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Lorenz Scheibenhart

Ein Lebensbild aus wüster Zeit

Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Amen!

Nun hab' ich begonnen mit Hilfe dessen, der mich bis hieher geleitet und geführet hat dieses hohe Alter durch so viel Schrecknisse und in Fährlichkeiten, wie sie wohl selten einem Menschenkind auferlegt werden, und sitz' nun schon viel Jahr' lang fest in diesem alten Lehnstuhl und höre die Uhr hinter mir picken und ticken, immer dem dunklen Grab zu. So will ich denn, dieweilen der Kopf noch klar und die Hand noch zu brauchen ist, meine Schreiberskunst wieder hervorsuchen und ungefüge niedersetzen, was ich in der Erinnerung behalten hab' aus dem konfusen Chaos, der Wüstenei meines Lebens. Brauch' mich nicht umzuschauen nach der Uhr hinter mir, um die Tageszeit zu wissen: die helle Sonn' trifft ja mein altes Gewaffen, was ich aufgehängt habe an der Wand neben mir; da wird es bald vier auf dem Kirchturm schlagen, und es hat ein Recht dazu, denn schon schallt aus der Neckenschenke die Sonntagsmusika und das Gejauchz des Sonntagstanzes bis in mein Stüblein herüber, und dort über die Wiese streicht ein selbstvergessen verliebt Pärchen dem Frauenholz zu.

Nun kann ich wieder einmal das Haupt auf die Hand stützen und wegschauen über mein holländisch Papier und den Tisch und durch das Fenster, und an der Feder kauen, und hineingucken in den blauen Himmel.

's ist doch etwas gar Schönes um die Jugendzeit, wenn man nicht zu fürchten braucht, daß im nächsten Augenblick die Holckeschen Reiter aus den grünen Sträuchern vorsprengen oder eine streifende Schwedenschar einem den Weg verlegt! »Versäumet die Maienblumen nicht!« saget der weise König Salomo. Gott gesegne dir deine Zeit, du junges Geschlecht, du, welches die aufgehende Sonne siehest und nicht bei niederfallender Nacht in die Welt gekommen bist.

Ja, ja, alles hat seine Zeit: Pflanzen und Ausrotten, Heilen und Würgen, Bauen und Brechen, Lieben und Hassen, Friede und Streit – und uns ist das letztere vor allem zugefallen – Gottes Wille geschehe!

Ich bin geboren in der alten Stadt Braunschweig, an der langen Brücke, wo der Wipperturm stehet, am siebenten Aprilis, Montags nach Judica, im Jahre eintausend fünfhundert und fünf und neunzig, und war das schier ein betrüblich' Omen, denn an selbigem Tage hub sich ein heftiges Schneien an, das währete Tag und Nacht, immer zu, immer zu, daß die Menschen in ihren Häusern verschüttet wurden, das Wild in den Wäldern und Gehölzen erstickte und die Vögel den Leuten in die Häuser flogen. Das dauerte bis Palmarum, da ging dieser große unerhörte Schnee durch Gottes Schickung weg ohne Regen und zog der Frühling ein, wie der Herr Jesus Christus am Palmsonntag in das jauchzende Jerusalem. Lag ich in einer gar behaglichen Wieg', denn ich war das einzige Söhnlein und Goldkind, und hatte mein Herr Vater eine besuchte Baderstube und gute Nahrung und galt viel in der Bürgerversammlung. Da wuchs ich fröhlich und gedeihlich auf und lernte laufen und sprechen, und die Buchstaben lehrte mich mein fromm Mütterlein. Es war damals ein guter Flor in den Städten – der jetzt weggefegt und weggewischt ist durch die grausamen Kriege, als wäre er nie dagewesen – und Handel und Wandel, Üppigkeit und Pracht herrschten hinter den hohen Wällen und Mauern, von welchen die gewaltigen Geschütze grimmig in die Welt hinausschaueten, als wollten sie sagen: Trutz Fürst, trutz Kaiser! Hinter uns das Geld, hinter uns die Macht!

Aber es saß auch meistens ein böser Wurm in all der Herrlichkeit: die Geschlechter im Rat drückten den gemeinen Mann, die Zünfte waren unzufrieden, und die Geistlichkeit, herrschsüchtig vor allen, schürte bei jedem Hader und Streit innerhalb der Ringmauern die Flamme und goß Öl ins Feuer – das war das Allerschlimmste!

So war es auch in Braunschweig, und in dem Sturm, welcher das Gemeinwesen bis zum tiefsten Grund erschütterte, ging es auch mit meinem ruhigen Vaterhaus zu einem betrübten Ende, als ich kaum die ersten Höslein aufgetragen hatte.

War mein Vater, der Bader Martin Scheibenhart, ein sinnierender Mann, hager, gelb von Gesicht, mit zusammengewachsenen Augenbrauen und schmalen Lippen. Das Haupt trug er stets zur Erd' gesenkt, als suche er etwas Verlorenes. Freilich er suchte auch ein verlorenes Hohes, Herrliches – die verschwundene, teure, deutsche Bürgerfreiheit, und ist es ihm auch wie allen denen gegangen, die es je wagten, Leib und Seele, Gut und Blut an etwas zu setzen, was ihrer Zeit, den kleinen Menschlein ihrer Zeit zu hoch war. Das Grab hat er gefunden, der Tod durch Henkers Hand ist sein Teil gewesen. Gott gebe ihm eine fröhliche Auferstehung und führe ihn droben zu den Geistern, zu denen er gehört!

Es war dazumalen eine seltsame Zeit für die Stadt. Sie war reich, überreich, und doch fühlten sich die Leut' nicht sicher, nicht behäbig in ihrem Flor und ihrer Herrlichkeit. Von Wolfenbüttel aus drohete der Herzog, und oftmalen ritten seine Knechte mit den Reitern der Stadt zusammen, und das Lechelnholz hat manchen freudigen Reitersmann vom Roß sinken sehen in den blutigen Tod. In der Stadt selbst aber war es gar unheimlich; es wurde viel gemunkelt von heimlichen Bünden und Verschwörungen wider den Rat; es hieß, eine andere Lilienvente sei wieder auferstanden, diesmal aber gegen die Geschlechter und nicht gegen den äußern Feind. Die Hauptleute der Zünfte hielten heimliche nächtliche Versammlungen und hatten großen Anhang, und manch schnöd' Wort und Werk warfen sie dem Rat entgegen, und blieb alles hängen wie Kletten in der Peruck'. –

In dem Hinterstübchen unsers Hauses, das im Sommer die Bohnenblüte fast ganz verhing, saßen sie oft genug, die wackern Männer, senkten die Köpfe über alte Pergamente und Papiere und forscheten, wie es in alten Zeiten gehalten worden sei, und berieten in dunkler Nacht, während mein' Mutter Wacht im Vorderhaus hielt, der Gemeinde Wohl gegen die Pfaffen und den Rat. Aber am siebzehnten September 1604 ist das Gericht der Gewalthaber angegangen; auf dem Hagenmarkt, da haben sie den Braband gevierteilt; »wie einen Salmenfisch« – da hat der Stadt Todschuld gen Himmel gestunken, und die Junker und die Pfaffheit haben ihre Rache gesättigt und sind nach ihres Herzens Lust durch das Blut der Volksmänner gewatet. Meines Vaters Haupt ist mit vom Gerüst gerollt, und meine Mutter und ich sind bei Straf' des Staupbesens aus der Stadt gewiesen, auf Nimmerwiedersehen. Unser Gut aber ward konfiszieret, und am zehnten November desselbigen Jahres der Ungnade geleiteten zween Ratsdiener mein weinend Mütterlein und mich, einen neunjährigen Bub, aus dem Ägidientor bis an der Stadt Grenzpfahl, gaben meiner Mutter einen Laib schwarzen Brotes, mir einen gewaltigen Backenstreich zur Erinnerung und ließen uns allein in dem Regen- und Schneewetter, welches der Wind von den fernen Harzbergen hertrieb. Heulend über die böse Behandlung der rohen Ratsknechte zog ich fort an der Hand meiner Mutter, die unter dem andern Arm ihr kleines Bündel trug, dem Blocksberge entgegen, den ich so oft von meines Vaterhauses Bodenluke angeschauet und angestaunt hatte. Der Wind ging scharf über die Stoppeln und ein Zug schreiender Krähen flog über uns, ebenfalls dem Süden zu; aber schneller als wir, die wir auf dem grundlosen Wege fast stecken blieben, kamen sie vom Fleck. Mein' Mutter wollt' und mußt' aber vor Dunkelwerden Wolfenbüttel noch erreichen, tröstete mich so gut es anging, und bald hatten wir auch das Lechelnholz und die Spitze des Schloßturms der fürstlichen Residenz und Festung vor uns. Letztere ward uns jedoch von Zeit zu Zeit durch eine schwarze Rauchwolke verdeckt, die gern zum Himmel aufgestiegen wäre, wenn sie nicht der Sturmwind Gottes immer wieder zur Erde und uns gerade entgegengepeitscht hätte. Meiner Mutter Augen wurden trocken bei dem Anblick dieses Qualmes, sie zog mich fester an sich und die Krähenscharen über uns mehrten sich und wurden lebendig und lustiger, je näher wir dem Rauch kamen.

