Ernst Raupach
Die Schleichhändler
Ernst Raupach

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Vierter Aufzug.

Scene: Gastzimmer in der Wohnung des Zollinspectors, mit einer Mittelthüre und einer Seitenthüre rechts. Abend.

Erster Auftritt.

Minna. Julie. Till tritt hastig durch die Mitte ein.

Till. Fort, Fräulein Minna, fort! Ihre Tante wird gleich hier sein.

Minna. Gott im Himmel! ich bin verrathen.

Till. Das nicht; aber Ihre Tante und der Bader und noch ein Quidam sind im Walde von unsern Grenzjägern als Schleichhändler eingefangen worden und schon auf dem Wege hieher. Ein Jäger ist voraus geeilt, um uns die seltenen Gäste anzusagen. Der Herr Hauptmann hat befohlen, Ihre Tante hier in dies Zimmer zu führen, sobald sie kommt.

Minna. Unmöglich! Sie wollen uns necken.

Julie. Wahrheit, Herr Till, Wahrheit!

Till. Was ist Wahrheit in dieser Welt voll Schein?

Minna. Was sollen wir thun?

Till. Nichts weiter, als sich verbergen. Dem Herrn Lieutenant habe ich schon Nachricht zukommen lassen; wenn es Zeit ist, können Sie Ihre Schlußscene hier spielen.

Julie. In der That, liebe Minna, es ändert nichts in unserm Plane, wenn auch alles wahr ist und Ihre Tante hieher kommt. Ziehen Sie sich in mein Schlafzimmer zurück und ängstigen Sie sich nicht! Wir wollen die Sache schon zu einem glücklichen Ausgange führen.

Minna. Ach! ich hätte es doch nicht thun sollen. (Sie geht zur Rechten ab.)

 
Zweiter Auftritt.

Julie und Till.

Julie. Ich traue Ihnen nicht, Herr Till, Sie haben dies Märchen erdichtet. 44

Till. Erdichtet? Behüte! Ich gebe mich mit dem Dichten nicht ab. Die Dichtkunst ist jetzt vogelfrei und wird nur bezahlt wie Sperlinge, nämlich denen, die ihr den Hals umdrehen. – Verlassen Sie sich auf mich!

Julie (folgt Minna nach der Rechten).

 
Dritter Auftritt.

Till allein.

Till. Hat sich der Zufall in mein Spiel gemischt, so werde ich auch wohl Gelegenheit finden, mich in das seinige zu mischen. Aber so spät wie irgend möglich, denn (indem er sich die Hände reibt) es ist eine köstliche Verwirrung, und ich mitten darin, wie ein lustiger Bube im Schnee. – Jetzt will ich den Schauplatz des hochnothpeinlichen Halsgerichtes in Ordnung bringen, um keine Bedienten zu rufen: [denn solche Burschen, die blos kommen, um Tische und Stühle zu setzen, sind mir in der Seele zuwider. Man sollte in unserer maschinenreichen Zeit auch dazu eine Maschine erfinden. –] (Er setzt den Tisch von der Rechten mehr nach der Mitte und zwei Stühle dazu.) Es ist doch zu toll, daß ich selbst gewissermaßen die Grenzjäger hingeschickt, weil ich sie auf den Fremden aufmerksam gemacht habe. Aber das ist eben das Große in der Welt, daß der Mensch, wenn er seine Schlafmütze aufsetzt, nicht weiß, ob er nicht dadurch den Lauf der Weltgeschichte ändert.

 
Vierter Auftritt.

Till. Fräulein Kiekebusch. Harder und Schelle.

Harder (die Mittelthüre öffnend). Belieben Sie, gnädiges Fräulein. (Das Fräulein tritt ein, Till empfängt sie, sie reden während des Folgenden leise mit einander. Schelle hat sich hinter Harder zur Thüre hereingedrängt.)

Harder (zu Schelle). Ich werde Sie schon rufen lassen: bleiben Sie draußen.

Schelle. Nein, nicht draußen, hochwerther Herr Hauptmann, nicht draußen. Die Gensdarmen machen ein solches Gerassel mit ihren Säbeln, daß man glaubt, es seien 45 Gespenster, die mit Ketten rasseln. Was habe ich verbrochen?

