben Ton der Logen, der oft die Musikfreunde zur Verzweiflung bringt, »daß wir an Stelle einer so ausgezeichneten und berühmten Nachbarschaft wie Lord Heresford, Sie mit unserer Gesellschaft ennuyieren. Aber der Wunsch, mit Ihnen zu plaudern, war zu verlockend, um die Einladung des Lords auszuschlagen.«

»Ich finde in der Nachbarschaft keine besondere Veränderung,« sagte wegwerfend die Dame. »Mylord ennuyierte wenigstens nicht durch überflüssiges Sprechen.«

»Sie werden sich vielleicht freuen, einen früheren Bekannten wiederzusehen, dessen Heldenmut Sie wenigstens verdanken, daß ein Verehrer mehr zu Ihren Füßen schmachtet. Kapitän Fromentin, einer unserer Paladine von Rom, giebt sich die Ehre, Sie zu begrüßen.«

Er setzte den lauten Worten leise hinzu: »Seien Sie freundlich mit ihm, es giebt sonst ein Unglück!«

Die Dame verstand die Warnung nicht, oder wollte sie nicht verstehen. Sie wandte den Kopf halb über die Schulter und legte das Lorgnon an das Auge. »In der That! ich entsinne mich – Herr Kapitän Fromentin! Sie haben uns ja lange nicht die Ehre erzeigt. Waren Sie abwesend?«

Der Offizier verneigte sich kalt, obschon eine heiße Glut seine Wangen überlief. »Ich bin erst diesen Mittag nach Paris zurückgekehrt.«

»Ah, ganz richtig! wie ist mir denn – der alte Invalide, Ihr Papa, der so hübsch das Hortensienlied spielt, wenn er den Hof unseres Hotels erfreut, erzählte mir, daß Sie bei der Besatzung von Rom stehen. Haben, Sie sich gut amüsiert in Italien, Herr Kapitän? Die Oper soll in Rom und Mailand jetzt ungleich vortrefflicher sein, als bei uns.«

Die Glut auf dem Gesicht des braven Offiziers war noch dunkler geworden. »Mein Vater, der alte Invalide von Waterloo mit seinem Kreuz und seinem Leierkasten, hat recht gehabt, mein Fräulein! Ich war in Italien, und das allein hat mich abgehalten, Ihnen meine Achtung zu bezeugen.«

Die Worte waren so eisig, kalt und ceremoniell gesprochen, daß die Kokette augenblicklich bemerkte, sie sei zu weit gegangen und einzulenken versuchte.

»Sie müssen mir von Italien erzählen, Herr Kapitän; ich hätte es gern in diesem Herbst noch einmal besucht, aber es war so reizend auf unserer Villa bei Saint Cloud, und Leon hätte mich um keinen Preis fortgelassen, weil seine Braut uns besuchte. Wir haben unsere Salons zwar noch nicht geöffnet, dies wird erst geschehen, wenn die Unruhe der Hochzeit vorüber ist; aber für alte Freunde bin ich jeden Mittwoch zu Hause. Hoffentlich haben Sie mir von Rom einige hübsche Blätter für mein italienisches Album mitgebracht, die Ansichten der Breschen, die der tapfere Herr Kapitän stürmen half, oder die Konterfeis der schönen Römerinnen, in deren Herzen er andere Breschen geschossen.«

»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich bereits die Ehre gehabt, Mademoiselle de Miron einen Beitrag für ihr Album zu liefern,« erwiderte der Kapitän.

Sie sah ihn hochmütig an. »Daß ich nicht wüßte, Herr Kapitän! Welchen, wenn's beliebt?«

»In dem Boudoir der Frau von Baroche! Am Abend eines Tages, an welchem ich die Ehre hatte, mit Mademoiselle Samson Herrn Leon von Miron auf dem Quai d'Orsay zu begegnen.«

Der Fächer verbarg ein flüchtiges Erblassen der Dame, als sie sich wieder nach der Bühne kehrte und in ihrem Fauteuil zurücklehnte.

»Ich erinnere mich nicht!«

Sie warf hinter dem Fächer einen hastigen fragenden Blick nach dem Grafen; dieser zuckte unmerklich die Achseln.

Die schöne Cora begriff, daß hinter dem allen etwas verborgen liege und wurde besorgt. In diesem Augenblick sank unter dem Applaus des Publikums der Vorhang. Ein zweiter warnender Blick des Grafen hatte die Dame verständigt, sie erhob sich und langte nach ihrem Sortie.

»Die Hitze ist so drückend,« sagte sie. »Ich befinde mich nicht ganz wohl; wenn es Ihnen gefällig ist, liebe Amalie, fahren wir nach Hause.«

Herr Leon hatte die Anspielung des Kapitäns wahrscheinlich nicht gehört oder nicht verstanden, er hatte nur die Unterhaltung desselben mit seiner Schwester bemerkt, und die Erneuerung der Bekanntschaft war gegen seinen Geschmack.

»Eine Deiner unangenehmen Launen, Cora,« sagte er. »Wir wollen die Oper zu Ende hören; tritt einige Augenblicke in den Salon, dann wird sich Dein Unwohlsein geben. Es freut mich, Sie zu sehen, liebster Graf, und Sie, Duplessis! Wissen Sie, auch wenn Cavaignac Sie in Anspruch nimmt, ich lasse mir keine Absage gefallen. Was sein Schwiegervater kann, wird das Haus Miron auch leisten. Ich habe allein fünfzehn Köche engagiert, die Journale sprechen bereits davon, es wird famos!«

Die klügere Schwester hatte ihren Unmut von vorhin unterdrückt, sie wandte sich nach dem Salon der Loge. »Wollen Sie mir Gesellschaft leisten, Herr Kapitän!«

»Verzeihung, Mademoiselle, ich möchte zuvor Ihrem Herrn Bruder einige Worte sagen, der meine Person noch nicht bemerkt zu haben scheint.«

»Er ist so beschäftigt mit seiner Braut, daß er alles andere vergißt. Erlauben Sie mir, seine Versäumnis nachzuholen und Sie ihr vorzustellen. Herr Kapitän Fromentin, ein alter Freund unseres Hauses – Mademoiselle Amalie de Rougécü, die Verlobte meines Bruders, übermorgen meine teure Schwägerin. Ich hoffe, Herr Kapitän, daß Sie unser Fest mit Ihrer Gegenwart beehren werden!«

Sie sagte das in fast bittendem Tone, indem sie den Offizier mit einem jener Blicke ansah, deren Macht sie sonst so gewiß war.

Der Bankier konnte den unwillkommenen Störer jetzt nicht mehr ohne auffallende Unhöflichkeit ignorieren, und zu einer solchen hatte er keine Courage.

Er kniff das Lorgnon ans Auge und reichte an die Wand tretend dem Offizier die Hand. »Sieh da, Herr Fromentin, ich hatte Sie nicht gleich bemerkt. Wie geht's? Sie sind auf Urlaub hier? Ich denke, den Karneval mit meiner Frau in Rom zuzubringen, da können Sie unseren Cicerone machen; ich werde mitrennen lassen, einen famosen Andalusier, wild wie der Teufel. Meine Trauzeugen sind zwar vollzählig, aber ich hoffe, wir sehen Sie auf unserem Ball.«

Der Kapitän hatte keine Bewegung gemacht, die gebotene Hand anzunehmen, er legte die seine vielmehr auf den Rücken.

»Sie wollen heiraten?«

»Nun ja – Sie hören es! Fräulein Rougécü …«

»Sie werden diese Dame nicht heiraten!«

»Nicht heiraten? Sind Sie toll? Wer wird mich hindern?«

»Ich!«

»Der Scherz ist schlecht gewählt, mein Herr. Machen Sie ihm ein Ende!«

»Es ist mein Ernst! Sie werden, statt am Donnerstag Fräulein de Rougécü zu heiraten, einem Mädchen Ihren Namen geben, das Sie unter Mißbrauch des meinen entehrt haben.«

Der Bankier verfärbte sich. »Ich verstehe Sie nicht!« stammelte er.

»Dann werde ich Ihnen den Namen des Fräulein Samson ins Gedächtnis rufen, gewöhnlich Fleur de Mort genannt!«

Herr Leon de Miron waffnete sich mit aller Unverschämtheit. »Oh, wenn es darauf hinausläuft, mein Herr,« sagte er mit erzwungenen Lachen, »ein galantes Abenteuer, eine Grisette aus der Populace, wie können Sie davon so viel Aufhebens machen und die Damen erschrecken! Sie sehen, daß sie geflüchtet sind!« In der That hatte seine Schwester das junge zitternde Mädchen halb mit Gewalt nach der Salonthür der Loge gezogen. »Ich werde Ihnen erklären …«

»Ich erkläre Ihnen in Gegenwart dieser Herren, daß Sie ein niedriger Schurke sind.«

»Mein Herr! diese Frechheit …«

»Und da es vielleicht an der Börse Gebrauch ist, Worte zu ignorieren, und es anderer Mittel bedarf, um einen Buben zu der Handlungsweise eines Mannes von Ehre zu zwingen, so nehmen Sie dies!«

Er schlug ihm mit Blitzesschnelle, ehe der Millionär und Bräutigam zurückweichen konnte, zweimal den Handschuh quer über das Gesicht.

Man hörte einen kreischenden Schrei aus dem Vorsalon der Loge; das junge Mädchen war ohnmächtig geworden.

»Teufel!« sagte der dicke Journalist, »das ist eine Ohrfeige in vollster Form, und so öffentlich. Ich fürchte, die Hochzeit Freund Mirons ist nicht so ganz sicher, und wir werden besser thun, uns an die Einladung des Herrn Cavaignac zu halten!«

Der Graf hatte sich zwischen die beiden Gegner geworfen. »Um des Himmelswillen, meine Herren, vermeiden Sie weiteres Aufsehen; sehen Sie nicht, daß alle Augen bereits hierher gerichtet sind? Gehen Sie, Miron, beruhigen Sie die Damen. Sie begreifen, daß die Sache auf einer andern Stelle entschieden werden muß.«

Der Börsen-Lion, blutrot von dem erhaltenen Schlage, drohte mit der Faust und verließ, Verwünschungen und Drohungen sprudelnd, die Loge. Der Kapitän wehrte ruhig und kaltblütig das Drängen des Grafen ab, der ihn nach der Thür zog.

»Es war Unrecht von Ihnen, die Sache so öffentlich zu machen,« sagte der Graf, »Sie hätten wenigstens die Damen nicht kompromittieren sollen. Miron muß Sie natürlich fordern, so unangenehm es ihm sein wird.«

»Ich erwarte es. Aber ich werde Herrn von Miron nur Satisfaktion auf meine eigenen Bedingungen in Zeit und Ort geben.«

»Und welche sind dies?«

»Ich werde die Ehre haben, sie den Sekundanten mitzuteilen.«

»Ich würde Ihnen anbieten, einer Ihrer Beistände zu sein, wenn nicht offenbar Miron diesen Dienst von mir verlangen würde. Herr Duplessis wird die Güte haben, uns zu assistieren.«

Der Kapitän wandte sich zu dem preußischen Offizier, der stumm der ganzen Scene zugesehen hatte.

»Mein Herr,« sagte er, »es liegt mir daran, daß diejenigen, die mein Verfahren beigewohnt, Zeugen der Sache bis zu Ende bleiben. Der Mann, der das erste Recht hat, mein Sekundant zu sein, versteht unsere Gebräuche in dieser Beziehung nicht. Werden Sie es mir abschlagen, wenn ich Sie ersuche, die Angelegenheit für mich zu ordnen?«

Der preußische Offizier verbeugte sich. »Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten, Herr Kamerad.«

»Ich durfte nichts anderes von einem Soldaten Ihrer braven Nation erwarten.«

»Wo finden wir Sie, Kapitän?« fragte der Graf.

»In der Wohnung meines Vaters oder bei dem General Lamoricière. Hier, mein Herr, ist meine Karte, ich werde die Ehre haben, Sie morgen Vormittag zu sehen.«

Die Gesellschaft hatte jetzt die Loge verlassen, Herr Miron mit seinen beiden Damen war bereits fort.

Obschon der Korridor und das Foyer gefüllt waren, bekümmerten sich doch nur wenige um die Hauptakteurs des kleinen Dramas, das man vor einigen Minuten außer dem auf der Bühne mit angesehen, und das noch den Gegenstand der Unterhaltung bildete. Man wußte nur, daß einer der jungen Börsenmatadore Ohrfeigen in seiner eigenen Loge bekommen hatte, und das genügte vollkommen, um den Klatsch und der Erfindung freien Spielraum zu geben.

Der Graf wandte sich höflich zu dem Kapitän. »Herr de Röbel und ich gehen von hier nach dem Elysee. Werden Sie uns begleiten?«

»Ich bin Offizier außer Dienst, habe also keinen Grund, dort zu erscheinen,« sagte mit einer Verbeugung der Offizier. »Auch habe ich hier noch eine Person zu sprechen.«

»So leben Sie wohl! auf Wiedersehen morgen.«

Der Kapitän und der preußische Offizier wechselten ihre Karten. Der Aristokrat bot dem früheren Rivalen die Hand. Nach dem, was soeben vorgefallen, konnte von einer Rivalität nicht mehr die Rede sein.

»Ich fürchte,« sagte er mit männlicher Offenheit, »die geringere Gewissenhaftigkeit meiner gewohnten und anerzogenen Anschauungen in dieser Angelegenheit hat ein schweres Unglück herbeigeführt. Sie haben mir verweigert, mit meinem eigenen Blut dafür einzutreten, erlauben Sie mir wenigstens, in jeder anderen Beziehung meine Schuldigkeit zu thun, und zählen Sie in jeder Hinsicht auf meine Ehre.« Er nahm seinen Arm und führte ihn einige Schritte abseits. »Eine Warnung, die Sie nicht verschmähen wollen,« sagte er. »Sie waren der Adjutant des General Lamoriciere und sind befreundet mit ihm?«

»Er erzeigt mir die Ehre, Vertrauen in mich zu setzen.«

»Dann rate ich Ihnen, verkehren Sie in diesen Tagen so wenig wie möglich mit ihm und seiner Partei, oder warnen Sie ihn meinetwegen geradezu. Man kennt im Elysee die Zusammenkünfte in der Straße Helder und die Beschlüsse, die man dort gefaßt, ich weiß es aus bestimmter Quelle, und man bereitet einen Gegenschlag vor.«

Der Kapitän war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten bei der ersten Mitteilung des Legitimisten. »Es wäre undankbar von mir,« sagte er dann fest, »wollte ich eine so freundlich gebotene Warnung zurückweisen. Ich danke Ihnen und werde thun, was meine Pflicht ist.«

»Und Sie grollen mir nicht? wir sind Freunde?« Der Aristokrat bot ihm aufs neue die Hand.

Der Kapitän legte die seine hinein. »Unsere Wege sind nicht dieselben,« sagte er ruhig, »aber wir können uns als Männer achten.«

Er grüßte die Herren und ging den Korridor entlang; Montboisier und der an ihn empfohlene Fremde verließen das Haus; der Journalist blieb zurück, um die Oper zu Ende zu hören.

Einige Zeit, während das Kabriolet die beiden rasch nach der Straße St. Honoré und dem Zugang des Elysee führte, blieb der Graf in stummes Nachdenken verloren. Dann schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, dem er unwillkürlich Worte gab. »Bah,« sagte er leichthin, »hätte Miron statt des Herrn Königswarter die zehn Millionen gemacht, so hätte er neunzig Profit und die Aussicht, morgen oder übermorgen nicht erschossen zu werden. Die Dinge mögen ihren Gang gehen! Mademoiselle de Miron hat alle Aussicht, als alte Jungfer zu sterben, wenn sie auf Kapitän Fromentin oder den Grafen Montboisier gerechnet hat!«

Der Wagen schloß sich der langen Reihe von Equipagen an, die schon vor den damals noch nicht restaurierten Fassade des alten bourbonischen Palastes hielten.

Der Kapitän war in dem Korridor nach den Logen der andern Seite gegangen und klopfte an die Thür eines der Vorsalons.

Sie wurde sofort von innen geöffnet.

»Kapitän Fromentin?« fragte der Öffnende. »Ich wußte es, daß Sie kommen würden, wenn man Sie riefe. Habe ich recht gesehen – waren Sie es, der eben den Skandal mit dem Gecken Miron gehabt hat?«

»Eine Züchtigung, die sich nicht aufschieben ließ!«

»Das ist Ihre Sache, ich weiß, daß Sie ein Mann von Ehre und kaltem Blute sind, aber sorgen Sie dafür, daß solche Dinge Sie nicht in Wichtigerem stören. Lamoriciere schrieb mir, daß Sie diesen Mittag angekommen seien und zu den unseren gehören.«

»Ich halte den Eid, den ich der Konstitution geleistet.«

»Still! sprechen Sie leiser. Nebenan befindet sich Herr von Morny, der Bruder des Ursurpators. Welche Nachricht bringen Sie von Lamoriciere?«

Der Kapitän sah zweifelnd auf den kleinen Herrn, der an der Thür der Loge stand.

»Es ist Herr Thiers, wenn Sie ihn noch nicht erkannt haben. Sie können ohne Bedenken vor ihm sprechen, er gehört zur Partei der Ordnung.«

»Der General läßt Euer Excellenz anzeigen, daß die Versammlung heute Abend stattfinden wird. Die Anzeichen mehren sich, daß der Prinz noch im Laufe dieser Woche die Auflösung der Nationalversammlung versuchen will; vor einer Stunde hat Oudinot uns die Zustimmung von fünf Generälen angezeigt. General Changarnier sendet Ihnen diese Zeilen. Neunundsiebzig Mitglieder des Berges sind diesen Abend bei Lafont auf dem Quai Jemappe versammelt, um einen Antrag für die morgende Sitzung vorzubereiten.«

»Weiß man, was sie wollen?«

»Die Entfernung der Truppen aus Paris auf zwei Meilen außerhalb der Banlieu.«

»Das ist das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und würde uns in die Hand der Roten geben oder zu einer Militär-Revolte führen. Die Truppen müssen zur Disposition der Nationalversammlung bleiben.« Er hatte das Billet geöffnet. »Changarnier meldet, daß man Bataillone der Nationalgarde sich bereit erklärt, die Beschlüsse der Versammlung aufrecht zu erhalten, er hofft binnen drei Tagen die Zustimmung der dreizehn weiteren Bataillone zu gewinnen. Bringen Sie Nachrichten über die Unterhandlungen mit Vincennes?«

»Nein, General, aber eine wichtige Warnung, die mir soeben für General Lamoriciere gegeben worden ist.«

»Sie lautet?«

»Daß im Elysee die Versammlungen in der Straße Helder bekannt sind.«

»Teufel! dann ist diesem Herrn Bonaparte nicht mehr zu trauen, und die Verhaftung muß beschleunigt und bei der ersten Gelegenheit ausgeführt werden. Können Sie mitteilen, von wem Sie die Nachricht haben?«

»Es ist mir keine Verschwiegenheit anempfohlen. Der Kommandant Graf Montboisier hat sie mir gegeben.«

»Also aus dem Lager der Legitimisten selbst, das erhöht ihre Bedeutung. Wollen Sie mir einen weiteren Dienst erweisen, Herr Kapitän? Sobald die Verfassung gesichert und die Gewalt in anderen Händen ist, hoffe ich, Sie mit einem andern Rang zu begrüßen und den Nachteil, den Ihnen Ihre Gesinnung gebracht, auszugleichen.«

Der Offizier verbeugte sich. »General Cavaignac weiß, daß ich zu seiner Verfügung stehe, auch wenn meine Absichten für die Zukunft von seiner Güte keinen Gebrauch machen können.«

»Der Mißmut über Ihre Zurücksetzung wird vergehen. Sie wissen ja, daß nur die exklusiven Bonapartisten seit zwei Jahren auf Avancement zu rechnen hatten. Ich bitte Sie, General Lamorciere sofort zu benachrichtigen, daß ich nach dem Schluß der Oper mich einfinden werde und Herr Thiers mich begleiten wird. Nach der Erklärung Berryers können die Orleanisten nicht mehr schwanken. Ich werde meine Braut nach Hause bringen und dann zur Stelle sein. Die Nachricht, die Sie mir gegeben, muß untersucht werden.«

Die Töne des Orchesters zeigten den Beginn des dritten Aktes an, der Juni-Diktator der Republik reichte dem Kapitän die Hand. »Auf Wiedersehen!«

Es sollte ferner sein, als sie in diesem Augenblick dachten!

Der Kapitän verließ die Loge und bald darauf das Haus.


Die schönen Säle des Elysee strahlten im Lichte der Kerzen: eine zahlreiche Gesellschaft, besonders glänzend durch die vielen Uniformen, denn dreiviertel der Männer gehörten der Armee an, bewegte sich teils an den Büffets des prachtvoll dekorierten Speisesaals oder im raschen Tanz im Ballsaal, während andere Gruppen in ernsten und muntern Gesprächen die Nebengemächer füllten.

Unter dem zahlreichen Herren-Publikum bemerkte man, wie wir bereits erwähnt, vorzüglich Militärs höherer und niederer Grade, darunter viele Persönlichkeiten, die sich teils in den afrikanischen Feldzügen schon bedeutenden Ruf erworben hatten, teils anfingen, diesen auf politischem Felde durch ihren offenen Anschluß an den Präsidenten zu gewinnen, so außer dem Kriegsminister St. Arnaud und General Magnan, den neuen Kommandanten der Pariser Nationalgarde Baraguay d'Hiller, die Divisionäre Bourgon, Dulac und Reibell, die beiden Canroberts, den vertrauten Adjutanten des Präsidenten, General Rouguet, den wilden Obersten des ersten Lanzier-Regiments Rochefort und andere. Von den militärischen Führern der Verfassungs- oder sogenannten Ordnungspartei, Cavaignac, Bedeau, Changarnier, Lamorciere, Charras, war zwar keiner anwesend, dagegen Oudinot, der Herzog von Reggio, den seine schwankende Haltung vom Kommando Roms entfernt und dort durch Gemeau ersetzt hatte, und mehrere untergeordnete Mitglieder der verschiedenen Fraktionen, der Legitimisten, der Orleanisten und selbst des Berges, die offenbar weniger gekommen waren, um dem Prinz-Präsidenten ihre Hochachtung zu bezeigen, als um zu beobachten, was geschehen und gesprochen würde. Ebenso bemerkte man unter den Gruppen Baroche, Suin, Royer, Mangis, Rouher, Troplong, Lucien Mürat, den Fürsten Demidoff und die Minister. Von den Finanzmännern von Ruf waren nur die Brüder Königswarter und einige englische Bankiers anwesend, dagegen mehrere größere Fabrikanten und Personen aus dem wohlhabenderen Bürgerstand, mit denen der Präsident sich besonders freundlich unterhielt.

Unter den Damen befanden sich hauptsächlich Damen der Offiziere und Parteigänger des Prinzen, Frauen der Beamten, welche die Einladung nicht ablehnen durften, und selbst verschiedene zweideutige Elemente. Die exklusive Koterie des hohen Adels des Faubourg St. Germain war gar nicht vertreten und der herrschende Ton ein sehr leichtfertiger und freier. Nur drei der Schönheiten des Balles nahmen größeres Interesse in Anspruch und hatten besondere Kreise um sich versammelt; die Marquise von Douglas, die junge Gräfin Montijo und die Kreolin Carmen, die junge Marquise Fourichou de Massaignac.

Es war gegen elf Uhr und die Soirée in vollem Glanz, als der Graf Montboisier mit seinem Begleiter die Salons betrat. Bei der freien und ungenierten Stellung, die er zwischen den Parteien und gesellschaftlichen Kreisen sich zu bewahren verstanden hatte, war er bald von zahlreichen Bekannten, umgeben, die mit ihm über hundert Neuigkeiten des Tages plauderten und spitze Bemerkungen über die Gesellschaft machten.

Der Graf hatte eine boshafte Zunge und seine Sarkasmen waren in den Salons gefürchtet.

» Valga me Dios! Es scheint, daß Monsieur Girardin sehr vertraut mit dem Elysée steht. Sehen Sie doch Delorme, wie er auf das Zärtlichste mit Cassaignac plaudert. Am Ende will er ihm gar sekundieren, wenn sich Herr Créton noch zum Duell entschließen sollte!«

»Créton ist ein Ehrenmann, und Herr Cassaignac …«

»Ist der Redakteur des Konstitutionell,« unterbrach der Graf den Sprecher. »Bedenken Sie hübsch, daß Sie nicht die Unverantwortlichkeit der Tribüne für Ihre Reden genießen, wie Herr Créton, der das Recht hat, die Erfinder der berühmten Verschwörung elende Skribenten zu nennen!«

»Herr Girardin hat wahrscheinlich keine Lust mehr in Mazas zu schlafen!« sagte ein älterer Mann mit dem Kreuz der Ehrenlegion.

»Glauben Sie wirklich, mein teuerer Kamerad von der Nationalgarde, daß Herr Girardin nicht sehr wohl wußte, was er that, als er den famosen Artikel des Akhbar abdruckte, der acht Tage vorher die Unterdrückung der Juni-Revolte den erstaunten Algeriern verkündete, wofür Herr Cavaignac so gefällig war, ihn einsperren zu lassen?«

»Ich denke, er hat sich jetzt bitter genug dafür gerächt!«

»Bah! ein politischer Charakter, wie Herr von Cavaignac, muß die kleinen Erinnerungen vertragen. Er ist nicht wie Herr Thiers, der schon seit vierzehn Tagen aus Angst vor diesem vielgefürchteten und niemals kommenden Staatsstreich keine Nacht mehr bei Madame am Place St. Georges schläft.«

»Aber hoffentlich auch bei keiner andern Frau!« sagte lachend ein junger Mann.

»O lieber Freund, dazu hat seine Schwiegermutter den kleinen Revolutionär viel zu sehr unterm Pantoffel. Aber jetzt schwebt das drohende Gewitter Bonaparte über seiner Nachtmütze und der große Historiker des Konsulats und des Kaiserreichs weiß keinen Rat, als sich aufs neue zu verstecken. Haben Sie übrigens den Coup gehört, den der Prinz mit dem Kreuz des Herrn Charriere gemacht hat?«

»Charriere? ist das der Fabrikant, der vorgestern das Offizierkreuz der Ehrenlegion bei der Medaillen-Verteilung erhielt?«

»Ja! Seine Arbeiter haben ihm ein Kreuz anfertigen lassen, aber der Präsident ließ sie bitten, es ihm nach dem Elysée zu bringen, er wolle es selbst tragen, und schickte Charriere ein anderes, in Diamanten gefaßt!«

»Das fängt an, lächerlich zu werden, ich werde für Charenton stimmen, hat Herr Thiers gesagt.«

Der Legitimist wandte sich rasch nach dem Redner, einem der Centrums-Deputierten, um. »Dafür hat gestern das Volk an der Concorde-Brücke gerufen: » Vive Louis Napoléon! Vive l'empereur!«

»Ach was! es ist der alte Schuft, der Invalide, der dort mit dem Leierkasten seinen Posten hat und ein wütender Bonapartist ist; der ganze Pöbel am Invaliden-Platz gehorcht ihm!«

»Es ist das Volk, mein Herr, das der republikanischen Thorheiten müde ist,« sagte eine feste Stimme hinter der Gruppe.

