Ernst Raupach
Die Schleichhändler
Ernst Raupach

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Zweiter Aufzug.

Scene: Ein Gehölz unweit der Wohnung des Fräuleins Kiekebusch; auf der rechten Seite eine Rasenbank unter einem Baume.

Erster Auftritt.

Fräulein Kiekebusch und Minna sitzen auf der Rasenbank. Letztere hat ein Buch in der Hand.

Fräulein. Nun, wo blieben wir?

Minna (lesend). »In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre und Meg Merrilies trat herein.«

Fräulein. Erhabene Meg Merrilies!

Minna. Nein, das habe ich schon gelesen. Hier waren wir. (Lesend.) »Ohne eine Antwort abzuwarten, hob sie an: –«

Fräulein. Wer?

Minna. Meg Merrilies

Fräulein. Große Meg Merrilies! 17

Minna (lesend). »Hob sie an:
        Kleeblatt, Taubenkraut und Dill
        Hindern, was die Hexe will;
        Dem ist wohl, der Fasttag macht,
        Wenn Sanct Andrestag erwacht.
        Sanct Brigitte sei uns gut,
        Sanct Columbas treue Hut,
        Auch Sanct Michel und sein Schwert
        Halt das Haus uns unversehrt!!
»Sie sang diesen Zauberspruch in einer wilden Weise, in hohen, gellenden Tönen, und machte dabei drei Sprünge, so gewandt und behende, daß sie fast die Decke der Stube berührte. ›Und wollt Ihr mir nun ein Glas Brantwein schenken lassen, edler Herr?‹ setzte sie hinzu.«

Fräulein. Wie du auch liesest, Mädchen! Ohne alle Theilnahme, ohne alles Gefühl.

Minna. Ja, liebe Tante, wenn man ein Buch schon zum fünften Male – –

Fräulein. Was? Als ob ein Werk des großen Unbekannten nicht noch zum fünf und funfzigsten Male begeistern könnte?

Minna. Das mag wohl sein; aber Lesen ist doch auch nicht Komödie spielen.

Fräulein. Allerdings: wenn jemand spricht, muß man lesen, wie er gesprochen hat. So machen es die großen Vorleser: sie ahmen die Stimmen von Greisen, Weibern, Kindern, ja sogar Geistern nach, und schreiten vorwärts und rückwärts, ob sie gleich still sitzen.

Minna. Ach, das muß recht possierlich sein.

Fräulein (aufstehend). Albernes Ding! Gieb her! (sie nimmt ihr das Buch weg) und höre zu! (Sie stellt sich in die Mitte und liest die obigen Verse »Kleeblatt, Taubenkraut und Dill u. s. w.« mit gellender Stimme und lächerlichen Modulationen.)

Minna. Recht schön, liebe Tante. Aber nun können Sie doch nicht drei Sprünge machen, daß Sie hier die Decke berühren, und ein Glas Brantwein werden Sie auch nicht haben wollen.

Fräulein. Ist es möglich, so albern zu sein? Gefühlloses Wesen, du solltest Brenda und nicht Minna heißen, 18 denn Minna Troil war ein hochherziges Mädchen, die Sinn für alles Romantische und Erhabene hatte.

Minna. Aber, liebe Tante, sollte ich mich denn, wie Minna Troil, in einen Seeräuber verlieben, und mich wider meinen Landesherrn empören wollen.

Fräulein. Schweig, Thörin! Nachahmen sollen und können wir Zwerge die Riesen der Vorzeit nicht; aber Bewunderung und Begeisterung sollen sie uns einflößen. Und wie wagst du, ein Mädchen, die kaum die Kinderschuhe ausgezogen hat, das Wort Verlieben in den Mund zu nehmen? Daß ich nie wieder dergleichen von dir höre! Deine Albernheit hat mich aus der Stimmung gebracht, in der allein man fähig ist, die Worte des großen Unbekannten zu genießen. Ich will nicht mehr lesen. (Sie giebt ihr das Buch zurück.) Geh nach Hause! (Minna geht im Hintergrund zur Linken, das Fräulein im Vordergrund zur Rechten ab.)

 
Zweiter Auftritt.

