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Neuntes Kapitel.
Lebe wohl!

Der Sommer des Jahres 1546 verstrich für die letzten drei Cölestiner unter viel Arbeit. Die weltlichen Geschäfte, so annoch abzuwickeln waren, ließen ihnen keine Zeit, ihrer Bekümmernis ob des Wandels der Dinge nachzuhangen, und wenn diese in stillen Stunden dennoch zum Durchbruch kam, wurde sie durch das edle Wesen der ersten Männer der Stadt gemildert.

Bald nach dem Einzuge in den Väterhof meldete sich manch ein Besuch. Der Bürgermeister Nesen kam und versicherte sie des treuen Schutzes der Stadt. Auch Maskus erschien und Dornspach, den man selben Jahres zum Oberstadtschreiber erhoben. Sie konnten es tun trotz des Unterschiedes in Glaubenssachen; sie besuchten nicht die Mönche, sondern die Gelehrten. Wissenschaft bleibt und sollte immer bleiben ein schönes Bindemittel unter Andersdenkenden. Daß Schönlein einer der ersten war, die den Vätern Teilnahme bekundeten, ist nicht zu verwundern.

Man ließ ihnen Zeit, sich einzurichten und an die neue Lage der Dinge zu gewöhnen. Als aber der Winter seine Vorboten sandte, luden die Herren der Stadt die Verlassenen zu manch einem traulichen Abend und stattlicher Bewirtung ein. Hierzu eröffnete der Ratsherr Schönlein die Reihe. Markus konnte die freundliche Einladung nicht ausschlagen, ohne auffällig zu werden; vielleicht wollte er es auch nicht. Mit klopfendem Herzen begleitete er den Prior und Prokurator. Auch diesen mochte beim Eintritte in die ansehnlichen Räume des Ratsherrn das Blut schneller fließen, sintemalen sie dort außer Nesen und Dornspach auch Maskus und den M. Heidenreich vorfanden. Schönlein verstand recht wohl Ullmanns fragenden Blick der Befremdung; sagte er doch darauf wie zur Entschuldigung: »Meine Tochter Gertrude wünschte es. Sie meinte: sie lausche so gern der Rede gelahrter Herren.« Daß sein Liebling evangelisch geworden, hatte er im Laufe der Zeit von ihr erfahren; es kam ihm nicht so überraschend, als Gertrude fürchtete. Wohl hatte er infolge manches Aussprechens mit ihr und seiner Schwester Christine von der neuen Lehre milder denken gelernt, doch hing er, zum mindesten um der freundlichen Beziehungen willen zu den Oybinern, der alten noch an.

Wenn sich Schönlein bei der Erfüllung des töchterlichen Wunsches heute damit tröstete, daß die Cölestiner von jeher zumeist nicht als blinde Eiferer bekannt waren, sondern als gelehrte, gutnachbarlich gesinnte Männer, so sollte er sich auch heute nicht getäuscht haben. Der schöne blühende Garten der Wissenschaft weiß an sich nichts von Hader und Zank; sie verbindet die Menschen trotz aller Sonderheiten. So gerieten denn auch die drei Cölestiner in fesselnde Gespräche mit Heidenreich und den anderen. Gertrude saß dabei und hörte mit Lust der weisen Reden; sah wohl auch hin und wieder umher, ob des wirtschaftlichen Anteiles Genüge geleistet werde; sah auch, daß der schwarze lange Rock, so die Cölestiner mit der weißen Mönchskutte vertauscht, dem Markus gar schön stehe. Und Markus sah, daß Gertrude groß geworden, edlen Wuchses und Besitzerin eines Augenpaares geblieben sei, dessen Zauber ihn von neuem und mehr denn je erfaßte, also, daß er beim Abendessen sich zusammennehmen mußte, der holden Nachbarin mit den Marienaugen keine verkehrten Antworten zu geben.

Uttmann hatte sich mit Nesen, Gottschalk mit Heidenreich eingelassen. Es war, als ob letztere gar nicht von einander lassen wollten, als ob für sie niemand weiter zugegen sei.