Der Graf drehte sich rasch um. »Sie da, Herr Vicomte?«

»Warum nicht? ich denke, auch Minister außer Diensten haben das Recht, das Parkett des Elysee zu betreten, so gut wie die Herren Daviel, Thorigny, Sartiges und Turgot, die dort ihre weisen Häupter zusammenstecken.«

Der Graf lachte, als er dem früheren legitimistischen Minister des Präsidenten die Hand reichte. »Ich glaube, diese Herren stehen auf dem Punkt, Ihnen nachzufolgen, liebster Falloux

»Ich denke es auch, und deshalb möchte ich Sie auf einige Augenblicke sprechen.« Er nahm seinen Arm und trat mit ihm in eines der großen Bogenfenster. »Ich glaube, die Krisis ist nahe, Graf!«

»Woraus schließen Sie das?«

»Mustern Sie die heutige Gesellschaft, sie ist nicht ohne Bedeutung. Die sämtlichen kommandierenden Generale der ersten Division sind hier, offenbar Instruktionen erwartend. Ich weiß mit Bestimmtheit, daß heute Morgen Befehle an die Direktoren der Eisenbahnen und an die Präfekten abgegangen sind, Transportmittel für eine bedeutende Truppenzahl in Bereitschaft zu setzen; Graf Morny …«

»Ich sah ihn so eben in der komischen Oper!«

»Eine Komödie in der Komödie. Heben Sie einen Augenblick den Vorhang hinter Ihnen!«

Der Kommandant that es. »Die Aussicht geht auf den Hof!«

»Ja! blicken Sie nach dem Souterrain des Flügels gegenüber. Die Fenster sind verhüllt, aber durch die Spalten sehen Sie Lichtschein!«

»Was ist damit? ich kenne die Lokalität nicht?«

»Aber ich von der Zeit her, als Herr Bonaparte versuchte, mit einem Portefeuille sich den Legitimisten zu nähern. Dort befindet sich die geheime Druckerei des Elysée, und ich sehe, daß sie in voller Thätigkeit ist. Ich versuchte den Hof zu betreten, aber er ist mit Wachen besetzt.«

»Das ist allerdings nicht ohne Bedeutung.«

»Bemerken Sie, daß der Prinz sich von Zeit zu Zeit auf einige Augenblicke entfernt und dieser alte Satan von Bonapartist, der Oberst Fourichon, sein Vertrauter, alle Augenblicke einen oder den andern beiseite zieht. In diesem Augenblick spricht er mit Lucien Mürat und dem Fürsten von der Moskau. Wissen Sie, daß heute Nachmittag der grimmige Korse Vieyra plötzlich zum General-Stabschef der Nationalgarde ernannt worden ist?«

»Ich hörte nichts davon; das wird fast noch mehr Aufsehen machen, als die gestrige Ersetzung Perrots im Kommando der Nationalgarde durch General Löwenstein, oder die Ernennung der siebzehn neuen Präfekten im Moniteur.«

»Oudinot hat mir die Nachricht vor einer Stunde in großer Bestürzung mitgeteilt; ich weiß bestimmt, daß die Burggrafen diesen Abend Beratung halten und ebenso, daß die Klubs versammelt sind. Ich fürchte, man triumphiert vergebens über den Sieg in der Wahl dieses albernen Krämer Devinck.«

Der Graf dachte einige Augenblicke nach. »In betreff der Versammlung der Konstitutionellen haben Sie Recht; ich habe in der Oper Anzeichen bemerkt und einen ihrer Boten gesprochen.«

»Der Gefährlichste der ganzen Gesellschaft, denn er ist der Klügste, Carlier, ist beiseite geschafft. Sein gestriges Duell war offenbar provoziert, und der Stoß, den ihm der Emissär des Elysée versetzen mußte, hält ihn wenigstens drei Monat im Bett. Ich sage Ihnen, wir haben jeden Augenblick den Schlag zu erwarten.«

Der Graf legte die Hand auf den Arm seines Gefährten.

»Und der König?«

Der Vicomte von Falloux lächelte bitter. »Fragen Sie Laroche-Jacquelin, oder den Heißsporn Laborde. Heinrich V. Graf Chambord. sitzt ruhig in seinem Palast am Kanale grande und wartet, bis ihm die Lilienkrone Frankreichs von Herrn Berryer auf einem Präsentierteller überbracht wird, oder ein neuer Einmarsch Europas in Paris sie ihm in den Schoß wirft.«

Der Graf sah ihm scharf ins Gesicht. »Und was gedenken Sie zu thun, Vicomte? denn das ist doch der Grund, weshalb Sie mich hierher gezogen.«

»Ich will offen mit Ihnen sein, wir können hier klarer sprechen, als im Rivoli-Verein. Der Klub der Legitimisten. Die Pyramiden Der Pyramiden-Verein hieß der Klub der Orleanisten. sind mächtiger als wir und könnten vielleicht einen Gegenschlag wagen, Changarnier ist ein Mann, wenn auch Herr Thiers ein Affe ist; aber ich sage Ihnen rund heraus, ich bin gegen die Fusion, sie wird nie zu etwas Gutem führen. Wir dürfen eher hoffen, die Erben einer Diktatur Bonaparte, als des Grafen von Paris zu sein.«

»Also …«

»Wir haben uns verständigt, und ich antworte Ihnen mit den Worten eines deutschen Dichters: ›Ich gehe zum Andreas!‹«

»Es freut mich, daß der Rivoli-Verein zu dem Beschluß gekommen, und ich bin einverstanden. Die Herrschaft des ersten Napoleon zeigt, daß die Aristokratie der Geburt und des Schwertes ihre Anerkennung findet statt des Geldsacks.«

Der Vicomte lächelte fein. »Dann brauchen Sie also Fräulein Miron nicht zu heiraten!«

»Das ist noch nicht so gewiß, denn ich habe eine starke Ahnung, daß, ehe drei Tage um sind, Mademoiselle Cora eine der reichsten Erbinnen von Paris und jedenfalls die einzige ihres Herrn Papas sein wird. Aber lassen Sie uns zu den Damen gehen, ich sah eben, daß das Auge des Prinzen bereits dreimal hier herüber streifte, und er hat schon genug wirkliche Komplotte auf dem Halse, um noch an eins der Legitimisten zu denken. Sehen Sie, da hat der einarmige Oberst eben meinen kleinen Protegé zu den Damen geführt; wenn die Familie Montiji nicht wäre, ich glaube wahrhaftig, er würfe ihm die hübsche Tochter mit ihren Millionen an den Hals.«

»Wer ist der Offizier?«

»Ein Preuße. Er soll, wie gesagt, der Gesandtschaft auf ein Jahr attachiert werden, oder will Paris kennen lernen. Er ist von guter Hand, Sie kennen ja die selbst in ihrem Alter noch liebenswürdige Talleyrand, an mich empfohlen, und ich beeifre mich, ihn Paris kennen zu lehren, wozu er die besten Anlagen zeigt. Aber sehen Sie, da kommt Lord Heresford auf uns zu, und der Prinz ist aufs neue verschwunden.«

Der alte Haciendero und glühende Bonapartist hatte in der That kaum den preußischen Offizier bemerkt, als er, einen jungen Mann in der Uniform eines Offiziers der afrikanischen Spahis an der Hand, auf ihn zukam.

Der junge Mann war im Gegensatz zu seinem Vater, klein und hager und von ungesunder galliger Farbe des Gesichts, das den kreolischen und romanischen Schnitt in unangenehmer Weise vereinigte; um die weit geöffneten Nüstern der starken Nase und in dem kalten Blick des schwarzen Auges lag Anmaßung und Hochmut.

» Gusmann, mein Lieber,« sagte der alte Oberst, »ich stelle Dir hier den Sohn dessen vor, der Deinen Vater besiegt und ihm zugleich das Leben gerettet hat. Monsieur de Reubel, sehen Sie, welche Freude der Prinz einem alten Freunde seiner Familie gemacht hat. Ohne daß ich davon wußte, hat er General Jussuf beauftragt, meinen Sohn mit den ersten Depeschen nach Paris zu senden, er traf heute Nachmittag ein, und so habe ich das Vergnügen, Sie beide mit einander bekannt zu machen und hoffe, daß wenn die Väter auch durch Zeit und Raum getrennt blieben, die Söhne das Versäumte in warmer Freundschaft nachholen werden.«

Die Hoffnung schien dem alten Veteranen Vergnügen zu machen, aber wenig Aussicht auf Erfolg zu haben, denn der junge Kreole reichte ziemlich frostig und hochmütig dem Deutschen die Hand und sagte einige gleichgültige Komplimente.

»Sie sollen mir den Burschen kurieren helfen, Monsieur de Reubel,« sagte munter der Veteran, der bei bestem Humor schien. » Pardioux! was meinen Sie wohl dazu, daß der Kopfhänger mir noch nicht ein einziges Mal das Vergnügen gemacht, seine Schulden bezahlen zu müssen, und daß er von dem Jahrgeld, das ich ihm ausgesetzt, spart und zusammenscharrt wie ein Jude, nicht wie ein Reiter-Offizier, der einen ziemlich wohlhabenden Haciendero des La Plata zum Vater hat! Cap de Bioux! als ich so jung war, ich war damals Leutnant bei Jena und Auerstädt! wußten die Herren Spießbürger von Paris ganz andere Dinge von mir zu erzählen. Die Carmen wäre ein besserer Spahi als er, aber da fällt mir ein, daß sie mich zu Ihnen schickt, Sie zum Tanzen zu engagieren, denn so junge Beine dürfen nicht feiern, und der Conde ist eben so steif und langweilig, wie der Bursche hier, der wahrscheinlich seine Sohlen abzunutzen fürchtet, wenn er einen Galopp auf dem Parkett riskieren soll.«

Der gutmütige Spott des alten Soldaten schien eben nicht dazu beizutragen, die Freundlichkeit seines Sohnes gegen den fremden Offizier zu erhöhen, aber der Oberst nahm, ohne darauf zu achten, dessen Arm und führte ihn durch den Saal.

»Er ist ein braver Soldat,« sagte er leise, »sonst würd' ich mich wahrhaftig ärgern über den Burschen. Aber er hat sich wacker bei mehreren Razzias geschlagen, und das versöhnt mich. Der Teufel weiß, wo er diese Liebe fürs Geld und den Geiz her hat, der nicht zu einem französischen Offizier paßt. Er wird vorläufig in Paris bleiben, und Sie werden mir einen Gefallen thun, Monsieur de Reubel, wenn Sie ihn etwas in die Schule nehmen und in flotte Gesellschaft bringen. Er soll die siebzigtausend Franken, die ihm jährlich ausgesetzt, verthun wie ein Edelmann und nicht in Renten und Eisenbahnaktien damit spekulieren wie ein Kaufmann oder Jude!«

Der deutsche Offizier war zwar in Berlin mit dem Zuschuß, den ihm der alte Edelmann, sein Vater gab, niemals ausgekommen und befand sich bereits tief in den Händen jener Wucherer, die den preußischen Adel und den Grundbesitz desselben systematisch in seinen Söhnen ruinieren, aber ein solches Maß der Generosität konnte er nur mit einem bedauernden Seufzer bewundern.

»Auf Ehre, Herr Marquis!« sagte er dann nicht ohne einige Verlegenheit, »wenn es wirklich Ihr Ernst ist, wird es besser sein, Ihren Herrn Sohn an einen anderen Mentor zu adressieren. Unsere märkischen Güter sind keine Silberminen der neuen Welt und die Einkünfte eines preußischen Leutnants nicht geeignet, mit den Diamantgruben Ihrer Urwälder und Pampas zu wetteifern.«

» Pardioux! Monsieur de Reubel, ich bitte den Sohn meines Lebensretters, meine Kasse als die seine anzusehen. Keine falsche Scham, mein junger Freund! Sie wissen, daß das Legat meines Schwiegervaters Ihnen bestimmt ist, ich bedauere nur, daß Ihr ehrenwerter Vater, mein Freund, so penible im Punkt der Ehre gewesen, sich an einen zufälligen Wortlaut zu stoßen. Riefen mich nicht dringende Interessen schon im nächsten Monat nach Montevideo zurück, parbleu, ich hätte schon jetzt die Reise nach Deutschland gemacht, um ihm die Hand zu drucken und den Kopf zurecht zu setzen. Aber so wahr ich Massaignac heiße, sobald ich zurückgekehrt bin, sehen Sie mich in Berlin. Gehen Sie morgen zu Rothschild, er wird Ihnen auf Ihre Quittungen wenigstens den Jahreszins des Legats zahlen.«

Sie waren zu der Gruppe getreten, die sich um die Gräfin von Teba und ihre Tochter gebildet hatte. Die schöne Carmen, die durch ihre Verlobung mit dem Grafen Montijo der Familie angehören sollte, befand sich unter dem Schutz ihrer künftigen Verwandten.

Die junge Kreolin hatte jene reizende Laune, mit der sie sich den Aufenthalt in ihrer wilden Heimat verkürzt, beibehalten und wechselte noch immer ihre Tracht und Gewohnheiten mit den Wochen. So war heute ihre spanische Woche, und der zurückfallende Rebozo zeigte wie in einem kostbaren Rahmen das reizende kecke Gesicht mit den sprühenden Augen und den weißen kleinen Zähnen, die bei jedem heitern Lachen des hübschen Mundes sich wie zwei Reihen gleichgestalteter Perlen öffneten.

Selten hätte man einen größeren Unterschied zwischen Geschwistern finden können, als sich hier zwischen dem heitern übermütigen Mädchen und dem finstern Spahi-Offizier mit den unangenehm lauernden und verschlossenen Gesichtszügen zeigte. Es gehörte in der That die Liebe des Vaters zu dem einzigen Sohne und Erben seines Namens dazu, um in diesem kalten mißtrauischen Auge, in dem aufgeworfenen Munde und der niedrigen Stirn nicht mehr schlimme Eigenschaften und Leidenschaften zu lesen, als bloße Vorliebe für das Geld und Geiz. Der unbefangene Beobachter würde eben so wohl Härte und Hochmut wie Habsucht und Bosheit darin gefunden haben.

In der That unterschied sich der junge Spahi-Offizier sehr unvorteilhaft von dem, wenn auch durch blasiertes und geziertes Wesen beeinträchtigten, doch männlich stattlichen Äußeren des preußischen Offiziers. Die lockende Aussicht, die Zusicherung, die diesem geworden und die die Absichten seiner klugen Tante so glänzend erfüllten, spiegelten sich überdies in seinem Gesicht wieder. Aber trotz seiner Häßlichkeit trug der andere den Sieg davon, denn der Kreis der heiratslustigen Damen wußte sehr wohl, daß er der Erbe von Millionen sei, und das genügt in Paris noch mehr als anderwärts, um die äußeren Vorzüge reichlich zu ersetzen.

Nur die Schwester des Spahi-Offiziers machte eine Ausnahme. »Sieh da, Senjor de Reubel, glauben Sie denn, daß Sie nicht nötig haben, mir den Hof zu machen, weil zufällig dieser rauhe Himmel von Paris nicht erlaubt, unsere Kavalkade ins Bois de Boulogne zu machen?«

»Senjor de Reubel,« sagte der Graf Montijo, ihr Verlobter, »kann unmöglich all seine Zeit Ihren Launen widmen, meine Liebe!«

»Sprechen Sie für sich selbst, Senjor, Sie haben erst das Recht, mich zu langweilen, wenn Sie mein Gemahl sind. Wo waren Sie mein Herr, daß Sie erst so spät kommen? Ich halte strenges Gericht über meine Sklaven!«

»Verzeihung, Madonna,« entschuldigte sich galant der Offizier, »Herr von Montboisier entführte mich in die komische Oper. Ich glaubte, Sie dort zu sehen, weil alle Welt da war.«

»Alle Welt bis auf uns. Was brauchen Sie die Cruvelli zu hören, nachdem ich mich noch gestern herabgelassen, Ihnen zu meiner Guitarre eine unserer schönsten Canzonetten vorzusingen? Zur Strafe werde ich den nächsten Kontretanz mit Ihnen tanzen. Sie dürfen nicht glauben, weil mein Papa, der grimmigste Oberst, Sie verzieht, daß seine Tochter gleich gutmütig ist. Wie Sie sehen, habe ich einen neuen Schutz an diesem tapferen Leutnant bekommen, der in Algier bloß von Datteln und Kamelmilch gelebt hat, um von seinen Ersparnissen seiner unglücklichen Schwester das Perlenhalsband der ersten Favoritsultanin des seligen Deys von Algier mitzubringen.«

Der Bruder warf der Spötterin einen bösen Blick zu, aber er kannte ihr gewandtes und schlüpfriges Zünglein zu gut, um sich mit ihr in einen Streit einzulassen. Er setzte vielmehr die Unterhaltung fort, die er mit der jungen Gräfin Montijo begonnen hatte, während deren Augen ungeduldig im Salon umherschweiften, als suchten sie einen anderen Gegenstand.

»Was muß ich hören von Ihrer Nation, mein Herr,« fuhr das mutwillige Mädchen zum Ärger ihres kalten, abgemessenen Bräutigams fort, der die Lehne ihres Sessels keinen Augenblick verließ. »Man hat die Deutschen stets gerühmt wegen ihrer Treue in der Liebe, und alle Welt spricht heute von einem Prozeß, der gerade das Gegenteil bezeugt.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Senjora!«

Der Graf von Montijo mischte sich in die Unterhaltung. »Es würde nicht schicklich sein, meine Teure, wenn Sie selbst erzählen wollten …«

»Heilige Jungfrau, was fällt Ihnen ein? Ich hoffe, Ihnen das Leben so sauer zu machen, Caballero, daß Sie schon an mir allein genug haben und gewiß nicht auf den Gedanken kommen sollen, eine Bigamie zu begehen, wie dieser arme Teufel von Deutschem, von dessen Verurteilung man heute spricht. Man sagt, daß er ein politischer Flüchtling ist?«

»Der Verbrecher gegen das heilige Sakrament hat sich vor drei Jahren an den Rebellionen in seiner Heimat beteiligt. Er ist mit Recht zur Deportation verurteilt.«

»Das ist eine schwere Strafe für eine so entschuldbare Sünde!«

»Senjorita!«

»Mein Vetter hat recht, teure Carmen,« sagte die blonde Gräfin Montijo, die eben nach dem Gespräch herüber hörte. »Solche Reden sind ein Frevel an unserer Religion und möchten Ihnen eine scharfe Rüge der heiligen Inquisition zuziehen, wenn wir in Madrid wären.«

Sie lachte ihr ins Gesicht. »Erlauben Sie, Donna Eugenia, ich komme zwar aus den wilden Pampas von Südamerika, aber ich habe in Paris doch schon gelernt, daß selbst Seine Hoheit der Prinz die Bigamie vielleicht mit Vergnügen einführen würde, wenn er damit der Politik und seinen Inklinationen zugleich Genüge thun könnte.«

Die schöne Spanierin schlug eifrig den Fächer auf und nieder, um den Ärger über die kleine Bosheit ihrer künftigen Verwandten zu verdecken. Doch schien sie in diesem Augenblick gefunden zu haben, was ihr schwarzes Auge gesucht, denn sie brach die Unterhaltung mit dem Spahi-Offizier ab und antwortete auch der spitzigen Bemerkung seiner Schwester nicht, sondern wandte sich nach der andern Seite.

Die Gräfin von Teba hatte mit dem Obersten geplaudert, von einem Ereignis des Tages, dem Tode Soults, des ältesten Marschalls des Kaiserreichs, der am Tage vorher gestorben war.

»Ich diente unter dem Herzog bei Jena und in Spanien,« sagte der Veteran. »Diese Narbe erhielt ich vor Bajadoz, es war die Zeit seines Glanzes. Aber ich liebe die Soldaten nicht, die im Alter mit der Kerze in der Hand zu den Prozessionen laufen und mit jedem Winde wie eine Wetterfahne sich drehen. – Das » l'Ogre de Corse,« mit dem er sich die Geneigtheit der Bourbonen erkaufen wollte, wird ein Schandfleck auf seinem Namen bleiben, den weder Genua noch Austerlitz noch Corunna verwischen können.«

»Brav gesprochen, Colonel,« sagte eine Stimme hinter ihm. »Hätte mein Oheim, der Kaiser, statt der Undankbaren, die er groß gemacht, nur Männer wie Sie gehabt, er wäre nicht auf St. Helena gestorben.«

Die Männer verneigten sich, die Damen grüßten, es war der Festgeber, der Prinz-Präsident, der soeben gesprochen.

»So sind diese Treuen wenigstens dem Erben geblieben und werden dem dritten Napoleon helfen, wieder zu erringen, was der erste durch Verrat verloren hat.«

Der Prinz zuckte lachend die Achseln. »Schöne Gräfin,« sagte er zu der Sprecherin, »das sind sehr hochfliegende Träume, zu denen ein armer Präsident dieser lieben französischen Republik, dem Herr Blaze nicht einmal die Führung einer Kompagnie gestattet, die Augen nicht erheben darf. Wir wollen sehr froh sein, wenn die hohe und mächtige Versammlung das Palais Bourbon uns einige Frist über den Maisonntag hinaus gewährt.«

»Dem Mutigen, Hoheit, ist alles erreichbar,« entgegnete die Spanierin fest.

Die schlaffen Augenlider des Prinzen hoben sich einen Moment, ein bedeutsam scharfer Blick traf die Dame.

»Alles? ich zweifle daran!«

»Alles, Hoheit, wenn man das richtige Mittel wählt.«

»Das mag sein, aber die Mittel wägen oft schwerer als das Ziel.« Er wandte sich zu der jungen Kreolin. »Sieh da, meine kleine Wilde aus den Pampas! Wie gefällt es Ihnen in Paris? Denken Sie lange in Frankreich zu bleiben?«

»Ich hoffe, Hoheit! Und sieDie pikante Frage ist historisch.

Die scharfe Antwort machte den Kreis verstummen, selbst der Oberst konnte sich einer Bewegung der Bestürzung nicht enthalten. Nur der Prinz blieb ruhig und freundlich.

»Vielleicht, meine Kleine! ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen darüber Antwort zu geben!«

Er nahm den gesunden Arm des alten Bonapartisten. »Kommen Sie, Marquis, diese Damen hier sind offenbar Rebellen gegen die Konstitution, und das darf ich nicht hören.«

Er führte ihn einige Schritte weiter, dann änderte sich plötzlich sein Ton. Die bisherige Letargie war verschwunden, die Sprache fest und bestimmt.

»Sind Sie bereit, Oberst, nach England abzureisen?«

»In jedem Augenblick, Sire!«

»Geben Sie mir den Titel nicht, wir haben noch weit bis dahin. Persigny ist von Ihrer Ankunft unterrichtet, Palmerston wird Sie mit Freuden empfangen. Das britische Ministerium steht auf dem Punkt, gestürzt zu werden, wenn die Ereignisse in Frankreich ihm nicht zu Hilfe kommen. Aber ich muß wissen, ob ich auf die Unterstützung oder wenigstens auf die unbedingte Neutralität Englands zu rechnen habe. Ich verlange, daß man Claremont Der Sitz der Familie Louis Philipps. desavouiert. Deuten Sie an, daß ich für den Fall bereit bin, wenn die Zeit gekommen ist, im Orient gemeinschaftlich gegen Rußland aufzutreten. Es wird Ihnen Vergnügen machen, diesen Auftrag auszuführen, denn ich weiß, Sie lieben Rußland nicht.«

»Es ist das Grab unseres Glücks. Der Kaiser hat Ihnen die große Aufgabe hinterlassen, seinen Untergang durch die Wiederunterwerfung Europas zu rächen. Seit ich Sie kennen gelernt, Prinz, weiß ich, daß Frankreich bald wieder den ihm gebührenden Platz einnehmen wird.«

»Still, Freund! nicht so hastig! Die Rache ist ein Gericht, das kalt gegessen werden muß. Vorerst muß Europa glauben, daß das Kaiserreich der allgemeine Friede ist!« L'empire c'est la paix!

»Das Kaiserreich ist das Schwert, L'empire c'est l'épée!, es handelt sich bei dieser Antwort also um ein Wortspiel. Sire, die Auslegung ist besser! Demnach sind Euer Hoheit entschlossen für morgen?«

»Noch nicht ganz, es hängt von den Nachrichten ab, die ich jeden Augenblick erwarte. Haben Sie mit den Generälen gesprochen?«

»Sie dürfen vollständig auf sie zählen; Sie sind wohl vorbereitet und erwarten mit Ungeduld einen Entschluß. Nur die Afrikaner sind schwierig.«

»Ich kenne sie und weiß sie zu behandeln. Aber dort kommt Roguet, um mir Nachricht zu bringen. Einen Augenblick, Marquis, ich bedarf Ihrer noch weiter.«

Der greise Adjutant des Prinzen kam durch den Salon und näherte sich, hier und da mit einem der Anwesenden unter denen sich auch die Prinzen Jerome und Peter Bonaparte befanden, einige gleichgültige Worte sprechend, ohne aufzufallen dem Präsidenten, bis dieser ihn heran, winkte.

»Bleiben Sie hier, Oberst, damit die Nachricht, die mir Roguet bringt, keine Aufmerksamkeit erregt. Der Klub Rivoli und die Orleanisten hoben mehr als einen Spion hier.«

Der General war näher getreten.

»Ist er da, Roguet?«

»Ja, Hoheit!«

»Wo haben Sie ihn hingebracht?«

»Er erwartet Sie im Schlafzimmer des Kaisers!«

»Gut! ich werde mich so bald wie möglich unbemerkt entfernen.«

»Wollen Eure Hoheit nicht vielleicht zuvor den Italiener sehen? Er hat mich vor fünf Minuten rufen lassen und behauptet, die wichtigsten Nachrichten zu haben, besteht aber darauf, sie Ihnen selbst mitzuteilen.«

»Wo ist er?«

»In meinem Dienstzimmer, ich habe eine Wache vor die Thür gestellt.«

»Ich will ihn sprechen!«

Der alte General blieb zaudernd stehen. »Die Nachrichten, die er gebracht, waren stets zuverlässig und wichtig. Indes …!«

»Was?«

»Erlauben mir Eure Hoheit, Sie zu bitten, wenigstens nicht allein zu gehen. Ich traue nie einem Spion, und Eure Hoheit dürfen sich um so weniger jetzt exponieren, wo jeder Unfall von den schlimmsten Folgen sein kann. Der Mensch hat etwas im Auge, das mir nicht gefällt.«

»Wie heißt er doch?«

»Pianori!«

»Richtig! er ist ein Verschwörer durch und durch und ein unzufriedener Kopf, aber jedenfalls ist er vortrefflich unterrichtet. Seien Sie unbesorgt, Roguet, ich bin gegen dergleichen Gefahren auf meiner Hut. Der Oberst soll mich begleiten, das wird genügen, bleiben Sie unterdes hier und sorgen Sie, daß meine Abwesenheit nicht auffällt.«

Wie vorhin der General, ging der Präsident durch die Salons, von dem Haciendero begleitet, indem er an verschiedenen Orten stehen blieb und sich mit Damen und Herren unterhielt.

Er fand auf seinem Wege Herrn d'Argout, den Gouverneur der Bank von Frankreich.

»Sie haben mir heute den Monats-Abschluß Ihres Instituts überreicht, mein Herr,« sagte er laut. »Wie ich ersehe, ist er vortrefflich!«

»Er schließt mit 53 Millionen Bestand, eine Million mehr, als im vorigen Monat.«

»Damit werden Sie imstande sein, die Rente gegen alle Eventualität zu schützen.«

Die Umgebung war einige Schritt zurückgetreten, der Prinz befand sich allein mit dem Bewahrer der Schätze und des Kredits eines ganzen Landes.