Harder. Was? Schleichhandel, Pfui! Sie schlechtes Subject.

Schelle. Nein, gnädigster Herr Hauptmann, kein Subject, alles in der Welt, nur kein Subject.

Till. In der That, Herr Hauptmann, als Gefangener ist Schelle vielmehr ein Object.

Schelle. Ja, ein Object. O Till! Ihr seid ein Freund in der Noth.

Till (zu Harder). Das gnädige Fräulein wünscht, bei sich zu Hause wissen zu lassen, wo sie ist.

Harder. Schicken Sie hin. (Till geht durch die Mitte hinaus.) Mein Fräulein, ist Ihnen nicht gefällig? (Auf einen Stuhl deutend. Das Fräulein setzt sich auf der linken Seite, Harder hinter den Tisch, auf den er mitgebrachte Papiere legt. Till kommt durch die Mitte zurück und setzt sich an die rechte Seite des Tisches.)

Harder (zu Till, auf die Papiere deutend). Hier ist die Aussage des Grenzjägers; bringen Sie die weitern Erklärungen zu Papier. Ja, mein Fräulein, Sie müssen mir gefälligst erklären, wie Sie um diese Zeit an einen Ort gekommen sind, der kaum eine Viertelstunde von der Grenze entfernt ist und wo man Contrebande gefunden hat.

Fräulein. Ein Spaziergang.

Harder. Bei Nacht und Nebel?

Fräulein. Das ist romantisch.

Harder. Das Zollamt glaubt an nichts Romantisches. Können Sie keine bessere Erklärung geben, so bleiben Sie des Schleichhandels verdächtig.

Fräulein. Jenseit der Grenze lagert eine Zigeunerbande.

Harder. Es giebt weder diesseits noch jenseits Zigeuner.

Fräulein. Herr Till ist mein Zeuge.

Till. Ein reisender Handwerksbursche hat es mir gesagt, ob es aber wahr ist, weiß ich nicht.

Fräulein. Es ist wahr. Ein Weib dieser Bande stieß mir bei einem Spaziergange auf, und neugierig, das Zigeunerwesen näher kennen zu lernen, verabredete ich mit ihr, daß sie mir noch diesen Abend, weil sie morgen weiter 46 ziehen wollen, einen Führer zu dem Katzensteine senden sollte, um mich nach ihrem Lager zu geleiten.

Schelle (bei Seite). Lügen können doch die Weiber wie gedruckt.

Harder. Wie kamen Sie mit gegenwärtigem Bader zusammen?

Fräulein. Ich fand ihn dort und glaubte anfangs, er sollte mein Führer sein, denn er wußte die Losung und schien mit der Bande sehr genau bekannt.

Harder. Mit der Schleichhändlerbande?

Schelle. Ich? Genau bekannt? Ich bin mit nichts in der Welt genau bekannt, am wenigsten mit einer Bande.

Fräulein. Wie? Sagten Sie mir nicht, die Bande sei ganz nahe, sehr zahlreich und gut bewaffnet?

Harder. Entsetzlich!

Schelle. Ich dachte, Sie gingen darauf aus, dem Nebenbuhler Angst einzujagen und wollte Ihnen helfen. Ich sehe wohl, wo das hinaus will. [Sie haben mich ins Netz gelockt; nun wollen Sie sich herauswickeln und mich allein im Unglück sitzen lassen.] Aber nichts da, ich will alles bekennen. Ja, ich bin auf unrechten Wegen gegangen; aber ich bin nicht schuld, sie hat mich verführt.

Harder. Haha! Schleichhandel in Compagnie! Heraus damit!

Schelle. Hier das Fräulein hat sich in mich verliebt, ohne mein Zuthun bitterlich verliebt, hat an mich geschrieben, und mir ihre Liebe gestanden, und mich zum Katzensteine bestellt, und ich bin ein mitleidiger Esel gewesen, und gegangen.