Till und Julie, als Zigeunerin verkleidet, kommen im Hintergrunde von der Rechten.

Till. Nun geschwind, Fräulein, setzen Sie sich hier auf die Rasenbank! Die Anbeterin des großen Unbekannten kommt gewiß bald zurück.

Julie. Wenn sie nun aber nicht in die Falle geht?

Till. Alles was lebt, geht in die Falle, wenn die rechte Lockspeise darin ist. Man muß nur einer Maus nicht Vogelbeeren und einem Dompfaffen nicht Speck vorsetzen. Uebrigens rechne ich auf Ihr Spiel.

Julie. Ich will mich bemühen, einem so vortrefflichen Lehrmeister Ehre zu machen.

Till. Das hoffe ich, denn nie habe ich eine so gelehrige Schülerin gehabt.

Julie. Ist das ein Compliment oder eine Bosheit?

Till. Je nachdem Sie es ansehen, es ist wandelfarben, wie alles in der Welt. Vergessen Sie nur nichts.

Julie. Sein Sie unbesorgt, das Nöthigste habe ich hier aufgeschrieben (ihm ein Papier zeigend), und im Uebrigen verlasse ich mich auf mein bißchen Mutterwitz.

Till. Es ist mir lieb, daß es nicht Vaterwitz heißt. 19

Julie. Sie sind ein Erzbösewicht.

Till. So will ich gehen, um Sie von schlechter Gesellschaft zu befreien, und mit Ihrer Frömmigkeit allein zu lassen. Gute Verrichtung! (Er geht dahin ab, woher sie gekommen sind.)

 
Dritter Auftritt.

Julie allein.

Julie (setzt sich auf die Bank und überliest noch einmal, was auf dem Papiere steht, das sie in der Hand hält). Nun, es wird schon gehen; und abscheulich genug sehe ich auch aus, um für eine Zigeunerin zu gelten. Ich wünschte, Waldau wäre hier und sähe mich; gewiß würde es ihm zum ersten Male in seinem Leben begegnen zu lachen. [Nein, es ist doch gut, daß er erst morgen kommt, sonst hätte ich mir diesen Spaß nicht machen dürfen. – Seltsam! Amor macht sich ein Vergnügen daraus, das Sprichwort: »Gleich und Gleich gesellt sich gern!« Lügen zu strafen. Mein wilder leidenschaftlicher Bruder liebt das Fräulein Wahlheim, die ein stilles frommes Mädchen sein soll; und ich, die ich gewöhnlich sogar im Traume lache, liebe den ernsten Waldau, der das Lachen wenigstens für eine Halbsünde hält. Und doch liebe ich ihn.] – Wenn ich ihm nur seine fürchterliche Eifersucht abgewöhnen könnte – die übersteigt wirklich alle Grenzen. Und doch liebe ich ihn. Es ist unerklärbar, und doch ist es. [Man kommt am kürzesten weg, wenn man es ein Schicksal nennt –] Still! ich höre kommen – Vermuthlich meine Zigeunerfreundin. Nun muß ich mich zusammen nehmen. (Sie verbirgt das Papier in den Busen.)

 
Vierter Auftritt.

Julie auf der Bank. Fräulein Kiekebusch kommt im Vordergrund von der Rechten.

Fräulein (für sich). Ja, ich will Erkundigung einziehen, wo eigentlich die Zigeunerbande lagert. Es müßte ein hoher romantischer Genuß sein, eine Stunde bei diesen lieben Menschen zuzubringen.

Julie (sich ihr von hinten nähernd, mit hohler Stimme und einem gewissen Pathos die ganze Scene). Der Himmel sei mit Euch, 20 edle Frau, und schütze Euch immerdar vor der Wildheit der Elemente und der Bosheit der Menschen.

Fräulein. Dank, liebe Frau, für Euern guten Wunsch! Aber wer seid Ihr?

Julie. Ich bin ein armes Weib und suche Menschen, deren Hand noch nicht fremd geworden ist in ihrer Tasche, [noch nicht zu steif zum Geben.]

Fräulein. Wie? Ihr wäret eine bloße Bettlerin?