»Hat Perrier Sie unterrichtet, daß die 25 Millionen des Restes der bewilligten Anleihe bereit zu halten sind?«

»Sie stehen zur Verfügung, sobald die Ordre mit der Gegenzeichnung des Staatssekretärs gegeben ist.«

Der Prinz trat ihm einen Schritt näher. »Entfernen Sie sich ohne Aufsehen. Lassen Sie die Kassierer wecken. In einer Stunde werden Sie die Ordre haben, Roguet wird für die militärische Bedeckung sorgen, die das Geld hierher bringt. Der Moniteur wird morgen die Ordre bringen. Bis dahin unbedingtes Schweigen!«

Der Gouverneur legte die Hand auf die Brust.

Einige Minuten darauf hatte der Präsident die Salons verlassen, der Oberst folgte ihm.

Der Prinz erwartete ihn im nächsten Zimmer. »Kommen Sie hier, Marquis – ich weiß besser Bescheid. In den nächsten Tagen mögen Sie mir auf meinem Wege voran gehen, das ist Ihr Feld.«

Er führte ihn durch eine leere Zimmerreihe, öffnete eine Tapetenthür und stieg die Treppe hinab, die in einen unteren Korridor führte.

Je weiter sie sich von den Räumen entfernten, die der Gesellschaft vorbehalten waren, desto mehr militärische Anordnungen zeigten sich, indem in den Gängen und vor verschiedenen Thüren Posten aufgestellt waren, die bei dem Anblick der Uniform des Präsidenten präsentierten.

Es war einer jener schlauen Schachzüge, deren sich der Prinz bedient hatte, daß er gleich nach seiner Wahl, obschon er von der Republik zum Bürger-Präsidenten gewählt worden, doch niemals öffentlich in Civil erschienen war. Er trug zu Anfang die Generalsuniform der Nationalgarde, später die einzelner Truppenteile der Garnison von Paris.

Am Ende des Korridors blieb der Prinz stehen. Er hatte seinem Begleiter den Rücken gekehrt und fuhr rasch mit der Hand unter den Uniformrock.

Er hatte sich überzeugt, daß alles in Ordnung war. Seit dem Morgen des Tages trug er unter den Kleidern ein feines und überaus biegsames Panzerhemd von Mailänder Arbeit, ein Kunstwerk, das im geheimen gefertigt und mit einer großen Summe bezahlt worden war.

Der Präsident trat durch ein Vorgemach, in dem eine Ordonnanz wartete, in das Dienstzimmer, das der General in dem Palais bewohnte, und schloß die offene Thür. Der Oberst war ihm gefolgt.

Ein Mann erhob sich von einem Stuhl und verbeugte sich ehrerbietig.

Der Fremde war eine kleine schwächliche Gestalt, sein Gesicht zeigte den italienischen Schnitt und Teint, die Augen lagen tief unter den Brauen und waren versteckt und finster. Er schien etwa 23 bis 24 Jahre alt.

Der Prinz nahm auf einem Sessel Platz, der an der andern Seite des Tisches in der Mitte stand, der Marquis blieb einige Schritte vor ihm stehen.

»Sie heißen Giovanni Pianori

»Ja, Monseigneur.«

»Sie sind ein Italiener von der Emigration. Sie waren bei der Belagerung von Rom Garibaldist und gehören der europäischen Liga an. Sie sehen, daß ich Sie kenne!«

»Ich hoffe, daß Eurer Hoheit bereits mehrfach mein Name genannt worden ist.«

»Ganz recht, Sie haben uns seit einem halben Jahre nicht unwesentliche Dienste geleistet, indem Sie uns zuverlässige Nachrichten aus den sozialistischen Klubs überbracht. Diese Nachrichten sind bisher durch die Vermittelung des Generals Roguet an mich gekommen. Heute verlangen Sie mich selbst zu sprechen?«

»Was ich Euer Hoheit zu sagen habe, mußte persönlich geschehen.«

»Sie sehen, daß ich die Wichtigkeit Ihrer bisherigen Nachrichten schätze und deshalb selbst hier bin.«

Der Italiener verbeugte sich.

»Bevor ich Sie anhöre, möchte ich eine Frage an Sie richten.«

»Ich stehe zu Befehl.«

»Die Nachrichten meiner Polizei aus Rom haben Sie als einen eifrigen Anhänger der revolutionären Komitees und der Einigung Italiens bezeichnet. Als solcher gelten Sie auch in Paris. Wollen Sie mir sagen, wie Sie trotzdem dazu kommen, mir, den die revolutionäre Partei jetzt als einen Feind der Freiheit ausschreit, die Geheimnisse derselben zu verraten?«

»Ich habe mich zu rächen. Erlassen mir Eure Hoheit das Nähere. Außerdem glaube ich, daß die Zukunft Italiens von Ihnen abhängt.«

Es war ein eigentümlicher gedankenschneller Blick, den der Mann auf den Prinzen warf, als dieser nachdenkend den Kopf senkte.

Der Oberst allein hatte den Blick bemerkt, er trat einen Schritt näher.

»Reden Sie,« sagte der Prinz, »welche Mitteilungen haben Sie?«

»Man weiß im Boeuf rouge, Der Klub der Roten in Montmartre. daß Euer Hoheit den Zeitpunkt gekommen glauben, einen Staatsstreich auszuführen, um sich zum Kaiser zu machen, und daß Vorbereitungen dazu getroffen sind.«

Der Prinz lächelte spöttisch. »Man hat es sehr eilig mit meiner Carriere. Wann und durch welche Mittel glaubt man denn, daß ich die Sache auszuführen denke?«

»Morgen Nacht.«

Der Präsident konnte eine unwillkürliche Bewegung nicht zurückhalten, er blickte auf den Obersten.

»Hm! und was denken die Sozialisten zu thun?«

»Nichts.«

»Nichts? man wird also keinen Kampf beginnen, keine Barrikaden bauen?«

»Nein. Man weiß sehr gut, daß Sie Truppen genug zur Hand haben. Man wird die Sache vorerst der Partei der Ordnung überlassen, die beschlossen hat. Sie morgen in Anklagestand zu setzen und in Vincennes einzusperren. Der Bourgeois würde für Sie sein, wenn es einen Kampf gegen uns gälte. Er wird gegen Sie sein, wenn Sie bloß gegen das Gesetz und die Konstitution kämpfen. Man wird sich begnügen, Ihre Soldaten, so lange der Streit dauert, in Alarm zu halten und zu ermüden.«

»Und wenn die freundliche Absicht der Herren Burggrafen nicht gelingt, wenn ich Sieger bleibe?«

»Dann wird der Bourgeois geschwächt sein, der jetzt stark ist, das Militär wird ermüdet sein, und …«

»Nun?«

»Man wird Sie einfach ermorden! Ihr Tod wird das Signal zu einer allgemeinen Erhebung sein.«

»Glauben Sie, das sei so leicht?«

»Sieben Männer haben es beschworen!«

»Ihre Namen?«

»Ich kenne nur den einen, er ist ein Franzose und heißt Camille Bellamare!«

»Und was verbürgt mir Ihre Aussage?«

»Hier ist die Instruktion an die Sektionen, sich ruhig zu halten, bis das Signal gegeben wird.«

Er zog ein Papier aus der Brusttasche und legte es auf den Tisch. Der Prinz hatte sich erhoben und griff danach.

Der Italiener trat einen Schritt näher und hob die Hand an seine Brust.

In diesem Augenblick faßte wie eine Eisenklammer die Faust des Obersten den Arm des Mannes, den sein Auge keinen Moment verlassen hatte.

»Was hast Du da Bursche? dort in der Brusttasche Deines Rocks, ich habe es blinken sehen?«

Der Prinz war zurückgetreten, er sah gespannt auf die beiden.

»Es ist nicht nötig, mein Herr, daß Sie mir deshalb wehe thun. Was Sie blinken sahen, war wahrscheinlich der Griff meines Stiletts!«

»Also doch! Keine Bewegung oder Du bist des Todes!«

»Sie werden mir doch erlauben, es Ihnen zu zeigen!«

Er zog, als die Hand des alten Bonapartisten auf einen Wink des Prinzen ihn freiließ, ruhig den Dolch aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

»Weshalb kommen Sie bewaffnet hierher?«

» Cospetto, Hoheit! ein Verschwörer läuft doch nicht ohne sein Messer umher; man kann ja in jedem Augenblick in die Lage kommen, sich wehren zu müssen.«

Der Ton der Antwort war so spöttisch, die Haltung des Mannes so ruhig, daß der Prinz jeden Verdacht unterdrückte.

»Bleiben Sie dort stehen! Ich danke Ihnen, Massaignac, aber es hat keine Gefahr!«

Er las das Papier aufmerksam durch. »Die Instruktion bewahrheitet Ihre erste Aussage, aber es ist keine Andeutung von der ruchlosen That darin enthalten, von der Sie sprachen.«

Der Italiener zog ein zweites Papier aus der Tasche und gab es dem Prinzen, der es rasch entfaltete.

Es war eins der berüchtigten gedruckten Plakate: » Beweggründe der Verurteilung Louis Napoleons zum Tode!« die am andern Morgen zahlreich an den Mauern angeschlagen waren.

»Wer hat die Schmähschrift verfaßt?«

»Derselbe Bellamare! Er rühmt sich dessen als einer patriotischen That.« Bellamare, derselbe, welcher im September 1855 ein Attentat versuchte, aber fälschlich auf den Wagen der Hofdamen schoß, wurde nach dem Staatsstreich wegen dieses Plakats zu zweijährigem Gefängnis verurteilt.

Der Prinz dachte einige Augenblicke nach. Gerade, daß der Verschwörer sich nicht bemüht hatte, seinen Verrat mit einer loyalen Gesinnung zu bemänteln, hatte ihm Vertrauen eingeflößt.

»Haben Sie mir noch etwas zu sagen?«

»Euer Hoheit sind gewarnt! das übrige wissen Sie, die Führer des boeuf rouge sind Ihnen längst bekannt. Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß man Blanqui erwartet, und mehrere der Verurteilten vom Juni aus Algier nach Paris zurückgekehrt sind.«

»Ich danke Ihnen und bitte Sie, mich ferner von allem in Kenntnis zu setzen, was geschieht. Wenden Sie sich wie bisher an Roguet. Hier, mein Herr, ich weiß, daß die Verbannten aus Italien manchem Mangel ausgesetzt sind, dem abzuhelfen bisher noch außer meiner Macht lag.«

Er legte zwei Banknoten, jede von tausend Franken, auf den Tisch. Der Italiener nahm sie mit der seinem Volke eigenen Habgier und steckte sie in die Tasche.

»Ich danke Euer Hoheit! Verlassen Sie sich ganz auf mich.«

»Lassen Sie den Herrn durch die Wachen bringen, Oberst.«

Der Haciendero öffnete die Thür und winkte dem Spion, ihm zu folgen. Nach einigen Minuten kehrte er zurück.

Er fand den Prinzen in tiefem Sinnen noch auf der nämlichen Stelle.

»Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, Prinz,« sagte der Veteran, »ich traue dem Kerl trotz seiner scheinbaren Aufrichtigkeit nicht. Ich traue überhaupt keinem Italiener. Hüten Sie sich vor ihm.«

»Warum?«

» Pardioux! ich möchte mein Kreuz wetten, daß der Schurke die Namen der anderen Mörder ebenso gut kennt, wenn die Geschichte nicht überhaupt erfunden ist, um Geld von Ihnen zu erpressen.«

»Sie irren, Oberst, der Anschlag hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, aber ich fürchte ihn weniger, als den anderen Beschluß!«

»Welchen, Sire?«

»Daß sich die Roten nicht schlagen wollen.« Er legte die Hand auf seine Schulter. »Glauben Sie mir, Massaignac, ich wäre dem Namen, den Sie mir geben, weit näher, wenn Barrikaden vom Montmartre bis Bercy ständen.«

»Bah! man muß sie dann zwingen!«

»Das ist's, worüber ich nachdenke. Aber die Nachricht, die der Bursche uns eben gebracht hat, zusammen mit der aus der Straße Helder, muß unser Werk um 24 Stunden beschleunigen. Wir müssen ihnen zuvorkommen. Gehen Sie zurück zur Gesellschaft und sorgen Sie, daß Arnaud sie nicht verläßt. Maupas wird es ohnehin nicht thun. Ich habe noch eine entscheidende Unterredung und komme dann sogleich nach.«

»Seien Sie vorsichtig, Prinz, setzen Sie sich nicht unnötig einer Gefahr aus.«

Der Präsident lachte. »Lieber Freund, der Faktor, den ich jetzt zu gewinnen habe, ist sehr friedlicher Natur trotz seiner Stärke; aber um so gefährlicher, weil er mit den Händen den anderen schlägt.«

»Ich verstehe Sie nicht; wen meinen Sie, Hoheit?«

»Die Kirche!«

» Caramba! das ist wahr! Es ist dieser lieben Kirche hier in Paris etwas übel mitgespielt worden, aber Sie haben ihr doch Rom erhalten!«

»Ja,« sagte der Prinz lachend, »aber ich bin nicht wieder herausgegangen und denke es auch nicht zu thun!«

»Hm! der Dey und der Papst! ich hoffe, daß binnen vier und fünf Jahren der Sultan oder mindestens Ägypten noch dazu kommt, dann können die Herren Engländer aus dem Mittelmeere abziehen. Im ganzen genommen habe ich mit der schwarzröckigen Garde nicht gern zu schaffen. Ich ziehe es vor, wenn Sie sich morgen an die Spitze der französischen Armee stellen, sich als Erbe des Kaisers zum Kaiser erklären und mit dem Säbel allein reine Wirtschaft in Frankreich und in der Welt machen.«

Der Prinz lächelte über die derbe Politik des alten Soldaten. »Dies Mittel bleibt uns immer noch, Marquis. Vorläufig dürfen wir es mit keinem verderben; die Kaiser von heute müssen nicht mehr durch die Prätorianer, sondern durch das Volk gemacht werden. Also warten wir. Ein Jahr Vorbereitung ist nicht zu viel, überlassen Sie das mir, mein alter Ritter von der Tafelrunde des neunzehnten Jahrhunderts, und kehren Sie zur Gesellschaft zurück.«

Er verließ das Zimmer und verabschiedete sich an der Treppe von dem alten Bonapartisten.

Wir haben den greisen Adjutanten des Präsidenten sagen hören, daß die Person, die ihn erwartete, sich in dem Schlafzimmer des Kaisers befand, dem Gemach, in dem der alte Napoleon nach der Schlacht von Belle-Alliance die letzte Ruhe in Paris fand oder wenigstens suchte.

Hierher lenkte der Präsident seine Schritte.

Er ging in tiefem Nachdenken mit jenem schleppenden schweren Schritt, den das Tragen einer Last gewöhnlich mit sich führt.

Dennoch, trotz des tiefen Sinnens versäumte er nicht, das Salutieren jedes Wachtpostens, an dem er vorüber kam, freundlich zu erwidern.

Ein Diener, der an der Thür stand, öffnete die Flügel, der Prinz trat ein.

Aus dem Fauteuil, der an der Seite jenes berühmten Bettes stand, erhob sich ein Mann, groß, hager, mit Adlernase, einfach bürgerlich in düstre Farben gekleidet.

Das Licht der beiden großen Armleuchter fiel auf sein Gesicht.

»Sieh da, Herr Abbé Corpasini! ein alter Bekannter, es ist mir lieb, gerade Sie zu sehen!«

Er reichte ihm die Hand und nötigte ihn, wieder Platz zu nehmen.

»Wir befinden uns am Vorabend einer Krisis,« sagte er leicht, »wie damals, als ich zum erstenmal das Vergnügen hatte, Sie bei mir zu sehen. Erinnern Sie sich, es war am Abend, als die Herzogin von Berry aus Paris verschwand und Sie sich für das Schicksal der Mörder der beiden deutschen Abgeordneten interessierten. Sie haben doch erfahren, daß ich Ihnen Wort gehalten?«

Auf der gebräunten hageren Wange des Spaniens brannte ein roter Fleck. Er fühlte, daß sein Gegner in geschickter Weise den Angriff begonnen hatte.

»Ich weiß es und danke Euer Hoheit!«

»Ich ließ die Burschen entspringen, sie haben wahrscheinlich anderwärts ihren Galgen gefunden. Ich wiederhole Ihnen nur, es ist mir lieb, daß Kardinal Antonelli gerade Sie gesandt hat, um uns über einige Punkte auf meinen Wünsch zu verständigen, Herr Abbé – aber – es sind Jahre vergangen, und ich gebe einem Prälaten von Ihrem Verdienst wohl mit Unrecht diesen allzu bescheidenen Titel?«

»Die heilige Kongregation hat geruht, meine geringen Leistungen mit einem Rektorat zu belohnen. Ich befinde mich, wie ich wohl kaum zu bemerken nötig habe, mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ordensgenerals vor Euer Hoheit.«

»O Pater Rothhaan, mein Herr Rektor, hat dem Kardinal nur einen Dienst erwiesen, indem er ihm einen solchen Unterhändler lieh, der den Organismus der kirchlichen Bureaukratie und die Station der Herren Erzbischöfe und öffentlichen Nuntien nicht geniert.«

Der Jesuit verbeugte sich ruhig. Er mußte, um das verlorene Terrain wieder zu gewinnen, den Gegner zwingen, selbst zu kommen.

Der Prinz ging sofort auf die Sache los; für ihn war die Kirche nur ein Mittel, nicht der Zweck, und die Augenblicke dieser Nacht waren kostbar.

»Sie wissen, mein Herr, daß ich die Zusage, die ich dem heiligen Stuhl oder vielmehr dem Herrn Kardinal bei unserer ersten Unterredung gemacht, im ausgedehntesten Sinne erfüllt habe. Rom ist mit dem Blute französischer Krieger aus den Händen der Revolution befreit und der Botmäßigkeit der Kirche unterworfen worden.«

»Die heilige Kirche erkennt den Präsidenten von Frankreich dafür als ihren getreuen Sohn.«

Der Prinz biß die langen Haare seines Schnurrbarts, er verstand die Bedeutung.

»Über was beklagt man sich demnach in Rom, warum kehrt man sich hier gegen mich?« sagte er rauh.

»Der heilige Stuhl ist natürlich Eurer Hoheit sehr dankbar für die großen Dienste, aber soviel ich weiß, schweben augenblicklich noch immer Verhandlungen über die Stellung der französischen Besatzung in Rom.«

»Sie wissen sehr wohl, Herr Rektor, und Kardinal Antonelli und selbst Seine Heiligkeit begreifen das ebenso gut, daß ein Zurückziehen der französischen Truppen, jetzt schon, der Revolution aufs neue die Thore öffnen hieße. Gerade heraus, die weltliche Herrschaft des Papsttums steht auf schwanken Füßen.«

»Österreich und Neapel sind wieder stark und haben ihre inneren Kämpfe überwunden.«

»Ja, aber Sie haben einen anderen Nachbar, der mir einen verteufelt hungrigen Magen zu haben scheint. Das römische Kabinett ist viel zu klug und erfahren, als daß es einen Augenblick darüber im Zweifel sein kann, daß Frankreich unmöglich einem Kriege in Italien ruhig zusehen wird, gleichviel, wer die Regierung unseres Landes führt.«

Der Rektor legte wie zufällig die Hand auf den Pfeiler jenes Bettes, an dem er saß.

»Hoheit,« sagte er bedeutungsvoll, »die Einmischungen Frankreichs in die Angelegenheiten Italiens haben noch immer ein schlimmes Ende genommen.«

Die Stirn des Präsidenten zog sich in Falten. »Ich verstehe Sie sehr wohl, mein Herr. Frankreich hat eine sizilianische Vesper gehabt, Franz der Erste sein Pavia, Mürat ist in Pippo erschossen worden und mein Onkel hätte wahrscheinlich auf diesem Bett nicht jene kummervolle Nacht durchwacht, wenn er Pius VII. nicht nach Fontainebleau geführt hätte. Ich aber, mein Herr, beschütze Pius IX. gegen seine Italiener und finde, daß man mich ebenso undankbar wie unklug behandelt.«

»Wollen Eure Hoheit mir sagen, worüber Sie sich beklagen?«

»Warum ist Herr Sibour auf die Seite meiner Gegner getreten? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, wie die Geistlichkeit von Paris seit länger als einem halben Jahre mit den Sozialisten kokettiert, daß man die Arbeiterklubs besucht und Mißtrauen gegen mich ausstreut? Ich will Ihnen etwas sagen, mein Herr. Wenn ich in diesem Augenblick General Gemeau den Befehl sende, Rom zu verlassen, so bricht am Tage nachher die Revolution nicht bloß auf dem Forum, sondern in allen Legationen, in Parma und Florenz aus und Papst Pius und seine Kardinale werden diesmal schwerlich nach Gaeta gelangen.«

»Ich wiederhole Eurer Hoheit, daß man im Vatikan vollkommen anerkennt, was Sie für Rom thun. Die Kirche bedauert nur, daß dieser Schutz sich allein auf Rom beschränkt, und sie vergeblich auf die Wiederherstellung ihrer ehrwürdigen Rechte in Frankreich selbst wartet.«

Der Prinz legte sich in seinen Sessel zurück. »Endlich sind wir so weit, Herr Rektor, wo wir anfangen, uns zu verstehen. Vielleicht wird die Lektüre dieser Ordonnanz dazu beitragen.«

Er reichte dem Priester ein Papier, das er schon seit seinem Eintritt in der Hand hielt.

»Lesen Sie!«

Der Jesuit entfaltete das Blatt und überflog es rasch, sein hageres Gesicht rötete sich freudig.

»Sie geben das Pantheon, die Madeleine, der katholischen Kirche zurück? Das heißt Bruch mit der Revolution und Wiedereinsetzung der Kirche in ihre Rechte.«

»Sie sehen, mein Herr, es fehlt nur das Datum. Ich besitze im Souterrain des Elysee eine kleine Druckerei, welche nur auf dies Manuskript wartet, um es in tausend Exemplaren an allen Säulen von Paris anschlagen zu lassen.«

Der Jesuit nahm statt der Antwort ein ledernes Portefeuille aus der Tasche seines Rocks und aus diesem ein großes Couvert. Er zog aus dem Couvert ein zusammengeschlagenes Schreiben und überreichte dies dem Prinzen.

»Ein Breve; an Herrn Sibour, den Erzbischof von Paris.«

Der Prälat verbeugte sich. »Die vierzehn gleichen Ausfertigungen an die Sprengel der Herren Erzbischöfe von Frankreich liegen zur Absendung bereit.«

Der Prinz durchflog das Breve. Dann ergriff er eine auf dem Tisch stehende Klingel und schellte.

Der Kammerdiener, der ihm die Thüren geöffnet, trat sofort ein.

»Eine Feder!«

Der Diener holte ein Schreibzeug von dem Kamin und setzte es vor ihn hin. Der Prinz fügte mit einem raschen Federzug das Datum in dem Papier ein, das er vorhin dem Prälaten gezeigt und setzte seinen Namen unter die Ordonnanz.

»In die Druckerei, Pierre, sofort!«

Der alte Diener verschwand.

»Jetzt, Herr Rektor,« sagte der Präsident, »melden Sie mit einem Courier, er wird zu diesem Zweck bereit stehen, an Se. Eminenz, daß General Gémeau in Rom bleiben, und die katholische Kirche in Frankreich von morgen ab in alle Rechte wieder eingesetzt sein wird. Die zehn Jahre, die ich verlange, werden genügend sein, sie zu befestigen. Von den vier Proklamationen, die morgen die guten Pariser etwas überraschen werden, wird jene die eine sein. Herr Sibour wird nicht nötig haben, sich wie sein Vorgänger auf den Barrikaden erschießen zu lassen, ich denke allein fertig zu werden.«

»Aber es wird keine Barrikaden geben, Hoheit, wie ich gehört habe.«

»So, das wissen Sie also auch! Ihnen gestehe ich offen, daß mir das sehr leid thun sollte, denn ich glaube, daß zu dem Kitt eines Staatsgebäudes in der That einiges Blut notwendig ist. Die Pariser brauchen eine heilsame Lektion, wenn ich Ruhe haben soll, meine Absichten auszuführen.«

Der Jesuit lächelte. »Euer Hoheit können sehr leicht der Stimmung, die im allgemeinen dem berechtigten Staatsstreich günstig ist, eine kleine Beimischung von Unzufriedenheit und Opposition geben.«

»Wie das?«

»Wenn Eure Hoheit die zweite der drei Ordonnanzen, diejenige, welche die Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts proklamiert, für einige Tage dahin ändern, daß die Stimmzettel mit dem Namen unterzeichnet sein müssen.«

Der Prinz starrte den Jesuiten mit unverhehltem Erstaunen an.

»Wie? Sie kennen die Ordonnanz?«

»Euer Hoheit konnten aus meinen Vorbereitungen entnehmen,« sagte der Spanier mit gut gespielter Bescheidenheit, »daß ich von den drei Proklamationen unterrichtet sein mußte, als ich hierher kam.«

»In der That, das ist stark! Ich sehe, daß Ihr Orden nichts verloren hat! Künftighin werde ich mich hüten, meinem eigenen Ich zu vertrauen, wenn ich ein Geheimnis zu bewahren habe. Aber da wir einig sind, thut es nichts zur Sache, und ich danke Ihnen für Ihren Rat, den ich befolgen werde. Sie verzeihen, daß ich unsere Unterredung abbreche, denn um unser Geheimnis wenigstens vor profanen Augen so lange als möglich zu bewahren, ist es jetzt nötig, daß ich Sie verlasse.«

Der Jesuit hatte sich erhoben. »Der Herr Erzbischof wird das Breve morgen früh bei seinem Erwachen erhalten. Ich wünsche Euer Hoheit alles Glück und guten Erfolg.«

»Seien Sie unbesorgt, in drei Tagen herrsche ich auf französischem Boden oder liege in demselben.«

»Gott und die Heiligen mögen mit Ihnen sein!«

Der Prinz geleitete ihn bis zur Thür, wo er ihn der Führung des Kammerdieners übergab.

Fünf Minuten darauf trat der Präsident der französischen unteilbaren und höchst konstitutionellen Republik wieder in den Empfangssaal.


Der Prinz sprach einige Augenblicke mit dem Fürsten von der Moskwa und dem General Renaud, machte der Frau eines seiner Lieferanten ein Kompliment, scherzte mit Madame Liolle, deren Ruf etwas sehr zweifelhaft war, winkte den Vicomte Falloux zu sich, um ihn wegen der Stimmung der Assemblée in dem Verantwortlichkeits-Antrag zu befragen, und trat dann wieder zu der Gruppe der Damen.

Die Kreolin kehrte eben am Arm des preußischen Offiziers aus dem Salon zurück, in dem getanzt wurde.

»Es scheint, daß Sie Preußen auf Ihre Seite ziehen wollen, meine hübsche kleine Gegnerin,« sagte der Prinz lächelnd, aber ich muß die Allianz sprengen um unserer Nachbaren hinter den Pyrenäen willen.«

»Die spanische Allianz, Hoheit,« war die schlagfertige Antwort, »ist, so viel ich weiß, eine Vorliebe der Bourbons gewesen, Euer Hoheit sind aber ein Bonaparte.«

»In der Politik und in der Liebe darf man kein nationales Vorurteil haben.«

»Aber ich beschäftige mich weder mit der Politik noch mit der Liebe und überlasse Euer Hoheit gern, mit beiden fertig zu werden. Im Vertrauen kann ich Ihnen nur sagen, mein Prinz, daß die Herren Preußen bessere Tänzer und Reiter sind, als die Caballeros von Madrid.«

Der Prinz, selbst ein sehr unerschrockener Reiter, wandte sich zuvorkommend nach dem Offizier.