Fräulein. Herr Hauptmann, ich habe heute schon zweimal unverkennbare Spuren der Verrücktheit an diesem Menschen bemerkt –

Schelle. Menschen? Was, ich bin ein Mensch? [Haha! Jetzt nur ein Mensch] und obendrein verrückt. Ja, ich war verrückt, daß ich mich durch Ihre süßen Worte kirren ließ. (Zu Harder.) Es war auch gleich ein Zweiter da und wollte mich auf alle Weise niederschießen, weil ihm das Fräulein meinetwegen untreu geworden ist.

Fräulein (aufstehend). Herr Hauptmann, wenn Sie diesem 47 Wahnwitzigen nicht Schweigen auferlegen, so kann ich nicht bleiben.

Harder. Ich bitte, Fräulein – schweigen Sie, Schelle! – Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.

Till (der eben seine Dose aus der Tasche gezogen). Ich suchte den meinigen so eben in der Tasche.

Harder. Schelle, reden Sie vom Schleichhandel, von nichts anderm. Der Grenzjäger hat ausgesagt, daß Sie von Waaren gesprochen.

Schelle. Ja, das habe ich: von Waaren, die nicht weit her wären, aber ich meinte damit das Fräulein.

Till. Schelle, wo denkt Ihr hin? Ihr, ein höflicher, galanter Mann –

Schelle. Ja, ich bin ein höflicher, galanter Mann; aber es muß kein schußfertiger Nebenbuhler hinter mir stehen.

Harder. Finten, nichts als Finten.

Schelle. Nein, wahrhaftig nicht. Ich habe ja (in der Tasche suchend) den Beweis in der Tasche. (Er zieht ein Papier hervor und giebt es Harder.) Hier ist der Brief, den mir das Fräulein geschrieben hat. Ich denke, er ist klar genug. Ein Betteljunge brachte mir den verdammten Wisch und ich war so ein guter Narr, daß ich ihm einen Dreier gegeben hätte, wenn er nicht davon gelaufen wäre.

Harder (der mit Erstaunen gelesen). Soll ich meinen Augen trauen?

Schelle. Trauen Sie immer zu!

Harder. Mein Fräulein, ist der Brief von Ihnen? (Er giebt ihr den Brief.)

Schelle. Von wem denn sonst? Hier Till ist mein Zeuge und weiß, daß ich nur auf diesen Brief in den Wald gegangen bin.

Till. Ich weiß nichts, als was Ihr mir gesagt habt und was Ihr selbst gesagt, kann nicht für Euch zeugen.

Schelle. O Judas! Judas!

Fräulein. So lächerlich wie empörend. (Sie giebt den Brief zurück.) Die Hand gleicht der meinigen, aber ich habe dieses abscheuliche Billet nicht geschrieben.

Schelle. Es ist Ihre Hand und Ihr Petschaft.

Harder (den Brief besehend). In der That. 48

Fräulein. Irgend eine Betrügerei ist darunter verborgen. Herr Hauptmann, Sie sind mein Freund nicht, aber ein Mann von Ehre und so werden Sie gewiß nicht glauben, eine Dame, die sich selbst im geringsten achtet, könne solch einen Brief schreiben, an irgend einen Mann, geschweige denn an diesen Gilbert Glossin, diesen Donsterswisel.

Schelle (wüthend). Was? Ich eine Zwiebel? Höllenelement! warum bin ich eine Zwiebel? Worin bin ich eine Zwiebel? O Verruchtheit! Erst mein geliebter Benjamin und dein liebreizendes Bild und nun eine Zwiebel?

Fräulein (zu Harder). Sie hören, daß er wahnwitzig ist.

Harder. Still Schelle, still!

Schelle. Nein, ich will nicht still sein: meine Geduld ist zu Ende. Mit Zittern und Zagen bin ich in den Wald gegangen; ein kannibalischer Nebenbuhler hat mich niederschießen wollen wie einen Wilddieb; mit Zähneklappern habe ich von Liebe girren müssen wie eine Turteltaube; Gesicht und Hände habe ich mir in der hohlen Eiche zerschunden; im Namen des Königs bin ich eingefangen worden; zum Packesel für Contrebande hat man mich gemacht und nun gar noch eine Zwiebel.

Till. Tröstet Euch, Schelle! Bei den alten Aegyptern war die Zwiebel heilig.

