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Schnell-Galgen.


2. Eine Brautnacht!

Es war am Nachmittag des 12. August, an einem Sonntag.

Die kaiserliche Armee mit ihrem russischen Sutien, welche die Schlacht bei Becskerek geschlagen und Temesvár befreit hatte, hatte das eroberte Lager der Ungarn bezogen und selbst ein großer Teil der noch waffenfähigen Garnison war in die halbzerstörten Vorstädte verlegt worden, da der innere Raum der Stadt nur einen Trümmerhaufen und infolge der vielen Krankheiten noch immer einen Herd der Ansteckung und des Verderbens bildete.

Die warme Jahreszeit machte überdies den Aufenthalt im Freien unter dem grünen Schatten der Wälder weit annehmlicher, als unter den zertrümmerten Mauern der Stadt.

In einer der größern jetzt geräumten Baracken des Jagdwaldes, die zur Gewehrfabrik des ungarischen Cernierungskorps gedient hatten, saßen drei Personen zusammen.

Es waren der Fürst Trubetzkoi, seine Maitresse, die Zigeunerin Tunsa, und der ehemalige Legionär und jetzige Agent der kaiserliche Befehlshaber, Dr. Lazare.

Der Fürst schlürfte an seinem Becher mit einem kühlenden und zugleich stärkenden Getränke, das die Hand der Zigeunerin nach der Vorschrift der Ärzte ihm bereitet hatte. Sein gedunsenes, verschwommenes Gesicht mit den unschönen tartarischen Zügen hatte einen finstern hämischen Ausdruck.

»So kennt also noch niemand den wahren Stand und Namen der Gefangenen?«

»Niemand, als wir, Durchlaucht. Der anonyme Zettel, mit der Warnung, ihn zu verraten, da Freunde ihn zu retten hofften, den ich den beiden Gräfinnen in die Hände spielen ließ, wird seine Wirkung nicht verfehlen.«

»Und was soll die Komödie? Glauben Sie etwa, daß der Feldzeugmeister sich abhalten lassen wird, mit dem Namen Batthyányi den Galgen zu schmücken, dann kennen Sie ihn schlecht, und Ungarn wird ein Gericht sehen, so schwer, daß man es ein Jahrhundert nicht vergessen wird.«

Der Agent lächelte höhnisch. »Euer Durchlaucht verstehen sich nicht auf die Rache,« sagte er. »Für Sie ist Graf Batthyányi nur ein Nebenbuhler, ein Feind!«

»Er hat mich zum Krüppel geschossen, der Hund!« rief der Russe wild. »Sehen Sie mich an, was ich jetzt bin; und hat er mir mein Leben genommen, so will ich das seine dafür haben!«

Der Tartar preßte im wilden Zorn die geballte Faust auf den Tisch.

»Man stirbt nur einmal, und unter Umständen soll der Tod ziemlich leicht sein,« sagte der Doktor. »Mich, Durchlaucht, hat er nicht verwundet, aber er hat mich verächtlich behandelt und beleidigt, und dafür soll er hundertfach sterben. Indem ich Ihnen helfe, räche ich mich, darum bat ich Sie, das Kriegsgericht über die drei so lange zu verhindern, bis ich von der Mission nach Arad zurückgekehrt sei.«

Die Zigeunerin reichte ihm die Hand über den Tisch hinüber. » Fene egyemek! Du bist eine armselige Kreatur, goldbedeckter Iwan, gegen diesen Burschen da! Das ist mein Mann, ich lieb' ihn und will ihn heiraten!«

»Schweig, Närrin!«

Die Zigeunerin warf trotzig die Lippen auf: »Er hat im kleinen Finger mehr Witz,« sagte sie frech, »als Du in Deinem ganzen Leib. Wenn ich Dich nicht erst mit der stolzen Gräfin verheiraten müßte, der Henker soll mich holen, wenn ich nicht mit ihm davon liefe. Wir beide wollten Unheil genug stiften!«

»Das glaub' ich selbst,« murrte der Fürst. »Die Dirne hat den Teufel im Leib seit der Nacht von Enyád und ist so toll und boshaft, daß ich sie kaum zu bändigen vermag!«

Ein funkelnder Blitz schoß aus den schwarzen Augen des Mädchens. »Warum ließet Ihr ihn hängen,« sagte sie heftig. »Ihr konntet ihn retten, und Ihr thatet's nicht. Dafür will ich Dich quälen, so lange ich lebe!«

Sie hatte zu dem Fürsten in russischer Sprache gesprochen, die sie sich mit jener merkwürdigen Fähigkeit, welche die slavischen und südlichen Rassen für Sprachenerlernung auszeichnet, im Laufe des Jahres angeeignet hatte.

»Ich konnte es nicht, Feodora! Du weißt es. Sei vernünftig, Kind,« entgegnete der Fürst. »Mir wäre es doch gleich gewesen, ob ein Zigeuner mehr auf der Welt umherläuft oder nicht, aber Du bist damit der ganzen Sippschaft ledig geworden, und niemand hat ein Recht mehr, Dich an Deine Abstammung zu erinnern.«

»Als ich selbst!« Über das bewegliche Antlitz der Dirne flog ein finsterer Schatten, jener schwermütige veredelnde Zug, der sich häufig im Charakter ihres seltsamen Volkes zeigt. »Du hast recht, Fürst Iwan, seit ich die Ältermutter von der Schwelle peitschen und den Vater hängen sah, während ich Deinen Champagner trank, bin ich schlecht genug, eine Deiner großen Damen zu sein, die kein Herz haben und keine Seele. Und deshalb lebt der Geist des Unheilstiftens doppelt in mir, und Du sollst die blanke Gräfin haben, so wahr die Tunsa jetzt Feodora heißt!«

Sie stemmte den Kopf in den Arm und starrte vor sich hin, ohne auf die Schmeicheleien oder Befehle zu achten, die der Fürst an sie richtete.

»Sprich weiter, Blasser,« sagte sie zu dem Doktor. »Deine Augen sind die des Vampyrs, und ich weiß, Du wirst ihnen den letzten Blutstropfen aus dem Herzen saugen.«

»Es befinden sich unter den Offizieren der Garnison,« fuhr der Doktor zu dem Russen fort, »einige Thoren, die der Name und Rang des Gefangenen und sein bekanntes Verhältnis zu der Komteß Pálffy zu der Entscheidung veranlassen könnte, daß er nicht als Spion in die Festung gekommen sei. Es ist darum besser, daß er als gewöhnlicher Honved verurteilt wird. Die Gräfinnen werden begreifen, daß es Ihnen ein leichteres sein muß für den unbekannten Soldaten Begnadigung zu erwirken, als für ein bekanntes Haupt der Rebellen. Sie wissen, daß in Ihrer Diskretion das Schicksal des Gefangenen liegt, und es müßte schlimm sein, wenn Sie mit dieser Waffe den Widerstand der Komteß nicht brechen sollten.«

Der Russe schüttelte den Kopf. »Sie kennen diesen stolzen Charakter nicht,« sagte er. »Der Tod ihres Liebhabers wird in ihren Augen ein Märtyrertod für ihr Phantom, die Freiheit Ungarns sein. Sie wird ihn desto mehr lieben und desto bestimmter sich weigern.«

»Die Gewißheit, daß eine Verbindung mit Ihnen allein die Güter der Familie vor Konfiskation retten kann, daß sie sonst Bettlerinnen sein würden, muß dazu ins Gewicht fallen.«

»Bei der Mutter, ja – bei der Tochter nicht!«

»Aber es muß doch eine Stelle in dieser Brust geben, wie in jedem Menschenherzen,« sagte der Agent, »an der wir sie fassen und zwingen können!«

Die Zigeunerin ließ den Arm fallen und hob den Kopf. Sie betrachtete einige Augenblicke die beiden Männer mit boshaftem triumphierenden Blick.

» Ktschortu!« sagte sie höhnisch, den Lieblingsfluch ihres Gebieters parodierend, »ich hätte zwei Teufeln, wie Ihr, mehr Witz zugetraut, als daß Euch ein Weib beschämen muß!«

»Kannst Du helfen?«

»Ich kann's!«

»Dann sprich! welches ist die Stelle, wo ich den Willen dieses Weibes zwingen kann?«

» Die Mutter

Der Doktor schlug sich vor die Stirn. »Ich bin ein Stümper,« sagte er, »daß ich nicht gleich auf den Gedanken kam, der so nahe lag. Sind Sie noch in dem Besitz des Portefeuilles, von dem Sie mir sagten, Durchlaucht?«

»Das man in Enyád unter den Sachen der beiden Gräfinnen gefunden, und das ich an mich nahm?«

Der Doktor nickte. »Lassen Sie es gefälligst holen, es müßte seltsam sein, wenn wir nicht etwas darin finden sollten, das uns paßt. Wie Sie und andere die Gräfin mir beschrieben haben, liebt sie, sich in politische Intriguen zu mischen.«

»Sie ist ehrgeizig und unruhig, aber im Augenblick der Gefahr fehlen ihr Mut und Entschlossenheit, die ihre Tochter besitzt.« Der Fürst hatte seinem Kammerdiener geschellt und ihm einen Befehl gegeben. »Aber wenn das Mädchen nun das Leben und die Freiheit ihres Liebhabers als Bedingung stellt?«

Der Agent zuckte die Achseln. »Ich dächte, Durchlaucht, wir wären über diesen Punkt einig. Sie versprechen alles und erwirken die schriftliche Begnadigung des Verurteilten!«

Der Fürst sah ihn finster an. » Tscherti tjebie by wsiali! Sie werden doch nicht verlangen, daß er entkommen soll?«

Der Doktor lächelte mit dem Hohn eines Teufels. »Überlassen Sie mir das!« Pierre, der französische Kammerdiener des Russen, trat ein und übergab seinem Herrn ein ziemlich umfangreiches Portefeuille, dessen Schloß aufgesprengt und das nur zusammengebunden war. Zugleich meldete er eine Ordonnanz aus dem Hauptquartier, welche die Einladung brachte, sich sofort dort einzustellen.

Während der Doktor Lazare die Briefschaften durchblätterte, erteilte der Fürst den Befehl, seinen Wagen vorfahren zu lassen, da er seit seiner Verwundung nur ungern zu Pferde stieg, und ließ sich von seinem Kammerdiener ankleiden.

»Dies genügt vollkommen,« sagte triumphierend der Agent, indem er ein Paket Briefe, das er ausgesondert hatte, in die Höhe hielt. »Es sind Korrespondenzen mit Kossuth, Perczel und dem alten Batthányi und an die Mutter gerichtet. Wir müssen die Komteß schonen, um desto sicherer auf sie zu wirken. Die Schwierigkeiten auch in betreff des Vermögens dürfen nicht unnötig erhöht werden, aber dies genügt, um die alte Rebellin nötigenfalls aufs Schafott zu liefern. – Ich bitte Sie um einen Platz in Ihrem Wagen, Durchlaucht, denn die Pferde meiner Kalesche sind zum Tode abgehetzt, und es ist Zeit, daß ich dem Feldzeugmeister meinen Bericht bringe, er wird ungeduldig genug sein. Verlassen Sie sich darauf, diese Papiere sollen im rechten Augenblick ihre Wirkung thun!«

Der Doktor bot der Maitresse des Fürsten seinen Arm, denn sie bestand wie gewöhnlich darauf ihn zu begleiten, und führte sie zum Wagen. Gleich darauf rasselte dieser der Stadt zu.


Das Hauptquartier der kaiserlichen Armee befand sich in der Vorstadt in einem der größeren durch seine Lage von der Kanonade aus der Stadt möglichst verschont gebliebenen Gebäude.

Offiziere und Ordonnanzen aller Waffengattungen, ab- und zuströmend oder in bunten Gruppen in belebter Unterhaltung umherstehend, füllten die Straße; in der Nähe hatten mehrere Marketenderinnen ihr Lager aufgeschlagen und Offiziere und Soldaten milderten an den fliegenden Tischen mit einer Flasche feurigen Ungarweins den brennend scharfen Geschmack des Gullasz oder einer der andern landesüblichen, mit Paprika förmlich geschwängerten Lieblingsspeisen des Landes. So fanatisch streng der Oberbefehlshaber auch im Dienst war, und so wenig er in diesem die geringste Ordnungswidrigkeit und Abschweifung duldete, so gern sah er es, wenn die Soldaten außerhalb desselben sich luftig machten oder nach ihren Neigungen beschäftigten.

Gerade der geringe Zwang, den der Soldat erlitt, der Schutz und die Gerechtigkeit, die er ihnen bei jeder Gelegenheit angedeihen ließ, und die Selbstverleugnung, mit welcher er jede Mühseligkeit und Strapaze wie der geringste seiner Krieger trug, waren es, die den Feldzeugmeister trotz seiner bis zur Grausamkeit gesteigerten Strenge bei dem Gros der Armee so beliebt machte.

In einem größern Gemach des Hauses, das zum Hauptquartier diente, saß ein alter Offizier im militärischen Interimsrock in bequemer Stellung, den einen Fuß über den andern geschlagen, auf der Ecke eines großen Arbeitstisches, der mit Karten, Papieren und Rapporten in strenger Ordnung bedeckt war. Obschon er bereits im Anfang der Sechziger stand, war seine Haltung, wenn er sich im Lauf des Gesprächs erhob, doch gerade und ungebeugt. Die etwas hagere, hohe Gestalt hatte sich sehr gut konserviert und an ihrer Elastizität wenig verloren. Da er blonde Haare hatte, waren selbst an diesen die Spuren des Alters weniger sichtbar und nur das von Wind und Wetter und dem Dampf der Schlachten gebräunte hagere Gesicht, dem der lange starke und fast weißblonde Schnurrbart ein etwas wildes Aussehen gab, verriet die Zeichen der Jahre und des rauhen Lebens, das der alte Offizier geführt.

Der Feldzeugmeister – denn es war der durch die Besiegung des italienischen und ungarischen Aufstandes und fast mehr noch durch seine eiserne, keine Versöhnung noch Rücksicht kennende Strenge in der Bestrafung derselben berühmt gewordene Partisan des österreichischen Kaiserhauses rauchte gemütlich aus einer dicken Meerschaumpfeife, während er sich mit einem ihm gegenüber auf dem Rohrsofa sitzenden Manne unterhielt.

Ein Offizier vom Generalstab war an einem Nebentisch eifrig mit Ausfertigung von Ordres beschäftigt, und Ordonnanzoffiziere aus den mit Adjutanten und Militärs gefüllten Nebenzimmern gingen ab und zu, mit dem expedierenden Major verkehrend.

Der Feldzeugmeister Freiherr Julius Jakob von Haynau war ein jüngerer Sohn des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen und der Frau von Lilienthal, und 1776 zu Kassel geboren, bereits 1801 in die österreichische Armee getreten, in der er alle Feldzüge derselben im Laufe des neuen Jahrhunderts mitgekämpft hatte. Im Jahre 1835 stand er als Divisionär in Italien und 1847 in Temesvár, woher ihm die Festung wohlbekannt und lieb war. Beim Ausbruch des Krieges in Italien im Jahre 1848 hatte er freiwillig dort seine Dienste angeboten und, während die Hauptarmee gegen Custozza operierte, als Kommandant von Verona durch den glücklichen Gedanken, auf eigene Hand aus der Festung in der Nacht zum 25. Juli eine Brigade nach Sommakampagna zu entsenden, bedeutend zu dem erfolgreichen Siege der österreichischen Armee beigetragen. Ohne hier weiter seine mit Blut und Schrecken gezeichnete militärische Bahn in Italien zu verfolgen, erwähnen wir nur, daß von der Belagerung Venedigs im Mai 1849 ein kaiserliches Handbillet ihn abberufen hatte, um ihn mit dein Range eines Feldzeugmeisters das Oberkommando der österreichischen Armee in Ungarn zu erteilen, und daß von diesem Zeitpunkt ab das Unglück der kaiserlichen Waffen sich wandte und ein Erfolg dem andern sich anreihte.

Der Mann, mit dem der Feldzeugmeister sich in diesem Augenblick unterhielt, war ganz das Gegenteil dieser rauhen militärischen Natur. Er war etwa dreißig Jahre, von kleiner zierlicher Gestalt, und in seinem ganzen Wesen lag etwas Geschliffenes, Höfliches und Schmiegendes. Das schmale, etwas blasse Gesicht mit den feinen Lippen, der leicht gebogenen Nase und der schmalen aber hochgewölbten Stirn zeugte von Intelligenz und der Ausdruck der Augen bewies Auffassungsgabe und Beobachtungsgeist.

»Sie können also Herrn von Manteuffel melden,« sagte der Feldzeugmeister, »daß die ungarische Revolution ihr Ende erreicht hat.«

»Erlauben Sie mir die Bemerkung, Excellenz,« erwiderte der Civilist, »daß General Klapka noch das unüberwindliche Komorn hält, und Görgey noch immer eine bedeutende Macht zu seinem Befehl hat.«

Der Feldzeugmeister stieß dichte Dampfwolken von sich und lachte ganz gemütlich. »Mein Herr Spiegelthal,« sagte er, »Sie scheinen im Anfang Ihrer diplomatischen Carriere zu stehen und haben noch manches zu lernen. Sie befinden sich jetzt seit sechs Wochen als Agent Ihres Ministers bei der kaiserlichen Armee; ich hätte Sie, beiläufig bemerkt, längst zum Teufel geschickt, wenn ich nicht eben selbst an Ihnen Gefallen gefunden und gern mit Ihnen über preußische Verhältnisse geplaudert hätte! Sollten Sie wirklich noch nicht wissen, daß wir in der ungarischen Armee sehr gute Freunde haben?«

Der preußische Agent lächelte fein. »Euer Excellenz wollen mich daran erinnern, daß in dem Kabinett des General Görgey zwei Brüder eines Ihrer Adjutanten arbeiten!«

»Teufel! Sie haben Ihre Augen besser aufgethan, als ich dachte, aber es ist jetzt gleichgültig, das Spiel ist vorbei. Ich erwarte jede Stunde die Nachricht, daß Görgey die Waffen gestreckt hat. Sie mögen dann meinetwegen nach Berlin zurückkehren und Herrn von Manteuffel erzählen, was Sie bei uns gesehen, und daß wir auch ohne preußische Hilfe fertig werden können. Vielleicht wird man es bedauern, uns das russische Bündnis aufgenötigt zu haben.«

»Euer Excellenz mögen bedenken, daß Preußen in Schleswig-Holstein, in Dresden und in Baden engagiert ist.«

»Das sind die Früchte der zweideutigen Politik, die man in Berlin getrieben hat; der Krieg in Holstein hieß nichts besseres, als die Rebellion gegen den Landesherrn unterstützen, und mit der Gesellschaft in Frankfurt hätte man von vornherein anders umspringen sollen, dann wäre es so weit nicht gekommen; Preußen mag sich gratulieren, daß die Affären so abgelaufen und beendet sind.«

So gewandt und Herr seiner selbst auch der Agent sein mochte, konnte er doch nicht ganz die Empfindlichkeit unterdrücken, welche der Angriff gegen sein Vaterland ihm erregte.

»Euer Excellenz vergessen, daß Preußen in Schleswig für deutsche Nationalität focht, und daß es in der Hand König Friedrich Wilhelms IV. lag, die deutsche Kaiserkrone zu tragen.«

Der alte General nahm erstaunt die Pfeife aus dem Mund. »Sie werden doch nicht so thöricht sein, Mann, auch nur eine Minute daran zu glauben, daß Österreich dies zugegeben hätte? Was den deutschen Nationalitätsschwindel betrifft, so mag sich Preußen hüten, da hinein zu fallen, wenn ihm seine eigene Existenz lieb ist, und es nicht einen ewigen Kampf mit der Revolution haben will. Das ist eine Hyder, deren Köpfe immer aufs neue wachsen, wenn man sie nicht beizeiten ausbrennt. Denken Sie daran, wenn Sie einmal in Ihrem Vaterlande eine Rolle spielen, und der alte Haynau längst in seinem Grabe liegt. Ein starkes Österreich und ein starkes Preußen, das ist das einzige, was ich kenne und was Bestand haben kann. Graf Brandenburg ist der Mann, der das erkennt, so gut wie wir, während Ihr Mäcen sonst ein ganz verständiger Mann, sich im stillen mit allerlei deutschen Spekulationen trägt und noch manche politische Nackenschläge ernten wird. Wie die Welt jetzt läuft, hat nur eine entschiedene Politik Aufsicht auf Erfolg, und dem Festen und Entschlossenen gehört selbst die öffentliche Meinung, das sehen Sie jetzt an Ihrem eigenen General Wrangel.«

»Ich bin seit vier Wochen ohne alle direkte Nachricht von Berlin.«

»Dann kann ich Ihnen solche geben. Der Belagerungszustand ist ausgehoben, und die Berliner Stadtverordneten, die im Herbst Ihrem rebellischen Parlament den eigenen Sitzungssaal gaben und gegen die Truppen ihres Königs marschieren wollten, wollen jetzt den General zum Ehrenbürger machen und ihm einen Degen schenken. Auf der andern Seite begnügt sich Ihre Justiz, einem Mitglied des obersten Gerichtshofes, das den Eid gegen seinen König so weit vergessen, um über den Kampf gegen königliche Truppen mit Rebellen zu beraten, einen albernen und zweifelhaften Prozeß anzuhängen, statt den Mann in irgend eine Festung zu stecken, und Ihr Polizeipräsident muß Straßenkrawalle entrieren, um nur eine Entschuldigung zu haben, die frechsten demokratischen Schreier am Kragen zu nehmen und aus der Residenz zu jagen. Konstitutionelle Freiheit! konstitutionelle Rechte! Der Henker hole das ganze Gewäsch, wenn man erst zehn Richter und Advokaten nötig haben soll, um einen meineidigen Beamten oder einer, rebellischen Schreier zur Raison zu bringen!«

Der Agent konnte ein Lächeln über diese soldatische Kritik der konstitutionellen Zustände nicht unterdrücken.

»Man ist viel zu mild mit den besiegten Rebellen in Baden umgesprungen,« fuhr der Feldzeugmeister fort. »General Hirschfeldt ist der einzige, der den Mut gehabt hat, den Leuten zu zeigen, was Hochverrätern gebührt!«

»Was ist geschehen?«

»Der General hat am letzten Juli einen der Führer der Rebellen, der schon früher flüchtig war wegen Meuterei und als preußischer Soldat dann in Baden gegen seine Landsleute focht, erschießen lassen, obschon alle Minen in Bewegung gesetzt wurden, den Hochverräter seiner Strafe zu entziehen.«

»Wissen Euer Excellenz zufällig den Namen?«

Der Feldzeugmeister nahm ein Zeitungsblatt vom Tisch. »Dortu heißt er; da, nehmen Sie es mit und lesen Sie die Nachrichten selbst. Wie es den Anschein gewinnt, hat bei den Wahlen in Preußen diesmal die konservative Partei gesiegt; was mich betrifft, so halte ich von den ganzen Kammergeschichten nicht viel und gehe als Soldat meinen Weg. Deshalb ersuche ich Sie, noch einige Tage bei uns zu bleiben, Sie werden dann genauer in Berlin erzählen können, wie der Feldzeugmeister Haynau mit den Feinden seines Kaisers verfährt!«

Ein finsterer harter Ausdruck hatte sich über das Gesicht des Feldherrn gelegt. Er hatte sich erhoben und eine Bewegung der Hand bedeutete den Agenten, daß die Audienz beendet sei. Der angehende Diplomat beeilte sich, dem Wink zu folgen, denn er konnte sich eines leichten Schauers nicht erwehren bei der unheimlichen Wendung, welche die Unterhaltung genommen. Als er durch das mit Offizieren gefüllte Vorzimmer ging, trat soeben von der andern Seite der Generalmajor Fürst Trubetzkoi und der Doktor ein.

