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Erstes Capitel.
Trauerflöre.

Das Trauergeläute war verhallt – das Leichenbegängniß war vorüber. Leidtragende aus allen Classen der kleinen Residenzstadt durchschritten die Straßen, um sich wieder in ihre Behausung zurückzuziehen.

Sie hatten sich allzusammen aus eigenem Antriebe an der feierlichen Bestattung des Commerzienrathes Bessano betheiligt, denn sie betrauerten in diesem Manne unbestritten den besten, bravsten, liebenswürdigsten, freigebigsten und wohlthätigsten Herrn des ganzen kleinen Staates. Er war einer der geachtetsten Bürger und stand glänzender da, als mancher Edelmann, der Sitz und Stimme im Staatsrathe des Fürsten hatte.

Am 5. October des Jahres 1833 war der Commerzienrath Bessano urplötzlich zu seinen Vätern versammelt. Das ganze Land weinte ihm nach und mit dem Lande zugleich weinten ihm auch drei Söhne nach.

Das Trauergeläute war verhallt und die prachtvolle Equipage des verstorbenen Commerzienrathes brachte diese drei Söhne vom Friedhofe heim, wo sie den Vater in einer Familiengruft beigesetzt hatten.

Ernst, stumm und bleich standen sich nun die Brüder im Zimmer gegenüber.

Es walteten seltsame Gründe vor, die tiefe Furchen über die jugendlichen Stirnen zogen. Sie hatten Alles verloren – sie waren inne geworden, daß ihr Vater zur rechten Zeit von Gott abgerufen worden war, um nicht als Bettler sterben zu müssen.

Ein wunderbares Gefühl für verwöhnte, scheinbar unermeßlich reiche Männer, wenn sie plötzlich eine leere Cassette statt einer wohlgefüllten finden, wenn sie mit Glanz und Pomp einen Vater beerdigen sehen, der ein Vermögen vertilgt hat, von dem sein Vater gesagt hatte, »es ist beinahe zu viel für einen einzigen Menschen«.

Es war nicht einmal genug für diesen »einzigen Erben« seines sparsamen Vaters gewesen; wenn Gott ihn hätte leben lassen, so würde er seinen Söhnen zur Last gefallen sein, die, ohne den geringsten Argwohn, von der Verschwendungswuth des eigenen Papa's den größten Vortheil genossen.

Jetzt standen sie betäubt in dem öden Familienzimmer und sahen endlich ein, daß alle Quellen versiegen müssen, wenn ihnen jeder Zufluß entzogen wird.

»Es ist mir nur unbegreiflich,« sprach Curd Bessano, der mittelste der Brüder, der zeitweise auf dem schönen Rittergute des Commerzienrathes lebte und, als Oekonom von Beruf, eine Uebersicht dieses Grundeigenthums zu haben meinte. »Es ist und bleibt mir unbegreiflich, auf welche Weise unser Vater seine Geldverlegenheiten so versteckt hat halten können. Was hat die Wachsamkeit unserer Geldmänner so eingeschläfert?«

»Der Glaube an seine Zahlungsfähigkeit. In der Welt ahnte man nicht, daß unser Papa nicht mehr der steinreiche Mann war, für den ihn Jeder, selbst seine eigenen Kinder, hielten,« erwiederte Victor Bessano. der Jurist, welcher seinen erwählten Stand als Spielerei trieb.

»Freilich! Freilich!« rief Robert, der leichtsinnige Garde-Offizier. »Ich selbst würde dem Papa ohne Weiteres hunderttausend Thaler geliehen haben, wenn er sie von mir gefordert hätte. Was ist aber nun zu machen? Gieb Rath, Herr Rechtsgelehrter!«

Victor warf sich heftig auf den Sessel, barg seine Stirn in der Hand und sagte bitter:

»Was bleibt uns weiter übrig, als unsere Armuth eben so würdevoll zu tragen, wie wir unsern Reichthum getragen haben würden.«

»Das heißt doch, in aller Stille,« sagte Curd bedächtig.