Schelle. Ich will mich nicht trösten; ich will nicht heilig sein. Ich eine Zwiebel? Und im Walde wollte sie auf dem Flecke Hochzeit machen mit der Zwiebel.

Fräulein. Ich kann diesen Wahnsinn nicht mehr anhören. (Sie will gehen.)

Harder. Ich bitte – Er soll schweigen – (rufend) Gensdarm! (Ein Gensdarm tritt durch die Mitte ein.)

Schelle. O gnädiger Herr, bin ich der Mann, gegen den man Armeen zu Hilfe rufen muß?

Harder. Nun, so reden Sie gelassen, aber vom Schleichhandel: denn die Contrebande ist da.

Schelle. Ich weiß nichts davon und rückten auch Millionen an.

Harder (zu den Gensdarmen). Der Fremde soll herein kommen. (Der Gensdarm geht durch die Mitte ab.) 49

Harder. Der Schleichhandel muß aus Tageslicht.

Till. Das ist seiner Natur zuwider: er gehört zur Gattung des Sentimentalen, das nur bei Mondschein gedeiht.

 
Fünfter Auftritt.

Die Vorigen. Waldau tritt durch die Mitte ein.

Waldau. Herr Hauptmann, es thut mir sehr leid, Ihnen auf eine so wenig empfehlende Weise bekannt zu werden.

Harder. Gleichfalls. Sie sind ein Schleichhändler –

Waldau. Das bin ich nicht.

Harder. Schon recht; Sie sind ein Schleichhändler, aber davon ist jetzt noch nicht die Rede. Wie sind Sie mit diesen beiden Personen in den Wald gekommen.

Waldau. Durch eine seltsame Verkettung von Umständen. Ein Zufall ließ mich diese Dame für eine andere halten, die mir theuer ist und diesen Herrn für meinen Nebenbuhler.

Harder. Dame – Nebenbuhler? Wie gehört das vors Zollamt?

Till. Insofern nichts im Weltall isolirt, sondern alles mit allem in Verbindung steht –

Harder. Sind Sie auch von Sinnen? (Zu Waldau.) Weiter, Herr!

Waldau. Ich behorchte ihr Gespräch –

Harder. Haha! War von Schleichhandel oder Liebeshandel die Rede?

Waldau. Das wage ich nicht zu entscheiden. Die Sprechenden verstanden sich nicht, oder wollten sich nicht verstehen. Es war die Rede –

Fräulein. Von Zigeunern, aber nicht von schnöder Liebe.

Schelle. Von schnöder Liebe, aber nicht vom Schleichhandel.

Waldau. Vielleicht von allen dreien, vielleicht von keinem. Mir blieb es ein Räthsel.

Harder (rasch aufstehend). Alle Donner –

Till (ebenso). Und Wetter!

Harder (zu Till). Herr, lassen Sie mich meinen Fluch selbst ausfluchen. Zufälle, Räthsel, Umstände, Verkettungen, Nebenbuhler, Zigeuner, Liebesgeschichten, Contrebande 50 – daraus mag der Satan klug werden, aber kein Zollinspector. Ich will auch nicht daraus klug werden; ich will nicht weiter verhören. Weg mit dem Tische! (Till setzt den Tisch bei Seite.) Ich schicke die Acten nach der Stadt, da mag das Gericht zusehen –

Schelle. Ach, Herr Hauptmann, lassen wir es doch lieber bis zum jüngsten Gerichte, wo alles klar wird.

Till. Da werden aber Zollsachen nicht verhandelt.

Waldau (zu Harder). Herr Hauptmann, sollte die Wahrheit nicht auf schonendere Art –

Harder. Schonender? Herr, wer sind Sie?

Waldau. Der Oberförster Waldau aus Eicherode jenseits der Grenze.

Harder. Womit können Sie das beweisen?

Waldau. Ich habe die Ehre, Ihrem Fräulein Tochter bekannt zu sein.

Harder. Wie? Was? – Till, meine Tochter! schnell meine Tochter.

Till (für sich). O Spitzbube von Zufall! (Er geht ins Seitenzimmer zur Rechten.)