Obschon manche äußere Ähnlichkeit zwischen beiden Agenten existierte, und beide schlaue und thätige Männer waren, trat der große Unterschied zwischen ihnen dem schärferen Beobachter sofort nahe. Während der Preuße seine Pflicht, die Mission seiner Regierung erfüllte, und sein Auge offen jedem begegnete, konnte das glatte Wesen des früheren Legionärs doch das Unheimliche und Gefährliche seines Charakters nicht ganz verbergen, und es schloß ihn zu seinem Verdruß von der offenen ehrlichen Gesellschaft der Offiziere aus, in der sich der Preuße als ein gern gesehener Gast bewegte. Auch jetzt wurde dieser von mehreren der Anwesenden freundlich begrüßt und in ein Gespräch über die Tagesereignisse verwickelt, indes der Russe mit seinem Begleiter das Zimmer des Oberbefehlshabers betrat.

Seit dem Vormittag bereits war auf Befehl des Zeugmeisters sowohl in der Festung als im Lager der Truppen ein Kriegsgericht in Thätigkeit, um über die Gefangenen, deren auch die Besatzung bei dem Ausfall auf das ungarische Lager eine ziemliche Anzahl gemacht hatte, abzuurteilen.

Es handelte sich zunächst darum, die Unglücklichen zu ermitteln, die aus der kaiserlichen Armee desertiert waren, um bei dem Heere der Rebellen Dienste zu nehmen. Bereits am Morgen waren zwei Offiziere und dreizehn Gemeine, denen die Desertion nachgewiesen war, erschossen worden. Doch auch verschiedene andere Personen, denen ein Verrat oder eine Feindseligkeit gegen die kaiserliche Sache Schuld gegeben werden konnte, oder die bewaffnet ergriffen wurden, wurden vor das jetzt permanente Gericht gestellt.

Der preußische Agent hatte mit zwei ihm bekannten Offizieren das Haus verlassen, man sprach von dem Prozeß der Gräfinnen Pálffy, der noch heute verhandelt werden sollte, als sich eine Frau durch die Soldatengruppen drängte und in das Haus einzudringen versuchte.

Die Wachen stießen rauh die Wehklagende zurück, so daß sie zu Boden fiel. Hier blieb sie liegen, rang die Hände und schluchzte laut.

Der Anblick erregte große Teilnahme, denn die Frau war jung, von großer Schönheit und gehörte ihrer Kleidung und ihrem reichen Schmuck nach offenbar zu den vornehmeren Ständen. Ihrer Tracht nach war sie eine Walachin, und das schwarze Haar umrahmte jetzt in langen aufgelösten Flechten, aus denen unbeachtet die sonst zierlich eingeflochtenen Schnüre der Goldmünzen und Perlen niederhingen, ein volles schönes Gesicht, dem selbst der Thränenstrom aus den dunklen Augen und die Blässe der Wangen den Reiz der strotzenden Frische nicht zu nehmen vermochten.

Neben der Schluchzenden und sie aufrichtend und tröstend stand ein junges Mädchen von etwa dreizehn Jahren. Die Ähnlichkeit der Gesichtszüge ließ die Schwester nicht verkennen, denn die Frau war selbst noch zu jung, als daß die andere ihre Tochter hätte sein können, obschon bei diesen Rassen eine weit frühere Entwickelung der weiblichen Reize gewöhnlich ist. Dies war auch hier der Fall und das junge Mädchen bot bei den bereits vollkommen entwickelten schwellenden Formen mit ihrem jugendlich frischen unschuldsvollen Gesicht einen lieblichen Anblick.

Es war deshalb kein Wunder, daß viele der Offiziere sich für die Gruppe interessierten, und auch der Berliner Agent und sein Begleiter traten näher. Man hatte die weinende und klagende Frau zur Seite geführt und hörte bald, daß sie die Gattin eines alten reichen Bojaren war, der sich seit mehreren Jahren in einer der Vorstädte der Festung niedergelassen hatte und für einen Anhänger der Revolution galt. Er war beschuldigt, die anrückenden Cernierungstruppen mit wichtigen Nachrichten versehen und sie unterstützt zu haben, indem bei dem ersten Gefecht in der Vorstadt selbst aus seinem Hause auf die Kaiserlichen geschossen worden war. Als die Schlacht verloren war, hatte er es vorgezogen, zurückzubleiben, um sein Eigentum zu sichern, statt mit den Geschlagenen zu fliehen, und war auf die Denunziation eines Nachbarn verhaftet und an diesem Morgen vor das Kriegsgericht gestellt worden, das ihn zum Tode verurteilt hatte.

Die Dame, seine Gattin, wollte bei dem Feldzeugmeister einen Fußfall thun, um die Begnadigung ihres Gatten zu erbitten.

Welche große Teilnahme auch die Offiziere für die weinende Schönheit empfanden, keiner wollte es wagen, die Frau zu dem Oberkommandierenden zu führen, denn jeder wußte, daß es vergeblich sein, und daß man sich nur einen strengen Verweis zuziehen werde, denn der Feldzeugmeister war im Kreise der Offiziere ebenso gefürchtet, wie bei den Soldaten beliebt.

Eine zufällige Äußerung ergab, daß der preußische Agent gerade in dem der bedrohten Familie gehörigen in dem Bombardement nur wenig beschädigten Hause seine Wohnung gefunden hatte, ohne daß die Damen ihm bis dahin zu Gesicht gekommen waren. Er erbot sich menschenfreundlich, den Versuch zu machen, ihnen Zutritt zum Feldzeugmeister zu verschaffen, oder wenn dieser sein Quartier verließ, sie zu ihm zu führen und ihre Bitte zu unterstützen; aber die eigenen Adjutanten des Generals rieten dringend davon ab und bezeichneten als einziges Mittel, sich mit der Bitte um Begnadigung an den alten Kommandanten von Temesvár zu wenden, dem überdies die Entscheidung über die Verurteilung der von der Garnison gemachten Gefangenen zunächst zustand.

Die Bojarenfrau hatte kaum gehört, daß der Mann, der Teilnahme für ihre Lage zeigte, in ihrem Hause Quartier genommen, als sie ihn mit Bitten bestürmte, sie nicht zu verlassen und ihr beizustehen, und der Preuße hatte ein härteres Herz haben müssen, als er wirklich besaß, um so schönen weinenden Augen widerstehen zu können. Er versprach, zu thun, was in seinen Kräften stehe und glaubte in der That den Weinenden einige Hoffnung geben zu können, da bei seinem Besuch des greisen Feldmarschall-Leutnants, des tapferen Verteidigers der Festung, dieser ihm besondere Freundlichkeit bewiesen hatte.

Die Dame am Arm, die mit jenem, den südlichen Charakteren eigenen raschen Wechsel der Empfindungen den kleinen Hoffnungsschimmer schon für Gewißheit ansah, drängte er sich durch das Gewühl der Soldaten und Fuhrwerke nach dem Thor der Festung.

Der Fürst mit Doktor Lazare war in das Zimmer des Feldzeugmeisters getreten, der ihnen hastig entgegenkam.

»Guten Morgen, Durchlaucht,« sagte er, dem Russen die Hand reichend, »ich ließ Sie zu mir bitten, da General Paniutin mir melden ließ, daß er unwohl sei. Zunächst aber habe ich mit diesem Herrn zu thun, der Nachrichten bringt, die für uns beide von größtem Interesse sein müssen. Ich erwartete Sie bereits diesen Morgen, Herr, und liebe eine rasche Erfüllung meiner Befehle!«

»Euer Excellenz Auftrag,« sagte der Doktor ruhig, »lautete, nur mit bestimmten Nachrichten zurückzukehren. Der Zustand der Pferde, die mich zurückgebracht, wird beweisen, daß ich die möglichste Eile angewendet habe!«

»Zur Sache, Herr! Welche Nachrichten bringen Sie?«

»Am Samstag ist ein Teil der Görgeyschen Armee in Neu-Arad auf das Armee-Korps des Feldzeugmeister Schlick gestoßen, und der Feind über den Maros nach Alt-Arad zurückgeworfen worden.«

»Das weiß ich bereits durch die Militär-Rapporte.«

»Ich traf am Freitag Abend in Arad ein. Die Stadt hat durch das ausgehaltene Bombardement gelitten und vermochte kaum die von allen Seiten herbeiströmenden Flüchtlinge und die Armee der Rebellen zu fassen. In der Nacht hatte ich meine erste Unterredung mit dem General.«

»Und das Resultat? das Resultat?«

Der Doktor zog zwei Papiere hervor und überreichte sie dem Feldzeugmeister.

»Die Abdankung Kossuths, die Diktatur Görgeys!«

Es waren in der That die beiden zu trauriger Berühmtheit gekommenen Erklärungen, die am Abend des 11. August in Arad angeschlagen wurden, die Bekanntmachung Kossuths »An die Nation!« mit unterzeichnet von den seitherigen Ministern Dekovich, Csányi und Horvath, worin er die Niederlegung der Regierung und die Bekleidung des General Görgey mit der höchsten Civil- und Militärgewalt anzeigt, und die mit den Worten schließt:

 

»Der Gott der Gerechtigkeit und Gnade sei mit der Nation!«

 

und die darauf folgende Ansprache des neuen Diktators: »Bürger! die bisherige provisorische Regierung Ungarns ist nicht mehr!«

»Erzählen Sie!«

»Die Lage der Rebellen war schlimm, der General selbst erkannte dies an. Seine ermüdeten Truppen standen bei Körös, Dembinskys zersprengte Armee mit Guyon und Bem bei Lugos, das Lager Vécseys bei Kiszetô, wie ich ihm berichten konnte, denn nur die letzten beiden stehen in Verbindung. Ich benachrichtigte ihn Euer Excellenz Auftrag gemäß, daß der Fürst von Erivan mit der russischen Hauptmacht bei Großwardein sich befinde und Euer Excellenz hier die Stellung behaupten würden. Daß Graf Rüdiger bei Kis-Jenö und Remete steht und Graf Schlick mit dem 1. Armee-Korps in Neu-Arad, wußte der General, aber es war ihm noch unbekannt, daß die in Siebenbürgen vereinigte österreichisch-russische Macht bereits auf zwei Stationen von Déva vorgerückt ist, und daß es somit keinen Ausweg für die Armee der Rebellen giebt. Er war bereits selbst mit dem Gedanken vertraut, die Waffen zu strecken, und nur der Zweifel an Kossuth war das Hindernis.«

»Weiter!«

»Ich habe den General mit den nötigen Beweisen über die Stellung und Anzahl der Truppen versehen; noch in der Nacht wurde mit Kiß und Pöltenberg unterhandelt. Der General wünschte, daß Kossuth selbst die Unterhandlung einleite, aber der Fuchs war zu schlau dazu. In dem gemischten Kriegs- und Ministerrat, der bei Anbruch des Tages gehalten wurde, ging es überaus lebhaft her, und die Herren Görgey und Kossuth haben sich gegenseitig die bittersten Dinge gesagt. Der Gubernator weigerte sich zuletzt ganz bestimmt auf seinen Namen die Verhandlungen zu beginnen, obschon er deren Unabwendbarkeit einsah. Er wollte sich auch für die Zukunft bei der revolutionären Partei nicht unmöglich machen!«

Der Feldzeugmeister lächelte. »Wir wollen ihn schon unschädlich machen, wenn er erst in unseren Händen ist!«

Der Agent zuckte die Achseln. »Ich glaube, Herr Kossuth ist von dem guten Willen Euer Excellenz überzeugt, deshalb noch am selben Tage nach Lugos abgereist und jetzt wahrscheinlich schon auf dem Weg über Orsova nach der Walachei, wenn er nicht schon die türkische Grenze überschritten hat.«

Der Feldzeugmeister stampfte wild mit dem Fuß auf den Boden. »Verflucht! aber man wird die Türken zur Auslieferung zwingen! Ein solcher Nagel darf nicht im Fleisch Österreichs bleiben! Was geschah in Arad? warum widersetzte sich Görgey nicht der Abreise?«

»Es war unmöglich ohne einen Gewaltstreich, und den durfte er nicht wagen. So blieb nichts übrig, als die Diktatur anzunehmen, die ihm der schlaue Fuchs auf den Hals geschoben. Am Sonntag Morgen wurde noch ein Scheinversuch gemacht, bei Lippa über die Maros zu setzen, dann begannen die Unterhandlungen.«

»Er hat die Bedingungen angenommen?«

»Nein, Excellenz!«

»Zum Henker! so reden Sie! was ist geschehen?«

»Die ungarische Armee, 24 000 Mann stark mit 144 Kanonen, überliefert in diesem Augenblick infolge des Vertrags von Világos bei Szöllös die Waffen!«

Der alte Feldzeugmeister schlug erfreut die Hände zusammen. »Also doch! Das ist ein Triumph der österreichischen Fahne, der durch die Welt hallen und den Herren Revolutionären den besten Stoß versetzen wird. Aber ich gönne ihn Schlick!«

Ein eigentümliches Lächeln zuckte um den Mund des Unterhändlers, und ein rascher Blick wurde zwischen ihm und dem Russen gewechselt.

»General Rüdiger wird gewiß sehr erfreut sein über diesen Erfolg.«

»Das versteht sich, das versteht sich! aber das ist Nebensache, wenn ich auch den Einfluß, den seine Stellung auf die Beschleunigung ausübt, nicht verkenne. Bringen Sie Abschrift des Vertrages?«

»General Rüdiger wird sie mit besonderem Courier Ew. Excellenz senden, ich bin nur voraus geeilt!«

»Rüdiger! Rüdiger! zum Henker, warum sendet sie nicht Schlick selbst?«

Der Agent sah den alten Feldzeugmeister mit gut geheucheltem Erstaunen an. »Entschuldigen Euer Excellenz, aber wenn der General den Vertrag geschlossen, ist er es, der Euer Excellenz die offizielle Mitteilung zu machen hat.«

»Wer hat den Vertrag geschlossen?«

»General Rüdiger in Világos!«

»Und Görgey hat die ungarische Armee übergeben …« die Stimme des alten Feldherrn war plötzlich so heiser geworden, daß die Frage halb erstickt aus der Kehle kam. Eine dunkle Röte wie bei einem plötzlichen Schlaganfall färbte das Gesicht bis über die Wurzeln der Haare.

» An die Russen

Der Feldzeugmeister machte eine Bewegung gegen den ruhig und kaltblütig vor ihm stehenden Agenten. Dann stieß er einen gotteslästerlichen Fluch aus und kehrte dem Agenten und seinem Gönner den Rücken, um sie die Bewegung nicht sehen zu lassen, die ihn bei der unerwarteten Nachricht erschütterte.

»General Görgey,« berichtete der Agent ruhig weiter, während er wieder einen Blick mit dem Russen tauschte, »richtete am Sonnabend 9 Uhr einen Brief an General Rüdiger, indem er ihm anzeigte, daß er bereit sei, sich ohne Bedingungen den Russen zu unterwerfen, daß er sich aber um keinen Preis an die Österreicher ergeben werde. Er bezeichnete dem russischen General den Marsch, den er am andern Tage nehmen werde, damit das russische Korps sich zwischen ihn und die österreichischen Truppen schieben könne; denn er sei entschlossen, sich gegen die letzteren lieber bis zum letzten Mann zu schlagen.«

Der Feldzeugmeister, den Rücken noch immer gegen die beiden gekehrt, hatte die Faust auf den Tisch gestemmt. Der Ballen, zu dem sie die vorhin von dem Agenten übergebenen Proklamationen zusammengekrampft hielt, bewies genügend die Erregung des alten Soldaten.

»Schlick hätte es thun sollen; es wäre besser gewesen, als den kaiserlichen Fahnen diese Schmach anthun zu lassen!«

»Euer Excellenz sind ohne alle Ursache unwillig,« warf der Fürst ein. »Wir sind Verbündete in diesem Kampf für einen Zweck, und es ist demnach gleichgültig, welchem von uns sich die Armee der Rebellen ergeben hat, wenn nur die Unterwerfung vollendet, und überdies unnützes Blutvergießen verhindert ist. Es ist leicht zu erklären, daß General Görgey es vorgezogen hat, sich lieber freiwillig den Russen, als gezwungen seinen bisherigen Überwindern, der tapfern Armee Euer Excellenz, zu übergeben.«

Der Feldzeugmeister verschluckte mit ziemlich saurer Miene das zweideutige Kompliment, aber er sah ein, daß er sich von seinem Groll schon zu weit hatte hinreißen lassen und versuchte, sich mit Gewalt zu bezwingen.

»Euer Durchlaucht haben im Grunde recht, es bleibt sich gleich, Russe oder Österreicher; Sie würden dieselbe Befriedigung empfunden haben, hätte es Herrn Görgey beliebt, die Waffen der Rebellion vor seinem rechtmäßigen Landesherrn zu strecken. Wahrscheinlich sind Euer Durchlaucht schon die näheren Bedingungen bekannt, unter denen dies erfolgt ist.«

»Keine Bedingung, Excellenz, die Unterwerfung ist unbedingt erfolgt,« sagte der Fürst hochmütig, ohne zu merken, daß er in eine Schlinge ging.

Der Feldzeugmeister nickte leicht mit dem Kopf und heftete auf den Agenten einen festen Blick. »Es ist, wie ich mir dachte!«

Selbst die kalte Unverschämtheit des Spions konnte vor dem ehrlichen Auge des alten Soldaten nicht Stand halten, und er errötete leicht.

»Se. Durchlaucht,« bemerkte er, »hatte die Güte, mich eine Strecke weit in seinem Wagen mitzunehmen, da meine Pferde nicht mehr weiter konnten, und ich hatte keine Ursache, ihm die gute Nachricht zu verschweigen.«

»Die Bedingungen, Herr?« sagte der Feldzeugmeister kurz.

»Se. Durchlaucht hat sie bereits gesagt, bedingungslose Unterwerfung!«

»Wie – mit 24 000 Mann hinter sich und ohne jede Bedingung, während Sie Vollmacht hatten … und seine Generale, Kiß, Pöltenberg, Schweigel, Nagy, Sándor, Aulich, Leiningen, Lenkey und wie sie heißen – sie sind doch in der Kapitulation mit einbegriffen?«

»Keiner von ihnen ist gesichert, nicht einmal die Kranken! Die Generale und Stabsoffiziere werden als Gefangene nach Arad gebracht, die in diesem Augenblick bereits entwaffneten Truppen nach Zaránd und Großwardein.«

»Das sieht ihm ähnlich! sein Ich war sein Gott!« Ein finsterer und Unheil verkündender Ausdruck zuckte über das Gesicht des Feldzeugmeisters. »Unter diesen Umständen, Durchlaucht,« sagte er zu dem Russen, »werden wir auch noch einen Anteil an dem Geschäft von Világos haben.«

Schwebte ihm vielleicht in diesem Augenblick schon jener schreckliche 6. Oktober vor, die schauerliche Vergeltung am Jahrestag für Latour?

Der Doktor zog das Paket Briefe aus der Tasche, das er im Quartier des Fürsten ausgesucht hatte.

»Erlauben Euer Excellenz, nachdem ich meinen Rapport beendet habe, Ihnen noch einige Schriften zu übergeben, die durch Zufall in meine Hände gelangt sind.«

»Was ist's?«

»Briefe des Minister-Präsidenten Grafen Batthyányi, des flüchtigen Gubernators und mehrerer anderen an der Revolution beteiligten Personen an die Gräfin Pálffy!«

Der Feldzeugmeister riß ihm die Papiere aus den Händen. »An die nichtswürdige Rebellin, die schon wegen des Mordes einer Schildwach angeklagt ist? Wir wollen es den Weibsbildern austreiben, Revolution zu spielen! Es ist gut, daß Sie mich daran erinnern, man hat ja wohl Ihres Zeugnisses wegen die Abhaltung des Kriegsgerichts über einige Spione verschoben?«

Der Doktor verbeugte sich.

»Geben Sie die Liste der Angeklagten her, Waldkirch!«

Der Major vom Generalstab, der im Gemach des Feldzeugmeisters arbeitete, überreichte diesem ein Papier, eine lange Reihe von Namen. Hinter verschiedenen war ein kurzer Vermerk eingeschaltet, daß und zu welcher Strafe sie bereits verurteilt wären, einige waren durchstrichen, zum Zeichen, daß das Urteil schon vollstreckt sei.

»Lassen Sie dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts der Garnison anzeigen, daß er sofort die Sache der Gräfinnen Pálffy und ihrer Genossen vorzunehmen habe. Ich wünsche der Verhandlung beizuwohnen und werde in einer halben Stunde dort sein. Entschuldigen Sie mich bis dahin, Durchlaucht, da ich noch einige Ordres zu erteilen habe. Sie, mein Herr, werden sich sofort bei dem Auditeur des Gerichts melden.«

Der Generalmajor empfahl sich und verließ, von dem Agenten begleitet, die Wohnung des Feldherrn. Auf dem Wege zu dem erkrankten Kommandierenden des russischen Korps, dem der Fürst einen Besuch und Bericht abstatten wollte, hatten die drei Verbündeten Zeit, ihre Pläne weiter zu besprechen. Nicht der am wenigsten boshafte Teufel dabei war die kleine Zigeunerin.

Das Kriegsgericht der Garnison hielt seine Sitzungen in einer der Kasematten, die der Vorstadt Mihala am nächsten liegen. Wie bereits erwähnt, waren im Lauf des Tages mehrere Urteile gesprochen worden.

Man hatte den Grafen Stephan, dessen Identität bisher durch das Schweigen aller Beteiligten verborgen geblieben war, aus dem Lazarett herbeigeschafft, in das man ihn seiner Verwundung wegen gebracht. Die Kugel Lazares hatte ihn unterhalb des Knies getroffen, und obschon der Zustand der Wunde sich nach dem Verband gebessert, konnte er doch nicht aufrecht stehen und mußte auf einem Sessel herbeigebracht werden.

Es war das erste Mal seit dem verhängnisvollen Befreiungsversuch, daß er die Geliebte wiedersah. Sein Antlitz war bleich und erschöpft, nicht sowohl von dem Blutverlust und den Schmerzen der Wunde, als von der Sorge um die Frauen und von dem Kummer über den Fall der Sache, der er sein Leben geweiht; denn der Ausgang der Schlacht war den Gefangenen nicht verborgen geblieben. Damit war natürlich jede Hoffnung auf eine Befreiung durch seine Freunde verloren.

Thamas, der Gefangene aus der wilden Freischar des Betyáren, hatte treu bei seinem vornehmern Unglücksgefährten ausgehalten und ihn mit aller Aufopferung seiner rohen Natur gepflegt. Er wußte, daß der Verwundete ein Freund seines Hauptmanns war und hätte sich daher eher in Stücke reißen lassen, als daß er etwas gesagt oder gethan hätte, was jenem zum Nachteil sein konnte. Um das eigene Leben war er ziemlich unbekümmert. Auch jetzt stand er, nachdem ihm die Fesseln abgenommen, neben dem Stuhl des Grafen und bemühte sich, ihm einige Erleichterungen zu verschaffen.

Das versammelte Kriegsgericht hatte soeben zwei Überläufer aus der Festung, die am Tage nach der Schlacht in den Wäldern gefangen genommen und von einigen Kameraden erkannt worden waren, zum Tode verurteilt, als das Klirren der präsentierten Gewehre und das Rasseln der Säbel die Ankunft mehrerer hoher Offiziere verkündete. Es war der Feldzeugmeister selbst, der nach einem kurzen Besuch bei dem greisen Kommandanten mit diesem und mehreren Stabsoffizieren in den Kasematten erschien, um den Verhandlungen beizuwohnen.

Die Nachricht, daß das Schicksal zweier vornehmen ungarischen Damen verhandelt werden sollte, die nicht allein die Offiziere der Garnison als ihre Leidensgefährten während der Belagerung, sondern auch viele Offiziere der Armee aus früheren Verhältnissen her kannten, hatte eine überaus zahlreiche Zuhörerschaft zu den Verhandlungen gezogen.