Schönlein brachte dem Wohle seiner Gäste einen Trinkspruch dar. Nesen erhob den Pokal und trank mit warmen Worten den drei schutzbefohlenen Vätern zu, darob Uttmann dem hohen Rate der Stadt dankte und auf dessen Gedeihen den Becher leerte, also, daß die anfängliche Gemessenheit alsbald froher Laune Raum gab. Als Dornspach im Flusse munterer Rede noch der Frauen des Hauses gedachte, da sah Markus auf Gertrude und es überkam ihn, seinen Blick tief in ihre Augen zu versenken. Daraus ward er verlegen, denn ein gleicher Blick der errötenden Maid traf auch ihn. Das alles ging sehr schnell von statten, nur einen Augenblick; aber eben dieser Augen-Blick, so kurz er war, deuchte allen beiden eine lange, tiefinhaltsreiche Sprache der Herzen zu sein, die ihnen auf einige Zeit befangen den Mund verschloß. Gertrude faßte sich zuerst. Sie sah Gottschalk mit Heidenreich wieder eifrig im Gespräch, auch ein inhaltsreiches: über Erziehung. Das benutzte sie und sagte, auf die Gelehrten deutend, zu Markus der Bibel Spruch: »Siehe! wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!« Da gab denn ein Wort das andere, und als die Tafel aufgehoben, merkte Gertrude mit innerem Jubel, daß Markus ihr in Glaubenssachen weit näher stand, denn je zuvor.

Es war ein schöner Abend, welchem manch ein ähnlicher nachfolgte, der den Cölestinern lehrte, daß die Stadt der edlen hochgeachteten Männer viele habe, wennschon diese anderen Bekenntnisses waren. Keiner von ihnen hatte sie in Glaubenssachen irgend angegriffen; das näherte die Personen viel schneller, als absichtliche Bekehrungsversuche. Dem Markus aber war ob der neuen Lage mit deren größeren Freiheiten gar wunderlich zumute, wie es in gegenwärtiger Zeit einem mulus-Jünglinge sein mag, der, des Gymnasii grammatikalischen Gebresten entwachsen, zur Freiheit gelangt, aber noch nicht in der Hochschule inskribieret ist. Der strengsten Ordensgelübde war Markus so gut wie entbunden, die Welt stand ihm offen. An alten Gebräuchen hielt ihn nur noch der morsche Strick der Gewohnheit; an alten Ansichten nur noch ein Faden des Widerstandes und auch der war mürbe geworden durch Früheres, so er mit Johannes Mantel, Tilgenfaß und Martin von Jauer durchlebt. Und nun die Gegenwart mit einem sehnsuchtsvollen Herzensgedanken auf sein Bekenntnis so mächtig einstürmte, schien er schier zu unterliegen. Jetzt stand seiner dauernden, oft zurückgedrängten, sich wieder gewaltig regenden Liebe zu Gertrude kein Hindernis mehr im Wege, wenn er nur den Entschluß durchführte, offen zur neuen Lehre überzugehen, ein evangelisch Pfarrleben zu gründen. Jetzt drängten sich des Freundes Tilgenfaß Worte wieder hervor: Nur » solange du in des Ordens Gelübden stehest, hast du recht gehandelt« – und des jungen Erzherzogs Ausspruch in der Kaiserkapelle: »Ja, es ist etwas Gewaltiges um die Liebe!« Nunmehr stand er an dem ersehnten Ziele, dessen Entrückung dem Bruder Martin die schmerzlichen Worte ausgepreßt hatte: »Ich hätte glücklich werden können! hätte als getreuer Hausvater und Ehemann Gott ebenso und besser dienen können, als hier in der verschlossenen Einsamkeit!«

Derselbe Martin hatte ihn einst gemahnt: »Sei fest wie Eisen!« und eisern zu bleiben, war sein ganzes Ringen und Streben, als er noch im Kloster weilte. Was aber nützt dem Eisen seine Härte, wenn es in die Nähe eines starken Magneten kommt? Es fliegt diesem zu. Um es wieder loszureißen, muß schon große Kraft da sein. Markus sah und sprach Gertruden öfter, als dem Eisen gut war. Er lernte neben feiner, unwiderstehlicher Anmut ihren groß angelegten Geist, ihres Glaubens Innigkeit kennen; dabei er denn mit dem scharfen Blicke der Liebe zu bemerken glaubte, daß die Maid sich für das Eisen hielt und ihn für den Magnet. Kein Wort tat es kund; aber wie sehr auch der Geist die Zunge zu binden vermag – die verstohlene Sprache der Augen kann er nicht so leicht zum Schweigen bringen.