Fräulein (zu Harder). Herr Hauptmann, könnten Sie diese abscheulichen Aussagen gegen mich einem Gerichte mittheilen? Soll die ehrenrührige Verleumdung öffentlich werden?

Harder. Ich muß meine Pflicht thun. Schleichhandel steckt auf jeden Fall dahinter, denn die Contrebande ist da.

 
Sechster Auftritt.

Die Vorigen. Till kommt von der Rechten zurück mit Julie.

Harder (geht Julie entgegen und faßt sie heftig bei der Hand). Hieher! (Er führt sie zu Waldau.) Kennst du –

Julie (bei Waldaus Anblick heftig erschreckend). Was sehe ich! Waldau! (Sie sinkt auf einen Stuhl.)

Till (für sich). Alle Wetter! wohl noch eine Liebesgeschichte. (Zu Julie.) Witz, Fräulein, schnell etwas Witz; das wirkt wie niederschlagendes Pulver.

Harder. Julie, was soll das heißen? (Zu Waldau.) Herr, in welcher Verbindung stehen Sie mit meiner Tochter?

Waldau. In keiner, deren ich mich zu schämen hätte. Ich 51 liebte das Fräulein und durfte glauben, meine aufrichtige Zuneigung würde erwiedert; ich habe mich getäuscht, ein anderer wird mir vorgezogen; ich glaubte, und wenn ich die Vorfälle im Walde recht erwäge, glaube ich noch, daß dieser Held (auf Schelle zeigend) mein Nebenbuhler ist.

Schelle. Ich? Hat mich nicht eine Liebe schon wund gedrückt? Will man mir noch eine zweite aufladen? Soll ich denn heute absolut nur Packesel sein?

Julie (aufstehend). Herr von Waldau, Ihre Beleidigung –

Harder. Still, mein Kind, er hat es mit mir zu thun. (Zu Waldau.) Ja, Herr! ich verlange Genugthuung für die Beschimpfung meiner Tochter.

Julie. Nein! erlauben Sie mir ein paar Worte mit diesem Herrn; erlauben Sie, mein lieber gütiger Vater!

Till (für sich). Das wird rührend. Wie habe ich das verdient?

Harder. Nein, du sollst nicht. Er hat deine Ehre aufs schändlichste verletzt, daß er dich mit einem Bartkratzer –

Schelle (wüthend). Bartkratzer? Herr, Sie sollen wissen, daß ich ein Chirurgus bin. Ich kann Sie ab und zu geschnitten haben, denn Tag und Stunde sind nicht gleich; aber Sie sind kein Mann von Ehre, wenn Sie sagen, ich habe Sie jemals gekratzt. Das thun nur Katzen, Weiber und Zöllner, verstehen Sie mich, Zöllner. (Er rennt wüthend nach der Mittelthüre, Hannchen stürzt herein und ihm in die Arme.)

Schelle. Satanas!

Till. Aller guten Dinge sind drei. (Während dessen ist Julie mit Waldau in die äußerste Ecke der rechten Seite getreten. Sie sprechen leise mit einander. Waldau wird bald sehr heftig.)

 
Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Hannchen.

Hannchen. Ach, gnädiges Fräulein, kommen Sie, helfen Sie! Ach! das Unglück! das Unglück!

Fräulein. Was ist geschehn?

Hannchen. Ach! ich bin des Todes. Das Fräulein ist über alle Berge.

Fräulein. Was? meine Nichte? 52

Hannchen. Ist fort. Das Zimmer ist offen, die Hintertreppe offen, die Gartenthüre offen, das Fräulein entführt – und gewiß von dem verfluchten Schleichhändler.

Fräulein. Verrückte! Fort!

Harder (auf Hannchen zufahrend und mit Wuth ihren Arm fassend, mit donnernder Stimme). Halt! Schleichhändler? Du bist des Todes! Bekenne!

Hannchen. Ach, gnädiger Herr, ermorden Sie mich nicht! Ich kann ja nicht dafür, daß meine gnädige Herrschaft einen Schleichhändler aufgenommen hat.

Harder (wie erstaunt). Schleichhändler – aufgenommen?

