Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 6
Friedrich von Raumer

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III. Häusliche Verhältnisse, Sitten, Gebräuche.

1) Von der Ehe, den Kindern und dem Gesinde.

Obgleich in den staatsrechtlichen und kirchlichen Alterthümern bereits manches hieher Gehörige mitgetheilt istHohenst. Band V, S. 24.  Band VI, S. 241.; so dürfte doch das Folgende zu Erwerbung einer Gesammtübersicht dienlich seyn.

Das Schließen einer Ehe stand nicht in der Willkür jedes einzelnen: die Zustimmung der Kirche, der weltlichen Herrn, der Ältern und Vormünder war in mehren Fällen erforderlich. Von der Kirche ward diese Zustimmung versagt, sobald der Stand (z. B. des Geistlichen), ein Gelübde, oder Verwandtschaft dazwischentrat. Der letzte, natürliche Grund ward aber übertrieben ausgedehnt, bis Innocenz III das Verbot vom siebenten Grade auf den vierten herabsetzteAls Ursache, das Verbot nicht unter den vierten Grad hinabzusetzen, wird, sonderbar genug, angeführt: quia quatuor sunt humores in corpore, quod constat ex quatuor elementis.  Conc. Later. von 1215, p. 986, No. 50. und befahl, niemanden, der in einer lang 548 bestehenden, fruchtbaren Ehe lebte, wegen entfernter Verwandtschaft zu beunruhigenInnoc. epist. V, 52, 53; VII, 107; X, 118, 136.  Zur Beendigung einer großen Fehde erlaubte er, daß sich Sohn und Tochter aus beiden Parteien innerhalb der verbotenen Grade heiratheten.  Ep. VIII, 82.. Dennoch geschah dies mehre Male, wo nicht von den Geistlichen, doch von den Eheleuten selbst; welche, bei dem Verbot eine Ehe zu trennen, nach Gründen der völligen Nichtigkeit derselben umhersuchten und, wenn ein anderer Beweis fehlte, ihn durch Eid eines Dritten führtenBouquet XIII, préf. 28., wobei gewiß mancher falsche Schwur mit unterlief.

Weniger als der Einfluß der Kirche auf die Ehen, ist der Einfluß der weltlichen Herrn zu rechtfertigen: denn wenn auch das sogenannte Recht der ersten Nacht, nichts anderes war als eine, für die Erlaubniß zum Heirathen gezahlte, AbgabePotgiesser 379, 919.  Mater. zur ötting. Gesch. II, 141.; so fanden doch, wie mehre Urkunden zeigen, an vielen Orten hiebei große Mißbräuche statt. In Poitou z. B. pflegte der Graf Wittwen und Mädchen nach seinem Gutdünken zu verheirathen, und in den Rheingegenden trennten die Vögte bisweilen eine Ehe, wenn sie einen der Gatten als leibeigen in Anspruch nehmen konntenPotgiesser 363. Rymer I, 1, 34.  Ludw. reliq. II, 183.. Jenes hob Otto IV, als Statthalter Richards, dieses Friedrich I auf, und Heinrich VI sagte den Bürgern von Frankfurt, Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen: »wir bewilligen euch die Gnade, daß wir nie einen von euch, er sey arm oder begütert, zwingen wollen seine Tochter oder Verwandte an einen unserer Hofleute, oder sonst an jemand zu verheirathenLünig Reichsarch., cont. IV, von Reichsstädten insgemein, Urk. 3.  Kirchner I, 121.  Einen ähnlichen Freibrief giebt König Richard 1257 an Nürnberg.  Hist. diplom. Norimb. II, 136, Urk. XXII..« König Wilhelm  I von Sicilien pflegte aus Geiz 549 und um die Eröffnung der Lehne herbeizuführenHugo Falc. 291.  Rich. S. Germ. 1033., die Heirathserlaubniß zu verweigern, oder doch so lange zu verzögern, daß die Neuvermählten Alters halber keine Kinder mehr bekamen; aber die Edlen erzwangen Abstellung dieses argen Mißbrauches, und unter Kaiser Friedrich II bestand nur noch eine Vorschrift, wonach ohne Zustimmung des Lehnhofes keiner eine Ausländerinn heirathen, oder sich ins Ausland verehlichen sollte. Das Heirathen der Kinder ohne Einwilligung ihrer Ältern, suchten die Gesetze durch mancherlei Strafen zu verhindern. Nach lübischem Rechte erhielt z. B. in solchem Fall die Wittwe aus dem Nachlasse ihres Mannes nur gemachte KleiderWestphal. monum. III, 623. Campagn. 119.; in Verona kostete heimliches Versprechen funfzig Pfund, und wer sie nicht bezahlen konnte wurde geächtet. Zuweilen gingen aber Ältern in ihrem Zorne weiter als die Gesetze verstatteten, und ein Vater in Bologna brachte Tochter und Schwiegersohn um, weil sie sich gegen seinen Willen verheirathet hattenGhirard. I, 197.. Andererseits traten aber auch Fälle ein, wo man jemand zur Heirath zwingen konnte: so z. B. in Freiburg denjenigen, welcher sich mit einer Bürgerstochter eingelassen hatteSchöpfl. hist. Zaring. Bad. V, 59., sobald das Bürgergericht die Ehe im allgemeinen für möglich erklärte. Nach einem Ausspruche Urbans IIDachery spicil. I, 629.  Murat. ant. Ital. IV, 542.  Conc. XII, 938, No. 13., der sich in andern Gesetzsammlungen wiederholt findet, sollte kein Mädchen vor dem zwölften Jahre heirathen; die meisten warteten bis nach dem zwanzigstenSo in Florenz.  Malesp. 161..

Hatte jemand, auch nur sich selbst, das Gelübde der Keuschheit gethan, so mußte er, um eine Ehe schließen zu können, kirchliche Erlaubniß nachsuchenSo dispensirt Honorius III die Frau Heinrich Dandolos, welche ihn, ungeachtet eines solchen Gelübdes, geheirathet und einen Sohn geboren hatte.  Reg. Honor., Jahr VI, Urk. 410.. Bisweilen 550 gelobten Verheirathete fernerhin keusch miteinander zu leben, und Herzog Heinrich der Bärtige ließ sich den Bart von dem Tage an nicht mehr scheren, wo er seiner Gemahlinn der heiligen Hedwig dies versprochen hatteThebesius V. 26.. Anders gesinnt baten Tankred und Moriella, die Ältern Robert GuiskardsHist. Sicula 745., jedesma1 vor Vollziehung des Beischlafes Gott auf den Knien, daß daraus eine treffliche, ihm wohlgefällige Nachkommenschaft entstehen möge. Wir finden Beispiele, daß sich Frauen über das Gelübde ihrer Männer nach Palästina zu pilgern laut beschwerten: aber Alexander III verwarf den Widerspruch der einen, da sie ohnehin nichts taugeConcil. XIII, 191.  Innoc. epist. XVI, 108., und Innocenz III^ erklärt sich ein ander Mal allgemein gegen solche Einreden, weil die einzige daraus entstehende, oft aber auch aus andern Gründen eintretende Unbequemlichkeit, die Unterbrechung des Beischlafes sey.

Die Größe der Ausstattung eines Mädchens war sehr verschiedenMalespini zu 1260.: 200 bis 300 Lire galten in Italien noch während der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts für eine sehr bedeutende Summe. Morgengabe vom eigenen Vermögen wies der Mann seiner Frau nach Belieben an; aber Leibzucht an eigen und Lehen, nur mit Zustimmung der nächsten Verwandten. Die Morgengabe eines Fürsten mochte 100 Mark werth seyn, die eines Mittelfreien 10, eines Dienstmannen 5 Mark. Der Ritter brachte gewöhnlich zu: einen Knecht, eine Magd, ein gerichtet Haus und zur Weide gehendes ViehSchwabensp. 301, 302, 313.  Sachsensp. I, 20, 31.  Guden. sylloge 169.; der eigene Mann ein Schaf, eine Ziege, oder eine verhältnißmäßig kleine Summe Geldes. Vom Reichsgute sollte der römische König keine Morgengabe bestellen. Ohne Einwilligung der Frau durfte 551 der Mann über ihre Güter und die Morgengabe nichts verfügen; die Frau aber auch nicht ohne Beistimmung des Mannes. Selbst der unebenbürtige Mann war der Frauen Vormund: denn wenn sie in sein Bette trat, trat sie in sein RechtSachsensp. I, 45., und erst nach des Mannes Tode in den vorigen Stand zurück. Keine Frau durfte ohne ihren Mann, kein unmündiges Mädchen ohne ihren Vormund im Gerichte erscheinenLünig Reichsarch., cont. IV, Abschn. 20, Urk. 1..

Nicht jede kirchlich erlaubte Ehe war deshalb auch bürgerlich vollkommen: so gab es z. B. Mißheirathen, welche für die Kinder manche nachtheilige Folgen hattenEichhorn II, 938.  Alb. Stad. zu 1144.  Ursp. chron. zu 1068.. In Hinsicht auf Erbrecht, Abfindung der Kinder, Errungenschaften während der Ehe, Nießbrauch des überlebenden Ehegatten u. a. m. finden sich in den besondern Rechten, so viele AbweichungenEichhorn II. 999., und so mannigfaches wurde durch einzelne Verträge festgestellt, daß sich kaum eine allgemeine Regel angeben läßt.

Mit großem Rechte sah die Kirche in der Ehe nicht einen bloß weltlichen Vertrag, den man wie über Zugvieh oder Hausgeräth, nach Belieben ändern und lösen dürfe; sie hob mit Recht die Heiligkeit und Unauflöslichkeit eines Bandes hervor, welches dem Leben Haltung verschaffen und in den Kindern und wahrer Liebe über dasselbe hinausgehn sollte: indem aber weder der natürliche Grund des UnvermögensInnocenz befahl eine Ehe die wegen Unvermögen getrennt war, herzustellen (Epist. X, 197); andererseits betrachtete man diesen Mangel auch wohl als einen Grund der Richtigkeit der Ehe.  Decret. Greg. IV, 15, 3., noch der sittliche des Ehebruchs zur gänzlichen Trennung der ersten Ehe hinreichte, oder eine zweite erlaubte, so zerstörte diese Gesetzgebung nur zu oft das, was sie begründen wollte. Viele nämlich die nun unverehlicht 552 bleiben mußten, befriedigten öfter ihre Neigungen ungebührlich als daß sie dieselben beherrschten; andere zwang man in einem Verhältnisse auszuharren, welches alle ächten Kennzeichen der Ehe verloren hatte. So befahl Innocenz III: das Vergehen zweier Gatten, welche beide Ehebruch getrieben hatten, gegeneinander aufzuhebenInnoc. epist. I, 143; XI, 101.; und ein Mann mußte seine verstoßene Gattinn wieder nehmen, obgleich ein Geistlicher sich öffentlich gerühmt hatte, er sey ihr Beischläfer. In dem Maaße als man die Gründe zu Scheidungen verwarf, mehrte man die Gründe der Nichtigkeitserklärungen; obgleich die ersten an sich oft wichtiger waren als die letzten, und ein großer, während der Ehe entstandener Übelstand, das Wesen derselben mehr zerstörte, als ein geringfügiger, welcher bereits vor dem Abschlusse derselben statt gefunden hatte. Wie man aber die Sache auch beurtheile, immer kann man dem, welcher die Ehe als Sakrament bezeichnet, höchstens vorwerfen, er betrachte das in der Erscheinung Mangelhafte zu ideal und erhaben; man muß den, welcher sie einen gewöhnlichen Vertrag nennt, tadeln, daß er dies edelste Verhältniß dem Gemeinsten gleichstellt, und durch das Übermaaß leichtsinnig bewilligter Scheidungen die geselligen Verhältnisse in ihrer Wurzel vergiftet und zerstört. – Es galt in jenen Zeiten für eine verwerfliche Anmaaßung, wenn Laien in Ehesachen urtelten, oder gar, wie der Podesta von Mailand zur Zeit Honorius III, Scheidungen aussprachenReg. Honor. III, Jahr VIII, Urk. 302, 419.. Bei einer Trennung von Tisch und Bette (denn nur diese bewilligte die Kirche, nicht aber eine zweite Ehe) nahm die unschuldige Frau das Eingebrachte und Leibgedinge mit sichSchwabensp. 403..

Überhaupt wäre es irrig zu glauben: man habe, weil Ehebruch keine völlige Scheidung begründete, diesen gleichgültig angesehn und ungestraft gelassen; vielmehr waren die 553 Ansichten darüber in vieler Beziehung strenger, als in unsern Tagen. Zuvörderst konnte der Fall nicht eintreten, daß die Sündigenden sich heirathetenRichtsteig Landr. 18, 19.  Schwabensp. 60.  Honth. hist. Trevir. I, 722.  Im Genuesischen sprach die curia dem überführten Weibe Eigenthum und Heirathsgut ab.  Moriond. II, Urk. 177.; ferner unterlagen sie öffentlicher Kirchenbuße, Geldstrafen und häufigen Gütereinziehungen. In Dauphiné und Provence wurde der ergriffene Ehebrecher fast nackt mit Schlägen durch die Stadt geführt, oder mußte sich mit ansehnlichen Geldsummen von dieser Bestrafung loskaufenHist. de Dauphiné I, 16.  Hist. de Lang. III, 528.. Noch weit härter ist die Art und Weise, welche das lübische Recht vorschreibtJuris est, ut ipse per vicos civitatis sursum et deorsum per feretrum suum trahatur, und zwar Männer wie Weiber.  Westph. monum. III, 626, 644. – Sonderbar ist auch dies Gesetz König Ladislas von Ungern: daß der Ehemann, wenn er sein Weib im Ehebruch ertappte und umbrachte, wieder heirathen dürfte; nicht aber, wenn eine gerichtliche Trennung statt fand.  Engel Gesch. v. Ungern I, 192 zu 1092.. Nach dem iglauer StadtrechteDobner mon. IV. wurde der, mit sieben Zeugen überführte, Ehebrecher gepfählt; nach den Schlüssen einer Kirchenversammlung von Neapolis in Palästina entmannt und der Ehebrecherinn die Nase abgeschnittenIm Jahre 1120.  Concil. XII, 1317.; ja diese Strafen sollten an allen denen vollzogen werden, welche zum Ehebruche Veranlassung gäben. Graf Philipp von Flandern ließ im Jahre 1175 den Herrn Walter von Fontanes, welcher ihm seine Frau verführt hatte, mit Keulen todt schlagen, und dann in einem Abtritte mit dem Kopfe nach unten aufhängenBened. Petrob. I, 120.  Rad. a Diceto imag..

Indem die Kirche auf die Heiligkeit und Untrennlichkeit der Ehe drang, sorgte sie mittelbar auch für die Kinder; ja diese Sorgfalt ging im einzelnen noch weiter, und eine Kirchenversammlung zu Kanterbury setzte z. B. im Jahre 554 1236 festConcil. XIII, 1377, No. 15.: die Weiber sollen keine Kinder mit ins Bette nehmen, oder bei Feuer und Wasser allein lassen. Uneheliche Kinder waren in der Regel vom Erbe ausgeschlossenLübisches Recht.  Westph. mon. III, 623.  Etabl. de S. Louis I, 95.; doch bestimmte das LandrechtSachsensp. III, 27.: wenn sich Personen heirathen, ohne einen Umstand zu kennen welcher ihre Ehe verbietet, so werden sie zwar später getrennt, allein die Kinder bleiben ebenbürtig und erbfähig. Der Papst machte ausschließenden Anspruch darauf Kinder zu ächtigenInnoc. III epist. V, 128; append. I, epist. 17.; setzte aber diesen Anspruch, den Königen und Kaisern gegenüber, nicht ganz durch, obgleich das Übergewicht insofern auf seiner Seite war, als diese, z. B. Philipp August, ihre eigenen Kinder durch ihn für ehelich erklären ließen. Bisweilen konnte aber die weltliche und geistliche Macht solcher Ächtigung nicht Gültigkeit verschaffenEichhorn II, 938., wenn Rechte, z. B. Mitbelehnter, dadurch verletzt zu seyn schienen.

Nach Sachsenrecht wurde man großjährig mit dem einundzwanzigsten Jahre, nach fränkischem und manchem örtlichen Rechte mit dem achtzehntenEichhorn II, 946.  Sachsensp. I, 42; II, 19.  Schwabensp. 387.; lehnsmündig galt man in der Regel mit dreizehn Jahren und sechs Wochen. Im sechzigsten Jahre mochte man sich wieder einen Vormund erwählen. Die Lösung von der väterlichen Gewalt geschah vor Gericht durch Überlassung eines Theiles vom Vermögen. Der Eingeborne erhielt höchstens ⅕; über ⅖ brauchte der Vater selbst vielen Kindern nicht abzutreten.

Inwiefern der Leibeigene gezwungen war seinem Herrn zu dienen, ist bereits oben auseinandergesetztHohenst. Band V, S. 10.; wer den gemietheten Knecht ohne Grund entließ, mußte ihm volles Lohn geben. Höher als auf den Lohn, war indeß der Herr 555 für den Diener nur pflichtig, sofern er sich ausdrücklich verbürgt hatteSachsensp. II, 32, 33, Schwabensp. 404.. Nahm der Knecht ein Weib oder fiel ihm eine Vormundschaft zu, so konnte er zu jeder Zeit ohne Schaden den Dienst verlassen. Ein Gesetz in Ravenna sagt: »wenn jemand seinen Diener, den er lohnt, nährt und kleidet, einmal ausprügeltFantuzzi IV, 151.; so wird darüber, wenn anders die Schläge nicht gar zu arg waren, keine Klage vor Gericht angenommen.« Wir haben keinen überwiegenden Grund zu vermuthen, daß die Mißhandlung der Dienstboten häufig, oder ihr Einfluß (nach Weise römischer Freigelassenen) sehr groß gewesen sey; wenigstens findet sich darüber nichts aufgezeichnet. Bei der Krönung Philipp Augusts und seiner Gemahlinn, schlug ein Diener, welcher das zudringende Volk abhalten sollte, mit einem Stecken drei Lampen entzwei, daß dem Könige und der Königinn das Öl über den Kopf liefRigord. 7.. Man nannte dies eine himmlische Salbung des heiligen Geistes, und der ängstliche Diener dankte Gott, als er durch diese Deutung allen Vorwürfen entging.

Wegen außerehelichen Beischlafes und Fleischesverbrechen erhob der Gerichtsherr, oder die Obrigkeit, in der Regel GeldbußenCarli Verona III, 7.  Moriond. II, Urk. 77. – Das Fräulein das sich in Frankreich schwängern ließ, verlor ihr Erbrecht.  Etabl. de S. Louis c. 12.; doch unterblieb die Sache damals so wenig als in andern Zeiten, und wir finden, daß Huren, obgleich unter einigen polizeilichen Beschränkungen, geduldet wurden. Sie sollten z. B. in Bologna eine besondere Kleidung tragenSavioli zu 1251. Die Gemahlinn Ludwigs VII küßte einst eine Hure die sie für eine ordentliche Frau hielt. Da wurde befohlen: sie sollten keine chlamys oder cappa tragen.  Bouquet XVI, préf. 17., in Montpellier und Toulouse in einer bestimmten Straße wohnenMan nannte sie die rue chaudeHist. de Lang. III, 528., sie mußten ausziehn 556 sobald sich in Ravenna ein ordentlicher Bürger über ihre Nachbarschaft beschwerteFantuzzi IV, 132.  Borgia Benev. II, 426.; sie durften sich zu Benevent in keinem Weinhause blicken lassen. Ein Gesetz von 1192 setzte für die regensburger, nach Österreich kommenden Kaufleute festGemeiner Chronik 285.: »schläft jemand bei einer ledigen Person mit ihrem Willen, so hat der Richter darin nichts zu sprechen; und eben so wenig wird eine Hure gehört welche auf Nothzucht klagt, weil sie nicht so viel erhielt als sie verlangte. Vergreift sich aber jemand thätlich an einer Hure und wird dessen überführt, so muß er büßen.« Nach der Rückkehr von seinem Kreuzzuge befahl Ludwig IX gar keine Huren zu duldenMarten thes. I, 339.  Guil. Nang. 363., ihre Güter, selbst Kleider und Pelze, in Beschlag zu nehmen und von denen welche ihnen Wohnungen einräumten, die einjährige Miethe als Strafe beizutreiben. Auch verdienten jene eine strenge Behandlung, da sie zu Paris Leute fast mit Gewalt in ihre Wohnungen zogen und die Widerstrebenden, Sodomiten schimpften. Ja bisweilen wohnten im untern Stockwerke Huren, und im obern wurden Vorlesungen für Studenten gehaltenBulaeus II, 687.  Dulaure II, 110.. Nannte jemand im Zorn eine rechtliche Frau Hure, so mußte er in vielen Gegenden eine verhältnißmäßig hohe Strafe zahlenGattula III, 328.; schmähte eine Hure eine ehrbare Frau, so wurde sie nach dem hagenauer Rechte aus der Stadt gejagt; schimpfte sie einen ehrbaren Mann, so durfte er ihr, nach schwerinschem Rechte, eine derbe Ohrfeige gebenBonam alapam.  Westph. monum. I, 2007.  Schöpfl. Als. dipl. I, Urk. 310.. Freiwillige Entführung wurde nach manchen Gesetzen, z. B. nach dem iglauer Stadtrechte, nicht bestraftDobneri mon. IV.; Mädchenraub ging ans Leben; auf Nothzucht stand an mehren Orten, so nach normannischen Kirchenschlüssen, Blendung und EntmannungConcil. XII, 1126.. 557 Um ihre Keuschheit zu retten, stürzte sich eine verfolgte Jungfrau zu Tours ins Wasser; und Innocenz III mußte den Oberrichter von Kagliari in Sardinien hart zurechtweisen, daß er sich gegen Frauen und Mädchen Gewaltthätigkeiten erlaubeInnoc. epist. IX, 12; III, 35..