Julie. Laßt mich immerhin so heißen, edle Frau.

Fräulein. Unmöglich! Ihr seid eine Zigeunerin.

Julie. Ich bin es nicht. Wollt Ihr ein Wild aus mir machen für Eure Schützen?

Fräulein. Seid ohne Furcht! Wenn jemand Euch wohl will, so bin ich es. (Sie zieht ihre Börse und giebt ihr Geld.) Dies zum Beweise.

Julie. Wie? Gold? Tausendmal Dank! Möge nie der Stab des Friedens über Euch gebrochen werden, noch der Hase sich ein Lager machen auf Euerem Herde!

Fräulein. Nein! Nein! Ich bin kein Bertram MacDingawaia.

Julie. Ihr seid mild und gnädig, und weil Ihr es seid, so mögt Ihr auch wissen, daß ich von denen bin, deren Rauch nicht aufsteigt aus Schornsteinen, sondern aus den Wipfeln der Fichten wie Herbstnebel, die mit dem Fuchse und dem Birkhahne auf dem Moore schlafen.

Fräulein. Mit dem Fuchse und dem Birkhahne; höchst romantisch! Gewiß gehört Ihr zu der Horde, die jenseits der Grenze lagert. O! kommt herüber! Ihr sollt eine Freundin an mir finden.

Julie. Nein, edle Frau, nein! Hier ist das Auge schärfer, und die Hand fertiger, den Hahn zu spannen.

Fräulein. Leider wahr! Unsere Polizei hat keinen Sinn für das Romantische. So beschreibt mir wenigstens genau den Ort, wo Euer Lager ist; ich will zu Euch kommen, und gewiß nicht mit leeren Händen.

Julie. Ach! die Gnade käme dann zu den Verstoßenen, und sie sollte empfangen werden wie die Königin von Saba am Hofe Salomos. Aber das müßte noch diese Nacht 21 geschehen, denn morgen brechen wir auf. Ihr würdet dann ein Fest verherrlichen, das wir heute feiern.

Fräulein. Ein Fest? O herrlich! Was für ein Fest?

Julie. Wann Heute und Morgen zum Abschiede sich die Hände reichen über die Scheidewand der Mitternacht – –.

Fräulein. Die Scheidewand der Mitternacht – vortrefflich!

Julie. Dann vermählt sich die Tochter unsers Hauptmanns mit Gavrila Durak, einem Häuptlinge von den Ufern des schwarzen Meeres. Gäste sind gekommen aus allen vier Winden, und Gaben sind gesendet worden von allen unsern Stämmen. Auch Meg Merrilies wird zugegen sein, und den Zauberspruch über das Brautbett singen.

Fräulein. Meg Merrilies? Wie? Lebt die noch? Ist sie nicht an der Wunde gestorben, die ihr der abscheuliche Hatteraick beibrachte?

Julie. Wie, edle Frau? Habt Ihr die gekannt?

Fräulein. O, wie eine Schwester. Sie war volle sechs Fuß hoch, trug einen Mannsrock über ihrem Anzuge, in der Hand einen Schlehdornknittel –

Julie. Ihr sprecht von der großen Meg Merrilies, die einst in Schottland mächtig war; die ist versammelt worden zu ihren Vätern. Aber weil sie die größte Prophetin unseres Stammes gewesen ist, so heißt jetzt allezeit unsere Königin Meg Merrilies.

Fräulein. O zum Entzücken! Ja, ich komme, ich wohne Eurem Feste bei. Aber sagt mir, wie und wo.

Julie. Höret mich an, edle Frau. Kennt Ihr einen Felsen im Walde, eine halbe Stunde von hier, den sie den Katzenstein nennen?

Fräulein. Sehr gut.

Julie. Und Ihr fürchtet nicht die Zauberkünste der Nacht?

Fräulein. Ich fürchte nichts.

Julie. Wohlan denn! Wenn die Zunge der Zeit neunmal die eherne Lippe küßt, so laßt Euere Ferse Abschied nehmen von der Schwelle Eueres Hauses, und wandelt leise und still, als wäret Ihr nur Euer Schatten, dem 22 Katzensteine zu. Aber niemand gehe vor Euch her; niemand trete in Eure Fußtapfen; niemand schreite zu Euerer Rechten, niemand zu Euerer Linken, und keiner wisse, wohin Ihr geht.