»Ich habe von der Wette gehört, die Sie dieser Tage im Longchamps ausgeführt, mein Herr. Mürat erzählte mir davon. Den Sprung über den Hohlweg der Steinbrüche wird Ihnen so leicht niemand nachmachen. Wie kommt es, daß Sie nicht in der preußischen Kavallerie dienen, die ein so ausgezeichnetes Korps ist?«

»Mein älterer Bruder, Hoheit, diente in ihr.«

»Er hat den Dienst quittiert?«

»Er fiel bei dem Straßenkampf in Berlin am 18. März.«

»Ich wußte nicht, daß ein Kavallerie-Angriff bei jener Emeute stattgefunden hat, obschon Ihre schönen und großen Straßen diesen mehr begünstigt hätten, als, mit Ausnahme der Boulevards, unsere Straßen in Paris es thun.«

»Er wurde beim Parlamentieren meuchlings erschossen.«

»Das kommt davon! man hat in Berlin damals viel zu viel Umstände gemacht. Mit Gesindel muß man nicht parlamentieren. Hätten die Truppen, die Sie in Berlin hatten, Ernst gemacht, so würden sie die ganze Rebellion durch ein Nadelöhr gejagt haben, statt daß sie selbst die Stadt verlassen haben.«

Der Offizier zuckte die Achseln.

»Und wie ist jetzt die Stimmung in Berlin?«

»Die beste! Man bemüht sich, alles zu vergessen!«

»Das ist wiederum ein großer Fehler. Auf einem Throne darf man nichts vergessen, sondern man muß sich erinnern und eine Lehre daraus ziehen. Das Vergessen und Vergeben hat noch nie eine Monarchie stark gemacht! Ich bedauere, Ihren Gesandten heute in unserm Kreise zu vermissen.«

»Der Graf befindet sich unwohl!«

»Das thut mir leid. Ich wünsche, Ihr Aufenthalt in Paris möge Sie einige angenehme Erinnerungen mit nach der Heimat nehmen lassen. Ich hoffe, in einiger Zeit selbst Berlin wieder zu sehen.«

»Euer Hoheit Besuch wird der preußischen Königsstadt ein erfreuliches Ereignis sein.« Der junge Soldat betonte das Wort bedeutsam.

»Ganz recht! Die Civilisation des Friedens, die Eisenbahnen erleichtern jetzt dergleichen Besuche. Nun, meine kleine Feindin mit der scharfen Zunge, nehmen Sie Ihren Kavalier zurück, und erholen Sie sich von den Anstrengungen des Tanzes.«

Die Kreolin behauptete jedoch tapfer ihr Feld. »Warum belieben mich Ihre Hoheit Feindin zu nennen, da Sie doch wissen, daß ich die Tochter eines echten Bonapartisten bin?«

»O was das anbetrifft,« sagte lachend der Prinz, »ich habe keinen enragierteren Anhänger, als Papa Touron an der Concordienbrücke, und sein Sohn ist ein Anhänger der Herren Cavaignac und Lamoricière, was ich um so mehr bedauere, als Kapitän Fromentin ein braver Soldat und tüchtiger Artillerist ist. Dafür wird er in Rom bleiben, und Fräulein Miron eine klügere Partie machen.«

Obschon es gegen die Etikette verstieß, erlaubte sich der preußische Offizier bei dem freien Ton der Gesellschaft doch eine Bemerkung.

»Kapitän Fromentin ist in Paris!«

Der Prinz, der sich bereits abgewandt, um einige andere Personen zu begrüßen, kehrte sich rasch um. »Wie sagten Sie, mein Herr, Kapitän Fromentin ist in Paris?«

»Seit Mittag. Wie ich, als ich diesen Abend seine Bekanntschaft machte, vernahm, hat er seinen Abschied genommen.«

»Das thut mir für Papa Touron leid. – Dergleichen Bekanntschaften, mein Herr, sind in einer Zeit, wie die gegenwärtige, oft nicht zu empfehlen.«

Er grüßte kalt und verließ das Paar. »Was hatten Sie mit dem Prinzen?« fragte die Kreolin, denn die letzten Worte waren in deutscher Sprache gesprochen, die sie nicht verstand. »Er schien plötzlich so ernst oder geärgert!«

»O nichts! Sie irren, Senjora!« Aber die Warnung machte ihn nachdenkend, als er sie zu ihrem Platz zurückführte.

Der Prinz hatte mit dem Auge General Roguet herbeigewinkt.

»Sobald Morny kommt, lassen Sie es mich wissen. Rufen Sie Hirevoy in mein Kabinett. Es ist Zeit.«

Er kehrte sich zu zwei Nahenden. »Mylord, es hat mich sehr glücklich gemacht, daß Sie mir Gelegenheit gaben, Sie bei mir zu empfangen und so wenigstens einen kleinen Teil der großen Schuld für die mir in England gewährte freundliche Aufnahme abzutragen. Ich erinnere mich stets mit Vergnügen jenes glänzenden Turniers, das Sie uns in Eglinton gaben.«

» By Jove, Prinz! ich komme expreß vom Atlas, um dem Ihren beizuwohnen.«

»Dem meinen? O Mylord, um ein solches Fest zu arrangieren, dazu müßte die Civilliste dieser guten Republik die Finanzen des Viscount von Heresford erreichen.«

»Keine Bescheidenheit, Prinz! Sie haben hunderttausend Mittel in Paris, und der Einsatz des Ritters von der Biene ist eine ganz hübsche Krone.«

»Sie deuten zu weit, Mylord! doch erinnere ich mich, daß ich nicht mehr so arg in Ihrer Schuld bin. Man hat mir gesagt, daß Sie meinem ersten Turnier beigewohnt!«

»Ah – in Rom? Yes! es hat mir viel Spaß gemacht.«

»Ich fürchte, Paris wird Ihnen nur ein Lustspiel bieten.«

» Oh no! ich habe gesorgt. Ich habe von Oran selbst vier der entschlossensten Burschen nach Frankreich geschmuggelt.«

»Das ist allerdings stark, Mylord, für einen alten Freund.«

»Was wollen Sie? Jeder sucht sich zu amüsieren auf dieser lächerlichen Welt, so gut er kann. Da Ihre Proklamationen fertig sind …«

»Meine Proklamationen?«

» Damn! Nun ja! die Ordonnanzen, die Sie da unten drucken lassen, für was hätte ich denn Geld?«

Der Prinz biß sich auf die Lippen, der Jesuit und der britische Excentric waren besser bedient als er.

»Da also das Stück bald beginnen wird, bitte ich um eine Prosceniumsloge und einen Platz für diesen Herrn. Erlauben Sie mir, Hoheit, Ihnen den Kapitän Peard, einen ausgezeichneten Jäger, den ich am Kap auf der Kaffern- und Antilopenjagd getroffen, vorzustellen. Welches wird der beste Platz bei Ihrer Jagd sein, Prinz?«

»Die französische Uniform.«

» Very well! Hören Sie, Peard, lassen Sie sich geschwind bei Düsautay Maß nehmen. Und meine Loge, Hoheit?«

»Ich empfehle Ihnen das Café Tortoni, Mylord,« sagte der Präsident boshaft, »ich werde sorgen, daß Sie im ersten Rang sitzen. Aber entschuldigen Sie mich, Mylord, ich muß mich bei diesen Damen da beurlauben, denn es ist spät, und ich will mich zurückziehen.«

Der Viscount machte eine steife Verbeugung, das heißt, er nickte mit dem Kopf; dann, während der Prinz zu dem bezeichneten Kreise ging, schlenderte er mit seinem Gefährten weiter.

» Bouffon!« hatte der Prinz gemurmelt, indem er fortging.

»Sie brauchen Düsautay mit der Uniform nicht zu inkommodieren, Master Peard,« sagte der Lord. »Sie werden genug haben, wenn Sie einen Sitz in meiner Loge annehmen. Der Platz wird etwas warm sein, Herr Bonaparte, aber der Viscount Heresford hat noch keine Herausforderung abgelehnt.«

Der Prinz sprach einige Augenblicke mit der Herzogin von Douglas, die eben aufbrach, und unterhielt sich dann mit der Gräfin von Teba und ihrer Tochter.

Nach zehn Minuten zog er sich zurück.

Die Gesellschaft begann sich zu zerstreuen; ein aufmerksamer Beobachter hätte leicht bemerken können, daß viele absichtlich zögerten, einer den andern mit Mißtrauen beobachtend, als erwarte man noch ein Nachspiel zu dem Fest.


In dem Kabinett des Prinzen, das mit schwerem, grünen Seidenstoff ausgeschlagen war, saß vor dem Kamin in einem Lehnsessel, der Thür den Rücken zugekehrt, der Herr und Bewohner des Gemachs und hielt die Hände gegen das Feuer.

Ihm gegenüber an der Ecke des Kamins, den Ellbogen auf dessen Brüstung gestützt, lehnte die elegante Gestalt des Grafen Morny, des illegitimen Halbbruders des Präsidenten.

»Es ist gut, daß Du Dich endlich entschlossen hast,« sagte im Gespräch fortfahrend der Graf, »ich sage Dir, es war die höchste Zeit. Mein Gehör ist vortrefflich, und ich vernahm deutlich in der Nebenloge, wie Cavaignac zu der heutigen Versammlung eingeladen wurde.«

»Du meinst zu der gestrigen Jules,« entgegnete ruhig der Präsident mit einem Blick auf die Kaminuhr, die eine Stunde nach Mitternacht zeigte.

»Wie Du willst, vielleicht auch der heutigen, denn sie sind wahrscheinlich noch zusammen.«

»Darüber wirst Du die beste Auskunft von Maupas erhalten, es schlägt in sein Feld, und er ist im Nebenzimmer.«

»Bei dem Andenken unserer Mutter, ich möchte Geld darum geben, wenn ich die Miene sehen könnte, die Herr Thiers schneiden wird, wenn man ihm seine Verhaftung ankündigt. Er wird sich für eine verteufelt wichtige Person halten.«

Der Präsident rieb sich am Feuer langsam die Hände. »Wir haben keine Zeit zu psychologischen Betrachtungen,« sagte er. »Du bist also gewillt, mit mir zu gehen, Jules?«

»Durch dick und dünn! ich wüßte auch wahrhaftig nicht, wie ich meinen zerrütteten Finanzen anders auf die Beine helfen könnte! Man borgt mir noch weniger wie Dir!«

Der Prinz erwiderte das naive Geständnis mit einem Achselzucken. »Sei so gefällig, jenes Papier von dem Tisch zu nehmen und zu lesen.«

»Teufel! Jetzt zweifle ich nicht mehr an dem Erfolg. Wie zum Henker hast Du die Unterschrift erlangt?«

»Es ist sehr einfach. Die Bank von Frankreich zahlt nur auf die Anweisung des Ministers und des Unterstaatssekretärs. Ich habe Herrn d'Argout, den Sohn, vor einer halben Stunde dazu ernannt.«

»Das ist ein kluger Streich! Und was weiter?«

»In diesem Augenblick befindet sich Legard, mein Kassierer, mit Bedeckung auf dem Wege zur Bank, in einer Stunde werden die 25 Millionen in Gold, in Fünffrankenstücken und in Banknoten in dem Zimmer nebenan sein. Roguet und Du, Ihr werdet sie annehmen und verwahren, bis ich darüber disponiere!«

»Und mein Anteil?«

»Ist das Portefeuille des Ministers. Das Geld gehört einzig den Staatszwecken!«

Der Graf schnitt ein Gesicht, wagte aber keine weitere Einwendung.

»Aber meine Rolle?«

»Dort ist Schreibzeug und Papier. Schreibe die Ordre an Maupas, wie ich sie diktiere.«

Der Graf hatte sich an den Tisch gesetzt und die Feder zur Hand genommen.

Der Prinz blieb, während er diktierte, am Kamin sitzen und wärmte seine Hände.

»Im Namen der französischen Republik!«

»Die gute Republik scheint mir auf etwas unsichern Füßen zu stehen.«

»Schreib'! Der Präfekt der Seine wird angewiesen, bei Tagesanbruch die Deputierten Cavaignac, Lamoricière, Changarnier, Bedeau, Charras, Thiers und Blaze durch die Polizei verhaften und die Gefangenen sofort nach Vincennes bringen zu lassen. Jedem Widerstand ist mit Anwendung der Gewalt zu begegnen.«

»Zu begegnen …«

»Jetzt unterzeichne!«

Der Minister machte eine zweifelhafte Belegung. »Ich meinte, der Befehl datiere von Dir selbst!«

»Es ist die Sache des Ministers des Innern, die Feinde des Staats verhaften zu lassen! Hegst Du Besorgnisse, so wird sich leicht ein anderer für das Portefeuille finden.«

Der Graf unterzeichnete mit einem raschen Federzug. »Es ist unnötig, Fremde zu inkommodieren!«

»Wie ich Dir bereits gesagt, ist Maupas im Salon nebenan und erwartet den Befehl. Hier ist der Entwurf zu dem Schreiben an die gegenwärtigen Minister. Sie haben sich bis morgen Vormittag 9 Uhr zu erklären. Es ist natürlich, daß sie zurücktreten. Du wirst Fould, Rouher, Magne und Turgot um diese Zeit hierher bescheiden. Die Befehle an die Präfekten müssen durch Couriere mit dem ersten Bahnzug abgehen, denn es ist möglich, daß die Telegraphen morgen zerschnitten und nicht zu unserer Disposition sind.«

»Ich werde Maupas befehlen, das Telegraphen-Bureau zu sichern.«

»Eine Sektion Jäger von Vincennes hat es in diesem Augenblick bereits besetzt, Roguet expediert die Befehle an die kommandierenden Generale der vierundzwanzig Divisionen.«

»Hat St. Arnaud unterzeichnet?«

»Er wird es gethan haben, bevor eine halbe Stunde vorüber ist. Beeile jetzt die Ausfertigungen. Sobald das Geld angekommen, laß es mich wissen. Um 8 Uhr müssen die Proklamationen angeschlagen sein. Alles andere ist Deine Sache. Verliere keine Zeit und handle in allem rasch und entschlossen.«

»Du darfst Dich auf mich verlassen!« Der Graf hatte die Papiere zusammen genommen. »Ich habe keinen Augenblick zu verlieren, also bis nachher!«

Er entfernte sich rasch. Der Prinz blieb noch einige Minuten sitzen, dann erhob er sich und öffnete eine Tapetenthür, die aufwendig mit dicken Teppichen ausgeschlagen war, so daß durch sie hindurch auch von dem aufmerksamsten Lauscher nichts von dem verstanden werden konnte, was in dem Kabinett gesprochen wurde.

» Vieyra, sind Sie da?«

»Ja, Hoheit!«

»Kommen Sie herein, und schließen Sie die Thür.«

Der Korse, der in ziemlich berüchtigtem Renommee stand, trat ein. Der Prinz saß bereits wieder vor dem Kamin.

»Wie viel heute?«

»Fünfundvierzig, Hoheit, sämtlich Korsen; ihr Leben gehört Ihnen. Von der Stunde an, wo Sie befehlen, wird man Sie nie mehr aus den Augen verlieren. Wohin Sie meine Bulldoggen schicken werden, dahin werden Sie gehen; wen sie packen wollen, den werden sie packen.«

»Kommen Sie hierher, Vieyra, näher! Wo haben Sie Ihre Leute untergebracht? Ich kann ihnen natürlich keinen Platz im Elysee noch im Louvre einräumen, wie Heinrich III.«

»Sie werden dort sein und überall, auf der Straße, wie im Theater, bei der Parade, auf den Eisenbahnzügen, selbst bei Ihren Festen, als Diener, als Bürger und Handwerker, als Soldaten, als Coco-Verkäufer oder vornehme Herren, die im Café Anglais speisen. Sie vertreten alle Stände, eine unsichtbare, aber schlagfertige Garde. Fünfzehn halten täglich Wache um das Elysee, fünfzehn sind zu extraordinärem Dienst bereit, fünfzehn beurlaubt.«

»Aber an welchem Zeichen soll man sie erkennen, wenn man ihrer zufällig bedarf?«

Der Korse trat einen Schritt näher.

»Wenn Euer Hoheit das Taschentuch ziehen und in die linke Hand nehmen, wird man sich Ihnen nähern. Sie können dem Mann, der Ihnen auf irgend eine Frage mit den Worten antwortet: ›Korsika gehört zu Frankreich,‹ unbedingt vertrauen, welches Standes er auch sei.«

»Gut! ich, werde mir es merken. Die Besoldungen ziehen Sie aus meiner Privatschatulle. Sind in diesem Augenblick Leute der Brigade zur Hand?«

»Fünfzehn, Hoheit, in und um das Elysee!«

»So hören Sie. Ich habe zwei Aufträge!«

Der Korse beugte sich vor.

»Um 5 Uhr diesen Morgen wird Maupas den General Cavaignac und mehrere andere Deputierte durch Polizei-Kommissare verhaften lassen. Den Beamten, welche den Oberst Charras verhaften, werden sich zwei Ihrer Leute anschließen. Der Oberst wird sich schwerlich gutwillig fügen. Was auch der Ausgang des Kampfes sein möge, Ihre Agenten müssen dabei Gelegenheit haben, das blaue Portefeuille, das sich in dem Schreibtisch des Obersten, in dem verschlossenen zweiten Fach zur Rechten befindet, in ihre Hände zu bringen. Ich bemerke noch, daß das Fach mit einem Schlüssel nicht zu öffnen ist, sondern nur mit Gewalt. Den einzigen passenden Schlüssel trägt der Oberst bei Tag und Nacht an einer Schnur auf der Brust.«

Der Chef der geheimen Leibwache verbeugte sich. »Euer Hoheit werden um 6 Uhr das Portefeuille in Händen haben.«

»Gut! Es wird die erste Probe sein! Sie kennen den Kriegsminister, General St. Arnaud?«

»Ja, Hoheit!«

»Der General wird vielleicht in einer Stunde, vielleicht erst am Morgen das Palais verlassen. Sie werden zwei gewandte und zuverlässige Leute an seine Fersen hängen; ich muß um 8 Uhr den genauesten Rapport haben, wo er in dieser Nacht gewesen, was in seinem Hause vorgegangen ist. Verstehen Sie mich wohl, Sie haften mir dafür. Deshalb wende ich mich an Sie, nicht an Maupas.«

»Verlassen sich Euer Hoheit auf Ihre Korsen. Ich habe zwei so entschlossene und gewandte Schelme bei der Brigade, daß sie imstande wären, Euer Hoheit innerste Gedanken aus dem Herzen zu stehlen.«

Der Prinz warf einen ziemlich schiefen Blick aus den Chef seiner neuen Sicherheitsgarde und sagte trocken: »Das möchte Ihnen in diesem Augenblick schwer werden. Jedenfalls dürfte es ziemlich gefährlich sein. Merken Sie sich das!«

Der Korse hatte verstanden, er trat zurück.

»Sie kennen jetzt meine Befehle, ich erwarte die Ausführung. Haben Sie die Gefälligkeit, Ihre Hand hier links auf den Kaminsims zu legen und das Couvert herunter zu nehmen, das sich dort befinden muß.«

Vieyra that, wie ihm geheißen.

»Es sind 20 000 Franken darin, verteilen Sie diese an Ihre Leute! Noch eins! Ich werde morgen Mittag über die Boulevards reiten. Ich hoffe, daß man mich mit Zustimmung empfangen wird!«

»Euer Majestät,« sagte der Korse bezeichnend, »werden zufrieden sein.«

Der Prinz machte ein Zeichen mit der Hand, der Chef der geheimen Sicherheitsgarde zog sich zurück.

Einige Zeit blieb der Präsident bewegungslos in derselben Stellung vor dem Kamin und stierte in die Glut und auf die prasselnden Funken des brennenden Holzes. Sein Gesicht war finster und nachdenkend.

Plötzlich fuhr er empor und drückte auf den Knopf der Salonglocke, die auf dem Gueridon neben ihm stand.

Ohne umzuschauen wußte er, daß sein alter Kammerdiener eingetreten war.

»Der Herr Kriegsminister!«

Die Thür schloß sich geräuschlos. Fünf Minuten später wurde sie mit dem gebührenden Lärm geöffnet; der General Jacques Leroy de St. Arnaud trat mit festem, klirrendem Tritt ein, sein Säbel rasselte sehr unhofmäßig auf dem Parkett.

Der General war 51 Jahr alt. Trotz der etwas aufgeschwemmten Figur des Lebemanns und Gourmands konnte man unter dieser Hülle doch die straffen Muskeln des ehemaligen Fechtmeisters, des Soldaten von der Pike auf erkennen, dessen beste Mannesjahre in den Strapazen der afrikanischen Feldzüge vergangen waren. Obschon die Züge und schlaffen Wangen des Gesichts vom Wohlleben aufgeschwemmt und von galliger grauer Farbe waren, zeigten sie doch noch immer die martialische Entschlossenheit des keine Furcht, aber auch keine Rücksicht kennenden Condottieri.

»Guten Morgen, Monsieur le Maréchal.«

» Parbleu, Hoheit, Sie machen sich lustig über mich. Sie sind noch nicht Kaiser, und ich bin noch nicht Marschall von Frankreich.«

»Das Zweite kommt wahrscheinlich daher, weil das Erste noch nicht der Fall ist,« sagte der Prinz lächelnd. »Ich meine aber, daß man, um Sie zum Marschall zu machen, mein lieber Leroy, nicht gerade schon Kaiser, sondern nur nicht auf Kündigung der verehrlichen Kompagnie Cavaignac-Bedeau zeitweiser Präsident von Frankreich zu sein braucht!«

»Zum Henker, Prinz! ich denke, die Geschichte ist abgemacht, daß Sie sich nicht wieder fortschicken lassen. Die Armee ist für Sie und im ganzen das Volk auch. Wann soll die Sache losbrechen?«

»Bevor die Sonne aufgeht!«

»Ah! das ist ein Entschluß!«

Die Herren Cavaignac, Lamorciere, Bedeau, Thiers und die übrigen werden um 5 Uhr verhaftet sein, die Nationalversammlung wird sofort aufgelöst!«

»Glück auf den Weg, ich werde mit Vergnügen das Dekret unterzeichnen! Nur fürchte ich, daß mein Kollege Thorigny nicht sehr bereit sein wird.«

»Morny ist bereits an seine Stelle getreten. Fould, Rouher, Magne, Turgot und Casablanca werden in das Ministerium treten.«

»Haben Sie auch bedacht, daß diese Verhaftung zu einem Aufstand führen kann?«

»Ich hoffe es!«

»Aber ganz Paris kann sich gegen Sie erheben?«

»Ich beabsichtige, ganz Paris und damit ganz Frankreich eine Lektion zu geben, die ihnen verleiden soll, noch einmal Barrikaden zu bauen.«

»Die Idee ist nicht schlecht,« sagte der General. »Man muß ihnen Schrecken einjagen, die Soldaten müssen selbst den Gedanken haben, daß es gilt, der Bourgeoisie und dieser Canaille zu zeigen, die Armee lasse nicht mit sich spaßen.«

»Ganz recht, Leroy, Ihr Rat ist vortrefflich!«

»Eine tüchtige Säuberung der Boulevards, beim ersten Widerstand Kartätschen. Es kann nicht schaden, wenn ein Hundert dieser Schelme erschossen werden.«

Der Prinz drehte sich nach ihm um. »Ich rechne auf Tausend,« sagte er kaltblütig.

» Ah – parbleu! Sie sagen das ziemlich ruhig. Das wäre ein nettes Gemetzel!«

»Je schärfer die Lektion, desto nachhaltiger. Es geschieht leider nichts in der Geschichte ohne den Kitt des Blutes.«

»Ja, aber haben Sie auch bedacht, Prinz, daß es uns an den Kragen gehen kann? wenn Paris sich auf die Seite der Assemblee stellt, dann ist es keine Rebellion mehr, dann ist es eine Revolution, und wenn wir geschlagen werden, wird man verdammt wenig Umstände mit uns machen.«

»Das ist Ihre Sache!«

»Was? die meine? Was wollen Sie damit sagen, Prinz?«

»Daß Sie, der General Leroy de St. Arnaud, es auf sich nehmen werden, den Parisern die Lektion zu geben, die ihnen verleidet, so lange ich, Louis Napoleon, die Hand am Ruder des Staates habe, Revolution zu spielen!«

»Den Teufel auch! das werde ich bleiben lassen. Ich bin ein Pariser Kind und Ihr Minister, aber nicht Ihr Henker. Ich habe zwar geholfen. Sie zum Präsidenten zu machen, aber ich habe verdammt wenig davon gehabt. Drei neue Jahre unter der Sonne von Algerien, die einem die Leber aus dem Leibe dörrt!«

»So viel ich mich erinnere, sind Sie Kriegsminister!«

»Ja eben deshalb! ich hätte es schon vor drei Jahren sein müssen, wenn Dankbarkeit in der Welt existierte!« sagte der General brüsk. »Überdies ist so ein Portefeuille heute ein sehr unsicheres Ding, bei dessen Einkünften man verhungern kann!«

Der Präsident lachte. »Seien Sie offenherzig, Leroy! Wie viel Schulden haben Sie wieder?«

»Schulden? Sie werden sie doch nicht bezahlen, Prinz, denn Sie haben selbst kein Geld!«

»Wer weiß! Lassen Sie uns ein wenig plaudern! Nehmen Sie den Sessel da!«

Der General machte ein mürrisches Gesicht, wie ein Bulldogg, den sein Herr zum Apportieren zwingen will, und blieb an dem bezeichneten Tabouret stehen.

Der Prinz sah auf die Uhr am Kamin. »Sie haben Unrecht, lieber Arnaud, mir meine Armut vorzuwerfen. In diesem Augenblick müssen sich bereits in den Zimmern nebenan fünfundzwanzig Millionen aus der Bank von Frankreich zu meiner Disposition befinden.«

Der General setzte sich.

»Außerdem,« fuhr der Prinz fort, »war ich auch bisher nicht so ganz mittellos, wie Sie zu denken scheinen. Sehen Sie dies Portefeuille?«

Der Minister warf einen schiefen Blick auf die nur mit einigen zusammen gefalteten Papieren gefüllte unansehnliche Brieftasche. Mit kundigem Auge hatte er gesehen, daß es keine Banknoten waren.

»Was soll's damit?« fragte er barsch.