Überhaupt wandte die Kirche viele Mittel an, Fleischesvergehn zu verhüten und Sünderinnen zu bekehren. Man stiftete Klöster zu ihrer Aufnahme, und Fulko von NeuillyAlberic. 419.  Otto S. Blas. ed. Blas. 506, 508.  Ramnus. 36., der Beförderer des Kreuzzuges gegen Konstantinopel, erwarb sich großen Ruhm wegen seiner erfolgreichen Bekehrungspredigten. Er brachte es dahin daß die Stadt Paris 1000, und die Studenten 250 Pfund gaben, um diejenigen auszustatten welche eine ordentliche Ehe schließen wollten. »Wer will,« sprach ein ander Mal ein Minorit, »dies durch meine Predigt zur Reue bewegte Mädchen heirathen? ich sorge für zehn Pfund MitgabeVitodur. 7..« Das Geld wurde durch Sammlung von den Gegenwärtigen aufgebracht, und nun fand sich ein Mann der sie ehlichte. Dies galt nach damaliger Ansicht keineswegs für schändlich, oder für Folge bloßen Eigennutzes: denn Papst Innocenz III erklärte lautEpist. I, 112.: wer eine Hure heirathet, handelt lobenswerth; denn er rettet sie vom Irrwege und es dient zur Vergebung der Sünden. Auf ähnliche Weise schrieb Gregor IX nach DeutschlandReg. Greg. IX, Jahr I, 245.  Würdtw. nova subs. V, 5.: »Hurenwirthe oder Wirthinnen sollen die Mädchen nicht hindern Bekehrungspredigten zu besuchen, und Geistliche wie Laien gebannt werden, welche aus Hurenlohn Gewinn ziehen.« »Bemühe dich,« sagt er ferner einem berühmten Bekehrungsprediger, »daß die Männer ihre sündigen, aber reuigen Frauen wieder zu sich nehmen, und ermahne Unverehlichte, sie sollten zur Vergebung ihrer Sünden, bußfertige Mädchen heirathenNicht immer war die Reue ernst und gründlich. Ein Weib aus dem Heere Peters des Einsiedlers war z. B. von den Türken gefangen, kehrte zurück, suchte und erhielt Lossprechung wegen vielen Beischlafs. Noch war man darüber in großer Freude und Rührung, als sie sich wieder zu den Türken begab.  Alb. Acq. 217., oder bringe diese in Klöstern unter.«

558 Sehr oft wurde gewiß vom Beichtstuhle aus, auf ein keusches Leben hingewirkt: bisweilen mag indeß die Verführung auch von da entsprungen seyn, und die übertriebene Genauigkeit der in dieser Beziehung mannichmal vorgeschriebenen FragenNach den ums Jahr 1235 in Rouen gefaßten Kirchenschlüssen heißt es z. B.; Quaeratur, utrum dormiendo contigerit pollutio? quod si ebrietate vel cogitatione praecedenti extiterit, magis est timendum. Quaeratur etiam, utrum vigilando per se solum? Si dixerit sic: quaeratur, utrum ei placuerit? Et si hoc: quaeratur, si aliquid fecerit quo pollutio compleretur. Si dicat sic: quid fecerit, et quomodo?  Concil. XIII, 1357., konnte eben so leicht das sittliche Gefühl abstumpfen, wie schärfen. Papst Alexander IV erzählte selbst folgenden, zu letzter Entscheidung an ihn gebrachten Vorfall. Ein Priester wollte eine Frau, die ihm beichtete, verführen mit ihm hinter dem Altare den Beischlaf zu vollziehen. Sie weigerte sich dieses Frevels, versprach es aber an anderem Orte und zu anderer Zeit, und schickte jenem als Zeichen ihres Andenkens eine schöne Torte und eine Flasche guten Wein. Der Priester überreichte die Torte seinem Bischofe; als man sie aber bei dem angestellten Feste aufschnitt, fand man sie zu allgemeinem Erstaunen mit Menschenkoth gefüllt. Eine strenge Untersuchung ergab den Zusammenhang, und der Franziskaner Salimbeni tadelt nur, daß die mit Grunde sich rächende Frau, in der Flasche wirklich Wein, und nicht folgerecht Urin übersandt habeSalimbeni 381..

Die Sitte oder Unsitte, sich Beischläferinnen zu halten, kam in den höhern Ständen allerdings auch damals vor. Ein Herr von Bernecke hatte, wie er sagte, zur Erleichterung seines Wittwenstandes, ein Dutzend junger HausmädchenS. Bertoldi vita 116.  Ludw. reliq. VIII, 487.; 559 ein Graf von Ghines zeugte so viel uneheliche Kinder, daß er deren Namen nicht wußte. Welche Vorwürfe unter den in dieser Beziehung sonst tadellosen Hohenstaufen dem Kaiser Friedrich II gemacht wurden, ist bereits erzählt. König Heinrich II von England ließ seiner zärtlich geliebten Rosamunde ein prächtiges Grabmal in der Abtei Godestow errichten. Aber bald nach seinem Tode befahl der Bischof von Linkoln, die brennenden Lampen und Kerzen auszulöschen, die seidenen Vorhänge abzunehmen und den Sarg wegzubringen, – weil sie eine Hure gewesen seyVon der Geistlichkeit rührt wohl auch folgende, nicht höfliche Grabschrift her:
    Hic jacet in tumba rosa mundi, non rosa munda,
    Non redolet, sed olet quae redolere solet.

Bromt. 1152, 1235.
. Herzog Ludwig I von Baiern suchte Eingang bei Ludmilla, der Wittwe des Grafen Albrecht von Pogen, und ließ sich durch keine Zurückweisung abschrecken. Als er einst von neuem in sie drang, zeigte sie auf einen Vorhang, an dem drei Ritter abgemalt waren, und sagte: gelobt mir vor diesen drei Rittern, daß ihr mich nach Vorschrift der christlichen Kirche zur Ehe nehmen wollt; dann mögt ihr mit mir wohl schaffen nach eurem Willen, sonst aber geschieht es auf keine Weise. Der Herzog achtete nicht des Vorhangs und der gemalten Ritter und that das Gelübde; da sprach Ludmilla: ihr drei frommen Ritter, ihr habt das Gelübde doch wohl gehört? – und drei Männerstimmen antworteten laut: ja, gnädige Frau! Als der erstaunte Herzog den Vorhang wegzog, standen drei edle Ritter dahinter, und nachdem der Zorn ob dieser Täuschung vorüber war, heirathete er Ludmillen und lebte mit ihr in Ehren und FreudenWestenrieder Beitr. II, 92..

Überhaupt darf man nicht vergessen, daß die Zeitbuchschreiber meist strenge Sittenrichter waren, tadelnswerthe Ausnahmen streng hervorhoben und die lobenswerthe Regel nicht erwähnten; auch ist ja das Rügen des Unsittlichen selbst noch Beweis sittlicher Gesinnung. Wir wollen es also 560 Waltern von der Vogelweide glauben, wenn er sagtUhlands Walter 33.: deutsche Zucht geht doch vor allen; müssen es aber bezweifeln, daß, wie ein mit seiner Zeit unzufriedener Italiener des funfzehnten JahrhundertsAnon. Ital. 259. behauptet, zur Zeit Friedrichs II zwanzigjährige Mädchen mit gleich alten Nachbarssöhnen in einem Bette lagen ohne Schaden und Sünde. – Unter den deutschen Fürsten wird besonders Landgraf Ludwig VI von Thüringen, der Gemahl der heiligen Elisabeth, wegen seiner Keuschheit sehr gerühmt. Wir theilen aus mehren Erzählungen die folgende mitRohte 1714.  Vom Landgrafen wird noch als eine Merkwürdigkeit erzählt, daß er nie Heringe gegessen oder Bier getrunken habe.  Ann. brev. de Landgr. Thur. 350.. Ein Lehnsmann desselben bekam von seiner Frau keine Kinder und es schmerzte ihn sehr, daß Fremde sein reiches Erbe bekommen sollten; lieber möchte sich die Frau von einem andern ehrenwerthen Manne Nachkommen erwecken lassen. Sie aber sprach: eher will ich nach deinem Tode mein Brot kümmerlich suchen, als daß ich von den Leuten sollte geschmäht werden, und mein Haupt unter frommen Frauen nie mehr heiter und getrost aufrichten könnte. Desungeachtet fuhr der Mann fort, den Landgrafen wegen seiner Tugend, Ehre und Gottesfurcht unablässig zu rühmen, bis die Frau endlich einwilligte: ihm möge er jene Bitte vortragen. Es geschah, und Ludwig ließ sich bewegen, auf einer Jagd heimlich die seinen zu verlassen und bei dem Ritter einzukehren. Fröhlich aß und trank er mit dem Wirthe und der Wirthinn, gab jenem von einer köstlichen Arznei zu kosten, und so kam die Schlafenszeit heran. Da wirkte die Arznei, der Ritter ward unruhig und hub an: lieber gnädiger Herr, ich danke euch für euern Besuch; aber wollt ihr es mir nicht vor übel haben, ich fühle nun in mir Kräfte, daß ich gern bei meiner Frauen läge. Lächelnd antwortete der Landgraf: ich bin darum nicht hergekommen, daß ich dein Weib beschliefe, sondern daß ich dich von dem Unrecht und jene von der Schande befreite.

561 Unnatürliche Ausschweifungen fanden nicht bloß in dem heißen Syrien, sondern auch in England, ja in dem kalten Schweden stattNach Guil. Nang. zu 1120 fere omnes in Anglia sodomitica labe irretiti.  In Schweden pollutio abominanda cum jumentis.  Concil. XIII, 134.  Vally III, 58.. Man sagte laut: zwei Söhne König Heinrichs I von England wären, nebst vielen gleich sündhaften Großen, deshalb im Meere ertrunken, und der würdige Erzbischof Anselm von Kanterbury schreibt im Anfange des zwölften Jahrhunderts: bisher ward diese Sünde so öffentlich getrieben, daß kaum jemand darüber erröthete, und viele, welche die Größe des Frevels nicht einsahen, stürzten sich hinein. Auf mehren Kirchenversammlungen wurden in verschiedenen Ländern Strafen dagegen ausgesprochen, welche man, von dem Verluste geistlicher Stellen und bürgerlichen Standes, bis zum Feuertode steigerteConcil. XII, 1100, 1101, 1126; XIII, 840, 876, 884.  Feuertod nach den Etabl. de S. Louix I, 83.  Alanus von Ryssel schrieb einen tractatus in Versen contra sodomiae vitium. Schröckh XXIV, 399.. Desgleichen erhielten die Predigermönche vom Papste ausdrücklichen Auftrag, zur Ausrottung dieses Übels möglichst hinzuwirkenAuftrag, die Päderastie in Österreich auszurotten.  Ripoll I, Urk. 53, 54.  Sodoma peccata sua praedicant, nec abscondunt, sagt Gregor. IX.  Reg. Jahr VI, Urk. 80..

 
2) Wohnung und Kleidung.

Gleichwie in den bessern Zeiten des Alterthums, wandte man alle Kräfte auf den Bau der Kirchen, Rathhäuser und anderer öffentlichen Gebäude, und begnügte sich in der Regel mit einfachern und beschränkteren Wohnhäusern. Noch im dreizehnten Jahrhunderte waren sehr viele Häuser in den italienischen Städten mit Stroh oder Schindeln gedeckt, bis man es allmählich, zur Minderung der Feuersgefahr, verbotMurat. antiq. Ital. II, 167.. Indeß finden wir schon während des zwölften 562 Jahrhunderts in Deutschland dreistöckige und in Paris vierstöckige HäuserChron. mont. ser. zu 1183.  Math. Par. 604., welche in mehre Stuben abgetheilt waren, und ums Jahr 1180 ist von Glasfenstern in englischen Wohnhäusern die RedeAnderson I, 586..

Zu jeder Zeit war die Kleidung eines der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen; zugleich aber, sobald die Stufe völliger Roheit überstiegen ward, ein Gegenstand des ausschmückenden Kunstsinnes, oder auch der Eitelkeit. Gegen die letzte Richtung eiferten im Mittelalter die weltlichen, und noch weit mehr die kirchlichen Vorgesetzten: ihren Einreden, Ermahnungen und Verboten, sowie der damit übereinstimmenden Betrachtungsweise einiger Schriftsteller, verdanken wir die meisten hierüber auf uns gekommenen Nachrichten.

Schon die Gesetzgebung Karls des Großen erstreckte sich auf die Kleidung. Er verbot das Tragen kurzer Mäntelchen, welche an die Stelle der großen Mäntel aufkamen und weder wärmten, noch decktenDoch blieb, besonders bei den Vornehmern, die Form der römischen Kriegsmäntel noch lange in Gebrauch.; doch scheint ihn hiebei nicht sowohl eine sittliche Rücksicht, als die Tauglichkeit für den Kriegsdienst bestimmt zu haben. Bereits damals wirkte die Neigung zum Putze bei der Wahl der KleidungMonach. S. Gall. I, 36.. Die Schuhe waren äußerlich verziert, oder gar vergoldet und mit langen Riemen zum Schnüren versehen, die Beinkleider von zierlichem bunten Leinen und der untere Theil des Beines kreuzweis mit gewürfelten Binden umwunden. Über dem kurzen Kamisol hing das auf mannigfache Weise geschmückte Schwert, und der doppelte Mantel reichte vorn und hinten bis auf die Füße, an den Seiten aber nur bis zum Knie. In der Hand trug jeder einen starken Knotenstock.

So schnell wie in neuern Zeiten wechselten die 563 Trachten gewiß nicht: aber sie blieben deshalb keineswegs unverändert, und wenn die Vornehmen mit einer Neuerung vorangingen, so folgten (oft zum Verdrusse jener) selbst die Bürger und Bauern nachMilitares viri mores paternos in vestitu et capillorum tonsura dereliquerunt, quos paulo post Burgenses et rustici et paene totum vulgus imitati sunt.  Order. Vit. zu 1092.. Dies muß besonders in Hinsicht des Schnittes der Haare statt gefunden haben; wenigstens bekümmerte sich die Kirche um keinen Theil des Leibes so genau, wie um Kopf und Füße. Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts trug man einen geschornen Bart und kurz abgeschnittene Haare; auch beschreibt Anna Komnena den Boemund und andere Häupter der Kreuzfahrer auf diese WeiseAnna 320 und du Fresne Noten p. 65 zu p. 86.. Als aber Knechte und Bauern diesem Brauche nachfolgtenKlage, daß rustici und garçones auch den Bart schören, in Labbé bibl. II, 328., veränderte er sich und schon dreißig Jahre nachher, zur Zeit Kaiser Lothars, trugen Männer und Weiber lange Haare, welche höchst arge Gewohnheit erst abgekommen sey, als Gott im Zorne mehren die Köpfe abgesengt habeAnon. Saxo zu 1130.  Gobelin. 59.  Hume II, 34.. Wie dem auch sey: die Kirche stellte den Grundsatz auf: daß kurz abgeschnittene Haare für ein äußeres Zeichen der Gottesfurcht gölten, und Schlüsse von Kirchenversammlungen lauteten dahinConcil. XII, 930, No. 6; 1099, No. 23.  Thomassin. I, 2, c. 42.: »kein Mensch lasse sein Haar wachsen, sondern sey so geschoren, wie es sich für einen Christen schickt; daß nämlich die Augen nicht bedeckt sind und die Ohrzipfel hervorgucken. Den Ungehorsamen wird das Abendmahl nicht gereicht, der Priester hält inne wenn sie die Kirche betreten und sagt ihnen: daß sie gegen Gottes Willen und zu ihrer eigenen Verdammniß die heiligen Stätten besuchen. Kein Geistlicher wohnt ihrem Begräbnisse bei.« Derselben Ansicht folgend befahl der ernste Senat Venedigs im Jahre 1102 alle langen Bärte abzuschneidenSanuto vite 428.; aber wenige Jahre nachher trugen nicht bloß die Mädchen und Weiber, sondern auch die Männer in Augsburg lange gewundene Haarzöpfe als SchmuckCrusius I, Buch 9, Kap. 4, S. 520, zu 1110.. Der heilige Einsiedler Gerlach rührte einem solchen Langhaarigen das Gewissen und schnitt ihm den Überfluß hinwegActa Sanct. vom fünften Januar, I, 310.; auch wuchsen, ein höheres Zeichen, die Haare seitdem nie über dies gottgefällige Maaß! Die Frauen dachten aber hierin gar nicht wie die Kirche, und die lustige Eleonore von Aquitanien lachte ihren Gemahl, König Ludwig VII von Frankreich, gewaltig aus, als er sich auf die Vorstellungen des großen Gottesgelehrten, Peter von der Lombardei, kahl scheren ließMailly I, 607 zu 1146.  Die Ungern trugen lange Bärte und flochten wohl Perlen und Edelsteine hinein.  Horneck zu 1261..

Die Kleidungsweise der Frauen unterlag indeß noch heftigern Vorwürfen. Eleonorens Zeitgenosse, der heilige Bernhard, schaltEpist. 113.  Bouquet XVI, préf. 17., daß sie lange und kostbare Fransen und Schleppen hinter sich herzögen und dicke Staubwolken erregten; und der Bischof von Terouanne sagte: wenn es, ihr Frauen, eure Bestimmung wäre, die Straßen zu fegen, würde euch die Natur schon ein Hülfsmittel anerschaffen haben, womit es füglich geschehen könnte. Die Regierung in Venedig setzte im Jahre 1154 den Werth fest, welchen ein weiblicher Kopfputz höchstens haben dürfeDandolo 286.  Ganfr. chron. I. c.  Fioravanti 173.  Affò Parma III, 249.  Hist. de Lang. III, 533.; an vielen Orten verbot man Schleppen und durchbrochene Ärmel, in Pistoja das Tragen von Gold und Silber, in Parma strafte man die Schneider, welche Kleider zu lang schnitten. Der Bußprediger Johannes von Vicenza und viele seiner Genossen verboten in Italien den Frauen, Bänder und Kränze 565 im Haare zu tragen und verlangten, daß sie durchaus verschleiert einhergehen solltenBonon. hist. misc. zu 1233.  Giulini 277.  Fantuzzi IV, 80.. Papst Gregor X erklärte 1272 auf der Kirchenversammlung zu LyonMalespini 199.: aller überflüssige Putz der Weiber in der ganzen Christenheit müsse aufhören. – Nach diesen und ähnlichen Vorwürfen ließe sich auf eine in der That übertriebene Pracht der Frauenkleider schließen: allein sie kann laut den, freilich oft dürftigen, Berichten doch nur ausnahmsweise statt gefunden haben. So trug die Markgräfinn Kunigunde von Brandenburg bei ihrer Vermählung mit König Bela IV von Ungern ein prachtvoll gesticktes, mit Gold durchwirktes Kleid, einen kostbaren mit Zobel und Hermelin aufgeschlagenen Mantel, einen Gürtel mit goldenen Spangen u. s. w.Horneck zu 1261.  Büsching I, 253.. – In Italien waren zur Zeit Kaiser Friedrichs II die Jungfrauen mit einem, wahrscheinlich wollenen, Unterrocke und einem leinenen Oberkleide zufriedenRicob. compil. chronol. 248.. In dem reichern Florenz trugen sie noch um 1260 einen engen Rock von grobem rothen Tuche, oder grünem Kammertuche, gürteten sich mit ledernem Gürtel und warfen einen mit Grauwerk gefütterten Mantel über, an welchem ein kleiner Kragen saß, den man über den Kopf ziehen konnteMalesp. 161.  Villani VI, 70.  Murat. antiq. Ital. II, 317.. Etwas mehr Aufwand und Mannigfaltigkeit scheint in Padua statt gefunden, und insbesondere die Mode vieler Kragen und unzähliger Falten die Kostbarkeit erhöht zu habenEine genauere, aber nicht ganz verständliche Beschreibung in Verci Ecel. II, 243.. – Der meisten Pracht erwähnt fast das Lied der Nibelungen; nur weiß man nicht genau, wieviel auf Rechnung des Dichters kommt, und für welche Zeit die Angaben geschichtlich gelten. Feierkleider werden von gewöhnlichen unterschiedenNibel. 1454, 1490, 1507, 2302, 3814, 6621., Spangen 566 über die seidenen Kleider geknüpft, goldene Brustschildlein umgehangen, reiche Kränze und von Golde lichte Bänder ins Haar gewunden, oder an den Hauben befestigt. Aber Siegfrieds schwarzsammtener Rock, sein Zobelhut, die reichen Borten an seinem Köcher stehn nicht hinter dem Frauenschmucke zurück; und überhaupt, wenn man sich bloß an die noch vorhandenen Beschreibungen hält, sind die Männer in jenen Jahrhunderten modesüchtiger und eiteler gewesen, als die zurückgezogenen Frauen.