Der Feldzeugmeister in Begleitung des greisen Festungskommandanten Feldmarschallleutnant Ruckowina, dessen Äußeres jetzt auffallend die Spuren der überstandenen Leiden und Sorgen zeigte, betrat, kurz die Mitglieder des Gerichts grüßend, die Halle und nahm zur Seite des oberen Endes der Tafel Platz.

Auf den Befehl des Vorsitzenden wurde jetzt Graf Stephan in seinem Stuhl näher herbeigeschoben und sein Gefährte neben ihn gestellt. Zugleich traten in Begleitung eines Offiziers und mehrerer Wachen die beiden Gräfinnen ein.

Das Gesicht der älteren Dame zeigte die Spuren der Aufregung und der wechselnden Stimmungen, während das ihrer Tochter kalt und entschlossen blieb. Nur als sie den Geliebten erblickte, färbte ein höheres Rot ihre Wangen, und sie wäre auf ihn zugeeilt, wenn die Wache nicht dazwischen getreten wäre. So vermochten sie nur durch die Augen die Versicherungen der Treue und des Vertrauens zu wiederholen, denn die Komteß war durch die anonyme Warnung bestimmt, alles zu vermeiden, was den Namen und Rang des Gefangenen verraten konnte.

Der Auditor wollte den Damen Sessel anbieten, aber ein Zeichen des Feldzeugmeisters ließ ihn davon abstehen.

Die Anklage war kurz und schlagend. Sie ging darauf hinaus, daß sich die beiden Ungarn, verkleidet in österreichische Uniformen, als Spione in die Festung geschlichen und mit den Gefangenen Verbindungen zu deren Befreiung angeknüpft hätten, die nur durch zufällige Entdeckung verhindert worden sei. Die Uniformen, die der Graf und der Honved trugen, sprachen zu deutlich für die Absicht der Spionage und Täuschung, um eine andere Ausrede zuzulassen. Die Anklage beschuldigte überdies die beiden Gefangenen der Ermordung der Schildwache und die beiden Gräfinnen der Teilnahme an diesem Verbrechen.

Der Präsident wandte sich an die beiden Ungarn, zunächst an den Grafen.

»Angeklagter, Euer Name?«

»Stephan!«

»Ich verlange Euren vollständigen Namen,« wiederholte der Präsident.

Der Ungar zauderte einen Augenblick, bevor er antwortete, sein Stolz sträubte sich gegen die Verleugnung, aber ein bittender Blick der Geliebten bewog ihn zu der Antwort:

»Ich heiße Stephan, dies kann genügen!«

»Und Ihr?«

»Tamas, Herr! Man nennt mich gewöhnlich den Einäugigen.

»Ihr gesteht zu, in der Armee der sogenannten provisorischen Regierung gegen die kaiserlichen Truppen gedient zu haben?«

»Ich bin Soldat in der Armee meines Vaterlandes!« sagte der Graf fest.

»Es liegt der Verdacht vor, daß beide Angeklagte Spießgesellen des berüchtigten Räubers Rózsa Sándor sind, der in der Armee der Rebellen eine Freischar unterhielt, und daß dieser selbst in der Festung und der dritte war, welcher bei dem Versuch, heimlich sie wieder zu verlassen, betroffen wurde, aber unglücklicherweise durch seine Verwegenheit entkommen ist. Ich frage die Angeklagten, ob dem so ist?«

Der Einäugige schwieg trotzig, auch der Graf gab keine Antwort.

»Die Angeklagten verweigern die Antwort,« fuhr der Vorsitzende fort, »aber wir haben einen Zeugen, der den Räuberhauptmann erkannt hat. Zu welchem Zweck seid Ihr in die Festung gekommen?«

Der Betyár war, wie sein Hauptmann von ihm gerühmt, nicht ohne Schlauheit. Er erklärte, daß er desertiert sei und gar nicht den Willen gehabt habe, die Festung wieder zu verlassen. Nur durch Zufall sei er mit den Fremden zusammengetroffen und bewogen worden, ihnen den Weg zu zeigen. Ebenso wenig wollte er von der Ermordung der Schildwache wissen, und beteuerte, diese müsse von dem Entkommenen verübt worden sein.

Aber der Umstand, daß man ihn in dieser Gesellschaft gefunden, daß er bewaffnet war und den Fluchtversuch gemacht hatte, wog zu schwer gegen ihn.

Der Vorsitzende wandte sich aufs neue an den Verwundeten. Das feste männliche Wesen, seine Sprache, die deutlich einen ganz andern Stand und Bildungsgrad verriet, als sein Gefährte besaß, waren nicht ohne Einfluß auf die Mitglieder des Gerichts geblieben.

»Angeklagter Stephan, wie Sie sich nennen, können Sie beweisen, daß Sie als Deserteur in die Festung gekommen sind?«

Das bleiche Gesicht des Verwundeten rötete sich bei der gutgemeinten Frage. »Ich bin ein Ungar, Herr,« sagte er stolz, »und werde nie die Fahne meines Vaterlandes verlassen!«

»Sie kennen das Schicksal, das ein Spion zu erwarten hat?«

»Ich bin weder Deserteur noch Spion.«

»Die Verkleidung, die Sie noch tragen, spricht gegen Sie. Sie sind unter ihrem Schutz heimlich in die Festung gedrungen und geben selbst zu, daß dies nicht geschehen ist, weil Sie sich als Deserteur melden wollten. Sie haben hier verräterische Verbindungen angeknüpft und sind dabei betroffen worden, wie Sie die Festung heimlich wieder verlassen wollten. Die Kriterien der Spionage treffen vollkommen zu.«

»Mein Zweck war, diese Damen, die man widerrechtlich gefangen hielt, zu befreien,« sagte fest der Graf. »Daß ich nur unter dem Schutz einer Verkleidung hoffen konnte, dies auszuführen, liegt nahe. Ich weise den Verdacht, ein Spion zu sein, mit Verachtung zurück.«

»Was veranlaßt Sie, vorausgesetzt, daß Ihre Erklärung richtig, für die Gefangenen Ihr Leben zu wagen?«

Der junge Mann schwieg einige Augenblicke, dann sagte er mit einem Blick auf die Komteß ruhig: »Die Belohnung, die mir dafür geworden wäre!«

Es war vielleicht keiner unter den anwesenden Offizieren, der nicht den Doppelsinn der Antwort empfand und überzeugt war, daß der Angeklagte einem höheren Stande angehörte, aber der ritterliche Geist der Ehre unterdrückte jede Bemerkung und steigerte die Teilnahme für den Ungar.

»Zur Befreiung der beiden Gefangenen,« fuhr der Vorsitzende fort, »ist die Schildwache vor der Stabskaserne in ihrem Dienst ermordet worden. Sie werden der That beschuldigt.«

»Die Schildwache,« sagte der Graf mit Bestimmtheit, »ist nicht von meiner Hand gefallen, sondern von der meines Gefährten, der glücklicherweise aus dem Bereich Ihrer Macht ist. Ich kann und will meine Kenntnis der That nicht leugnen, aber ich protestiere dagegen, daß man sie als Mord bezeichnet. Der Soldat war bewaffnet und in seinem Dienst, und die Aufhebung oder Tötung eines bewaffneten feindlichen Postens kann im Krieg unmöglich als Mord gelten. Ich bin als Feind in die Festung gekommen und habe als solcher gehandelt.«

Der Feldzeugmeister unterbrach hier zum erstenmal die Verhandlung, der er bisher mit finsterer Miene, aber nicht ohne Interesse beigewohnt hatte. »Wer verkleidet in das Lager des Feindes sich schleicht,« sagte er hart, »hat damit den Anspruch aufgegeben, als Soldat behandelt zu werden, wenn überhaupt das Anrecht eines Rebellen auf solche Behandlung anerkannt werden könnte. – Fahren Sie fort!«

Die Verhandlung nahm rasch ihren weiteren Verlauf, in dem nach einem kurzen Verhör der beiden Frauen die Zeugen gegen die Angeklagten vorgefordert wurden.

Zwei der Offiziere, die den Kommandanten bei der nächtlichen Runde begleitet hatten, bekundeten die Vorgänge dabei und die offenbare Absicht der Gefangenen, die Festung heimlich zu verlassen. Ebenso wurde die Tötung der Schildwache konstatiert; die Angeklagten hatten überdies gar nicht versucht, ihre Teilnahme daran zu leugnen. Dagegen weigerten sie sich, auch die Frauen, auf das Bestimmteste, irgend eine Angabe über ihre Vertrauten und Helfershelfer in der Stadt zu machen. Denn daß sie diese gehabt, und der Plan einer Flucht schon lange im Werke gewesen war, wurde durch mehrere Brieffragmente bewiesen, die man bei der genauen Durchsuchung der Zelle der beiden Frauen aufgefunden hatte. Die bisherige Aufwärterin, auf die der natürliche Verdacht fiel, konnte nicht vernommen werden, da das Weib am Tage des Entsatzes der Festung vom Typhus befallen worden war und hoffnungslos darniederlag.

Der letzte Zeuge, der gefordert wurde, war der Agent Doktor Lazare. Schon der Aufruf des Namens rief trotz aller Selbstbeherrschung in dem Verwundeten Zeichen der inneren Bewegung hervor; als er aber dem eintretenden Feinde entgegenblickte, zuckte er plötzlich zusammen, denn hinter dem Agenten folgte, auf seinen Stock gestützt, ein Mann in russischer Generalsuniform, sein Feind und Nebenbuhler, der Fürst Trubetzkoi.

Der Ungar wandte sich unwillkürlich nach der Seite, wo die Komteß, seine Verlobte, stand, als wolle er sie auf die Gefahr aufmerksam machen; aber die dunkle Röte, die das abgehagerte Gesicht des Mädchens überzogen hatte, bewies ihm hinlänglich, daß auch sie den beiderseitigen Feind erkannt hatte. Wußte sie das doch um so eher, da sie erst vor wenig Monaten seiner brutalen Verfolgung begegnet war.

Der Feldzeugmeister hatte dem Russen an seiner Seite Platz gemacht; der Fürst setzte sich und betrachtete durch sein Lorgnon mit kalter unveränderter Miene die Versammlung.

Auffallender Weise zeigte sein Gesicht nicht das geringste Zeichen des Erkennens, als sein Auge auf dem Angeklagten ruhte.

Der Doktor, befragt, erklärte, daß er den ersten Angeklagten bei der Begegnung, als er selbst sich zur Überbringung der Nachricht heimlich in die Festung geschlichen hatte, sofort als ein Mitglied der Revolutionsarmee und als einen Gefährten des berüchtigten Freischarenführers Rózsa Sándor, des Betyáren, erkannt habe, mit dem er bei wiederholten Gelegenheiten zusammen getroffen sei. Zum Erstaunen des Grafen vermied er auch jetzt, seinen Stand und Namen zu nennen, ja, er erklärte auf Befragen, ihn nicht zu erkennen.

Der Gedanke, diesem Menschen, seinem Feinde, eine Art von Schutz oder Beistand verdanken zu sollen, war peinigender für ihn als der an die Gefahr, und mehrmals war er in Versuchung aufzuspringen und sich selbst anzugeben, aber das bittende, warnende Auge der Frauen hielt ihn stets aufs neue zurück.

Das Zeugenverhör war geschlossen, und der Auditeur schickte sich an, die Anklage zusammenzufassen, als der Feldzeugmeister sich erhob.

»Einen Augenblick, Herr,« sagte er ernst. »Ich habe dem Gericht diese Briefe zu übergeben, die an die Gräfin Pálffy gerichtet sind auf die Anklage und das Urteil von Einfluß sein müssen. Die Anklage erstreckt sich demnach nicht bloß auf den Fluchtversuch und die Teilnahme an der Ermordung der Schildwache, sondern auf Hochverrat!«

Die Gräfin vermochte sich nicht zu beherrschen, ein Ausruf des Schreckens entfuhr ihr bei dem Anblick der Briefe. Das Gesicht ihrer Tochter ward bleich, aber aus ihrem Auge und den fest zusammengepreßten Lippen leuchteten Stolz und Entschlossenheit.

Welche unverkennbare Bewegung der Teilnahme auch in der Versammlung an dem Geschick der beiden Frauen bei dieser neuen Wendung ihrer Lage sich zeigte, das Gericht mußte seiner Pflicht gehorchen, und nach einer kurzen Prüfung der Briefe legte der Vorsitzende der Gräfin die Schriften vor mit der Frage, ob sie dieselben erkenne.

Eine Ableugnung war nicht möglich; außer mehreren Briefen, die von den Führern der Revolution an sie selbst geschrieben waren, lagen zwei Konzepte von ihrer eigenen Hand zu Schreiben vor, die sie an den ältern Batthányi gerichtet hatte. Auf ihren Rang vertrauend, leugnete die Gräfin auch keineswegs. »Ich weiß nicht, auf welche Weise man diese Briefe uns gestohlen hat,« sagte sie hochmütig, denn sie erinnerte sich nicht, daß die Komteß sie mit nach Enyád genommen hatte, »aber ich protestiere dagegen, daß man die Privatkorrespondenz zweier Frauen benutzen will, um sie anzuklagen.«

»Diese Briefe, Madame,« sagte der Vorsitzende, »sind an Sie allein gerichtet.«

Die Komteß erhob sich. »Das ist falsch, Herr,« sagte sie heftig. »Diese Briefe gelten mir, wie meiner Mutter, und wenn man niedrig genug ist, sie gegen uns zu benutzen, so will ich die Schuld teilen. Wenn es ein Verbrechen ist, daß die Frauen Ungarns das Herz ihrer Söhne und Brüder ermutigt haben zu dem heiligen Kampf für die Rechte und die Freiheit des Vaterlandes, daß sie ihr Hab und Gut für den großen Zweck hingegeben, so habe ich das Verbrechen begangen, und mich mögen Sie richten!«

»Ihr Vater, Komteß,« sagte der alte Kommandant der Festung, »war ein treuer Diener des Kaisers.«

»Des Königs von Ungarn, Herr, wollen Sie sagen; denn nur diesem hat ein Pálffy gedient,« entgegnete die Komteß mit stolzem Hohn. »Ich protestiere gegen das Gericht in meinem und meiner Mutter Namen. Wir gehören zu den Magnaten dieses Landes und können nur von der Magnatentafel des Hochverrats angeklagt werden. Sie können uns ermorden, wie Sie uns widerrechtlich gefangen gehalten haben, aber nicht richten!«

Die Ungarin stand hoch aufgerichtet, die Augen auf die Offiziere geheftet; selbst die Feinde ihrer Sache konnten dem jungen, nach so vielen Leiden ungebeugten Mädchen ihre Bewunderung nicht versagen.

Der Fürst betrachtete sie durch das Lorgnon. »Beim Teufel! sie ist wirklich schön! – Schade …«

Mit begeistertem Blick schaute der Graf, ihr Verlobter, auf sie; was war der Tod, wenn er erlitten wurde für sie und das Vaterland!

Auch der Feldzeugmeister hatte sich erhoben, der heroische Trotz des Mädchens schien seine schlimme Laune noch zu vermehren.

»Machen Sie ein Ende mit der Närrin,« sagte er hart. »Wir haben keine Zeit, uns mit toll gewordenen Weibern zu streiten, die an den Kochherd oder in die Kinderstube gehören, nicht in den Kampf der Männer. Lassen Sie die Angeklagten abtreten und sammeln Sie die Stimmen!«

Der Vorsitzende des Gerichts gab das Zeichen, die Angeklagten abzuführen; auch die Zuhörer verließen den unheimlichen Raum.

Am Ausgang reichte die Komteß ihrem Verlobten die Hand.

» Fideliter et fortiter!« sagte sie, an den Wahrspruch ihres Hauses erinnernd.

» Usque ad mortem!«

Die Wachen trennten sie.

Hinter der Gräfin stand plötzlich der Fürst Trubetzkoi. »Es ist eine schlimme Lage, Madame, in die Sie sich verwickelt,« sagte er auf französisch. »Sie sehen, daß Sie besser gethan hätten, sich meinem Schutz anzuvertrauen. Aber ich bin nicht rachsüchtig, was ein alter Freund thun kann, soll geschehen.«

Sie faßte unruhig seinen Arm. »O Fürst, wir rechnen auf Ihren Schutz! Sie waren ein Freund meines Gatten, Sie müssen Ihren Einfluß aufbieten, uns dieser abscheulichen Haft endlich zu entziehen.«

Der Russe sah sie groß an. »Sie fürchten weiter nichts, Madame? Ich besorge, Sie täuschen sich über Ihre Lage?«

»Aber was kann man uns thun? Wir sind Frauen, die Gräfinnen Pálffy, wir gehören zu dem ersten Adel des Reichs. Mon Dieu! man wird doch nicht wagen …«

»Der Feldzeugmeister ist ein Mann, der keine Rücksichten kennt,« sagte kalt der Russe. »Ich fürchte, Sie müssen sich auf das Schlimmste gefaßt machen. Es giebt nur ein Mittel …«

»Ich beschwöre Sie – welches? O verlassen Sie uns nicht, Sie sind der einzige Freund, den wir hier haben.«

»Ich werde in einer Stunde bei Ihnen sein, wenn ich die Erlaubnis dazu erhalte.« Der Russe machte eine Verbeugung – denn eben trat die Komteß Cäcilie zu ihrer Mutter – und zog sich, ohne diese anzusprechen zurück.

Erst jetzt, durch die Selbstanklage ihrer Tochter, erfuhr die Gräfin, daß die verhängnisvollen Briefe, die sie in ihrer Wohnung in Pest zurückgelassen zu haben glaubte, wahrscheinlich in Enyád in die Hände der Feinde gefallen und auf irgend eine Weise an den österreichischen Oberbefehlshaber gekommen sein mußten. Obschon Komteß Cäcilie offen den Verdacht aussprach, daß der Fürst aus Rache für die abgewiesene Bewerbung dabei die Hand im Spiele gehabt haben dürfte, verteidigte ihn die Gräfin heftig, ja sie ging so weit, im Egoismus ihres Charakters dem unglücklichen Mädchen die heftigsten Vorwürfe zu machen, daß sie vor der Flucht aus ihrem Hause in Enyád in jener entsetzlichen Nacht nicht die gefährliche Korrespondenz vernichtet hätte, und maß ihr alle Schuld an ihrem Unglück zu.

Schweigend hörte das Mädchen die Vorwürfe der Mutter an, ihr Kopf zermarterte sich mit dem Gedanken, wie die drohende Gefahr des Geliebten abzuwenden sei; an die eigene dachte sie nicht.

Die Beratung der Mitglieder des Kriegsgerichts dauerte ungewöhnlich lange, während mit jeder Minute die folternde Spannung der Bedrohten wuchs. Es mochte fast eine halbe Stunde vergangen sein, als der diensthabende Offizier erschien, um die beiden Frauen in das Gerichtszimmer zurückzuführen.

Der Graf und sein Gefährte waren bereits dort, die Augen der Verlobten begegneten sich, sie sprachen einander gegenseitig Mut ein.

Die Gesichter der Beisitzer waren ernst und feierlich, mit ungewöhnlicher Teilnahme hatten sich hinter den Angeklagten Offiziere und Soldaten in das Gemach gedrängt. An dem oberen Ende des Tisches saß jetzt der Feldzeugmeister; seine Miene war eisern und finster, der lange weiße Schnurrbart zuckte unheimlich auf und nieder.

Der Vorsitzende des Gerichts erhob sich und verlas das Urteil. Es war kurz und lautete:

Gegen den Honved Stephan, überführt, als Spion verkleidet in die Festung gekommen zu sein, an einem Befreiungsversuch von Gefangenen und der Ermordung einer kaiserlichen Schildwache teilgenommen zu haben, mit allen gegen eine Stimme auf den Tod durch den Strang; gegen den Honved Tamas desgleichen.

Gegen die Gräfin Cäcilie Pálffy wegen Einverständnisses mit den Feinden der kaiserlichen Regierung und offenkundiger hochverräterischer Gesinnung auf Verbannung.

Gegen die Gräfin Anna Pálffy wegen Hochverrats und Unterstützung des Feindes auf Konfiskation ihrer Güter, lebenslängliches Gefängnis und«

Der Vorlesende hielt einen Augenblick inne, als bedrücke auch ihn das Schreckliche des Urteils.

»Fahren Sie fort!« sagte der Feldzeugmeister mit Strenge.

»Auf Befehl Seiner Excellenz des Oberkommandierenden der Kaiserlich Königlichen Armee in Ungarn, General-Feldzeugmeisters Freiherr v. Haynau, zur Warnung und zum Exempel für jedermann, auf Empfang von dreißig Rutenhieben auf einem öffentlichen Platze des Lagers Kaiserlich Königlicher Truppen vor der Stadt Temesvár.«

Der Graf hatte mit Fassung und schweigend das fast unvermeidliche ihn betreffende Urteil angehört; sein Auge ruhte auf der Verlobten, die krampfhaft die Hand auf ihr Herz gepreßt hielt; als der Vorsitzende des Gerichts jedoch den infamierenden, von dem General-Feldzeugmeister diktierten Zusatz der harten Strafe der Gräfin verkündete, und diese mit einem gellenden Aufschrei ohnmächtig zusammenbrach, sprang er trotz seiner Wunde empor, als wolle er sich auf die Beisitzer des Gerichts und den Feldherrn selbst stürzen.

»Feiger Tyrann! An dem Mann räche Dich, der Deinen Henkern Trotz bietet, nicht an Frauen! Wer giebt Dir das Recht, den Namen Pálffy zu beschimpfen, der in Ungarns Geschichte glänzte, ehe Deine Bastardväter deutsche Erde entehrten!«

Die Wachen rissen den Erbitterten zurück, während der Feldzeugmeister mit eherner Ruhe die Feder dem Feldmarschall-Leutnant Ruckowina reichte, der als Kommandant der Festung das Urteil des Gerichts zu unterzeichnen hatte; nur an der fliegenden Röte auf seiner Stirn hätte ein Kundiger bemerken können, daß der bittere Hohn des Ungars getroffen.

»Lassen Sie die Gefangenen fortbringen und das Urteil morgen früh vollstrecken,« sagte er kalt. »Sie sehen, daß ich warte, meine Herren!«

Die letzten Worte galten den Beisitzern des Gerichts, da noch über mehrere Angeklagte zu entscheiden war. Einer der Offiziere des Gerichts trat zu den Gefangenen. »Führen Sie die Damen fort,« sagte er zu dem Profoß, »und sorgen Sie dafür, daß ihnen Beistand und milde Behandlung zu teil wird, bis Sie weitere Befehle erhalten. Die Gefangenen werden in ihr Gefängnis zurückgebracht, und jeder billige Wunsch möge ihnen erfüllt werden.«

Während die Gräfin, noch immer ohnmächtig, hinausgetragen wurde, drängten die Wachen die beiden zum Tode Verurteilten nach der Thür. Noch einmal wandte sich der junge Graf an dieser zurück in das Gemach.