So verstrich das alte, so begann das neue Jahr. Der Winter war vergangen unter Sehnen, das Markus noch nie in so vollem Maße kennen gelernt. Was kümmerte ihn die Nachricht, daß ein großer Teil von des Klosters Urkunden durch Feuersbrunst im Schlosse zu Prag vernichtet sei!? Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 149. Was die geschäftlichen Mitteilungen Uttmanns, der als Prior in Olbersdorf wiederum Ding zu hegen hatte. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246. Er war von dem Traum seines Glückes so gefangen genommen worden, daß all sein Sinnen und Denken in dem Magnete aufging; daß er gern las, was andere von solchem Glücke geschrieben. Das bewog ihn, Mantels Briefe wieder hervorzuholen, von dessen und Luthers Aussprüchen über ein fromm, treu und gottselig Gemahl zu lesen. Luthers Abhandlungen hatte er früher nur flüchtig durchblättert. Jetzt las er sie Wort für Wort und wiederholt, um der angenehmen Stellen willen. Doch als er weiter las, traf er auf die ernst mahnende Stelle: »Darum so bitte ich hier herzlich um Gottes und Christi willen alle, welche die Möncherei verlassen und wieder zur Freiheit kommen wollen, daß sie vor allen Dingen ihr Gewissen prüfen und zusehen, daß sie dieses Ding nicht ansahen, allein etwas Neues zu tun … denn dieselben werden in der Stunde des Todes nicht bestehen, wenn ihnen der Satan wird Gewissen machen und sie anfechten usw.«

Als er dies gelesen, ging ihm ein Stich durchs Herz, und wie dereinst eine mahnende Stimme in ihm gerufen: »Marce! ist's aus Andacht?« so sprach es jetzt laut in seinem Innern: »Gehest du aus Überzeugung und reinem Herzenstriebe zur neuen Lehre über?« Da schlug ihm das Gewissen der Ehrlichkeit; da begannen die Gedanken zu plänkeln und zu fechten, bis sich eine große Schlacht entwickelte, die den Armen niederbeugte und zu der schmerzlichen Selbsterkenntnis trieb: »Nicht die Reine der schmerzlichen Selbsterkenntnis trieb: »Nicht Reine der neuen Lehre, nicht Überzeugung allein ist es, was dich zu dieser treibt. Das Selbstische der Liebe, das du dereinst an Johannes so scharf getadelt, hat dir die Gesinnung gewandelt. Das ist der Zweck! die Lehre nur das Mittel! du hangest weder ganz am alten, noch ganz am neuen, bist zu dem einen wie zu dem andren nicht tauglich!« Aber inmitten seiner Selbsterkenntnis übte der Magnet mächtige Anziehungskraft aus; der wollte das Eisen nicht lassen. Es gab ein gewaltiges, Tage und Nächte währendes Ringen, bis Luthers Mahnung obsiegte. Diese war die Kraft, welche das Eisen losriß.