Fräulein. Seid unbesorgt; ich komme allein, und niemand soll darum wissen.

Julie. Ihr werdet mich dort finden, oder einen andern an meiner Statt, und wenn er Euch sagt: Die Eule ist ausgeflogen, und die Königin eingezogen, so folget ihm getrost.

Fräulein. Verlaßt Euch darauf, ich komme.

Julie. So lebt wohl, hochedle Frau, und entfernt Euch jetzt, denn Ihr dürft nicht sehen, wohin ich mich wende.

Fräulein. Wie? Fürchtet Ihr noch Verrath von mir?

Julie. Gewiß nicht; aber wenn Ihr gefragt würdet, so müßtet Ihr mit Wahrheit schwören können, daß Ihr nicht wisset, wohin ich die Spitze meines Fußes gerichtet habe.

Fräulein. Wohl denn. Wann die Zunge der Zeit neunmal die eherne Lippe küßt.

Julie. So war es. Bis dahin lebt wohl, und der Himmel segne Euch für Eure Milde. (Das Fräulein geht zur Linken im Vorgrunde ab.)

 
Fünfter Auftritt.

Julie allein.

Julie. Victoria! [Ich wünschte, es wäre jemand hier, der mich applaudiren könnte, denn, ohne Ruhm zu melden, ich habe vortrefflich gespielt. Und] klug ist es, daß ich sie fortgeschickt habe, denn nun darf ich doch nicht wieder in diesem Aufzuge über das freie Feld gehen. (Sie zieht ihr Oberkleid aus und nimmt ihre Mütze ab.) Es könnte mich doch am Ende jemand sehen und anhalten. (Sie wickelt die abgelegten Kleidungsstücke zusammen und verliert dabei das oben erwähnte Papier.) Horch! ich höre kommen. Fort! Fort! (Sie eilt zur Rechten im Vorgrunde ab.)

 
Sechster Auftritt.

Waldau kommt, spazieren gehend, im Hintergrunde von der Linken.

Waldau. Wahrhaftig, die Stunden schleichen heute wie ein lahmgeschossenes Wild, und die Sonne ist am Himmel festgenagelt wie eine Zielscheibe. Was ist Schuld daran? Nichts anders, als meine thörichte, verwünschte Ungeduld. Warum bin ich heute schon herüber gekommen statt morgen, wie Julie es wollte? Hatte sie nicht recht, es zu wollen? Wenn man mich heute hier sieht, muß man nicht glauben, ich habe sie begleitet? – Es ist unmöglich. Es wäre zu unschicklich, wenn ich schon heute, wo Julie kaum angekommen ist, ihren Vater besuchte, um ihre Hand von ihm zu erbitten. Nein, ich will bis morgen warten, und zur Strafe für meine Thorheit die quälende Ungeduld geduldig ertragen – (Er wird das Papier gewahr, das Julie verloren hat, und hebt es auf.) Was ist das? Juliens Hand. (Er liest.) »Wann die Zunge der Zeit neunmal die eherne Lippe küßt – am Katzensteine im Walde« – Tod und Teufel! das ist ein Rendezvous! – Ha Treulose! schändliche Verrätherin! (Das Papier besehend.) Das ist das innere Blatt eines Billets; das äußere mit der Aufschrift ist abgerissen. Hier wurde das süße Briefchen vermuthlich dem Ritter eingehändigt, hier hat er es verloren. (Wieder lesend.) »Mit dem Fuchse und dem Birkhahne schlafen.« Hölle, das geht auf mich, weil ich ein Jäger bin. Ich mag mit dem Fuchse und dem Birkhahne schlafen, während sie in den Armen ihres Buhlen ruht. Verfluchter Spott. (Wieder lesend.) »Die Losung: die Eul' ist ausgeflogen, die Königin eingezogen – des Hauptmanns Tochter mit Gavrila Durak.« – Der falsche Name des Verruchten, nichts als abgebrochene Sätze, um einem Dritten unverständlich zu bleiben. [O, nicht mir! nicht mir! – Des Hauptmanns Tochter? Nein, die Tochter der Hölle, mit allen Tugenden der Mutter, Falschheit, Treulosigkeit, Verrath im Busen! – Unbegreiflich! Sie ist nie hier gewesen – wie soll sie schon Bekanntschaft – O sie hat den Buhlen mit herüber gebracht, er hat sie begleitet. Darum sollte ich sie nicht begleiten, darum sollte 24 ich erst morgen oder gar noch später kommen. Klar, klar, Alles klar, wie die flammende Sonne.] Ich will hin zu ihr, ihr dieses Zeugnis ihrer Schande vor die Füße werfen, ihr sagen, daß ich sie verachte, verabscheue, die Stunde verfluche – Nein, an der Stätte ihres Frevels soll sie mich finden – [ich werde ja erfahren, wo dieser Katzenstein ist.] Ich will sie aufschrecken aus den Träumen ihrer schmachvollen Liebe, [wie der Tod den Sünder aus seiner Sicherheit.] Ja, nach der Seligkeit, treu geliebt zu werden, ist es die höchste Wonne, eine Treulose zu demüthigen bis zur Vernichtung. (Er eilt im Vorgrunde zur Rechten ab; beim Ausgange kommt ihm Till entgegen, so daß sie einander anrennen.)