»Sie brennen wacker heut wieder!« sagte ein Bauer, der uns begegnete. »Hilfe Gottes, wo kommen die Unhulden und Hexen all zutage!«

Jetzt trug uns der Wind von Zeit zu Zeit einen Gesang entgegen, dann wieder einen abgerissenen Trommelwirbel – nun stiegen wir den Hügel hinan, dicht an der Erde her ward uns der stinkende Qualm entgegengetrieben, daß wir uns umdrehen mußten, um Atem zu schöpfen. Jetzt hatten wir die Höhe des Weges erreicht – ich schrie auf, barg das Gesicht in der Schürze meiner Mutter, schauete wieder hin und barg wiederum das Gesicht!

Bin nach der Schlacht von Lützen todwund auf dem Felde gelegen gewesen, zehn Schritte von dem toten Schwedenkönig Gustavus Adolfus, inmitten von viel Tausend toten und wunden Menschen. In dieser bösen Nacht kam dieses Schauergesicht meiner Jugend mir wieder in den Sinn, und die Schrecknisse um mich her verblaßten davor, und kunnt' ich nachher im Wundfieber einschlafen.

Eilenden Schrittes, ohne sich umzusehen, zog mich meine Mutter vorüber an der Hexenbrandstätte, mitten durch die mit wilden Gesichtern, starren Augen, offenen Mäulern gaffende Menge, mitten durch die singenden Pfaffen, die Reiter, die wehende Asche und das Geheul der Menschenfackeln. Ich hörte wie der Mutter Zähne zusammenklapperten und wie sie das Vaterunser verkehrt und durcheinander hermurmelte. Als wir durch die Menge waren, fassete sie mich plötzlich auf den Arm, stieß einen Schrei aus und lief mit mir, so schnell sie es vermochte, hügelab, den Weg hinunter der Stadt im Tal zu.

Diese Stadt, die sich da ganz stattlich ausdehnte, war die Residenz seiner Fürstlichen Gnaden des Herzogs Heinrich Julius, die Festung Wolfenbüttel, und als wir an das Tor kamen, trat eben ein Zug heraus: vorauf Reiter und Trabanten, dann ein sechsspänniger vergüldeter Wagen, zu dessen Seiten Pagen gingen, und das Volk umher neigete sich, schwenkte die Hüte und rief Vivat. Eine schöne Frau beugte sich vor, und als sie mich und meine Mutter erblickete, winkete und lächelte sie mir zu, und nahm meine Mutter das für ein günstig Vorzeichen. Nun zogen wir durch das dunkele Tor in die Stadt hinein, in welcher meine Mutter einen Unterschlupf zu finden hoffte, denn die geflohenen Volksfreunde und die Witwen und Waisen der Hingemordeten wurden dazumal gut genug empfangen von den Herzoglichen, sintemalen der Rat zu Braunschweig das Bluturteil dahin ausgesprochen hatte, die Gerichteten hätten dem Fürsten die Stadt überliefern wollen. War aber nichts daran; aber nichts in der Welt gehet über einen guten Grund!

Nun lebte damals in der Heinrichsstadt ein alter Herr, bei welchem mein seliger Vater einst wohl gelitten war; hieß mit Namen Franz Algermann und war des großen Celleschen Superintendenten Urbani Rhegii Enkel und den Braunschweigern spinnfeind. An diesen war meine Mutter heimlich von guten Freunden gewiesen, und haben wir auch einen echten Samaritaner an dem alten Landesfiskal gefunden, der uns viel Wochen lang atzete und beherbergte und zuletzt meiner Mutter einen guten Dienst bei der Herzogin Elisabeth verschaffte. Ich aber ward auf die Schul getan, wo ich viel tolle Streiche trieb, jedoch des Lateins ein wenig lernte, und als im Jahr 1605 der große Zug der Fürstlichen gen Braunschweig abging, und der Überfall des Agidientors geschah, wobei die Bürger so gut schlugen und Herr Jürgen von der Schulenburg die Stadt rettete; da lief die Schul' und ich mit bis ans Lechelnholz und horcheten dem Geschützdonner. Ward aber ein groß Lamento, als uns der Magister Rollwedel da fand und uns weidlich zurück ins Loch prügelte. War jedoch ein noch größer Lamento in Wolfenbüttel, als die Kriegerscharen zurückkehrten mit blutigen Köpfen. Zwölfhundert von ihnen lagen erschlagen und zweihundert waren gefangen und die mächtige Belagerung, die dann anging, half auch nichts gegen die Bürgermacht und den eisernen Sinn und Arm der Städter.

Im Jahr 1610 übertrug ich des Virgilius zweites Buch von der Zerstörung Trojas in teutsche Verse und ward wacker ausgelacht, aber Herr Franciscus Algermann schüttelte bedachtsam sein Haupt, fassete mich bei der Schulter und schob mich in sein Studierzimmer. Da drückete er mich auf einen Sessel an seinem großen, grünen Schreibtisch und sagete: »Bürschlein, jetzt ist's Zeit, etwas anderes anzufangen, schreibst eine gute Hand, nun schreib hier. –«

Da wies er mir Papier, Tint' und Feder und mußt ich eine Relation über einen höhnischen Streich der Fürstlichen gegen die Bürger von Braunschweig abschreiben. Hatten sie nämlich der Stadt zum Tort ihr einen Schlagbaum vor dem Michaelistor am hellen lichten Tag vor der Nase und unter dem Geschütz weggenommen, ihn nach Wolfenbüttel geführet, einen Arm über dem Teiche am Dammtor daraus gemacht und einen Korb daran gehänget, in welchem man die Gartendiebe zu taufen pfleget.

Weidlich rieb sich Herr Algermann die Händ', als ich ihm die Reinschrift vorlegte und war damit mein Schulleben zu Ende gekommen, und ich aus einem wilden Schulbub ein sittsamer Schreiber geworden bei meinem Wohltäter und Ernährer. Da hab' ich in der großen, kühlen Stub' auf der Fürstlichen Kanzlei manch schönen Sommertag verkritzelt und sehnsüchtig nach dem blauen Himmel da draußen gestarrt; aber es war nicht anders, ich mußt mich drein schicken.

Hei, was war der alte Algermann ein seltsam Männlein! Heut noch seh' ich ihn da sitzen zwischen seinen Haufen von Pergamenten und Papieren und actis, die große, zerbissene Schwanenfeder in der Hand, ein silbern Krügelein voll Bier zu seiner Linken! Wie greinte und grinste er selig, wenn ein lustig Stücklein gegen die »Stadt« ausgeführet war, oder er eine bissige Epistel loslassen konnte gegen sie.

»Wartet, ihr städtischen Füchse – ihr Gottesschinder – euch wollen wir ausschmauchen! –«

Drehete sich aber die Sache, kamen die Bürger oben auf und kriegten das Heft in die Hand, dann hättet ihr die Wut des Mannes sehen sollen. Wie schlug er auf den Tisch! wie zerstampfte er giftig die Feder, daß die Tinte umherspritzte! »Das ist wieder eine feiste Lüge! – Reineckenkünste! – Große stinkende Landlüge! – Höllenbrut! – Judasnest! – Das nenn' ich macchiavellisch!« hieß es dann, und stundenlang grollt' und donnerte es wie ein grausamlich Gewitter, daß dem Rat zu Braunschweig wahrlich das rechte Ohr gellen mußt', ob der Verwünschungen, zwei Meilen Weges ab. Hab' da mancherlei zu hören gekriegt, was in keinem Buche stehet!

