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Drittes Capitel.
Ueberraschungen.

Herr Victor Bessano trat am nächsten Tage mit großer Zuversicht seinen Weg nach Peerau an.

Der Conferenz-Beschluß der Herren v. Espe war zur bestimmten Zeit eingelaufen. Er lautete ganz befriedigend. Sie gingen fast bedingungslos auf die Wünsche des Grafen ein und man ersah aus dem Briefe deutlich, daß die hochwohlgeborene Sippschaft insgesammt schwache Köpfe waren, die der erste Graf im Stamme mit seiner Liebenswürdigkeit am Leitseile führte.

Victor bestieg mit veränderten Gefühlen seinen eleganten Reisewagen. Er hatte den Entwurf eines sehr erwünschten Kauf-Contractes und eine zweite bedeutende Anzahlung in der Tasche. Beides sicherte das Wohlbehagen der nächsten Zukunft. Was seine diplomatische Sendung an Frau v. Espe betraf, so empfand er keine störende Besorgniß. Nach seiner Meinung war es Wahnsinn, das Glück seines Kindes zu verhindern, und wenn auch Frau Fanny v. Espe Veranlassung hatte, ihren früheren Gemahl nicht zu lieben, so konnte man doch nicht erwarten, daß sie, aus Abneigung gegen ihn, eine glänzende Lebensstellung ihres Sohnes eigenwillig zurückweisen werde. Allein selbst für diesen Fall hatte der Graf ihn mit Instructionen versehen, die jedenfalls zum Ziele zu führen versprachen.

Je näher Victor der Gegend kam, worin Peerau lag, desto öder und reizloser zeigte sich die Landschaft. Weite Ebenen, von Wald begrenzt, aber sandig und unfruchtbar, mußten von ihm durcheilt werden. Haidestrecken mit ihrer kärglichen Vegetation wechselten mit Tannenwaldungen ab. Selten führte der schlechte, tief ausgefahrene Weg durch Wiesengründe oder bebauete Felder, und es war dem jungen Reisenden eine wahre Erquickung, wenn er sich zuweilen dem Strome, an dem er immerfort entlang fuhr, dergestalt näherte, daß er den Ueberblick darüber gewann.

Plötzlich hörte der Sand und die steppenartige Vegetation auf. Reiche Feldmarken, von kräftigen Eichen umhegt, breiteten sich vor seinen Blicken aus. Der Strom rauschte dicht daran vorüber, aber hohe Deichwälle hielten sein wogendes Wasser in Schranken, damit es nicht die üppigen Fluren verheere.

Angenehm überrascht ließ Victor seine Augen rundum schweifen. Er, der waldbewachsene Höhen gewohnt war, fand sich, nach langer Entbehrung einer üppig reizenden Flur, wohlthuend von den wellenförmigen Feldmarken angesprochen.

Ein Thurm tauchte hinter dem Birkenwäldchen auf. Dann hob sich ein weißes Schloßgebäude aus dem Abendnebel hervor. Ein Meilenzeiger belehrte ihn, daß dieser Ort Peerau heiße.

Von einem jähe entstandenen Entschlusse getrieben, befahl Victor dem Kutscher zu halten und sprang dann aus dem Wagen. Er befahl seinen Leuten, in das Wirthshaus zu fahren, und schlug unverweilt den Weg durch eine parkähnliche Anlage, die gerade auf's Schloß zuführte, ein.

Nach wenigen Minuten befand er sich an einem eisernen Gitter, das sich rings um das zwar kleine, aber sehr geschmackvolle Schloß zog.

In demselben Momente, wo Victor aus dem Parke trat, öffnete sich die Thür des gerade vor ihm liegenden Portals, und es erschien eine große, elegant in Weiß und Blau gekleidete Dame, die ziemlich unharmonisch und gellend den Namen »Arnold! Arnold!« in die Luft hinausschrie.

»Mon dieu! – wo ist der Junker?« fügte sie gegen Victor gewendet hinzu.

Dieser lächelte und verbeugte sich. Er merkte sogleich, daß die Dame kurzsichtig war und ihn für einen Bedienten ansah.

»Frau v. Espe?« fragte er mit der Manier eines Mannes, der im Verkehre mit den Vornehmen der Welt groß geworden war.