Ums Jahr 1066 schmückten sich viele Männer in England mit goldenen Armbändern und tättowirten sich bunte Zeichnungen in die HautWilh. Malmesb. 102.. Von dem Grafen Fulko von Anjou, der übel gebaute Füße hatte, und von einigen leichtfertigen Hofleuten am Hofe Wilhelms des rothen gingen die bis zwei Fuß langen mit Werg angefüllten Schnabelschuhe ausOrderic. Vital. 682 zu 1089.  Bouquet XVI, préf. 17.. »Sie richten sich,« sagt ein Schriftsteller, »wie Schlangenschwänze oder Skorpionen in die Höhe, oder winden sich wie Widderhörner hin und her, welche Umgestaltung der göttlichen Werke für eine Lästerung zu achten ist. Auch die Röcke der Männer schleppen itzt nach, die Ärmel sind so lang und weit, daß sie die Hände bedecken, und ein mit diesem Überflüssigen Belasteter weder schnell gehen, noch überhaupt etwas arbeiten kann. Vorn ist der Kopf dieser Eiteln kahl geschoren, wie bei den Spitzbuben; hinten lassen sie dagegen die Haare wachsen wie die Huren und kräuseln sie mit dem Brenneisen, – aus welchem allen offenbar hervorgeht, daß sie sich am Schmutze der Unzucht erfreuen wie die stinkenden Böcke!« – Hundert Jahre später klagt ein anderer Schriftsteller auf ähnliche Weise über den Aufwand der Franzosen in Syrien bei dem Kreuzzuge Philipp AugustsVinisauf V, 20.: »die vielen Öffnungen der Ärmel werden mit Schnüren zugezogen, die Seiten mit kunstreichen 567 Gürteln gebunden, die Oberkleider auf eine thörichte Weise nach vorn gezogen und was ursprünglich zur Bedeckung des Hintertheils bestimmt war, zu entgegengesetztem Gebrauche anderer Theile herbeigezwängt. Sie umhängen den Bauch, nicht den Rücken mit Kleidern, tragen kostbare Halsbänder und Kränze« u. s. w.

Am Hofe Ludwigs IX besaß mancher seidene und sammetne Kleider, welche die des Königs an Kostbarkeit übertrafen; mancher sehnte sich, wie Joinville sagt, mehr nach einem Marderpelz als nach der ewigen SeligkeitJoinville 5-8.  Du Fresne zu Joinv. 129.  Vie de Louis IX, mscr., No. 191, fol. X.. Dem Könige hingegen schienen acht Livres zu viel und schlecht verwandt, welche er für einen gestickten und mit seinem Wappen geschmückten Rock zahlen sollte. Doch erklärte er: man müsse sich ordentlich und anständig kleiden, um seiner Frau mehr zu gefallen und von seinen Leuten höher geachtet zu werden. Bei Eröffnung des Sarges fand man Kaiser Heinrich VI prachtvoll und eigenthümlich gekleidetDaniele sepolcri.. Über das gelbliche Obergewand ging ein seidener, in Knoten geschlungener Gürtel, an dem mehre Schnuren von grün und rother Seide saßen, welche durch Löcher in den Beinkleidern hindurchgezogen und zugebunden wurden, um diese festzuhalten. Beinkleider und Strümpfe waren aus einem Stücke, die Schuhe von Goldbrokat und gestickt. Sie bedeckten den ganzen Fuß und wurden zur Seite mit einem Knöpfchen befestigt. Die Handschuhe bestanden aus sehr künstlichem, wie gestricktem Zeuge; die Krone, oder Kopfbinde von gelber Seide war mit den geschmackvollsten und schönsten Zierrathen (Arabesken) geschmückt und, wie einige eingewebte arabische Worte vermuthen lassen, wahrscheinlich ein Werk muhamedanischer Unterthanen des Kaisers.

Bisweilen hatte die Kleidung eine polizeiliche, ja staatsrechtliche Bedeutung. So durfte sich z. B. kein Saracene in den christlich-morgenländischen Reichen fränkisch kleiden, 568 und ein geschorner Bart galt um die Zeit Saladins für ein Abzeichen der EuropäerConc. XIII, 1318.  Bohad. 193.  Abulf. zu 1300.; wogegen später in Ägypten die Juden gelbe, die Christen blaue, und die Samaritaner rothe Kopfbedeckung tragen mußten, um sich von den Muhamedanern zu unterscheidenDaniele 44..

Daß die Kirche noch strengere Aufsicht über die Kleidung der Geistlichen als über die der Laien führte, haben wir bereits erwähntHohenst. Band VI. S. 231., und am wenigsten durften die Mönche und geistlichen Ritter von den feststehenden Gesetzen abweichenMerkwürdig, daß die Templer lange Bärte trugen, nach Holst. cod. III, 11.  Über die Kleidung der deutschen Ritter.  Hennig Statut. 51.. Auch die Kleidung der Lehrer der freien Künste in Paris und der Studenten sollte anständig, und nach bestimmten Vorschriften eingerichtet seynNach Bulaeus III, 81 sollten die Magistri tragen, einen schwarzen Talar, cappam rotundam, sotulares non habeant sub cappa rotunda laqueatos, nunquam liripipiatos. – Über die Kleidung der Studenten in Bologna.  Savioli III, 614.  Die geistlichen Schüler trugen am Ende des eilften Jahrhunderts nur Schafpelze, oder einfache leinene und wollene Kleider.  Gudeni cod. I, 295-298..

Wenn die Laien, wie es sehr oft geschah, auf alle heilsamen Lehren und Weisungen keine Rücksicht nahmen, so brachen für diese Verstocktheit die Strafen Gottes ein, und besonders übel ging es den kleidersüchtigen Weibern. Wenigstens erzählte ein PriesterOrderic. Vit. 694.: »ich sah des Abends einen langen Zug Weiber, welche auf Frauensätteln saßen, aus denen glühende Stifte hervorragten. Nun hob der Wind jene Unglücklichen in bestimmten Zwischenräumen wohl eine Klafter hoch empor, und ließ sie dann wiederum fallen, daß sie von den glühenden Stiften schwer verwundet wurden und ganz erbärmlich Wehe, Wehe schrien.«

569 Nicht mindern Anstoß mußten die vielen Schmuckmittel geben, deren sich die Weiber bedienten. Wir finden während des dreizehnten Jahrhunderts in Italien bereits erwähntBarberino 329.: gekochtes und dann abgekühltes Wasser, von Lilien, Bohnen u. dergl. abgezogenes Waschwasser, Zahnpulver, weiße und rothe Schminke, Mittel gegen Narben, Sommersprossen und andere Flecke, Mittel die Haare blond oder braun zu machen und die grauen umzufärben; endlich Mittel für die, welche von ihren Männern keine Kinder bekommen. – Nach einer SpottschriftGinguiné I, 314. verklagten sich die Mönche und Weiber vor dem Throne Gottes. Alles ist verloren, sagen jene, indem ihr die Malerei, welche nur für uns erfunden ward, in Beschlag nehmt und euch so roth färbt, daß ihr alle Gemälde in unsern Kapellen überglänzt. – Wir waren, antworten die Frauen, im Besitze der Malerei ehe eure Bildlein erfunden wurden; und ich, fährt eine der eifrigern fort, nehme euch nichts, wenn ich mir die Runzeln unter den Augen verstreiche, um diejenigen noch stolz behandeln zu können, die sich in mich vernarren. Hierauf wendet sich Gott an die Mönche und spricht: wenn ihr es für gut findet, will ich den über fünfundzwanzig Jahre alten Frauen erlauben, sich zwanzig Jahre lang zu bemalen; seyd aber großmüthiger als ich, und gebt dreißig Jahre. – Das lassen wir wohl bleiben, antworten die Mönche, nur zehn wollen wir ihnen bewilligen und bloß aus Gefälligkeit für euch. – So dauert der Streit fort, bis S. Peter und S. Laurentius als Vermittler auftreten und die Parteien dahin vergleichen, daß sich die Weiber funfzehn Jahre lang bemalen möchten.

 
3) Sitten, Lebensweise, Gebräuche.

a) Von Begräbnissen.

Noch näher als die Aufsicht über Kleidung, lag der Kirche die Aufsicht über die BegräbnisseWir stellen hier mancherlei zusammen, was sich anderwärts nicht füglich anbringen ließ und keinen eigenen Hauptabschnitt bilden konnte.. Keines sollte 570 ohne einen Priester und insbesondere nicht ohne den vorgenommen werden, bei welchem der Verstorbene eingepfarrt war. Selbst diejenigen, welche man, gegen die Regel, außerhalb des Pfarrbezirkes begraben durfte, mußten doch erst zum Ortspfarrer gebracht werden: denn der Verstorbene konnte ja im Banne seyn, oder Kirchenstrafen zu zahlen haben, welche sich nur durch Versagung des Begräbnisses beitreiben ließenThomass. III, 1, c. 68.. Von dem Verbote, jemand in der Kirche oder gar in der Nähe des Altars zu begraben, machte man, bei mächtigen oder sehr frommen Personen, zahlreiche Ausnahmen. Der Aufwand bei Begräbnissen und die Behandlungsweise des Todten war verschieden nach Stand und Reichthum. Bisweilen nahm man die Eingeweide heraus und füllte den übrigen Körper mit Salz, um ihn länger zu erhaltenAlber. 249.  Guil. Nang. 391  Hohenst. Band II, S. 437.; oder man lösete das Fleisch durch Kochen von den Gebeinen und bedeckte diese mit Balsam und Gewürz. Die Normannen in Italien überzogen auch wohl den Leichnam mit Wachs und schoren dem Verstorbenen das Haar ab, um ein Andenken zu behaltenGuil. App. II, 261. Fulco Benev. zu 1127.. In Bologna fand um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts eine feierliche und eine einfachere Art des Begräbnisses stattGhirard. I, 200.. Bei jener stellte man den Sarg auf eine mitten in der Straße errichtete Trauerbühne, und zu den Seiten standen schwarz beschlagene Bänke, auf denen alle Verwandte des Verstorbenen saßen und Beileidsbezeugungen annahmen. Erst wenn die Geistlichen erschienen, setzte sich der Zug in Bewegung. – Auf den Sarg des Doge Mauroceno von VenedigDandolo 360. legte man dessen Schwert und Sporen, und brachte ihn unter feierlicher Begleitung nicht allein der Edeln, sondern auch der Frauen, an den Ort, wo über ihn das 571 Todtenamt gehalten wurde. Nicht selten wandte man viel auf den Schmuck der Grabmäler und bezeichnete sie mit allerhand Sinnbildern: so das Grabmal der Tochter Kaiser Ottos I mit einer silbernen SpindelDitmar. II, 42., wobei man wohl eher an weibliche Handarbeiten, als an die Parzen dachte. Oft ward übermäßige Pracht bei den Leichenzügen, Theilnahme und Geschrei der Weiber, sowie jede sich daran reihende Schmauserei verbotenGiulini 277.  Hist. de Langued. III, 533.  Moritz von Worms II, Urk. 7, S. 154.. Noch ums Jahr 1213 miethete man in Rom KlageweiberMurat. antiq. Ital. II, 337., und um große Anstalten unmöglich zu machen, mußte in Ravenna der, welcher des Morgens starb, schon Abends, und wer am Abende starb, des folgenden Morgens begraben werdenFantuzzi IV, 132, No. 339, 341..

 
b) Von polizeilichen Vorschriften.

Manches was sich hieher rechnen ließe, ist bei Behandlung anderer Gegenstände schon mitgetheilt worden. Wir halten hier eine kleine Nachlese verschiedenartiger Bestimmungen. Das Pflastern der Straßen war vor dem dreizehnten Jahrhunderte fast nirgends Gebrauch. Erst zur Zeit Philipp AugustsRigord. 21, 31.  Guil. Nang. zu 1134.  Alberic. 367.  Guil. Armor. 73., der überhaupt eifrig für die Verschönerung seiner Hauptstadt sorgte, wurde Paris, zum Theil auf Kosten der Bürger, gepflastert und mit Mauern und Thürmen umgeben. Mehre Städte des Reichs folgten theils freiwillig, theils auch wohl gezwungen nach. Florenz wurde gepflastert ums Jahr 1237, Bologna 1241, Mailand, Modena und Padua ums Jahr 1260Malespini 134.  Mutin. ann. zu 1262.  Ghirard. I, 163.  Gennari zu 1265.  Moscardo 185.. Wo man größtentheils gebrannte Steine dazu nahm, ergingen Vorschriften zur Erhaltung des Pflasters, so daß z. B. in 572 Mailand kein mit Eisen beschlagener Wagen darauf fahren sollteMediol. ann. zu 1264..

Die Straßenreinigung konnte erst in gepflasterten Städten mit größerem Erfolge vorgenommen werden; doch finden wir schon ums Jahr 1228 in Verona die VorschriftCampagnola 166, 219., keinen Kehricht oder Unrath auf die Straße zu werfen, und die Stadt jährlich wenigstens einmal von allem und jedem Schmutze zu reinigen. Wahrscheinlich der Verschönerung halber verbot die Obrigkeit in Köln an den Häusern des Marktes irgend etwas weit hervorspringendes anzubringenSenkenberg ungedr. Schriften IV, 230, Urk. 1.; in schwäbisch Hall gerieth aber der Magistrat mit den Eigenthümern in großen Streit, als er die häßlichen und nachtheilig langen Kellerhälse von den Straßen wegschaffen wollteStaats- und Erd-Beschreibung des schwäb. Kreises II, 559. zu 1261..

Feuersbrünste waren sehr häufigSo brannte ein Kloster in Straßburg ab im Jahre 1130, 1140, 1150 und 1176.  Auct. inc. ap. Urst.  In Padua brannten 1174 drei Viertel der Stadt, 2614 Häuser ab.  Patav. chron. 1121.  Dandolo 300, und so giebts unzählige Fälle., da die Löschanstalten noch nicht die spätere Vollkommenheit erreicht hatten, und die Stroh- und Schindel-Dächer sehr zur Verbreitung jedes Brandes beitrugen. Daher verbot man in mehren italienischen Städten den fernern Gebrauch derselbenSo in Ravenna.  Fantuzzi IV, 349.  Tonduzzi 198., und setzte im Jahre 1246 für London festAnderson II, 85.: daß wenigstens die Häuser an den Hauptstraßen, mit Ziegeln oder Schiefer gedeckt seyn müßten. Noch mehr trat man in Lübeck und Breslau der Feuersgefahr entgegen und befahl, nach bittern Erfahrungen, die Häuser aus natürlichen oder gebrannten Steinen zu errichten1251 in Lübeck nach einem sehr großen Brande anbefohlen.  Corner 895.  1272 Anordnung Herzog Heinrichs IV für Breslau.  Lünig Reichsarch., cont. IV, Abschn. 2, Urk. 4.. Zufolge eines wiener Gesetzes von 1198 zahlte der Eigenthümer des Hauses, wenn Feuer aus dem Dache hervorschlug, ein Talent, und wurde von dieser Strafe nur entbunden wenn das Haus ganz niederbrannte.

So wenig als der Feuersbrünste, konnte man der Viehseuchen Herr werden; wir finden sie häufig und weit verbreitet. So kam ums Jahr 1225 dies Übel aus Griechenland und erstreckte sich nach und nach über Ungern, Deutschland, Frankreich und ItalienBon. hist. misc. zu 1225.  Herm. Altah. zu 1224.  Alberic. 514.  Wilh. Malmesb. hist. novor. 177.. Auch Theurung, Hungersnoth und daraus entstehende große Sterblichkeit werden nur zu oft erwähnt1234 aß man z. B. in Poitou aus Hunger Gras, aber es starben auch so viele, daß man wohl hundert in einer Grube beerdigte.  Simon. chron., und die dagegen ergriffenen Maaßregeln reichten nicht aus.

Sonst fehlt es nicht an allen Vorschriften für die Gesundheitspolizei. In VeronaCampagnola 166, 200. z. B. durfte man kein schlechtes oder krankes Fleisch verkaufen, nichts schädliches in die Etsch werfen, kein Kalkwasser hineinlaufen lassen, in den Stadtgräben kein Leder gerben, oder Abtritte drüber bauen. Friedrich II gebotHohenst. Band III, S. 530., Flachs oder Hanf weit von menschlichen Wohnungen zu rösten, todtes Vieh entfernt zu verscharren, und jeden Leichnam tief zu vergraben. Hievon, sowie von seinen Gesetzen für Ärzte und Apotheker haben wir bereits anderwärts ausführlich gesprochen. – Nach dem SachsenspiegelSachsensp. II, 49, 51. mußten Öfen, Wassergänge und Abtritte drei Fuß vom Nachbar entfernt, und überhaupt so angelegt seyn, daß keine Gefahr oder Unbequemlichkeit daraus entstände. Wer seinen Hof nicht einzäunte, war für allen daraus entstehenden Schaden verantwortlich. Die Landstraße sollte wenigstens acht, der Fußweg drei Fuß breit seynSächs. Weichb. 129.  In Padua ward 1236 eine besondere Behörde errichtet, um die Wege abzukürzen, gerade zu legen, Entschädigungen festzusetzen und für Erhaltung der Brücken und Kanäle zu sorgen.  Verci Triv. II, Urk. 83..

574 Es fehlte nicht an Versuchen, das Tagelohn und die Preise der Handwerker festzusetzenSolche Taxen für Pistoja.  Murat. antiq. Ital. III, 583.; über den Erfolg haben wir indeß keine belehrenden Nachrichten.

Die Wirthshäuser standen unter genauer Aufsicht. Friedrich II befahl, zu welcher Stunde man sie schließen solle, und nach einer Verordnung Ludwigs IX durften daselbst nur solche Personen beherbergt werden, die in der Stadt keine Wohnung hattenRich. S. Germ. 1001.  Gil. Nang. 363.. In Verona war verboten Wein gemischt, oder über einen gewissen Preis zu verkaufen, Glücksspiele zu dulden, liederliche Weibsbilder aufzunehmenCampagnola 202.  Murat. antiq. Ital. III, 583. u. dgl. Nur den Gästen, nicht aber andern Einwohnern der Stadt, durften die Wirthe Lebensmittel verkaufen, und man hielt so streng auf dieser Vorschrift, daß jeder welcher sie wiederholt übertrat, aus der Stadt gejagt und sein Haus niedergerissen wurde. – Bisweilen hatten Reisende wohl Zeugnisse und Empfehlungsschreiben von Klöstern, Prälaten oder weltlichen Obrigkeiten bei sich; in der Regel aber hielt man jeden für ehrlich und ließ ihn seines Weges ziehn, sofern er nichts böses that, oder in Streit gerieth. Friedrich II, der in so vielen Dingen der spätern Zeit vorgriff, gab seinen Dienern ein offenes Schreiben, damit sie sicher aus Italien nach Deutschland zurückkehren möchtenGudeni cod. II, 933.; vielleicht das älteste Beispiel eines im Mittelalter ertheilten Passes.