Im folgenden Jahre 1611 fiel etwas auf mich, wovon ich bis dahin auch nichts geträumet hatte: das wurde mir der rechte laqueo aegritudinis, der wahrhafte Kummerstrick für mein ganz Leben! Ach Susanna, Susanna Rodin! Da war vor dem Neuentor eine Schenke »zum springenden Roß« und ein Garten, wo die lustigen Gesellen und des Herzogs Soldknechte Kegel schoben und Bier tranken, an den Feiertagen und an den Werkeltagen. Ging ein hölzern Gitter um Gärtlein und Haus, und zur Rechten führte die Heerstraße daran vorbei, über den Damm, den Graben und über die Zugbrücken in das Neuetor. Zwei Linden beschatteten das Haus zum springenden Roß und viel schattig Gebüsch wuchs hie und da im Gärtlein und lustige Bänke und Tische waren aufgestellt. Da sangen und jauchzten die Trinker und Spieler, da rollten die Kugeln über den Boden, und von Zeit zu Zeit schaute Jungfer Susanna, des Wirts Walter Roden Töchterlein, hinter dem Weinstock vor, der ihr Fenster verspann. Und Jungfrau Susanna war der holde Schatz, den ich mir zu meinem Weh und kommender großer Not auserwählt hatte! – Wird mir heute noch ganz seltsam zumute, wenn ich an die Stund' gedenk', wo ich ihr zum erstenmal den blauen Steinkrug mit dem weißen Roß reicht' und sagte: »Mit Verlaub, Jungfrau Susanna, wollt' Ihr wohl nicht so gut sein, mit Euren roten Lippen mir vorzukosten? Euere Äuglein haben mich schier verblendet. Ihr tätet mir wahrlich einen großen Gefallen, wenn Eure Lippen dieses Kruges Rand berühren wollten. Gesegne's Euch Gott!«

Da trat der alte Wachtmeister Randolf lachend herzu, schlug mich auf die Schulter, daß ich fast in die Knie sank und sagte: »Ei, Schwarzröcklein, hat's auch getroffen? hat's eingeschlagen? 's ist wahr, Jungfer Susann', Eure schwarzen Augen sind gefährliche Dinger! Seine Fürstlichen Gnaden sollten Euch auf einen Wagen setzen lassen und mit sich führen gen Braunschweig, da wollten wir das großmäulige Bürgergesindel bald ausräuchern. Jungfrau Susann', Eure Äuglein könnten die grausam dunkeln Gewölb' im Krokodilenberg warm und hell leuchten. Sie brennen Lederkoller durch und Eisenküraß!«

Lange Zeit war ich um die schöne Maid herumgeschlichen, wie der Kater um den heißen Brei, war wohl eine böse Stund', in welcher mir erlaubt wurde – weiß nit von wem; war kein menschlich Wesen! – sie anzureden und ihr den Krug zu bieten, denn viel Jammer hat es mir nachher gebracht, und haben all die Kriegsjahre die Erinnerung an ihre Untreue und an ihren Tod nicht in mir verwischen können.

Weiß nicht, wie es kam, aber an die ersten Wörtlein und Blicke, die wir gegeneinander taten, hing sich eine ganze Kette von andern, die von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer zutraulicher und heimlicher wurden, bis zuletzt –

O Jungfrau Susanna, Jungfrau Susanna, wie habt Ihr an mir gehandelt? ...

Auf dem hohen Wall der Dammfestung stehen drei Linden und unter ihnen lag auf einem Gestell das große Geschütz, der »eiserne wilde Mann« genannt. Da haben wir oft an den schönen Frühlings- und Sommerabenden gelehnet und gesessen, Hand in Hand und uns vor dem aufgehenden Mond und den silbernen Sternelein viel süße Heimlichkeiten anvertrauet und uns Treue geschworen, bis an das kühle Grab und drüber hinaus, und die Nachtigall, die in der Linde allnächtlich sang, hat oftmalen geschwiegen, als wolle sie unsern Schwüren horchen. Aber die Nachtigall hätt' auch bald viel anderes erhorchen können, wenn sie nicht einer von des Herzogs Leibpagen erschossen hätt' mit der Armbrust. Als der Herbstwind die Blätter von den Linden riß, da ahnete ich der schönen, losen Jungfrau Untreue schon, und als die ersten weißen Flocken herabfielen, da waren ihre Schwüre verweht und verblasen – da sagte sie mir, daß sie einen andern lieber hätt' als mich.

Die schönste Blum' im Garten mein,
Die hat der Sturm zerbrochen;
Das schönste Wort im Herzen dein,
Ist in den Wind gesprochen!
O falsche Lieb, o böse Lieb!
Was von der Welt noch übrig blieb,
Ist eitel Trauer und Grämen!

War im Sommer ein Reiter eingeritten in das Neuetor und hatte vorher an der Schenk' zum springenden Roß angehalten und sich einen Trunk reichen lassen aufs Pferd, der hieß mit Namen Levin Sander und war damals ein schmucker Bursch und ein landfahrender Abenteurer, der Dienste nehmen wollt' bei dem Herzog. Ist später aber ein kaiserlicher Rittmeister und berufener Parteigänger worden. Der kriegt die Susanna zu sehen, und der hat mich armen Schreiber ausgestochen. Kunnt' mein schwarz Gewand nicht bestehen vor seinem spanisch geschlitzten Wams und seinem Federhut, und wenn ich auch ein wenig den Horatius lesen konnt', so verstand er doch ausländisch zu parlieren wie ein Welscher – o Jungfer Susanna! Jungfer Susanna!

»Laß ab, laß ab, Kind!« sagt' mir mein fromm Mütterlein, die damals auf ihr letztes Schmerzenslager, auf ihr Totenbett zu liegen kam, wenn ich mit Tränen in den Augen und geballten Händen kam, ihr mein Leid zu klagen. »Tröst' dich, tröst' dich! Geh' wie Gold aus dem Feuer! Es mag sich eine andere Treuere finden, es mag sich eine andere Schönere finden.«

Sie hatte gut reden: wo ist der Plattner, der gegen einen solchen Schmerz einen Harnisch schlage? – Herr Franciscus Algermann konnt' mir auch keinen Rat geben, und wenn er mir auch Tag und Nacht, um mich zu mir selbst zu bringen, die bittersten Episteln und Proklamationen gegen die Stadt abzuschreiben gab, und ich darauf loskritzelte, daß es mir schwarz und blau vor den Augen wurde, und ich den Schreibkrampf in alle Finger kriegte; so konnte mir das doch nicht den Pfahl aus dem Fleische ziehen. Wie ein Sinnloser, Bitterkeit, Haß, Zorn, Wut im Herzen, rannte ich um die Wälle der Festung und hätte mir fast den Kopf verstoßen mögen an den Bäumen und Mauern, oder mich hinabstürzen mögen in den Wassergraben, um meinem Dasein ein Ende zu machen. In der Neujahrsnacht, als das Jahr nach der Geburt unsers Herrn eintausend sechshundert und zwölf in die Welt eintrat, ist meine Mutter seliglich entschlafen und hinweggeschieden aus diesem Jammertal. Das gab mir zuerst wieder ein wenig Ruhe, und aus der hellen Verzweiflung geriet ich in ein dumpfes, gleichgültiges Hinbrüten; bis ich das Leben wieder ertragen lernt'.

Ging ich gegen End' des Januarii trübselig das Haupt gesenkt im tiefen Schnee auf dem Wall des Philippsberges einher und dachte: O wie schad' ist's doch, daß es nicht mehr an der Zeit ist, ein hären Gewand anzutun und hinzuziehen in eine thebaische Wüste und sein Hüttlein zu bauen, fern von den Menschen, bei den Tieren der Wildnis ...

Da fingen auf einmal die Glocken in der Stadt dumpf an zu klingen, und auch in allen Dörfern ringsumher läuteten sie. Verwundert horcht' ich auf und fragt' die nächste Wacht, die sich vor dem schneidenden Nordwind in einem Winkel gedrückt, das Feuerrohr an die Brüstung gelehnet und die Hand in den Mantel gewickelt hatte:

»Was bedeutet das? Wer ist gestorben? Ist Jungfrau Susanna Rodin tot?«

Da sah mich der Mann verwundert an und lachte, dann aber sagte er:

»Ihr wisset nicht, weshalb sie läuten? Des römischen Reiches Stuhl ist leer – das sind die Totenglocken des großmächtigen Kaisers Rudolfus des andern –«

Es schneiete und die Wolken zogen niedrig über die Erde hin; es war, als wäre die ganze Welt gestorben, als wollte sich der Himmel wie ein Leichentuch darüber hinlegen. Die Tränen stürzten mir plötzlich aus den Augen, ich drehete mich um und eilte schnell davon, damit der Söldner mein bitterlich Weinen nicht sähe. Dann schrieb ich mit Roterde an eine Ausfallstür in der Mauer zwei Verse, die ich hierhersetzen will, sintemal ich vielerlei im Leben vergessen habe, sie aber nicht. Sie lauteten:

Was läuten die Glocken im Lande?
Der Kaiser ist gestorben!
Was läutet mein Herz im Leibe?
Die Liebe ist verdorben!

Die Glocken dumpf erklingen,
Zu Grab sie den Kaiser bringen:
O du toter Rudolfus, bitt' –
Nimm doch meine Liebe mit!