»Bastard von Hessen! blutiger Schlächter von Brescia,« rief er mit schneidender Stimme, »Du magst die Söhne der Freiheit morden, aber die Freiheit selbst ist nicht in Deiner Mörderhand! Blutdürstiges Werkzeug der Tyrannei, mögst Du, ehe ein Jahr vergeht, von denen selbst verraten und verstoßen sein, für die Du jetzt das edelste Blut des Landes vergießest! Freiherr von Haynau, ich lade Dich vor den Richterstuhl Europas, vor den Thron Gottes, ich, Stephan von …«

Eine Hand legte sich auf seinen Mund und schob ihn mit Gewalt aus dem Gemach. »Wollen Sie sich der letzten Aussicht auf Rettung berauben, Graf,« flüsterte die Stimme des wackeren österreichischen Offiziers. »Glauben Sie, wir hätten Sie nicht erkannt, sofort, und wüßten nicht, daß Sie nicht als Spion und nur um der Befreiung der Gräfin willen in die Festung gekommen sind? Aber der Wille des Feldzeugmeisters ist schwer zu ändern und wenn er wüßte, daß Sie den gefährlichen Namen tragen, vermöchte nichts in der Welt Sie zu retten. Noch ist nicht alle Hoffnung verloren, darum verhalten Sie sich ruhig!«

Der Gefangene reichte ihm die Hand. »Gott vergelte Ihnen, Kamerad, aber was Sie thun wollen, geschehe nicht für mich, sondern für die unglücklichen Frauen, und unter dem Galgen wird Stephan Batthyányi es Ihnen noch danken!« – – – – – – – – – –

Der Fürst Trubetzkoi ging in eifrigem Gespräch mit dem Agenten und der ihn mit ihrem launenhaften tyrannischen Charakter beherrschenden Maitresse auf dem Glacis auf und nieder. Er berichtete ihnen eben den Erfolg seiner Unterredung mit der älteren Gräfin.

Der Fürst hatte es einzurichten gewußt, sie allein zu sprechen.

Als er sie um eine Unterredung bitten ließ, stürzte sie ihm in Schrecken und Thränen aufgelöst, entgegen; all ihr Stolz, all ihr Mut war gebrochen vor dem unbarmherzigen Urteil des Feldzeugmeisters, und sie klagte in einem Atem ihre Tochter, deren unglücklichen Verlobten, und die ungarische Armee an, die sich habe schlagen lassen, statt sie zu befreien. Dann bat sie den Fürsten um Verzeihung, daß sie ihm nicht in Enyád vertraut, und forderte im nächsten Augenblick mit Ungestüm, daß er sie als ein Freund ihres Mannes gegen die Barbarei der Österreicher schützen sollte.

Der Fürst kannte ihren hochfahrenden und doch wieder haltlosen Charakter und ließ den ersten Sturm ruhig vorübergehen. Dann aber erklärte er ihr, daß es außer seiner Macht sei, gegen das gefällte Urteil zu protestieren, und daß der Charakter des Feldzeugmeisters viel zu unbeugsam, seine Strenge gegen die Revolution und alles, was mit ihr zusammenhing, viel zu bekannt sei, als daß er mit der geringsten Aussicht eine Bitte versuchen könne.

Die unglückliche, an jeden Luxus gewöhnte Frau lag auf der Bank des Gemachs, in das man sie gebracht, und rang verzweifelnd die Hände.

»Es hätte vielleicht einen Weg gegeben, gnädige Frau,« sagte der Russe, der den Jammer der Unglücklichen mit innerer Schadenfreude betrachtete, »um Sie und die Komteß diesem beklagenswerten Schicksal zu entziehen, aber ich kann nicht erwarten, daß Sie das Ihnen Verhaßte wählen werden, und ich selbst darf mich nicht einer neuen Demütigung aussetzen.«

Die Dame hob die Hände zu ihm empor, sie wäre ihm fast zu Füßen gefallen bei der geringsten Hoffnung, die sich ihr bot.

»Fürst, ich beschwöre Sie, reden Sie! sprechen Sie! es kann kein Mittel geben, das ich nicht mit ewiger Dankbarkeit ergreifen würde.«

»Sie wollen sich erinnern, Madame, daß der Fürst Trubetzkoi einst sich die Ehre gab, um die Hand Ihrer Tochter anzuhalten, und daß Sie es waren und die Komteß, die seine Bewerbung gegen den Willen Ihres Gatten verschmähten!«

»Ich war thöricht! man hat mich betrogen, Fürst, man hat mich mit Gewalt in die Intriguen der Batthyányis hineingezogen und mich gegen Sie eingenommen!«

»Dem Fürsten Trubetzkoi,« fuhr der Versucher fort, »der für ihm bekannte Damen, die ihn selbst einst schwer beleidigt, um Gnade bittet, hat man ein Recht diese zu verweigern, aber …«

»Sprechen Sie, ich beschwöre Sie!«

»Kein österreichischer General, und sei er noch so hoch gestellt, wird es wagen, die Gemahlin des russischen Generalmajors Fürsten Trubetzkoi, eines kommandierenden Offiziers der verbündeten Truppen, im Gefängnis zu halten oder seine Schwiegermutter peitschen zu lassen!«

Die Gräfin starrte ihn an, ängstlich zweifelnd …

»Wie Fürst, Sie wollten …«

»Ich weiß, was ich dem Andenken Ihres verstorbenen Gemahls schuldig bin. Man hat mich schwer gekränkt, ich danke einem Gliede Ihrer Familie eine böse Wunde, aber es ist das einzige Mittel, Sie zu retten!«

»Aber Cäcilie, sie ist die Verlobte des Grafen Stephan, den Sie erkannt haben müssen und nur aus Edelmut geschont haben, – sie liebt ihn!«

»Ich kenne nur den Honved Stephan, Madame,« sagte der Fürst kalt, »der als Spion zum Tode verurteilt worden ist und ihn ohne Zweifel erleiden wird. Die erste Pflicht einer Tochter ist, dem Wohl ihrer Eltern die eigenen Wünsche zu opfern. Überdies …«

Die Gräfin sah ihn fragend an, es konnte kein Zweifel mehr sein, daß ihr Widerstand gebrochen war, und sie nur noch einen Vorwand suchte, das Opfer nicht allein um ihrer selbst willen zu fordern.

»Überdies,« fuhr der Fürst fort, »ist es das einzige Mittel, Ihrer Familie ihre Besitzungen zu erhalten, die das österreichische Gouvernement sonst unnachsichtlich konfiszieren wird. Sie wissen, daß die Finanzen in Wien ein unersättlicher Schlund sind, dem jede Gelegenheit willkommen. Wollen Sie Komteß Cäcilie als Bettlerin in die Welt hinausstoßen?«

Die Gräfin war entschieden; sie reichte ihm die Hand. »Ich erkenne ganz das Großmütige Ihres Anerbietens,« sagte sie. »Möge meine Tochter imstande sein, Ihnen einigermaßen diese Freundschaft zu vergelten.«

»Aber wird Komteß Cäcilie einwilligen? Sie selbst sagten mir, daß sie den jungen Grafen Batthyányi liebt.«

»Den Bettler! den Rebellen, der uns in all das Unglück gestürzt hat! Möge er seinen Lohn erhalten! ich kümmere mich nicht mehr um ihn,« rief die Gräfin, sich rasch in eine künstliche Erbitterung hineinarbeitend. »Sie müßte eine Undankbare, eine Wahnsinnige sein, sie verdiente meinen Fluch, wenn sie einen Augenblick zögern könnte, ihre unglückliche Mutter und sich selbst zu retten. Lassen Sie uns sogleich zu ihr gehen, sie soll meinen Willen hören.«

Der Fürst hielt sie zurück. »Um des Himmels willen nicht, meine Beste, das hieße alles verderben. Sie wissen, daß die Komteß ein Vorurteil gegen mich hegt, und ich will meine ehrliche Werbung nicht nochmals einer schnöden Zurückweisung aussetzen. Darum ist es unbedingt nötig, daß Sie zuvor mit ihr sprechen und sie bestimmen. Sie wissen, Gräfin, es handelt sich um eine entsetzliche Schmach, und wenn Komteß Cäcilie einen Funken Liebe für Sie hat …«

»Ich werde mit ihr reden! Sie wird ihre Mutter retten vor dieser Schmach. Ich gehe sogleich zu ihr!«

Die Gräfin hatte neuen Mut gewonnen. Als die wankelmütige, des höheren Haltes entbehrende Frau dieses Mittel der Rettung vor sich sah, klammerte sie sich mit allen Kräften an diesen Anker.

Der Fürst wußte, daß sie nichts unversucht lassen würde, daß sein Spiel mehr als halb gewonnen war und das war es, was er soeben seinen beiden Verbündeten mitgeteilt hatte.

»Sie wird einwilligen,« sagte der Doktor hämisch, »und sollte sie auch wissen, daß es das ganze Glück ihres Lebens kostet. Sie könnte ihre Mutter, das thörichte Weib, vielleicht sterben sehen auf dem Schafott, wenn es das Phantom gilt, für das sie bereit ist, sich selbst zu opfern, aber die Schande der Rutenhiebe auf dem Rücken einer Pálffy geht über ihre Kraft. Nur rate ich Ihnen Durchlaucht, halten Sie sie auf der Stelle beim Wort! Die Trauung muß augenblicklich stattfinden, oder der geringste Zufall kann Ihnen den Sieg entreißen!«

» Kutva teremtete! ich will Dir das Brautbett bereiten,« lachte die Zigeunerin. »Du sollst sehen Schatz, daß die Feodora nicht so viel eifersüchtig ist! Ich gratuliere der hochmütigen blassen Gräfin zur Hochzeitsnacht! es steht viel Vergnügen für sie in den Sternen geschrieben!«

Der Fürst schleuderte ihr einen wütenden Blick zu, der ihre böse Zunge für den Moment verstummen machte.

»Es ist möglich, daß sie sich fügt,« sagte er finster zu dem Agenten. »Aber wenn sie nun als Bedingung das Leben ihres Geliebten verlangt?«

»Bah, so sichern Sie es ihr zu!«

»Das ist unmöglich – Sie kennen den Feldzeugmeister nicht! ich werde schon Mühe genug haben, die Frauen seinen Zähnen zu entreißen und Paniutines ganzen Einflusses bedürfen. Wenn Ruckowina allein das Urteil unterzeichnet hätte, so wäre es ein leichtes, was kommt es auf einen Honved mehr oder weniger an! Aber der Feldzeugmeister selbst hat es bestätigt, und er ist unbeugsam. Unser Coup, daß Görgey sich an die Russen übergeben, hat ihn ohnedies wild genug gemacht!«

Der Doktor hatte ihn mit eigentümlicher Miene betrachtet. »Beabsichtigen Sie wirklich, Durchlaucht, wenn es in Ihrer Macht stände, den Grafen Stephan Batthyányi dem Galgen entkommen zu lassen?«

Der Russe lächelte mit dem Ausdruck tiefen Hasses. »Wenn ich die Gräfin dadurch zwingen kann,« – warum nicht! Haben Sie meine beiden Ordonnanzkosaken gesehen?«

»Ich glaube!«

»Nun K tschortu! ich versichere Sie, Petrowitsch schießt auf hundert Schritt einen Rubel Ihnen zwischen den Fingern fort, und Alexei wirft auf zwanzig Schritt sein Messer mitten durchs Herz!«

Der Doktor zuckte verächtlich die Achseln. »Ich wiederhole Ihnen, der Tod des Feindes ist keine Rache, nur die Art, wie er stirbt. Wenn ich die Macht hätte, ich würde ihn in die sibirischen Bergwerke schicken; ihn lebendig begraben zu wissen, wäre ein Genuß!«

»Aber das giebt mir keine Antwort, was ich thun kann, wenn die Komteß seine Begnadigung fordert. Suchen Sie irgend einen Ausweg, Sie wissen, daß meine Kasse Ihnen zur Verfügung steht. Noch einen Dienst müssen Sie mir erweisen.« Er sprach die letzten Worte französisch, damit die Zigeunerin sie nicht verstände.

Der Doktor lorgnettierte seit einigen Augenblicken einen Mann, der in einiger Entfernring an einem Pfahl lehnte.

»Wenn die Komteß sich entschließt, wird der Feldpope sofort zur Hand sein, die Trauung zu vollziehen. Aber ich muß ein zweites Quartier haben, wenigstens für die ersten Tage, bis ich die nötigen Anstalten treffen kann. Ich traue der Dirne hier nicht, daß sie mir nicht einen ihrer gewöhnlichen boshaften Streiche spielt, trotz allen Anscheins, den sie sich giebt; sie ist ein eingefleischter Satan, aber ich kann sie nicht missen, ich bin gewöhnt an sie und überdies wird es den Hochmut der Pálffy um so tiefer kränken, wenn ich sie behalte.«

Der Doktor lächelte. »Ich werde mich bemühen, Durchlaucht,« sagte er, »doch da kommt ein Mann, der Ihnen vielleicht leichter in dieser Sache dienen kann, weil er mit den Offizieren auf einem bessern Fuß zu stehen scheint als ich. Ich glaube. Sie kennen ihn.«

Der Fürst hatte sich nach dem Nahenden gewandt. »Ah, Monsieur Spiegelthal! Wo kommen Sie her?«

Der Agent des preußischen Ministers des Auswärtigen, der bei seinem besondern Talent für hervorragende Bekanntschaften, während seiner Begleitung des Hauptquartiers natürlich auch nicht versäumt hatte, den russischen Führern sich vorstellen zu lassen, trat näher. Sein intelligentes Gesicht zeigte in diesem Augenblick den Ausdruck einer fehlgeschlagenen Hoffnung, einer unangenehmen Täuschung.

»Ich habe das traurige Geschäft vor mir, Durchlaucht,« sagte er, »einer hübschen verzweifelnden Frau, der ich meinen Beistand zugesagt, die traurige Nachricht bringen zu müssen, daß alle Fürbitte vergeblich gewesen ist, und daß ihr Gatte sterben muß.«

»Was ist das für eine Sache?« frug der Fürst gleichgültig.

»Es betrifft den Gatten meiner Wirtin, einen alten walachischen Bojaren Namens Stephanowitsch, der seit einigen Jahren hier in der Vorstadt sich angesiedelt hatte und bei dem Beginn der Belagerung mit den Rebellen gemeinschaftliche Sache gemacht haben soll gegen die Truppen der Garnison. Man hat ihn gefangen und ihn vor das Kriegsgericht gestellt, und er ist heute Mittag zum Tode verurteilt worden!«

»Es geschieht dem Schurken recht,« unterbrach ihn der Fürst.

»Seine Gattin ist jung und hübsch, aber sie scheint den Alten wie einen Vater zu lieben und ist, im Gegensatz zu anderen Frauen in solcher Situation, in voller Verzweiflung. Ich habe zufällig mein Quartier in ihrem Hause erhalten und nahm mich der armen Frauen an, aber Baron Rukowina will nichts hören davon. Schade, daß Fürst Lichtenstein, der dasselbe Haus seit der Aufhebung der Belagerung bewohnt, diesen Morgen mit einem Streifkorps abkommandiert worden ist, er hätte sicher der Ärmsten sein gewichtigeres Fürwort nicht verweigert!«

»Ist das Quartier des Generalmajors bereits wieder besetzt?« fragte der Doktor, sich in das Gespräch mischend.

»So viel ich weiß, noch nicht, aber es wird rasch geschehen, wenn man weiß, daß der General nicht zurückkehrt.«

Der Doktor flüsterte dem Fürsten hastig einige Worte zu. Dieser sah ihn erstaunt an, aber ein ungeduldiger Wink des andern machte ihn sich fügen.

»Dienst für Dienst, Monsieur de Spiegelthal!« sagte der Russe. »Ich brauche noch diesen Abend zwei oder drei Zimmer hier in der Vorstadt, und ich will dafür bei Baron Ruckowina noch einen Versuch zu Gunsten Ihres Schützlings machen. Ich kenne den Feldmarschall-Leutnant, und mein Wort dürfte nicht ohne Erfolg sein!«

»Dann möge es der Himmel Ihnen danken, Durchlaucht. Verfügen Sie ganz über mich für jeden andern Dienst. Es versteht sich von selbst, daß unter allen Umständen für Sie Quartier in unserm Hause geschafft werden soll, und müßte ich das meine räumen. Frau von Stephanowitsch …«

»Halt,« sagte der Fürst. »Eine Bedingung! Niemand darf wissen, daß ich mich um die Begnadigung des Verurteilten bemüht habe; ich habe sonst morgen zwanzig heulende Weiber und Schwestern vor meiner Thür für diese Laune. Ich will jetzt in die Stadt, Monsieur de Spiegelthal, und hoffe Ihnen gute Nachricht senden zu können! Unterdes, vergessen Sie meinen Wunsch nicht. Sie werden bald erfahren, was der Grund ist.«

Der preußische Agent ging, der trostlosen Frau neuen Mut einzusprechen, während der Russe mit seinen Begleitern sich nach dem Thor der Festung wandte.

»Was zum Teufel ficht Sie an, Doktor,« sagte er mürrisch, »daß ich mich in diese Geschichte mengen soll? Ich kümmere mich den Henker darum, ob sie fünfzig Bojaren aufhängen oder füsilieren, und habe genug mit unsern eigenen Angelegenheiten zu thun. Meine Dukaten genügen für das Quartier!«

»Die Sache gehört zu unsern eigenen Angelegenheiten,« sagte der Doktor fest. »Ich werde Ihnen sogleich das Nähere mitteilen, aber entfernen Sie Ihre Begleiterin, wenn es möglich ist, sie wird uns nur hinderlich sein.«

Das Gespräch war, auch mit dem Preußen, französisch geführt worden. Die kleine Zigeunerin hatte mit dem Anschein der Gleichgültigkeit zugehört; keine Miene verriet, ob sie den Inhalt verstanden oder nicht.

»Ich dächte, die Stunde wäre längst vorbei, Blanker, die Du dem stolzen Weibe bewilligt, sich zu entscheiden,« sagte die Zigeunerin plötzlich. »Es ist Zeit, daß Du erfährst, ob Du heute Nacht ein glücklicher Hochzeiter sein wirst, oder ob Feodora das Vergnügen hat, Dich in ihrer Gesellschaft zu sehen.«

»Du wirst es zeitig genug hören,« brummte der Fürst. »Jetzt mach, daß Du fortkommst, denn ich habe Geschäfte. Bringen Sie sie zum Wagen, Doktor.«

Die Zigeunerin drehte sich auf der Ferse um. » Ebbadta! er ist ein solcher Verräter wie Du, und ich erwische Euch beide noch. Ich kann allein gehen! Du sollst Deine Gräfin haben, Schatz, denn die Tunsa hat's einmal geschworen; aber hängen sollt Ihr ihn doch nicht, ich mag's nicht mehr sehen, seit die Huska zu meinen Füßen zerbrach!«

Sie schüttelte drohend die Hand und sprang, des langen Seidenkleides, das hinter ihr rauschte, nicht achtend, über die Trümmer davon. »Der Teufel sitzt in der Dirne,« schalt der Fürst. »Wir müssen die Augen aufhalten, daß sie uns keinen Streich spielt. Gehen Sie ihr nach, Doktor, und sehen Sie, daß sie keinen Schaden nimmt; Sie haben großen Einfluß auf die wilde Katze.«

Der Doktor lachte. »Unbesorgt, Durchlaucht, sie findet ihren Weg allein, ich werde später nach ihr sehen. Glauben Sie, bei dem Kommandanten der Festung es erreichen zu können, daß der Bojar Stephanowitsch begnadigt wird?«

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, nötigenfalls würde ich ihn für einen russischen Unterthan erklären. Aber was geht er uns an?«

»Sehr viel. Können Sie mich mit zu der Unterredung mit Baron Ruckowina nehmen?«

»Warum nicht? er wird gern näheres von Ihnen hören über die Waffenstreckung Görgeys.«

»So bitte ich darum, und sehen Sie zu, daß wir möglichst allein sind. Fahren Sie jetzt zu den Gräfinnen, Durchlaucht, indes ich in mein Quartier eile, und sorgen Sie dafür, daß Mademoiselle Feodora in das ihre zurückkehrt. Sie werden mich an dem Ausgang des Gefängnisses finden.«

Der Fürst, auf seinen Stock sich stützend, ging nach der Straße, wo sein Wagen hielt. Die kleine Zigeunerin saß schmollend in der Ecke auf den Kissen, wie eine wilde Katze zusammengehockt und gab auf seine Fragen nicht die geringste Antwort. Der Herr und Besitzer von mehr als zwanzigtausend Seelen wußte, daß mit den Launen der wilden Dirne nichts zu machen war und ließ sie nach einigen Versuchen gewähren.

In der Nähe des Gefängnisses ließ der Fürst halten und stieg aus, dann befahl er dem Kutscher und dem Mädchen, ihn hier zu erwarten.

Durch die Teilnahme mehrerer Offiziere war den unglücklichen Frauen die möglichste Erleichterung zu teil geworden. Sie wurden scharf bewacht, aber der Zutritt zu ihnen war, nachdem das Urteil über sie gefällt worden, Personen von Ansehen gestattet.

Die Gräfin Mutter empfing den Fürsten in großer Aufregung, ihre Augen waren verweint, ihr Gesicht gerötet. Sie teilte ihm unter Schluchzen und Klagen mit, daß die Komteß sich geweigert, eine Antwort zu geben, bis sie selbst den Fürsten gesprochen hätte. Aber sie bestehe darauf, daß es allein geschehe.

Einige Augenblicke darauf trat der Fürst in die Zelle, die man der jungen Gräfin eingeräumt.

Die Komteß stand an dem schmalen vergitterten Fenster, der Thür den Rücken zugekehrt.

Sie schien des Eingetretenen nicht zu achten und ganz in ihre Gedanken versunken. Erst als der Fürst wiederholt Zeichen seiner Anwesenheit gegeben, wandte sie sich um.

Sie blieb am Fenster stehen, ein gebietender Wink scheuchte den Fürsten zurück, der sich ihr nähern wollte, und hieß ihn auf seinem Platze bleiben.

»Komteß,« sagte er, aber sie unterbrach ihn sogleich.

»Haben Sie den Geistlichen bestellt?« frug sie mit hartem eisigen Ton. »Wann soll die Trauung sein? denn ich begreife, daß Sie Ihre Ware nicht verkaufen werden, bis die Trauung geschehen.«

»Es hängt ganz von Ihnen ab, teure Freundin,« sagte demütig der Fürst. »Sie machen mich zum Glücklichsten der Sterblichen durch Ihre Einwilligung. Ich hoffe, daß die Zeit nicht fern ist, wo Sie meine Treue und Ergebenheit erkennen werden!«

Ein dunkles verächtliches Lächeln glitt über die stolzen Züge des unglücklichen Mädchens. »Lassen Sie uns bei der Sache bleiben, mein Herr,« sprach sie. »Sie haben meiner Mütter einen Handel vorgeschlagen und ich feilsche mit Ihnen, wie mit jedem andern Händler. Daß zufällig diese meine arme Person die Ware, die aus irgend einem Grund das Verlangen des Fürsten Trubetzkoi auf sich gezogen hat, das ist ein Unglück, aber es betrifft mich allein. Machen wir einfach unsere Bedingungen, nur sage ich Ihnen im voraus,« – das verächtliche Lächeln, das um ihre Lippen zuckte, wurde zum finstern Hohn – »in diesem Magazin sind prix fixes!«

Der Fürst biß die Lippe zusammen, aber er beherrschte sich vollkommen. »Sie thun Unrecht, Cäcilie, daß Sie mich kränken, aber auch dies soll mich nicht abhalten, Ihnen zu helfen!«

Ein stolzer Wink ihrer Hand wies die Vertraulichkeit zurück. »Bitte, Herr, wir sind noch nicht so weit. Setzen Sie sich dorthin, ich habe Ihnen nichts anderes zu bieten, als den Schemel der Gefangenen, aber ich habe gehört, daß das Stehen Ihnen beschwerlich ist.«

Eine leichte Röte zuckte über das aschige Gesicht des Fürsten. Er lehnte mit einer Verbeugung den Sitz ab, auch sie blieb in ihrer früheren Stellung, die Arme über die Brust gekreuzt.