 
Siebenter Auftritt.

Waldau und Till.

Waldau. Verzeihen Sie, mein Herr.

Till. Bitte recht sehr! Brauchen Sie Ihre Bequemlichkeit.

Waldau (für sich). Das scheint ein Gimpel, den kann ich fragen. (Laut.) Um Vergebung, mein Herr, sind Sie von hier?

Till. Hier aus dem Busche? Nein, mein Herr, ich bin ehrlicher Leute Kind.

Waldau. Ich frage, mein Herr, ob Sie hier im Orte wohnen?

Till. Ich bin so frei, mein Herr.

Waldau. Vermuthlich – nach dem Scheine zu urtheilen – der Pastor?

Till. Ja, Pastor minorum gentium, der Hirte des Kleinviehs, gewöhnlich Schulmeister genannt.

Waldau. Würden Sie mir wohl gefälligst eine Frage beantworten? Es soll hier ein Ort sein, der der Katzenstein heißt.

Till (aufmerksam gemacht). Der Katzenstein?

Waldau. Der Katzenstein.

Till. Also der Katzenstein. Ja. Warum man den grauen Felsen so nennt, ist zweifelhaft; ich habe selbst eine ausführliche Abhandlung darüber geschrieben. 25

Waldau. Und wollten Sie mir wohl jetzt den Weg dahin beschreiben?

Till. Mit Vergnügen. Am Ausgange des Gehölzes (nach der Rechten zeigend) stoßen Sie auf einen Fahrweg; diesen verfolgen Sie in der Richtung West-Süd-West, bis Sie an einen gebahnten Fußsteig kommen, der Sie in der Richtung Süd-West-Süd gen Süden gerade in den Wald und zum Katzensteine führt.

Waldau (für sich). Langweiliger Pedant. (Laut.) Ich bin Ihnen sehr verbunden und empfehle mich. (Er geht im Vorgrunde zur Rechten ab.)

 
Achter Auftritt.

Till allein.

Till. So – so! Ein Fremder, der hier in Feldern und Büschen umher streicht, und nach dem Katzensteine fragt, – das ist ziemlich verdächtig. Gut, daß ich eine Maske vornahm, der Katzenstein ist im Walde nur ein paar hundert Schritte von der Grenze: ich wollte wetten, der Fremde ist irgend ein Kaufmann, der das romantische Gewerbe des Schleichhandels treibt. Ich will doch unsern Grenzjägern einschärfen, daß sie ein wenig die Augen aufthun sollen. Nur mein Rendezvous müssen sie mir nicht stören – nun, das werden sie auch nicht. Ein Spaß über alle Späße. Das Fräulein ist schon ins Netz gegangen, der Bader muß den Liebesbrief auch schon erhalten haben; und daß der anbeißt, darauf verwette ich meinen Kopf. (Schelle rennt im Hintergrunde von der Linken her über die Bühne.)