Dieselben Verslein schrieb ich aber auch zwei Stunden später, als ich wieder auf der Kanzlei dem Meister Algermann gegenüber saß, und er mir eine Avisation an den Abt zu Riddagshausen, Ehrn Peter Windruven, in die Feder diktierete. Das gab eine gewaltige Verwunderung, als der alte Franciscus die Schrift in die Händ' bekam.

»Söhnlein, Söhnlein?« rief er, zwischen Ärger und Lachen mit der Geschrift hin und her in der Stub' an seinem Krückstock wackelnd, »Söhnlein, das gehet nit mehr! o deliratio! Das nenn' ich auch nebulam pro Junone amplecti – hei, hei, was würden seine Ehrwürden dazu gesaget haben? Söhnlein, ich sehe es ein, die Schreibstub' paßt nicht mehr für dich – laß dir den Wind draußen um die Nase wehen, schlag' dir das Weibsbild aus dem Kopf – bedenk', ein hölzerner Bock ist immer noch besser als eine silberne Ziege! Ha, ha, ha! Nimm ein ander Blatt Papier – Schad' um den schönen Bogen! Saget der weise Sirach: Wie aus den Kleidern die Motten kommen, also aus den Weibern viel Böses! Ha, ha, ha!«

Ich kam dem Gebote nach und brachte die Relation fehlerlos zustande, obgleich ich auch diesmal andere Gedanken dabei hatte, als eigentlich dazu gehörten. »Laß dir den Wind um die Nase wehen!« dachte ich. »Ja, ich will fort! fort! fort! – Ach wenn doch nur erst dieser Winter zu End' war!«

Das verdorbene Blatt mit den Reimen faltete ich zusammen und steckte es in die Brusttasche, ohne zu wissen, zu welchem Gebrauch. – Und es regnete und schneiete und fror, und regnete wieder, und die Tage wurden länger und die Sonnenstrahlen wurden wärmer, das Rotbrüstlein, das ich hinter dem Rücken Herrn Algermanns vor dem Fenster unserer Schreibstub' mit Oblaten fütterte, kam immer seltener und blieb zuletzt ganz weg. Auf einmal waren die Büsche grün, blühten die Blumen, sangen die Vögel, war es Frühling worden, ohne daß ich es bemerkt hatte – Ade! Ade! Ade!

Am ersten Pfingsttage des Jahres 1612 pflückte ich ein vierblätterig Kleeblatt von meiner Mutter Grab, hing mein Bündel über den Wanderstab und eilte schnell durch die Gassen aus dem Tor. Über den Zaun des Gärtleins zum weißen Roß lehnte höhnisch lachend der böse Geist Levin Sander und summte ein Spottlied auf die Schreiber in den Bart, als ich vorbei schritt: ich hätt' einen Mord an ihm begehen können; aber ich bezähmte mich und schritt so schnell als möglich weiter.

Von der Ecke des Holzes schaut' ich nochmalen zurück auf Wolfenbüttel drunten und die weite Gegend.

In der Ferne schimmerten die stolzen Türme von Braunschweig – meiner mir verschlossenen Vaterstadt; dort zog sich der Weg herüber, den ich als ein klein Büblein an der Hand meiner weinenden Mutter gekommen war! dort hinter jenem Walle drunten schlief das treue Mutterherz im kühlen Grab! dort ragte der Giebel des Hofgerichts, wo ich so manche Seite beschrieben hatte unter den Augen Herrn Franz Algermanns, des Landesfiskals. Dort auf der Bastion standen die drei Linden, wo –

Aus dem Schornstein des »Springenden Rosses« wirbelte ein weißer Rauch in den Himmel. Fast wäre ich zurückgelaufen – da tat ich einen herzhaften Sprung über den Graben, der sich an dem Walde herzieht, – der grüne Schatten hatte mich aufgenommen! Was hatte ich in diesem Sprunge alles hinter mich gelegt?

Aufatmend schritt ich meines Weges weiter fort, durch den singenden, klingenden Wald. –

Da ist oberhalb Adersheim und Immendorf mitten im Holz ein Springquell, heilsam und gut wider viel Gebrechen. Das Volk nennt ihn den Plunneckenborn. Wer daraus getrunken hat, der muß ein Denkzeichen an den Büschen zurücklassen, sonsten hilft ihm das Wasser nicht, schadet ihm vielmehr; und weil meistens immer arme Leut' dahin kommen und von dem guten Wasser trinken, so hängen alle Büsche und Gesträucher umher voll Lappen, welche sie zurückgelassen haben. An diesen Born kam ich, als sich die Sonne zum Abend neigte, denn ich hatt', mir das Blut durch die Adern zu treiben, manch tollen Kreuz- und Quersprung gemacht. Kein Menschenwesen war rings zu sehen, kein Lüftlein regete sich, nur die Vögel ließen vor dem Schlafengehen noch einmal Gottes Loblied laut und hell erklingen. Da beugte ich mich nieder zu der klaren Flut, schöpfete mit der hohlen Hand und trank; trank als könne das Wasser auch das, woran ich krank war, fortspülen; und zum Angedenken hab' ich da an einem Fliederbusch den großen Bogen Papier mit den Versen, den ich im vorigen Winter in des Herzogs Kanzlei verdorben hatte, aufgehänget!

Wie ich mich nun in der grünen Wildnis so allein fand, da überkamen mich wieder viel alte Einsiedelträume und ein Grauen faßte mich bei dem Gedanken, daß ich mir bald ein Nachtlager unter den Menschen suchen müsse, wenn das noch bei Tage geschehen sollte. Schon begannen die Vöglein ihre Nester zu suchen, und düsterer Schatten hüllte den Wald.

»Hei,« dachte ich, »ist es denn nötig, daß du dich wieder zwischen vier Wände sperrst? Mach es doch wie die Vögel – die Nacht ist warm – bald wird der Mond aufgehen – da lugt schon der Abendstern hervor – bleib im Wald!«

Ich tat einen frischen Sprung, und schlug mich seitab vom Weg tiefer ins Gebüsch, ein weich moosiges Plätzchen zum Lager zu suchen; fing aber doch bald an zu frösteln, als der Nachtwind sich aufhub und in den Blättern rauschte. Nun war's jedoch zu spät, zu den Wohnungen der Menschen zurückzukehren, wenn ich es auch gern getan hätte: der Weg war verloren, dunkler und dunkler ward's, bald war es vollständig Nacht, und der Mond, auf den ich mich vertröstet hatte, blieb auch aus. Er verbarg sich hinter dunklen Wolken, welche den klaren Himmel überzogen. Ich lehnte an einer Buche, ich setzte mich nieder, ich legte mich – ei, das Schreiberleben, das Stubenhocken hatt' mich gewaltig verweichlicht, ich fing an, mich sehr nach einen weichen Bettlein zu sehnen. Da leuchtete plötzlich ein heller Schein in der Ferne zwischen den Baumstämmen auf.

»Es ist ein Tückebote, ein Irrwisch!« sagt' ich. Aber die Flamme hüpfte nicht, sie blieb an einem Fleck.

»Es ist ein Feuer! Hirten oder Waldhüter werden es angezündet haben!« dachte ich freudig und nahm meinen Weg darauf zu. Die Zweige, die Büsche, die ich auseinanderbog, rauschten – da faßte mich plötzlich eine Hand rauh vor die Brust – »Halt!«

Ein schrilles Pfeifen erschallte, Schatten glitten zwischen den Stämmen hervor. Ohne daß ich wußt', wie mir geschah, wurd' ich in den hellen Schein des Feuers gezogen und sah mich von einem schreckhaften Haufen zerlumpter Gesellen und häßlicher Weiber umgeben. O wie gern wär' ich doch dreitausend Meilen von dieser Stelle entfernt gewesen! Wilde Harzstrolche waren es, welche zum Viehdiebstahl aus den Bergen herübergeschweift waren und an dem Feuer einen gestohlenen Hammel brieten. Sie waren bewaffnet mit Feuerröhren und Messern und sahen mehr aus wie die bösen Teufel, als wie Christenmenschen.