»Non, non! Mademoiselle Brun de Neufchatel,« belehrte ihn die große, schlanke Dame. »Ich bin die Gouvernante des Junkers Arnold – er ist mir echappirt –«

»Dürfte ich Sie bitten, mich der Frau von Espe melden zu lassen?« unterbrach Victor diesen Bericht. »Mein Name ist Bessano.«

Mademoiselle Brun hüpfte, trotz ihrer sechsunddreißig Jahre, jugendlich in das Haus zurück und rief mit demselben spitzen, kreischenden Tone einen Bedienten herbei.

Darauf verneigte sie sich exemplarisch graziös gegen den Fremden und eilte, immerfort rufend, in den Garten.

Während dieser Zeit war der Bediente gegangen, den Besuch bei seiner gnädigen Frau anzumelden. Er kam sehr rasch zurück und öffnete beeilt die Thür.

Victor trat ein und sah, daß im geöffneten Nebenzimmer eine dunkel gekleidete weibliche Gestalt hastig eine Stickerei auf den Nähtisch warf, um ihm entgegenzukommen.

»Hörte ich recht?« fragte diese Dame mit weicher, leicht bewegter Stimme. »Bessano? Sie kommen von meiner Freundin Antonie, nicht wahr?«

Victor blickte überrascht zu ihr hin.

»Antonie?« wiederholte er mechanisch und ließ seinen Blick über die Gestalt der Frau von Espe gleiten, die ihm nun ganz nahe getreten war.

Ein leichtes, ungezwungenes Gelächter war die Antwort auf diesen Ausruf.

»Verzeihen Sie meine Voreiligkeit,« sprach die Dame, heiter zu ihm aufschauend. »Sie sind also ein anderer Herr Bessano, als der, welcher der Begleiter von Antonie und Bella Guhrau in der Schweiz gewesen ist.«

»Jedenfalls ein anderer, denn ich bin nie in der Schweiz gewesen, wohl aber mein Bruder Curd, und zwar erst im Laufe dieses Sommers,« entgegnete Victor, etwas verwirrt in die Augen der Dame blickend, die, sorglos wie ein Kind, zu ihm hinauf sah.

Während Victor diese Auskunft gab, dachte er:

»Wer mag dies nur sein? Frau von Espe ist es keinenfalls. Zuerst packe ich die Gouvernante und nun? Sicherlich eine Verwandte des Hauses, sonst würde sie nicht so ungezwungen die Honneurs zu machen versuchen.«

»Also Curd's Bruder sind Sie!« gab unter Victor's Selbstgespräche die Dame zur Antwort. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«

Victor verbeugte sich.

»Ich wünschte die Ehre zu haben, Frau von Espe sprechen zu können!«

Die Dame sah ihn schelmisch an.

»So sprechen Sie aus, was Sie von mir wollen. Ich bin Frau v. Espe!«

Victor trat zurück. Ein tiefes Roth überflog sein Gesicht. Er war keiner Antwort fähig. Diese blühende jugendliche Gestalt – verrathen und verkauft von einem Manne, wie Graf Espe?

»Mein Gott – Herr Bessano –,« rief die Dame sichtlich erschreckt. »Sie sind krank! Nehmen Sie Platz!«

In liebenswürdiger Geschäftigkeit zog sie einen Sessel herbei und faßte seine Hand, um ihn dahin zu geleiten.

Unterdessen hatte Bessano seine Fassung wieder erhalten.

»Sie entschuldigen,« sagte er, jede Hülfsleistung ablehnend. »Sie sind Frau Fanny von Espe? Die Mutter Arnold's – die gewesene Gattin des Grafen Espe?«

Als hätte ein Natterstich sie getroffen, so zuckte die junge, reizende Frau zusammen.

»Lassen Sie doch die Gespenster ruhen!« sprach sie zornig. »Ist's nicht genug, daß sie jahrelang den Frieden meines Lebens gestört haben! Ja, ich bin die geschiedene, die verstoßene Gattin jenes Grafen Valerian Espe! Was wollen Sie davon?«

»Ich komme von ihm,« erwiederte der junge Mann leise.