Markus' männlicher Entschluß stand fest. Er wollte die Stadt verlassen, wollte reiner und geläuterter werden, alle Halbheit überwinden. Hier, wo ihm so viele Versuchungen dies erschwerten, konnte er es nicht. Wäre er ihnen unterlegen, so hätte er sich sagen müssen: »Du bist der neuen Lehre, bist Gertrudes nicht wert und könntest dich selbst nicht mehr achten, wolltest du beide so besitzen. Eine Ehe ohne beiderseitige Glaubensübereinstimmung kann kein Glück bieten!«

Die Ausführung des bitteren Entschlusses verzögerte sich. Wünsch war als Schreiber im Väterhofe überflüssig geworden; auf sein Bitten hatte ihm Markus mitleidig versprochen, für ihn zu sorgen. Des wollte er redlich Wort halten, ehe er ging. Beim Magistrate konnte er kein Ämtlein für Wünsch erlangen; vermutlich war man dem nicht sonderlich gewogen. Nun hatte aber der Kaiser die Oybinischen Güter samt Klostergebäuden an den Landvogt Berka von Duba verpfändet, um Geldes willen zur Führung eines Krieges, C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 79 – Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 248. so man den Schmalkaldischen genannt. Der Landvogt nahm derhalb den Siegismund von Döbschütz als Schloßhauptmann und Amtmann an; der zog mit seinem älteren Bruder Peter von Döbschütz auf den Oybin und verwaltete von dort aus die verpfändeten Güter. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 248. Bei diesem Amtmanne legte Markus brieflich ein gut Wort ein und als jener nicht alsogleich wollte, ging Markus selbst zu ihm und bat so lange, bis Siegismund von Döbschütz willigte, den Hans Wünsch als Schreiber Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 248 anzunehmen. Das war ein guter Posten und wenngleich Wünsch ein geheim Eifersuchtsgrollen im Herzen trug, dankte er ihm doch mit treuergebnen frommen Mienen. Leuchtete ihm doch mit dieser Stellung die erquickliche Aussicht, Geld zu gewinnen, sei es so oder so. Die Ursula hat's nicht mit erlebt; die hatte bereits vor einem Monate die Zahl der Elftausend vermehrt.

Simon in Görlitz zeigte sich öfter denn je in Zittau. Er lauerte, ob dem Markus ob seiner ihm bekannten Hinneigung zu Gertrude nicht eins auszuwischen sei. Dabei erfuhr er von Wünsch's Beförderung.

Nun Markus sein Versprechen erfüllt, ging er daran, sich zum Abschiede vorzubereiten. Zum Abschiede! das ist ein klein Wörtchen, aber ein großes Weh. Noch einmal saß Markus in seinem Gemache und ließ das Für und Wider durch Kopf und Herz laufen. Es war ein kurzer aber schwerer Kampf. Dann ermannte er sich, packte die wenigen Sachen, so er besaß, in ein Bündel und beschloß, im Dunkel des Abends die Stadt zu verlassen. Zuvor schrieb er an den Prior: »Weil auch er ihn seiner Ordensgelübde so gut wie für entbunden erachte, er aber der neuen Lehre zugetan sei, so wolle er sich gen Norden wenden, doch nicht, ohne ihm für seine oft erfahrene Güte zu danken, deren er nie vergessen werde.«

Als er das Abschiedsschreiben an Gottschalk aufsetzte, ward es ihm blutsauer; er hätte dem väterlichen Freunde so gern noch einmal die Hand gedrückt. Aber er fürchtete die Macht von dessen milder Überredungsgabe und ließ die Feder sagen, was das volle Herz drängte, über den Mund gehen zu lassen. Ihm setzte er seine Gründe ausführlicher auseinander, bat um deren Geheimhaltung und schloß mit Abschiedsworten, die auch ein hartes Herz hätten erweichen müssen.

Das dritte Schreiben galt dem Ratsherrn. »Ich weiß,« sagte er darin, »daß Ihr noch zum alten Glauben neiget; weiß aber durch Jungfrau Gertruden und aus manch einem Gespräch mit Euch, daß Ihr zu Anders glaubenden einen gar milden Sinn habt. Und so wollet mir nicht gram sein, daß ich zur Tat mache, was sich schon lange in mir bewegt. Gleichwie aber der junge Most gären muß, wenn ein klarer reifer Wein daraus werden soll, so kann auch ich nicht anders sagen als: meines Geistes Gären strebt nach Reife, und die kann ich nur in der Ferne finden; im Norden will ich sie zu erlangen suchen. Ich danke Euch viellieber Herr, für Eure Freundschaft, so Ihr mir immer erwiesen. Grüßet mir Euer Geschwister, die ehrhafte Muhme Christine. Grüßet mir Euer ehrsam liebwert Töchterlein Gertrude! sie wird mich verstehen, wenn ich gehe, um geklärter und fester zu werden. Und so ich sage, es wird mir schwer, Euer teures Haus zu missen, so hoffe ich doch zu Gott, dem Allgütigen: nicht für –« Hier setzte er ab. Sollte er den Gedanken einer Wiederkehr aussprechen? Sollte er den Faden abschneiden oder festhalten? Eine Träne diktierte ihm die Fortsetzung und er schrieb flugs: »nicht für immer. Wenn anders Gott es zuläßt, hoffe ich auf ein froh Wiedersehen. Der Herr segne und behüte Euch und Euer Haus!«