Gegen das Fluchen erklärte sich nicht nur die Kirche, sondern auch die weltliche Macht, und Philipp August setzte z. B. 1181 festBrito Phil. 102.  Siehe oben S. 241.: der Übertreter solle den Armen zwanzig Schillinge zahlen, oder ins Wasser geworfen werden. – Weibern die sich öffentlich zankten, band man nach dem 575 ripenschen Stadtrechte, vorn und hinten Steine an den Hals und sie mußten, so belastet, die Straßen auf und ab gehnWestph. monum. IV, 2001.. Eben so streng zeigte man sich gegen das Spielen. Nicht bloß die Glücksspiele wurden an den meisten OrtenSavili zu 1251.  Campagn. 171, 185., sondern in Venedig überhaupt verboten um Geld zu spielenSanuto vite 508 zu 1180.  Giulini 464 zu 1232.  Frisi I, 88., und in Mailand jeder in Strafe genommen bei dem man nur Würfel oder Spieltische fand. Des Nachts durfte man daselbst gar nicht spielen. In Regensburg wurde der für unehrlich erklärt, welcher ein Spielhaus errichteteGemeiner Chron. 296.. Kaiser Friedrich II erließ ums Jahr 1221 ein Gesetz wider die Würfelspieler, und Ludwig IX befahl nach der Rückkehr von seinem ersten Kreuzzuge, alle Spielhäuser sollten geschlossen und keine Würfel mehr verfertigt werdenRich. S. Germ. 993.  Gui. Nang. 363.  Montf. chron. zu 1259.. Den Geistlichen untersagte man sogar das Schachspiel. Dennoch war die Leidenschaft so gewaltig, daß wir Spiele aller Art verbreitet finden, von Schleswig bis ApulienThomass. III, 3, c. 46.  Corner 894.  Innoc. epist. IX, 178.  Um 1180 hinterließ der Graf Siboto von Falkenstein: 20 Federpele, 3 Wurfzabel, 3 Schachzabel, elfenbeinerne Würfel und Schachsteine.  Mon. boica VII, 502..

 
c) Von der Armenpflege.

Zu keiner Zeit ist die Sorgfalt und Mildthätigkeit für Arme, Kranke, Wittwen, kurz für Hülfsbedürftige aller Art, wohl so groß gewesen, als in jenen Jahrhunderten. Es war ein allgemein ausgesprochener und meist geglaubter GrundsatzLudwig. reliq. II, 391.: daß Almosen hundertfältige Frucht trügen und die Sünden auslöschten, wie Wasser das Feuer. Umgekehrt belegte man die, welche das den Armen überwiesene Gut 576 verkümmerten, mit den ärgsten FlüchenCartepec. di Cestello, Urk. 22.: »sie sollen Genossen des Verräthers Judas seyn, die Erde sie verschlingen wie Sodom und Gomorra, es sollen sie verfluchen alle Engel, Erzengel und Heiligen des Herrn.« Klöster, Stifter, Prälaten, Päpste, Fürsten, Könige, Städte, alle wetteiferten und überboten sich in Austheilung von Speisen und Kleidern, in Anlegung von Armenhäusern, Krankenhäusern und milden Stiftungen aller Art. Die Zahl der letzten wurde mit so großer Freigebigkeit vermehrtStiftungen solcher Art in Modena, Reggio, Monza, Komo, Bologna, Lukka, Mantua, Kapua, Venedig, Piacenza.  Tirab. Mod. III, 239; IV, 39.  Frisi I, 231.  Rovalli II, 181.  Orig. guelf. I, 603, 607, 617.  Granata II, 298.  Tentori saggio V, 50.  Dandolo 279.  Murat. script XVI, 575. Sechzehn Hospitäler, Arbeits- und Kranken-Häuser in Mailand.  Vicende 246.  Antich. Long. Milan. II, Diss. 20.  Giulini zu 1168 und 1188, S. 364, 365.  Murat. antiq. Ital. III, 586, 1149.  Auch ausgesetzte Kinder wurden aufgenommen.  Ebendas. 591.  Ferner in Zürich, Bern, Buchsee, Würzburg, Limpurg, Regensburg, Rheims, S. Gallen, Brüssel, Lille, Paris.  Schöpfl. hist. Zar. Bad. V, 125, 131.  Justinger 16.  Ussermann 177.  Prescher Gesch. von Limpurg I, 184.  Gemeiner Chronik 298.  Gallia christ. X, peruv. p. 52.  Arx I, 459.  Hund metrop. Salisb I, 228.  Miraei op. dipl. I, 177; III, 100.  Dulaure II, 203., und man sorgte so verständig für ihre innere Einrichtung, daß es in der That Erstaunen und Bewunderung erregt. Gewöhnlich suchte man die Aufseher und Wärter, nachdem sie eine Zeit lang zur Probe gedient hatten, durch geistliche Gelübde zu binden und ihrem Beruf einen heiligern und höhern Charakter zu gebenMiraei op. I, 202; II, 964; III, 610.  Thomass. I, 2, c. 91; III, 2, c. 25.  Gudeni cod. I, 537, über das Hospital in Mainz.; bloß die Verwaltung mancher Güter blieb in den Händen kundiger LaienMiraei op. II, 966; III, 104.. Für mehrmalige Untersuchung und Rechnungsabnahme durch bürgerliche oder geistliche Obere, war gesorgt. In das Krankenhaus zu Brüssel nahm man nur 577 solche auf, die außer Stande waren durch sich selbst oder andere Hülfe zu findenMiraei op. III, 609, Urk. 56.. Der Eintretende beichtete, und lieferte sein Besitzthum ab. Wurde der Kranke wieder gesund, so erhielt er alles zurück; er durfte über das was nach Abzug der Kosten übrig blieb, letztwillig verfügen; starb er ohne Testament, so erbte die Stiftung. Dreimal in der Woche erhielten die Kranken Fleisch, und wenn es die Gesundheit erforderte, auch besondere Speisen. Schwangere und Findelkinder wurden aufgenommen, jedoch mit Vorsatz nicht alle, damit leichtsinnige Mütter sich nicht darauf verließen. Dem Armenhause in Brüssel brachte jeder Aufgenommene ebenfalls sein Eigenthum und seine Gerechtsame zu, und legte die gesetzliche, braune oder graue Kleidung an. Verheirathete wurden nicht angenommen, kein Handel oder Gewerbe in der Anstalt getrieben und keinem erlaubt ohne erheblichen Grund in die Stadt zu gehnMiraei op. III, 609, Urk. 87, p. 115..

Für die Unglücklichen, welche mit dem Aussatze behaftet waren, sorgte man ebenfallsSchluß der lateranischen Kirchenvers. von 1179.  Concil. XIII, 429, No. 23.  Pfleger in einem Hospital der Aussätzigen, aus dem Augustinerorden.  Monast. Angloc. II, 377.; doch hatten sie gewöhnlich, um das Übel nicht zu verbreiten, eigene Kirchen und Gottesäcker. In Zürich setzte man nach Befragung von Geistlichen und Laien festUrk. von 1251 für das Siechenhaus von S. Jakob, im züricher Stadtarchiv, S. 67 des Kopialbuchs.: »die Aussätzigen sollen nicht (wie einige verlangen) das ihnen von Gott auferlegte Übel in anderer Beziehung entgelten, sondern erbfähig seyn.« Auch zur Verpflegung von Pilgern, welche oft verarmten und erkrankten, wurden milde Stiftungen gegründetGallia christ. V, preuv. p. 482..

Unter den Päpsten that besonders Innocenz III viel zum Besten der ArmenGesta bei Brequigny 143.  Otton. Fris. chron.  VII. cap. ult.; Heinrich VI erbaute für sie ein 578 großes Haus in Breisach; die meisten Klöster und Prälaten speiseten deren eine große Zahl; Ludwig IX bewilligte ihnen sehr reichliche AlmosenDer Bischof von Revers speisete täglich 2000 ?  Simon. Montf. chron. zu 1216.  Über Ludwigs IX große Almosen.  Const. Ludov. 422.  Ähnliches geschah in Pavia.  Anon. de laudib. Papiae c. 15. u. s. w. Nur selten finden wir Beispiele, daß die für Hülfsbedürftige bei Klöstern und Stiftern ausgesetzten Summen nicht gewissenhaft, sondern parteiisch vertheilt, oder gar zu andern Zwecken verwandt wurdenConcil. XIII, 835, No. 13.  Harzheim III, 614, No. 63.  Thomass. III, 3, c. 32, 33.  Marrier bibl. Cluniac. 1363.; welchen Übelständen aber Kirchenversammlungen und geistliche Obere sogleich ein Ende zu machen suchten. Eher möchte man bezweifeln, ob die Art und Weise der Unterstützung immer die rechte gewesen sey, und nicht zur Bettelei geführt habe, statt sie zu vertilgen. Auf jeden Fall ging es den Bettlern oft besser, als man dem äußern Ansehn nach vermuthen konnte. So ließ EzelinVerci Ecel. II, 141. einst alle aus der Gegend zusammenkommen und kleidete sie neu. Als man aber ihre alten Lumpen, schon der Reinlichkeit wegen, verbrennen wollte, weigerten sie sich dessen, obgleich vergeblich. Es fand sich in der Asche so viel Gold und Silber, daß Ezelins Auslage für die neuen Kleider mehr als ersetzt wurde. Selten scheint man die Armen zur Arbeit angehalten und ihnen Beschäftigung nachgewiesen zu habenEs geschah 1158 bei Erbauung der Mauern von Genua.  Caffari 272..

Bisweilen führte die Mildthätigkeit zu strafbaren Auswegen, oder doch zu fratzenhaften Übertreibungen. So stahl ThetmarHelmold I, 66.  Iperius 643., ein Priester, Getreide für die Armen, und Sybille, die Tochter König Fulkos von Jerusalem, reinigte nicht bloß Aussätzige und mit Geschwüren Behaftete, 579 sondern nahm auch (wenn es ihr zuwider ward), um sich anzufeuern, Wasser aus deren Badewannen in den Mund!

 
d) Von abergläubischen Ansichten und Gebräuchen.

Wenn der Aberglaube in dem Maaße abnimmt, als die Kenntnisse zunehmen, so müßte er sich während des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts verringert haben. Indeß war die Unwissenheit, z. B. hinsichtlich der Naturwissenschaft keineswegs verschwunden, und mancherlei Aberglaube scheint mit einer hohen Bildung verträglich, ja er nimmt dann sogar eine wissenschaftliche Form an.

Der Kanzler Konrad (welcher mit Heinrich VI nach Italien ging und sonst ein sehr tüchtiger Mann war) erzählte: daß, solange eine vom Virgil auf das Thor von Neapel hingesetzte Fliege daselbst unversehrt bleibe, keine Fliege in die Stadt kommeArnold. Lub. IV, 19 u. f. S.. Gervasius von Tilbury, obgleich ein für seine Zeit sehr unterrichteter Mann, berichtet dennoch in seinem Otto IV gewidmeten Werke, kaiserliche Erholungen genanntOtia imper. 985, No. 77., die allerwunderlichsten und unglaublichsten Fabeln: z. B. von Weibern die sieben Fuß hoch, überall rauch wie ein Kameel wären, Zähne wie Ziegen und hinten einen Ochsenschwanz hätten. Nach einem andern Zeitbuchschreiber, RigordusRigord. 24., bekamen die Kinder in Palästina, seitdem Saladin das heilige Kreuz eroberte, nicht mehr 30 oder 32, sondern nur 20 bis 22 Zähne.

Noch gläubiger war man in Hinsicht der Wunder, die durch heilige Personen oder Reliquien geschahen, oder sich irgend mit der Religion in Verbindung bringen ließen; indeß geschieht einige Male auch falscher Wunder Erwähnung. So z. B. gab ein Priester in HalleChron. mont. seren. zu 1214. vor, dergleichen mit einem Kreuzbilde zu verrichten, ging aber davon sobald er reich geworden, und die Wunder nahmen alsbald 580 ein Ende. Auf ähnliche Weise trat 1221 bei Bremen ein Bauer als Wunderthäter aufCorner 852.. In Italien stellte sich ein junges Mädchen besessen und wahrsagerte; sobald man ihr aber sagte: der Heilung wegen müsse man ihre schönen Haare abschneiden, genaß sie sogleichBarberino 59.  Ums Jahr 1212 liefen viele Weiber nackt und ohne zu sprechen durch die Dörfer, unbekannt aus welchen abergläubigen Gründen.  Albert. Stad. – Mancherlei hieher gehöriges, über glückliche und unglückliche Tage u. a. hat gesammelt Mur. antiq. Ital. diss. 59..

Viel heidnischer Aberglaube nahm bei Einführung des Christenthums ein EndeZ. B. in Pommern durch Bischof Otto ausgerottet.  Otton. vita 70., und die Kirche verwarf immerdar alle, Hexerei und Wahrsagerei bezweckende MaaßregelnConcil. XII, 1361.; aber die Möglichkeit des Hexens und der Verbindung mit bösen Geistern wurde von vielen Prälaten zugestanden, und Untersuchung darüber angestellt. Ganz einzeln steht die Behauptung und Vorschrift König Kalmanys von Ungern: daß es keine Hexen gebe und von ihnen also auch nicht die Rede seyn solleDe strigis quae non sunt, nulla mentio fiat.  Engel Gesch. von Ungern I, 209.. Bischof Odo von Paris befahl um das Ende des zwölften Jahrhunderts: daß man Abends das Tauf- und Weih-Wasser unter Schlüssel halte; es sey nun weil er glaubte es werde behext, oder daß Betrüger und Betrogene dasselbe wegholtenPropter sortilegia.  Concil. XIII, 727, 731.. Wahrsagen und Hexen bei Hochzeiten um dadurch Liebe oder Widerwillen zu erzeugen, ward oft untersagtConcil. XIII, 1352, No. 71.. Geistliche und Mönche die sich mit solchen Dingen abgaben, Wahlen danach einleiteten, Diebstähle durch Betrachtung des Winkelmessers entdecken wollten u. dergl., verfielen in StrafeHolst. cod. II, 402.  Ughelli Ital. sacra III, 557.  Decret. Greg. IX, V, tit. 21.. Wie konnte man sich bei 581 so verbreitetem Aberglauben wundern, wenn das Volk einem französischen Bartscherer nachsagte: er habe sich dem Teufel ergeben und sey dadurch ganz stinkend gewordenAlberic. 357, 555.  Meichelb. hist. Fris. I, 1, 284.; wenn Landleute bei Freisingen als Hexen bezeichnete Weiber ergriffen, folterten und verbrannten. Beschwörungen, welche den Teufel zwangen alle Wünsche zu erfüllen, finden sich oft erwähnt; doch kamen einige so gottloser und unnatürlicher Art vor, daß selbst der Teufel äußerte: er dürfe dazu keine hülfreiche Hand leistenIn puncto sodomiae: non esse diabolo licitum in tam illicito desiderio praebere adjurotium.  Alber. 546.. In der Regel nehmen aber die Erzählungen den heitern Schluß, daß der Teufel geprellt und durch Anrufung Christi verjagt wird. Teufelseingebungen und Erscheinungen sollte man auf ähnliche Weise prüfen und vertreiben; die von Heiligen oder Aposteln aber beachten und ihren Anweisungen Folge leisten. So kam ein Priester zu Innocenz III und erzählte: der heilige Petrus sey ihm erschienen und habe befohlen dem Papste zu sagen, daß mehre Altäre ungeweiht wären. Als er den zweimal wiederholten Auftrag nicht ausgerichtet, sey er zur Strafe taub gewordenInnoc. epist. I, 359.. Innocenz erklärte: da das Verlangen unverdächtig, nicht zu vermuthen daß der Teufel Apostelsgestalt angenommen, und endlich Glauben besser sey als vorwitzig Zweifeln, so sollten einige Altäre geweiht werden, von denen nicht feststehe daß es bereits geschehen sey. – Überhaupt glaubte man, heilige Männer und Frauen, so der Abt Joachim, die heilige Hildegard u. a. m., besäßen durch Gottes Gnade die Gabe der WeissagungDandolo 312.  Von einer Wahrsagerinn im Heere Herzog Wlatislavs von Polen, siehe Chron. mont. seren. zu 1209..

Die Furcht, daß die Welt mit dem Jahre 1000 nach Christi Geburt untergehen werde, war damals groß und allgemein, fehlte aber auch in spätern Zeitpunkten nicht ganz. So schrieb ein Sternkundiger aus Toledo nach allen 582 Gegenden: laut übereinstimmender Ermittelungen christlicher, jüdischer und heidnischer Weisen, werde der Widerchrist im September 1185 erscheinen und die Welt unter schrecklichen Unfällen ein Ende nehmen. Man stellte hierauf feierliche Umzüge an und hielt Betstunden; andere machten sich, ungewiß nach welcher sonderbaren Ansicht, unterirdische Wohnungen u. s. f. Statt des Unterganges der Welt, sagt der ehrliche ErzählerAuct. inc. ap. Urstis., war um die bestimmte Zeit vielmehr das schönste Wetter. Vorsichtiger drückt sich das schwäbische Lehnrecht ausSchwäb. Lehnr. I, 4.: »nach Christi Geburt ist die gewissest Zahl, tausend Jahr. Hierauf gehn die 7000 Jahr an, darin soll die Welt zergehn, – oder darnach wann Gott will!« – Kometen galten für Anzeichen wichtiger Begebenheiten, und die Sterndeuterei ward als eine große und keineswegs immerdar trügende Kunst betrachtetAnna Comn. 281, 131.  Verci Ecel. III, Urk. 138, 139.  Rich. S. Germ. 1023.  Smeregus zu 1259.  Villani VI, 81.  Malespini 169.. Die griechischen Kaiser, Friedrich II, Ezelin, ja sogar Kardinäle und päpstliche Legaten hielten sich Sterndeuter und hörten deren Rathschläge selbst über Kriegführung. Doch sagt der Bericht erstattende Mönch von PaduaMonach. Patav. 698, 705.: »Gott sey unser Helfer, und wir haben nichts von Mars, Jupiter und Saturn zu befürchten.« In all diesen Dingen waren die GriechenZ. B. Nicetas Manuel IV, 96, 110, 218, 287.  Anna Comn. 281, 131. eben so abergläubisch wie die Abendländer; und auch die Muhamedaner standen auf keiner höhern Stufe.

 
e) Aufwand, Spiele, Feste, Ergötzungen.

Zu jeder Zeit sind die Ansichten darüber verschieden gewesen: inwieweit Aufwand, Genuß, Luxus unschädlich und erlaubt sey, und wo er anfange unerlaubt und sündhaft zu werden. Die übertriebene Strenge welche auch das Unschuldigste mißdeutet und verdammt, ist im Grundsatze gewiß eben so irrig, wie die zügellose Begier welche jede 583 Ausartung billigt und dazu antreibt; doch läßt sich in der Regel eher befürchten daß der letzte, als daß der erste Irrthum um sich greife. Daher haben weltliche und geistliche Obrigkeiten mit Recht, und eingedenk daß Sinnenlust nicht des Menschen höchste Bestimmung sey, Aufwand und Genuß durch Gesetze wohl zu hemmen, keineswegs aber zu mehren gesucht. Nur läßt sich ein unveränderliches Maaß des Richtigen niemals ausfinden; sondern nach Land und Volk, Stand und Würde, Reichthum und Armuth entsteht eine große Zahl von Verschiedenheiten und Abstufungen. So auch im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte.