 
Neunter Auftritt.

Till und Schelle.

Till. He da! Freund Schelle! Wo hinaus?

Schelle (vorrennend). Aus der Welt, aus der Welt.

Till. Nicht doch! der Weg ist weit, und es ist schon spät.

Schelle. Thut nichts. Ich möchte in die Erde sinken; ich möchte in die Wolken fliegen; ich möchte alles.

Till. Was ist denn geschehen?

Schelle. Alles ist geschehen; eine Welt ist geschehen. Ich 26 bin desperat vor Freude und Jubel. Ich kann weder Glück noch Unglück ertragen, und das Glück ist da, Freundchen, das Glück ist da, thurmhoch, riesengroß.

Till. Was für ein Glück?

Schelle. Von dem Ihr heute früh spracht, das Glück von drüben. Es ist da, und ich bin ein schlechter Kerl, daß ich nicht aus der Haut fahre. O! wenn ich nur nicht schweigen müßte, ich wollte bei allen meinen Kunden herum rennen, und in die Fenster schreien, das Glück ist da.

Till. Es ist also zur Erklärung gekommen? Nun, ich gratulire. Das Mädchen ist hübsch, und wenn einmal der Vater stirbt – –

Schelle. Vater stirbt? Von wem sprecht Ihr, Freundchen?

Till. Von derselben, auf die ich heute früh anspielte, von des Schenkwirths Tochter.

Schelle. Schenkwirthstochter? Mir Schenkwirthstochter? Die schenke ich Euch. Also von der spracht Ihr?

Till. Allerdings. Ihr habt ihr neulich ein Hühnerauge ausgeschnitten, und Dankbarkeit führt zu Liebe.

Schelle. Nein, Freundchen, Ihr müßt höher steigen.

Till. Wie? etwa gar des Schulmeisters Schwester?

Schelle. Auskehricht! pures Auskehricht! Ihr müßt höher hinauf.

Till. Das lass' ich bleiben. Adieu! (Er stellt sich, als wollte er gehen.)

Schelle (ihn packend). Ihr sollt mich hören, ich lasse Euch nicht los, ich laufe Euch nach, ich setze mich neben Euch, ich krieche mit Euch ins Bett, bis Ihr mich hört. Ich habe niemanden, dem ich es erzählen könnte, als Euch, und so etwas kann der Mensch nicht bei sich behalten, es ist über seine Kräfte.

Till (sich losmachend). Seid Ihr denn ganz des Kuckuks? Nun so sprecht!

Schelle. Ich war bei Euch gewesen, hatte den Hauptmann rasiert; schlenderte mit meinem Becken unter dem Arme ganz gemächlich nach Hause. Wie ich an Euere Gartenecke komme, schießt hinter dem Holunderstrauche, wie eine Blindschleiche, ein Betteljunge hervor, auf mich los, 27 steckt mir einen Brief in die Hand; »das ist für Euch, schöner Herr,« und rennt wie ein Donnerwetter davon. Ich stand wie versteinert und mein Verstand auch; aber Ihr kennt meine Geistesgegenwart, ich ließ mich nicht verblüffen, brach den Brief auf, las – und (indem er ihm den Brief giebt) hier ist er – hier ist er. Leset, leset! Aber um des Himmels willen überspringt keine Silbe.

Till (liest). »Geliebter Benjamin.«

Schelle. Das bin ich. Ich heiße Benjamin. Ihr wißt doch, daß ich Benjamin heiße? Ich kann Euch mein Taufzeugnis – –

Till. Ich weiß ja. (Liest.) »Meine Vernunft hat einen langen schweren Kampf gekämpft gegen Dein liebreizendes Bild, das mir im tiefsten Herzen wohnt. Aber mit Deinem Bilde war meine Schwachheit, und diese Verbündeten haben gesiegt, und der Ueberwundenen die süße selige Pflicht auferlegt, Dich zu lieben bis ans Grab. Doch noch darf das Auge der Menschen, ja, nicht einmal das Auge des Tages mich als Ueberwundene schauen. Darum, wann die romantische Nacht ihren Mantel ausgebreitet hat über die Erde, und die neunte Stunde verhallt ist, wirst Du mich im Walde bei der hohlen Eiche am Katzensteine finden. Deine Brust ist nicht hohl, wie diese Eiche, es schlägt ein fühlendes Herz darin; darum wirst Du nicht fruchtlos harren lassen Deine liebende Julie Kiekebusch.«

Schelle (sehr gerührt). Julie Kiekebusch!