Schnell versiegelte er die drei Briefe. Als es dunkel geworden, gab er sie dem Wirtschafter zur alsbaldigen Besorgung, nahm sein Bündel und ging ungesehen durch die dunklen Straßen der Stadt.

Unterdes saß Gertrude trüb gestimmt in ihrem Gemache und zählte die Wochen, so verstrichen waren seit dem letzten Besuche der drei geistlichen Herren. Selbst der Muhme kam es lange vor; doch dachte sie augenblicks mehr an den abwesenden Bruder und ward besorgt, daß ihm in seinem Alter etwas zugestoßen sein könne; er war doch sonst lange vor Abendessen zu Hause. Auch Gertrude ward unruhig. Derhalb stellte sie sich ans Fenster und schaute nach dem Vater in die Gasse. Ihre Augen waren hell, aber die Gasse dunkel; Menschen sahen aus wie schwarze Dunstgebilde. Unten erblickte sie eine bestimmte Gestalt, ein Bündel auf dem Rücken. Es fiel ihr auf, daß die Gestalt so regungslos stehen blieb. Da schien ihr plötzlich, als hätte sie ein Geflüster der Worte »Lebe wohl! lebe wohl!« gehört; darauf die Gestalt sich im Dunkeln verlor. Verwundert schaute sie ihr nach; dann schloß sie das Fenster wieder und sagte still vor sich hin: »Es war wohl nur Einbildung.« Aber sie ward der Worte nicht los und zog ein Weh durch ihre Brust, von dem sie nicht wußte, woher es kam.

»Ängstige dich nicht allzusehr um den Vater!« sagte Christine, als sie Gertrudes Tränen auf ihre Arbeit fallen sah; »er muß doch jeden Augenblick kommen.« – Draußen aber vor dem Tore der Stadt stand ein Mann mit einem Bündel auf dem Rücken und weinte bittersalzige Tränen lange Zeit. Dann schritt er stark aus und verschwand. – –

Als Simon am andern Tage von Markus' Scheiden hörte, ward er ärgerlich. Ihm fehlte nunmehr jedweder Anhalt zu verleumderischer Rache. Um aber etwas getan zu haben, setzte er dem Wünsch einen Floh ins Ohr und sagte: »Gebet acht! Der will evangelischer Pfarrer werden und sich dann Eure Gertrude als Ehegemahl erkiesen.«

Uttmann und Gottschalk waren nach Durchlesen der Abschiedsbriefe anfangs bestürzt. Dann blieb der Prior den ganzen Tag über tief ernst, Gottschalk tief betrübt. Und als der Ratsherr Markus' Schreiben den Seinen vorgelesen, zitterten der erblaßten Gertrude die Knie, also, daß sie sich setzen mußte. Die Muhme fand sie danach in ihrer Kammer, und als sie aus dem gramverzognen Munde und dem nassen Auge Gertrudes ein groß Leid las, umschlang sie die Maid und drückte sie ans Herz. Da kam das langverschlossne Geständnis und die alte Muhme weinte noch vielmehr, denn weit, weit aus ferner Jugendzeit trat ein Bild vor ihre Seele, das machte einen alten Schmerz lebendig. Dann verschloß sie das Bild wieder in den Herzensschrein, tat Gertrudes Bekenntnis hinzu und schwieg darüber wie das Grab.

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