»Ich wollte Ihnen bloß beweisen, daß ich manchmal nicht üble Geschäfte zu machen verstehe. In diesem Portefeuille befinden sich fünfzehn, zum Teil schon ziemlich lange prolongierte Wechsel im Betrage von einmalhundert und fünfundvierzigtausend Franken. Wünschen Sie vielleicht zu wissen, auf wen diese Wechsel lauten?«

»Oh,« sagte der General, der zu denken begann, der Prinz habe dennoch mit dem Ankauf ein sehr übles Geschäft gemacht, »ich versichere Eure Hoheit, ich bin gar nicht neugierig.«

»Auch nicht, wenn der Name des Herrn Jacques Leroy de St. Arnaud quer geschrieben auf diesen Papieren steht?«

»Noch weit weniger.« sagte der alte Condottieri freundlich grinsend. »Ich kann mir keinen besseren Gläubiger wünschen, als Eure Hoheit. Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie meine kleinen Schulden zusammen gekauft haben.«

»Sie werden also den Auftrag übernehmen, die militärischen Maßregeln zu leiten?«

»Sie haben mich mißverstanden, Hoheit. Das ist Sache des General Magnan, der die Division von Paris kommandiert, nicht die des Kriegsministers.«

»Magnan,« sagte der Prinz gelassen, »hat nicht das Zeug dazu, das wissen Sie recht gut. Er ist ein guter Soldat, aber viel zu weich.«

»Den Henker auch,« sagte grob der General, als er keine Aussicht sah, einen weiteren Anteil an den 25 Millionen zu erhalten, als die Bezahlung seiner Schulden, »da soll ich also herhalten und allen Haß und Groll auf mich laden! Ich bedauere, Hoheit, als Minister werde ich Sie in jeder Weise unterstützen, aber das Arrangement der Füsilade schlägt nicht in mein Departement.«

»Sie lehnen also den Auftrag ab?«

Der General hatte sich erhoben. »Mit Ihrer Erlaubnis, Hoheit, ja! ohne daß Sie deshalb an meiner Ergebenheit zweifeln dürfen! Ich kann in der That eine solche Blutschuld nicht auf mich laden; sie würde mein Gewissen drücken.«

»Was Ihr Gewissen betrifft, lieber Leroy,« sagte der Prinz trocken, »so scheint mir dies ziemlich weit. Die Niedermetzelung der beiden Duars am W. Djeddi spricht wenigstens dafür!«

»Hoheit, das waren nur Araber!«

»Wie man sagt, dreihundert Frauen und Kinder darunter. Aber Sie haben recht, die Sache könnte Sie unpopulär machen, und das ist für einen Minister wohl zu bedenken. Gute Nacht, General, und vergessen Sie nicht, um 9 Uhr das Konseil zur weitern Beratung unserer Schritte.«

Der General grüßte und schickte sich an, das Gemach zu verlassen.

Er legte bereits die Hand auf den Griff der Thür.

»Noch eins, General,« sagte der Prinz, ohne sich umzudrehen. »Sie thun mir wohl den Gefallen und sagen Lefranc, meinem Kammerdiener, daß er Canrobert einführt!«

Der Minister ließ die erhobene Hand sinken und blieb an der Thür stehen. Es war bekannt, daß er die beiden Canroberts nicht ausstehen konnte. Die Abneigung war übrigens gegenseitig.

»Wie Hoheit, den blinden Sicherheitskommissarius wollen Sie wählen?«

Der Prinz antwortete auf die Frage gar nicht. »Nehmen Sie übrigens die Versicherung mit sich, General, daß ich Ihre humanen Bedenken achte und nichts deshalb in unserm persönlichen Verhältnis sich ändert. Ich bedauere aufrichtig, daß durch jene unangenehme Untersuchung die Armee einen Mann wie Sie verlieren wird! Was mich anbetrifft, so sollen mich die hundertfünfundvierzigtausend Franken, die ich für einen Freund ausgelegt, um ihn vor Clichy zu retten, niemals reuen!«

Der General war, wie von einem Skorpion gestochen, zusammen gefahren und hastig einen Schritt zurückgetreten. Sein Säbel fiel rasselnd auf den Boden.

»Was wollen Sie damit sagen, Prinz? welche Untersuchung?«

»O es ist nichts! Sie werden sich hoffentlich rechtfertigen können. Ich darf nur als Oberhaupt des Staates die Sache nicht länger unterdrücken. Statt nach Clichy muß ich Sie, der öffentlichen Stimme wegen, nach Vincennes schicken, bis die Untersuchungs-Kommission die Sache an Ort und Stelle erledigt hat. Ich verspreche Ihnen, es soll so rasch wie möglich geschehen.«

Der General war mehrere Schritte näher getreten, sein an und für sich fahles Gesicht mit den hängenden Zügen hatte eine bleiartige Farbe angenommen, er fuhr mit dem Taschentuch zweimal über die Stirn. »Was meinen Sie, eigentlich, Hoheit?« frug er ziemlich kleinlaut.

»Nun, wie ich Ihnen sage, es ist nichts! die Untersuchung ist nur der Ehre der Armee wegen notwendig, niemand wird zweifeln, daß es eine Intrigue und Verleumdung gegen Sie ist, obschon die Beweise, sie liegen hier in diesem Aktenkonvolut,« – er wies nach dem Tisch – »in der That merkwürdig vollständig gesammelt sind. Beiläufig – es betrifft die beiden neuen Bataillone, für die Sie während Ihrer Verwaltung von Constantine ein Jahr lang Sold und Ausrüstung in die Tasche gesteckt haben sollen, ohne daß ein Mann anders existierte, als auf dem Papier.«

Es herrschte einige Minuten tiefes Schweigen in dem Gemach; der Prinz rührte mit der Zange achtlos in den Kohlen des Kamins.

Dann trat der General mit festem klirrenden Tritt bis dicht an seinen Lehnstuhl.

»Hoheit, ich habe mir die Sache überlegt. Was Canrobert kann, kann ich auch, und besser. Ich nehme das Kommando an und bürge Ihnen mit meinem Kopf für den Ausgang der Sache; aber, so wahr ich Jacques Leroy St. Arnaud heiße, nur unter zwei Bedingungen.«

»Und diese sind?«

Der Minister wies stumm mit dem Finger auf das Aktenkonvolut.

Der Prinz nahm gleichfalls schweigend das Heft und warf es auf die Kohlen des Kamins, die sogleich hell empor loderten.

»So! nun die andere!«

»Daß Sie mir sofort, in dieser Stunde, von Ihrer eigenen Hand Vollmacht geben, vollständig nach meinem Belieben und Ermessen zu verfahren, sobald ein Aufstand ausbricht, Vollmacht, selbst Paris plündern zu lassen, wie eine eroberte Stadt und es in Grund und Boden zu schießen, wenn ich es für nötig halte!«

»Teufel! Sie verlangen nicht wenig!«

»Nur so kann ich unbedingt für den Ausgang bürgen und die Verantwortlichkeit auf mich laden. Entschließen Sie sich kurz, Sire! Auch wenn ein Duplikat jener Papiere, die da so lustig brennen, vorhanden sein sollte, so wissen Sie, daß eine Kugel leicht jedes Gericht um seine Mühe betrügen würde.«

Der Prinz war aufgestanden. »Geben Sie Papier und Feder her. Sie sollen die Vollmacht haben, ich vertraue Ihnen ganz.«

Er setzte sich an den Tisch und schrieb das berüchtigte Dokument, das die Hauptstadt von Frankreich in die Hände eines herzlosen Schlächters lieferte und für jede Blutthat desselben die Verantwortung übernahm.

Der Prinz las das Dokument langsam durch und übergab es dann seinem Vertrauten. So ungern er es thun mochte, so wußte er doch, da er nach der Konstitution nicht selbst kommandieren durfte, daß der Mann vor ihm der einzige war, der rücksichtslos die Schmach auf sich laden würde, eine neue Auflage der Bartholomäusnacht geleite zu haben.

Der Kriegsminister las gleichfalls die entsetzliche Vollmacht und steckte sie sorgfältig zu sich. Er kannte seinen Herrn und wußte, daß nur deren Besitz ihn künftig schützen werde.

»Nun, Hoheit,« sagte er, »wenn es Ihnen gefällig ist, lassen Sie uns plaudern.«

Der Prinz wies auf den Sessel, den er vorhin eingenommen, der General setzte sich.

»Sie haben zu Ihrer Disposition die Division Carrelet, das sind fünf Brigaden. Morgen Vormittag werden noch Guiden und Artillerie aus Metz eintreffen. Ich glaube, daß dies genügen wird. Überdies sind sämtliche Eisenbahnen und die Präfekten der nächsten Departements angewiesen, Transportmittel bereit zu halten.«

Der General rechnete an den Fingern. »Fünf Brigaden, etwa hunderttausend Mann. Der Mann zwei Frankenthaler – macht netto anderthalb Millionen! Für die Offiziere und Unteroffiziere Gold, durchschnittlich 500 Franks, würde 2 Millionen machen; einigen der Generale geht es leider wie mir, sie haben Schulden!«

»Rechnen Sie fünfmalhunderttausend Franken,« sagte der Prinz.

»Das wären drei eine halbe Million. Dazu drei oder vier Tage für die Garnison Wein und freie Zehrung. 1 200 000 Franken; die sonstigen Kosten 100 000 Franken; es bleiben Ihnen also von den Millionen, die Sie der Spaß hier in Paris kosten wird, noch zweimalhunderttausend Franks.«

Der Prinz ging zu dem Tisch und schrieb einige Zeilen, die er dem General übergab. Dieser las sie und steckte sie sorgfältig zu dem andern Papier. »Gut,« sagte er, »ich danke! Wenn Sie rechnen, daß Sie das andere Frankreich eben so viel kostet, machen Euer Hoheit immer noch ein verteufelt gutes Geschäft.«

Der Präsident antwortete nicht; er hatte einen Plan von Paris in die Hand genommen und betrachtete denselben.

»Jetzt,« sagte der General, »bürge ich Ihnen für alles, nur zeigen Sie keine Schwäche! Es fehlt jetzt zum Gelingen nur noch eins, aber die Hauptsache!«

»Was?«

»Der Aufstand!«

»Sie sollen ihn haben! Ich rate Ihnen jedoch, Ihre Truppen nicht unnütz zu ermüden, denn es ist möglich, daß Sie einen oder zwei Tage warten müssen.«

»Gleichviel! Ich bin ein alter Fuchs und werde die Herren Montagnards nicht hindern, in aller Ruhe ihre Barrikaden zu bauen. Paris muß erst die rote Fahne sehen. Und nun Hoheit, entschuldigen Sie mich, denn ich habe noch verzweifelt viel zu thun!«

Er war aufgestanden und machte sich zum Gehen bereit. »Wo find' ich das Geld?«

Der Prinz wies nach der Nebenthür, er begleitete den General dahin.

»Apropos, General,« sagte er, ehe er die Portiere hob, »ich empfehle Ihnen an dem betreffenden Tage das Café Tortoni!«


Um 8 Uhr erschien der Polizei-Präfekt Maupas im Elysee, um über den Ausgang der ersten Maßregeln zu berichten.

Zwischen 5 und 6 Uhr morgens hatten die Truppen militärischen Besitz von Paris genommen. Die Ordres waren um 3 Uhr in den Kasernen eingetroffen, die Thore derselben sofort gesperrt worden, niemand durfte sie verlassen, während die Truppen sich schlagfertig machten. Die Nachricht, daß die National-Versammlung, von der Bürgerschaft unterstützt, den Präsidenten Louis Napoleon absetzen und nach Vincennes bringen und die Republik unter Wiedereinberufung der Bourbons auflösen wolle, daß die Armee unter den Befehl der Civil-Quästoren gestellt werden sollte, und daß die Roten einen Mordanschlag auf den Prinzen ausgeführt hätten, der nur durch einen glücklichen Zufall vereitelt worden, war unter ihnen verbreitet.

Zwischen 7 und 8 Uhr rückten die Abteilungen, auf welche man das größte Vertrauen setzte, nach dem Platz und der Brücke de la Concorde, und die afrikanischen Jäger besetzten das ehemalige Palais Bourbon, den Sitz der National-Versammlung.

Zwischen 3 und 5 Uhr waren die Generale und Repräsentanten Cavaignac, Lamoriciere, Changarnier, Bedeau und Oberst Charras, sowie die Herren Thiers, Blaze, Miol, Nadeau, Leflô und Valentin durch Polizeikommissare verhaftet und nach Vincennes gebracht worden. Düpin, der Präsident der National-Versammlung, wurde in seinem Hotel in der Straße du Bac bewacht. Das Hotel de Ville und alle öffentlichen Gebäude waren mit Truppen besetzt; stündlich rückten neue Regimenter ein.

Der Bericht des Polizeipräfekten lautete, daß Cavaignac ohne Widerstand verhaftet worden war, Lamoriciere desgleichen; aber ein Mann, der sich bei ihm befand, hatte sich mit einem kühnen Sprung durch das Fenster gerettet. General Changarnier hatte vergeblich versucht, das Militär anzureden, General Bedeau leistete energischen Widerstand, verwundete mehrere Soldaten und mußte geknebelt werden, Oberst Charras tötete den Soldaten, der zuerst Hand an ihn legte, auf der Stelle und wurde erst nach schwerer Verwundung übermannt.

Die geheime Sicherheitsgarde hatte ihren ersten Auftrag erfüllt, eine Stunde nach der Verhaftung des tapfern Obersten befand sich das bezeichnete Portefeuille in den Händen des Präsidenten.

Es enthielt die Korrespondenz und die geheimen Papiere der Verbindungen unter der Armee von Algerien.

St. Arnaud hatte in der Nacht heimlich einen Boten nach England entsandt!

Um 8 Uhr ließ die Polizei an allen Ecken von Paris die Dekrete des Präsidenten anschlagen.

Das erste verfügte in fünf Artikeln die Auflösung der National-Versammlung, die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts ohne listenweises Skrutinium und Abschaffung des Gesetzes vom 31. Mai, Berufung zur Wahl vom 14. bis 21., den Belagerungszustand im Umfang des 1. Militärbezirks und Auflösung des Staatsrats.

Ein zweites Dekret gab das Pantheon dem katholischen Kultus zurück.

Eine Berufung an das Volk kündigte die Grundzüge der neuen Verfassung an: Präsidentur auf 10 Jahre, Minister allein von der Exekutivgewalt abhängend, ein Staatsrat, eine gesetzgebende Versammlung durch das allgemeine Stimmrecht, und eine erste Kammer der Notabilitäten.

Eine Proklamation an die Armee forderte diese zum Kampf gegen die Roten auf und mahnte an die Erinnerungen des Namens Bonaparte.

Das Volk war in großer Bewegung, ungeheure Menschenmassen füllten die Plätze und Boulevards, im allgemeinen aber zeigte sich die Stimmung dem Staatsstreich günstig, und man hörte häufig: C'est bien fait! ja in den Reihen des Militärs wurde häufig der Ruf laut: Mais pourquoi diable ne se fait-il pas encore Empereur!

Bei der ersten Nachricht von den militärischen Maßregeln zur Verhinderung des gesetzlichen Zusammentritts der Nationalversammlung versammelte sich eine Anzahl Repräsentanten, der sogenannten Ordnungspartei angehörig, bei Odilon Barrot, Remusat, Passy, Dufaure, der Herzog von Broglie, die Sekretäre des Bureaus unterzeichneten einen ersten Protest gegen den Staatsstreich und die Dekrete. Dann trennten sich die Mitglieder, um ihre Freunde bei dem Vize-Präsidenten Daru zu versammeln.

Die Versammlung bei Daru war sehr zahlreich, über 150 Mitglieder waren anwesend. Sie beschlossen, sich sämtlich nach dem Palast der Nationalversammlung zu begeben, um den Widerstand, den ihr Zusammentritt erfahren würde, zu konstatieren.

Dieser Zug von Männern, von denen die meisten der Bevölkerung sehr wohl bekannt waren, erreichte, angeführt von den Mitgliedern des Bureaus, nachdem man die wenigen Straßen passiert, die Darus Haus von dem Palast der Nationalversammlung trennten, den gewöhnlichen Eingang, ohne daß sich eine Bewegung unter dem versammelten Volk zu ihren Gunsten bemerklich gemacht hätte. Das parlamentarische Regiment war damit verurteilt. Im Gegenteil wurde vielfach der Ruf gehört: Vive le Président! Vive Louis Napoléon! Die afrikanischen Jäger begrüßten sie bei ihrer Ankunft mit wildem Gebrüll und brutalen Beschimpfungen.

Die Abgeordneten bestanden darauf, in den Sitzungssaal eingelassen zu werden, der unter Aufsicht eines Polizei-Kommissars von Arbeitern längst demoliert worden war, und als einige sogar versuchten, sich mit Gewalt den Eingang zu erzwingen, entstand ein Handgemenge, in welchem die Jäger von den Bajonetten und Kolben ihrer Gewehre Gebrauch machten und einige Repräsentanten, darunter Etienne und Chigarey, verwundeten.

So durch Waffengewalt zurückgetrieben, wandten sie sich nach der Mairie des 10. Arondissements in der Grenelle-Straße, um ein amtliches Protokoll aufzunehmen. Dieses wurde von dem Bureau der Versammlung unterzeichnet, sowie von allen anderen Mitglieder, darunter Graf Molé, der Herzog von Broglie, Dufaure, Passy, Odilon Barrot u. a.

Es wurde hierauf eine förmliche Sitzung gehalten und beschlossen, eine Proklamation an das Volk und die Armee zu richten und durch ein Dekret den Präsidenten seiner Funktion zu entsetzen. Dies Dekret, gezeichnet von Benoist d'Azy als Präsidenten, Vilet als Vize-Präsidenten, Chapot und Mailén als Sekretären, wurde rasch in einer Druckerei der Orleanisten vervielfältigt und noch am Abend in allen Häusern verteilt und an den Ecken angeschlagen.

Als der Beschluß gefaßt worden, erschienen Vatesmenil und Berryer am Fenster und erklärten das Wahlgesetz vom 30. Mai abgeschafft, die Absetzung des Präsidenten, die Ernennung des General Oudinot zum Kommandanten der Truppen der Nationalversammlung und des Montagnard Tamisier zum Stabschef.

Die Menge antwortete mit dem Ruf » Vive la République! Vive le Président!« Von der Nationalversammlung wollte niemand etwas wissen!

Alsdann erschien ein Bataillon und besetzte das Haus. Der Kommandant betrat den Sitzungssaal und erklärte die Verhaftung der Anwesenden. Die »Vertreter des Volks« wurden ohne weiteres beim Kragen genommen und zwischen zwei Reihen Soldaten zuerst nach der Kaserne d'Orsey transportiert, von wo sie in kleineren Abteilungen nach dem Fort Mont Valerien und dem Mazasgefängnis gebracht wurden.

Auch der parlamentarische Verein der Universitätsstraße, die Fusionisten, wurde durch Militär auseinandergesprengt.

Während die Volksrepräsentanten in der Mairie des zehnten Arrondissements jene Sitzungen hielten, traten die neun Mitglieder des Kassationshofes, die nach den Bestimmungen der Konstitution den obersten Gerichtshof bilden, zusammen, um den Präsidenten abzusetzen. Das Dokument wurde zwar vollzogen, der Gerichtshof aber durch ein Dekret des Justizministers vertagt und durch Militär aufgelöst.

Gegen halb elf Uhr verließ Louis Napoleon in Begleitung seines Oheims, des Exkönigs von Westfalen, und eines zahlreichen Stabes zu Pferde das Elysee. Im Faubourg St. Honoré wurde er vom Volk und den Truppen jubelnd begrüßt; von da begab er sich nach dem Konkordienplatz, wo die à l'ordre de bataille aufgestellten Regimenter ihn mit einem schallenden Vive Napoléon! empfingen. Im Tuileriengarten war der Generalstab der Pariser Armee aufgestellt, der Prinz begab sich über den Pont Royal auf das linke Seineufer. Nachmittags durchritt er die Quais und musterte um vier Uhr die Kavallerie-Division, die in den elysäischen Feldern stand. Überall wurde er mit Enthusiasmus aufgenommen.

Im Laufe des Tages hatten sich bereits an 200 Mitglieder der aufgelösten Nationalversammlung zu seiner Verfügung gestellt. Von den Journalen durften nur zwei, die »Patrie« und der »Konstitutionell«, ohne Censur erscheinen, acht wurden suspendiert.

Auf Befehl des Polizeipräfekten mußten sämtliche Theater am Abend geöffnet sein, das Theater Italien war sogar von einem eleganten Publikum gefüllt, um das Debüt des Tenoristen Guasco in »Ernani« zu hören; aber die Foyers waren diesmal nicht in den Theatern, sondern auf den Boulevards.

Die Straßen waren mit hin- und herwogenden Menschenmassen gefüllt, auf den großen Plätzen biwakierten die Truppen und zündeten ihre Feuer an. Lebensmittel waren seit dem Morgen im Überfluß vorhanden und die Stimmung der Soldaten eine sehr muntere.

Obschon ein dumpfes Gerücht am Abend durch die Menge ging von bevorstehenden Unruhen, war die Haltung dieser Massen doch gleichgültig, und sie wogten ruhig über die Boulevards, nur zuweilen durch hin- und herziehende Truppen unterbrochen.

Um Mitternacht wurden die Soldaten nach ihren Kasernen zurückgezogen, um sie nicht durch unnötigen Nachtdienst zu ermüden. Nur die öffentlichen Gebäude blieben besetzt, und einzelne Patrouillen durchzogen die Straßen.

Paris war ruhig.

Aber diese Ruhe, diese schweigende Zustimmung zu den Ereignissen des Tages paßte zwei Parteien nicht: Dem, der den Staatsstreich für sich gemacht, und seinen wahren Gegnern, den Roten.

Die Montagnards hatten sich von dem lächerlichen Versuche der Burggrafenpartei, den Zug des Herrn von Unruh in Berlin nach dem verschlossenen Schauspielhause nachzuahmen, fern gehalten.

Sie versammelten sich am Abend bei dem Repräsentanten Lafort, Quai Gemappes Nr. 2. Hier wurde in der Nacht ein permanenter Widerstandsausschuß ernannt, der die Erhebung centralisieren und den Kampf leiten sollte.

Er bestand aus den Abgeordneten Carnot, de Flotte, Jules Favre, Madier de Montjau, Michel (de Bourges), Schölcher und Victor Hugo.

Man verwendete die Nacht, um den demagogischen Sektionen den Befehl zu erteilen, sich am Morgen um 7 Uhr in dem Faubourg St. Antoine zu versammeln; aber die » frères et amis« folgten nur spärlich dem Befehl.

Der Mittwoch hatte trübe und düster begonnen, ein feiner Regen, der gefährlichste Feind aller Volkserhebungen, hielt die Straßen leer. Während der ersten Stunden des Vormittags waren die Vorstädte ruhig und die Läden und Banken wie gewöhnlich geöffnet. Die Weinstuben füllten sich jedoch allmählich, an den Thüren der Kaffeehäuser in den vornehmen Quartieren sammelten sich Gruppen, während im Innern ruhig die Dominosteine klapperten.

Während der Nacht hatte der Widerstandsausschuß an verschiedenen Stellen einen rot oder schwarz geschriebenen Aufruf »zu den Waffen« angeschlagen, ein flüchtig in Form einer Zeitungskolumne gefertigter Abdruck des Dekrets, das die verhafteten Abgeordneten in der Mairie beschlossen hatten, wurde verteilt und ebenfalls angeheftet, aber die Stadtsergeanten rissen die Plakate sofort wieder ab.

Jetzt machten die Mitglieder der Bergpartei persönliche Anstrengungen, das Volk aufzuregen. Männer mit Schießgewehren und Dolchen bewaffnet mischten sich unter die Menge der Boulevards; die Aufforderungen, zu den Waffen zu greifen, wurden aufs neue angeschlagen und verschiedene Personen versuchten längs der Boulevards St. Martin, St. Denis, Bonne-Nouvelle und Montmartre durch ihre Reden und lautes Vorlesen des Absetzungsdekrets die Aufregung zu steigern.

Um Mittag endlich verließen drei oder vier bewaffnete Banden den Faubourg St. Antoine und die Rue du Temple, an ihrer Spitze mehrere Exrepräsentanten, und versuchten an verschiedenen Stellen Barrikaden zu errichten.

Der Haufen, welchen der Exrepräsentant Baudin führte, begann eine Barrikade an der Ecke der Rue St. Marguerite zu bilden und begrüßte ein anrückendes Linienbataillon mit einem Schuß. Die Truppen erwiderten das Feuer energisch, und der Kommandant der Barrikade Baudin stürzte, von einer Kugel durch den Kopf getroffen, tot nieder.

Auf einer anderen Barrikade auf dem Boulevard Beaumarchais ward Madier de Montjau erschossen, auch Schölcher ward im Handgemenge mit den Truppen verwundet. Die Absicht der Aufrührer, das Gefängnis Mazas anzugreifen und eine Demonstration auf dem Platz der Medizinschule zu versuchen, wurde vereitelt. Gegen vier Uhr war der ganze Teil des Boulevard vom Chateau d'Eau bis zur Bastille geräumt und von Kürassier-, Jäger- und Linienregimentern besetzt. Die Brigade des Generals Marullaz stand mit 12 Stück Geschützen auf dem Bastilleplatz; die Eckhäuser der Straßen, von denen aus in den Junitagen 1848 die Insurgenten sieben Generale und den Erzbischof von Paris erschossen hatten, wurden vom Keller bis zum Dach militärisch besetzt; drei Bombenmörser waren schußfertig gegen Faubourg St. Antoine gerichtet. Angesichts dieser energischen militärischen Maßregeln zogen sich die Aufrührer in das Innere der Faubourgs zurück, wurden aber auch von hier durch die Brigade des Generals Burtiges vertrieben. Um fünf Uhr ließ General Magnan durch das 9. Jägerbataillon und ein Bataillon mobiler Gendarmerie ohne Mühe die in der Rue Rambuteau und Bieilles Audriettes errichteten Barrikaden zerstören. General Leydet, Exrepräsentant der Bergpartei, ward verhaftet. Eine Proklamation des Kriegsministers an die Einwohner von Paris verkündete, daß jeder, der mit den Waffen in der Hand sich verhaften ließe, erschossen werden würde.

Die Truppen, durch die Plänkeleien des Tages gereizt, zeigten eine erbitterte Stimmung, die durch die reichlich verteilten Getränke noch erhöht wurde; in düsterm Schweigen ließen die Volksmassen die Reiterregimenter und die Bataillone, welche, die Tiralleurs kriegsmäßig voran, die Boulevards passierten, an sich vorüber ziehen.

Während des Tages hatte man, auch unter den Kämpfenden, nur wenige Arbeiter bemerkt; die Nationalgarde war nicht einmal alarmiert worden, es war demnach bloß ein Scharmützel zwischen den Truppen und Anhängern des Berges gewesen, das Volk hatte gefehlt, aber gerade das Volk bedurfte einer furchtbareren Lehre, als dieses leichten Sieges, es mußte eine gewaltigere Schranke zwischen den Waffen des künftigen Kaiserthrons und den Revolutionsgelüsten des Pariser Bourgeois aufgerichtet werden, als ein paar fliegende Barrikaden.

Wir haben bereits erwähnt, daß der Tag trüb und regnerisch gewesen war.

Um sieben Uhr abends fand sich ein alter Invalide am Eingang des Elysee ein und verlangte, zum General Roguet geführt zu werden, zu dem er befohlen worden sei.

Man meldete es dem General und dieser ließ sogleich den Invaliden zu sich rufen.

Es war Vater Touron, er hatte seinen besten Invalidenrock angezogen und trug auf der Brust das Kreuz.