Till (lesend). »Postscriptum.« Echt weiblich.

Schelle. Himmlisch! himmlisch!

Till (lesend.) »Die Losung, um uns im Dunkeln zu erkennen, heißt: die Eul' ist ausgeflogen, die Königin eingezogen.« – Ich falle aus den Wolken.

Schelle. O! ich bin noch höher herab gefallen. Was sagt Ihr?

Till. Ich wünsche Euch Glück. Sie ist freilich schon in männlichen Jahren, aber wohl erhalten, verständig und steinreich.

Schelle. Nun, sagt! sollte ich nicht aus der Haut fahren?

Till. Im Grunde genommen, sehe ich nicht ein, warum: es ist doch nichts Außerordentliches. Ihr seid – nun 28 Ihr werdet nicht glauben, daß ein Freund Euch schmeicheln will.

Schelle. Wenn ich es glaube, so will ich ein Hanswurst sein.

Till. Ihr seid zwar nicht mehr ganz jung, aber doch noch ein rüstiger und hübscher Mann.

Schelle (sich in seinem Barbierbecken besehend). Ha – ha! Gott sei Dank! ich kann zufrieden sein.

Till. Ein witziger Kopf seid Ihr auch: das kann Euch niemand nehmen.

Schelle. Ja, der Witz war von Jugend auf meine schwache Seite. Was wollt Ihr? Der Witz ist eine Gabe Gottes. Bei meinen Kameraden hieß ich immer nur der Tausendsappermenter. Wenn ich mich im Wirthshause nur blicken ließ, schrieen sie alle: Na, da kommt der Tausendsappermenter. Na, sagte ich, da kommt der Tausendsappermenter. Ha, sagten sie, nun wird es was setzen. Ha, sagte ich, nun wird es was setzen; und so immer fort, und so ging der Witz immer weiter, Schlag auf Schlag.

Till. Ich glaube es gern. Und dabei habt Ihr auch etwas Männliches, Kühnes, ich möchte sagen, Verwogenes. Ihr müßt in Eurer Jugend ein wahrer Satan gewesen sein.

Schelle. Das will ich meinen; und wenn ich nicht ein Satan gewesen bin, so will ich ein Schafskopf gewesen sein. Als ich in Halle studirte – –

Till. Was? Habt Ihr in Halle studirt?

Schelle. Versteht mich, Freundchen! Insofern ich in Halle in der Lehre gewesen bin, und tüchtig Breihahn getrunken habe, kann ich wohl sagen, daß ich in Halle studirt habe. Nun, ich versichere Euch, wenn es eine Prügelei gab, war ich gewiß nicht tausend Schritte weit davon.

Till. O Wagehals! Und wie mögt Ihr den Mädchen mitgespielt haben!

Schelle. Ja, da bringt Ihr mich auf das rechte Kapitel. Ich denke, wo ich gewesen bin, erzählen die Weiber noch von mir. Sie wußten auch alle, daß bei mir weiter nichts zu machen wäre, als sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben; und so thaten sie. Ja, ich habe es erlebt, daß mir 29 eine im Finstern auf dem Kirchhofe begegnete, und, sobald sie meine Stimme hörte, sich niederwarf und sagte: alle guten Geister loben Gott den Herrn. So hatte ich sie in Respect gesetzt.

Till. Und Ihr könnt noch erstaunen und aus der Haut fahren wollen, weil sich das Fräulein Kiekebusch in Euch verliebt hat?

Schelle. Nichts da, Freundchen, nichts da! ich bleibe in meiner Haut.