»Von ihm? Vom Grafen Valerian? Sie kommen von ihm? Er sendete Sie an mich?«

»Ja. Er sendete mich in der großmüthigen Absicht, au seinem Sohne Arnold mindestens gut zu machen, was er Ihnen Böses gethan.«

Frau von Espe trat näher an Victor, als wäre sie gespannt auf eine Eröffnung dieser großmüthigen Absicht. Ihr blühendes Gesicht zeigte sich bleich, ihre Lippen zitterten und ein schnelles, tiefes Athemholen verrieth ihre innere Bewegung.

Victor fuhr fester fort:

»Graf Valerian hat beschlossen, den Junker Arnold von Espe in die Rechte eines Sohnes zu setzen.«

»Das zu beschließen, fehlt ihm, Gott sei Dank, alle Macht,« fiel Frau von Espe schnell ein. »Mein Sohn Arnold ist mein Eigenthum!

»Graf Valerian erkennt das an, gnädige Frau,« beschwichtigte sie Victor. »Allein die Umstände erheischen es, Sie zu einem Vergleiche zu bewegen.«

»Wie so – die Umstände?« fragte Frau von Espe ganz kalt und gleichmüthig. »Hat er etwa keinen Sohn in zweiter Ehe?«

»Nein. Nur vier Töchter, und seine Gattin ist todt.«

Frau von Espe sah ruhig auf.

»Seit wann?« fragte sie.

Victor beantwortete diese Frage und sie fuhr fort:

»Ich kann ihm nicht aushelfen mit meinem Sohne. Sparen Sie jedes Wort für diese Sache! Und wenn dieser Valerian von Espe meinem Arnold eine Königskrone auf die Stirn drücken wollte, so würde ich das schwer erkaufte Eigenthumsrecht auf ihn nicht aufgeben! Ich weiß nichts von dem ferneren Leben dieses sittenlosen Mannes, ich habe nur durch die Zeitungen erfahren, daß er in Rücksicht auf geleistete Dienste zum Grafen erhoben worden ist, aber mein Gefühl sagt mir, daß solche Naturen nicht zu bessern sind. Ich aber, Herr Bessano, ich verachte diese leidenschaftlichen, unedlen, unreinen Männer! Ich verachte den Grafen Valerian!«

»Nach dieser Erklärung wird es unnöthig sein, von meinen weiteren Instructionen Gebrauch zu machen,« entgegnete Victor, der mit seltsamer Zufriedenheit der ruhigen Darlegung dieser Meinung gelauscht hatte.

»Sprechen Sie nur! Ich bin begierig, wie weit er seine Verlockung treiben wird!«

»Graf Valerian bietet Ihnen seine Hand zum zweiten Male, gnädige Frau,« sprach Victor, mit Spannung ihre Mienen beobachtend. »Er bietet sie Ihnen aber nur zum Scheinbunde. Seine Gesundheit ist untergraben – sein Tod nicht mehr fern – der erneuete Segen der Kirche soll nur die Kluft ausfüllen, die den Sohn vom Vater trennt.«

Frau von Espe hatte unwillkürlich ihre Hände über dem stark pochenden Herzen gekreuzt, aber ihre Stimme zitterte nicht, als sie antwortete:

»Ich würde den Namen einer Gräfin Espe mit Schmach tragen, wollte ich solchem Vorschlage nachkommen. Meine ganze Antwort beschränkt sich auf die vorherige Erklärung: ›ich verachte den Grafen Valerian.‹ Ehe ich zu dieser Ruhe der Verachtung gelangte, hat mein Herz geblutet und die Verzweiflung der Liebe hat mich dem Wahnsinne nahe gebracht. Jetzt ist Alles überwunden. Für mich ist Graf Valerian todt und für meinen Knaben soll er ebenfalls todt bleiben, bis derselbe reif an Verstand und Gemüth geworden ist.«

Die würdevolle Sanftmuth, mit der Frau Fanny diese Erklärung gab, verlieh ihrem jugendlichen Wesen etwas Rührendes. Die Erinnerung an die Kämpfe, welche nöthig gewesen waren, um die verletzte Seele und das tief gekränkte Herz einer Frau dergestalt zu heilen, daß auch nicht die geringste Gereiztheit Kunde von den früheren Wunden gab, lag zu nahe, um nicht das Mitleiden zu wecken.

Obwohl Victor die Nutzlosigkeit seines Bestrebens vollständig erkannte, so forderte es doch die übernommene Pflicht, eine Einwendung zu machen.