Wie schnell sie damit fertig wurden, mein Bündel zu untersuchen. Ach, meine schönen Rößlein-Gülden! Wenn das Herr Franz Algermann geahnet hätt', er hätt' sie mir wahrlich nicht gegeben. Selbst der große Juliuslöser, den ich zwischen Hemd und Wams trug, entging ihnen nicht. Meinen Mantel hing der gute Freund um, der mich zuerst gepackt hatte, mein Barett setzte der Hauptmann gravitätisch auf. Als sie mir alles genommen hatten, was zu nehmen war, und ich schon Furcht vor dem Kehleabschneiden und Abschlachten hatt', flüsterten sie zusammen; dann nahmen mich zwei in die Mitte und führten mich fort, immer tiefer in den Forst hinein. Stundenlang ging es die Kreuz und Quer; das Waldvolk wußte besser Bescheid zwischen den Baumstämmen als der Schreiber aus der Stadt. Zuletzt blieben sie stehen, ich sah keine Hand vor Augen! Auf einmal gab mir einer von den beiden Dieben einen Stoß mit dem Fuß, daß ich in die Nacht, in den Wald hinein auf den Boden flog, der andere zog mir den linken Schuh aus – beide Gaudiebe schlugen ein hell Gelächter auf, ich hörte sie durch die Büsche rascheln – dann war alles still – ich lag allein im feuchten Grase, fast betäubt und sinnverwirrt von allem, was mir in den letzten drei Stunden geschehen war. – – Der fürtreffliche deutsche Poet, Herr Martinus Opitius singt einmal:

Wer Waffen trägt und krieget,
Wer in den Ketten lieget,
Wer auf dem Meere wallt,
Wer ist voll schwerer Sorgen,
Der spricht, wann wird es Morgen?
Aurora, komm doch bald!

Ach, niemand hat jemals die Morgenröt' sehnlicher erwartet als ich! Ich wagte kaum aufzustehen und umherzutasten, aus Furcht, in eine neue Fährnis zu geraten – stundenlang hab' ich wie eine Gans unter einem Baum gestanden, auf einem Bein, den schuhlosen Fuß in die Höhe ziehend! 's ist mir heut noch lächerlich und ärgerlich zugleich! Als endlich der Morgen im Osten dämmerte und der Wald sich mählich lichtete, war ich fast kein Mensch mehr, und der Himmel hat mir niemalen so sehr wie ein Dudelsack geschienen. Den ersten Sonnenstrahl aber begrüßte ich mit einer Herzensfreude sondergleichen: es war mir schier, als schicke der liebe Herrgott einen Engel, mich zu erlösen!

Nun schaute ich mich um. Vor mir Wald, hinter mir Wald, zu beiden Seiten Wald! Rechts aber schimmerte ein weißer Streif durch die Bäume; auf ihn schritt ich los und gelangte zu einer Landstraße, auf der ich fortzuhinken beschloß, gleichviel wohin sie mich führen würde. Es war ein sehr schöner Morgen. Wie blitzte der Tau an den Gräserspitzen, wie jubelten die Vögel wieder auf! Nur mir war nicht jubelhaft zu Sinn, nur mir stund das Weinen näher als das Lachen. Da fiel mir plötzlich meines Herrn Vaters Leibspruch ein, und mit heller Stimme rief ich hinaus in den Wald:

»Nu helpe us, Sunte Jürgen von Brunsvik!«

Und als wenn der heilige Reitersmann meinen Ruf erhöret hätte, erschallte hinter mir Rossestrab, ein Hauf Berittener bog um die Waldecke und kam die Heerstraße herunter auf mich zu.

»Wohin des Weges, jung' Gesell?« frug der Führer und ließ sein Roß mir zur Seiten langsamer gehen. Mein verstört' Aussehen mocht' ihm wohl verwunderlich vorkommen.

»Drei Federn hatt' ich in der Hand,« antwortete ich keck, »die blies ich fort. Die erste flog nach rechts, die zweite nach links, die dritte flog grad' aus: Der Nase bin ich nachgegangen.«

»Gut geantwortet!« rief der Reiter lachend. »Aber den Schuh hast' doch dabei verloren, und Kapp und Mantel hat auch der Teufel geholt. Ist doch ein schlechter Weg gewesen!«

»Hei, kümmert's Euch? Saget mir lieber, wohin führet diese Heerstraße?«

»Nach der freien Reichsstadt Goslar, Bursch! Willst mit! Haben Auftrag zu werben! Da trink' einmal, stehest nüchtern genug hinein in den hellen Morgen.« Ich nahm das mir dargebotene umsponnene Fläschlein und trank, schüttelte mich und gab es zurück. »Wo kommet ihr her, ihr Herren?«

»Haben des Reiches Ehrenhold gen Braunschweig geleitet, 's ist wieder ein Kaiser im Reich, das soll er verkünden. Vivat der Allerdurchlauchtigste, Allergroßmächtigste! – Matthias heißet er! Von da hinten her, wo sich Katz' und Hund gute Nacht sagen!« Das hätte der Reitersmann mir nicht zu sagen brauchen, das hatt' mir Herr Algermann schon lang an den Fingern hergezählt. Aber der Trunk hatte mir wohlgetan und die Welt erschien mir ein wenig rosiger. – »Willst ein Reiter werden?« klang es mir ins Ohr.

Hei, wie war alles in Bewegung; die Vögel, die Wolken; ein frischer Hauch ging durch den Wald; ich schauet' auf meinen wunden Fuß, in den ich schon manchen Stein getreten hatte, welcher schon von manchem boshaftigen Dorn blutete.

Kein Hof, kein Haus,
Kein Weib, kein Kind,
Reit die Welt aus,
Was Bessers find'!

sang der Rittmeister. Die Rosse scharrten. »Gut Löhnung, gut Dienst!« raunte mir einer der Reiter ins Ohr. »Schau' ein schmuck Rößlein!« rief ein anderer und zerrt ein ledig Handpferd mir vor die Nase. »Tut gut für den wunden Fuß!« »He?« lachte ein dritter, »steig auf, Kamerad!« Nach Wolfenbüttel wär' ich um alle Schätze der Welt nicht zurückgekehret. Wie hätten sie mich ausgelachet! Wie hätte der Algermann gefluchet! Wie hätte der Levin den spitzen Bart gestrichen und gespöttelt, wenn ich schuh-, mantel- und kappenlos wieder eingezogen wär'! An den tückischen Levin dachte ich zumeist, da schoß mir ein Gedanke durch die Seele – ha, ihn vor die Klinge kriegen, ihn niederhauen im ehrlichen Gefecht! – Es schwamm mir vor den Augen – der Hauptmann von Goslar zog den rechten Handschuh ab und streckt' mir die Hand vor – ich schlug klatschend ein – Gruß dir, Herr Jürgen von Braunschweig!

Ich war ein geworbener Reitersmann der kaiserlichen freien Reichsstadt Goslar!

Wie im Traum saß ich auf dem schwarzen Pferd, das mir gegeben war, und lustig erschallte um mich her der Gesang meiner jetzigen Kameraden, wie wir durch den grünen Wald galoppierten.

Auf sechs Jahr verpflichtete ich mich der Stadt, ward aber bald reuig, denn mit dem frischen, freien Reitersleben war's nicht weit her. Eine Wacht am Vitus- oder Rosentor war bald getan und einem Judenlärm oder einem Tumult der Bergknappen oder einem Kipper- und Wippertumult wurde schnell abgeholfen durch die flache Klinge. Das war alles nicht viel besser als das Treiben in der Kanzleistube zu Wolfenbüttel. Wäre mein Eid nicht gewesen, ich wär' davon gegangen ohne Valet über Berg und Tal. Auch die Gedanken an die Susann' wurde ich sobald noch nicht los – sie plagten mich im hellsten Sonnenschein und in der dunkelsten Nacht, und oft genug glaubten meine Gesellen, ich sei verrückt geworden! Ich dachte aber dann an die treulose Maid hinter den Bergen. In dem Jahre, in welchem der Funke fiel, der zur größesten Kriegsflamme werden sollt', die je Gottes Erde verwüstet hat, wurd' ich frei und zog aus, mein Glück weiter zu versuchen. Mancherlei hab' ich wohl gefunden; aber das Glück nicht; und die Ruhe nicht eher, als bis mich die Wallensteinsche Kugel bei Lützen in den Sand warf. Da fand ich wenigstens die Ruhe! Heiliger Gott, über wieviel blutige Schlachtfelder, durch wieviel verbrannte Dörfer und wüste Städte bin ich gezogen! Wieviel mal hab' ich die Trompete zum Angriff blasen hören – hie und da, hüben und drüben! Was war aus der »frommen, gottesfürchtigen und geduldigen« deutschen Nation geworden? Wußte doch zuletzt niemand mehr, wofür er das Schwert zog, wofür er ausritt! Jammer und Weh, wie leuchtete, zuckte und schlug es ein, hin und her über der deutschen Erde!