Unter den Nordländern und Slaven waren z. B. Kleidung und Lebensart, Sitten und Vergnügungen minder gewandt und ausgebildet, als unter den DeutschenSaxo Grammat. XIV, 410.; und diese mögen wiederum in einigen Beziehungen den Italienern nachgestanden haben. Jedoch lebten selbst die Bürger der reichern lombardischen Städte noch sehr einfach: sie kannten weder Talglichter noch WachslichterRicobaldi hist. imper. 128.  Sismondi II, 479. – Im Trierschen machten die Bauern von dauretive, oder lovete (Laub?) oder durascuras (Baumrinden?) fasciculi, und damit procurabitur lumen im Frohnhofe.  Hontheim I, 662., und nur bei den Reichern leuchtete ein Diener mit einer, wahrscheinlich hölzernen Fackel. Bürger aßen wöchentlich dreimal Fleisch mit Gemüse, und Abends nie warme Speisen. Im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts setzte man bei Festen zuerst gekochtes Fleisch, dann Gemüse und endlich andere wohlschmeckende Dinge aufAnon. de laudib. Papiae c. 13.. Das meiste war stark gepfeffert. Im Sommer trank man aus Gläsern, im Winter aus hölzernen Bechern. Diesen, vielleicht die Einfachheit allzusehr hervorhebenden Beschreibungen gegenüber, findet sich indeß auch schon Klage, z. B. über florentinische Üppigkeit und AusartungLami lez. II, 438. während des dreizehnten Jahrhunderts. – 584 Eher ließe sich vermuthen, daß Venedig, welches mit Konstantinopel stets so lebhaften Handelsverkehr trieb, alle zur Bequemlichkeit und Zierlichkeit dienende Gegenstände früher gekannt und benutzt hätte; und doch erzählt Dandolo zum Ende des eilften JahrhundertsDandolo 247.: der Doge von Venedig heirathete eine Frau aus Konstantinopel, welche sich so der künstlichen Wollust hingab, daß sie ihr Bett mit wohlriechenden Sachen durchräucherte, sich nicht mit gewöhnlichem Wasser wusch und die Speisen nicht mit den Fingern anfaßte, sondern mit gewissen goldenen Zweizacken und Gabelchen in den Mund steckte. Zur Strafe für diese Unnatur und Verachtung der göttlichen Gaben, wurde sie schon bei lebendigem Leibe ganz stinkend. – Etwa vierzig Jahre später, zur Zeit des aus einer reichen jüdischen Familie stammenden Gegenpapstes Anaklet, hatte man schon viel zugelerntVitae Pontif. Rom. 436.. Dessen Koch besaß nämlich Gefäße mit doppeltem und durchlöchertem Boden, oder mit innern Abtheilungen; so daß die Speisen in die eine, kostbares Gewürz und Räucherwerk in die zweite gethan wurden, und der Dampf des letzten jene durchzog und den Geschmack veredelte. Diese Üppigkeit galt aber auch für einen Grund, Anaklet zu verdammen. Viel einfacher lebte Innocenz IIIGesta Innoc. ed. Breq. 148.: nur bei großen Festlichkeiten kamen mehr als drei Gerichte auf seinen Tisch, und prachtvolle Geräthschaften fehlten ganz. So streng Ludwig IX gegen sich war, hielt er doch einen anständigen Hof. Am Tage vor seinem Aufbruche zum ersten Kreuzzuge wurden beim Abschiedsfeste gegessenSalimbeni 303.: frische Bohnen in Milch gekocht, Reis mit Milch, Mandeln und Zimmt, Fische, Torten, gebratene Aale mit einer trefflichen Brühe und Aalpasteten. Von dem englischen Hofe unter König Heinrich II macht Peter von Blois eine sehr sonderbare Beschreibung, in welcher jedoch wohl einiges übertrieben seyn mag, da er an anderer Stelle auch Sicilien als ein 585 abscheuliches, häßliches Land darstelltPetri Bles. epist. XIV. Hohenst. Band II, S. 308.. »Das Hofgesinde,« so erzählt er, »bekommt oft schlechtes, schweres, unausgebacknes Brot, Fleisch von kranken Thieren und stinkende, alte Fische! – damit nur einige desto besser leben können. Der Wein ist bisweilen so abscheulich, daß man ihn nur mit geschlossenen Augen und Zähnen hinterwürgen kann. Keiner weiß: wird der König bleiben, oder abreisen; woraus für Hofleute, Kaufleute und viele andere gar große Noth entsteht. Dann läuft man umher und erkundigt sich bei Huren und Kammerdienern: denn diese Art Menschen sind gewöhnlich von den Hofgeheimnissen am besten unterrichtet. Dem Hofe folgen Schauspieler, Tänzer, Possenreißer, Würfelspieler, Köche, Bartscherer, Wäscherinnen, liederliche Wirthe und Windbeutel aller Art. Plötzlich aber wird die Reise geändert; dann fehlt es oft an dem Nöthigstem und über Nachtlager, um deren willen nicht einmal die Schweine in Streit gerathen sollen, entstehen arge Schlägereien. Mit Fremden und Gästen gehn die Marschälle nach Willkür um, und der Redliche wird am Hofe so oft zurückgesetzt, als der kein Mittel scheuende Nichtsnutzige hervorgehoben und begünstigt.« – Trotz dieser Beschreibung fehlte es nicht an großen Festen, und bei der Krönung König Richards I verbrauchte man allein mehre tausend HühnerAnderson I, 602.. Von den Festen Kaiser Friedrichs I und der Hofhaltung Friedrichs II ist bereits gesprochen wordenHohenst. Band II, S. 281; Band III, S. 513.. Der letzte gab in seinem apulischen Reiche Gesetze wider übermäßigen Aufwand, und ähnliche Vorschriften finden wir in mehren lombardischen StädtenRich. S. Germ. 1027.  Gallo ann. II, 102., hinsichtlich der Feste, Speisen, Kleider, Ketten, Gefäße u. dergl. Nach einem braunschweigischen Gesetze von 1228 durften zu einer Hochzeit nur zwölf Schüsseln aufgetragen werden und drei Spielleute erscheinenRehtmeyer chron. 466. Auch in Dänemark werden zu 1269 leges sumptuariae und vestiariae erwähnt.  Hamsfort bei Langebeck I, 291.. Im 586 allgemeinen ging es bei so feierlichen Gelegenheiten um so höher her, als die gewöhnliche Lebensweise einfacher und mäßiger war. Für Pilger und Kreuzfahrer traten oft strenge Bestimmungen ein: sie sollten z. B. nach der Vorschrift Innocenz III nur zwei Gerichte essenGesta Innoc. 45.; am schärfsten lauteten die Vorschriften für die Geistlichen und insbesondere für die Mönche. In Clugni wurde z. B. verboten den Wein mit Honig oder andern Spezereien zu mischen, und bei den Franziskanern sogar der Gebrauch gläserner Becher und zinnerner Teller untersagtMarrier bibl. Cluniac. 1357, XI.  Wadding IV, 296.. Kein Geistlicher darf, nach einem Befehle Innocenz IIIConcil. XIII, 951, No. 15, und 840, No. 16.  Innoc. epist. VII, 75., üppigen Festen, insbesondere solchen beiwohnen, wo man gleich viel zu trinken verspricht und der am meisten gelobt wird, welcher das meiste trinkt und andere betrunken macht. Am allerwenigsten sollen sie selbst die Rolle von Possenreißern übernehmen. Daß Vorschriften solcher Art nicht überflüssig waren, zeigen mehre Beispiele. Im Jahre 1149 verlangten z. B. die Mönche zu S. Ambrosius in Mailand ein Fest von neun Gerichten, in drei GängenMurat. antiq. Ital. II, 313.  Giulini 473 zu 1148.: erstens, kalte Hühner, kalt Schweinefleisch und Schinken in Wein bereitet (gambas de vino?); dann gefüllte Hühner, Kalbfleisch mit Pfefferkraut, und Torten (turtellos de Lavezolo); endlich gebratene Hühner, in Teig gebackne Nierenstückchen und gefüllte Ferkel.

Daß es in jenen Jahrhunderten noch keine dramatische Kunst gab und zweifelhaft bleibt, inwieweit die Darstellung biblischer Geschichten dazu führte, ist bereits bemerkt worden; doch mag folgendes hier nachträglich seine Stelle finden. Es gab Seiltänzer, Tänzer, Possenreißer u. dergl. von außerordentlichem Geschick, aber oft auch von solcher 587 Anmaaßung und Zudringlichkeit, daß Gesetze erlassen wurdenHist. de Langued. III, 533. Moritz v. Worms II, Urk. 7, S. 154.  Merkwürdig heißt es in einer Urkunde von 1246 (Scheidt vom Adel 217): in theatro ibi quod vulgo Spelhuss dicitur. Doch ward daselbst auch Gericht gehalten.: sie sollten nicht mit Gewalt in Häuser eindringen, oder den Fremden, Pilgern und Kaufleuten in den Gasthöfen lästig fallen. Während einige sie durchaus verwerflich schalten und äußerten: ihnen etwas geben, heiße dem Teufel opfernLerbecke 505.  Rigord. 21.  Corner 785.  Chron. mont. seren. zu 1192.  Rich. S. Germ. 993.. fanden sie an Höfen und Hochzeiten großen Beifall und für ihre Anzüglichkeiten, ja Diebereien, sehr nachsichtige Beurtheilung. Bei der Hochzeit Roberts von Frankreich mit Mathilde von Brabant erschienen im Jahre 1237 Spielleute, Gaukler und Minstrels, von denen einige auf dem Seile tanzten, andere auf zwei mit Scharlach bekleideten Ochsen saßen und beim Auftragen der Gerichte in Hörner bliesenAlberic. 562.. Mehre Male und streng wurde befohlen: Spiele der Art sowie überhaupt weltliche Feste, Tänze u. dergl. sollten nicht in Kirchen oder auf Kirchhöfen gehalten werden, und am wenigsten Geistliche daran Theil nehmen, oder den Gelagen von Spielleuten beiwohnenConcil. XIII, 803, 840, 1254; XIV, 269.  Harzh. III, 529, 531.  Ughelli Ital. sacra III, 556.. Desungeachtet ließ sich der Bischof von Prag in einen Wettkampf mit ihnen ein, wobei ihm die Nase zerschlagen wardInnoc. epist. V, 29.; oder Geistliche führten auch wohl selbst Lustaufzüge an und stellten dabei Weiber vor, worüber Gregor IX sehr schiltIn Paris gesticulationes corporis abhorrenda consuetudine mulierum et choreas facere non verentur.  Reg. Greg. IX, Jahr VI. Urk. 276.. Noch ärger trieben es zu Weihnachten 1249 die jungen Geistlichen und Schüler in Regensburg. Sie hatten sich verkleidet, einen Bischof unter sich erkoren, und drangen 588 unbegnügt mit diesen und andern, wenigstens heiteren, Unschicklichkeiten, gewaltsam in Klöster ein, zerschlugen die verschlossenen Thüren, mißhandelten einige Mönche und nahmen Vieh und anderes Gut mit hinwegMon. boica XIII, 214.. Einige Male entstand bei solchen Gelegenheiten auch Unglück ohne Vorsatz. Am ersten Mai 1304 luden die Einwohner von S. Donnino nach alter Sitte alle diejenigen, welche Neuigkeiten aus der andern Welt wissen wollten, ein, sich auf der Brücke über den Arno zu versammelnMurat. antiq. Ital. II, 950.. Neben derselben befanden sich auf Kähnen mehre als furchtbare Teufel, andere als nackte Seelen verkleidet, und unter lautem Geschrei und bei großem Feuer begannen scheinbar die vielfachsten Martern der Verurtheilten. Plötzlich aber brach die übermäßig beschwerte Brücke zusammen, und nicht wenige wurden beschädigt oder kamen ums Leben.

Am lautesten mußte die Kirche das, besonders in Frankreich ausgebildete, NarrenfestDu Fresne Calendae.  Pagi zu 1187, c. 17.  Augusti Feste der Christen I, 312.  Die nähere Entwickelung fällt in spätere Zeiten; siehe Tiliot mémoires de la fête des fous. mißbilligen, welches wahrscheinlich zuerst eine Nachahmung der Saturnalien, dann eine Verspottung der heidnischen Gebräuche enthalten hatte, allmählich aber in eine Verspottung der christlichen Formen übergegangen war. In dem ernstern Deutschland fanden diese Narrentheidungen weniger Eingang; Erwähnung verdient indeß folgendes. Am Palmsonntage jedes Jahres ritt der Bischof von Halberstadt, Christus vorstellend, in Quedlinburg ein, vorauf acht Männer als Palmbrüder, Zweige hauend und ausstreuend, und im Gefolge Geistliche, Mönche und Volk in großer ZahlVoigt Gesch. von Quedlinb. I, 323.. Fünfundzwanzig Mark reichten nicht hin um, dem Herkommen zufolge, Fische für eine 589 Mahlzeit herbeizuschaffen, weshalb das Stift Quedlinburg auch eine Abänderung dieser lästigen Sitte bewirkte.

Zur Charakteristik weltlicher Spiele, Feste und Ergötzungen theilen wir nachstehendes mit. Das Schachspiel wurde seiner Künstlichkeit und Bedeutung wegen sehr geehrt; doch gerieth einst der Graf Ferrand von Flandern, weil ihn seine Frau matt gemacht hatte, in solchen Zorn, daß er sie prügelteDachery spicil. II, 626 zu 1214.; was nebst andern Gründen einen Krieg mit dem Könige Philipp August herbeiführte. Im Jahre 1265 kam ein Saracene Borzaga nach Florenz und spielte in Gegenwart vieler Vornehmen zu gleicher Zeit mit drei der besten Schachspieler in der StadtMalespini 182.  Villani VII, 12, wenn ich anders die, vielleicht verdorbenen, Stellen richtig verstehe.. Nur das eine Spiel sah er, zwei Spiele hingegen spielte er aus dem Kopfe ohne das Spiel vor Augen zu haben; und dennoch machte er binnen einer Stunde zwei seiner Gegner matt, und das dritte Spiel blieb unentschieden.

Wenn Könige und Fürsten sich besuchten, boten sie oft alles auf um sich an Pracht und Freigebigkeit zu übertreffen. So ließ Philipp August, als König Johann von England im Jahre 1201 nach Paris kam, ihm und den seinen die Weinkeller öffnen und Geschenke vertheilenRigord. 44. So auch bei Hochzeiten.  Horneck zu 1261.. Als Heinrich III im Jahre 1254 Ludwig den neunten besuchte, speisete man öffentlich und verstattete jedem das Zusehn. Heinrich wollte den mittlern Ehrenplatz nicht annehmen, sondern saß zur Rechten und der König von Navarra zur Linken LudwigsMath. Par. 604.. Als dieser seinen Sohn Philipp und seinen Neffen Robert 1267 zu Rittern schlugGuil. Nang. 378., dauerten die Feste in der ganzen Stadt acht Tage lang, man hing kostbare bunte Zeuge zu den Fenstern heraus und schmückte sich und die seinen mit mannigfachen Zierrathen. – 590 Landgraf Ludwig von Thüringen, der Mann der heiligen Elisabeth, ward von einem Fürsten den er besuchte, nicht allein mit Essen, Trinken, Saitenspiel und Gesang geehrt, sondern er fand in seiner schönen Schlafkammer »auch ein säuberliches junges WeibchenRohte 1713..« Aber der Landgraf ließ ihr eine Mark Silber auszahlen, und bezwang sich.

Große Feste führten bisweilen zu Unglück. So entstand im Jahre 1225 bei der Verheirathung König Heinrichs und Margarethens von Österreich ein solches Gedränge, daß vierzig Personen, darunter auch Mönche und Priester erdrückt wurdenPappenh.  Herm. Altah.  Bavar. chron. zu 1225..

Alte Volksfeste suchte man möglichst zu erhalten, obgleich deren ursprüngliche Bedeutung vielleicht verloren ging.

In Hoya z. B. verkleideten sich am PfingstfesteAlberic. 513 zu 1224.  Belg. chron. magn. 236 zu 1212. alle Männer, alte und junge ohne Ausnahme, als Weiber, hatten aber dennoch ihren Kaiser, Herzog, Bischof, Abt u. a. unter sich, welche wie es scheint in bunter Mischung mit den Weiberröcken, auch die Abzeichen ihrer Würden trugen. Einige schmückten sich daneben mit glänzenden Panzern und Helmen und trugen bloße Schwerter in der Hand; andere vermummten sich in Pelze, das Rauhe auswärts kehrendSiehe noch die Züge, Verkleidungen u. s. w. Ulrichs von Lichtenstein.; die übrigen wechselten auf jede mögliche Weise den Weiberanzug, und alle zogen paarweise mit Sang und Klang und Tanz durch die Straßen und nach den benachbarten Orten.

In Spanien wurden, schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, bei der Vermählung des Königs Garcias von Navarra mit der Infantinn Urraka, mancherlei Spiele, Ringelrennen und Stiergefechte gehalten; sonderbarer erscheint folgende ErgötzungFerreras III, 482, §. 698 zu 1144.: man ließ ein Schwein in einem eingeschlossenen Platze los, welches von Blinden mit Stöcken 591 verfolgt wurde. Öfter jedoch als das Schwein trafen diese, dem Grunzen nacheilend, sich untereinander und erregten großes Gelächter bei den Zuschauern. Die in Südfrankreich beliebten Hahnenkämpfe wurden, wegen manches dabei entstehenden Übels, wenigstens in den Schulen verbotenConcil. XIV, 271..

Am mannigfaltigsten und heitersten scheinen die Spiele und Feste in Italien gewesen zu seyn: denn obgleich die kriegerischen Übungen und Turniere ebenfalls dahin kamen, behielt doch die Lust an prachtvollen Aufzügen und scherzhaften Ergötzlichkeiten die Oberhand1198 Joannes de Ceccano in praesentia Innocentis III, jocavit cum suis militibus buburbando.  Chron. fossae novae 887.  1209 Otto imperator fece fare gran festa e giuochi nella piazza del comune di Bologna, und 1212 kam einer bei diesen Spielen um.  Bonon. hist. misc. – 1258 fu fatta la giostra e fore 22 aventurieri.  Spinelli 1095.. Wir geben Beispiele.

In Verona wurden 1207 zum Andenken eines Sieges über die Ghibellinen Wettläufe gestiftet, an denen später auch Frauen Theil nahmen und Huren Theil nehmen mußtenZagata 22.; welche letzten jedoch statt der Preise wohl nur Spott, ja Mißhandlungen zu erwarten hatten. In Pavia feierte man das Fest des heiligen Syrus mit Wettlaufen und Wettreiten, und auf ähnliche Weise in Vicenza und Padua den Sturz des grausamen Ezelin. Der erste Preis war ein Stück scharlachen Tuch, oder ein mit Gold durchwirkter Mantel, der zweite ein Jagdvogel, oder ein gebraten Schwein, u. s. f. Wer den ersten bekam, pflegte ihn der Stadt oder einem Heiligen darzubietenAnon. de laud. Papiae c. 13-16.  Verci Ecel. III, Urk. 274.  Murat. antiq. Ital. II, 851.. Wenn in Pavia die Vornehmen und Ehrbaren diese Preise gewonnen hatten, kam die Reihe, – denn niemand sollte von der Lust ganz ausgeschlossen seyn –, auch an das gemeine Volk, ja an die liederlichen Dirnen. Sie liefen nach Tische an einem 592 andern Orte, und die Sieger und Siegerinnen erhielten frisches, oder gesalzenes Fleisch. Aus ähnliche Weise fanden Wettrennen, Ringen, Fechten, Ringelstechen und andere heitere Übungen in Verona und Mailand statt, wo man im Freien lagerte, oder Zelte errichtete und Tanz, Gesang und Schmausereien hinzugesellteCarli Verona III, 25.  Giulini zu 1250 und öfter.. Selbst Ezelin, welcher die Lustigsten für ungefährlich hielt, begünstigte Feste dieser ArtVerci Ecel. II, 242.  Martin. da Canale 90.. In Venedig galt die Vermählung mit dem adriatischen Meere für eines der wichtigsten; in Viterbo entstand die sogenannte Gesellschaft der Fröhlichen, welche 1209 in Gegenwart Innocenz des dritten einen Baum der Fortuna errichtete, und den besten Kletterern Preise zubilligteBassi 114.  Nicola di Tuccia 273.. Siena stiftete 1260 zum Andenken des über die Florentiner erfochtenen SiegesSanese chron. 30., Wettkämpfe wo ein gerüsteter Mann, den heiligen Georg vorstellend, einen andern bezwang, der als Drache verkleidet war und die Feinde der Stadt bedeutete. Im Jahre 1214 erbaute man in Padua eine Burg, und besetzte sie mit Frauen, Jungfrauen und Dienerinnen, welche ohne Hülfe irgend eines Mannes die Vertheidigung übernahmenMonach. Patav. I, 13.  Dandolo 338.  Sanuto vite 538.. Statt der Rüstung diente Schmuck von Gold und Edelsteinen, und als Schutzmittel waren rings umher aufgespannt und aufgehangen: einfarbige und bunte Zeuge, Zindel, Purpur, Sammt und Hermeline. Der gewaltige Angriff auf diese starken Befestigungen erfolgte durch das Wurfgeschütz der Äpfel, Birnen, Quitten, Datteln, Muskatennüsse und kleinen Torten; man stürmte bewaffnet mit allen Arten von glänzenden BlumenEin durchaus ähnliches Fest ward 1214 in Treviso gefeiert.  Burchelati 577.; man übergoß die tapfern Vertheidigerinnen nicht mit Pech und kochendem Schwefel, sondern mit Rosenwasser und dem duftenden 593 Geiste von Ambra, Zimmt und Gewürznelken. Zuletzt siegten zwar die Männer, aber die Frauen und Mädchen schrieben dennoch die Bedingungen vor, womit beide Theile zufrieden waren, bis zum Verdruß der paduanischen Männer herauskam, daß die theilnehmenden Venetianer auch Dukaten und andere kostbare Dinge in die Festung geworfen und sich dadurch gar zu sehr bei den Frauen in Gunst gesetzt hatten. Ja dieser Umstand wurde Veranlassung eines spätern Krieges.