»Einen Augenblick, mein Alter,« sagte der General, als der Leiermann, mit dem gesunden Arm salutierend, kerzengerade an der Thür stehen blieb. »Seine Kaiserliche Hoheit selbst will Dich sprechen, aber er ist in diesem Augenblick noch beschäftigt. Setze Dich!«

»Pierre Fromentin, General, hat die alte Gewohnheit noch nicht vergessen, Posten zu stehen!«

»Mach's wie Du willst, Kamerad. Du wirst nicht lange zu warten brauchen! Da höre ich bereits den Obersten!«

Der Haciendero trat durch eine Seitenthür in das Gemach. »Der Prinz läßt Sie fragen, General, ob die Person, die er zu sprechen wünscht, sich gemeldet hat?«

Der alte Adjutant wies auf den Invaliden, der Marquis warf einen flüchtigen Blick auf ihn. »Ah, ein alter Soldat – in welcher Truppe hast Du gedient, mein Alter?«

»In der Garde-Artillerie, mein Kapitän!«

»Das ist ein kleiner Irrtum, mein Lieber; der Kaiser hat noch Zeit gehabt, mich zum Obersten zu machen!«

»Dann hat er nur gethan, was Kapitän Fourichon de Massaignac wohl verdient hat!«

» Pardioux! Kamerad, Du kennst mich?«

»Ich war in Rußland!«

Der Marquis war dem Invaliden näher getreten, er betrachtete ihn aufmerksam, eine dunkle Erinnerung schien in ihm wach zu werden. Der Leiermann erwiderte fest seinen Blick.

» Caramba! ich glaube gar – warst Du an der Moskwa?«

»Zu Befehl, Oberst!«

»Der Sergeant von der Artillerie, der sich vor den Kaiser warf, als in der Batterie die Granate dicht vor ihm platzte?«

Der alte Soldat legte mit stolzem Lächeln die gesunde Hand auf das Kreuz an seiner Brust. »Hier drunter Colonel, ist die Narbe: das Blech des Bandeliers rettete mich! Aber wir kennen uns von einer anderen Gelegenheit!«

»Von welcher? ich glaubte, daß Du mich damals gesehen, weil ich einige Minuten vorher mit einer Meldung von Ney gekommen war!«

»Nein, Colonel, suchen Sie später!«

»Es ist möglich, daß wir uns wieder gesehen; aber der Krieg war lang, und der Gelegenheiten waren so viele. Hilf mir ein wenig auf die Spur!«

»Sie wollen es, Colonel?«

»Ich bitte Dich darum!«

Der Invalide legte bescheiden seine Kappe auf den nächsten Sessel, öffnete seinen Rock und zog mit seiner einen Hand eine alte schmutzige Brieftasche aus der inneren Tasche.

»Erlauben Sie, General?« er sah nach dem nächsten Tisch; General Roguet winkte freundlich, der Leiermann legte die alte Brieftasche auf die kostbare Mosaikplatte und kramte eine Weile darin umher. Sie enthielt mehrere alte Papiere, wahrscheinlich seine Atteste und Dienstzeugnisse.

Endlich hatte er in einer Seitentasche gefunden, was ersuchte, es war ein altes, halb zerrissenes und verwischtes Briefcouvert, ganz vergilbt, kaum noch erkennbar.

Er reichte es dem Obersten, ein Schimmer von Stolz und Vergnügen zuckte bei der alten Erinnerung über seine verwitterten durchfurchten Züge.

Der Oberst betrachtete das Couvert einige Augenblicke, es war an seinen Namen adressiert, die Hand seiner Mutter, er suchte seine Erinnerungen zu sammeln.

»An der Beresina?« rief er plötzlich.

Der Invalide nickte.

Der Millionär sprang auf ihn zu und drückte den einarmigen mit seinem eigenen einen Arm kräftig an seine Brust; eine Thräne perlte in seinen grauen Wimpern.

Der alte General stand daneben, es war ein rührender Anblick, die drei Greise, die drei Ruinen aus einer gewaltigen Zeit hier im Palast des toten Kaisers, in der Stunde des Aufgangs eines neuen schicksalsschweren Gestirns vereinigt zu sehen.

Der Haciendero wandte sich gegen den General, noch immer seine Hand auf der Schulter des alten Invaliden. »Gott ist gnädig,« sagte er mit tiefer Bewegung, »daß er mir gestattet, in meinen alten Tagen auch für diese zweite Schuld mich dankbar zu zeigen. Dieser Mann zog mich, als die Brücke unter unseren Füßen zusammenbrach und wir in die Eisschollen stürzten, mit Gefahr seines Lebens aus der tötenden Flut und schleppte mich ans Ufer. Ich wußte damals nicht einmal, daß es derselbe Brave war, der wenige Wochen vorher den Kaiser gerettet! Mein einziger Dank in dem Gewühl der sterbenden Tausende, in jener furchtbaren Stunde war, daß ich ihm dies Couvert gab mit der Bitte, mich aufzusuchen, wenn der Himmel uns beide erhalten sollte; aber ich wartete vergeblich während der Feldzüge in Deutschland und Frankreich darauf, niemand meldete sich, und ich mußte meinen wackern Retter gleich so vielen Tausenden erstarrt unter den Schneefeldern Rußlands glauben!

»Was wollen Sie, Colonel,« sagte der Invalide, »es war nicht mehr, als jeder brave Soldat dem andern schuldig ist. Sie hätten dasselbe für mich gethan!«

» Pardioux! das hätte ich, aber da es nicht geschehen, so müssen wir etwas anderes suchen. Ich denke, daß wir beide uns nicht mehr verlassen sollen. Was treibst Du, mein Braver, hast Du Familie?«

»Zwei Söhne, Colonel,« sagte der Alte finster. »Der eine war mein Stolz, wenigstens gestern noch; der andere ist ein wenig wild, aber sonst ein braver Bursche! Was mich anbetrifft, so kann ich nichts anderes thun mehr für den kaiserlichen Adler, als daß ich den Bürgern von Paris seine Märsche und Lieder vorleiere!«

»Ist es möglich, man hat für einen braven Soldaten, wie Du es bist, nichts weiter gethan?«

»Ich hab' es selbst gewählt, Oberst, statt des Invaliden-Hotels. Der Marschall, den sie morgen begraben, mag wohl undankbar gegen den Kaiser gewesen sein, aber er hatte doch ein Herz für die alten Soldaten behalten. Darum lasse ich ihn nicht schmähen in meiner Gegenwart.«

Der Oberst hatte fragend auf General Roguet gesehen; dieser nickte. »Er steht an der Concordienbrücke und ist dem Prinzen wohlbekannt, er will ihn in diesem Augenblick sprechen, und wir dürfen ihn nicht warten lassen.«

»Wo wohnst Du, Kamerad?«

»In der Rue des Catacombes, am Boulevard St. Jacques. Ich bin nicht so arm, Colonel, denn ich habe mein eigen Häuschen, klein und schlecht genug, aber es ist doch mein Eigentum, und ich danke es meiner Frau selig!«

»Wir werden uns wiedersehen, hier meine Hand darauf, ich werde Dich aufsuchen, da oder dort! Und nun, Kamerad, einstweilen Adieu, denn ich sehe, daß General Roguet ungeduldig wird!«

Der Invalide salutierte. »Leben Sie wohl, mein Oberst!«

Dann folgte er dem Adjutanten.

Dieser führte ihn ins Kabinett des Präsidenten, der eifrig über einem Plan von Paris beschäftigt war.

»Hier ist der Mann, Hoheit!«

»Ah, Papa Touron! Lassen Sie uns allein, Roguet! und was Sie auch hören oder sehen mögen, keinen Widerspruch!«

Der General trat ab.

»Was machst Du, mein Alter?« sagte der Prinz freundlich, »wir haben uns lange nicht gesehen!«

»Euer Majestät nehmen, seit Sie im Elysee wohnen, nicht den früheren Weg,« meinte der alte Soldat, »aber es thut nichts, ich weiß schon die Gelegenheit zu finden. Sie zu sehen, und habe heute wahrlich auf dem Quai nicht gefehlt, und das Herz hat dem alten Pierre im Leibe gelacht, daß Sie endlich mit den Schwätzern Kehraus gemacht und gezeigt haben, daß ein Bonaparte nicht mit sich spaßen läßt. Bomben und Kartätschen, Sire, ich habe wacker mitgeschrieen mit Ihren Regimentern: Vive Napoléon!«

»Ich danke Dir, Alter! es thut mir leid, daß nicht alle Glieder Deiner Familie so denken!«

Der alte Invalide blickte finster zu Boden. »Sie meinen den Hektor, Sire! es ist mir Kummer und Schmerz genug! Es war bisher mein Stolz, Sire, aber daß er seinen Dienst verlassen, das ist mein Ende! Gott weiß es, ich habe ihn, wie den Jacques, seinen Bruder, von Jugend auf in den Erinnerungen der Glorie und in Liebe für den Namen Bonaparte erzogen, und ich weiß, im Innern seines Herzens ist er ein so guter Bonapartist wie nur einer. Aber sie haben ihn drüben in Afrika verdorben, und er redet wie ein Advokat von der Konstitution, und daß er dieser geschworen habe und seinen Eid halten müsse. Als ob der Kaiser nicht über alle Konstitutionen zu befehlen hätte!«

»Ich bedauere, daß Kapitän Fromentin anders denkt. Er war ein braver Offizier, und ich hatte es gut vor mit ihm, wenn er sich mir angeschlossen hätte!«

Der Alte zuckte die Achseln. »Er hat den eisernen Kopf seiner Mutter und ist nicht davon abzubringen, wenn er etwas für Recht hält! Aber wissen Sie, Sire, nehmen Sie meinen zweiten! für den Tollkopf stehe ich; er fragt den Henker nach Madame Konstitution, und überdies sind Sie, wenn er jetzt in die Armee tritt, der Kaiser.«

»Noch nicht, Alter, noch nicht! vielleicht sollst Du helfen dazu. Du hast vor drei Jahren Deine Sache mit Deinen Kollegen, den Orgeldrehern, so vortrefflich arrangiert, daß ich mich wieder an Dich wende. Höre mich genau und aufmerksam an.«

»Ich höre, Sire!«

»Wenn Du es denn nicht anders thust, meinetwegen, aber nimm Dich in acht, es vor unnützen Ohren zu sagen! Du wohnst in der Gegend der Steinbrüche?«

»An der Barriere d'Enfer, Sire, am Ausgang der Katakomben, seit fünfunddreißig Jahren. Aber die Steinbrüche dort werden nicht mehr bebaut, Sire, man hat sich nach Ivre und Grenelle gewandt!«

»Dann wirst Du doch die Gesellschaft, die in ihnen haust, kennen?«

»Gott sei's geklagt, Hoheit, es ist der Abschaum von Paris, Mörder und Räuber, die für fünf Franken ein Menschenleben abschlachten würden, wie ein Huhn. Leider ist auch mancher ehrliche Bursche darunter, den das Gesetz aus der bürgerlichen Gesellschaft vertrieben, und der ein besseres Schicksal verdient hätte!«

»Ich weiß davon, selbst die Polizei wagt sich nicht in diese Höhlen. Hast Du von einem gewissen Tête-Renard gehört?«

»Sapristi, Sire, wer sollte den Tête-Renard nicht kennen, wenn man an den südlichen Barrieren wohnt! Es ist der schlimmste Schurke in allen zwölf Arrondissements und der Banlieu, ein Kerl, den der Hauch eines Mannes umblasen könnte und doch der unbeschränkte Herr der wilden Totschläger aus den ganzen Brüchen.«

»So kennst Du ihn und weißt, wo er zu treffen ist?«

»Ich nicht, Sire, ich hab' ihn ein einzig Mal gesehen! aber …«

Er unterbrach sich selbst.

»Was wolltest Du sagen, sprich, ich befehle es Dir! Die Sache ist wichtiger, als Du denkst!«

»Ich wollte sagen, daß mein Nachbar Samson, der Fossoyeur, ihn leider kennen und mit ihm verkehren soll. Der unheimliche Narr geht mit schlimmen Gesellen um; wäre das arme Ding, seine Tochter nicht, ich redete längst kein Wort mehr mit ihm, obschon ich sein Gevatter bin!«

»Samson? war das nicht der Mensch, den ich damals bei Dir an dem Pont de la Concorde sah und der Veron so erschreckte?«

»Ganz recht, Hoheit, er ist ein Wächter aus den Katakomben, aber da drunten halbverrückt geworden. Wer so immer mit den Toten umgeht, der kriegt seine Schrullen, es ist nicht zu verwundern!«

»Also Samson, der Katakombenaufseher, weiß den Tête-Renard zu finden?«

»Ich fürchte es; er soll oft nach den Steinbrüchen gehen!«

»Wohlan! Du sollst mich zu Deinem Nachbar führen, er muß mir eine Unterredung mit Tête-Renard verschaffen, noch diesen Abend!«

Der alte Invalide blickte ihn mit unverhohlenem Entsetzen an.

»Sapristi, Sire, Sie denken doch wohl nicht im Ernst daran, nach den Steinbrüchen zu gehen?«

»Wenn es sein muß, allerdings.«

»Es kann Ihr Ernst nicht sein, Hoheit! Was hat der künftige Kaiser von Frankreich mit einem Burschen, wie der Fossoyeur oder gar mit dem Anführer der Räuber und Mörder zu schaffen?«

Der Präsident legte die Hand auf die Schulter des Invaliden. »Die Stunden sind kostbar, mein Freund,« sagte er, »und ich kann mit Dir nicht über Notwendigkeiten der Politik streiten, die Du nicht verstehst. Genug, es ist nötig! Als alter Soldat wirst Du wissen, daß der Feldherr in manchen Fällen gegen den Feind Mittel anwenden muß, die er sonst im offenen Sonnenlicht verschmähen würde.«

»Ich verstehe, Hoheit, die Spione und die Hinterhalte.«

»Also, willst Du mir helfen und mich begleiten?«

»Soll ich nicht lieber den Fossoyeur hierher bringen, vielleicht bewegt er den Tête-Renard, sich in die Ringmauern der Stadt zu wagen, obschon es schwer genug halten wird. Sie dürfen Ihr kostbares Leben keiner solchen Gefahr aussetzen, Sire, sich in einen der Schlupfwinkel des Gesindels zu wagen!«

»Wenn Du darauf bestehst, mich Hoheit oder gar Sire zu nennen, möchte die Sache allerdings ziemlich gefährlich sein, indes warte einen Augenblick, und ich werde Dir beweisen, daß dem nicht so ist.«

Der Prinz öffnete eine Thür, die links vom Kamin in ein Ankleidezimmer führte, und verschwand.

Es mochten etwa zehn oder zwölf Minuten verflossen sein, als durch dieselbe Thür ein Mann in der Kleidung eines jener armen Savoyarden trat, deren jährlich Hunderte nach Paris kommen, um mit Wassertragen, Bestellungen und den niedersten und schwersten Diensten ihren Unterhalt zu gewinnen. Der Mann, dessen eine Schulter einen starken Höcker hatte, trug eine schmutzige blaue Blouse und abgescheuerte olivengrüne Manchester Beinkleider. Er hatte eine sehr braune Gesichtsfarbe, einen starken schwarzen Bart um Wangen und Kinn, einen alten breitkrempigen Hut und im Munde eine zerbrochene thönerne Pfeife.

Erst als er diese aus den Zähnen nahm und lachend im Patois der Auvergne zu dem Invaliden sagte: »Was meinst Du, Kamerad, wird es so noch Gefahr haben?« erkannte dieser in der geschickten Verkleidung den Prinzen wieder.

»Ich will mit einer Bombe in die Luft fliegen. Hoheit,« sagte er, »wenn ich nicht gedacht habe, irgend ein Spitzbube von Savoyarden habe sich eingeschlichen. Wenn Euer Hoheit in diesem Kostüm darauf bestehen, dann ließe sich das Ding vielleicht machen.«

»Nochmals, bei meiner Ungnade, laß das Hoheit weg und nenne mich einfach Louis oder wie Du sonst willst, bist Du bereit?«

»Ich stehe Euer – ich stehe Ihnen zu Befehl!«

»Dann nimm das!« Er reichte dem Invaliden einen kurzen sechsläufigen Revolver und steckte ein gleiches Paar unter seine Blouse in den Gürtel. »Rufe General Roguet, der Dich hier eingeführt hat. Er ist im Vorzimmer.«

Der Invalide that, wie ihm geheißen; auch der General erkannte den Prinzen nicht und sah verwundert und argwöhnisch auf die fremde Erscheinung, bis dieser lachend das Schweigen brach.

»Ich sehe, daß die Maske gut ist! Aber kein Erstaunen, Roguet, und vor allem keinen Einwurf; ich habe es Ihnen im voraus gesagt. Ich habe einen Auftrag für Sie!«

»Befehlen Euer Hoheit, aber lassen Sie mich wenigstens …«

»Still! ich habe die Begleitung, die ich brauche. Tretet etwas zurück, Sergeantmajor!«

Der Invalide trat außer Hörweite. »Jetzt hören Sie mich an, General,« sprach der Prinz leise, »und thun Sie genau, was ich sage, es hängt vielleicht mein Leben davon ab. Es ist jetzt halb neun Uhr. Seien Sie in einer Stunde in Begleitung eines handfesten entschlossenen Mannes, beide gut bewaffnet, aber in Civil, vor dem Place St. Jacques. Bringen Sie unter Ihren Mänteln verborgen drei Säcke Gold und Fünffrankenthaler, jeden mit viertausend Franks mit. Dort warten Sie, bis ein Mann oder ein Weib, gleichviel wer, Sie anredet und fragt, wieviel Uhr es auf Notre-Dame und ob das Geld bereit ist? Dem Frager antworten Sie: Das Geld ist hier, bringt meinen Boten! Erst, wenn Sie mich wohlbehalten vor sich sehen, übergeben Sie den Personen, die es verlangen werden, das Geld. Bei dem geringsten Versuch, es Ihnen ohne mein Erscheinen abzunehmen, verwunden Sie den einen oder den andern und verhaften ihn. Er wird Ihnen Auskunft geben, wo Sie mich zu suchen haben, tot oder lebend!«

Der General versuchte noch einmal Einsprache zu thun, aber der Prinz befahl ihm mit einer energischen Gebärde Schweigen. »Jetzt, Roguet, gehen Sie durch jenen Gang voran, und geleiten Sie uns unbehindert durch die Wachen bis zu dem Ausgang nach den Elysäischen Feldern.«

Der Prinz öffnete selbst die Thür, durch die er in der Nacht vorher den Chef seiner geheimen korsischen Garde hatte eintreten lassen und winkte dem Invaliden, ihm zu folgen. Rouget ging voran.


In einer Seitenstraße der Rue des Catacombes unweit der Eisenbahn nach Sceaux am Mont Souris stand das kleine Haus, das der Invalide Fromentin mit seinem jüngern Sohn und einer alten Frau bewohnte, die seine Wirtschaft führte. Das Zimmer, das Kapitän Fromentin während seiner Anwesenheit in Paris im Sommer Achtundvierzig inne gehabt hatte wie das kleine Laboratorium daneben, das damals die Naseweisheit seines jüngern Bruders und dessen Kumpans beinahe in Brand gesteckt hätte, war noch immer in demselben Zustand und wurde von dem alten Invaliden mit um so größerer Sorgfalt in Ordnung gehalten, seit der heimliche, dem Inhaber des Zimmers unbekannt gebliebene Besuch des Präsidenten Napoleon es dem Alten zu einer Art von Heiligtum gemacht hatte.

Daß damals mehrere Papiere und Zeichnungen des jungen Artilleristen, seine Erfindung betreffend, verschwunden waren, wurde eben der Explosion und dem entstandenen Brande zugeschrieben.

In der Küche des kleinen Hauses, die zugleich als Wohnstube diente, saß an dem Herd der hoffnungsvolle jüngere Sprößling des alten Invaliden, der Taugenichts Jacques, wiederum nicht allein, sondern mit seinem Busenfreund Armand, dem Sohn des wohlhabenden Druckerei-Besitzers, in dessen Offizin er als Lehrling fungiert hatte. Beide waren jetzt stattlich aufgeschossene Burschen von sechzehn bis siebzehn Jahren, und obschon Meister Jacques der Setzkasten des Typographen noch weit weniger gefallen, als früher die Maschinenwerkstätte, in der er hinter der Drehbank stehen sollte, und obschon er deshalb, sobald sein strenger Bruder nach Italien abgegangen war, auch das edle Gewerbe des Buchdruckes im Stich gelassen hatte, war die vertrauliche Freundschaft mit dem Sohn des reichen Bürgers und Besitzers doch unverändert dieselbe geblieben, und die beiden Burschen steckten zusammen, wo sie irgend konnten. Zeit genug dazu hatte der Gamin, der noch immer die Beine unter seines Vaters Tisch streckte und gerade nur so viel bald hier bald da arbeitete, wie ihm gerade gefiel, bis er im Laufe des nächsten Jahres als Soldat eintreten konnte, während sein Gefährte allerdings fleißigeren Studien im Lyceum obliegen mußte, die ihn nach dem Willen seines Vaters zur Universität vorbereiten sollten.

Die beiden Burschen saßen plaudernd am Feuer, jeder eine der dem Vater Armands gemausten Cigarren im Munde, indes die alte Frau in einer Ecke schlief.

»Ich sage Dir, Armand, es ist was in der Luft. Der Hektor hat keinen Fuß aus der Thür gesetzt, seit er gestern Morgen noch in der Dunkelheit ohne Hut und Mantel nach Hause gekommen ist, als säßen ihm ein Dutzend Stadtsergeanten auf dem Nacken, wie sie wohl hinter uns drein sind, wenn wir einmal vor der Oper die Frauenzimmer aneinander genäht haben oder in den Hallen einen unschuldigen Kanonenschlag loslassen. Zweimal habe ich gestern Briefe zu dem preußischen Offizier tragen müssen, heute Morgen ist er selber gekommen, und ich weiß sicher, daß mein Bruder heute seine Pistolen geputzt hat und frische Kugeln gegossen. Als ich hinein kam, sah ich's ganz deutlich, obschon er's zu vertuschen suchte.

»Na –« meinte der junge Sprößling des Buchhändlers, »sie werden sich vielleicht auf den Barrikaden schlagen. Dein Bruder gehört zu den Burggrafen, wie Du sagst, und ich wette mein nächstes Taschengeld gegen eine taube Nuß, daß ich den Mann, der vorhin hinaufging, heute Mittag in der Straße Rambüteau auf der Barrikade gesehen habe.«

»Pscht! Keine Silbe davon, Armand. Papa Touron risse mir die Ohren ab, wenn durch mich herauskäme, daß der Bruder der Fleur de Mort in Paris ist. Nicht einmal der alte Kerl, sein Vater, darf's wissen; ich glaube, der alte Geizhals zeigte ihn selber an, wenn er damit eine hübsche Belohnung zu gewinnen wüßte, Hektor und der Alte haben von jeher viel auf den jungen Samson gehalten, obschon er ein Roter ist.«

»Der Präsident ist viel zu höflich mit der Montagne. Wenn ich heute die Truppen kommandiert hätte, Du hättest sehen sollen, wie ich mit ihnen rumgesprungen wäre!«

Der Gamin warf ihm einen verächtlichen Seitenblick zu und blies ein dicke Rauchwolke von sich. »Die Soldaten kommandieren? Laß Dich nicht auslachen, Armand, und stelle Deine Bücher in Reih' und Glied. Wenn Männer wie ich noch davon redeten! Du aber wirst ja ein Tintenklexer und Federfuchser! Dein Vater wird für Dich einen Stellvertreter kaufen, während ich mich in Afrika schlage oder den Kaiser von Rußland aus Berlin verjage! Ostern übers Jahr tret' ich ein bei den Zuaven, das versteht sich, parbleu!«

»Ich werde so gut wie Du Soldat werden – ich gehe gleichfalls zu den Zuaven!«

»Dein Vater erlaubt es nicht, er ist nicht wie Papa Touron, der mich lieber heute als morgen in der roten Hose sehen möchte! Man wird Dich einsperren, wenn Du darauf bestehst!«

»Ich laufe davon! ich springe aus dem Fenster!«

» Sacré! Sieh' mich an! Es ist ein Malheur, einen Fabrikanten zum Vater zu haben! Wenn er Dich gesehen hätte, als wir heute die Barrikade bauen halfen …«

»Schlingel, also deshalb bist Du den ganzen Tag nicht nach Hause gekommen? Schäme Dich, Jacques! der Sohn eines Sergeantmajors von der Artillerie und baut Barrikaden gegen die Truppen des Kaisers!«

Der alte Invalide, der unbemerkt in die Küche und hinter seinen Sohn getreten war, hielt dessen Ohr in seinen Fingern, wie in einem Schraubstock.

»Au, Papa Touron, mein Ohr, ich bitte Dich, laß los, und ich will Dir's erklären!«

»Was ist da zu erklären, Du ungeratene Range? Du wirst Deinen Vater noch ins Grab bringen. Ein Soldat willst Du werden und hilfst Barrikaden bauen!«

Der Gamin rieb sich die Ohren. »Zum Henker,« sagte er halb lachend, halb ärgerlich über die Züchtigung, »wenn wir es nicht gethan hätten, wer sollte es dann thun? wir haben aus Liebe zu Soulouque geholfen!«

»Schurke, wirst Du schweigen?«

Der Schlingel steckte die Hände in die Tasche, er wußte, daß er Oberwasser hatte, sobald er nur zu Worte gekommen. » Sapristi! wie sollte der kleine Soulouque denn Kaiser werden, wenn es keine Barrikaden giebt? Diese faulen Pékins hätten sicher nicht den Herrn Ratapoils den Gefallen gethan, schon aus purer Schikane! ich sage Dir, Papa Touron, Herr Armand und ich verdienen eine Belohnung, statt daß Du mir die Ohren abreißest! Die Herren Jäger von Vincennes und die Lanzenreiter hätten sich zuletzt selber aus Langeweile aufgespeist, und Soulouque hätte seine Frankenthaler umsonst fortgeworfen, wenn wir ihnen nicht eine kleine Beschäftigung bereitet hätten!«

Der alte Gardist hatte sich vergeblich bemüht, durch Zeichen seinem ungeratenen Sohne Schweigen zu gebieten, denn er fürchtete, daß sein Begleiter die Spitznamen des Volkes übel vermerken werde; aber Meister Jacques ließ sich nicht einschüchtern.

»Na, Alter, Du siehst, wie Unrecht Du mir gethan hast,« fuhr er fort, »aber ich bin kein Trotzkopf, wie der Hektor und lasse mit mir reden. Wenn Du eine Flasche in der goldenen Kanone zum Besten geben willst, so wollen wir auf den Sieg der Ratapoils tanzen, und darauf, daß Dein Kleiner bald Kaiser wird! Ich engagiere Mutt Tirebouchon zum Cancan an dem Tag, wo Loulou in Notredame sich die Kaiserkrone auf die Perücke setzt.«

»Wirst Du Dein ungewaschenes Maul halten, Du Satansbrut!« schrie der Alte seinen Stock erhebend, »siehst Du nicht, daß andere Personen zugegen sind?«

Jetzt erst bemerkten die beiden Burschen die Anwesenheit des Savoyarden, der ruhig im Schatten des Hintergrundes zurückgeblieben war.