Das freie, wilde Leben, das ich mir so sehr gewünscht hatte, ward mir jetzt die Hülle und Fülle; als der Administrator von Halberstadt die Werbetrommel rühren ließ, stieß ich zu seinen Reitern. Auf weißem Roß, den Handschuh der schönen Königstochter von Engelland am Hut, ritt der tolle Christian einher und an der Weser erhielt ich die erste rote Wund', als uns Herr Friedrich Ulrich, der Bruder unsres Führers, zurückjagte mit blutigen Köpfen. Bei Corvey aber platschte der Schimmel durch den gelben Strom. O heiliger Liborius zu Paderborn, was für schöne Goldgülden saßen in deinem Leib! O ihr silbernen zwölf Apostel zu Soest, wie jagten euch die freien Knechte und Reiter des Herzogs durch die durstigen Kehlen! Über den Mainstrom bauten wir eine Brücke von Weinfässern, und zwölftausend zu Roß und siebentausend zu Fuß zogen darüber hin und lachten, daß der Liguist es bei Hanau hören kunnt. Aber der Tilly war Eis, wo der Halberstädter Feuer war. Als wir bei Höchst gegen die Liga ansprengten, rief der Christan: »Elisabeth!« und einen Weibernamen riefen auch meine Seitenmänner; damit gedachten sie die Kaiserlichen zu werfen. Die aber riefen »Jesus Maria!« und standen wie die Mauern. Stromabwärts trieb unsre brennende Brücke; das Fußvolk ging zugrunde wie Grumt vor der Sichel, und nur die Reiterei schwamm todmüde und zerrissen durch den Strom und rettete sich an das andere Ufer. Wie biß der tolle Christian die Zähne zusammen, wie schüttelte er den zerbrochenen Degen gegen das Geschütz Tillys und das spanische Fußvolk Cordovas da drüben! Und für den Spott hatt' er auch nicht zu sorgen; heute noch singen die Westfälinger:

Hertog Chrischan von Bronsvik
De hadde'n witt Pärd,
Dat hadde ne fahle Snuute!
Mid'n einen Ooge kunnt et nich seihn,
Dat ann'ere was 'ne rein uute. –

Den Spaniern aber haben wir's heimgezahlt vor Bergen op Zoom. Da haben wir Reiter den Tag gewonnen und die Welschen niedergeritten, daß sie bei Haufen das Feld deckten, da verlor der Halberstädter den Arm und ich schoß meinen besten Jugendfreund vom Roß, daß ich noch heut mit Jammer daran gedenken muß. Wahrlich, das ist die leidige Not: Ihr möget gegen den Feind anreiten, wo ihr wollt in der Welt, ihr treffet immer gegenüber einen, der euch euren Schwertschlag oder Pistolenschuß mit einem deutschen Fluch zurücke gibt. Mag es sein in Welschland, in Polackien oder im amerikanischen Reich, deutsche Fäuste trommeln überall aufeinander, so weit die Sonne leuchtet, so weit die Nacht dunkel ist. Gott bessere es! Ach, armer Curd Speith, wer hätte das gedacht, als wir zusammen den Ball schlugen, als wir in den Festungsgräben zu Wolfenbüttel umher kletterten, als wir nach den Dohlennestern in die Tortürme stiegen? – –

Bei Stadtloo war die Fortun abermalen dem Herzog entgegen; bei Stadtloo hab' ich auch den Levin wieder gesehen, kunnt ihn aber nicht fassen, das Getümmel riß uns auseinander, und als ich suchend ihm nachritt, traf mich eine Kugel; diesmal im Ernst! Dem Levin Sander war ein anderes Los aufbewahret, von meiner Hand sollt' er nicht fallen. Viel Greuel und Sünden sollt' er noch mit in die Grube nehmen!

Zu Osnabrück lag ich lange auf den Tod; dann kehrte ich kümmerlich genesen heim durch das blutige, verbrannte Land und zog ein, ein flügellahmer Rabe, in das Tor von Wolfenbüttel.

Wie fand ich da alles anders, als ich es verlassen hatt'! Niedergebrannt war das Häuslein vor dem Neuentor, verwüstet das Gärtlein! Wo war die Susann' geblieben? Niemand wußte Antwort darauf zu geben. Herr Franz Algermann, der Landes-Fiskal, schlief lange in seinem kühlen Grab auf dem neuen Kirchhof. In den Straßen ging die Trommel der dänischen Besatzung und auf dem Schloß lag wund und krank, an Leib und Seel' gebrochen, unser einst so freudiger Führer und General, Herr Christian von Halberstadt. Auf dem bösen Krankenlager an der Pest, und nicht in der wilden Reiterschlacht, wie er es sich wohl gedacht hatte, ist er da auch gestorben in seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr. – –

Feuer im Westen, Feuer im Osten, Feuer im Süd und im Nord! Deutscher Nation Pracht und Macht, wie ist es über dich hergegangen! Wie wurden die Menschen durch die Rolle gezogen und gepanzerfeget! Wie brauseten die Völker durcheinander, als sei die Zeit des Hunnenkönigs Etzel wiedergekommen, wo auch das Hofgesind' des bösen Feindes losgelassen war über die Welt, sie zu zerstören und zu verwüsten für ihre Sünden und Laster, bis der liebe Gott »Halt!« sagete. Sobald ich es nur vermocht, ergriff ich eine Partisan und trat unter die Verteidiger der Stadt; denn näher und näher zog schon das Ungewitter. Unter den drei Linden über dem Neuentor stund ich auf der Wacht und schaute stundenlang über den Graben nach der Stelle, wo mein Schatz gehauset hatte. Da hätt' ich Ursach' gehabt, wieder ein Liedlein zu singen und ein schier traurigeres, als das bei meinem Abzug; aber die Lust zum Singen war mir lange vergangen. Wo das Haus zum »Springenden Roß« gestanden hatte, war itzt eine schwarze Brandstätte. Nicht mehr saßen die lustigen Gesellen im Schatten der Bäume und tranken und sangen, nicht mehr blüheten die Rosen am Gitter. Die Bäume waren niedergehauen und die kurzen Stumpfer guckten gar trübselig aus dem zerstörten Boden, die Rosenbüsche waren ausgerissen oder niedergetreten – es war eine Wüstenei im kleinen, wie die Welt eine Wüstenei im großen war. –

Immer näher wälzten sich die Wetter, die der Stadt droheten. Am 29. November 1627 half ich, den »eisernen wilden Mann« auf die Lafett legen, und im Dezember zog der Schrammhans zur Belagerung heran. Dem großen Haufen voraus streifte sengend und brennend das blutdürstige, heidnische Kroaten-Gesindel, und wehklagend strömte das Volk vom Lande in Scharen zu den Mauern und schleppte mit sich, was es hatt' erretten können.

Da hab' ich auch die Susann' wieder zu Gesicht bekommen! ...

Jammer, was war aus ihr geworden! Ein bleich verstört, hohlwangig Jammerbild zog sie unter den Flüchtigen einher – ich hatte grad die Wacht am Neuentor. – An der wüsten Brandstätte von ihres Vaters Haus wollt' sie stehen bleiben – sie weinte bitterlich – aber von den Drängenden ward sie weitergeschoben. Ohne mich zu erkennen, schritt sie mit einem Kindelein auf dem Arme an mir vorüber. Ich hätt' blutige Tränen weinen können, und den höhnenden dänischen Soldaten schrie ich wild genug zu, daß sie murrend schwiegen. Schon knatterte von der andern Seite der Festung das Musketenfeuer der nahenden Feinde und der in die Wälle zurückweichenden Streifabteilungen herüber. Man kunnt' im Schneegestöber keine zehn Schritt weit sehen. Da ging die Zugbrücke auf – ein Weh- und Notschrei des draußen gebliebenen Volkes ließ sich hören – wir hatten genug, übergenug in den Mauern! – Vom Philippsberg donnerte schon das schwere Geschütz, rund um die Stadt durch den Schneesturm wirbelten dumpf die Trommeln der Kaiserlichen. –

Die Berennung hatte im Ernst begonnen! ... Der Pappenheim wußte wohl mit dem eisernen Besen zu stäupen! Es war mit ihm nicht zu spaßen; viel Zeit zum Atemholen gunnte er nicht. Einst hatt' ich unter den drei Linden auf der Bastion mit meinem falschen Feinslieb flüstern und kosen können, und der wilde Mann hatte nur zugehört; jetzt aber sprach er selbst ein Wörtlein mit – die Zeiten hatten sich weidlich geändert! Was für Gedankenspiele aber wurden wach in meiner Brust, während ich die Lunte aufschlug oder einen gefallenen Kameraden mit hinunter vom Walle tragen half. Stets schwebte das bleiche Frauenbild mir vor den Augen. Wie im Traum tat ich alles, was mir auf meinem Posten oblag, und wie ein Rasender stürzte ich im ersten freien Augenblick in die Stadt hinab, das Schattenbild meines einstigen Herzliebs aufzusuchen.