Fräulein. Ja, ich will es nicht läugnen, ich habe einen Unglücklichen, der von Ihren unbarmherzigen Jägern verfolgt wurde, eine Freistatt gewährt.

Harder (die Hände ringend). Ein Schleichhändler ein Unglücklicher! (Till bei den Schultern fassend.) Till! ein Schleichhändler unglücklich!

Waldau (giebt Julie das im zweiten Aufzuge gefundene Papier).

Till (Harder bei den Schultern fassend). Herr Hauptmann, ein Schleichhändler unglücklich!

Julie (die das Papier betrachtet, lachend). Nichts weiter, als das? (Sie fährt während des Folgenden fort, mit Waldau leise zu reden und erklärt ihm, mit Hindeutung auf Till und das Fräulein, den Vorfall mit dem Papier.)

Harder. Soll der Himmel einstürzen, ungerathenes Kind? (Zu dem Fräulein.) Also unglücklich? Ihr Unglücklicher hat Sie gut bezahlt.

Fräulein. Es ist nicht wahr: Cleveland ist nicht undankbar.

Hannchen. Doch, doch; denn er ist auch verschwunden. Kommen Sie nur! man muß doch Anstalten zum Nachsetzen machen.

Fräulein. Du hast Recht. (Sie will gehen.)

Harder. Halt! Daraus wird nichts. Glaubt man, ein Zollinspector sei ein Maulwurf? Liebesgeschichten – haha! – dem Zollamt Liebesgeschichten? Und als ob die so auf den Bäumen wüchsen. Ein Complot, ein schändliches Complot. Till! einen Leiterwagen und die ganze Bande darauf, nach der Stadt ins Gefängnis! 53

Fräulein. Sei es in Ketten und Banden: meine Ketten werden mir ein Ehrenschmuck scheinen, denn sie bezeugen, daß ich eine echte Jüngerin des großen Unbekannten bin.

Till (für sich). Himmel! nun mischt sich der Fanatismus drein: jetzt ist es Zeit, ein Ende zu machen. (Zu Harder.) Ich will den Wagen bestellen.

Harder (mit Ingrimm). Ja! (Till geht zur Mittelthüre hinaus.)

 
Achter Auftritt.

Die Vorigen ohne Till.

Waldau (zu Julie, noch leise). Vergebung, geliebte Julie.

Julie (lauter). Vergeben und vergessen. (Sie reicht ihm die Hand.)

Harder. Alles, Mord und Totschlag, nur nicht Schleichhandel.

Hannchen (zu Schelle). Sagen Sie mir, Herr Schelle, was bedeutet das alles?

Schelle. Bist du ein verkleideter Junge?

Hannchen. Pfui!

Schelle. So schweig! Ich habe es verschworen, jemals wieder mit einem Weibe zu reden; und wenn ich es thue, so will ich alle Tage ein Regiment gratis rasiren.

 
Neunter Auftritt.

Die Vorigen. Eduard und Minna, deren Haar und Anzug etwas zerrüttet ist, treten durch die Mitte ein. Bald nachher kommt Till durch die Mitte zurück.

Hannchen. Da ist das Fräulein! (Sie eilt Minna entgegen und führt sie zu einem Stuhl.)

Harder. Mein Sohn!

Fräulein. Liebe Minna! Schnell, schnell, was ist mit dir geschehen?

Minna. [Liebe Tante, find' ich Sie hier? – Was geschehen ist? – Weiß ich es doch selbst kaum. –] Zwei Bösewichter drangen in mein Zimmer, verbanden mir Mund und Augen, schleppten mich fort durch den Garten, warfen mich auf ihre Pferde – und jagten mit mir davon. – [Das Pferd meines Räubers scheute, er mußte es besänftigen – dadurch bekam ich einen Augenblick 54 Freiheit, ich riß das Tuch vom Munde und schrie um Hilfe.]

Eduard. Das war am Eingange des Waldes, aus dem ich eben, von einem Besuche in Buchwald kommend, heraustrat. Ich und mein Bedienter sprangen hinzu; die Räuber, durch den unvermutheten Anfall außer Fassung gebracht, überließen uns nach kurzem Kampfe das Fräulein und sprengten in den Wald.