Drei Tage dauerten in Pavia die jährlichen Scherzkämpfe, wo die ganze Stadt sich in zwei Theile theilte und mit hölzernen Waffen gegen einander focht. Selbst die heiligen Aufzüge, welche die Obrigkeit und die Zünfte anführten, hatten ihre erheiternde SeiteAnon. de laud. Pap. c. 13-16.. So trugen die Vogelsteller einen Baum, in dessen Zweigen unzählige Vögel hingen, die Gastwirthe ein Haus von Backwerk; beides wurde der Jugend vor der Kirche preis gegeben. Auf den roth gefärbten Wachskerzen waren die Abzeichen der Zünfte, ihre Wappen u. a. m. zierlich gemalt; oder diese wurden auch wohl selbst, reichlich geschmückt vorausgetragen. Am Johannistage grub man auf beiden Seiten der Hauptstraße sehr viele Bäume ein, zündete sie an und die Bürger zogen mit Musik durch diese Freudenfeuer hindurch nach einer Anhöhe, wo der Podesta oder die erste obrigkeitliche Person, eine Rede zum Lobe Pavias hielt. Am Pfingstfeste warf man von den Dächern mehrer Kirchen, besonders der Hauptkirche, in das Innere derselben Rosen, Früchte, Kuchen u. dergl. hinab, die an sehr leichten, brennend umherfliegenden Spänen befestigt waren und um welche die Jugend sich jagte. In dem Augenblicke aber, wo sie dieser oder jener Beute sicher zu seyn glaubte, ließ man plötzlich von allen Seiten angezündetes Werg auf die Köpfe hinabfliegen, wodurch der lustige Lärm und die scherzhafte Verwirrung auf den höchsten Gipfel getrieben wurde.

594 Schon damals hielten sich mehre Herrscher, z. B. Kaiser Heinrich VI, König Heinrich III von England u. a. Hofnarren, denen gar mancherlei erlaubt, bisweilen aber doch einzelnes übel genommen wurdeRich. S. Germ. zu 1196.  Salimbeni 337.. So sagte der Narr König Heinrichs zu ihm: er gleiche sehr an Christus. Erfreut fragte der König: warum? und jener gab zur Antwort: Christus war bei der Geburt so klug wie im dreißigsten Jahre, und mein Herr König ist jetzt auch eben so klug als wie er geboren wurde. Zornig befahl der König den Narren aufzuhenken, aber die Diener schwenkten und prellten ihn bloß tüchtig hin und her und ließen ihn dann laufen. Eben so schlimm ging es einem Spaßmacher bei der Hochzeit des Herrn von Ardres mit der Frau von AalstLudwig. reliq. VIII, 544.. Er versprach das größte Faß Bier im Keller ohne Unterbrechung auszutrinken, wenn ihm der Herr ein Pferd schenke und erlaube gleichzeitig zu pissen. Es gelang und stolz verlangte er seinen Lohn; aber jener ließ ihm statt des Pferdes (equus) die Folter (equuleus) geben. So galt manches damals für witzigen Scherz, was jetzo wohl nicht als solcher anerkannt werden dürfte, und manches als Roheit, was heut zu Tage keineswegs in diesem Lichte erscheint. Wie vielen würde es z. B. jetzt wie Robert von Brac ergehen, über den Thomas Becket den Bann aussprach, weil er seinem Pferde den Schwanz abgeschlagen hatteRoger Hoved. 521.; und (um noch höher gestellte Personen zu erwähnen) welchen Anstoß gäbe ein königliches Testament wie das von Richard Löwenherz, der den Einwohnern von Poitou, die ihn einst beleidigt hatten, seinen letzten StuhlgangStercora sua.  Math. Par. 137. vermachte.

 
4) Vom Ritterwesen.

Alles was wir zeither im einzelnen über Sitten, 595 Gebräuche, Feste u. dergl. mittheilten, findet einen eigenthümlichen Mittelpunkt, eine festere Haltung und tiefere Bedeutung in dem RitterwesenIm allgemeinen verweisen wir auf S. Palaye und Büschings Ritterzeit und Ritterwesen.. Dessen Ursprung ist nicht an einer bestimmten Stelle, oder in einer stark hervortretenden Thatsache nachzuweisen; sondern sowie sich das Lehnswesen und der Adel anfangs unbemerkt und allmählich entwickelte, so auch das Ritterthum. Manchen Völkern fehlt es ganz, bei andern tritt es nur als unvollkommene Nachahmung hervor; in den germanischen Völkern hat es die höchste Vollendung erreicht, obgleich die Eigenthümlichkeit jedes einzelnen auch hier nicht zu verkennen ist.

Die in jenen Jahrhunderten überwiegende, itzt nur zu sehr in den Hintergrund tretende Neigung für genossenschaftliches Verband, zeigt sich auch bei dem Ritterwesen. Wir finden, gleichwie bei den Handwerkern, ja bei den Gelehrten, eine Stufenfolge von Würden und eine Vereinigung zu engerer und geschlossener Gesellschaft. Von der ersten Stufe des Edelknaben, welcher an kaiserlichen und königlichen Höfen1157 schickte z. B. der Herzog von Böhmen seine Vettern: ut decet in curia imperatoris nutriendos.  Bohem. chron. 63.  Siehe Hohenst. Band I, S. 326 und Band II, S. 9., behufs trefflicher Ausbildung gern angenommen wurde, ging man, nicht ohne religiöse und andere Feierlichkeiten in die des Knappen über, welcher durch Darreichung eines Schwertes wehrhaft gemacht, und zu mannigfachen Geschäften gebraucht wurde. So zu dem Aufwarten bei Tische, Überreichung des Waschwassers an hohe Gäste, Führen der Handrosse, und auf diese Weise stieg man allmählich bis zu den freien Übungen der Ritter hinan.

In der Regel wurde der Knappe im einundzwanzigsten Lebensjahre durch den Ritterschlag zum Ritter erhoben; doch finden wir auch mehre Beispiele von frühern und spätern Verleihungen. Der Sohn des Fürsten von Antiochien, den 596 Ludwig IX im Morgenlande zum Ritter schlug, war sechzehn Jahre altJoinville 98.  Du Fresne ad Joinville 49.; Philipp August hingegen ward erst Ritter an seinem Hochzeittage; Konrad IV nach dem Tode seines VatersConradi catal. imper. zu 1197.  Petr. Vin. III, 20., Wilhelm von Holland nachdem man ihn zum König erwählt hatte. Dieser stellte sich vor dem päpstlichen Gesandten und antwortete ihm auf die Frage: was ein Ritter seyn müsse? freigebig, tapfer, höflich, standhaft im Unglück u. s. w.Belg. chron. magn. 266. – 1216 ward die Kaiserinn Konstanze ehrenvoll in Bologna aufgenommen und al suo partire della città, fece tre cavalieri.Ghirard. I, 119.  Dasselbe that 1224 König Johann von Jerusalem: per le loro buone qualità furono giudicati degni di tal prerogativa.  Ghirard. I, 142.. Hierauf theilte man dem Könige die Gesetze des Ritterstandes mit: er solle täglich Messe hören, für die Kirche kämpfen, Wittwen, Waisen und Unmündige beschützen, ungerechten Krieg vermeiden, bösen Sold zurückweisen, für die Befreiung jedes Unschuldigen den Kampf übernehmen, Turniere nur der bloßen Übung halber besuchen, dem Kaiser und seinen Bevollmächtigten in weltlichen Dingen gehorchen, den Staat unverletzt erhalten, kein Reichslehn veräußern und tadellos vor Gott und Menschen leben. Wilhelm beschwur diese Gesetze, indem er seine Hände auf das Meßbuch legte, und der König von Böhmen nahm ihn nunmehr durch einen Schlag an den Hals zum Ritter auf indem er erinnerte, daß Christus geschlagen, gegeißelt und gekreuzigt worden und es Pflicht sey, für ihn jegliches zu dulden. Dreimal rannte itzt Wilhelm zur Darlegung seiner Geschicklichkeit mit dem Sohne des Königs von Böhmen auf Lanzen, dann folgte ein Schwertkampf, endlich Beifallsgeschrei, Musik und dreitägige Gastereien.

Man sieht leicht, daß diese Feierlichkeiten bloß in außerordentlichen Fällen statt finden konnten und einiges nur für einen neugewählten König Sinn hat; doch wählte man zu 597 dem Ritterschlage, welcher oft vielen auf einmal ertheilt wurde, gewöhnlich feierliche Gelegenheiten1244 schlug Graf Raimund von Toulouse auf einmal 200 Ritter.  Hist. de Langued. III, 529., Festtage, Krönungstage u. dergl. und ließ Fasten, Beichte und Gottesdienst vorhergehn; bisweilen erfolgte der Ritterschlag aber auch ohne alle Vorkehrungen mit flachem Degen auf die Schulter, wobei erinnert wurde: dieser Schlag sey die letzte Beleidigung welche man geduldig ertragen rnüsseMaffei scienza 176.. Amalrich, der Sohn des Grafen Simon von Montfort, wurde von seinen Ältern zum Altare geführt und durch die Bischöfe van Orleans und Autun mit der ritterlichen Binde umgürtetHistor. Albig. c. 70.. Dies Verfahren wird aber als merkwürdige Ausnahme erzählt, weil der Jüngling die Bestimmung hatte, wider die Albigenser zu fechten; in der Regel mußte der die Ritterwürde Ertheilende selbst ein Ritter seyn. Natürlich empfing man dieselbe am liebsten von Königen und Fürsten, welche dabei Geschenke austheilten; während man in andern Fällen die sonst sehr gesuchte Würde ablehnte, nicht bloß um Pflichten zu entgehn, sondern auch um Ausgaben zu sparenZ. B. siehe Mon. boica XI, 179.. Daher gebot Graf Balduin von Flandern und Hennegau: die Söhne von Rittern, welche bis zum fünfundzwanzigsten Jahre nicht den Ritterschlag erhalten hätten, sollten in mancher Hinsicht wie Bauern betrachtet und behandelt werdenMartene thes. I, 766 zu 1200..

Nicht jeder aus dem Volke galt für ritterfähig, und Kaiser Friedrich I setzte ausdrücklich zur Erhaltung der Würde des Adels fest: die Söhne der Priester, Oberhelfer und Bauern dürfen sich der ritterlichen Würde nicht anmaaßen und werden im Fall der Übertretung vom Landrichter dafür gestraftUrsp. chron. 316.  Meichelb. hist. Fris. I, 2, 568.. Natürlich aber blieb den Königen das Recht 598 jeden einzelnen wegen Verdienste zu adelnBohem. chr. c. 65.  Hohenst. Band II, S. 29., und selbst Wladislav von Böhmen übte es im Jahre 1158, als sich einer seiner Leute beim Übergang über die Adda sehr auszeichnete. Doch war Adel und Ritterstand nicht durchaus dasselbe, und noch weniger das Recht beides zu ertheilen; auch nahm die Sache eine andere Gestalt an in monarchischen Staaten und eine andere in Republiken. So ertheilte der Podesta von Genua mehren die RitterwürdeBarthol. zu 1227., wahrscheinlich ohne Rücksicht auf Geburt, und zu 1260 heißt esLami deliz. VI, 306.: folgende wurden von der florentiner Gemeine (comune) zu Rittern (cavalieri) erhoben, mit allen den Rechten und Freiheiten welche denselben gebühren. – Noch zur Zeit Konrads IV meinte manEichhorn II, 545., in der Regel könnten nur Rittersöhne Ritter werden: allmählich aber ward einzelnen, nicht völlig freien Männern erlaubt in diesen Stand einzutretenHüllmann Gesch. d. Stände II, 310.; so daß derselbe gewissermaaßen das Bürgerthum mit dem Adelswesen vermittelteUrsprünglich begründete in der Provence die Freiheit den Adel, später der Besitz von Lehn, und das Ritterthum vermittelte endlich den Übergang.  Hist. de Lang. III, 530. Eine Urkunde von 1298 bezeugt: daß in dem Bezirke von Beaucaire und in mehren Theilen der Provence, Bürger von Adlichen oder auch von Prälaten die Ritterwürde, Wappen und Waffen seit unvordenklicher Zeit ohne Befragung der Fürsten angenommen hätten.  Ebend. preuv. 370.. Der Hochadliche mußte die Ritterwürde so gut erwerben, als jemand von niederem Adel, und selbst der ritterfähige Dienstmann ging, sobald er den Ritterschlag empfangen hatte, dem Knappen von hoher Geburt vor. Mithin schmolz die Ritterschaft den Dienstmannsadel mit dem höhern Adel zusammen, bis sich dieser, zur Landherrschaft übergehend, in anderer Beziehung wieder aussonderte. Alle Ritter standen untereinander völlig gleich; das Persönliche erhielt also auf sehr geschickte Weise einen 599 ungemein großen Werth neben dem mehr Sachlichen und Ererbten. Als Herrscher fanden aber die Könige in diesem merkwürdigen Verhältnisse großen Gewinn: denn es stellten sich ihnen itzt ganz andere Männer und Kämpfer zur Seite, als wenn der alte Lehnsadel auf seinen Gütern ohne Auferweckung durch die persönliche Ritterschaft, verkommen und eingeschlafen wäre.

Richard Löwenherz und Friedrich II schlugen edle Saracenen zu RitternVinisauf V, 12.  Joinville 37. Gesch. der Hohenst. Band IV, S. 300.; Ludwig IX hingegen glaubte die Bekehrung zum Christenthume verlangen zu müssen. Und in der That so veredelt das arabische Ritterthum, im Gegensatze alter, Rache gebietender Einrichtungen, auch war, so freigebig, wohlthätig und großmüthig einzelne sich auch zeigtenWiener Jahrb. VI, 1819, 249.: immer krankte das Verhältniß zu den Frauen an der Vielweiberei, und der Stolz wurde durch die muhamedanische Religionslehre eher befördert, als gebeugt und gebrochen.

Der Ritter trug einen Panzer und unter demselben ein ledernes Koller, oder ein mit Flachs, Hanf u. dgl. gefüttertes Wamms; über demselben einen glänzenden, mit seinem Wappen bezeichneten Waffenrock. Statt des eisernen Panzers finden wir bisweilen einen Maschenpanzer, oder ein Panzerhemde. Der eiserne Helm war inwendig, um den Druck zu mildern, stark gefüttert. Die Waffen bestanden aus Lanze, Schwert, Kolben, Streithammer oder Streitaxt und in einem Schilde, das gewöhnlich von Holz, aber mit einem eisernen Reifen und einem meist ledernen Überzuge versehen war. Auch die Pferde waren mehr oder weniger geharnischt, und über die Sättel oft eine große, geschmückte Pferdedecke gehangen.

Am ergötzlichsten trat das Ritterthum in den zahlreichen Turnieren hervor, deren Ursprung man in jeder frühern Leibesübung, jedem Kampfspiele aufsuchen kannSchon bei einer Zusammenkunft Karls des Kahlen und Ludwigs des Deutschen fanden in Straßburg Wettkämpfe statt, desgleichen erwähnt Wittekind von Korvei der Kriegsspiele. In Frankreich soll ums Jahr 1066 Gottfried von Preuilly zur weitern Ausbildung derselben beigetragen haben.  Dufresne zu Joinville 166.  Um 1100 wurden schon Knappen zu Rittern erhoben.  Schlieffen 73, 141.; 600 die aber erst im zwölften Jahrhundert eine bestimmtere Gestalt annahmen, und bald in allen Theilen des Abendlandes großen Beifall fandenNach Italien kamen die Turniere in der Mitte des zwölften Jahrhunderts und zwar aus Deutschland.  Sigon. hist. Bonon. 57.  Ghirard. I, 77.  1164 hielt man zu Ehren Friedrichs I in Faenza giostre e torneamenti a piedi e a cavallo.  Tonduzzi 198.  Ähnliche Ritterspiele in Bologna zu 1198 und 1212, wobei schon einzelne umkamen.  Ghirard. I, 106, 116.  Karl von Anjou begünstigte die Turniere.  Murat. ant Ital. II, 835.  Im Jahre 1272 kamen sechs Ritter aus dem Friaul nach Venedig und forderten zu Wettkämpfen auf. Sie waren ganz gewappnet und man kämpfte nach eingeholter Erlaubniß des Doge mit Lanze und Schwert.  Martin. da Canale 119.. Durch feierliche Ausschreiben und Berufungen wurden die Ritter eingeladen, und schon am Abende vor dem eigentlichen Beginnen des Kampfspieles, fanden Vorkämpfe, Gefechte, besonders unter den Knappen statt, welche ihre Meisterschaft am folgenden Tage darthun und Ritter werden wollten. Gewisse Ehrengesetze wurden streng beobachtetDufresne zu Joinville 170.  St. Palaye I, 55.: z. B. man durfte sich nicht an den Sattel festbinden lassen, keine scharfen Lanzen und nur die Schneide, nicht die Spitze des Schwertes gebrauchen; man sollte das Pferd des Gegners nie verwunden und den Kampf enden sobald er den Helm abnahm u. s. f. Jeder strebte sich durch die Pracht seiner Rüstung und Kleidung, die Stärke und Schönheit seines Pferdes auszuzeichnen, und Sammt, Seide, Hermelin, Zobel, Zindel, Silber, Gold u. dergl. wird häufig erwähnt. Die ausgesetzten Preise waren sehr verschiedenLichtenstein Frauendienst 40.. So ließ Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meißen zu einem Turnier nach Nordhausen 601 einladen, wo ein Baum mit goldenen und silbernen Blättern errichtet seyAnnal. Vetero-Cell. 405.: wer die Lanze seines Gegners breche, erhalte ein silbernes, wer ihn aus dem Sattel hebe, ein goldenes Blatt. Auf dem 1225 in Siena gehaltenen TurniereSanese chron. 23. war der erste Preis ein schönes, ganz mit Seide und einer stählernen Rüstung bedecktes Pferd; der zweite ein Helm mit dem Wappen Sienas geziert; der dritte ein Schwert und ein Paar Stahlhandschuh.

Man kämpfte entweder Mann gegen Mann, oder man buhurdirte in ganzen Schaaren. Beide Weisen hatten ihren eigenen Reiz, und wurden laut gepriesen; während Widersacher der Turniere behaupteten: daß gar viele Ritter dabei nutzlos und thöricht Leben und Gesundheit einbüßten, Unruhen und Verschwörungen angezettelt würden und Feuersbrünste entständen, welche als bestimmte Strafen des Himmels zu betrachten wärenAlbert. Stad. Godofr. mon. zu 1234.  1268 kam der Markgraf von Brandenburg, 1290 der Herzog von Baiern um.  Lambert. addit. Pappenh. Fürstenfeld. Anon. 1229 Verschwörung auf einem Turniere gegen Heinrich III von England.  Rymer Foed. I, 1, 103. – 1222 Brand in Botzen.  Salisb. chr.. Im Jahre 1177 kamen in Sachsen sechzehn Ritter, und im Jahre 1241 auf einem einzigen Turniere zu Nuys bei Köln, sechzig Ritter ums LebenAnnal. Vetero-Cell. 394.  Alberic. 578.  Belg. chron. magn. 244.. Bisweilen starben einzelne nicht an Wunden, sondern erstickten vor Hitze in ihrer schweren Rüstung, oder es entstand aus Eifersucht ein ernstlicher KampfWaverl. ann. zu 1241.. So zeigte die Gräfinn von Klermont auf einem Turniere im Jahre 1234 Vorliebe für den Grafen Florenz von Holland; ihr Gemahl griff diesen an, sie tödteten sich wechselseitig und die Gräfinn starb bald nachher an Gram und KrankheitBelg. chron. magn. 250.  Corner 880.. Deshalb verboten die Päpste auf mehren Kirchenversammlungen alle Turniere, und ihre Gesandten oder große 602 Kirchenlehrer wie Bernhard von ClairvauxMath. Par. 95.  Rymer foed. I, 1, 83.  Concil. XIII, 694, 955.  Maledicta torneamenta.  Bernh. Clarav. epist. 376., wiederholten und bestärkten ihre Befehle in allen Ländern, den Kampf gegen die Ungläubigen im Morgenlande als das höhere Ziel ritterlicher Tapferkeit darstellend. Schon 1130 lautet das Verbot der unter Innocenz II gehaltenen lateranischen VersammlungConcil. XII, 1447, 1465.  Non militia, se plane malitia.  Bernh. Clarav. epist. 363, 427.: »wir untersagen jene verabscheuungswürdigen Zusammenkünfte und Feste, wo die Ritter sich auf ergangene Ladung einfinden und kämpfen, um prahlerisch ihre Kräfte und verwegen ihre Kühnheit zu zeigen, woraus Todschlag für Menschen und Gefahr für die Seelen entsteht.« – Kein im Turnier Umgekommener erhielt Begräbniß in geweihter Erde; so daß Frauen wohl nach Rom pilgerten um vom Papste Aufhebung dieses Gesetzes zu erflehen. Als im Jahre 1175 der Bruder des Markgrafen von Meißen an den Folgen einer im Turnier erhaltenen Wunde starb, bannte der Erzbischof Wichmann von Magdeburg alle Theilnehmer und verstattete nicht daß der Leichnam begraben werdeBanzens. coenob. orig. 48.  Chron. mont. ser. zu 1175.. Vielmehr mußten seine Brüder flehentlich für ihn bitten und durch einen Priester beschwören lassen, daß er vor seinem Tode gebeichtet und die Lossprechung erhalten habe; sie mußten schwören keinem Turniere mehr beizuwohnen und keines in ihren Besitzungen zu gestatten; sie mußten durch einen Ritter des Papstes Erlaubniß zur Beerdigung aus Rom holen lassen. Desungeachtet konnte die Kirche mit ihren Vorschriften nicht durchdringen: selbst Äbte besuchten die Turniere, und zur Zeit Innocenz IIIInnoc. epist. I, 291; IX, 197; X, 74. wollten die gebannten Ritter weder das Kreuz nehmen noch Geld zum Kreuzzuge zahlen, wenn man ihnen ihr Lieblingsvergnügen untersage. Der Papst befahl hierauf, nachsichtiger und den Umständen angemessen zu verfahren. Wenn die Pilger 603 sogar in Palästina Turniere wiederfanden, wie hätte man sie in Europa ausrotten könnenNicet. Chon. III, 3..