Seine Brüder sahen ihn zweifelnd an.

»Versteht Ihr mich nicht?« fragte Curd.

»Nicht ganz,« meinte Robert.

Curd lächelte schwach und sprach:

»Ich dächte, der Gedanke läge nahe, daß wir drei Brüder die Maske des Reichthums, die unser Vater uns hinterlassen hat, vorbehielten und durch Umsicht, Energie und Klugheit eine Stellung darauf baueten, die ehrenvoll genug wäre, um uns die Chicanen des Schicksals vergessen zu lassen. Haben wir erreicht, was wir anstrebten, sei es durch Speculation auf Heirath oder auf Ehrenstellen, so lassen wir sanft die Schleier fallen, die unsere precaire Lage sehr dicht verhüllen.«

»Curd, Du bist doch wahrhaft der richtigste Sprößling des Abraham Bessano, der vor zweihundert Jahren ein Christ geworden ist, seiner Fürstentochter zu Liebe,« rief der Offizier überrascht. »Dein Plan gefällt mir! Was sagst Du dazu, Victor?«

»Ich genehmige den Vorschlag! Doch stelle ich die Bedingung: keine unlautern Mittel zum unedlen Zwecke!«

»Bewahre,« entgegnete der Offizier. »Wir versprechen, nicht zu betrügen, nicht zu morden und nicht zu stehlen, um reich zu werden! Ich weiß schon, was ich thue! Ich erhöre die stille Liebe eines reichen, schönen Mädchens, das seit Monaten nur für mich Blicke hat.«

»Bon, Herr Sausewind,« bekräftigte der Jurist. »Und Du, Curd?« wendete er sich zu diesem, »Du hast wohl ein Gleiches vor? Wenigstens läßt sich Dein stilles Lächeln dermaßen erklären! Ich schlage nun vor, uns ganz verstohlen in den Besitz einer Summe Geldes zu setzen, die im Stande ist, uns für kurze Zeit auf glänzender Höhe zu erhalten … Apropos – Ihr habt doch keine Schulden?«

»Nein,« antwortete Curd sehr schnell, während Robert zögerte und dann sehr langsam zugab, einige Kleinigkeiten nicht bezahlt zu haben.

Victor runzelte die Stirn.

»Wie hoch beläuft sich ungefähr die Summe, welche Du nöthig haben wirst, sie zu tilgen?« fragte er sichtlich verdrießlich, zu seinem jüngsten Bruder gewendet.

»Das weiß ich in der That nicht,« erwiederte Herr Robert ehrlich. »Einige Colliers und Bracelets für kehlfertige Damen des Opern-Personals, sowie für die Nymphen des Ballets, stehen noch beim Hofjuwelier an. Die singenden und springenden Schönen haben mich stets viel gekostet, wie Ihr wißt. Ich habe diese Passion vom seligen Papa geerbt.«

»Du wirst diese Passion verlernen müssen,« spöttelte Curd.

»Freilich! Freilich! Eben so gut, wie Du Deine Reiseleidenschaft wirst bezwingen müssen und Victor seine Faulheit. Es ist aber nicht zu ändern und es muß gehen!« entgegnete der Offizier höchst gleichmüthig. »Ich will mir schon helfen, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Das Glück und der Reichthum liegen mir nahe genug! ›Ich weiß ein Mittel für Alles gut – Ihr sollt Euch wundern, wie wohl mir es thut,‹« sang er halblaut nach Zerlinchen's Arie aus dem »Don Juan.«

»Wie heißt die Dame, um die Du Dich zu bewerben gedenkst?« forschte der Jurist, etwas bedenklich seinen leichtsinnigen Bruder betrachtend.

»Wie sie heißt, weiß ich nicht,« bekannte Herr Robert sehr offenherzig. »Aber hübsch ist sie und reich auch. Daß sie mich liebt, beschwören meine Kameraden. Sie soll im Laufe der letzten Woche nur meinetwegen so oft nach der Residenz gekommen sein.«

»Das beschwören Deine Kameraden?« spöttelte Curd.