Till. Wäre ich an Eurer Stelle, so würde ich thun, als wäre mir die Sache höchst gleichgiltig, als kämen mir solche Bestellungen tagtäglich vor. Je länger man ein Weib schmachten läßt, desto mehr wächst die Liebe; und ich wollte sie nicht eher erhören, bis sie mir zu Füßen fiele.

Schelle. Sie muß mir zu Füßen fallen; ich thue es nicht anders.

Till. Nun, ich muß nach Hause. Geht Ihr mit?

Schelle. Nein! nein! Ich kann mich nicht zwischen vier Wände einschließen; ich muß Raum haben, freien Raum in Feld und Wald.

Till. Nun, so wünsche ich Euch eine glückliche Nacht. (Er geht zur Linken im Hintergrunde ab.)

Schelle. Glückliche Nacht – hehe! – Ich mache mir nichts aus der Sache, gar nichts; aber ich weiß doch nicht, ob mein Barbierbecken am Himmel scheint, und ich die Sonne unterm Arme habe, oder umgekehrt. (Fräulein Kiekebusch kommt im Vorgrunde von der Linken.)

 
Zehnter Auftritt.

Das Fräulein und Schelle.

Fräulein (für sich). Ja, es wird eine entzückende, wonnevolle Nacht werden.

Schelle (für sich). Wird es? (Er stellt sich in Positur und hustet.).

Fräulein (ihn gewahrend). Ah, Herr Schelle!

Schelle (grob). Guten Tag, Fräulein!

Fräulein (nach einer kurzen Pause der Verwunderung). Es ist heute für einen Septembertag sehr heiß.

Schelle. Heiß? Wirklich? ist es heiß? Ja, ja; es giebt gewisse Flammen und Gluten, die einem sehr heiß machen. 30 Aber unsereiner – pah! – man ist daran gewöhnt – man bleibt ganz kühl.

Fräulein. Wohl möglich, die Hitze wirkt nicht auf alle Naturen gleich. Ich glaube, wir bekommen in der Nacht ein Gewitter.

Schelle. Das wäre wohl sehr unangenehm, entsetzlich unangenehm? Der Himmel wird Donner und Blitz aufheben, bis zu einer gelegeneren Zeit. Aber wenn auch heute – wenn auch – was wäre das für ein armseliges Strohfeuer, das Regen löschen könnte? Und ein gewisses zärtliches Herz kann auf ein gewisses muthiges Herz rechnen, ich will nicht sagen ausgemacht, aber doch wahrscheinlich rechnen.

Fräulein. Sie sind heute sehr spaßhaft: Schade nur, daß ich Ihren Scherz nicht verstehe. Ich fürchte mich nicht gerade vorm Gewitter; aber es kann doch einschlagen.

Schelle. Es kann einschlagen? Haha! Ich denke, es hat schon eingeschlagen und Feuer gefangen – Hahaha! – Aber freilich, es wäre schrecklich, wenn es wirklich einschlüge in einem gewissen Augenblicke, in eine gewisse Eiche.

Fräulein (erstaunt einen Schritt zurücktretend). In eine gewisse Eiche?

Schelle. Ja, ja! immerhin! Einen Gewissen kümmert es nicht: was kümmert es einen Gewissen? Es ist ungewiß, ob der Gewisse überhaupt auf die Eiche Rücksicht nehmen wird. Wer kann das auch bestreiten? Heute ist es eine Eiche, morgen eine Buche, übermorgen ein Haselstrauch oder ein Erlenbusch; und der Mensch will Ruhe, und jeder Tag nur seine eigene Plage haben. (Er stellt sich in einiger Entfernung gebieterisch vor sie hin.) Aber wenn man auf den Knieen – (Er macht das Zeichen, daß sie niederknieen soll. Sie starren einander einige Augenblicke an, das Fräulein höchst erstaunt, Schelle erwartend.) Ich thue es nicht anders.

Fräulein (für sich). Betrunken. Lambourne! (Halblaut.) Pfui! (Sie wendet sich zum Abgehen nach der Rechten.)

Schelle. Pfui? O Verstellung! Dein Name ist Kiekebusch. (Er wendet sich der Linken zu. – Der Vorhang fällt.) 31

 


 


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