Auf den Stufen der Kirchtür Beatae Mariae Virginis fand ich sie. Da saß sie zusammengekauert im grimmen Winterwetter, ihr zehnjährig Kindlein im Arm, die Lippen zusammengepreßt, jammervoll hinausstarrend in die leere Luft. Da stand ich vor ihr: der Sturmwind hatte mir das Haar zerzaust, das Gesicht war vom Pulverrauch geschwärzt, ich war auch nicht mehr der Schreibersknab von Anno Zwölf! Sie hielt mir mit einem bittenden Blick die Hand hin – wie preßte sich meine Kehle zusammen! Um sie her lag viel anderes armes Volk und die Kirche selbst war voll von Kranken und von Sterbenden. Von Zeit zu Zeit schlug eine Kugel krachend in ein Hausdach oder rollte splitternd über das Pflaster dahin.

»Susanna!« brachte ich endlich mühsam hervor.

Sie schaute mich wirr und wild an.

»Kennst du mich nicht mehr, Susanna?«

Sie stieß einen lauten Schrei aus; ihr Mägdlein drückte sich fester an sie an und fing bitterlich an zu weinen, auch mir rollten die dicken Tränen über die Backen.

»Hier kannst du nicht bleiben, Susanna!« sagte ich. »Ich will sehen, daß ich dir einen Schutzort auffinde.«

»Mein Vater ist tot; er hat mich verflucht: wenn das Wasser pikenhoch über meinen Leib weggegangen ist, die Schmach zu waschen, soll mir vergeben sein; meine Mutter ist tot, wenn mein Kind nicht wär', wär' ich auch längst gestorben und hätt' die Schand' gesühnt; laßt uns hier, Herr! Gehet fort! Gehet fort!«

»Ich will dich aber nicht verlassen, Susanna! Fasse Mut, – denk nicht an das Vergangene! Gottes Zornrute schlägt zu schwer die Völker, als daß man Zeit hätte, an sein eigen klein Weh zu denken, – komm du, mein Kind – dein Mütterlein gehet mit – wie heißest du?«

»Herzeleid ist sie genannt!« sagte Susanna. »Ist nicht getauft – ist auch ein Tropf in den Eimer!«

O Zeiten! Zeiten!

Ich hatt' ein klein Kämmerchen bei einem guten Freund, dem ich einst mancherlei zu Nutz getan hatt', dahin bracht' ich meinen verlorenen Schatz, und als die Not aufs höchste stieg in der Stadt, da war es Gottes Fügung, daß ich sie vor dem Hungertod doch zu schützen vermocht'.

Sie hatte ein Lied, das hab' ich ihr hinter der Tür abgelauscht – sie sang es oft genug – weiß nicht, woher sie es mitgebracht hatte! Hab' es mein ganz Leben hindurch nicht aus den Ohren und aus dem Sinn verloren. Es ging aber also:

An der Landstraß' im Graben, da bin ich gefunden,
Zigeunerweib hat auf den Rücken gebunden
      Mich armes, verlassenes Kind.

Zog mit mir hinaus in die weite Welt,
Verhandelte mich an die Pfaffen für Geld,
      Schwarzlockig, braunäugiges Kind!

Schwarz ist mein Haar, weiß ist mein Leib,
Will werden nun ein Soldatenweib,
      Ich armes, verlassenes Kind!

Mein feiner Gefelle, schaust du auf mich,
Wirf schnell den höchsten Wurf für mich
      Schwarzlockig, braunäugiges Kind!

Sie drängten sich um die Trommel her,
Es rollten die Würfel die Kreuz und die Quer.
      Ach, armes, verlassenes Kind!

Der junge Reiter, den Hut er schwang,
Den Amt er um Feinsliebchen schlang,
      Schwarzlockig, braunäugiges Kind!

Es rief die Trompete, es sank das Gezelt,
O du weite, weite, weite Welt!
      O du armes, verlassenes Kind!

Es war ein betrübt Wesen und war mir schier besser zumute bei der grimmen Arbeit auf den Wällen, als in dem engen Kämmerlein auf der Löwenstraße – und was der Vater in seinem Zorn geflucht hatte, das ließ Gott zur Wahrheit werden. Pikenhoch ist das Wasser über den Leib der Susann' weggegangen – und der Generalfeldmarschall von Pappenheim ist schuld daran gewesen! Als der sah, daß er der Stadt von wegen des Sumpfbodens nicht nah genug kommen kunnt mit seinen Laufgräben, da trieb er das elende Bauernvolk zusammen aus den wüsten Dörfern und den Wäldern und ließ einen Damm ziehen, Braunschweig zu, über den Ockerstrom weg, und dämmte ihn ab und trieb die Wasser mit Gewalt hinein in die Festung, daß der Graf Solms auf dem Schloß das Haar zu raufen begunnt. Der Winter half den Kaiserlichen wacker dabei, das Wasser wuchs ringsum und in der Stadt und stieg und stieg. Bald hob die Flut die toten Körper in den Kirchen, die Erschlagenen und Hungergestorbenen in den Straßen und trieb und wirbelte sie umher zwischen den schwimmenden Balken, Trümmern und Eisschollen in den Gassen und auf den Plätzen. In den Kähnen, auf zusammengebundenen Brettern schwammen die elenden Leut' umher; bald neigten und senkten sich die Häuser und stürzten zusammen; dazwischen donnerte das Geschütz rings von den Höhen um die Stadt – es war ein Grauen, wie in den Tagen der Sündflut. Der eiserne, wilde Mann unter den drei Linden sprang und riß vier von den Konstabeln in Stücken, aber bald genug war ein ander Rohr an seine Stell' geschafft; es galt kein Zaudern! Und wenn ich das Geschütz richtete und wenn ich die Lunt' aufschlug, immer mußt' ich an die Susann' und an das Kind Herzeleid in dem Dachkämmerchen auf der Löwenstraß' gedenken. Oft genug bestieg ich mit zwei wackern Kameraden einen Kahn und ruderte hin, stieg durch ein eingeschlagenes Fenster in das Haus und saß bei ihr und sprach ihr zu, so gut ich es vermochte. Aber es kam bald zu seinem Ende! Schon hatte sich auch dieses Haus geneiget, schon war das Lehmwerk des untern Gestocks vor dem Andrang der Wasser eingegangen, da kam noch eine Kugel und erschütterte das Gebäu in seiner Grundfeste, daß Susann' laut aufschrie und daß ich, der ich gerade bei ihr saß, erschrocken in die Höh' sprang. Da war das Besinnen nicht an der Zeit, die Kameraden trieben das Gefährt mit großer Lebensnot bis dicht an die Hausmauer. Was in dem Gebäude an lebendigen Menschen war, stürzte heran. Wir ließen die Weiber mit Stricken herab und stiegen selbst nach. Das Kind Herzeleid trug ich auf dem Arm, an die Brust festgebunden. Langsam regierten wir das übervolle Schifflein durch die Straßen den Wällen zu, denn die und ihre festen Gewölbe waren derzeit allein noch die einzigen Ort', wo die unglückseligen Menschen Schutz finden konnten. Aber es sollt' uns nicht so sein! Kam eine Kugel aus einem Mörsel geflogen von einer feindlichen Schanz', die zog einen feurigen Schweif hinter sich her und schlug mitten in unser Schifflein – – ein grauslicher Angstschrei! – auseinander riß das menschenvolle Bretterwerk. – »Mein Kind! Mein Kind!« – rief Susanna, sie klammerte sich verzweifelnd an mich und im nächsten Augenblick schlugen die eiskalten Wasser über uns zusammen ...

Als ich mich wieder hervorgearbeitet hatte, hing ich mich an das Trümmerwerk eines eingestürzten Hauses und stieg daran herauf ins Trockene. Das Kind Herzeleid hing ohne Besinnung noch an meiner Brust, ich hatt' es nicht losgelassen im Kampf mit den Wassern, von der Susann' und den andern aber war nichts mehr zu sehen. »Das Wasser soll pikenhoch über dich weggehen!« hatte der Vater gesagt. Bald waren unsere nassen Kleider zu Eis gestarrt. »Mein' Mutter! mein' Mutter!« rief das erwachende Mägdelein; aber es klagete bald schwächer und schwächer und ist mir in den Armen vor Kälte und Hunger jammervoll gestorben und in das Himmelreich der Kinder eingegangen, wenn es auch nicht getaufet worden ist ...