»Mit allem Rechte!« erklärte der Garde-Lieutenant. »Wenn eine junge Dame jede Woche ohne besondere Veranlassung nach einem Orte fährt, dort einen Garde-Offizier verstohlen betrachtet, sich weit aus dem Wagen lehnt, um ihm so lange nachzusehen, wie sie nur kann, so muß wohl ihr Herz in Confusion gerathen sein!«

Seine Brüder musterten während seiner selbstgefälligen Rede die schmächtige, jugendliche Gestalt, das unbärtige Gesicht und die knabenhafte Unbedeutendheit des Offiziers. Es schien ihnen unwahrscheinlich, daß sich eine junge Dame seinetwegen so viel Mühe gegeben habe; da sich aber nichts dagegen einwenden ließ, so übergingen sie den Gegenstand und Victor warf nur die Frage auf, ob er sicher sei, daß sie Geld besitze.

Robert betheuerte dies auf seine gewöhnliche leichtfertige Manier.

»Seine Kameraden beschwören es!« fügte Curd mit spöttischem Pathos hinzu.

»Lassen wir diese Sache auf sich beruhen,« fiel Victor ernst ein. »Es liegt uns zuerst ob, einen Ausweg zu finden, der uns aus unserer colossalen Verlegenheit führt. Wie bekommen wir Geld?«

»Wir fordern mit dreister Stirn ein Darlehn«« rief der Offizier rasch entschlossen.

»Und wenn man von uns Sicherheit verlangt?« wendete der Jurist ein.

»Haben wir nicht Grundstücke?«

»O ja,« seufzte der Oekonom. »Verschuldete Grundstücke. Von Walbeck gehört uns kaum ein Ziegel auf dem Dache! Es ist mir unbegreiflich, daß unser Vater noch als reich gegolten hat! Ein einziger Blick hat mir gestern den bodenlosen Verfall seiner Vermögensverhältnisse enthüllt!«

»Du mußt aber bedenken, daß er Niemandem bei seinen Lebzeiten diesen Einen Blick gestattet hatte!« sprach der Jurist. »Mir scheint es am rathsamsten, wir benutzen die warme Bewunderung des Grafen Valerian v. Espe und stellen ihm dies Haus mit allen seinen brillanten Ausrüstungen zur Disposition.«

Ein Ausruf tiefer schmerzlicher Entrüstung war die Antwort beider Brüder.

Victor strich, ebenfalls bewegt wie seine beiden Brüder, mehrmals über seine Stirn, ehe er fortfuhr:

»Es ist jedenfalls der leichteste Weg, in den Besitz von Geld zu kommen. Die von uns vorgefundene Stipulation ist ein Meisterstück von der Klugheit unseres Vaters und daß er dies Document dergestalt zurecht gelegt hat, um es uns, so zu sagen, in die Augen zu spielen, das verleitet mich zu dem Glauben, darin einen Rettungsanker zu finden.«

»Freilich! Freilich!« antwortete Robert, der Offizier, der weit eher gefaßt war, als Curd.

»Wozu sollte der selige Papa dies Papier sonst offen hingelegt haben, da sich außerdem die geflissentlichste Geheimhaltung seiner pecuniairen Angelegenheiten kund thut?«

»Vielleicht hat ihn der Tod bei dem Beginnen überrascht, sich selbst durch die Abtretung dieses Hauses auf kurze Zeit zu retten,« wendete Curd mit bedrückter Stimme ein.

Victor gab ihm Recht. Ihm leuchtete diese Möglichkeit ein. Um so eher konnten aber die Erben dasselbe Manöver für sich anwenden.

Nach einigem Hin- und Herreden wurden die Brüder endlich einig, das Vaterhaus zu veräußern und in den schlau angelegten Plan des seligen Commerzienrathes einzugehen, der vor Jahresfrist die lebhafte Bewunderung des Grafen Valerian von Espe benutzt hatte, um sich ein Darlehn von zehntausend Thalern zu verschaffen.