Harder (sich mitten auf der Bühne setzend). Das ist zu viel. (Halb weinend.) O, o! wie paßt solch ein Tag in das Leben eines Zollinspectors?

Till (hinter ihm stehend). Auch das Zollamt ist nicht sicher vor dem Wechsel menschlicher Geschicke.

Fräulein (zu Eduard). Mein edler Lovel, wie soll ich Ihnen danken?

Eduard. Das Glück, meine Gnädige, das mein Unternehmen gelingen ließ, hat den Dank schon abgetragen.

Fräulein. Schändlicher Cleveland! Doch nein! nur unselige Liebe kann ihn zu diesem Frevel verleitet haben; und wer möchte diese romantische Leidenschaft verdammen?

Till. Gewiß niemand. Diese Leidenschaft ist überall – und auch hier unter uns. Ja, ich weiß, der edle, tapfere Eduard von Harder liebt –

Eduard. O still! still!

Till. Nein! weg mit der kleinlichen Delicatesse in diesem großen Momente! Ich weiß, er liebt Fräulein Minna; und wenn nun auch des Fräuleins Herz sich zu ihm neigen könnte, so wäre mein Rath, ihre Hände in einander zu legen, als Pfand aufrichtiger Versöhnung. (Im pathetischen Predigertone mit weinender Stimme.) Ja, meine Freunde, laßt uns den Hader, laßt uns den bösen Geist des Hasses auf ewig verbannen und wir werden alle fröhlich hüpfen, wie die unschuldigen Lämmlein auf den Wiesen. Und wann dereinst die letzte, die allerletzte, die schrecklich letzte Stunde schlägt und wie bald – vielleicht schon morgen – wird sie schlagen – für die pflichtgetreuen Vollstrecker der Zollgesetze (Harder zieht sein weißes Schnupftuch heraus und trocknet sich die Thränen), wie für die hochgesinnten Freunde des großen Unbekannten (das Fräulein thut wie Harder), für berühmte, 55 wenn auch verkannte Heilkünstler (Schelle thut wie das Fräulein), wie für unberühmte Zollassistenten (er thut wie Schelle), ja selbst für die blühende Jugend, die noch ein Jahrhundert voll Rosen vor sich zu sehen wähnt (Hannchen thut wie Till) – also Versöhnung! (Er streckt die Arme weit aus.)

Harder (weinend). Mein Fräulein – ich kann nicht – aufstehen. (Er streckt die Hand nach dem Fräulein aus, Till schiebt geschwind einen Stuhl neben den Harders und ladet das Fräulein zum Sitzen ein; sie setzt sich.)

Harder (ihr die Hand reichend). Versöhnung!

Fräulein (noch weinend ihm die Hand gebend). Von ganzem Herzen. (Auf einen Wink Tills knieen Eduard und Minna auf der Seite des Fräuleins nieder.)

Eduard. Und Ihren Segen! (Waldau und Julie thun dasselbe auf Harders Seite.)

Waldau. Auch für uns! Julie hat mir vergeben.

Harder und Fräulein. Es sei! es sei!

Till (mitten hinter den beiden Stühlen, zu den Sofitten hinauf). O ihr dort oben, wer ihr auch seid, Arbeiter oder Zimmerleute! schaut trunknen Blickes herab auf diese Gruppe! (Harder steht plötzlich auf; alle mit ihm.)

Harder (betrübt). Aber die Contrebande!

Till. Wird confiscirt und versteigert. (Heimlich zu ihm.) Alle Anwesenden sind unschuldig: das kann ich Ihnen beweisen.

Harder (ebenso). Au Ehrenwort?

Till (ebenso). Auf Ehrenwort!

Harder (laut). Wenn sich die Sache dermaßen verhält, so ist –

Till. Die Komödie zu Ende.

Harder. Lassen Sie mich –

Till. Reden? Auf keinen Fall! Es sind Reisende unten, die fort wollen; wenn wir nun noch lange hier reden, so gehen sie davon, ohne uns den erwünschten Zoll zu entrichten. (Der Vorhang fällt.)

 

Ende.

 


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