»Bah, Vater Touron, der Mann da ist einer von unsern Leuten nach seiner Kleidung, ein Bursch, der, wie wir, von der Hand in den Mund lebt. Unter uns braucht man sich nicht zu genieren, und der Teufel sollte den holen, der dem Jacques Fromentin nachzusagen wagte, er wäre kein guter Bonapartist!«

»Ich habe einen Auftrag für Dich!«

»Schön, Papa Touron! Potz tausend. Du hast ja heute Deine Staatsuniform an und siehst so stattlich aus, als wolltest Du einen Antrag machen, um mir noch eine Stiefmutter zu geben! Was soll's? Soll ich in der goldenen Kanone das Hochzeitsessen bestellen, oder Deine Gratulation ins Elysee bringen? Pristi! ich hoffe. Du hast die Kavallerie über die Boulevards ziehen sehen, es war ein famoser Anblick!«

»Du sollst zu Samson gehen und sehen, ob er zu Hause ist!«

»Zum Fossoyeur? den Henker, ich mag ihn noch weniger ausstehen, den alten boshaften Schuft, seit er damals die Frauenleiche uns in den Weg gestellt hatte! Hat der gute Freund da hinten vielleicht einen Handel in Knochen mit ihm zu machen?«

»Was er soll, geht Dich nichts an, vorlauter Bube! Genug, Du springst hinüber und siehst, wo Du ihn findest. Ist er zu treffen, so bittest Du ihn, hierher zu kommen!«

»Hierher zu uns, Papa Touron? Er hat ja seit drei Jahren keinen Fuß über unsere Schwelle setzen dürfen auf Deinen eigenen Befehl!«

»Jetzt will ich ihn haben, verstehst Du mich! Schaff' ihn hierher mit Güte oder Gewalt, ich muß ihn sprechen, aber schnell!«

»Na, na, uns beißt ja nichts, Papa Touron! ich gehe schon. Der alte Bursche wird hoffentlich zu Hause sein und nicht beim Knochenstehlen. Heute haben die Ratapotls für die Anatomie gesorgt! Komm, Armand!«

»Herr Armand wird hier bleiben; er sollte sich überhaupt schämen, daß er mit einem Burschen, wie Du bist, solche Dinge treibt. Ich werde zu seinem Vater gehen!«

Der Gamin zündete sich unter seinen Vorbereitungen zum Abmarsch eine neue Cigarre an, während sein würdiger Kumpan bequem die Füße über das Feuer streckte, ohne sich um die Ermahnungen des alten Leiermannes zu kümmern.

»Thu's nicht, Papa Touron!« meinte unterdes das Söhnchen, »Musje Armand würde nur desto eher davon laufen, denn er hat's geschworen trotz der kleinen Lilly, seiner Geliebten, wenn ihn der Alte nicht unter die Zuaven gehen läßt. Nun vorwärts, Armand, komm!«

Aber der junge Patrizier machte keine Miene aufzustehen. » Parbleu! Jacques! ich habe mir das Ding überlegt, ich werde hier bleiben, der Fossoyeur ist mir zuwider, wie eine Kröte!«

»Meinetwegen! Adieu, Papa Touron, gleich bin ich wieder da!«

Er schlenderte nach der Thür, der Alte folgte ihm.

»Wo ist Hektor?« fragte er leise.

»In seiner Stube; ich meine, 's ist was los!«

»Und Renaud?«

»Er ist zurückgekommen und bei ihm. Er hat einen Säbelhieb in der Wange!«

»Ich dachte mir's! Jetzt fort und spute Dich!«

Der Bursche sprang in die Nacht hinaus, der Invalide kehrte in die Küche zurück. Er weckte die alte Frau und machte ihr mehr durch Zeichen, als durch Worte, denn sie war sehr taub, begreiflich, daß sie das Feuer anfrischen und Kaffee ansetzen solle; dann bat er seinen Begleiter, dem er einen Stuhl in den Schatten gesetzt, ihn einige Augenblicke zu entschuldigen und verschwand durch eine Thür im Hintergrund, hinter der einige Stufen emporführten.

Das Häuschen des alten Invaliden war sehr einfach; die Küche, als der Schauplatz der Thätigkeit und des Erwerbs der verstorbenen Frau Fromentin, nahm den größten Teil ein. Rechts befand sich eine kleine Kammer, die zum Nachtlager der alten Wirtschafterin diente; links ein Stübchen mit ähnlicher Kammer für den Invaliden und seinen Jüngsten, in einem Anbau aber nach dem Gärtchen hinaus, zu dem jene Thür mit den Stufen führte, lag das größere Zimmer des Artillerie-Offiziers mit dem anstoßenden Laboratorium.

In der ersteren saßen an einem Tisch zwei Männer zusammen, der entlassene Offizier und ein rüstiger noch junger Mann mit starkem roten Bart in der Blouse, Renaud, der Sohn des Fossoyeurs und algierische Kolonist. Er trug ein schwarzes Pflaster über der linken Wange, denn er hatte allerdings am Nachmittag im Handgemenge mit den Soldaten einen leichten Hieb empfangen, indes entstellten die Spuren desselben weder sein kräftiges, männlich offenes Gesicht, noch schienen sie im geringsten seine Energie gelähmt zu haben.

Vor den beiden lagen ein paar sorgfältig geputzte Pistolen mit den nötigen Ladewerkzeugen auf dem Tisch, und die Uhr.

Der Kapitän sah auf dieselbe. »Es ist 9 Uhr und noch keine Antwort da!«

» Sacre Dieu! warum hast Du mich auch abgehalten, direkt in sein Haus zu gehen, den Schurken aufzusuchen, und ihm den Hals umzudrehen! Glaubst Du denn wirklich, Hektor, der schäbige Börsenjobber werde nicht lieber die Ohrfeigen einstecken, statt sich Dir mit der Pistole in der Hand gegenüber zu stellen?«

»Er dürfte sich nie mehr in der Pariser Gesellschaft sehen lassen, wenn er es nicht thäte. Das ist das einzig Gute noch in dieser verdorbenen, käuflichen und jeder Nichtswürdigkeit zugänglichen Gesellschaft, daß der Feigling von ihr ausgestoßen ist, und mindestens der äußerliche Schein der Ehre von ihr aufrecht erhalten wird.«

»Ich muß Dir gestehen,« sagte der Arbeiter, »ich habe andere Ansichten über diese gewonnen, wie Du als Soldat hegen magst, aber wir wollen nicht streiten über das Recht des Duells. Auch über die Politik denke ich anders; die Einsamkeit der Wüste, der Kampf um das bloße Leben ist ein guter Lehrmeister. Ich sage Dir, Hektor, es ist ein Unsinn um die Lehren der Sozialen! Der Löwe fragt den Henker nach Kommunismus, wenn er das Gebrüll seiner Herrschaft durch die Felsen erschallen läßt, und das geringere Tier geht ihm aus dem Wege und erkennt seine Gewalt, bis wiederum der Stärkere, der Mensch, über ihn kommt. Dem Starken gehört die Herrschaft und die Macht, nicht den Schwachen, die er beschützen soll! Die Ernte, die ich unter dem Schweiß meiner Glieder, unten hundert Mühen und Gefahren dem Boden abgewonnen, sie ist mein wohlerworbenes Eigentum, und ich würde mich hüten, dem wegediebenden Schwätzer, der auf der Büffelhaut liegt, während ich arbeite, dasselbe Anrecht daran zuzugestehen.«

Der Kapitän lächelte. »Ich habe Dich immer vor den hohlen Theorieen Deiner Herren Cabet, Blanqui und Ledru Rollin in den Klubs gewarnt und vorausgesagt, daß Algerien Dich zum vernünftigen Mann machen würde. Aber warum bist Du denn eigentlich in diesen heillosen Wirrwarr des Parteikampfes zurückgekehrt?«

»Auf Arbeiterehre! ich hatte Sehnsucht, Frankreich einmal wiederzusehen und meine unglückliche Schwester, das ehrliche Gesicht Deines Vaters und – der Teufel soll mich holen – auch den alten Satan den meinen, trotz der Schmach, die er mir am Tage der Abfahrt am Seineufer angethan. Darum nahm ich das Anerbieten des tollen Lords an, der in meinem Blockhaus seine Wunde heilte. Ein Löwe hatte sie ihm gerissen, den ich auf ihm niederschoß. Ich wollte die Schwester mit mir nehmen und will es noch. In den Felsenthälern des Djebel-Aures unter dem glühenden Himmel der afrikanischen Sonne lebt sich's freier und einsamer, als in Paris, und niemand wird sie dort wegen ihrer Wunderlichkeiten verspotten, und mein braves Weib wird ihr eine Schwester sein. Nach Deiner Mitteilung ist ja freilich vieles anders, als ich's gedacht und gehofft!«

Er sah finster vor sich nieder.

»Wenn Du nur in solcher Absicht nach Paris gekommen bist, warum schlugst Du Dich diesen Nachmittag?«

» Pardieu! es ist nicht meine Sache, alte Freunde im Stich zu lassen. Ich würde es jeden Tag thun, bloß, um nicht aus der Übung zu kommen, bis ich Paris im Rücken habe. Nimmst Du nicht etwa gleichen Teil an den Herren Cavaignac und Lamoricière und hast Dir die Kugel eines der verdammten Polizisten durch die Haare streifen lassen, als Du bei Deinem alten General aus dem Fenster sprangst, um der Verhaftung zu entgehen?«

»Du weißt, daß ich eine andere Pflicht zu erfüllen hatte, Renaud, sonst hätte ich keinen Augenblick angestanden, das Schicksal solcher Männer zu teilen!«

»Das wäre thöricht genug gewesen,« sagte der Kolonist. »Du kennst das Sprichwort, von den Großen und den Kleinen. Aber ich danke Dir, Freund, daß Du selbst in diesem Augenblick an die Unglückliche gedacht. Der Schurke soll es büßen, und sollte ich ihn mitten unter seinen Geldsäcken mit meinen Händen erwürgen! Glaubst Du es wirklich?«

Der andere nickte.

»Das arme Kind! Was es gelitten haben muß! keinen Freund, keine helfende Seele in ihrer grausigen Einsamkeit! Aber was glaubst Du, daß damit geschehen?«

»Gott allein weiß es! Ich wagte sie nicht zu fragen. Du weißt, daß sie noch immer in der irren Idee lebt, in jener scheußlichen Höhle des Lasters an meiner Seite gewesen zu sein.«

Der Arbeiter ballte knirschend die Hände. »Das Ungeheuer! er soll es büßen, bei dem Leben meines eigenen Kindes! … Aber dann fort von Paris, ich nehme sie mit mir, und Du, Hektor, komm mit uns! In der Einsamkeit wird auch Dein braves Herz gesunden!«

Er bot ihm die Hand über den Tisch hin, der Offizier schlug ein. »Wer weiß was geschieht!«

Ein Klopfen an der Thür unterbrach ihn. »Da sind sie!« Aber es war nur der alte Invalide, sein Vater, der den Kopf herein steckte; der Offizier warf rasch sein Taschentuch über die Pistolen, aber die Läufe sahen darunter hervor, und das Luchsauge des Alten bemerkte sie recht gut, als er näher trat.

»Es sind Fremde in der Küche, ich wollte Euch nur warnen, vorsichtig zu sein,« sagte er ernst. »Aber was soll das?« er wies auf die Pistolen. »Der da mag thun, was er will, und er hat das Übelste schon gethan, wie ich sehe. Aber ich will nicht hoffen, daß der Sohn eines Mannes, dem der große Kaiser selbst das Kreuz gegeben, gegen französische Soldaten ficht?«

»Sei ruhig, Vater, sorge nicht! Dein Sohn kann Unrecht dulden, aber nicht thun!«

»Was sollen denn die Puffer da?«

»Du warst Soldat, Vater, und weißt, daß es Pflichten der Ehre giebt!«

Der alte Mann sah ihn traurig an, auf seinen verwitterten Zügen kämpfte der starre Soldatengeist mit der Sorge und der Liebe des Vaters.

»Du warst mein Stolz, Hektor, mein bester, bis vor wenig Tagen. Ich weiß, daß Du nichts Unwürdiges thun wirst, obschon ich Dich lieber in anderer Gesellschaft sehe! Wann soll es sein?«

»Noch diesen Abend!«

»Und es muß sein?«

»Es muß!«

»Dann lebe wohl, und Gott sei mit Dir! Umarme Deinen alten Vater, Hektor, mein Sohn!«

»Wie, Vater, Du willst fort – jetzt?«

»Auch ich habe meinte Pflicht und sage: es muß sein! Lebe wohl, mein Sohn, und Gott schütze Dich!«

Den tapferen stattlichen Offizier, der so oft dem Tode in ganz anderen Gefahren ins Auge geschaut, überkam es auf einmal mit ahnungsvollem Schmerz.

Er hatte das Haupt an die Brust des alten Mannes gelegt, der mit seinem einen Arm ihn umschlungen hielt. Eine Thräne fiel auf das dunkle Haar des Sohnes.

Der Offizier fuhr plötzlich empor, denn seine Hand hatte unter dem Rock des Invaliden den Revolver gefühlt

»Waffen, Vater? was willst Du damit?«

»Auch ich habe meine Ehrenpflicht, so gut wie Du! Keine Thorheit, Hektor! es ist ein anderer Gang, den ich thue, als der Deine, aber ein alter Soldat liebt es, auf alle Fälle eine Waffe zur Hand zu haben. Und nun leb' wohl! ich habe einen Gast unten, den ich nicht warten lassen darf.«

Gleich als schäme er sich der Schwäche von vorhin, drängte der Invalide seinen Sohn zurück und verließ, mit einem Nicken des greisen Hauptes den Kolonisten grüßend, das Zimmer. Unter der Thür warf er einen letzten, kurzen, festen Blick zurück auf den Sohn.

Als der Veteran wieder in die Küche trat, fand er zu seinem Schrecken, daß sein Begleiter es vorgezogen, den Stuhl an der entfernteren Wand zu verlassen und sich zu dem jungen Burschen ans Feuer zu setzen, mit dem er gemütlich plauderte.

Die frische übermütige Laune des jungen Mannes schien dem Prinzen zu gefallen; er hatte ihn ins Schwatzen gebracht und ließ sich, hin und wieder ein zu seiner Rolle geeignetes Wort der Teilnahme und Ermunterung einschiebend, von seiner Lust zum Soldatenstand und seinen Fluchtplänen aus der väterlichen Gewalt erzählen.

Der Invalide wollte eben um jede Unvorsichtigkeit zu verhindern dazwischen treten, als sich draußen die schreiende Stimme des Fossoyeurs hören ließ.

»Leiermann, halloh! Dein Gevatter, der Knochenmann ist da! 's ist wahrlich Zeit, daß Du endlich geschickt hast, altes Gerippe, sollst einen Platz haben, so trocken und behaglich, als wärst Du die große Pompadour!«

»Da ist der Schurke, wie er leibt und lebt!« sagte der Invalide zu dem Prinzen. »Jetzt, junger Herr, machen Sie sich ein wenig auf die Beine und trollen sich zu Ihrem Kameraden, wir haben hier zu reden, was Sie nicht zu hören brauchen!«

Die Thür der Küche öffnete sich, mit dem Regen und Wind, der herein fuhr, schoß die seltsame Gestalt des Fossoyeurs in das behagliche Gemach.

»Guten Abend, guten Abend, Moder und Würmerfraß!« schrie der Katakombenwächter, indem er zum Gruß die schmutzige Pelzmütze schwenkte, daß die Feuchtigkeit weit umher spritzte. 's ist ein Glück, daß mich das linke Bein gejuckt, sonst hätte das kleine Pulverfutter mich sicher nicht getroffen, 's ist allemal der Fall, wenn es Schädel giebt! Wie ist's mit Deinem, Gevatter? Bist Du müde, ihn auf den Schultern zu tragen? Der Samson ist der Mann dazu wie sein Vater!«

»Schweig, Tollhäusler!«

Der Fossoyeur war zu dem Kamin getreten, streckte die weit aus den Ärmeln des schlotternden Rocks hervorragenden behaarten Hände über das Feuer, sie zu wärmen, und drehte und wandte den kleinen Kopf mit dem runzligen Gesicht auf dem Schlangenhals in wahrhaft unheimlicher Weise, mit den scharfen Augen schier alle Winkel der Küche durchforschend.

»'s ist behaglich hier, 's ist behaglich hier! schön warm, ganz anders als bei den lieben Knochengerippen da unten. Der Fossoyeur ist lange nicht hier gewesen! Glaub' Dir's gern, Gevatter, daß es Dir schwer wird, das warme Häuschen mit dem kalten zu vertauschen. Aber hilft nichts, hilft nichts! müssen alle dran, und es riecht verteufelt nach frischen Leichen hier!«

Der Invalide hatte die beiden Burschen ohne weiteres aus dem Hause getrieben; denn er fürchtete, wenn er zu der Unterredung die schlecht verwahrte Kammer benutzen würde, daß sie horchen würden. Um die taube Alte kümmerte er sich nicht.

»Kannst Du nicht einen Augenblick ruhig und verständig sein, Samson? Dieser – dieser Mann wünscht Deinen Beistand in einer Angelegenheit in Anspruch zu nehmen!«

Der Fossoyeur streckte und dehnte den Hals gegen den verkleideten Savoyarden, der in den Schatten zurückgetreten war und ihn seit seinem Eintritt mit einem gewissen Interesse beobachtet hatte.

»Hi, hi! ho, ho! wer ist denn der da? riecht nach Leichen, riecht nach Leichen, der Knochenmann irrt sich nicht! Ho! was soll's sein? Hat vielleicht von der Kegelbahn da unten gehört, wo die Kugeln hübsche runde Menschenschädel alle acht um den König werfen, lauter hübsche Weiberknochen und das Hüftbein in der Mitte. Die Mortelle soll's Euch zeigen das Spiel, wenn Ihr ein Trinkgeld gebt!«

Der Savoyarde zog zwei Louisdors aus der Tasche. »Ich bin nur ein armer Kommissionär, der einen Auftrag auszurichten hat. Aber das sollst Du verdienen, wenn Du mir dazu hilfst, Freund!«

»Freund? Der Knochenmann ist der beste Freund, den Ihr haben könnt! Gebt das Gold her, das hübsche liebe blanke Gold! 's ist das einzige, was nicht modert auf der Welt. Was soll's sein? Ho ho? wollt Ihr Knochen kaufen? eine Wagenladung voll!«

»Du sollst mich zum Tête-Renard führen?«

Der Katakombenwächter fuhr bei dem unerwarteten Vorschlag zurück und betrachtete den Fremden noch genauer als vorher.

»Schädel und Gebeine, Kamerad, was kannst Du bei dem Tête-Renard zu thun haben? ich kenne ihn nicht!«

Der Savoyard steckte ruhig sein Geld wieder in die Tasche. »Dann thut mir's leid, daß wir Euch bemüht haben; wir müssen dann wo anders sehen, wer uns hilft, denn sprechen muß ich ihn!«

»Ho ho! nicht so eilig, Kamerad! kommst noch schnell genug dazu, daß Dir der Schädel eingeschlagen wird! Und wenn Samson den Tête-Renard kennt, was hat ein Kerl wie Du mit ihm zu schaffen?«

»Ich denke, das geht Dich nichts an. Ich habe einen Auftrag an ihn.«

Der Fossoyeur schien zu überlegen, er murmelte allerlei Worte und Verwünschungen vor sich hin und schnitt dabei Grimassen und verrenkte die Glieder, daß den beiden Zuschauern ganz unheimlich zu Mute ward; dann schob er wie eine Schlange im Sprung auf den Savoyarden zu und zischelte ihm ins Ohr: »He he! willst Leichen holen, Kamerad? willst das Geschäft verderben? Knochen und Moder, was brauchst Du den Fuchs, der Samson thut's ebenso gut!«

Der Savoyard stieß ihn mit einer Bewegung des Widerwillens zurück. »Ich habe mit Euren Toten nichts zu schaffen, sondern will jenen Mann in einer andern Angelegenheit sprechen. Kurz und gut – wollt Ihr das Geld verdienen oder nicht?«

»Her damit! her damit! 's Gold ist rar unter den armen Leuten! Ho ho! 's ist Dein eigener Schade, wenn die Füchse Dich beißen! hab' Dich gewarnt, hab' Dich gewarnt, meine Sorge ist's nicht!«

Er rieb sich die Hände und schlenkerte die langen Arme wie ein Mühlrad um den Körper.

»Hier sind die zwei Napoleonsdor. Den einen erhältst Du gleich, den andern, wenn Du uns wieder zurückgebracht hast, ich werde ihn hier niederlegen!«

»Ho ho! zurückgebracht! wen denn?«

»Mich und den Sergeantmajor. Er wird uns begleiten. Überdies, sieh her!«

Der Savoyarde kehrte seine sämtlichen Taschen um; außer etwa fünf Franken in kleiner Münze hatte er kein Geld bei sich.

»Das kannst Du gleich Deinen Kameraden erzählen, damit sie nicht denken, an uns eine Beute zu machen; es würde nicht der Mühe und des Bluts lohnen, das vorher fließen würde, denn ich will Dir gleich sagen, Fossoyeur, daß Du mit keinem Neuling zu thun hast, und daß wir bewaffnet sind. Wo ist der Tête-Renard zu finden?«

Der Fossoyeur fuhr bei der Frage aus dem tiefen Nachsinnen auf, in das er seit einigen Momenten versunken war. Er schielte den Savoyarden von der Seite an und knaxte mit den Gelenken seiner ungebührlich langen Finger.

»'s ist weit! 's ist weit! Der Tête-Renard führt den Namen mit Recht und ist ein alter Fuchs, der sich nicht fangen läßt. Hoho! Niemand darf seiner Höhle zu nahe kommen!«

»Zum Henker, es will ihm niemand etwas zu Leide thun. Halte uns nicht unnütz auf, wo können wir ihn treffen?«

Sachte, sachte, Mann! Hast Du jemals die Nase in die Steinbrüche von d'Yssi gesteckt?«

»Dann ist es zu weit, um dahin zu gehen. Laß einen Fiaker holen von dem nächsten Stand, Vater Touron, er soll uns so weit als möglich bringen!«

Der Fossoyeur besah das Goldstück, das er erhalten, von allen Seiten, prüfte es mit den Zähnen und schnellte es unter allerlei Kapriolen mit den Fingern in die Höhe, während der Invalide nach der Thür ging, um seinen jüngsten Sohn nach einem Fiaker zu schicken. Aber es war nicht nötig; denn als er die Thür öffnete, hörte man das Rollen eines Wagens rasch näher kommen, und einer der gewöhnlichen Stadtwagen hielt vor der Thür.

Die beiden jungen Burschen, die sich sehr neugierig auf das, was unterdes im Hause mit dem Katakombenwächter verhandelt sein mochte, in der Nähe der Thür umhergetrieben, waren eilig herbei gesprungen und hatten den Schlag geöffnet.

Ein Herr in Civil, aber von militärischer Haltung, stieg aus; er trug einen kleinen Kasten unter dem Mantel. »Ah richtig! es ist hier! Dies ist doch die Wohnung von Kapitän Fromentin? So, mein Bursche, jetzt weiß ich, daß ich recht bin. Ist Dein Bruder zu Hause?«

» Bon jour, Monsieur Prussien! Der Hektor wartet, glaube ich, auf Sie! Treten Sie näher, Monsieur!«

Der junge preußische Offizier trat über die Schwelle. »Ich muß den Kutscher bezahlen!« Er griff in die Tasche. »Wahrhaftig, ich habe mein Portemonnaie bei Bery liegen lassen, das ist unangenehm! Du mußt so gut sein, mir eine Banknote wechseln, mein Junge!«

Er zog eine seine Brieftafel aus der Tasche und öffnete sie; durch eine hastige Bewegung aber glitt sie ihm aus der Hand und fiel zu Boden.

Eine Menge Bankscheine flatterten heraus und zerstreuten sich auf der Erde.

Die Augen des Fossoyeurs funkelten vor Begierde, als er die kostbaren Papiere sah, und er wollte sich auf die gute Beute werfen, aber der alte Invalide faßte ihn rauh am Arm.

»Still gestanden, Nachbar, bei Pierre Fromentin soll einem Fremden nichts verloren gehen. Nimm die Scheine auf, Jacques, und gieb sie dem Herrn zurück. Sie werden hoffentlich wissen, Monsieur, wie viel Geld es war?«

»Zehntausend Franken! Ich habe es diesen Vormittag bei Rothschild einkassiert und noch keinen der Scheine ausgegeben. Richtig! da sind sie vollzählig. Willst Du mir setzt den Gefallen thun, mein Freund, und diese fünfhundert Franknote beim nächsten Kaufmann wechseln?«

»Das wird schwer angehen, Herr,« sagte der Invalide »hier herum wohnen nicht so reiche Leute. Aber wenn Sie ein Freund meines Sohnes sind, und einmal von seinem Aufenthalt wissen, werde ich den Kutscher bezahlen; Sie können es dem Kapitän wieder erstatten. Überdies möchte ich fragen, ob Sie den Wagen noch weiter brauchen?«

»Ich bin am Ziel. Das Warten dürfte ihm zu lange dauern.«

»Dann wollen wir ihn benutzen. Führe den Herrn zu Deinem Bruder. Herr, ich hoffe, daß Sie kein Verräter sind, sondern sein Freund!«

»Ich habe die Ehre, preußischer Offizier zu sein, und werde von Ihrem Herrn Sohn erwartet.«

Der Invalide salutierte. »Dann bitte ich um Entschuldigung, mein Offizier, die Herren Preußen sind eine brave Nation!«

Er verließ die Küche, um mit dem Kutscher die Sache in Ordnung zu bringen; der Gamin führte den Offizier die Stufen hinauf nach dem Gemach seines Bruders, an dessen Thür er klopfte.

»Ich bringe Dir Besuch, Hektor, den Herrn von heute Morgen!«

Dann, da er seinen Bruder mehr fürchtete, als den Vater, lief er eilig und neugierig zu diesem zurück.

Der Offizier war bei Kapitän Fromentin eingetreten, dieser kam ihm entgegen.

»Willkommen, Herr Kamerad! wir erwarten Sie mit Ungeduld; wie steht unsere Angelegenheit?«

»Sie werden in einer Stunde auf dem Platze sein, wie Sie es verlangt. Herr Miron weigerte sich lange, aber der Graf bestand darauf, und Herr Duplessis pflichtete ihm bei, daß ausnahmsweise Umstände anerkannt werden müßten, Ihrer politischen Stellung und Ihrer Flucht bei General Lamorcière wegen. Ich glaube, Herr Miron ist ein Feigling und einer Niederträchtigkeit dazu fähig. Mich will bedünken, als hätte nur die Aussicht, auf irgend eine Weise das Duell zu hindern oder noch einmal Unterhandlungen anzuknüpfen, ihn bestimmt, in das nächtliche Rendezvous einzuwilligen.«

»Die Ursache ist gleichgültig, wenn er nur kommt. Erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen meinen zweiten Beistand in diesem meinem Freunde vorzustellen. Er ist zwar nur aus dem Volke, wie ich, ein Arbeiter, aber er hat das Herz des Löwen, den seine Hand jetzt bekämpft, und das erste Anrecht an die Sühne von heute Abend.«

Der Offizier verbeugte sich vor dem Kolonisten. »Ich rechne es mir zur Ehre, mit Ihnen dem Herrn Kapitän zu dienen. Darf ich um den Namen des Herrn bitten!«

»Renaud Samson!«

»Hoho, hihi,« klang das heisere Gelächter des Fossoyeurs, und sein grinsendes unheimliches Gesicht zeigte sich in der Spalte der unbemerkt von ihm geöffneten Thür. »Bist auch wieder da, Lumpenkerl, Barrikadenmann! Bist einfältig genug gewesen, zurückzukommen? hoho, dachte mir's fast, daß der Schleicher da wäre nach dem Schwatzen der tollen Dirne! Willst Dein Erbteil holen, hast's gekriegt! Knochen, Knochen! Der alte Fossoyeur ist noch lange nicht tot und behält sein Geld! Keinen Sous für den afrikanischen Bettler!«

»Vater,« bat der Sohn, indem er, auf ihn zutretend, ihm die Hand entgegen streckte.