Der vorgefundene Vertrag lautete: »daß Graf Valerian sich in Besitz des Bessano'schen Hauses zu setzen wünsche und daß er behufs dieses Wunsches zehntausend Thaler baar als Angeld darauf zu geben entschlossen sei, ohne jedoch das Recht zu haben, den zeitigen Besitzer zum Verkaufe zwingen zu können. Nur bedinge er sich aus, daß bei jedwedem Verkaufe er die erste Anwartschaft habe und ohne seine Zustimmung nicht über das prächtige Hotel verfügt werden könne.«

Nachdem die drei Brüder Bessano diesen Vertrag nochmals geprüft und Alles reiflich erwogen hatten, wurde von ihnen festgesetzt, daß Victor Bessano, als Jurist am besten dazu qualificirt, in nächster Zeit nach Espenberg, dem Stammschlosse des Grafen Espe, aufbrechen und den Verkauf arrangiren solle.

Sie gaben sich das Versprechen, nicht mit einer Sylbe die wahre Sachlage ihrer Verhältnisse zu entschleiern und das Andenken ihres verschwenderischen Vaters in jeder Hinsicht zu ehren.

Während also fast in jedem Hause der Residenz von dem prächtigen Begräbnisse des Commerzienrathes und von seinem noch prachtliebendern Leben die Rede war, während man überall seine splendide Güte, seine weit ausgedehnte Mildthätigkeit, seine Barmherzigkeit und Großmuth pries, während man in Rückerinnerungen an seine unübertroffenen Dejeuners, Diners, und Soupers schwelgte und den Werth des Gastgebers nach diesen Beweisen gediegenen Reichthums feststellte, während dieser Zeit bemüheten sich die hinterbliebenen Söhne desselben, die Folgen des väterlichen Aufwandes zu verbergen, um nicht in die Gefahr zu gerathen, wegen ihres stark gesunkenen Wohlstandes verachtet zu werden.

Sie hatten Pietät genug, die Neigung ihres Vaters zum Luxus nicht zu tadeln, obwohl sie von dieser Sucht nach raffinirten Lebensgenüssen beispiellos unangenehm situirt wurden. Sie erkannten an, daß sein enormer Reichthum ihm erlaubt hatte, sich von früher Jugend an mit den Mitteln zum täglichen Wohlleben zu versehen, und daß es ganz natürlich sei, wenn sich seine Anforderungen an Lebensbedürfnisse von Jahr zu Jahr gesteigert hätten, um ihn endlich dahin zu bringen, ohne Maß und Ziel auf sein Vermögen loszuwirthschaften.

Sie wußten es ja aus eigener Erfahrung, wie leicht man sich in der Absicht, sein Dasein zu verschönern, zu Extravaganzen hinreißen ließ. Sie selbst hatten ja Tausende auf Tausende zu nichtigen Zwecken verwendet, wenn es galt, den Lebensgenuß zu erhöhen.

Daß bei so bewandten Umständen die Capitale geschmolzen sein mußten, war einzusehen, allein schwerer zu begreifen war es, was sich der Commerzienrath eigentlich bei dem täglichen Verfall seiner Vermögensverhältnisse gedacht hatte.

Dem Anscheine nach lebte er unbekümmert der Zukunft entgegen. Sein Lächeln war sorglos geblieben, seine Freigebigkeit maßlos, wie sonst.

Sein Tod erfolgte im richtigsten Momente, um ehrenvoll unter die Erde gebracht zu werden. Wenige Monate später hätte sich das drohende Gespenst eines schimpflichen Bankrotts an sein Sterbelager geschlichen.

Diesem Ungewitter des Lebens war er entrückt und seine Söhne, auf den Trümmern eines unermeßlichen Vermögens stehend, traten voller Einigkeit die imaginaire Erbschaft an, um das zu retten, was noch zu retten schien: »die Ehre ihres verstorbenen Vaters!«

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