»Die Gräfin Pálffy hat nicht die Kraft, ihre Tage für die Sache Ungarns in einem Gefängnis zu vertrauern; noch weniger, ihren Leib dem Märtyrertum einer Mißhandlung preis zu geben, welche nur die Henker schänden kann, nicht das Opfer. Sie geht in ihrer Liebe so weit, daß nicht einmal ihre Tochter eine Bettlerin sein darf auf fremder Erde für ihr Vaterland! Aber sie ist meine Mutter, und ich kenne meine Aufgabe. Sie verpflichten sich, wenn ich einwillige, Ihre Gemahlin zu werden, daß das nichtswürdige Urteil an meiner Mutter nicht vollzogen wird?«

»Ich möchte den sehen, der es wagen würde, Hand an die Schwiegermutter des Kaiserlichen Generalmajors Fürsten Trubetzkoi zu legen! Das Urteil wird reicht vollzogen werden; die Gräfin, meine Schwiegermutter, wird in anständiger Haft bleiben, bis der Courier, den ich nach Olmütz schicken werde, mit der vollständigen Begnadigung zurückkehrt, für die ich mein Ehrenwort verpfände. Daß die Fürstin Trubetzkoi frei und aller ihrer Rechte sicher ist, versteht sich von selbst.«

»Es ist gut; ich weiß, daß Sie Ihr Wort erfüllen müssen und daß ich den Preis vorher zahlen muß! Aber ich habe Ihnen noch anderes zu sagen. Ich liebe Sie nicht; ich muß aufrichtig sein, ich verabscheue Sie!«

»Desto größer wird der Triumph meiner Liebe sein, mir Ihre Neigung zu erwerben,« sagte der Fürst nicht ohne einen Anflug von Hohn.

Sie fühlte denselben, aber sie war zu stolz, darauf zu achten. Sie wußte, daß so oder so das Glück ihres Lebens in dieser erzwungenen Heirat unwiederbringlich verloren war.

»Ich liebe einen anderen, Herr!«

Der Fürst richtete sich hochmütig empor. »Was kümmert das mich? Die Fürstin Trubetzkoi wird nie vergessen, was sie der Ehre des Namens schuldig ist, den sie trägt.«

Die Komteß zuckte verächtlich die Achseln. »Der Name einer Fürstin Trubetzkoi ist mir gleichgültig! Aber ich heiße Cäcilie Pálffy! Sie haben den Mann gesehen, der mich aus diesen Mauern befreien wollte, und der heute um meinetwillen zum Tode verurteilt worden ist.«

»Der Ungar, der sich Stephan nennt?«

Die Komteß nickte. »Sie kennen ihn. Ich weiß nicht, welcher Grund Sie bewogen hat, seinen Namen nicht zu nennen, aber ich danke Ihnen dafür; denn dem Namen Batthyányi wäre auch die letzte Aussicht auf Rettung bei den deutschen Henkern verloren gewesen.«

»Graf Stephan Batthyányi ist mein persönlicher Feind; ich kenne nur den verurteilten Honved Stephan!«

»Wie es auch sei, ich danke Ihnen. Sie fordern mein Leben, Sie sollen es haben, unter einer letzten Bedingung, und Cäcilie Pálffy wird dann nie ihre Pflicht als Gattin vergessen!«

»Und diese Bedingung?«

»Die Begnadigung des Verurteilten! Es sei das traurige Brautgeschenk für Cäcilie Pálffy, und nur gegen dieses wird ihr Mund das bindende Ja sprechen, so wahr die heilige Jungfrau mir zur ewigen Seligkeit helfe, ich schwöre es!«

»Es ist schwierig, aber ich will all meinen Einfluß aufbieten.«

»Hören Sie mich wohl an,« sagte die Komteß bestimmt. »Ich fordere die schriftliche Begnadigung, ich will sie selbst haben, und erst, wenn meine Hand sie hält, wird sie die Ihre berühren am Altar!«

»Sie fordern fast das Unmögliche; was kann ich thun, wenn man sie hartnäckig verweigert? Ich will das Möglichste versuchen, kein Geld soll gespart werden, um ihm zur Flucht zu verhelfen, obschon ich die Spuren seiner Kugel bis zum Grabe mit mir tragen werde und ihm ein schmerzliches Krankenlager danke!«

Die Komteß trat hastig auf ihn zu. »Sie irren sich, Fürst! Graf Stephan hat niemals Ihr Blut vergossen.«

Der Fürst starrte sie an. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich spreche von jenem Duell mit meinem bisherigen Verlobten an jenem Abend auf meines Vaters Herrschaft Telek an der Theiß.«

» K tschortu! ich erhielt die Kugel des Grafen in die Hüfte!«

»Graf Stephan hatte an jenem Abend wichtigeres zu thun, als sich Ihnen entgegen zu stellen. Er wurde mit Gewalt verhindert, zur rechten Zeit auf dem Kampfplatz zu erscheinen. Die Person, die seine Stelle einnahm und seine Ehre vertrat …«

»Nun?«

»Es ist nötig, daß Sie Ihre künftige Gattin ganz kennen lernen – diese Person war ich!«

Der Fürst wich zurück. Die fahle Blässe seines Gesichts verwandelte sich in dunkle Röte.

»Sie schossen die Kugel?«

»Ich habe das Glück – oder das Unglück gehabt, Sie zu verwunden!«

Der Brautwerber faßte nach der Lehne des Stuhls, der ihm zunächst stand. Dies Geheimnis kam ihm offenbar ganz unerwartet, und eine mächtige Revolution schien in ihm vorzugehen. Die kleinen Augen sprühten einige Momente lang ein wahrhaft dämonisches Feuer auf die Komteß, dunkelrote Flecke zeigten sich wechselnd auf seinem Gesicht, er atmete schwer.

Die Komteß betrachtete mit einem leichten Lächeln des Hohns um den schönen Mund diese Wirkung ihrer Worte.

»Wenn dies Geständnis, das ich Ihnen zu machen verpflichtet war, schon um Ihre Gesinnung gegen einen Unschuldigen zu ändern,« sagte sie ruhig, »Ihre Absichten, mein Herr, in Bezug auf mich ändern sollte, so bitte ich Sie, sich nicht zu genieren.«

Der Fürst hatte sich gefaßt. Er trat auf sie zu. »Ich kann als Kavalier nur Ihren Heldenmut bewundern, Komteß,« sagte er mit erzwungener Galanterie, »aber ich hoffe nicht, daß Sie je in die Verlegenheit kommen werden, für die Ehre des Namens Trubetzkoi in gleicher Weise einzustehen. Ich bin jetzt um so mehr berechtigt, auf dem Besitz Ihrer Hand zu bestehen, als ich mit meinem Blute das Recht darauf bezahlt habe und ein ewiges Andenken an Sie trage.«

»Euer Durchlaucht kennen die Bedingung; die Begnadigungs-Ausfertigung des Verurteilten!«

Der Fürst trat noch einen Schritt auf sie zu. »Besorgen Sie Ihren Hochzeitsschleier, schöne Braut,« sagte er finster. »So wahr ich lebe. Sie sollen die Begnadigung des Honved Stephan vor dem Priester empfangen, als Revanche für die Kugel von Telek, bei der Ehre des Namens Trubetzkoi!«

»Ich werde bereit sein!«

Er verließ mit einer kurzen Verbeugung das Gemach.

Der Fürst hatte sich nur wenige Schritte von der Thür des Gefängnisses entfernt, als er bereits dem Doktor Lazare begegnete.

»Nun? ist es gelungen? Aber um des Himmelswillen, Durchlaucht, was ist geschehen? wie sehen Sie aus?«

Der Russe stieß einen abscheulichen Fluch aus. »Nichts! Nichts! Es steht alles gut, sie willigt ein!«

»Sie sind angegriffen, Durchlaucht, stützen Sie sich auf meinen Arm.«

Der Fürst nahm ihn. Er fuhr sich mit dem Taschentuch wiederholt über das Gesicht. Plötzlich, ehe sie den Wagen erreicht hatten, blieb er stehen. »Wollen Sie tausend Dukaten verdienen?« sagte er heftig.

»Geld kann nie schaden, Durchlaucht, Sie wissen, daß ich ganz zu Ihren Befehlen stehe.«

»Ich muß eine Begnadigung jenes Buben haben; sie will nicht eher das Ja sprechen, als bis sie das Papier in der Hand hat. Können Sie mir ein solches verschaffen? es ist nicht möglich, die wirkliche Begnadigung zu erhalten, also gefälscht, mit allen Zeichen, daß sie nichts merkt!«

Der Doktor lachte. »Das wäre etwas gefährlich und könnte mich selbst den Hals kosten, denn der Feldzeugmeister läßt nicht mit sich scherzen. Aber es ist nicht nötig – wenn Sie nur genau meine Bitten von vorhin befolgen, sollen Sie das Begnadigungsdokument so genügend haben, daß nicht ein Titelchen daran fehlt.«

»Aber …« die Augen des Russen funkelten wie die eines wilden Tieres, die vier Worte, die nachkamen, zischten unheimlich, selbst dem scharfen Ohr des Agenten kaum verständlich, durch die Zähne.

Der Doktor lächelte. »Verlassen Sie sich darauf!« Sie gingen auf den Wagen zu, in dem die Zigeunerin noch immer hockte, mit boshaftem Blick alles beobachtend.

»Feodora,« sagte der Fürst, »Dein Rat hat sich wirklich als gut bewährt, Komteß Cäcilie hat eingewilligt; noch diesen Abend wird die Trauung vollzogen werden, und Du weißt, daß Deine Hilfe nicht Dein Schaden sein wird. Du sollst Gold haben, blankes Gold, damit Du kaufen kannst, was Du willst. Aber Du wirst begreifen, daß die Gräfin nicht heute schon mit Dir unter demselben Dach sein darf. Ich werde daher diese Nacht in der Stadt zubringen. Willst Du sogleich nach dem Quartier zurückkehren, oder warten, bis ich noch einen Gang gethan?«

»Ich werde warten, Schatz,« sagte das Mädchen mit boshaftem Lachen. »Wer weiß, ob Deine neue Frau nicht die kleine Tunsa wieder auf ihre Pußten schickt, drum will ich wenigstens bei meinem Liebsten bleiben, so lange es geht! Ich muß Dir ja noch Ratschläge für die Hochzeitsnacht erteilen. Du bist gar zu unschuldig dazu!«

»Still, Dirne, ich lasse Dich peitschen statt der alten Närrin. Kommen Sie, Doktor, der Wagen mag uns folgen.«

Er schritt mit dem Agenten nach der Wohnung, die der greise Kommandant von Temesvár inne hatte. Überall sah man bereits die Arbeiten begonnen, um in der unglücklichen Stadt wenigstens auf das Notwendigste die entsetzlichen Zerstörungen zu beseitigen und bewohnbare Räume herzustellen.

Die Gesundheit des Feldmarschall-Leutnants war tief erschüttert, nur die Aufregung der letzten Tage hatte ihn so lange empor gehalten, indem der eiserne Wille und das begeisterte Pflichtgefühl die schwindenden Kräfte gestärkt hielt. Jetzt aber machte die Reaktion sich geltend, und der Greis war nach der Trennung von dem Oberfeldherrn schwer erschöpft nach seiner Wohnung zurückgekehrt, wo er jetzt auf einem Ruhebette sich erholte.

So fand ihn der Fürst, als er mit seinem Begleiter bei ihm eintrat, und litt es nicht, daß der alte Mann sich erhob, ihn zu bewillkommnen.

»Ich komme als Freund, Baron,« sagte er geschmeidig, »nicht im Dienst, und habe Ihnen eine persönliche Angelegenheit vorzutragen. Dieser Herr hat mich begleitet, weil ich hoffte, es würde Ihnen Vergnügen machen, manches Nähere von der Übergabe der ungarischen Armee zu hören, die zum besten Teil Ihrer heldenmütigen Verteidigung zu danken ist!«

Die rauhe, ehrliche Soldatennatur des Greises konnte sich der freundlichen Anerkennung von feiten eines der russischen Führer nicht ganz verschließen, und er reichte dem Gast herzlich die Hand. Auf seinen Wink ließ der anwesende Adjutant sie allein. Der Agent erzählte gewandt und das Interesse des alten Kriegers fesselnd von den Unterhandlungen Görgeys und den letzten Schritten der provisorischen Regierung. Dann wandte sich das Gespräch auf die Verhandlungen des Gerichts und die beiden Frauen.

»Wann sollen die Urteile vollstreckt werden?« frug der Fürst.

»Morgen früh! der Befehl dazu ist bereits erteilt. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich Teilnahme hege für die beiden Frauen und den jungen Mann, der ihre Befreiung versucht hat. Er ist offenbar kein gewöhnlicher Honved, aber die Kriegsgesetze sind bestimmt, und es ist ihm nicht zu helfen. Nur die Vollstreckung des Urteils an der alten Thörin ist mir zuwider, wie sehr sie es auch verdient haben mag.«

»Sie werden wenigstens einen Aufschub eintreten lassen müssen, Baron,« sagte der Fürst.

»Es ist unmöglich, nur der Feldzeugmeister kann es thun, er hat selbst die Urteile unterzeichnet.«

»Dann wird es der Feldzeugmeister thun, ich hoffe, Ihnen noch diesen Abend die Einwilligung zu überbringen.«

»Sie müßten ein Hexenmeister sein, Durchlaucht, um das durchzusetzen, obschon ich Ihnen herzlich dankbar dafür sein würde, denn die Sache widert mich an. Aber Sie kennen den Feldzeugmeister nicht.«

»Baron Haynau kann die Gräfin Pálffy in dieser Weise strafen,« sagte der Russe, »aber nicht die Schwiegermutter eines Generals der verbündeten Armee.«

Der alte Kommandant sah ihn groß an. »Was meinen Sie damit, Durchlaucht?«

»Ich komme, um Ihnen anzuzeigen, daß ich in einer Stunde mit der Komteß Pálffy, Ihrer Gefangenen, schon längst meiner verlobten Braut, mich trauen zu lassen gedenke.«

»Sie scherzen, Fürst, es ist unmöglich!«

»Ich bin weit entfernt von jedem Scherz. Die Erlaubnis, die Gefangenen zu besuchen, haben Sie selbst gegeben, und Sie werden dieselbe hoffentlich nicht zurücknehmen.«

»Ich habe keine Veranlassung dazu und wünsche Ihnen jede Erleichterung ihres traurigen Schicksals zu gewähren.«

»Nun wohl! Sie werden also erst offiziell davon erfahren, wenn die Sache geschehen ist. Zwei Oberoffiziere unserer Armee werden die Zeugen sein.«

»Aber der Feldzeugmeister?«

»Er kann mich in keiner Weise hindern, die Komteß Pálffy zur Fürstin Trubetzkoi zu machen. Aber ich denke, er wird sich besinnen, die Schwiegermutter des Zweitkommandierenden des russischen Korps vor den Thoren von Temesvár, das wir entsetzen halfen, peitschen zu lassen, wenigstens so lange, bis weitere Entscheidung von Olmütz eingetroffen ist! Ich übernehme alle Verantwortung und werde mich sofort nach der Trauung zu ihm begeben und die Freilassung meiner Gemahlin fordern.«

Der Feldmarschall-Leutnant dachte einige Augenblicke nach, dann reichte er ihm die Hand.

»Auf Ehre, Durchlaucht, das ist eine schöne Handlung, die Sie da üben, und was an mir liegt, soll geschehen, sie zu unterstützen, denn ich bin oft genug im Hause des verstorbenen Grafen Pálffy gewesen und habe so manche Reiherjagd mit ihm gemacht. Ich nehme aufrichtig teil an dem Schicksal seiner Frau und Tochter, auch wenn diese zur Revolutionspartei gehören.«

Es klopfte an der Thür, und einer der Offiziere des Kommandanten trat ein.

»Was bringen Sie, Feldegg?«

»Es betrifft die morgende Exekution, Excellenz, an den drei Verurteilten.«

»Sie ist auf 5 Uhr morgens bestimmt. Sind die Ordres dem Profoß ausgehändigt?«

»Zu Befehl, Excellenz, aber er weigert sich, die dritte Exekution zu vollstrecken.«

»Welche?«

»Die an dem Honved Stephan.«

»Warum?«

»Der Profoß und seine Gehilfen berufen sich auf ihr altes Recht und Herkommen, daß sie nicht Hand legen dürfen an einen kranken Mann!«

»Es ist wahr! Indes der Befehl ist gegeben, und es muß mindestens jeder Formalität genügt werden. Lassen Sie die Vorbereitungen zur Hinrichtung treffen und zur bestimmten Stunde die Verurteilten an Ort und Stelle bringen. Wenn dann der Profoß sich weigert, ist es nicht unsere Sache, und wir können nur an das Hauptquartier rapportieren. Vielleicht, daß dem armen Teufel der Aufschub nützlich ist.«

Der Offizier trat ab, der alte Kommandant war offenbar mit dem Hindernis nicht unzufrieden und in bester Laune.

Der Fürst und der Doktor hatten rasch einen verständigenden Blick gewechselt.

»Eine traurige Pflicht!« sagte der erstere. »Doch da fällt mir ein, daß ich versprochen habe, eine Fürbitte bei Euer Excellenz einzulegen. Heißt der dritte der Verurteilten, die morgen am Galgen enden sollen, vielleicht Stephanowitsch?«

»Ja, Durchlaucht, kennen Sie den Kerl?«

»Er stammt aus der Walachei und stand dort unter russischem Schutz. Seine Schwester war meine Amme, und man hat sich an mich gewandt, eine Fürbitte für ihn einzulegen. In Ihrer Hand, Excellenz, liegt die Bestätigung des Urteils, wie ich weiß, und wenn seine Schuld nicht zu schwer …«

»Er ist der offenkundigen Unterstützung der Rebellen überführt. Aus seinem Hause ist am 14. Mai auf meine Soldaten geschossen worden.«

»Aber es ist nicht bewiesen, daß es von ihm geschehen ist,« beharrte der Fürst. »Ich bitte für ihn um Gnade, Excellenz, bestrafen Sie ihn mit Verbannung, das wird genügen. In der That, Sie erweisen mir eine persönliche Gunst mit seiner Begnadigung und können auf meine Gegendienste rechnen.«

Der Feldmarschall-Leutnant bedachte sich einige Augenblicke. »Der Kerl verdient den Strick von allen dreien am meisten,« sagte er endlich, »und ich habe seine Begnadigung heute bereits jemandem abgeschlagen, dem ich sonst gern einen Gefallenen gethan hätte. Aber Euer Durchlaucht Fürsprache kommt ihm zu statten, und wenn Sie ihn als unter russischem Schutz stehend reklamieren …«

»Ich reklamiere ihn!«

»Wohl – es sei! ich werde die Begnadigung ausfertigen lassen.«

»Vollenden Sie Ihre Freundlichkeit, Baron, und geben Sie mir die Ausfertigung sogleich. Ich möchte das Vergnügen haben, mit ihrer Überbringung zwei prächtige schwarze Augen zu trocknen.«

Der alte Soldat lachte. »Den Teufel! daher weht der Wind! Die Stephanowitsch gilt für eine Schönheit, und es hat Mühe genug gekostet, ihren Thränen zu widerstehen. Nehmen Sie sich in acht, Freundchen, daß die Pálffy nicht Ihre Galanterie erfährt!«

Der Feldmarschall-Leutnant hatte sich von dem Ruhebett erhoben und die Pfeife fortgestellt, um die Ordre auszufertigen, aber der Fürst kam ihm zuvor.

»Bleiben Sie sitzen, Baron, ich kann sie ja schreiben oder hier der Doktor!«

»Nichts da! nichts da! die Pfote des alten Ruckowina ist besser bekannt, es bedarf auch nur einiger Worte. Aber lassen Sie den Halunken wenigstens noch diese Nacht zappeln in der Todesangst. Er hat es reichlich verdient. Seine hübsche Frau mag ihn dann morgen unterm Galgen wegholen, das wird ihm eine Lektion sein.«

Er hatte sich zum Schreiben niedergesetzt, der Begleiter des Fürsten, der sich dienstfertig am Tisch zu schaffen gemacht, schob ihm das Papier vor und reichte ihm die Brille, die darauf lag.

»Die Augen werden schwach, Durchlaucht, und es will nicht mehr fort,« sagte der greise Offizier. »Aber meine Aufgabe ist erfüllt, und ich kann nun abmarschieren zur großen Armee. Gott sei Dank, daß wenigstens das morsche Haus so lange zusammengehalten hat, bis ich die siegreichen Fahnen meines Herrn und Kaisers wieder vor diesen Mauern wehen gesehen!«

Er nahm die frische Feder, die ihm der Doktor reichte, ohne darauf zu achten, daß dieser sie nicht in das gewöhnliche Tintenfaß getaucht hatte, und schrieb mit fester Hand und in großen Zügen:

 

»Dem Verurteilten Stephanowitsch ist das Leben geschenkt und das Urteil des Kriegsgericht in Verbannung aus den Kaiserlich-Königlichen Staaten verwandelt. Bei Betreff innerhalb derselben nach dreimal vierundzwanzig Stunden verfällt Inkulpat dem Strick.

Temesvár, den 13. August 1849.

Ruckowina,
Feldmarschall-Leutnant und
Festungs-Kommandant.
m. pr.«

 

Der Fürst hatte, das Lorgnon im Auge, die Schriftzüge des alten Kriegers verfolgt, und ein Zug boshafter Befriedigung flog über sein gebleichtes häßliches Gesicht, als der Kommandant jetzt das verhängnisvolle Papier mit seinem Siegel versah und ihm überreichte.

»Ich werde der hübschen Stephanowitsch die Überraschung nicht verderben,« sagte der Herr lächelnd, »darum soll niemand etwas erfahren von der Ordre. Sie, Durchlaucht, aber nehmen meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vermählung, auch wenn ich meiner Stellung wegen als Zeuge nicht zugegen sein kann. Einer meiner Offiziere soll in der Nähe sein, um etwaige Hindernisse zu beseitigen und für den Fall, daß Sie seiner bedürfen. Ich werde ihm die Ordre zur Entlassung der Komteß aus ihrer Haft noch diesen Abend erteilen, da dieser nichts im Wege steht; wohin sie sich begiebt, ist dann nicht mehr meine Sache. Der Feldzeugmeister« – der alte Kommandant lachte bei dem Gedanken – »wird ein verteufeltes Gesicht machen, wenn er den Handel erfährt, doch das ist Ihre Angelegenheit.«

»Ich werde die Mittel finden, ihn zu beruhigen, verlassen Sie sich darauf,« entgegnete der Fürst, ihm die Hand reichend. »Morgen, Excellenz, sollen Sie von mir hören und nochmals meinen besten Dank empfangen.«

Der alte Kommandant begleitete ihn bis zur Thür, dann streckte er sich wieder auf sein Feldbett und nahm die Pfeife zur Hand. »Wahrhaftig!« murmelte er, »ich hätte ihm so viel Menschenfreundlichkeit nicht zugetraut, aber man kann sich täuschen in den Gesichtern. Potz Bomben und Kartätschen! die Güter sind freilich keine üble Zugabe, und er ist der Mann, sie der Hofkanzlei in Wien aus den Zähnen zu reißen!«

Der wackere, alte Soldat freute sich des guten Werks, zu dem er geholfen!


Vor der Thür des Kommandanten blieb der Fürst stehen, der joviale gleichgültige Ausdruck, den sein Gesicht bis jetzt gezeigt, war verschwunden und hatte einem unheimlichen, Unheil verkündenden Funkeln der kleinen Augen Platz gemacht, um den breiten aufgeworfenen Mund lag der Zug eines harten bestimmten Entschlusses.