»Sollte Ihr Entschluß nicht trotzdem übereilt genannt werden können, gnädige Frau?« fragte er ehrerbietig. »Der Vorschlag des Grafen verdient jedenfalls Ueberlegung, weil er das Lebensglück Ihres Sohnes erhöhen kann.«

»Meinen Sie?« warf Frau von Espe sehr gleichmüthig ein. »Sind Sie des Grafen Freund?«

»Nein,« entgegnete Victor mit geflissentlicher Eile. »Ich stehe nur als Sachwalter vor Ihnen.«

Frau von Espe lächelte unbeschreiblich gütig und sagte eben so hastig:

»Das freut mich! Es sollte mir leid thun, wenn der Bruder des Herrn Curd Bessano, den mir meine beiden Freundinnen Antonie und Bella Guhrau als den zartsinnigsten, uneigennützigsten und bravsten Mann rühmen, in Freundschaftsverhältnissen mit dem Grafen Valerian von Espe stände.«

»Ihr Wille ist also unerschütterlich, gnädige Frau,« gab Victor zur Antwort, indem er zerstreut über ihre Rede hinweg ging.

»Unerschütterlich, mein Herr! Sie mögen Ihren Auftrag als vollkommen erledigt betrachten, denn einer zweiten Anfrage würde ich nicht einmal die geringste Antwort schenken!«

»Dann beurlaube ich mich mit dem Wunsche, daß Sie nicht mir die schmerzliche Rückerinnerung an vergangene Leiden zurechnen mögen.«

Bestürzt machte Frau von Espe eine Bewegung, ihn zurückzuhalten.

»Sie wollen fort?« rief sie bewegt. »Sie wollen mein Haus verlassen, ohne sich geruht zu haben, ohne einer Erquickung theilhaftig geworden zu sein? Ist das nicht eine Beleidigung für mich?«

Victor verneigte sich tief vor ihr:

»Mich rief ein Geschäft in Ihre Nähe. Dies Geschäft ist nach Ihrem eigenen Ausspruche abgethan. Ein längeres Verweilen in Ihrem Schlosse, nach dem Bescheide, den ich von Ihnen erhalten habe, würde unstatthaft sein. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!«

Victor Bessano verließ das Zimmer.

Frau von Espe sah ihm starr und unbeweglich nach.

»Habe ich denn Unrecht gethan?« flüsterte sie in tiefer Bewegung und legte nachsinnend die Hand an die Stirn. »Nein!« sprach sie dann, den hellen Blick zum Himmel emporrichtend. »Nein – ich konnte nicht anders handeln. Gott allein weiß, was ich damals gelitten habe und Gott legte mir diesen Entschluß ins Herz. Mein Knabe soll seinem verderblichen Einfluß nicht erliegen – mein Knabe kann mit dem zufrieden sein, was seine Mutter ihm giebt – der, den Arnold Vater nennen muß, hat sein Recht auf meinen Knaben unwiederbringlich verloren, aber ihm lebt ein Vater im Himmel!«

Die junge Frau setzte sich ruhig an ihre Stickerei, allein ihre Gedanken flogen dem Manne nach, welcher ihre Seelenruhe auf eine harte Probe gestellt hatte.

»Ob Curd Bessano, den Antonie so hoch verehrt, diesem Bruder gleicht?« dachte sie nach wenigen Minuten vollständig getröstet. »Es scheint ein sehr interessantes Brüderpaar zu sein!«

*

Während dieser Zeit war Victor in einem traumähnlichen Zustande unmittelbar aus dem Schlosse in den Parkweg zurückgekehrt, der ihn, nach seiner Meinung, am sichersten zu dem Dorfe und somit zu seiner Equipage zurückzuführen versprach.

Ohne Ueberlegung schritt er vorwärts und übersah, daß er sich schon nach wenigen Schritten in einen Seitenweg verlor, der ihn unzweifelhaft zu weit rechts führte. Er befand sich in einem total verwirrten Seelenzustande, worin er mehr durch die Persönlichkeit, als durch die entschiedene Zurückweisung der Frau von Espe versetzt worden war. Auf das Letztere war er durch den Grafen vorbereitet gewesen. Das Erstere aber kam überraschend und darum überwältigend über ihn. Er hatte nicht bedacht, daß diese verstoßene Gattin des Grafen Valerian noch jung sein müsse und er hatte noch weniger erwartet, sie so schön zu finden.