Die weltliche Obrigkeit theilte bisweilen jene Ansicht der Kirche. So wollte der Podesta, als Ulrich von LichtensteinUlrich v. Lichtenst. 88. nach Treviso kam, kein Turnier gestatten, obgleich Männer und Frauen darum baten; und auch Heinrich II von England duldete sie nicht, weshalb Liebhaber derselben aufs feste Land gehn mußten, bis Richard Löwenherz sie nach seiner Rückkunft vom Kreuzzuge aus innerer Neigung und als Vorübungen zum französischen Kriege beförderteWikes chron. zu 1267.  Bromton 1161.  Guil. Neubr. V, c. 4.  Hemingf. II, 74.  Sanut. 202.. Zu gleicher Zeit behandelte er die Turniere aber auch, gegen ritterliche Gewohnheit, als Geldquelle. Für die Erlaubniß ihnen beizuwohnen mußte der Graf zwanzig Mark Silber zahlen, der Baron zehn, der Ritter welcher Land besaß vier, ein anderer Ritter zwei MarkSinclair I, 96.  Du Fresne zu Joinv. Diss. VI, 167.. Geringere Personen waren ausgeschlossen. König Karl von Ungern gab 1319 einem Edelmanne drei Dörfer, weil er diesem bei einem Turniere drei Zähne eingeschlagen hatteEngel II, 20..

Noch strenger als Turniere, verbot die Kirche Zweikämpfe; aber auch hier trat bald der Gerichtsbrauch, bald die Neigung der Laien entgegen. Als indeß Ludwig VI im Jahre 1110 den König von England herausforderte, antwortete dieser nur mit einem ScherzeVelly III, 41.. Besonders lebhaft erklärte sich Bernhard von ClairvauxBernh. epist. 39, 376. wider jenen Mißbrauch, und vielleicht auf seine Veranlassung befahl Graf Theobald von Champagne, Übertretern des ergangnen Verbotes die Augen auszustechen. Freunde und Bekannte vermieden nicht allein Zweikämpfe, sondern auch bei Turnieren zu entgegengesetzten Schaaren geordnet zu werden; und als dies einst dennoch dem Grafen Gerwik von 604 Bolmuntstein und dem Markgrafen Theobald von Vohburg widerfuhr, so nahmen sie andere Waffen und Abzeichen um sich nicht zu treffen. Dennoch verwundete Gerwik Theobalden durch einen unglücklichen Zufall gar schwer; worauf jener reuevoll in ein Kloster ging und dieser, durch Ehe und Amt von einem ähnlichen Schritte abgehalten, wenigstens ein Kloster gründeteWaldsass. chron. 54.  Hochwart 187..

Ein Hauptunterscheidungszeichen der Familien und Ritter wurden die Wappen, welche seit dem Anfange der Kreuzzüge immer häufiger gebraucht wurden. Verwandt damit sind die Abzeichen welche Städte, Stadtviertel, Parteien, Heeresabtheilungen, Schiffe u. a. m. sich beilegten, oder beilegen ließen. So erhielt z. B. 1250 in Florenz jedes Stadtsechstel ein WappenMalespini 141, 145, 176.  Dandolo 365.  Wappen der Stadt und der Konsuln von Neapel, 1190 einer Urkunde beigefügt.  Brenckmann de rep. Amalf. 921.  Die Memor. di Lucca III, 28, bezeichnen die rothe Lilie als Wappen der Guelfen, den schwarzen Adler als Wappen der Ghibellinen.; Klemens IV erlaubte den florentinischen Guelfen seine Waffen in Fahne und Siegel zu tragen; um dieselbe Zeit enthielt ein Vertrag zwischen Venedig und Pisa, Bestimmungen über die Fahnen und Abzeichen der Schiffe. Ward jemand in den Adelstand oder zu einer höhern Würde erhoben, so pflegte man ihm ein Wappen beizulegen. So erhielt einer der zur Zeit Friedrichs I allen voran durch die Adda schwamm, ein weißes Schild mit einer quer hindurch gehenden, den Fluß andeutenden LinieChron. Bohem. in Ludw. XI, 276.  Zusätze zum pirnaischen Mönch 275.  Lünig Reichsarch., cont. I, von kaiserl. Erblanden Urk. 133.; ein anderer welcher zuerst die Mauer Mailands erstieg, eine goldene Leiter in gelblichem Felde; so soll Kaiser Lothar dem neuen Landgrafen von Thüringen, Kaiser Friedrich dem neuen Herzoge Bernhard von Sachsen und dem zum König erhobenen Herzoge von Böhmen ein anderes Wappen gegeben haben.

605 Bisweilen änderten Familien ihr Wappen zum Andenken einer wichtigen Begebenheit, oder um Verwechslungen mit anderen Häusern vorzubeugenRamnus. 54.  Dandolo 331.. In früherer Zeit ward nicht jedes Wappen sogleich auch als Siegel gebraucht; ja Wappen- und Siegel-Recht war insofern verschieden, als das letzte nur dem zustand, der von andern unabhängig, nicht Dienstmann oder minderjährig war und Urkunden ausstellen konnteEichhorn II, 894.  Schlieffen 153. Scheidt vom Adel 221.. Oder das Haupt der Familie hatte allein Siegelrecht; während verschiedene Glieder der Familie verschiedene Wappen hatten. Als Ausnahme muß man es wohl betrachten, daß im Jahre 1237 zwei jüdische KammergrafenComites Camerae  Meichelb. hist. Fris. II, 2, Urk. 35. des Herzogs von Österreich ihr besonderes Siegel führten.

Das Wappen der Hohenstaufen war in früherer Zeit ein aufrechtstehender LöweDen Löwen führten auch die von Rechberg und von Staufeneck, welche in der Nähe wohnten und vielleicht Zweige eines Urstammes oder doch verwandt sind (nach Untersuchungen des Herrn Pfarrers Rink). Aber auch die Zäringer und wohl noch andere Geschlechter hatten den Löwen erwählt, nur anders stehend, springend u. s. w.  Schöpfl. hist. Zar. Bad. I, 195.; später führten sie wohl den Reichsadler und insbesondere Friedrich II im goldenen, König Manfred aber im silbernen FeldeMalespini 148.  Inveges Palerm. nob. 14-15.  Gatterer in Comm. Gott. 1790, p. 228.. Das Majestätssiegel des Kaisers stellte ihn sitzend dar; das kleinere (mit welchem im Auftrage des Kaisers auch Pfalzgrafen, kaiserliche Städte und Richter siegelten) war ein einfacher Adler.

Die Wappen als Unterscheidungszeichen im Heere mögen älter seyn, als die Geschlechtsnamen. Doch wurden diese seit dem eilften Jahrhundert immer häufigerMöser osnabr. Gesch. II, 133.  Murat. antiq. Ital. III, 721, 774.  Gallo ann. II, 21.  Westenrieder Beitr. IX, 198., 606 ja manche venetianische Familie führte sie seit der ältesten Zeit und die Porci in Sicilien leiteten schon im zwölften Jahrhunderte ihren Stamm von den Katonen ab. Die Geschlechtsnamen wurden hergenommen vom Geburtsorte, Besitzungen, Würden, BeschäftigungenMurat. antiq. Ital. III, 792-801.  Hüllmann Gesch. d. Stände II, 275.  Möser osnabr. Gesch. II, 133.  Nicht immer waren die Namen zierlich und poetisch. Butterkratz aus Nürnberg (Fantuzzi IV, 47) lautet immer noch besser als die sehr zahlreichen italienischen Namen welche mit Caca zusammengesetzt waren. So z. B. Caca-in fumo, in sacco, in forno, in banca, in campo, in arca, in basilica; caca-brosema, paglia, rabbia, tossico, miglio, lancia, noci, danari.  Antich. Long. Milan. II, 296.  Affò Parma III, 312. – Im zwölften Jahrhundert waren in Languedok selbst bei dem Adel noch keine festen Namen allgemein gebräuchlich.  Hist. de Lang. II, 513., körperlichen und geistigen Eigenschaften, Fehlern u. dergl. Sie lauteten mannichmal gar übel, und auch die altdeutschen Taufnamen verdienen nicht ohne Ausnahme Empfehlung. Niemand wird z. B. seine Tochter, Hemme, Jepe, Prisel, Wilwirk, Chunze, Jutze, Hetze, Metze nennen wollen; wir geben indeß einige bessere Proben. Männlich sind: Bruno, Hadamar, Gero, Hartmod, Sigebod, Ortolf, Berno, Erwin, Gutwin, Krafto, Dudo, Herewart, Rabodo, Gyso, Gozzo u. a. m. Weiblich sind: Guthilde, Ida, Ottilie, Kunigunde, Helwibis, Friderun, Dankmod, Richenza, Irmengard, Demudis, Algardis, Herlinde, Gisela, Helenburgis, Albrada, Irmintrude, Ella, Richelde, Emma, Leukardis, Helika, Hildegard u. a.

Nach dieser kurzen Abschweifung wenden wir uns wieder zum Ritterwesen. Daß dem Ritter oblag die Vorschriften des Christenthums zu erfüllen, haben wir bereits bemerkt; vor allem aber ward er zur Demuth und Milde hingewiesen, zwei Tugenden, welche ohne stete Einschärfung, bei kriegerischem Leben nur zu leicht verloren gehen. Und je kräftiger, gewaltiger die Zeit war, desto nothwendiger und 607 heilsamer das bestimmte Hinweisen auf den höhern Werth jener christlichen Tugenden. Im Äußern zeigte sich die Verbindung des Ritterthumes und der Religion hauptsächlich bei den Kreuzzügen und den großen Ritterorden, welche letzten die geistliche Thätigkeit eben so hoch stellten als die kriegerische, und aus dem Zustande der Vereinzelung in eine so feste und wohlgeordnete Genossenschaft traten, daß Ansehn, Macht und Reichthum nicht ausbleiben konnten. – Vor allem trugen die Päpste durch Freibriefe aller Art dazu bei, diese Orden emporzubringen; sie wirkten aber auch nicht minder ernst gegen Anmaaßungen, Streit und Ungebühr, welche sich theils innerhalb derselben zeigten, theils durch ihre Stellung zu den Prälaten und Fürsten entstanden. Nächst den Templern und Johannitern, von denen wir bereits das Nöthige beigebracht habenInsbesondere Band II, Hptst. 3.  Doch mögen hier noch einige Zusätze Platz finden. Die Kirchen der Templer sind frei von Abgaben, (Urk. Alexanders IV von 1255 im Archive von Stuttgart) sie zahlen von den Gütern die sie bis 1216 erworben, keinen Zehnten, wohl aber von den später erhaltenen, sofern sie sich darüber nicht mit den Kirchen vergleichen. (Reg. Honor. III, Jahr III, Urk. 234). Sie sollen die allgemeinen Vorschriften über Bann und Interdikt achten, sofern sie vom Papste ausgehn oder bestätigt sind, sie sollen keine Wucherer auf ihren Gottesäckern begraben, sich untereinander lieben und vertragen, und nicht mit andern Orden über Kleidung oder ähnliche Kleinigkeiten zanken. (Rymer foed. I, 2, 9.  Reg. Greg. IX, Jahr IV, S. 245.  Giulini VII, 582.  Innoc. III epist. X, 121). Sie dürfen in Sachen des Ordens Zeugniß ablegen, und sind nicht verpflichtet Prälaten nebst deren Dienstleuten zu beherbergen. Die Aufnahme in den Orden erfolgt unentgeltlich. (Rymer foed. I, 1, 102; I, 2, 11.  Hist. des Templ. I, 235, 265.). Sie erwiesen Pilgern oft Freundschaft, wofür diese nach ihrer Rückkunft den Orden reich beschenkten, er besaß, selbst nachdem Friedrich II ihm so manches abgenommen, im Jahre 1240 noch 7000 Güter (domosAlberic. 224.  Miraei op. diplom. II, 1191, Urk. 80). – Ähnliche Bestimmungen finden sich über die Johanniter. Im Jahre 1212 bestätigte ihnen Innocenz III allein 130 Besitzungen nebst Zubehör in Irland, und im Jahre 1240 hatten sie 3500 Kapellen (Alberic. 223.  Innoc. epist. XIII, 133). Ohne Erlaubniß sollten sie nicht in den Orden der Cistertienser treten, oder diese in den ihrigen aufnehmen. (Inn. epist. XI, 178.  Reg. Hon. III, Jahr V, Urk. 275). Es fehlte nicht an Klagen über die Johanniter. So bannte Gregor IX einige: clerici et laici fratres Hospitalis pro violenta injectione manuum in seipsos et alios clericos saeculares; und an einer andern Stelle heißt es: aliqui ordinis gestant habitum, ordinem mendaciter profitentur, vitam detestabilem ducunt. Capi faciatis eosdem, et severitate debita castigetis. (Reg. Greg. IX, Jahr VI, Urk. 34, 36). Sie vertheidigten sich indeß, gleich den Templern, gegen solche Vorwürfe. (Reg. Honor. III, Jahr III, Urk. 131). Bei der Einnahme von Akkon ging ihre alte Regel und die päpstliche Bestätigung verloren. (Monast. Angl. II, 493). Noch 1191 ward ein Ritter, Robert von Brügge, der die Reihen wider den Befehl des Großmeisters verließ und einen heldenmüthigen Kampf mit einem Türken siegreich endete, dennoch dafür, den Ordensgesetzen gemäß, bestraft. (Vinisauf V, 51)., waren die deutschen Ritter die angesehensten und mächtigsten; ja durch die Eroberung Preußens bekamen sie einen festern und zusammenhängendern Landbesitz, als die beiden erstgenannten Orden jemals zu erwerben im Stande waren. Schon bei der Stiftung, 608 zur Zeit der Belagerung von Akkon, erhielten sie eine den Tempelherrn ähnliche RegelHenning Statuten., welche aber durch ihren trefflichen Großmeister Hermann von Salza weiter ausgebildet und vervollständigt wurde. Mit den kriegerischen Einrichtungen der Tempelherrn verbanden sie milde Stiftungen und Krankenpflege nach Weise der Johanniter. Kinder unter vierzehn Jahren wurden nicht in den Orden aufgenommen. Über Ämter, Würden, Kriegszucht, Waffen, Jagd, Essen, Fasten, Kleidung, Strafen u. s. w. finden sich die genausten Vorschriften. Zur Wahl des Großmeisters versammelten sich die Komthure, und jeder brachte den Tauglichsten unter den Brüdern mit. Dreizehn Wähler wurden fast eben so erkoren wie bei den TempelherrnHohenst. Band I, S. 490.; darunter ein Priester, 609 acht Ritter und vier dienende Brüder. Ihnen wurde vorgehalten: von der Wahl eines guten Hirten und Oberhauptes hange ab die Ehre des Ordens, das Heil der Seelen, die Kraft des Lebens, der Weg der Gerechtigkeit und die Behütung der Zucht. Warfen die Wähler das Auge auf einen der ihrigen, so schied er aus und es trat ein anderer an seine Stelle. Von Päpsten und Prälaten, Kaisern, Königen und Fürsten erhielten sie allmählich eben so viel Freibriefe, Vorrechte und Geschenke, als die Johanniter und TemplerWir geben für andere Forscher noch einige kurze Andeutungen und Citate. Über die Stiftung des Ordens: Vitriac. hist. hier. 1085.  Corner 793.  Aquic. auct. zu 1189.  Baczko Geschichte Preuß. I, 28.  Über Freibriefe und Schenkungen: Lünig Reichsarch. vom deutschen Orden, und Theil  XIX, 361; XX, 318.  Engel Gesch. v. Ungern I, 316.  Gudeni cod. IV, 869, 888; I, 517.Cod. pro Stemmatogr. Luc. 23 über Güter welche die Gräfinn von Habsburg dem Orden schenkt. Nach einem Freibriefe Honorius III (Jahr V, Urk. 251, 327), soll die Wahl des Großmeisters von allen oder doch den meisten Brüdern erfolgen, kein Gesetz ohne seine und des Kapitels Zustimmung gegeben werden, kein Laie von den Rittern einen Eid der Treue fordern. Sie sind zehntfrei für alle ältern Besitzungen, haben eigene Geistliche und Gottesäcker, dürfen von keinem Prälaten gebannt werden, lesen zur Zeit des Interdikts Messe bei verschlossenen Thüren und erhalten überhaupt alle Vorrechte der Johanniter und Templer. – In den regestis Papst Honorius III finden sich nachfolgende auf Preußen und die Ritter Bezug habende Äußerungen und Vorschriften: die Rettung Palästinas ist das Wichtigste, deshalb soll das Gelübde eines Kreuzzuges nach dem Morgenlande nicht ohne höhere Erlaubniß in einen Zug wider die Preußen und Letten verwandelt werden; doch mögen die armen Pilger in Deutschland, Böhmen, Mähren und Polen dahin ziehen. (Reg. Jahr I, Urk. 197, 266, 298; II, 1147–1149; IV, 733). Der König von Dänemark soll die nach Preußen ziehenden Pilger nicht hindern, sondern unterstützen, und jeder Priester jährlich wenigstens einmal zu Beiträgen für Preußen auffordern. Auch zur Errichtung von Schulen in diesem Lande möge man zahlen (Jahr II, Urk. 1150, 1154; IV, 585). Man soll den Preußen, welche die Gefangenen umbringen und von ihren Töchtern gewöhnlich nur eine leben lassen, kein Salz und keine Waffen verkaufen. (Jahr II, Urk. 1150, 1155, 1192).; schon zur Zeit des außerordentlich thätigen Hermann von Salza zählte man 2000 deutsche Ritter. Sie trugen einen weißen Mantel und auf demselben ein 610 schwarzes KreuzChron. ord. teuton. 691., worüber indeß die Tempelherrn Klage erhoben, bis Honorius III ihnen schrieb: es ist um so lächerlicher, daß ihr darüber zürnt wenn andere einen weißen Mantel tragen, da die sonstige Verschiedenheit der Tracht keine Verwechselung erlaubtRegesta Jahr VI, Urk. 349.  Hist. des Templ. I, 253..

Nach ähnlichen Grundsätzen ward der Orden der SchwertbrüderAlb. Lub. VII, 513.  Lukas David II, 6. im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts in Liefland eingerichtet, und vereinigte sich im Jahre 1237 mit dem deutschen Orden.