Der Katakombenwächter schüttelte drohend die Faust nach ihm. »Hast's gewollt, hast des Vaters Gewerbe verschmäht! ho ho, ehrliche Arbeit am Tageslicht! am Tageslicht! Die Polizei soll's wissen, daß Du hier bist! hi hi! der Samson braucht keinen ungeratenen Sohn, der sein Geld stiehlt! Fluch über Dich! Fluch über Dich!«

Der Unhold schlug vor dem braven Sohne die Thür zu und rannte, Verwünschungen sprudelnd, durch den kurzen Gang die Stufen hinab nach der Küche.

Er kam zu seinem Glück zur rechten Zeit; denn eben öffnete der Invalide die Hausthür und rief ihn und den Savoyarden zum Fiaker, indem er seinem jüngsten Sohn befahl, bis zu seiner Rückkehr das Haus zu verwahren und es nicht zu verlassen.

Der verkleidete Savoyarde hatte die unerwarteten Scenen, die Ankunft des preußischen Offiziers und die Spionage des Katakombenwächters stumm aber scharf beobachtend mit angesehen. Jetzt legte er mit einem Wink gegen den Fossoyeur den zweiten Louisdor auf den Kaminsims und verließ, die Knaben grüßend, mit Samson die Küche.

Gleich darauf rollte der Wagen in der Richtung der Barrière d'Enfer davon.

Die beiden Burschen, aufs höchste neugierig gemacht durch all die Vorgänge, wären ihm von Herzen gern gefolgt, denn mit dem Instinkt des Gamin witterten sie ein Abenteuer; aber sie sahen ein, daß selbst die Flüchtigkeit ihrer jungen Beine nicht lange dem bekanntlich sehr raschen Fahren eines Pariser Fiakers Stand halten würde, und beschlossen daher klüglich, lieber das Bequemere, das Thun des Artillerie-Kapitäns und seiner Gesellschafter zu beobachten; denn die Ordre des Alten zu erfüllen und zu Haus zu bleiben, fiel Meister Jacques am wenigsten ein.

Der Fossoyeur hatte sich auf den Bock zu dem Kutscher gesetzt, um diesen den Weg zu zeigen; aber er that dies, als sie außerhalb der Barriere waren und in die öden Wege von Montrouge sich vertieften, offenbar absichtlich so falsch und ließ den Wagen so viele Kreuz- und Rückwege nehmen, daß der Kutscher bald zu fluchen begann und endlich erklärte, er fahre keinen Schritt weiter.

Das war, was der Fossoyeur beabsichtigt zu haben schien; denn er stieg sofort ab und forderte seine beiden Gefährten auf, auszusteigen, indem sie nun ihren Weg zu Fuß fortsetzen müßten.

Man schickte den Kutscher zurück mit dem Auftrag, an der Gabel der Straße nach Vanvres und Châtillon sie zu erwarten und ging dann weiter. So viel der trübe Nachthimmel und der Nebel, der rings umher lagerte, zu bemerken erlaubte, befanden sie sich in einer öden, nur ziemlich spärlich bebauten, von Hohlwegen und Hecken durchschnittenen Gegend; nur selten streckte ein Dampfschornstein seinen schwarzen Arm in die Luft und sandte seine glühende Lohe in die schweren Regenwolken.

Der Fossoyeur hatte sein tolles, wüstes Gebahren abgelegt, und nur hin und wieder klang sein Lachen, wenn er sich über die Unannehmlichkeiten des Weges freute, den sie verfolgten und seine Begleiter verhöhnte.

Dieser Weg wurde immer düsterer und einsamer und manchmal schien die Hauptperson der Gesellschaft doch ein Bedauern anzuwandeln, daß sie sich so weit vorgewagt; aber der Gedanke, daß die Verkleidung vortrefflich und die Notwendigkeit vorhanden war, das Geheimnis dieser Nacht jedem andern Auge, selbst dem vertrautesten, verbergen zu müssen, trieb sie vorwärts.

Sie standen jetzt am Eingang einer Kluft, oder eines Hohlwegs, der auf eine Seitenwand hinzulaufen oder durch sie geschlossen zu werden schien, offenbar einer der alten Steinbrüche, die von den Arbeitern schon vor Jahren verlassen worden, nachdem sie zu einer ziemlichen Tiefe ausgehöhlt waren. Aus dem Grunde der Schlucht schimmerte es durch den Qualm und Nebel wie ein rotes Licht; ein ferner wüster Lärm, der Ton einer Ziehharmonika und einer Schellentrommel drang zuweilen, von einem gellenden Jauchzen unterbrochen, aus der Tiefe.

»Da unten ist die ›Schöne Guillotine‹, sagte der Katakombenwächter flüsternd, »der Tête-Renard hat hier sein Hauptquartier, ich hoffe, daß wir ihn finden da, aber ich kann's nicht sagen, denn er hat noch zwei andere Wirtshäuser in den Brüchen. Pscht! hört Ihr sie singen ein lustiges Leichenlied! Wenn die da unten wüßten, Nachbar Leiermann, daß der Bursche in Deinem Haus zehntausend Franken in der Brieftasche führt! Ho, ho! festgehalten, nehmt Euch in acht, wenn Ihr nicht den Hals brechen wollt!«

»Steht. Wer da?«

»Hi hi! da ist die Wache! dachte mir's, daß der Fuchs hier sein muß! Knochen und Moder, Bursche, Knochen und Moder! kennst Du nicht den Fossoyeur aus den Katakomben, Nebukadnezar?«

Ein großer ungeschlachter Kerl war aus einem Winkel der Wand vorgetreten und sperrte die schmalen Stufen. Er hielt in seiner Faust einen kolossalen Knüttel und in dem Strick, den er um den Leib trug, blinkte ein langes scheideloses Messer. Eine große Bulldogge stand knurrend neben ihm.

Der Mensch stieß einen greulichen Fluch aus. »Der Satan soll mich mit den Haaren fressen, wenn das nicht der Totenwurm ist! Wo kommst Du her, tolle Unke, wer sind die da?«

»Gute Freunde, gute Freunde von mir, Neb! Ho, ho! Werd' ich was anders bringen für Euch? Wollen den Fuchs sehen, müssen ihn sprechen! Verteufelt wichtig, ich sage es Dir!«

Der Kerl bedachte sich einige Augenblicke. »Ich darf's eigentlich nicht thun, Fremde einlassen ohne Meldung; aber weil Du's bist, Gräberwurm, mag's sein! Steigt hinunter, und hier, Packan, geh' mit und sorg' daß sie nicht vom Weg abweichen!«

Der Bullenbeißer fletschte bezeichnend die Zähne und schritt gravitätisch die Stufen hinab, als hätte er jedes Wort seines Herrn verstanden. »Vorwärts, vorwärts und brecht den Hals nicht!« schrie der Fossoyeur, »der Knochenmann deckt den Rücken!«

Der alte Invalide stieg vorsichtig voran in die unbekannte Tiefe, hinter dem Hunde drein; der Savoyarde folgte ihm, aber der Katakombenwächter blieb noch einige Augenblicke zurück bei dem Riesen.

»Laß Dich ablösen, Nebukadnezar,« flüsterte er rasch. »Ho ho! es giebt fette Bissen, fette Bissen, sag' ich Dir!« Der andere wies mit dem Daumen über die Schulter nach den Hinabsteigenden.

»Nichts da! nichts da! ist für den Fuchs und zu hoch für uns! Aber in der Stadt war ein Fang; bare Zehntausend, wenn der einarmige Spitzbube nicht gewesen wäre. Aufgepaßt, wenn's zurückgeht.«

Er schob sich eilig den Vorangeschrittenen nach und verschwand mit diesen im Dunkel.

Die drei mochten etwa vierzig oder fünfzig, teils in den Stein und Sand gehöhlte, teils von morschen Holzstücken gebildete Stufen hinab gestiegen sein, ehe sie auf dem feuchten, durch den Regen mit tiefen Wasserlachen übersäeten Grunde der Schlucht ankamen. Je tiefer sie übrigens hinab gestiegen waren, desto deutlicher scholl der Lärm in ihre Ohren.

Bei dem roten Lichtschein, der durch die Spalten einer schlecht verschlossenen, zuweilen geöffneten Thür und zweier daneben befindlichen, mit zerbrochenen Holzladen geschlossenen Fenster fiel, konnten sie jetzt erst bemerken, daß sie vor einem niedern, flachen Hause standen, dessen schräges Dach fast bis auf die Thür hinabreichte. Das Haus war breit, aber flach und lehnte sich mit der Rückseite unmittelbar an die Steinwand, die hier die Schlucht oder den Bruch zu schließen schien.

Aber es blieb ihnen nur wenig Zeit zur Besichtigung, denn der Hund, der darauf abgerichtet war, blieb vor der Thür des Hauses oder der Hütte stehen, noch bevor ihr Führer herangekommen war, und begann ein so klägliches Geheul, daß es selbst den Höllenlärm im Innern des Gebäudes übertäubte.

Einen Augenblick trat eine plötzliche Stille ein, dann wurde die Thür von innen aufgerissen, und zwei Männer, der eine mit einer Keule, der andere mit einer alten Muskete bewaffnet, traten heraus.

»Wer ist da? wer steht dort? Still, Packan! oder ich trete Dir die Kaldaune aus dem Leibe!«

Ein Fußtritt schleuderte den Hund zur Seite, dann trat er mit der Flinte einige Schritte vor, während sein Gefährte zur Bewachung der Thür an dieser stehen blieb.

Der Fossoyeur drängte sich vor. »Hi, hi, Moder und Knochen! Was soll das heißen! Willst Du einen Freund erschießen, Galgenrabe, und kennst Du den Fossoyeur nicht mehr, Spitzohr? Hi hi! soll man vielleicht gar noch eine Visitenkarte voraus schicken, wenn man in die ›Schöne Guillotine‹ kommt? Steckt die Waffen ein, steckt die Waffen ein, der Knochenmann kommt zum Besuch und bringt ein Paar Freunde mit.«

Die beiden senkten Muskete und Keule. »Wenn Du's bist, toller Schurke, warum giebst Du nicht das Signal und läßt den Hund heulen? Herein mit Euch, und trinkt eins auf den Weg! 's geht heute verteufelt lustig zu, 's ist große Gesellschaft und Ball-Champêtre, denn der Gurgeljean heiratet die blaue Margot und giebt einen Satz zum Besten.«

Der Fossoyeur hatte dem Mann einige Worte zugeflüstert, dieser nickte bejahend.

»Er ist an der Schenke und hat schon nach Dir gefragt. Herein mit Euch!« Er öffnete die Thür und brüllte in den Raum: »Gut Freund! Laßt Euch nicht stören, Jungens!«

Die drei traten ein; ehe er über die Schwelle schritt, hatte der Savoyarde unter der Blouse seinen Revolver gespannt.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war für die beiden, welche die Räume noch nie betreten, überraschend.

Das Haus war allerdings nur flach und seine Breite wurde bis auf einen Abschlag von beiden Seiten von einem einzigen, der schmalen Tiefe entsprechenden Gemach eingenommen, der als Küche und Schenke diente. Vor dem Abschlag links stand denn auch ein Schenktisch mit dem gewöhnlichen Gerät, und Krüge, Flaschen und Fäßchen türmten sich dahinter und auf zwei langen Seitenbrettern auf, von zwei an der Wand befestigten Lampen mit beweglichen Schirmen erleuchtet, die durch eine besondere mechanische Vorrichtung mit einem Drahtzug in Verbindung standen. Auf der andern Seite befand sich ein höchst jämmerlicher Herd, auf dem in Pfannen und Tiegeln die beliebten Gerichte der niedersten Volksklassen, Kaldaunen, Beefsteaks von Roßfleisch und der klassische Harlekin schmorten. Ein altes Weib, den Kopf mit einem roten Tuch umwunden, stand mit Gabel und Löffel davor und briet und schmorte, indes sie sich mit einer Gruppe von Männern und Weibern unterhielt, die auf zerbrochenen Schemeln und Steinklötzen umhersahen, hölzerne Teller in der Hand und Gabeln, die mit langen, dünnen Ketten an den Sitzen befestigt waren. Ein schauderhafter, den Odem benehmender Qualm von Kohlendampf Öldunst, Fett, schlechtem Tabak und Spirituosen und den Ausdünstungen einer nicht unbedeutenden Menschenmasse füllte das ganze Gemach und ließ kaum die Blicke durchdringen.

Erst, wenn das Auge sich daran gewöhnt und die Richtung dahin genommen, woher der Höllenlärm jetzt wieder in voller Macht tobte, erkannte es, daß die Hinterwand der Stube von einer breiten Thür oder vielmehr einem Bogen durchbrochen war, der mehrere Stufen hinab in einen breiten und langen Saal mit niederer Decke führte. Dieser mußte offenbar in die Steinwand hinein gehauen sein, denn er war mindestens dreißig Schritt lang und verhältnismäßig breit, und bildete den Hauptschauplatz der Orgie. An den Seitenwänden reihten sich, an die Wand geschmiedet, in den Saal hinein zahlreiche Tische, mit Bänken rechts und links, besetzt von wilden, bunten Gestalten, Männern, Weibern und Kindern, in der ärmlichsten zerlumptesten Kleidung, jene Gestalten, die in einer großen Stadt erst dann ans Tageslicht zu kommen pflegen, wenn die Empörung ihre Fackel schwingt oder irgend ein schaudervolles, schreckliches Ereignis die Gemüter in Furcht und Angst setzt. Große, robuste Arbeitergestalten mit wildem Bart und blitzendem Auge saßen hier neben widrigen Krüppeln und Kerlen, denen das Verbrechen jeder Art auf dem Gesicht geschrieben stand, und waren beschäftigt, zu spielen, das giftigste Höllengebräu zu trinken, sich zu zanken, zu schlagen oder dem wilden, zuchtlosen Tanz zuzusehen, der in der Mitte des Raumes Paar an Paar zum Klange der Harmonika und der Schellentrommel auf- und niederjagte.

Die Eingetretenen, um die sich die Gesellschaft wenig kümmerte, sahen einige Augenblicke dem wilden Treiben zu, dann aber, um möglichst bald aus diesem Höllenpfuhl wieder fort zu kommen, winkte der Savoyarde dem Fossoyeur.

»Wo ist der Tête-Renard? Führe mich zu ihm!«

Der Katakombenwächter wies auf den Schenktisch.

»Ho ho – seht Ihr ihn nicht? Er hat Euch schon lange im Auge, Freund, und Ihr werdet Euch wacker halten müssen, wenn Ihr ihn betrügen wollt!«

Der falsche Savoyarde sah nach dem Schenktisch; hinter demselben, in eine rötlichbraune, schmutzige Jacke gekleidet, mit fuchsrotem Haar, stand ein kleiner schmächtiger Mann mit einer höchst merkwürdigen Gesichtsbildung.

Die Stirn war niedrig und in schiefer Linie vorstehend; die Linie verlängert eine lange spitze Nase, so daß sie zwischen den schmalen und hohen Backenknochen und den kleinen boshaften und schlauen Augen wirklich mehr einer Fuchsschnauze, als jenem Teil eines menschlichen Angesichts glich. Diese Ähnlichkeit wurde noch dadurch erhöht, daß der Mund dicht unter der Nase saß und das Kinn fast in gleichem Winkel zurücktrat, wie jene vorsprang. Das Alter des Mannes war nicht zu bestimmen, denn sein rotes Gesicht hatte eine merkwürdige Fähigkeit, sich in Falten zu legen, und er schien wirklich besonderes Gewicht darauf zu legen, die Ähnlichkeit mit dem Tier, dem er den Namen verdankte, noch durch Kleidung und Manieren zu erhöhen.

Obschon er klein und schmächtig aussah, zeigten seine langen krallenartigen Hände doch Adern und Muskeln, die wie Stränge auflagen.

»Guten Abend! guten Abend, Knochenmann! Wen bringst Du uns da? Ist den Herren ein Gläschen gefällig, oder wollen sie ein Tänzchen machen?«

Der Savoyarde hieß den Fossoyeur Getränk bestellen und trat an die Schenke.

»Ich weiß Ihren wirklichen Namen nicht, Meister, aber der, den ich suche, heißt unter seinen Bekannten Tête-Renard!«

»Ei, Kamerad, das bin ich selber! Was wollt Ihr von mir?«

»Ich habe einen Auftrag an Sie auszurichten und muß Sie allein sprechen!«

Der Fuchskopf musterte ihn mit einem forschenden Blick. »Ist es so dringend?«

»Es ist kein Augenblick zu verlieren; was ich Ihnen zu sagen habe, kann Ihnen viel Geld bringen.«

Wieder sah ihn der Kneipenwirt aufmerksam an. »Hört, Freund,« sagte er dann, »ich kenne Euch nicht, aber Ihr müßt wissen, ich bin nicht von gestern! Wenn Ihr im Dienste der Polizei steht, so kommt Ihr hier an den Unrechten. Laß die Flasche stehen, Eisenschädel, ich habe Dir gesagt, daß Du nichts mehr bekommst, bis Du die Schuld bezahlt hast!«

Die Worte galten einem großen Kerl, der mit stieren, gläsernen Augen an den Schenktisch getaumelt war und nach einer Branntweinflasche griff.

»Ich muß Schnaps haben, Schnaps! es brennt mir wie Feuer in der Kehle!«

»Erst Geld! Du bekommst nichts!«

Der Trunkene schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hast Du nicht mein alles mit Deinem verfluchten Rachen aufgefressen? hab' ich nicht fünf Jahre im Bagno gesessen, für den Raub in Passy, und meine Kinder sind vor Hunger und Elend gestorben, während Du die ganze Beute verschluckt? Schnaps her, sag' ich! ich muß Schnaps haben, um zu vergessen.«

Der Mann streckte nochmals die Hand nach der Flasche. »Eisenschädel, ich warne Dich. Du kennst mich.«

»Dann kenn' ich den leibhaftigen Satan. Aber trinken will ich, und wenn ich in der Hölle schmoren sollte.«

Er faßte die Flasche und wollte sie nach dem Munde führen.

Zur Seite des Tête-Renard stand ein leerer, aber schwerer großer Steinkrug mit Zinnbeschlag, wie er zum Ausfüllen des Fusels oder des ordinärsten Weins zu dienen pflegt, und der mindestens fünfzehn Maß halten mochte.

Der Tête-Renard ergriff ihn mit einer Hand, schwang ihn durch die Luft und schmetterte ihn auf den Kopf des Trunkenen, daß er in hundert Scherben zerbrach. Eine dunkle Blutwelle stürzte über das Gesicht des Taumelnden, dann fiel er lang zu Boden.

Mehrere Männer waren hinzugesprungen, aber der Vorgang schien hier etwas Gewöhnliches; keiner machte Miene, dem Unglücklichen beizustehen.

Der Kneipwirt warf den zinnernen Henkel weg, den er allein noch in der Hand hielt. »Werft das Vieh hinaus, der Regen wird ihm gut thun,« sagte er gleichgültig. Dann wandte er sich zu dem Savoyarden. »Jetzt, Fremder, steh' ich Euch zu Diensten. Kommt!«

Er winkte einen der Aufwärter herbei und ging dem Savoyarden voran in den anstoßenden Verschlag. Als letzterer eintrat, fand er sich in einem, wenn auch nicht gut, doch ziemlich behäbig eingerichteten kleinen Gemach. Ein Rohrsofa, einige Stühle, ein Bett mit Zitzvorhängen und Kommode und Schrank möblierten den wohl erwärmten und erleuchteten Raum; der Tête-Renard schien auf eine gewisse Behaglichkeit zu halten. An den Wänden hingen einige Waffen, eine Flinte, ein Steinhammer und zwei lange Reiterpistolen.

Der Wirt der »Schönen Guillotine« schob seinem Besuch einen Stuhl an den Tisch und setzte sich ihm gegenüber.

»Zur Sache, Freund, was wollt Ihr von mir?«

»Sie sehen,« sagte der Savoyarde, »daß ich nur ein armer Kommissionär bin, also im Auftrag von andern komme. Der Fossoyeur, den ich bezahlt habe, mich zu Ihnen zu führen, kann sagen, daß ich keine fünf Franken mehr bei mir führe; dennoch frage ich Sie: wollen Sie für die nächsten zwölf Stunden zwanzigtausend verdienen?«

Die Augen des Wirts funkelten. »Zwanzigtausend Franken? Soll ich etwa den Rothschild totschlagen?«

»Das wäre zu viel! Sie brauchen sich nicht einmal selbst in Gefahr zu begeben.«

»Sprecht deutlicher, Kamerad.«

»Sie wissen, daß man sich heute Nachmittag in Paris geschlagen hat. Es ist an vier Stellen versucht worden, Barrikaden zu bauen.«

»Was geht das mich an! meinetwegen an zwanzig!«

»Das ist's eben, wenn morgen an zwanzig Stellen Barrikaden stehen, und man auf ihnen sich schlägt, erhalten Sie zwanzigtausend Franken!«

Der Tête-Renard sah den Savoyarden bei diesem unerwarteten Vorschlag erstaunt an, er hatte etwas ganz anderes erwartet, etwa einen kleinen Meuchelmord, oder den Vorschlag zu einem gut ausbaldowerten Raube.

»Ich will offen mit Ihnen reden. Meine beiden Begleiter wissen nicht das geringste von dem Zweck, der mich zu Ihnen führt und brauchen von unserm Handel nichts zu erfahren. Diejenigen, die mich senden, wissen, daß die Bewohner und Arbeiter der Steinbrüche Ihnen unbedingt gehorchen und Ihrem Rat folgen. Die Bourgeoisie hat heute gezeigt, daß sie zu feig ist, um die Republik gegen einen Tyrannen zu verteidigen; der Arbeiterstand von Paris ist entnervt und furchtsam, er bedarf eines Beispiels, einer Ermutigung, ehe er die glorreichen Februartage wiederholt. Die Bewohner der Steinbrüche sind Männer von Mut und haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Reizen Sie sie an, sich dem Widerstandskomitee der Montagne zur Verfügung zu stellen, lassen Sie Ihre Mannschaft noch diese Nacht an den Orten, die dieser Zettel bezeichnet, Barrikaden bauen, und Sie erhalten zwanzigtausend Franken dazu, die Sie verwenden mögen, wie Sie wollen.«

Der Wirt schaute einige Augenblicke nachsinnend vor sich hin. »Die Sache ließe sich machen,« sagte er dann. »Die Burschen haben ohnehin die größte Lust, sich an der Revolution zu beteiligen, aber ich habe sie zurückgehalten; denn wir armen Leute haben keinen Dank dafür und hetzen uns nur zwecklos die Polizei auf den Leib, die immer bleibt, mag die Oberhand behalten, wer da will. Aber das Gebot ändert die Sache. Schickt Euch die Bergpartei oder einer von den Herren Gefangenen?«

»Es ist gleichgültig. Ein Schlaukopf wie Sie, wird aus der Sache selbst sehen, woran er ist!«

»Ich frage nur des Geldes wegen, ich lasse mich nicht auf leere Versprechungen ein!«

»Das wird auch nicht verlangt. Wenn Sie jemand, dem Sie trauen können, schicken oder selbst nach dem Platz der Sternwarte gehen wollen, aber nur in meiner Begleitung, so werden Sie am Gitter nach der Barriere d'Enfer zu zwei Personen finden, die Ihnen auf gewisse Worte zehntausend, also die Hälfte aushändigen werden.«

»Und der Rest?«

»Den Rest können Sie morgen, wenn Ihre Leute mindestens zwei Stunden lang die Barrikaden verteidigen geholfen, an derselben Stelle zur selben Zeit in Empfang nehmen.«

Der Tête-Renard lachte spöttisch. »Das wäre ein verteufelt schlechter Handel. Da könnten wir lange warten, wenn das Ganze nicht überhaupt eine Falle ist.«

»Sie können sich ja leicht überzeugen, wenn Sie eine ganz gleichgültige Person mit mir nach dem Gelde senden. Meine Auftraggeber zahlen zehntausend Franks im voraus, ohne die geringste Bürgschaft Ihrerseits; ich denke, das ist für Ihr späteres Worthalten Sicherung genug.«

»Ich weiß eine bessere!«

»Welche!«

»Den Unterhändler!« Der Tête-Renard warf sich mit einem Sprunge von seinem Sitz auf den Savoyarden und streckte die Hand aus, ihm den falschen Bart vom Gesicht zu reißen.

Aber der Mann ihm gegenüber hatte ihn nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen und war wohl bereit. So rasch, wie der Lumpenwirt auf ihn einsprang, warf er sich zurück und streckte ihm den gespannten Revolver entgegen.

»Sachte, sachte, mein Lieber,« sagte er. »Ich halte es für unnötig, daß Sie mit jemand anderem verhandeln, als mit einem Savoyarden-Kommissionär. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, oder ich schieße Sie nieder wie einen Hund! Ich weiß sehr gut, daß die Zahl auf Ihrer Seite ist; aber erstens würden Sie es nicht erleben, und zweitens würden mindestens zehn andere noch daran glauben müssen, ehe man uns totschlägt. Zu rauben aber ist bei uns nichts!«

Der Tête-Renard hatte sich, sobald er den gewaltthätigen Streich mißglückt sah, ruhig wieder auf seinen Stuhl gesetzt und murmelte etwas wie »jeder wünsche doch seine Leute kennen zu lernen!«

»Und jetzt entscheiden Sie sich kurz und bündig,« fuhr der Savoyarde fort, noch immer den Revolver schußfertig in der Hand, »ob Sie die zwanzigtausend Franken verdienen wollen oder nicht?«

» Sacre Dieu! natürlich will ich! – Es war eine Thorheit von mir, denn es kann uns gleich sein, wer das Geld zahlt. Die Sache ist abgemacht! Morgen Vormittag werden Sie zwanzig Barrikaden haben und fünfhundert Burschen darauf, die den Teufel selber nicht fürchten!«

»So sind Sie verständig! Kein Wort zu irgend einer Seele von unserm Geschäft. Es wäre Ihr eigener Schade, denn Sie müßten teilen. Und nun treffen Sie Ihre Anstalten zur Abholung des Geldes, wenn Sie selbst mich nicht begleiten wollen.«

»Das geht nicht an, denn ich habe hier zu thun, die Bursche dazu zu stimmen. Aber sorgt nicht dafür, Kamerad, meine Frau wird an der Sternwarte sein, zugleich mit Euch, um das Geld in Empfang zu nehmen, vergeßt nur den Rest nicht!«

»Meine Auftraggeber halten Wort. Und nun muß ich machen, zur Stadt zu kommen!«

Der Kneipenwirt hatte sich erhoben. »Ihr habt nicht nötig, Herr, wieder durch das Vorderzimmer zu gehen, es würde nur Aufsehen machen. Hier heraus, Herr, ich werde Euch Eure beiden Gefährten, den Fossoyeur und den Einarm, sogleich nachschicken. In einer halben Stunde ist mein Bote am Platz.«

Er war zu dem von außen mit Läden verschlossenen Fenster getreten und schob an einer Rolle.

Sofort zeigte es sich, daß das Fenster eigentlich eine mit Holzbekleidung verdeckte Thür war, die einen zweiten Ausgang bildete und sich jetzt geräuschlos in ihren Angeln drehte.

Der verkleidete Savoyarde trat wieder hinaus in die Nachtluft, die trotz des häßlichen Nebels etwas wahrhaft Erfrischendes für ihn hatte gegenüber dem Qualm und dem Odem des Verbrechens, welche die eben verlassene Höhle erfüllten.

Zwei Minuten später kamen durch den gewöhnlichen Ausgang seine Gefährten zu ihm.

Der Aufstand, den General St. Arnaud verlangt, war gesichert!

(Schluß des zweiten Bandes.)


Herros« & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.

 


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