Wäre Fanny ein zartes, bleiches, von der Sentimentalität ihres Innern zerstörtes Wesen gewesen, so würde er den Zwiespalt des leidenschaftlichen und sinnlichen Grafen verziehen haben, denn schmachtende Idealität und naturgesetzliche Liebeslust kann niemals harmonisch zusammenklingen. Allein Victor hatte ein schönes, blühendes Weib voll üppiger Reize und echt weiblicher Liebenswürdigkeit gefunden, das in der Vernachlässigung ihres Gatten eine Beleidigung empfand, die von nichts verlöscht werden konnte. Die ruchlose Leichtfertigkeit des Grafen hatte diese prachtvolle Blume gebrochen, ohne tiefer von ihrem Reize getroffen zu sein, als bei der flüchtigen Bekanntschaft mit einer gewöhnlichen weiblichen Natur von unfertiger Geistesbildung.

Hätte Victor mit Mißbilligung die Handlungsweise seines Gönners bis dahin tadelnswerth genannt, so erklärte er sie jetzt mit voller Entrüstung für abscheulich. In seine Betrachtungen vertieft, war der junge Mann langsam bis zum Ende der Allee gewandert. Als er aus den Baumreihen hervortrat, fand er sich dicht am Flusse auf dem Deichwalle, der, hier höher noch als anderwärts, über dem Wasserspiegel sich erhob.

Victor gewahrte jetzt, daß er fehlgegangen sei. In der Ueberzeugung gar nicht irren zu können, beschloß er, links auf dem Damme entlang zu gehen. Einige Häuser, die ihm aus dem Abendnebel, der sich rasch senkte und das letzte Sonnenglühen umzog, hervorleuchteten, bestärkten ihn in dem Wahne, das Dorf Peerau vor sich zu haben.

Die Landschaft zeigte hier einen entzückenden Reiz. Der wallende Strom, von den Sonnen-Reflexen im Westen purpurn gefärbt, an seinem gegenüberliegenden Ufer Birkenwaldungen, theilweis ihrer Blätter zwar entkleidet, aber doch malerisch schon die einzelnen Dörfer, welche am Waldesrande lagen, umhegend. Victor fühlte sich von dem idyllischen Zauber dieses Abends ungemein angesprochen. Er ließ seine Blicke über die Gegend schweifen und dachte dabei an die verlassene Gattin des Grafen Valerian Espe.

Plötzlich wurde seine Träumerei von einem hellen, jauchzenden Kindergeschrei gestört. Verwundert blickte er auf.

Da klomm ein Knabe an der Abdachung des Walles empor, lärmend seine Lust in die Welt hinausjubelnd.

Ein zweiter Knabe folgte ihm. Dieser war kleiner und äußerst elegant gekleidet, während der Anzug des ersten den Dorfbewohner verrieth.

Victor blieb stehen und sah den Kindern entgegen. Er wußte auf der Stelle, daß er in dem blondgelockten, wunderschönen Knaben den Sohn des Grafen Valerian von Espe vor sich hatte.

»Du wirst gesucht, Arnold,« rief er freundlich, als die beiden kleinen Burschen den hohen Wall erstiegen hatten.

Der Kleine, stark und groß für sein Alter, da er kaum das achte Jahr überschritten haben konnte, blickte mit den tiefblauen Augen klug zu dem jungen Manne empor.

»Wer sucht mich denn?« fragte er sehr bestimmt. »Meine Mama?«

»Nein, Mademoiselle Brun,« erwiederte Bessano, seine Hand auf den Lockenkopf Arnold's legend und unter zärtlichem Mitleid auf ihn niedersehend.

»Ach – die!« sprach Arnold entschieden wegwerfend und reckte seine kleine Gestalt mit echtem Knabenstolze empor. »Ich will keine Bonne mehr haben – Mama soll mir einen Hofmeister nehmen! Ich hab's ihr heute gesagt – gewiß, ich hab's ihr gesagt, –« betheuerte er, als Victor lachte und liebkosend auf seinen Kopf schlug.