Überall erkannte man die Wichtigkeit solcher Verbindungen, überall zeigte sich Neigung dieselben zu schließen, und so entstanden ihrer eine große Zahl, von denen wir, zu besserer Übersicht, die folgenden wenigstens erwähnen:

  1. in Spanien: 1118 der Orden S. Salvator, zwischen 1150 und 1164 die des heiligen Jakob von Kalatrava und von Alkantara. Ihre Regel war der Regel der Cistertienser und Tempelherren verwandt; doch zeigte insbesondere die für den Orden des heiligen Jakob, welche Alexander III im Jahre 1159 bestätigteBullar. Roman. I, 42.  Concil. XIII, 242., mehre Eigenthümlichkeiten. Jeder Ritter sollte heirathen, um außerehelichen Beischlaf zu vermeiden. Dreizehn Räthe standen dem Großmeister zur Seite, wählten denselben und durften ihn, wenn er untauglich war, selbst entsetzen. Ging einer von diesen Räthen ab, so wurde sein Nachfolger von den übrigen und dem Großmeister erwählt. Jährlich untersuchte man alle Ordenshäuser und hielt eine allgemeine Versammlung. Die Ritter sollten für Arme und Fremde sorgen, 611 vor allem aber wider die Saracenen kämpfen; jedoch nicht aus Ruhmsucht, Blutdurst oder Eigennutz, sondern um die Christen gegen feindliche Angriffe zu schützen und den christlichen Glauben auszubreiten.
  2. In Portugal entstand 1162 der Avisorden, und 1167 der vom Flügel des heiligen MichaelGiustin. hist. d. ord. Helyot VI, c. 4-7.  Cleß II, 1, 485..
  3. In England 1177der Orden des heiligen Grabes.
  4. In Frankreich finden wir schon zur Zeit Ludwigs IX den Orden der GinsterblumeGuil. Nang. zu 1267.  Helyot VIII, c. 37.. Die Ordenskette bestand aus Lilien die mit Ginsterblumen abwechselten, und am Ende hing ein Lilienkreuz.
  5. Den Orden der heiligen Dreieinigkeit stiftete 1198 Johann von Matha, weshalb dessen Glieder auch Mathuriner genannt wurdenAlberic. 414.  Holsten. cod. III, 1.  Gallia christ. VIII, 554.  Reg. Honor. III, Jahr I, Urk. 256.  Bullar. Rom. I, 54.. Er zeichnete sich, bei sonstiger Ähnlichkeit, vor den übrigen Orden dadurch aus, daß wenigstens ein Drittel aller seiner Einnahmen zum Loskaufe christlicher Gefangenen aus saracenischer Haft bestimmt war. Nach verwandten Grundsätzen bildete sich 1230 in Spanien der Orden der heiligen Maria zum Loskaufe der GefangenenHolsten. cod. III, 439.  Gestiftet von Peter Nalasko.  Act. Sanct. vom 29sten Januar S. 980.. Die Regel der Mathuriner schrieb vor, daß sie nur auf Eseln reiten sollten, was aber viele abschreckte sich aufnehmen zu lassen, bis Honorius III dem Großmeister erlaubte von dieser Vorschrift zu entbindenReg. Hon., Jahr V, Urk. 132..
  6. Die Ritter der heiligen Maria oder die freudigen Brüder (cavalieri gaudenti) erhielten diesen Namen wahrscheinlich wegen der ihnen ertheilten großen Rechte und ihres zum Theil daher rührenden lustigern Wandels. Sie geriethen aber in dieser Beziehung oft in Streit mit der weltlichen Obrigkeit, und wurden ihrem ersten Ursprunge 612 fremdFederici storia dei caval. gaud.. Dieser reicht nämlich in die Zeit der Waldenserkriege, und ein Hauptpunkt ihres Gelübdes war: unbedingter Gehorsam gegen Papst und Kirche, und Vertheidigung des reinen Glaubens wider die Ketzer. Es gab Ordensschwestern und verheirathete Ritter; der Papst bestätigte den erwählten Meister. Sie trugen ein aschgraues Oberkleid, einen weißen Mantel, und ein rothes Kreuz in weißem FeldeGhirard. I, 202..
  7. Den Orden der Damen von der Axt soll Graf Raimund von Barcellona im Jahre 1149 gestiftet haben, weil sie Tortosa sehr tapfer gegen die Saracenen vertheidigen halfenHelyot VIII, c. 68..

Es bleibt uns itzt noch übrig, einige Worte über das Verhältniß der Frauen zum Ritterthume zu sagen. Wie zu allen Zeiten, mußte auch in jenen Jahrhunderten das Hauswesen und die Kinderzucht, Grundlage und Hauptinhalt ihres Berufes seyn; dem Christenthume aber dankten sie es vor allem, daß sie in einem höhern Lichte betrachtet und milder behandelt wurden. Indeß tritt ohne Zweifel zu dem Einflusse des Christlichen die eigenthümliche Stimmung und Sinnesart der deutschen Völker hinzu, und diese spricht sich wiederum am lebendigsten und deutlichsten im Ritterwesen aus. Wir dürfen im Andenken an Christenthum und Deutschheit behaupten: daß selbst die Ungebildeten in den niedern Ständen das weibliche Geschlecht mit mehr Achtung behandelten und in einem edlern Verhältnisse zu demselben standen, als die gebildetsten Männer des Alterthums; doch fehlte es in dieser an Gegensätzen so reichen Zeit (welche z. B. gleichzeitig die strengste Scholastik neben der kühnsten Dichtkunst entwickelte) auch hier nicht an einer Richtung nach verschiedenen Endpunkten. Von der geistlichen, oder vielmehr mönchischen Seite her, wurden nämlich die Weiber als schwach und als Urheberinnen der Sünde bezeichnet, 613 die man auf jede Weise fliehen müsse, um den Verführungen zu entgehn und männliche Freiheit und Würde zu erhalten. Eine zur Zeit der Merovinger gehaltene Kirchenversammlung hatte sogar untersucht, ob man die Frauen wohl Menschen nennen dürfeGreg. Turon. V, 20.; und noch im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte heißt es oft in Urkunden: das weibliche Geschlecht ist hinfälliger Art und gegen Besserungsmittel ungeduldigWürdtw. subs. IV, 339.. Von der ritterlichen Seite hingegen wuchs die Verehrung der Frauen allmählich immer mehr, und artete bei manchem in einen alles übrige verkennenden Götzendienst, ja in baare Narrheit aus. Zwischen diesen beiden Äußersten liegt aber das, was für jene Zeiten als Regel gelten kann und das Glück der Familien, den Ernst der Behandlung von Seiten würdiger Geistlichen, und die bewundernswerthe Liebe und Treue vieler Ritter erzeugte. Nicht bloß Lustkämpfe auf Turnieren übernahm der Ritter zu Ehren seiner Dame; sondern für die beleidigte Ehre und das verletzte Recht jeder Frau mußte er sein Leben wagen. Und dazu fand sich allerdings nur zu viel Gelegenheit: nicht allein weil sich, trotz des mildernden Ritterthums, noch manche Unbilden und Ungeschlachtheit zeigtenFräuleinraub, Pez. thes. VI, 2, 27.; sondern auch weil der Rechtsgang von der Art war, daß man oft einer Entscheidung durch Kampf nicht ausweichen konnte und die Frau ihrer Ansprüche verlustig ging, wenn sie keinen Vertreter und Vorkämpfer hatte. Neben diesen ernsten Pflichten stand erheiternd die Minne, welche den Ritter zum Knecht seiner Dame machte und in Gedanken doch wieder zum Herrn der Welt erhob. Er trug ihr Abzeichen, ihre Binde, zog zu ihrer Ehre auf Abenteuer umher, und zwang jeden Besiegten sich durch ein Geschenk an sie auszulösenRoland. Patav. VIII, 9.  Rohte 1710.. Ulrich von Lichtensteins Fahrten als Venus, als König Artus, zeigen diese Richtung in einer solchen Höhe, 614 daß sie an den edlen Manchaner erinnern; andererseits ist es aber unbillig jenes Leben und Treiben aus dem Standpunkte unserer Tage zu beurtheilenVoltaire essai sur les moeurs IV, c. 76, p. 97..

Wenn die Mönche tiefer in das Wesen der Religion einzudringen meinten, indem sie der Liebe und den Verhältnissen zum weiblichen Geschlechte entsagten: so glaubten umgekehrt die Ritter durch die Liebe zur Religion zu kommen. Beides ist bis auf einen gewissen Punkt wahr, und auch unwahr. Oft sprach sich in den Rittern die tiefste religiöse Gemüthlichkeit aus, bisweilen erscheint aber ihre Religion auch nur als ein kurzer Inbegriff von Menschensatzungen; oft bewundern wir in ihrer Liebe eine unerreichte Zartheit, bisweilen geht sie dagegen in künstliche Empfindelei über, oder schlägt auch wohl einmal in Zuchtlosigkeit um. Zuletzt ist dieser schroffe Wechsel und Gegensatz immer noch besser, als die allmählich aufkommenden spitzfindigen Untersuchungen und Fragen über die Liebe. Anstatt von diesen, welche meist einer spätern Zeit angehören, Proben zu geben, theilen wir noch einige Sittenzüge mit.

Ein Römer hielt um die wunderschöne Galiane von Viterbo an, und als sie ihm abgeschlagen wurde, nahten die Römer mit Heeresmacht um sie zu gewinnenBossi 90.. Es war vergeblich; da bat jener es sich als Gunst aus, daß man sie ihm wenigstens von der Mauer zeige, und es geschah. Als Galiane im Jahre 1138 starb, ward ihr ein öffentliches Denkmal gesetzt und ihre Schönheit und Tugend über alles gepriesen. – Bei der Anwesenheit Kaiser Ottos IV in Florenz versammelten sich seinetwegen alle schönen Frauen und Mädchen in Santa Reparata, und keine gefiel ihm so wie Gualdrade, die Tochter des edlen Bellincione BertiVillani V, 37.. Dieser sagte dem Kaiser: »es steht euch frei meine Tochter zu küssen;« aber Gualdrade antwortete: »kein lebendiger Mann soll mich küssen, es sey denn mein Gemahl.« Otto 615 lobte dies Benehmen sehr, und Graf Guido, von dem ein mächtiges Geschlecht abstammt, nahm sie, dadurch angezogen, zur Frau.

Barberino, ein Italiener, schrieb ein Gedicht, von der Zucht und den Sitten der Weiber, wo jedes Hauptstück durch irgend eine als Person dargestellte Tugend begonnen wird: z. B. eröffnet die Geduld den Abschnitt von Verheiratheten, die Enthaltsamkeit den von den Nonnen u. s. w. Jedes Verhältniß des weiblichen Geschlechts ist berührt, nichts vergessen was leiblich oder geistig einer Frau widerfahren kann; desungeachtet erscheint das Ganze ziemlich trocken und langweilig. Er zählt siebzehn Feinde der Weiber aufBarberino 137, nach dem libro di Madonna Mogias d'Egitto.: Schmuck, Scherze, Reichthum, wahres und falsches Lob, Übermuth, falsche Sicherheit und falsche Ängstlichkeit, Müssiggang, Überfluß, Armuth, Wein, öffentliche Plätze, Spiele, Musik, Sänger, Tänzer und vor allem schlechte Gesellschaft.

Aus einem alten Buche, Liebesurkunden genannt, erzählt er von einem Streite, der einst über den Vorrang des Mannes und der Frau statt gefunden habe. Für diese ward angeführt: sie sey nicht aus Erde, sondern aus einem vornehmern Stoff erschaffen; nicht außerhalb des Paradieses, sondern im Paradiese; nicht stark zur Arbeit, sondern zum Benutzen und Genießen jeder Arbeit. Man entgegnete: Eva betrog Adam, die Frauen berückten Simson und Absalom, David und Salomon, Alexander und Aristoteles und wie viele andere! Und dennoch sind sie schwach und müssen beherrscht werden. Hierauf erwiederten die Frauen: es ist verzeihlicher daß sich Eva vom Satan, als daß sich Adam von Eva täuschen ließSie heißt femena, perche la fé mena e fé gubernaBarberino 643.. Sie siegt durch Klugheit über die Stärke des Mannes; und thut eine Frau Unrecht, so fällt der Vorwurf auf den Mann zurück, welcher sich für ihr Haupt und ihren Führer ausgiebt. Als dies und 616 ähnliches der Gerechtigkeit vorgetragen wird, entscheidet sie: beide, Mann und Frau, wären in der Welt unentbehrlich!

EinstHeisterbach 519. schalt eine deutsche Edelfrau gewaltig über Evas Apfelbiß und vermaß sich, daß sie die Erbsünde nicht würde auf ihre Nachkommen gebracht haben. Ihr Mann dagegen nahm sich unserer Urmutter an und wettete: daß seine Frau, nachdem sie sich gebadet habe, mit bloßen Füßen in einen benachbarten Morast gehn werde. Anfangs ward er verlacht, allmählich aber kam es zu Betrachtungen über das neue Verbot und die Neigung zur Übertretung wuchs immer mehr und mehr; bis jene, ihrer Meinung nach ganz unbemerkt, tief in den Morast hineinlief und sich an dem Gegensatze des Schmutzes und der weißen Haut fast ergötzte. Aber der Mann hatte aufgepaßt und trieb streng die Wette ein, so daß, beim Mangel an Gelde, die Putzkleider der Frau verkauft wurden.

Wie sich Scherz oder Ernst aber auch gestalten mochte: so gewiß man die Leibeigenen im Mittelalter besser behandelte, wie die Sklaven in der alten Welt, so gewiß auch die Frauen; und die Turniere, über welche sie erst einen romantischen Schimmer verbreiteten, zeichnen sich hiedurch weit aus vor den griechischen Spielen, die auf das weibliche Geschlecht gar nicht wirkten und kein Verhältniß zu demselben veredelten. Andererseits kann man aber nicht leugnen, daß in Olympia, bei aller Bedeutsamkeit des Körperlichen, doch Dichtkunst, Bildhauerei, Geschichte, überhaupt das Geistige mannigfaltiger und lebendiger heraustrat, und den Griechen hier ein Volksfest, ein allgemeiner Vereinigungspunkt gegeben war, wie er in den Turnieren nie statt fand. Diese, nur wenigen zugänglich, konnten nicht alle ansprechen und begeistern; sie konnten auf das Volk nicht heilsam zurückwirken. Hiegegen läßt sich indeß wiederum anführen: die Zahl der Ritter war bei weitem größer, als die Zahl der an den griechischen Spielen wirklich Theilnehmenden, und 617 durch das Genossenschaftliche der Stellung, durch die Gleichartigkeit der fürs ganze Leben anerkannten Grundsätze war und wurde die Ritterschaft etwas so großartiges und wichtiges, daß sich nichts aus der alten Welt damit vergleichen läßt. Die christliche Religion gab eine viel höhere Verklärung, als die hellenische Schönheitslehre, und der höchste Grundsatz des Ritterthums: immer wahr zu reden und jeden Schwächern gegen die Gewalt des Mächtigern zu schützen, ist edler und sittlicher, als ihn je die Römer ausüben, ja nur aufstellen mochten. Das Gefühl persönlicher Selbständigkeit vereinte sich mit dem Leben in größerer Gemeinschaft, Muth und Großmuth und Höflichkeit der Sitten wuchsen zwischen mancher Roheit und Unwissenheit glänzend hervor. Neben treuer Freundschaft ging die Liebe her, und diese trat nicht, wie so oft, in Widerspruch mit der Tapferkeit, sie war nicht verweichlichend, sondern befeuernd. Allerdings ist Ritterthum und Ritterschaft in vielen Dingen nur eine Dichtung, eine niemals in allen Theilen wirklich und geschichtlich wahr gewesene Idee: aber es bleibt Thatsache, daß diese Idee sich bildete und entwickelte, während sie in andern Zeiten nicht einmal angeregt ward, und daß damals von derselben mehr als zu irgend einer andern Zeit in die Wirklichkeit übergegangen ist.

Allmählich wuchsen jedoch ohne Zweifel die Mängel. Zuvörderst verlor die Ritterwürde an Bedeutung, seitdem man sie als Nebensache, den Besitz von Grundvermögen aber als die Hauptsache betrachteteMath. Par. zu 1256.. Statt des persönlichen Adels blieb fast nur Grundadel übrig; und sobald endlich für Lehndienste Geld gegeben oder noch öfter die Steuerfreiheit durchgesetzt wurde, sank der Adel von dem Gipfel seiner Stellung bis auf den Boden und setzte sein Wesen darin: daß er weder kriege, noch zahle. Auch in den geselligen Verhältnissen hob man seitdem die ständischen Sonderungen schroffer hervor: schon vor Ezelins Herrschaft wagte in Padua kein Adlicher ohne Zustimmung der Edelfrauen 618 seine bürgerliche Geliebte in Gesellschaft zu bringenMurat. antiq. Ital. II, 317.  Verci Ecel. II, 243., und auf den Bällen der Vornehmen erfuhren Bürgerliche leicht Beleidigungen und Mißhandlungen. Und doch erhob sich in dieser Zeit der Bürgerstand mächtiger als je: denn die Ritter, so klagt ein alter SchriftstellerAlberic. 541.  S. Palaye II, 238, nach Peter von Blois., bewaffnen und beschweren sich nicht mit Eisen sondern mit Wein, nicht mit Lanzen sondern mit Speisen, nicht mit Schwertern sondern mit Schläuchen, nicht mit Spießen sondern mit Bratspießen. Schlachten und Rittergefechte lassen sie auf Sätteln und Schilden abmalen, damit sich ihre Einbildungskraft an den Bildern von dem ergötze, was sie weder zu sehen noch zu thun wagen. Die Herrn, sagt ein andererChron. Bohem. c. 54., sitzen mit den Hunden und halten es für eine große Ehre, daß sie nur von Hunden reden und andere Weisheit verachten. – Bisweilen trat aber von Seiten der zu Landesherrn aufsteigenden Fürsten strenge Bestrafung adlicher Unbilden ein. Landgraf Ludwig IV von Thüringen, so wird uns berichtetUrsinus 1266.  Misn. chr. 322.  Erford. hist. de Landgr. 1315.  Spangenberg Chron. von Sangerhausen 3120., war ein sehr gütiger und milder Mann, weshalb ihn viele Hochmüthige im Lande wenig achteten und äußerten: er tauge nicht zu einem Fürsten und halte sich nicht herrlich. Man nannte ihn Landgraf Metze, und die ärgsten Unbilden nahmen überhand. Als er aber unerkannt von einem Schmiede in Ruhl hörte, wie man von ihm spreche und was geschehe, so nahm er sich zusammen und änderte sein Verfahren. Niemand aber wollte itzt gehorchen; es kam zu offener Fehde und mehre der ungetreuen Vasallen fielen in seine Hände. Da sprach er zu ihnen: »wollte ich euch nach Verdienst bestrafen, so möchte man mir vorwerfen, ich tödte meine eigenen Leute; wollte ich euch schatzen, so möchtet ihr nicht mehr dienen können; lasse ich euch ungestraft ziehen, so achtet ihr meines Zornes 619 nicht. Deshalb führte er sie auf einen Acker, spannte je vier und vier an einen Pflug und trieb sie mit einer scharfen Geißel, bis einige zu Boden stürzten. Seitdem hieß dieser Acker der Edeln Acker, und der Landgras der eiserne Landgraf. Manche tadelten dessen Strenge, manche die Frevel der Edeln, andere, daß sie sich jener Schmach unterworfen hatten; aber Zucht und Ordnung wuchs im Lande.

Es wäre übertriebene Vorliebe, zu leugnen: daß der Adel in vieler Beziehung ausartete, obgleich dies erst später und nie ganz allgemein geschah; allein noch einseitiger ist der Standpunkt, von welchem aus Voltaire sagtEssai sur les moeurs IV, c. 76, p. 97.: »wenn Paulus Ämilius und die Scipionen in geschlossener Rennbahn gekämpft hätten, um zu erfahren wer die schönste Geliebte habe, so würden die Römer nicht Sieger und Gesetzgeber der Völker geworden seyn.« Wir wollen hier nicht untersuchen, ob denn jene römischen Bahnen so unbedingten Lobes würdig sind; wohl aber dürfen wir fragen: was wohl aus dem Mittelalter geworden wäre, wenn die beiden Dinge gefehlt hätten, die Voltaire bespöttelt und verachtet, – das Ritterwesen und die Religion?

Jede Zeit hat ihre eigene Aufgabe zu lösen, und am besten wird ihr dies gelingen, wenn sie sich selbst im Spiegel der Vergangenheit begreifen lernt, und von blinder Nachahmung wie von eitlem Hochmuthe gleich fern hält. Möchten die Deutschen, anderer Länder und Völker Geschichte nicht weniger, wohl aber die ihrige genauer kennen lernen und sich überzeugen, daß hier der reichste und anwendbarste Quell wahrer Weisheit fließt. 620

 


 


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