Am andern Tag, am vierzehnten Dezember, kapitulierte der Gouverneur, da ließ Pappenheim den Damm einreißen, die Wasser liefen schnell genug ab und der Greuel kam zutage, den sie angerichtet hatten. Viel, viel tote Männer und Weiber, Greise und Kinder sind in eine große Gruben geworfen und das Mägdelein Herzeleid hab' ich selbst hinzugelegt; die Susann' aber hab' ich nicht wieder gesehen – weiß nicht, wohin ihr armer Leib getrieben ist – – Gott möge es genug sein lassen und sie aufnehmen in seinem ewigen Reich, Amen! – Was hatte ich nun noch zu schaffen in der Festung? Bin mit den Dänen ausgezogen, aber es war vorbei mit ihnen, sie hatten kein Glück auf deutscher Erd' und sollen es niemalen haben. Als der großmächtige und streitbare Löw' von Mitternacht, Herr Gustavus Adolfus, von Schweden heranzog, des lutherischen Glaubens Schützer, da bin ich ein Reiter im Regiment des Rheingrafen geworden, und bin mitgeritten durch Blut und Flammen bis auf die Ebene von Lützen. Bei Breitenfeld haben wir die glorreichste Schlacht gewonnen; da trugen die Liguisten die weißen Bänder auf den Hüten und Helmen, welche sie beim Magdeburger Sturm geführet hatten; wir aber hatten grüne Zweiglein aufgesteckt zum Zeichen frischer Hoffnung und riefen »Emanuel« und unsere Sach' war besser als die ihre. Als die Flucht der Kaiserlichen anging, hab' ich bis an den dunkeln Abend einen Reiter gejagt, den hielt ich für den Levin. Als ich ihn aber am Boden hatte, sah ich, daß er's nicht war, da hab' ich ihn gelassen. Mit Pauken und Trompeten bin ich in manche schöne Stadt eingezogen und hat mich der Herrgott allezeit in Gnaden beschützet.

Bei Nürnberg ward ich Rittmeister durch des Königs Gnad' und bei Lützen ritt ich mit ihm, dem Herzog Franz von Sachsen-Lauenburg, dem Leibpagen Hans von Hastendorf – der nachher des Königs Tod in Versen besungen hat – und zwei andern, als er das Regiment Stenbock seinen Fußvölkern zu Hilfe führete. Es war wohl gegen ein Uhr Mittages – der Nebel war dichter geworden – als die feindliche Kugel kam, welche dem tapfern Schwedenkönig den linken Arm zerschmetterte. Ich war dicht an seiner Seiten und griff seinem wilden Pferd in die Zügel. In demselben Augenblick aber setzete eine Eskadron von den Florentinischen Kürassieren zum Angriff an, und einer von den Heransprengenden in einer blanken Rüstung schoß sein Handrohr auf den König ab. Ich sah, wie er wankete und fiel – dann aber ging alles im Getümmel der herbeistürzenden Stenbockschen Reiter und im Kampf Mann gegen Mann für mich verloren. Mein Pferd stürzte, unter den Hufen der über mich wegjagenden Rosse verlor ich die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam und mich mühsam halb aufrichtete, um umzuschauen, hatte sich das Gefecht seitwärts gezogen, nur ein einzelner Reiter hielt inmitten der zurückgebliebenen Toten und Wunden und bog sich forschend und suchend nach allen Seiten hin vom Pferd, welches er langsam von einem Leichenhaufen zum andern gehen ließ. Einem schwarzen Schatten gleich bewegte er sich in dem Nebel, in welchem in der Ferne ein blutiger Schein flammte, das brennende Lützen, und welchen das Aufleuchten der Geschütze und des Musketenfeuers hin und her erhellte.

Jetzt kam der Reiter meinem Platz näher. Er trug die grüne Binde der Kaiserlichen über der Rüstung, der Helm war halb aufgeschlagen, von der Rechten hing am Faustriemen das gezogene Schwert und ein Pistol hielt er gespannt. –

»Teufel!« rief er, als er sich mir näherte. »Wetten möcht' ich, daß ich ihn vom Pferd hab' stürzen sehen – das wär' noch etwas, dem Wallenstein des Schweden Tod melden zu können!«

Jetzt bog der Suchende sich über mich. –

»Levin Sander!« schrie ich und drückte mit letzter Kraft das neben mir liegende Handrohr auf ihn ab. Wieder hab' ich ihn verfehlt! Der Bösewicht lachte höhnisch, hat mich aber wohl nicht erkannt. Sein Pferd, das ich am Maul verwundet hatte, bäumte sich wütend und riß ihn davon. Wie einen bösen Geist und Dämon sah ich ihn im Pulverqualm und Nebel verschwinden! Ich wollt' den Stahlhantsch, der von den Unsrigen vorüber ritt, anrufen, aber er sah mich nicht, und meine schwache Stimme ging im Lärm der Schlacht, der eben wilder wieder auflohete – die Pappenheimer waren von Halle her auf der Walstatt erschienen – unter. Ich sank aus Erschöpfung durch Wut und Blutverstürzung in eine neue Ohnmacht, und seltsam wog Gott die Geschicke der kämpfenden Heere hin und her, während ich bewußtlos lag. Dreimal siegten, dreimal flohen die Kaiserlichen – als ich wiederum aufwachte, hatten die Schweden das Feld. Es war dunkle Nacht; die Toten lagen wohl still und ruhig, aber jammervoll stieg das Gewimmer und Geschrei der Wunden zum Nachthimmel empor. Mühsam arbeitete ich mich unter der Last meines Pferdes hervor – ich hatte eine Kugel in der linken Seite und mein linkes Bein war gebrochen. Ein brennender Durst plagete mich, aber meine Feldflasche war verloren. Da ich bei meinen stillen Nachbarn keine gefüllte fand, so kroch ich weiter zu einem höhern Haufen von Leichen, hinter dem ich zugleich Schutz vor dem kalt über die Ebene streichenden Nachtwind zu finden hofft'. Eben tastete ich an den Körpern der Gefallenen umher, da fiel ein schwaches verschleiert Mondlicht durch die Wolken. Bei seinem Schein blickt' ich in einer nackten, geplünderten Leiche blutbesudelt Gesicht – Gustavus Adolfus! Gustavus Adolfus! ... So hab' ich denn in der schauervollen Nacht auf der Lützener Walstatt Totenwacht bei dem großen und tapfern Monarchen gehalten, und ich allein hab' ihn am andern Morgen den weinenden Getreuen zeigen können! – Das gebrochene Bein haben mir darauf die Feldscherer weggesäget – da war mein Reiterleben am Ende!...

Wer dies Geschrift einmal zu Gesicht bekommt, der soll nicht spotten. Bin wohl einmal ein Schriftgelehrter gewesen; ist aber lang vorbei und die Buchstaben und Gedanken wollen sich nicht mehr auf dem Papier stellen, wie ich wohl möcht' – die Finger sind steif geworden und das Aug' dunkel: das Herz aber ist frisch geblieben, und das ist das Wahr' und Einzige!

Wie ich hieher in das fremde Nest gekommen bin, das stehet auf einem andern Blatt, das ich heut nicht mehr schreiben kann, denn die Sonne sinket und der Wald wirft seine Schatten länger und länger über die Wiese. Sitz' hier nun, wie ein alter maudriger Dompfaff' auf der Stange; aber die Maidlein haben mich gern und die Kinder kommen und steigen mir auf das gesunde Knie und zerren mir den greisen Bart, und die Tiere kommen auch auf Besuch. Die Spatzen hüpfen über die Schwellen und der alte Rab' aus der Schmiede drüben gehet gravitätisch herein, und muß ich oft an Herrn Franziskus Algermann, den Landesfiskal, gedenken, wenn ich den schwarzen Burschen auf dem Tisch vor mir sitzen seh'. Die Sonne vergißt mich nicht, und mit den bösen alten Geschichten kommen auch die guten, und da bringt der Jung' aus der Neckenschenke den Abendtrunk, und ich will den lieben Gott bitten, daß er mich nur noch etliche Jahr mit meiner Krück' in diesem Lehnstuhl sitzen lasse. – Amen! – –

 

* * *

 

Postscriptum. Am 8. Octobris Anno 1641 hat sich eine Lüneburgische Streifpartei im Busch am Neuerberg im Amt Lutter am Barenberg in den Hinterhalt geleget. Hat auch nicht lange gedauert, so ist der Levin Sander, alias Nimmernüchtern, hervorgeritten, und sind die Lüneburgischen auf ihn eingedrungen. Die Kaiserlichen haben sich anfangs tapfer gewehrt, aber zuletzt ist dem Levin von einem Reuter, Dieterich Block genannt, das Pferd erschossen und er selbsten überwältiget und gefangen; da sind sie in wildem Schrecken von dannen geflohen. Der Levin Sander ist bis vor Hildesheim an den Galgenberg zwischen den Pferden mitgeführet, daselbst aber ist er, weil er für Geschoß, Hieb und Stich eisenfest gewesen, mit Äxten, Hacken und Hammern niedergeschlagen worden. –

Gott sei seiner armen Seele gnädig; aber über seinem Grab sollen Hunde bei Tag und Eulen bei Nacht wachen! –


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