Er reichte dem Doktor das Papier. »Lesen Sie! Paßt es so?«

»Vortrefflich!«

»Was ist nun zu thun?«

»Geben Sie mir das Papier und fahren Sie mit Mademoiselle Feodora in Ihr Quartier, um den Geistlichen zu holen und Ihre Anstalten zur Trauung zu treffen. Wann können Sie zurück sein?«

Der Fürst sah nach der Uhr. »Es ist jetzt 6 Uhr, um 8 Uhr werde ich mit meinen Zeugen hier sein.«

»Gut! ich werde Sie erwarten, Durchlaucht, und Sie sollen Ihrer schönen Braut das versprochene Dokument übergeben. Nur ist es nötig, daß Sie ihr als Befehl des Feldmarschall-Leutnants mitteilen, daß die Begnadigung heute noch Geheimnis bleiben und erst morgen auf dem Platz der Urteilsvollstreckung dem Gefangenen bekannt gemacht werden soll!«

»Es wird geschehen!«

»Ich gehe jetzt, Ihre Wohnung und Ihr Brautgemach einrichten zu lassen,« fuhr der Doktor mit faunischem Lächeln fort. »Ich hoffe mir den Dank der künftigen Fürstin zu verdienen.«

»Und er?«

»Verlassen Sie sich darauf!«

»Aber Sie haben gehört, daß der Profoß sich weigert!«

»Ich habe das Nötige!«

»Sie wissen meinen Willen in betreff der Stelle!«

»Gewiß!«

Der Fürst reichte ihm die Hand. Sie waren am Wagen, er ließ sich hineinheben. » Au revoir!«

» Je vous attendrai, mon Prince!« Er verbeugte sich mit vertraulichem Lächeln vor der Maitresse, die es nicht der Mühe wert hielt, ihm zu danken. Dann flog die Equipage davon.

Der Agent sah ihr nach. »Der boshafte Affe hat Witz genug,« murmelte er, »um Einfluß über ihn zu behalten. Um ihn zu beherrschen, muß ich ihr Herr sein, und das soll geschehen!«

Eine Hand berührte seinen Arm, er drehte sich um; der Mann, den er am Nachmittag beim Gespräch mit dem Fürsten und dem preußischen Emissär von dem Glacis aus beobachtet hatte, stand neben ihm.

Es war ein großer, wild aussehender Kerl im roten Seressaner Mantel, den Kopf allein von dem Wust seiner schwarzen Haare bedeckt, im Auge ein eigentümliches Funkeln. Statt des Gurts trug er um die Hüften mehrere Stricke und in ihnen als Waffe ein breites türkisches Messer.

Der Doktor machte eine Bewegung wie etwa ein Mann, dem eine Kröte oder sonst ein widriges Tier über den Fuß gekrochen. Er stäubte unwillkürlich mit seinem Taschentuch die Stelle ab, wo jener ihn berührt, als er ärgerlich frug: »Was willst Du hier, Kerl?«

»Nun, Herr, giebt es Arbeit für armen Szábo?«

»Du sollst sie finden. Komm, aber halte Dich ein wenig entfernt. Man geht mit Deinesgleichen nicht gern über die Straße.«

Er ging nach der Vorstadt, der rote Kerl schlich wie eine knurrende Bulldogge hinter ihm her.

Sein Weg führte den Doktor zunächst nach dem Hause des verurteilten Bojaren, um den preußischen Agenten Spiegelthal dort aufzusuchen. Ihm übergab er, wie er meldete, im Auftrag des Fürsten, die Begnadigung, die dieser von dem Feldmarschall-Leutnant erwirkt hatte, um damit die Gattin und Schwägerin des dem Tode geweihten Mannes vorläufig zu beruhigen, da die Verkündigung der Begnadigung erst am andern Morgen auf der Richtstätte erfolgen sollte. Auch knüpfte er die Bedingung daran, daß niemand, auch die Frauen nicht, von der Vermittlung des Fürsten erfahren sollten, und ersuchte den Preußen, das Nötige in betreff des von dem Fürsten gewünschten Quartiers in Ordnung zu bringen.

Der erfolglose Versuch, den die schöne Frau mit Hilfe des Berliner Agenten bei dem Festungs-Kommandanten gemacht, hatte sie aufs neue in die größte Trauer und Verzweiflung gestürzt und die beiden Schwestern saßen weinend in ihrer Kammer, als der Agent mit der freudigen Nachricht und dem verhängnisvollen Dokument erschien. Wie sehr er auch ihren Dank abzulehnen suchte und die Begnadigung einer späteren Willensänderung des Kommandanten oder anderen Einflüssen zuschrieb, die beiden Frauen sahen in ihm einen Himmelsboten, dem sie allein die Rettung des Gatten und Schwagers zu danken hatten, und mit der Leidenschaftlichkeit der Gefühle, welche die südlichen Rassen auszeichnet, umarmten sie seine Füße, küßten seine Hände und erschöpften sich in Beteuerungen ihrer ewigen Dankbarkeit.

Nur mit Gewalt konnte sich der Preuße von ihnen befreien und ihnen Schweigen auferlegen. Daß unter diesen Umständen seine Bitte in betreff des Quartiers des Fürsten ein Befehl für sie war, versteht sich von selbst. Sie flogen davon, um alles nach ihren Kräften aufs beste einzurichten.

Mit seinem gewöhnlichen impertinenten Lächeln betrachtete Lazare die Dankesbezeugungen und den Eifer der beiden Frauen.

»Bei allem, was schön und reizend ist, Herr,« sagte er zu dem Preußen, der ihn vor das Haus begleitete, »Sie sind zu beneiden um die Aussicht für heute Nacht!«

»Wie meinen Sie das?«

»Sind Sie wirklich so berlinerisch unschuldig und kennen die aufopfernde Dankbarkeit unserer orientalischen Frauen nicht?«

»Ich wiederhole,« sagte der Preuße, dem der anmaßende spöttische Ton des Juden überhaupt nicht gefiel, »daß ich Sie nicht verstehe!«

»Bah! dann werden Sie es, ehe die Welt um eine Nacht älter ist. Ich wünschte, ich könnte mindestens halbieren!«

»Ich bin bereit, Ihnen den Dank der Damen ganz zu überlassen, da ich sehr wohl weiß, daß ich nur den guten Willen, nicht den Erfolg mir zurechnen darf.«

»Keine falsche Bescheidenheit, Sie sind die Veranlassung und haben uns einen Dienst geleistet, größer als Sie meinen. Kassieren Sie daher immer die Sporteln ein; Männer in unserer Stellung müssen die Sitten und Gefühle der Nationen bis ins Innerste studieren. Adieu, Herr!«

Sie waren vor das Haus getreten; im Fortgehen blieb der österreichische Agent noch einmal stehen und betrachtete die Fenster.

»Wo sagten Sie, daß das Schlafzimmer des Fürsten liege?«

»Ich denke jenes dort an der Ecke. Es ist das besterhaltenste des Hauses.«

Der Doktor trat einige Schritte näher und prüfte die Umgebung. Dann nickte er mit dem Kopf. »Es ist gut so! sorgen Sie gefälligst, daß man es dazu wählt, die Aussicht wird vortrefflich sein!«

Er grüßte höflich und entfernte sich.


Es war nach 8 Uhr abends, die Sonne war untergegangen, und die Dämmerung um so rascher im Zunehmen, als nach der schwülen Hitze des Tages der Horizont mit Gewitterwolken umzogen war und das ferne elektrische Leuchten ringsum für die Nacht den Ausbruch eines schweren Wetters verkündete.

Der Fürst war kurz vorher von seinem Quartier im Jagdwald zurückgekehrt, zwei hohe russische Offiziere begleiteten ihn, um Zeugen der Trauung zu sein. Der Feldpope, der sie vollziehen sollte, saß bei dem Kutscher auf dem Bock.

Der Wagen fuhr zuerst bei dem Quartier des Doktor Lazare vor, und der Fürst hatte mit diesem eine kurze Unterredung unter vier Augen. Als er wieder einstieg, lag auf seinem Gesicht einige Augenblicke lang das Frohlocken eines Teufels.

Wenige Minuten später hielt der Wagen vor dem Gebäude, in dem die Gräfin mit ihrer Tochter gefangen saßen.

Dem Range des russischen Offiziers öffneten sich auch so spät noch die Thüren, und der diensthabende Unteroffizier führte die Herren in ein größeres leeres Gemach, wo der Pope rasch seine Vorbereitungen traf, indes der Fürst sich zu Mutter und Tochter geleiten ließ. Einige Dukaten, die er in die Hand des Unteroffiziers gleiten ließ, machten diesen ganz seinem Willen gehorsam. Außerdem schien der Mann bereits die stille Ordre zu haben, alles geschehen zu lassen mit Ausnahme einer Flucht der Gefangenen, und für sie war der Doppelposten an der Thür Hindernis genug.

Der Fürst fand die beiden Frauen in der Zelle, die ihnen zum Gefängnis angewiesen worden. Die Komteß, obschon sie die Ankunft des Wagens gehört haben mußte, saß an einem kleinen vergitterten Fenster und schaute in den von dem fernen Wetterleuchten zerrissenen Himmel.

Die Gräfin stürzte auf den Fürsten zu. »Die Begnadigung? Sie bringen meine Begnadigung? man wird mich nicht peitschen?«

»Sie kennen die notwendige Bedingung, gnädige Frau, die vorausgehen muß, ehe ich das Recht und die Macht habe, sie zu erzwingen. Von Komteß Cäcilie allein hängt es ab!«

Die junge Ungarin hatte sich erhoben, sie kam langsam auf den Fürsten zu, der sehr wohl bemerkte, daß sie in ihrem ärmlich und fast unscheinbar gewordenen Anzug nicht die geringste jener Veränderungen und Vorbereitungen gemacht, die sonst wohl jedes Mädchen, selbst das ärmste, für eine solche Stunde zu treffen sucht.

Der Fürst, der ein Etui in der Hand trug, überreichte es ihr. »Verzeihen Sie, Cäcilie,« sagte er mit süßlicher Höflichkeit, »daß ich unter den gegenwärtigen Umständen nichts besseres herbeischaffen konnte. Es ist das beste, was in Temesvár noch aufzutreiben war. Mein Jäger Petrowitsch wartet vor der Thür mit einem Karton, der den Brautschleier und einige Kleinigkeiten enthält. Aber es war unmöglich, in so kurzer Zeit für eine bessere Toilette zu sorgen. Der Courier, der bereit steht, nach Olmütz abzugehen, wird nach Pest die nötigen Befehle überbringen.«

Sie wies mit einer stolzen Bewegung der Hand das Etui zurück, das der Russe ihr aufgeschlagen bot, und das einen kostbaren Schmuck von jenen unheimlich funkelnden Edelsteinen aus ihrer Heimat, den farbenschillernden Opalen in Rubinen gefaßt, bot.

»Geben Sie!« sagte sie ungeduldig.

Der Fürst zog aus der Brusttasche ein Couvert und nahm daraus ein Papier. Dies überreichte er der Komteß.

Mit einem Sprung war die Ungarin an dem Tisch, der die Lampe trug und hatte das Papier entfaltet. Ihre Augen schienen darüber hinweg zu fliegen, dann las sie laut mit fliegendem Busen, indem helle Röte ihr abgehärmtes Gesicht bedeckte:

 

»Dem Verurteilten Stephan ist das Leben geschenkt und das Urteil des Kriegsgerichts in Verbannung aus den Kaiserlich Königlichen Staaten verwandelt. Bei Betreff innerhalb derselben nach dreimal vierundzwanzig Stunden verfällt Inculpat dem Strick.

Temesvár, den 13. August 1849.

Ruckowina,
Feldmarschall-Leutnant und
Festungs-Kommandant
m. pr.«

 

Als sie das letzte Wort gelesen, ließ sie das verhängnisvolle Papier auf den Tisch fallen, sie bedeckte das Gesicht mit den Händen, und ein heftiges Schluchzen stieg aus der gequälten Brust empor und machte sich Luft trotz aller Anstrengung, es zu unterdrücken.

Die Gräfin hatte das Geschmeide an sich genommen, und las nochmals die Ordre. »Gott sei Dank,« sagte sie, »es ist alles in Ordnung, obschon er es nicht um uns verdient hat. Der Fürst hat das Seine gethan, nun denke an Deine unglückliche Mutter, deren Leben mehr noch als das seine von Dir abhängt!«

Die Komteß hatte das Papier wieder ergriffen, sie wandte es zweimal um und prüfte sorgfältig Schrift und Siegel.

Der Fürst lächelte spöttisch. »Der Kommandant Feldmarschall-Leutnant Nuckowina hat die Ordre eigenhändig geschrieben, jeder Offizier wird Ihnen seine Schrift und sein Siegel bestätigen, wenn es dessen bedarf. Nur hat er eine Bedingung gestellt.«

»Die ist?«

»Die Begnadigung darf erst morgen früh vor der Exekution bekannt werden.«

Sie sah ihn fest an. »Das ist nicht mehr als billig,« sagte sie ruhig, »wir stehen beide vor einem Grabe, nur weiß ich nicht, wessen Nacht die schlimmere sein wird!«

»Cäcilie!«

»Still, Mutter! Sie haben gethan, was ich verlangte, Fürst, ich bin bereit, jetzt zu thun, was Sie verlangen. Hier ist die Hand, die Sie begehren; wenn alles fertig ist, so lassen Sie uns gehen.«

Der Fürst verbeugte sich und griff nach dem Dokument, das auf dem Tisch lag, aber er begegnete einem so drohend funkelnden Blick aus den Augen seiner Braut, daß er unwillkürlich zurücktrat.

»Das ist mein!« sagte sie herrisch, »mein erkauftes Eigentum! Rühren Sie es nicht an!«

Sie nahm das Papier und besah es nochmals sorgfältig; dann schlug sie es in ein Couvert aus den Schreibmaterialien, die man ihr auf ihr Verlangen am Nachmittag gebracht hatte, und versiegelte es mit dem Wappenring ihres Vaters, den sie am Finger trug.

Das Couvert steckte sie in ihren Busen.

»Jetzt bin ich bereit!«

Die Gräfin trat zu ihr, um ihr das Geschmeide anzulegen, aber sie wies es mit einer stolzen Handbewegung zurück. Nur den langen kostbaren Schleier, den die Mutter aus dem herbeigeholten Karton genommen, ließ sie sich in dem dunklen Haar befestigen und zog ihn dann über das Gesicht.

Ein ungeduldiges Zeichen bedeutete den Fürsten, daß sie warte.

Er öffnete die Thür und reichte ihr den Arm. Der riesige Kosak Petrowitsch schritt vor ihnen her, nach dem Gemach, in dem die Zeugen ihrer warteten.

Der Pope stand an dem zu einem Altar gestalteten Tisch. Nur die beiden Russen und ein österreichischer Offizier waren gegenwärtig.

Der letztere war der Hauptmann Feldegg, derselbe, der die Unterredung mit dem Parlamentär der Revolutions-Armee am Tage vor der Schlacht gehabt, und der bei der Verurteilung des Kriegsgerichts mitleidig den Grafen zum Schweigen ermahnt hatte.

Der Fürst stellte den Offizieren seine Braut vor, sie beantwortete schweigend mit kaltem Kopfnicken ihre Glückwünsche.

Der österreichische Offizier blieb vor ihr stehen.

»Mit Ihro Gnaden Erlaubnis habe ich Ihnen im Namen des Kommandanten Feldmarschall-Leutnants Baron von Ruckowina anzuzeigen, daß Ihro Gnaden der Haft entlassen sind, aber binnen drei Tagen das österreichische Gebiet zu meiden haben.«

Die Komteß nickte. »Das ist die Sache des Fürsten. Einen Augenblick, Herr!«

»Ich stehe Ihro Gnaden zu Befehl.«

»Ich habe einige Fragen an Sie zu richten und bitte Sie, mir auf Ihre Ehre als Offizier zu antworten!«

Der Hauptmann verbeugte sich zustimmend.

»Wann soll das Todesurteil an den Gefangenen vollstreckt werden, die gestern mit uns vor Ihrem Gericht standen?«

»Morgen früh!«

»Kann ich den Offizier sprechen, der der Vollstreckung beizuwohnen hat?«

»Als Mitglied des Kriegsgerichts ist mir leider diese Pflicht zugefallen. Ich bedaure unendlich …«

Die Komteß unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich habe bemerkt, daß Sie ein Herz haben auch für das Unglück des Feindes. Ich lege in Ihre Hände dies Papier und bitte Sie, mir Ihr Ehrenwort zu geben, daß es keinen Augenblick aus Ihrer Verwahrung kommt, daß Sie es morgen vor Beginn der Hinrichtung öffnen, und daß die darin enthaltene Ordre vollzogen wird.«

Der Offizier sah sie erstaunt und fragend an. »Wenn es eine dienstliche Ordre enthält, versteht sich die Vollziehung von selbst.«

»Ich habe nicht das Recht, Ihnen weiteres zu sagen, aber es hängt Tod und Leben davon ab. Ich habe Ihr Wort, daß Sie das Papier fest bewahren?«

»Mein Ehrenwort!«

»Ich danke Ihnen!« – Sie übergab ihm das Couvert mit dem verhängnisvollen Dokument, dann wandte sie sich zu dem Fürsten. »Nunmehr, mein Herr, ist Cäcilie Pálffy bereit, Fürstin Trubetzkoi zu werden.«

Der Fürst hatte der kurzen Verhandlung beigewohnt, ohne eine Miene zu verziehen, jetzt nahm er die Hand der Braut und führte sie vor den Geistlichen.

Die Ceremonie war kurz, als sie vollendet und die Ringe gewechselt waren, küßte der Fürst nach russischer Sitte seine junge Gattin, die mit fester, klarer Stimme das verhängnisvolle »Ja!« gesprochen, auf die Stirn, und die Offiziere traten herbei, dem Paar ihre Glückwünsche abzustatten. Die Gräfin warf sich in die Arme ihrer Tochter und weinte heftig.

Die Fürstin blieb ruhig und kalt, selbst den Thränen ihrer Mutter gegenüber. Sie war sehr bleich, aber mit dem Augenblick, da sie vom Altar zurückgetreten, war jede äußere Spur der Aufregung verschwunden, und sie nahm die Gratulationen der Offiziere mit der Ruhe der vornehmen Dame in Empfang. Erst als den Formen der Konvenienz volles Genüge geschehen, wandte sie sich an ihren Gemahl. »Ich bitte Sie, Durchlaucht,« sagte sie, »nunmehr die Schritte zu thun, zu denen Sie das Recht und die Pflicht haben.«

Der Kosak Petrowitsch hatte während der Ceremonie von außen die Thür bewacht, damit keinerlei Störung eintreten könne. Der Fürst verbeugte sich gegen seine Gemahlin und öffnete selbst die Thür.

»Ist Leutnant Damoroff da?«

»Ja, Herr. Er wartet vor der Thür in der Kibitka.«

»Hole ihn!«

Zwei Minuten darauf trat ein junger russischer Offizier in der Feldjäger-Uniform ein und blieb salutierend an der Thür stehen.

Der Fürst nahm aus seinem Portefeuille eine offene Depesche und reichte sie seiner Gemahlin. »Sie ist an Fürst Schwarzenberg gerichtet und enthält die Anzeige unserer Verbindung und die Forderung der vollständigen Begnadigung Ihrer Mutter, Madame,« sagte er. »Belieben Sie dieselbe zu lesen?«

Die Fürstin lehnte es mit einer Bewegung ab, die Gräfin aber las und umarmte dann dankbar ihren Schwiegersohn.

»Ihren Siegelring, Madame, wenn ich bitten darf.«

Die Fürstin reichte ihm denselben, ohne eine Bemerkung zu machen. Wie sie vorhin die Begnadigungsordre, so siegelte der Fürst jetzt seine Depesche und trat zu dem Feldjäger.

»Nicolai Damoroff,« sagte er, seine Uhr ziehend – »es ist jetzt 8 Uhr 50 Minuten. Du siehst?«

»Ich sehe!«

»Binnen hier und achtundvierzig Stunden mußt Du in Olmütz sein und diese Depesche an ihre Adresse geben.«

»Ja!«

»Sobald Du die Antwort erhalten, kehrst Du hierher zurück!«

»Ja!«

»Nimm die Depesche!« – Der Offizier steckte sie in die Ledertasche, die er vor der Brust trug und schnallte diese zu.

»Du hast meinen Befehl verstanden, Leutnant Damoroff?«

»Ich habe!«

»Dann geh!«

Die lebendige Maschine salutierte, dann drehte sie sich um und verließ, ohne auch nur mit einem Wort sich zu verabschieden, das Gemach.

Hätte die Ordre ihn an die fernste Grenze Sibiriens, an die Ufer des Baikal oder ins Escurial gesandt, es wäre dasselbe gewesen.

Der Fürst bot seiner Gemahlin den Arm. »Erlauben Sie mir jetzt, Madame la Princesse, Sie in die Wohnung zu geleiten, die ich vorläufig, so gut es die Umstände erlaubten, für Sie ausgesucht. Ich muß Sie dann verlassen, um mit diesen beiden Herren Baron Haynau meinen Besuch zu machen und ihm unsere Vermählung anzuzeigen. Seien Sie versichert, Madame, daß ich ungeduldig die Minuten zählen werde, bis ich das Glück habe, Sie wiederzusehen!«

Sie antwortete nicht. Sie umarmte schweigend die Gräfin, ihre Mutter, die sie mit Thränen, Dankesworten und Segenswünschen überschüttete.

Dann ließ sie sich zum Wagen führen, während die Gräfin mit erleichtertem Herzen in ihre vorläufige Haft zurückkehrte.

An der Thür des Hauses des Bojaren Stephanowitsch empfing die schöne Frau desselben mit ihrer Schwester und dem Preußischen Agenten das neuvermählte Paar. Der Fürst geleitete seine Gattin nach den Zimmern, die man für sie hergerichtet und beurlaubte sich dann. Afanasja, die Schwester der Bojarin, sollte bei der Fürstin zurückbleiben, um ihr die Dienste der fehlenden Kammerfrau zu leisten.

Als der Fürst zu seinem Magen zurückkehrte, fand er zu seinem Staunen den Kosaken Alexei bei seinem Kameraden.

»Wo kommst Du her, warum bist Du nicht in dem Hause geblieben, wie ich Dir befahl?«

»Verzeihung, Batuschka, aber es ist etwas passiert!«

»Was?«

»Sie ist fort!«

»Wer?«

»Die Panuschka, die kleine Herrin!«

»Feodora?«

»Du sagst es, Väterchen!«

»Der Teufel ist Dein Väterchen, Schurke! Ich werde Dir hundert Hiebe geben lassen, wenn es wahr ist. Hab' ich Dir nicht verboten, sie fortzulassen?«

»Sie ist auch nicht durch die Thür fort,« sagte der Kosak, trotz der Aussicht auf die Hiebe über seine bewiesene Klugheit schmunzelnd. »Alexei ist kein Esel, und als sie fortlaufen wollte, hab' ich mich quer vor die Thür gestellt.«

» K tschortu! wie ist sie denn herausgekommen?«

»Durchs Fenster, Väterchen, sie kletterte wie eine Katze, Du hast mir bloß von der Thür gesagt.«

»Dummkopf! Du sollst Deiner Strafe nicht entgehen. Mag sie zum Teufel laufen; wenn sie müde ist, wird sie schon zurückkehren. Petrowitsch, Du bleibst hier und entfernst Dich nicht von der Thür des Hauses, während dieser Tölpel mich begleitet. Sollte die Dirne versuchen, hier einzudringen, so hältst Du sie fest!«

Die Kosaken halfen dem Gebieter in den Wagen, in dem bereits die Trauzeugen Platz genommen. Dann flog das Dreigespann davon, dem Hauptquartier des Oberfeldherrn zu.


Es war elf Uhr, der Donner grollte näher und näher, und die Nacht wurde nur durch das grelle Leuchten der Blitze von Zeit zu Zeit erhellt; trotz der zahlreichen Menschenmasse, die jetzt in der Umgebung der Festung lagerte, war der Platz vor dem Hause des Bojaren leer, denn wer irgend konnte, hatte Schutz vor dem drohenden Unwetter gesucht.