»Das ist gut von Dir gewesen, mein kleiner Junker, aber herumtreiben mußt Du Dich doch nicht. Wo hast Du denn gesteckt?« fragte er, seinen Blick auf den andern Knaben richtend, der einen großen Korb am Arme trug und mindestens zwölf Jahre alt war. »Der Monsieur hat Dich wohl verführt?« fügte er scherzhaft auf diesen deutend hinzu.

Der große Junge, welcher sehr verlegen schien und seinen Korb immer hinter den Rücken zu stecken suchte, zog eine Grimasse und sagte im Landes-Dialecte: »Nä: – Junker Arnold saß d'runten am Strande und angelte. Als ich vorbei ging, lief er mir nach!«

»So? Was hast Du denn da im Korbe?« fragte Victor, dem endlich das Manöver mit dem Korbe auffiel.

Diese Frage gab den Ausschlag. Ein helles Roth überflog das Gesicht des Buben, er faßte Arnold's Hand und stürzte mit dem Schreckensrufe: »Komm – komm! Es ist der Visitator – es ist der Visitator! –« pfeilschnell den Damm entlang.

Kopfschüttelnd blickte Bessano hinterher. Ihm gefiel die Gemeinschaft des kleinen Junkers mit einem Burschen von so zweifelhaftem Aeußern durchaus nicht, und da er nicht wußte, daß der Bursche der sogenannte Landbote des Gutes war, so war der Gedanke, daß Frau von Espe gut thun werde, ihren Herrn Sohn unter die Aufsicht eines Hofmeisters zu stellen, sehr natürlich.

»Wohin mögen die Knaben wollen?« murmelte er, besorgt umblickend, als er eine Weile vorwärts gegangen und eben im Begriffe war einen breiten Fahrweg, der gerade auf die Häuser zuführte, die dicht vor ihm lagen, hinab zu gehen.

Der Abend hatte sich nach und nach auf die Fluren gesenkt, während Victor die Häuser erreichte. Er fragte eine alte Frau, wo er den Gasthof finde.

Die Frau musterte ihn einen Augenblick, ehe sie antwortete:

»Nun – Sie sehen mir danach aus, als wenn Sie wohl in den vornehmsten Gasthof paßten. Gehen Sie nur grad' aus, dann links und wieder grad' aus. Dann sind sie auf dem Markte und werden den ›goldenen Löwen‹ schon sehen.«

»Was? Hat Peerau einen Markt? Ich denke es ist ein Dorf?« rief Victor verwundert.

Die alte Frau stemmte die Arme in die Seite und lachte hell auf.

»Sie denken, Sie sind in Peerau, mein lieber Herr? Gott doch – da sind sie falsch gegangen. Peerau liegt da hinaus, ein gut halb Stündchen weiter abwärts am Strom. –«

Sie zeigte pantomimisch die Gegend an, wo Victor hergekommen war.

Dieser unterließ, gewissermaßen beschämt, der lachenden Alten zu sagen, daß er eben dort im Schlosse gewesen sei, und beschloß, in diesem Orte, der sich als Grenzstädtchen erwies, zu bleiben. Wenn er es recht überdachte, so war dieser Irrthum eigentlich ein Glückszufall, der ihn in eine erwünschte Entfernung von der Dame des Schlosses brachte.

Er ging der Weisung der Alten nach, kam glücklich auf den Markt, fand den »goldenen Löwen« und trat müde, hungrig und durstig dort ein.

Nachdem er seinen Körper hinlänglich gepflegt hatte, fiel ihm ein, daß seine Leute im Peerauer Wirthshause auf weitere Befehle warteten.

Er ließ einen Boten kommen und beorderte diesen, seine Equipage herüberzuholen.

Dann ging er in der Absicht, Nachrichten über Frau von Espe einzuziehen, in die allgemeine, sehr gut ausgestattete Passagierstube, wo sich mittlerweile einige Vornehme der Stadt eingefunden hatten.

So wie Herr Victor eintrat, wurde er der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Das Gespräch stockte. Ein Grenz-Officiant, der so eben eine schaurige Schmuggel-Affaire auftischte, hielt respectvoll inne und drehte ganz verlegen seinen Schnauzbart.