An der Thür des Hauses lehnte der Kosak Petrowitsch, die Pfeife im Münde, gleichgültig der Arbeit zuschauend, die vier oder fünf Männer etwa zwanzig Schritt von der Ecke des Gebäudes bei dem Schein einer Fackel ausführten. Es waren Soldaten vom Grenzer Bataillon, die bei der Schwüle des Abends ihre Jacken abgeworfen und eifrig mit Graben beschäftigt waren. Ein Mann, in einen roten Seressaner Mantel gehüllt, den Kopf bloß und nur von einem Wulst schwarzer Haare bedeckt, leitete die Arbeit und gab Anweisung, wo und wie tief die Löcher, die sie in den Boden höhlten, gegraben werden sollten.

Über den Platz kam mit raschem, elastischen Schritt der österreichische Agent und ging auf den Kosaken zu.

»Ist der Fürst zurück?«

»Nein, Herr!«

»Wahrhaftig, er hat keine besondere Eile wegen der Brautnacht!« Der Doktor verließ die Thür und trat zu dem Mann im roten Mantel. »Ist die Sache in Ordnung?«

Der Rote lachte tückisch. »Der Szábo wird verstehen doch sein Werk! Wollen Euer Gnaden selber sehen – Bursche einfältige wollten graben dort drüben, aber hab' ich bestanden drauf, daß Platz gewählt ist hier!«

»Es ist recht so, aber ich sehe nichts!«

Der Andere nahm die Fackel und hielt sie hoch, in einiger Entfernung sah man drei behauene Balken und einige kürzere Querhölzer liegen.

Der Doktor nickte nachdenklich. »Im Grunde genommen, ist das Leiden viel zu kurz, ich habe es mit ihm zu thun, nicht mit ihr! Der Fürst ist ein Thor, der seinen Vorteil nicht versteht.«

»Meinen Sie?«

Er wandte sich erschrocken um, denn er hatte unwillkürlich laut gedacht. Hinter ihm stand eine Frauengestalt in einen dunklen Mantel gehüllt.

»Kommen Sie hierher, Doktor!«

Er erkannte die Stimme. »Wie, Sie hier …«

»Still! Hierher, sage ich!«

Sie ging ihm voran, einige Schritte abseits, wo die Dunkelheit sie verbarg und die Arbeiter sie nicht hören konnten. Es war die Zigeunerin.

»Was machen Sie hier?« fragte sie gebieterisch.

»Ich warte auf den Fürsten!«

» Bizony! Keine Ausflüchte, Doktor, wir sind entweder Verbündete oder Feinde!«

»Schöne Feodora, Sie wissen, wie gerne ich mit Ihnen Freundschaft halte. Es wird jetzt um so nützlicher sein für uns beide.«

» Fene egyemek! ich kümmere mich den Teufel darum. Aber ich will nicht, daß er sterben soll.«

»Wer?«

»Stellen Sie sich nicht unwissend an. Der Graf!«

»Es liegt mir ebenfalls nichts daran, ich wüßte ihn lieber in den Bleigruben Sibiriens oder in der grauen Kutte in den Felsschluchten des Elbrus!«

»Das ist nur gleich, nur hängen sollt Ihr ihn nicht. Seit sie den alten Fiedler, meinen Vater, gehängt, verabscheue ich den Gedanken.«

»Aber es ist keine Möglichkeit, sein Schicksal zu ändern.«

»Das blanke Geld vermag alles, damit kauft man Euch alle.«

»Aber ich habe kein Geld für den Zweck!«

»Ich habe es, der Fürst ist nicht geizig. In dieser Rolle sind hundert Goldstücke, Sie sollen das Doppelte haben, wenn es dessen bedarf.«

»Das ist ganz gut, aber ich brauche andere Hilfe. Ich sehe den Weg noch nicht!«

»Versuchen Sie Ihr Heil im Lazarett, bestechen Sie die Wächter, den Wundarzt! Hier, auf diesem Papier steht der Name eines Mannes, dem Sie vertrauen können, es ist der Jude Isaschar.«

»Wer gab Ihnen den Namen, Feodorowna?«

»Einer, der mutiger und schlauer ist, als Sie und ich zusammen. Der Rózsa Sándor!«

»Wer, der Betyár? Er ist hier?«

»Glauben Sie, daß er seine Freunde sterben lassen würde, ohne alles mögliche zu ihrer Rettung zu versuchen? Ich kenne ihn besser von jener Zeit her, als er auf den Pußten am Feuer unseres Stammes lagerte. Er ist kaum zweihundert Schritt von hier, und ein Laut von mir könnte ihn warnen, oder zu meiner Hilfe herbeirufen. Aber er darf sich nicht in die Festung wagen. Entschließen Sie sich kurz; ich höre das Rollen eines Wagens.«

Der Doktor schien in der That seinen Entschluß gefaßt zu haben.

»Haben Sie Vertrauen zu mir und bleibt das Geld unter allen Umständen zu meiner Verfügung?«

»Behalten Sie den Bettel!«

»So sagen Sie dem Betyáren, daß er sich fern halten und in keiner Weise einmischen soll, was er auch sehen und hören möge. Von den dreien, die morgen sterben sollen, werden nur zwei den Tod erleiden. Einer ist begnadigt!«

»Der Graf?«

»Das weiß ich nicht! ich werde thun, was ich kann, ich bin bereit, meine persönliche Fehde mit Ihrem Schützling Ihrem Willen zu opfern, vergessen Sie das nicht. Er soll selbst wählen, ob er leben oder sterben will. Aber jetzt gehen Sie, wenn der Fürst Sie nicht finden soll, denn dort kommt wirklich sein Wagen.«

Sie hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Noch eins! wo ist das Brautgemach der stolzen Gräfin?«

»Jene zwei Fenster dort mit den erleuchteten Vorhängen.«

Die Maitresse lachte höhnisch. »Viel Vergnügen im Brautbett. Wollen Sie ein Geheimnis wissen, Doktor?«

»Dazu bin ich immer bereit!«

Sie flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Der Agent fuhr erstaunt zurück. »Ist es möglich? Sie noch …«

»Es soll Ihre Belohnung sein, wenn Sie meinen Willen erfüllen! Ich erwarte Sie in Ihrem Quartier.«

Der Wagen des Fürsten rasselte heran, während sie davon huschte. Der Doktor sprang an den Schlag.

Die beiden Kosacken halfen ihrem Gebieter aus dem Wagen. Er murmelte etwas Unverständliches als Antwort auf die Anrede seines Vertrauten, und als er in den erleuchteten Flur trat, bemerkte dieser, daß seine Augen starr und gläsern, die Farbe seines Gesichts dunkel gerötet war.

Er hatte offenbar einer jener Libationen wieder gefröhnt, denen er früher oft genug sich ergeben.

»Hier herein, Durchlaucht, einen Augenblick!«

Der Doktor öffnete eine Thür und leitete den schwankenden Gang des Fürsten dort hinein, wo er ihn auf einen Stuhl niederließ.

»Meinst Du, ich sei betrunken, Bursche?« sagte er stammelnd. »Zum Henker mit Dir! Champagner her! die Fürstin Trubetzkoi soll leben! ich kenne meine eheliche Pflicht!«

Er lachte tückisch auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Sie haben den Feldzeugmeister gesehen, Fürst?« unterbrach ihn der Agent.

» K tschortu! was er für Augen machte, der deutsche Bastard, und wie er sich den Schnurrbart strich, als ich mich ihm als Ehemann der Pálffy vorstellte. Er sah, daß ihm der Russe heute zum zweitenmal die Beute fortgeschnappt! Dies deutsche Gezücht soll noch besser lernen, daß der Russe sein Herr ist, und Europa nach seiner Pfeife tanzen muß! Im Staub soll sie zittern, die deutsche Canaille!«

Der Doktor schien die Prahlerei zu überhören, die all den so lange unter der Außentünche verborgenen brutalen Übermut in der Offenherzigkeit des Trunks zu Tage brachte. »Hat der Feldzeugmeister in die Aufhebung des Urteils gegen die Gräfin gewilligt?«

»Bah! er hat den Kirchbach, seinen Adjutanten, in die Festung geschickt mit der Ordre, ihr anständige Haft zu geben, wie es sich für die Schwiegermutter des Fürsten Trubetzkoi ziemt!«

»Aber die Vollstreckung der Strafe morgen, das Peitschen …«

»Bist Du toll, Doktor! Keine Silbe war mehr die Rede davon! das versteht sich von selbst. Wo ist die Tunsa? schafft die Tunsa her, oder ich lasse allen die Knute geben, und Dir Spitzbuben zuerst!«

»Sie ist nicht hier, ich habe gehört, daß sie entflohen durch die Schuld Ihres Kosaken!«

»Der Hund! die Bestie! mit dem nächsten Transport soll er nach dem Kaukasus. Tschorte wos mi! wir sind klüger mit unsern Gefangenen, als Ihr deutschen Tölpel. Zum Futter für die Tscherkessenkugeln oder in meinen Bergwerken am Ural kann ich sie besser brauchen. Der Hund, der Alexei soll mit! schafft die Tunsa herbei, die Hexe soll bei mir bleiben!«

»Ich werde sie aufsuchen, Durchlaucht! aber ich muß Ihre Ordre haben, daß ich nötigenfalls Gewalt brauchen kann, wenn sie sich weigert. Nur Ihren Namenszug, Durchlaucht!«

»Her damit!« Der Trunkene riß ihm die Feder aus der Hand, die jener ihm mit einem Blatt Papier bot und kritzelte seinen Namen darauf. Ehe er weiter zur Besinnung kam, hatte der Doktor bereits das Papier an sich genommen und eingesteckt.

»Haben Sie vergessen, Fürst, daß man Sie erwartet!«

»Wer?«

»Wer sonst als Ihre junge Gattin! Haben Sie denn ganz vergessen, daß eine Brautnacht Ihrer harrt, die Sie so lang ersehnt? daß diese Nacht bestimmt ist zur Rache an Ihrem Feind?«

»Zur Rache!« Der Trunkene hatte sich erhoben, wiederum schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß der Leuchter emporsprang. »Petrowitsch! Ruf' den Petrowitsch!«

Der Doktor sah ihn erstaunt an, aber es lag eine so furchtbare Energie in dem Gesicht des Trunkenen, daß er mit keiner Silbe zu widersprechen wagte, sondern nach der Thür ging und den Kosaken rief.

Dieser schien des Rufes geharrt zu haben, denn er trat sogleich ein.

»Wasser!«

Der Fürst hielt sich an dem Tisch fest, die Augen stier auf einen Punkt gerichtet. Der Agent wagte nicht ihn anzureden, so schrecklich war sein Aussehen.

Zwei Minuten darauf trat der Kosak ein mit einem großen Stalleimer voll Wasser und stellte ihn vor den Fürsten auf den Tisch.

»Zieh mich aus!«

Der Kosak öffnete fernem Herrn die Uniform und zog sie ihm aus.

Sobald dies geschehen, streckte der Trunkene das ganze Gesicht in den Eimer und wiederholte dies schnaufend dreimal.

»Vorwärts! gieß zu!«

Der Kosak hob den Eimer und goß langsam den ganzen Inhalt seinem Herrn über Kopf und Nacken.

»Einen andern!«

Petrowitsch verließ das Zimmer und kehrte schnell mit dem neu gefüllten Eimer zurück, mit dem er dasselbe Manöver wiederholte.

Die Stube schwamm fast in Wasser, so daß der Doktor in eine Ecke retirierte.

Der Fürst blieb einige Minuten in derselben Stellung, in der er das Bad erhalten, dann richtete er sich empor und schüttelte sich wie ein Pudel, den man ins Wasser geworfen.

Sein Gesicht hatte die frühere Bleifarbe wieder angenommen, jede Spur der Trunkenheit war aus seiner Haltung verschwunden.

»Ich danke Ihnen, Doktor, daß Sie mich erinnert. Ist alles in Ordnung, wie ich es befohlen?«

»Ja, Durchlaucht!«

»So leben Sie wohl bis morgen. Wenn die schöne Pálffy mich nicht etwa erwürgt haben sollte, so können Sie morgen Ihre tausend Dukaten in Empfang nehmen. Ist Pierre da?«

»Er wartet auf Dich, Batuschka, mit den Kleidern!«

»Gut. Finden Sie die tolle Dirne, so bringen Sie sie in Sicherheit! Ihr Werk ist gethan, jetzt beginnt das meine! Adieu!«

Er nickte dem Agenten zu und schritt, ohne sich des Stocks zu bedienen, nach der Thür, die der Kosak demütig öffnete.

Der Doktor sah ihm erstaunt nach.


Es war Mitternacht. Der Emissär des Herrn von Manteuffel war in dem Gemach, das die Bojarenfrau ihm eingeräumt, im Begriff, das Lager zu suchen, nachdem er seine Tagesnotizen niedergeschrieben und nochmals überlesen hatte.

Draußen tobte das Gewitter jetzt mit voller Macht, der Donner rollte in gewaltigen Schlägen, und der Sturm rasselte an den losen Fenstern des Gebäudes und ließ die Schläfer sich freuen, daß sie unter Obdach geborgen waren.

Im Begriff, seine Lampe auszulöschen, glaubte der Preuße es leise an seiner Thür pochen zu hören. Zuerst hielt er es für das Rasseln des Sturms, aber gleich darauf wiederholte sich das Pochen lauter.

Er zog seinen Rock an und öffnete die Thür.

Vor ihm stand, ein Licht in der Hand mit demütig zur Erde gesenktem Blick, nur von einem Feredschi oder leichten türkischen Mantel umhüllt, die schöne Bojarenfrau, an ihrer Hand ihre auf gleiche Weise gekleidete Schwester.

Der Agent trat erstaunt zurück. »Was ist geschehen, Madame? bedürfen Sie meines Beistandes?«

Sie trat zwei Schritte näher und zog das schüchtern zögernde Mädchen hinter sich her. Dann schloß sie selbst die Thür und setzte ihr Licht auf den Tisch.

»Wir kommen, Dir zu danken, Herr, für das Leben des Stephanowitsch.«

Sie sank zu seinen Füßen nieder und umfaßte seine Knie, der leichte Mantel löste sich von den Schultern, und die schöne Büste der jungen Frau mit dem wogenden vollen Busen, über den in langen Strähnen das schwarze Haar niederfiel, bot sich frei den Augen des Mannes.

Er versuchte sie aufzuheben, seine Hände zitterten vor dem Blutschlag, der durch seine Adern zu pulsieren begann.

»Stehen Sie auf, Madame! was ich gethan, war meine Pflicht als Mann, nicht mir haben Sie es zu danken …«

»Du bist unser Retter, Du hast ein Herz für unsere Thränen gehabt,« sagte das schöne Weib mit den leidenschaftlichen Worten des orientalischen Bilderreichtums, »Du bist der Herr, und wir sind Deine Dienerinnen. Wirst Du unsern Dank verschmähen? Suzzana hat nichts zu geben als sich selbst und den jungfräulichen Leib ihrer Schwester. Wähle, Herr, welche Dein Arm umfangen will, und laß die andere Deine Sklavin sein.«

Sie lag vor ihm in dem ganzen Reiz des üppig schönen Frauenleibes, eine Bewegung ihrer Hand riß den grünen Feredschi von den Schultern ihrer Schwester und in der ganzen Herrlichkeit des jungfräulichen Körpers stand das errötende Mädchen, die kleinen Hände über die Brust gekreuzt, ohne jede Hülle vor dem betroffenen Diplomaten.

Die Versuchung des heiligen Antonius war bei den destringierenden Vorbereitungen desselben ein Kinderspiel gegen die Lockung dieser doppelt sich öffnenden Liebesarme. Erst jetzt wurde es dem jungen Agenten klar, was sein österreichischer Kollege mit seinen Anspielungen gemeint, und einige Augenblicke lang kämpfte das rasende Blut in seinen Adern mit den Mahnungen des Verstandes und der Pflicht. Aber die Schule der asketischen Diplomatie des Herrn v. Manteuffel war streng genug, um den Sieg davon zu tragen, und rasch die Lampe verlöschend, damit ihr Licht durch den verlockenden Anblick nicht den spartanischen Entschluß des Verstandes zu schmelzendem Schnee machen möge, drängte er die ihn umfangenden warmen Wellenformen der Frauen zurück nach der Thür.

Es war ihm gelungen, sich selbst zu besiegen, und das ist ein stolzes Bewußtsein. Ob aber im späteren Leben, als er Gelegenheit hatte, den Unterschied zwischen der Dankbarkeit der heißblütigen Frauen des Südens und dem des nordischen Kabinetts in der Wilhelmsstraße kennen zu lernen, ihn nicht manchmal bittere Reue bei der Erinnerung an jene dem kalten Verstande geopferte Nacht in der bombensicheren Vorstadt Temesvár überkommen – wer möchte dafür bürgen!


Mit sicherem, ruhigen Schritt, keine Spur der genossenen Libation mehr in seinem Äußeren, mit Ausnahme der dunkel geschwollenen Ringe um die Augen, trat der Fürst bei seiner unglücklichen Gemahlin ein.

Die Fürstin, in ein Nachtkleid gehüllt, saß teilnahmlos auf dem Rohrdiwan. Sie schien den Eintritt ihres Gemahls kaum zu beachten.

Der Fürst trug jetzt einen weiten türkischen Schlafrock und gleiche Beinkleider. Er stellte das Licht, das er in der Hand trug, auf den Tisch und schloß dann die Thür von innen ab. Den Schlüssel steckte er in die Tasche und setzte sich neben sein Opfer.

»Sie haben sich etwas lange gedulden müssen, meine Teure,« sagte er lustig, »und an einem solchen Abend lieben das die jungen Frauen nicht. Indes, es ließ sich nicht ändern, dieser deutsche Starrkopf konnte nur schwer überzeugt werden, daß Sie wirklich bereits Fürstin Trubetzkoi sind, und dann konnte ich mich unmöglich der Gesellschaft meiner Freunde so rasch entziehen. Indes ich denke, wir holen das Versäumte nach Kräften nach, wir haben ja die ganze schöne Nacht vor uns, und wie Sie gesehen, habe ich als zärtlicher Ehegatte dafür gesorgt, daß wir nicht gestört werden.«

Die Ungarin erhob sich stolz. »Ich bitte Euer Durchlaucht,« sagte sie ernst, »nicht zu vergessen, daß Sie Ihre Gemahlin, nicht Ihre Maitresse vor sich haben.«

»Vortrefflich, Püppchen, der Stolz steht Dir allerliebst. Aber im Grunde, wenn's auf das Endresultat hinaus kommt, seid Ihr alle gleich, Zigeunerin oder Gräfin, wenn nur die Bettgenossin schön küßt und wärmt! Und darum lassen Sie uns den Anfang machen, und geben Sie mir einen zärtlichen Kuß!«

Die Röte des Unwillens über die freche und schamlose Sprache übergoß ihr Gesicht, als sie mit Gewalt sich von seinen Händen frei machte. »Ich bin Ihr Eigentum, leider,« sagte sie stolz, »ich kenne meine traurigen Pflichten, aber ich werde nicht dulden, daß Sie mich erniedrigen. Ehe ich mich Ihrer Willkür übergebe, will ich des Kaufpreises sicher sein und wissen, was man mit der Gräfin, meiner Mutter, gemacht hat!«

»Der Adjutant des Feldzeugmeisters, Major Kirchbach, hat schon vor zwei Stunden dem Festungskommando die Ordre gebracht, der Schwiegermutter des Fürsten Trubetzkoi ein passendes Gemach einzuräumen und ihr alle Berücksichtigung angedeihen zu lassen. Mein Ehrenwort darauf!«

»Ich danke Ihnen! und jenes empörende Urteil?«

»Bah, der Feldzeugmeister hat seiner mit keiner Silbe mehr erwähnt. Es versteht sich, daß nach meiner Vermählung mit Ihnen nicht mehr die Rede davon sein konnte.«

Die junge Frau hatte sich ihm genähert und blieb vor ihm stehen. Ihr großes, dunkles Auge ruhte, wenn auch ohne Liebe, doch nicht in finsterm Haß und Feindschaft auf ihm.

»Der Wille Gottes, Herr, und Ihr eigener hat mich an Sie gekettet. Welches Unglück es auch für mein junges Leben ist, Sie werden mich stets bereit finden, die Pflichten meiner Stellung zu erfüllen. An Ihnen wird es liegen, für die kurze Spanne Zeit meines Lebens mir dies nicht allzuschwer zu machen.«

»Ihre erste Pflicht, Teuerste,« sagte der Fürst lustig, »wird sein, mir möglichst viel Vergnügen zu machen; Ihre zweite: dem Namen Trubetzkoi einen Erben zu geben. Sind Sie damit einverstanden?«

Sie bebte zurück bei der Roheit dieser Worte.

»D'rum munter, Liebchen, und lassen Sie uns anfangen. Wie haben Sie das Programm unserer Hochzeitsnacht aufgestellt?«

Sie warf ihm einen Blick der Verachtung zu. Er lachte, aber es war nicht das Lachen eines bloß frivolen Scherzes, es war etwas Teuflisch-Tückisches, Höhnendes in ihm. »Hören Sie! ich kann Ihnen leider kein Ständchen bieten zur Begleitung unserer ersten Umarmungen, meine Regimentsmusik ist etwas weit; wir müssen uns mit dem Klopfen und Hämmern da draußen begnügen!«

In der That vernahm man in den Pausen des Sturms und Donners deutlich das Geräusch der Säge oder die Schläge der Axt und das Klopfen des Hammers.

»Was geschieht da draußen?«

»Bah, ich denke, man holt die Ehren- und Blumenpforte nach, die man der jungen Frau schuldig ist. Wir werden morgen Zeit haben, sie zu bewundern und wollen uns nicht die Überraschung verderben!«

Der Donner des Himmels zerriß die Luft, als zürne die gewaltige Stimme der Natur über die frevelnden Worte. Die unglückliche Frau erbebte, ohne selbst zu wissen warum.

Der Fürst stürzte auf sie zu. »Soll ich Ihre Kammerjungfer abgeben? Sie sehen, meine liebende Ungeduld läßt sich nicht länger zügeln.«

Sie stieß ihn zurück mit der letzten Kraft und flüchtete nach dem Alkoven.

Schlag um Schlag tönte draußen der Aufruhr der Elemente, unter dem gewaltigen Ausbruch des Wetters waren die Axtschläge verstummt und die unheimlichen Arbeiter unter ein schirmendes Obdach geflüchtet. Der Sturm rüttelte in wilden Stößen an den Mauern des Hauses.

»Hei! das wird eine lustige Brautnacht, Madame. Wenn solch Wetter da draußen tobt, tändelt sich's um so schöner im warmen Arm der Liebe! Meinen Sie nicht auch, Madame?«

Ein leiser, halb unterstickter Seufzer antwortete ihm allein. Der Fürst trat in den dunklen Alkoven und kam sofort wieder heraus.

Er trug im Arm die Kleidung der jungen Frau und ihr Negligee, ballte sie zu einem Bündel zusammen und warf sie aus der Thür, die er wieder verschloß.

»Was thun Sie da, Fürst? was soll das bedeuten?«

»Keine Sorge, meine Teuerste, Sie werden morgen besseres an ihrer Stelle finden. Überdies sichert die kleine Vorsicht mir mein Glück. Sie können meiner Zärtlichkeit dann nicht entwischen. Die jungen Frauen sollen es manchmal lieben, den Gatten schmachten zu lassen! Sind Sie bereit?«

Ihm antwortete keines jener verschämten Worte der Liebe, kein Seufzer glücklicher Sehnsucht, die sich am Ziel der irdischen Wünsche findet in jener Nacht, die die heiligste, seligste ist des Lebens für die, welche das Herz zusammengeführt, der Traum des Jünglings, und die süße Erinnerung noch des greisen Paares, das den kommenden Geschlechtern Platz macht zum Lieben und Leben auf der schönen Erde!

Der Russe hatte den Schlafrock von sich geworfen, so stand er auf der Schwelle des Alkovens, seine Brust keuchte, seine Augen waren aufs neue mit Blut unterlaufen und dunkle Röte bedeckte seine Stirn; es war, als wenn all der Taumel und die Aufregung des Trunks, die er vorhin erstickt, aufs neue sich seiner Sinne bemächtigt hätten.