Victor beeilte sich, die unbehagliche Scene zu beenden und ein gutes Einverständniß zwischen sich und diesen Männern, die seiner Neugierde dienen sollten, herzustellen. Er bat um Erlaubniß, sich zu ihnen gesellen zu dürfen und eröffnete die Unterhaltung sogleich mit dem kleinen Rencontre, das zwischen ihm und dem Burschen aus Peerau stattgefunden hatte.

»Mir ist jetzt erklärlich, weshalb der Bursche Furcht zeigte,« schloß er lachend. »Er hatte wahrscheinlich Contrebande in seinem Korbe!«

»Schwerlich« antwortete der Grenzbeamte. »Ich kenne den Burschen. Es ist der Läufer der Frau von Espe und diese Dame ist viel zu reell, um nur den Versuch zum Schmuggeln zu machen.«

»Aber,« fiel ein schlau blinzelnder Bürger ein, »wissen Sie denn auch ganz genau, daß Mademoiselle Brun eben so reell ist? Diese Dame benutzt den Laufburschen auch!«

»Donnerwetter!« fuhr der Grenz-Officiant heraus. »Daran hab' ich nie gedacht! Warte Bursche, jetzt sollst Du ohne Visitation nie vorüber! Ich danke Ihnen, mein Herr,« setzte er, zu Victor gewendet hinzu, »daß Sie mir die Augen geöffnet haben.«

Victor, ganz beherrscht von der Idee, Erkundigungen über den Charakter der Frau von Espe einzuziehen, ließ es ganz aus der Acht, daß sich jetzt ein großer, starker Herr, der bis dahin an einem Tischchen allein gesessen und ein frugales Abendbrod eingenommen hatte, ohne alle Ceremonie ebenfalls zu den Bürgern gesellte und aufmerksam auf Alles zu horchen schien, ohne sich jedoch weiter an der Conversation zu betheiligen.

Wie es Bessano gewünscht hatte, so geschah es. Die Rede kam auf Frau von Espe und was die Bürger nur von ihren Charakter-Eigenthümlichkeiten und Familienverhältnissen wußten, das förderten sie zu Tage.

Erst am Schlusse des Gespräches, wo sein Interesse größtentheils befriedigt war, fiel Victor's Blick auf die große, stattliche Gestalt des Herrn und blieb, frappirt von der colossalen Schönheit dieser Männer-Erscheinung, darauf haften.

Der Herr war ein Athlet in der edelsten Art, ein Kriegsgott – ein Herkules! Seine Figur zeigte das schönste Ebenmaß und sein Gesicht eine classische Regelmäßigkeit. Eine hohe weiße Stirn, von blonden Haaren umkräuselt, thronte über den ausdrucksvollsten Augen und über einer feinen, stark gebogenen Nase. Der Mund war trotzig geschlossen, wurde aber von jenem schmerzlich-bitteren Lächeln umspielt, das ein Beweis von steter Selbstbeherrschung ist.

Dieser Herr schien dem jungen Bessano das schönste Exemplar jener Menschen-Race zu sein, die unter der Bezeichnung »Nordlandskämpfer« die Phantasie zum Staunen bringt. Er sah ihn unverwandt an und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß dies den stillen, stattlichen Gast verlegen zu machen schien.

Endlich erhob auch er seinen Blick und richtete ihn kühn und herausfordernd so lange auf Victor, bis dieser voller Erstaunen die Augen wegwendete.

Und jetzt endlich sprach auch dieser Herr. Mit tönender, voller, kräftiger Baßstimme fragte er den Gastwirth, ob sein Zimmer bereit sei, und wann am nächsten Morgen die Post abgehe.

Er war also auch ein Reisender, gleich dem Herrn Bessano? Ja wohl, ein Reisender, welcher denselben Weg in einer ganz miserablen Post-Calesche zurückgelegt hatte, wie Victor in seinem eleganten Reisewagen.

Hätte dieser geahnt, daß der schöne, starke, große Mann dasselbe Individuum war, welches ihm der Graf Valerian als »häßlich wie ein Pavian« geschildert hatte, so würde er wahrscheinlich nicht so ruhig geschlafen haben.

Herr Eberhard von Espe aber wußte, wer Victor war, und was ihn in diese Gegend geführt hatte. Ihn floh der Schlaf und seine Seele erlag endlich dem Kampfe gegen die Versuchungen der Hölle.

*


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