»Erinnern Sie sich an unser Duell im Wald von Telek, meine Holde?«

Sie antwortete nicht!

»Wohl! Sie haben den Dank noch zu gut für Ihre Kugel. Sie haben schlimm gezielt, Madame, und wenn der Dank Ihnen jetzt kein Vergnügen macht, dann bedenken Sie, daß es Ihre eigene Schuld ist!«

Er stieß mit einem lauten Gelächter die Lampe um und stürzte sich in das Klosett.

Draußen tobte der Kampf der Natur! Die Nacht war schwarz, dunkler und tiefer noch die Nacht da drinnen, wo Liebe um Liebe sich tauschen sollte in ewiger Vereinigung! entsetzlicher der Kampf da drinnen, wo der Leib die Harmonie der Seelen besiegeln sollte!

Ein gellender Aufschrei unter dem wilden frechen Gelächter des Russen, ein langes schreckliches Ringen, dann das Keuchen der sinkenden Kraft, schwächer und schwächer, zuletzt ein leises Wimmern.

An den Fenstern und Mauern schüttelte der Sturm – ferner und ferner rollte der Donner!

Dann begannen die Axt und der Hammer aufs neue ihr nächtliches Werk, und die Säge kreischte ihren widrigen einförmigen Sang!


Ein kurzer, gedämpfter Trommelschlag, näher und näher, der Tritt einer marschierenden Kolonne.

»Halt!«

Durch die geschlossenen Vorhänge des Gemachs leuchtete seit Stunden der blaue heitere Augustmorgen, sonniger und freundlicher noch nach der wilden Gewitternacht.

Das bleiche zerstörte Gesicht auf die Hand gestützt, ruhte die junge Frau auf dem Lager. Der Arm des schlafenden Gatten hatte sich um ihren Leib geschlungen, daß sie keine Bewegung hätte machen können, ohne ihn zu wecken.

Sie machte auch keine Bewegung, selbst das dunkle Auge rührte sich nicht, nicht einmal zu einen: Thränenstrom, sondern haftete starr, gedankenlos auf einem Fleck. Ihre Kraft war erschöpft, der Stolz gebeugt, der sie aufrecht erhalten; ein geschändeter Leib, das Spiel brutaler Willkür, ein gebrochenes Herz, das war, was der Lendemain auf dem hochzeitlichen Lager beleuchtete.

Ob sie sich jene Stunde wohl so geträumt in den keuschen Träumen ihrer Jugend?!

Nicht der tröstende Schlaf war in ihre Augen gekommen, stundenlang hatte sie so dagelegen und gleichgültig dem Erwachen des Tages zugesehen. Sie hätte den Mann fast beneiden können, an dessen Brutalität sie gefesselt sein sollte bis zum erlösenden Tod, wie er so neben ihr lag im tiefen Schlaf nach dem erschöpfenden schrecklichen nächtlichen Kampf.

Das leichte Nachtgewand hing zerrissen vom rohen Griff um ihre Schulter, der weiße jungfräuliche Busen quoll rund und warm an das unkeusche Licht – was kümmerte es sie!

Ob sie in diesen Stunden an jene Judith dachte, wie sie sich erhebt von dem nächtlichen Lager ihres Opfers, erhebt, um das Haupt ihres Entehrers zu nehmen?

Aber das Auge hätte vergeblich das Schwert des Holofernes gesucht, nicht einmal ein Gewand hätte es gefunden, in das sie fliehend ihr Haupt und ihre Scham hätte verhüllen können.

Und wohin hätte sie fliehen sollen? wo war das Heer Judäas? – Zersprengt in die Winde, geopfert von Feigheit und Verrat!

Wieder wirbelten in kurzem Schlag die Trommeln. Die folgende Stille wurde von einer Stimme unterbrochen, die etwas sprach oder vorlas sie konnte die Worte nicht verstehen, nur der gleichförmige Ton schlug an ihr Ohr.

Dennoch begann sie unwillkürlich aufmerksam zu werden, die Bewegung, die sie machte, erweckte den Schläfer.

Gähnend streckte und dehnte er sich und zog sie zurück auf das Lager. »Wahrhaftig, es ist ja heute Hochzeitsmorgen, den müssen wir benutzen! küsse mich, Kind! K tschortu, Du bist so hübsch beim Morgenlicht, und ich so verliebt, daß wir aufs neue beginnen können!«

Die Unglückliche schauderte, als die breiten Lippen des Tyrannen auf ihrem Nacken sogen und schmatzten.

»Haben Sie Erbarmen mit mir!«

»Bah! Erbarmen? Mitleid? hast Du es gehabt, als Du so boshaft gezielt? Du hast Dich selbst um das Beste gebracht, Püppchen und mich dazu, drum halte still für das übrige!« Er zog sie mit Gewalt zurück zu seiner brutalen Lust.

Plötzlich schreckte sie empor und versuchte sich seinen Armen zu entwinden.

»Barmherziger Gott! was ist das?«

Ein kurzer starker Trommelwirbel, im leisen Rollen verlausend, eine unheimliche gräßliche Stille.

»Jesus Maria! lassen Sie mich! was geschieht dort draußen?«

Sie wollte vom Lager aufspringen, aber seine Arme fesselten sie mit Gewalt und rissen sie zurück. »Hier genießen, Schätzchen, hier ist Dein Platz. Was wird es sein – eine kleine Einleitung zum Morgenständchen, das man uns bringt!«

Sie kämpfte sich ab; wie mit ehernen Klammern hielt ihr brutaler Tyrann sie fest.

Wieder nach längerer Pause jener schreckliche Wirbel, jene noch gräßlichere Stille!

Dann nochmals die Stimme, die sie vorhin gehört … sie konnte die Worte nicht verstehen, aber ein gellender jubelnder Aufschrei folgte, ein lautes Weinen und Schluchzen …

»Gewehr auf!«

Die Waffen klirrten … »Gewehr über! Marsch!«

In den Tritt der abmarschierenden Kolonne mischten sich von fern her andere Töne, der Klang einer vollen Regimentsmusik in lustigem Marsch näher und näher, bis sie unter den Fenstern hielten.

Der Fürst ließ sie los. »Ich glaube, es ist Zeit Madame, daß Sie Ihr Lendemain-Geschenk in Empfang nehmen. Sie sollen sehen, daß ich dankbar bin. Wir müssen meine Getreuen begrüßen, die gekommen sind, uns zu gratulieren!«

Eine unsägliche Angst hatte sie ergriffen; mit einem Sprung stürzte sie sich vom Lager und nach dem Fenster.

Der Fürst folgte ihr gemächlich und zog seinen Schlafrock an. »Nehmen Sie sich in acht, meine Liebe, Sie werden sich ein Rheuma zuziehen! Ihre Toilette ist etwas derangiert!«

Keine Gewalt der Erde hätte sie mehr gehalten, so fieberisch schlug ihr Herz – so krampfhaft flogen die Glieder, als sie, ohne den Riegel zu öffnen, die Jalousie aufstieß, daß das goldene Sonnenlicht im Breiten Strom hereinbrach und ihre halbnackte Gestalt überflutete.

Die irren Augen flogen umher …

Im Halbkreis aufmarschiert stand das Regiment ihres Gemahls, vor ihm die Musikbanden und Gruppen von Offizieren …

An der Thür des Hauses, kaum mehr bekleidet wie sie, lag die schöne Bojarenfrau in den Armen ihres alten vom Tode befreiten Gatten jubelnd und weinend …

Und dort …

Ihre Augen schienen zu wachsen und aus den Höhlen zu dringen, die Hände zuckten empor nach den Schläfen.

Kaum fünfzig Schritt von den Fenstern entfernt streckten sich drei Balken in die Luft mit roh gezimmerten Querhölzern.

Schnellgalgen!!

Der dritte war leer, nur an seinem Fuße lehnte im roten Seressaner Mantel eine wilde Gestalt und sah wie bedauernd zu der niederhängenden Schlinge empor, an den Armen der beiden andern schwankten im Morgenwind zwei langgestreckte Gestalten, die Hände auf den Rücken gebunden, das blauschwarz unterlaufene Gesicht zur Seite geneigt, zwei Leichen – die eine in der Kleidung des Betyáren-Deserteurs – die andere in der wohlbekannten Uniform, in der sich der Graf in die Festung geschlichen hatte, und in der er ergriffen war; auf der Brust der schwankenden Leichen zwei Papiere mit großen Buchstaben!«

Honved Tamas!

Honved Stephan!

Der Fürst erhob sein Taschentuch und winkte hinaus.

»Es leben Ihro Gnaden, unser Väterchen, der General und unser Mütterchen, die Fürstin! Hurra! Hurra!«

In dem rauschenden Tusch der Musik verklang der wahnsinnige Schrei, mit dem die jungfräuliche, entehrte Frau zusammenbrach.

Der Fürst betrachtete durch das goldene Lorgnon ruhig die Galgen und ihre Frucht und dann sein bewußtlos am Boden liegendes Weib.

»Gerächt!«


Um 10 Uhr morgens wurde auf einem Platz im Lager der Kaiserlichen Truppen die Gräfin Pálffy mit Ruten gepeitscht.

Der Feldzeugmeister Baron Haynau ließ dem Fürsten Trubetzkoi nach der Exekution durch einen seiner Adjutanten melden, daß er bedauere, dies Urteil des Kriegsgerichts um des Beispiels willen nicht haben aufhalten zu können. Jede Erleichterung der Haft dagegen solle der Schwiegermutter des Fürsten zu teil werden bis zum Eingang der Entscheidung von Olmütz.

Der Fürst hätte sich eigentlich herzlich wenig um das Peitschen gekümmert, ja er gönnte es im stillen der ihm verhaßten Dame von Herzen, aber öffentlich mußte er den Beleidigten spielen, und die Anklagen von seiten der Russen, die in jeder Richtung mit Unrecht bemüht waren, die Unterwerfung Ungarns hauptsächlich sich zuzuschreiben, trugen später nicht wenig zu dem plötzlichen Fall des unbeugsamen Feldherrn bei.

Die Fürstin erfuhr von der traurigen Exekution an ihrer Mutter und der Vergeblichkeit ihres Opfers nichts, denn sie raste in schwerem Fieber. Das Bett der Kranken verließ die Zigeunerin Tunsa nicht, die sich am Morgen wieder eingestellt hatte und auch hierin mit ihrem gewöhnlichen Eigensinn allen Befehlen des Fürsten trotzte. Die Frau und Schwägerin des Bojaren unterstützten sie treu in dieser Pflege, während dieser selbst schon am andern Tage über die serbische Grenze ging.

Die Ordre des Kommandanten, die der Offizier des Kriegsgerichts versiegelt aus den Händen der unglücklichen Frau erhalten und auf dem Platz der Hinrichtung geöffnet hatte, hatte auf die Begnadigung des Verurteilten Stephanowitsch gelautet unter der Bedingung, binnen drei Tagen das Kaiserliche Gebiet zu verlassen.

Am Abend des Tages, welcher der Exekution folgte, verließ ein Transport der Kriegsgefangenen, die das russische Korps Paniutine gemacht, das Lager desselben, um nach dem Kaukasus und den Bergwerken des Ural transportiert zu werden. Der Kosak Alexei, der bei seinem Gebieter in Ungnade gefallen war, begleitete ihn. In derselben Nacht waren die beiden Leichen der Gehenkten von ihrem Galgen abgeschnitten und spurlos verschwunden. Die strengste Untersuchung ergab keine Spur über die kühnen Hände, die es gewagt, sie aus der Mitte einer Armee zu stehlen.


Am 16. August vereinigte sich die Südarmee des Banus mit der Donau-Armee Haynaus bei Neu-Pécs. Arad, der einzige Halt, den die Ungarn in diesem Teil noch inne hatten, war von dem Schlickschen Korps cerniert und wurde, obschon in gutem Stande und reich verproviantiert, von seinem Kommandanten Damjanich an die Russen übergeben, die seinen Truppen freien Abzug gewährten. Auch er vergaß sein Los und das seiner Kranken zu sichern. Am andern Tag rückten die Österreicher ein. Unter den Gefangenen, die sie hier befreiten, befand sich auch der Panduren-Hauptmann Jurisch.

Ein einziges Gefecht fiel noch bei Schäßburg vor, dann ergaben sich die letzten Trümmer der Revolutionsarmee in Siebenbürgen und an der Theiß bei Szibó, Boros-Jenó und Pisky an die Russen und Österreicher. Peterwardein öffnete den letzteren am 7. September auf Gnade und Ungnade seine Thore.

Es war in der Nacht zum 18. August, als ein Haufe von etwa zwanzig Personen bei Währova unterhalb Orsova nahe der türkischen Grenze auf öder Heide eine tiefe Grube umstand. In der Nähe hielt ein Fuhrwerk ohne Führer, denn auch dieser war unter den Männern an der Grube, die sie selbst gegraben, obschon ihre Hand sonst nur an den Griff des Säbels oder die Feder gewöhnt war.

An mitgebrachten Stricken wurden drei Kisten hinunter gesenkt, dann sorgfältig die Erde wieder aufgeschaufelt und der Platz geebnet.

Einer der Männer streute Samen über die Stelle, damit bald das grüne Gewand der Natur sie wieder bedecke, ein anderer maß den Schatten einer einsam zitternden Birke, dessen Spitze der Mond auf die Stelle warf.

In tiefem Schweigen hatte ein Mann, offenbar der Führer der nächtlichen Gesellschaft, in ihrer Mitte gestanden, die Arme über die Brust gekreuzt. Von dem Kalpak schwankte die hohe Reiherfeder, das Auge des Mannes ruhte finster auf der Gruft.

Was sie hier begraben – war es vielleicht der Traum seines Lebens, die stolze geheime Hoffnung seiner Seele, der er sich nahe dünkte, als er an jenem 14. April auf dem Reichstag zu Debreczin das Haus Habsburgs-Lothringen jener Krone verlustig erklären ließ, die er hier jetzt verscharrte auf dem letzten Fleck ungarischer Erde, den sein Fuß betrat?!

Fünf Monde waren kaum vergangen und jetzt?

Rüttelt nicht an den alten Thronen! Gott selbst hat sie gemacht, ihre Pfeiler sind Granit, ihre Spitze ragt zum Himmel, in ihrem Sturz würden sie Euch begraben, die Ihr den Völkern nichts besseres zu bieten habt!

Der Mann trat vor, er hob den Kalpak von seinem Haupt, seine Rechte streckte den ungarischen Säbel, der nie das Blut des Feindes getrunken, weit hinaus, daß die jungfräuliche Klinge im Mondlicht blitzte.

»Schwört!«

Und aus den Scheiden rasselten die Säbel, die schartig geworden im blutigen Kampf für das Vaterland, und legten sich klirrend auf die Klinge des Diktators!

»Wir schwören!«

»Schweigen!«

»Schweigen!«

»Bis zum Tod! oder bis wir sie aufs neue dem Licht des Tages wiedergeben in dem befreiten Ungarland!«

»Wir schwören!«

Die Säbel kehrten zurück in die Scheiden, die Hände der Männer preßten sich krampfhaft.

»Lebt wohl, Brüder! auf Wiedersehen jenseits der Donau! Bei dem Halbmond laßt uns den Schutz suchen, den das christliche Europa Ungarns Söhnen verweigert!«

So schieden sie.


Sie haben den Schwur gehalten. Die Krone des heiligen Stephan mit den Reichskleinodien blieb in ungarischer Erde verborgen länger als vier Jahre. Nur Gerüchte über den Ort, wo man sie vergraben, waren der kaiserlichen Regierung zu Ohren gekommen und hatten wiederholte Nachforschungen veranlaßt, die aber lange vergeblich blieben. Man erfuhr im allgemeinen nur die Gegend, nicht die Stelle, und wollte bereits die durch den ganzen Sommer 1853 fortgesetzten Nachgrabungen einstellen, als am 8. September ein walachischer Arbeiter, der im Streit von den Aufsehern fortgeschickt worden, auf eigene Hand nachgrabend auf die hölzerne und eiserne Kiste stieß, die den Schatz barg? Der Verfasser dieses Buchs war zufällig damals grade an Ort und Stelle und kann von dem Enthusiasmus erzählen, den das Wiederauffinden des alten Palladiums des Reiches machte. Ein eigenes Dampfschiff kam von Pest, die Kleinodien abzuholen.

Am 27. September wurde das letzte Bollwerk des ungarischen Kampfes, die jungfräuliche, mir durch Aushungern einnehmbare Festung Komorn, durch Kapitulation übergeben.

Selbst der starre Sinn des österreichischen Feldherrn achtete die heldenmütige Verteidigung und gewährte dem tapfern Kommandanten und seiner Besatzung so ehrenvolle und liberale Bedingungen, wie keinem andern Teil der revolutionären Armee.

Georg Klapka hat den Ruhm in sein Exil mitgenommen, daß er der einzige unbesiegte Kämpfer der ungarischen Revolution, daß er ein Patriot ohne Eigennutz und Intrigue gewesen ist.

Sein Abschiedswort lautete:

 

»Kameraden!

Meine Brust wird enge, da ich zum letztenmal zu Euch rede, zu Euch, an die mich so viel Leid und Freud, so viel für teures Patriotenblut gewonnene Glorie, und das allgemein gewordene Gefühl einer heiligen Verpflichtung unzertrennlich geknüpft hat.


Wir leisteten, was die menschliche Kraft zu leisten vermag, und können uns ohne Erröten vor den Richterstuhl der Welt und des Allerhöchsten hinstellen. Jedoch im Buche des Schicksals war es anders vorgezeichnet …

Wir treten ab, weil das Vaterland es fordert, das auch für die Zukunft treuer Söhne bedarf; wir treten ab, weil wir heilige Verpflichtungen für jenes Vaterland haben, das allein in unserer ungebeugten Anhänglichkeit Trost für die Zukunft finden kann.


Empfanget daher für Eure männlichen entschlossenen Kämpfe den heißesten Dank des Vaterlandes!

Nehmet zugleich meinen innigen herzlichen Abschied entgegen.

Gott mit Euch!

Georg Klapka, General.«

 

Das Drama war zu Ende, die ungarische Armee war nach einem nur anderthalbjährigen Kampfe von der Bühne der Welt abgetreten.

Das schreckliche Nachspiel begann!

Kossuth, Vetter, Perczel, Visoczky, K. Batthyányi, Bukovics, Szemere, Hajnik, Mészáros, Dembinski, Bem und ein großer Teil der Deputierten und Zeitungsredakteure hatten sich ins Ausland gerettet.

Aber viele andere waren gefangen oder durch Görgey herzlos aufgeopfert worden. Schutzlos, der Rache der Sieger preisgegeben, irrte der verführte Honved durch das Land und hinter ihm her wanderte mit drohendem Arm der Schnellgalgen.

Furchtbar, entsetzlich war das Gericht, das der Feldzeugmeister hielt, der jetzt eine unbeschränkte Militär-Diktatur übte. Mit den Soldaten-Kommandos, die das Land durchstreiften, zog der Henker, den Galgen auf seinem Karren, und wo in Heide und Wald, in der Tanya oder am Weg ein Unglücklicher gefunden wurde, der eine Waffe trug oder sich nicht legitimieren konnte und gestehen mußte, unter der Revolutionsarmee gedient zu haben, war der Prozeß kurz. Die Trommel auf die Erde, der Fuß des Schnellgalgens in das rasch gegrabene Loch und zehn Minuten darauf zappelte das Opfer an dem verhängnisvollen Haken. Die Gewohnheit vertiert, und zuletzt überhoben sich diese Exekutionspatrouillen auch der letzten Spur eines gerichtlichen Verfahrens.

Schrecklich beging der Feldzeugmeister den Jahrestag der Ermordung seines Freundes Latour, den 6. Oktober. Auf seinen Befehl wurden an diesem Tage die Urteile vollzogen, welche die Kriegsgerichte in Pest und Arad über die in seine Hände gefallenen oder von Görgey und den Russen treulos ihm ausgelieferten Führer der Revolutionsarmee gefällt hatten.

In Arad allein wurden an diesem schauervollen Tage dreizehn Männer hingerichtet.

Sie alle waren ungarische Generale und hatten vorher in der österreichischen Armee als Offiziere verschiedener Grade gedient. In mehr als einer Schlacht hatten sie sich ausgezeichnet.

Sechs von ihnen hatten zum Generalstab Görgeys gehört, Männer, die seinen Ruhm begründet, seine Werke in Ausführung gebracht, für ihn gekämpft hatten, und die er treulos verraten, um das eigene Leben zu retten.

Alle waren im Morgen-Negligee, als sie zum Tode gingen, Lahner ausgenommen, der in Generalsuniform, mit den ungarischen Orden dekoriert, erschien. Er trat ruhig und kaltblütig vor, um den schrecklichen Reigen zu eröffnen.

Damjanics blieb der letzte. Als er unter den Galgen hinkte, rief er aus: »Wunderbar, sonst war ich doch immer der erste!«

Der große Holzhof in Pest sah an dem Abend ein trauriges Schauspiel.

Ludwig Graf Batthyányi, der Präsident des unabhängigen Ministeriums, ein Mann von großem Verdienst um die österreichische Sache, ein langjähriger Freund des Erzherzogs Stephan, nur kurze Zeit selbst auf dem Kampfplatz thätig und Führer der Deputation des Reichstags, die Anfang Januar 1849 auf seinen Betrieb an den nahenden Fürsten Windischgrätz gesandt worden, eine letzte friedliche Ausgleichung zu versuchen, war nach dem Einzug der Österreicher in Pest am 8. Januar 1849 in der Wohnung seiner Schwägerin, der Gräfin Karolyi, verhaftet worden.

Er wurde nach Ofen, dann nach Olmütz, Laibach, endlich im August 1849 nach Pest gebracht.

Niemand dachte an das Schicksal, das ihn erwartete.

Aber ihm war nicht vergessen, daß er in übermütiger Stunde auf einem Hofball den schönen Banus von Kroatien den Schürzenhelden genannt hatte.

Am 5. Oktober ward er durch Spruch des Kriegsgerichts zum Tode durch den Strang verurteilt.

Eine Dame steckte ihm am Abend, als sie ihn im Gefängnis besuchte, einen kleinen Dolch zu.

Mit diesem brachte der Graf sich während der Nacht mehrere Wunden am Halse bei, um nicht durch Henkershand zu sterben. Die Eskorte, die ihn zum Galgen abzuholen kam, fand ihn in seinem Blut, und der Profoß weigerte sich, wie bei seinem Neffen in Temesvár, auf alten Brauch und Henkersrecht sich stützend, das Urteil an einem kranken Mann zu vollstrecken.

Der Befehl lautete aber bestimmt.

Die Kunst der Ärzte verband seine Wunden. Geschwächt durch Blutverlust betrat der Graf bei Sonnenuntergang auf den Arm des Geistlichen gestützt, die Richtstätte, wo er heimlich durch Pulver und Blei vom Leben zum Tode gebracht werden sollte.

Er war in schwarzer Kleidung, im Attila, eine lichtblaue Mütze auf dem Kopf. Das kahle Haupt, der große, schon ins Graue spielende Bart, verliehen dem blassen, edlen Gesicht einen erhabenen Ausdruck.

Man stellte ihn gegen einen Holzstoß.

Der leise Ausruf: » Allez, allez, Jäger!« … die Büchsen knallten, ein edles Leben war zu Ende.

Erst den toten Körper hing man am Galgen auf und zeigte ihn so öffentlich dem Volke.

Der Befehl von Olmütz lautete, daß der freche Spötter am Galgen enden müsse!

Noch heute zeigt man in Pest auf dem großen Holzhof heimlich dem Fremden und dem trauernden Freunde des Ungarlands die Stelle, wo die Sägespäne edles Blut getrunken. Auf dem Josefkirchhof liegt er begraben.



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