Wilhelm Raabe
Gedelöcke
Wilhelm Raabe

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6.

Von der Stadt Friedrichshall, der Feste Friedrichsstein und dem dänischen Postschiff

Im norwegenschen Amt Smaalenen, Stift Christiania, an der Mündung des Tistedal-Elfs in den Idefjord, dem Swinesund, liegt die Stadt Friedrichshall und daneben auf einem dreihundertundfünfzig Fuß hohen Felsen die in alle Zeiten berühmte und berüchtigte Feste Friedrichsstein mit ihren beiden Forts Oberberg und Güldenlöwe, vor welchem letztern, wie jedermann weiß, in der Nacht vom elften auf den zwölften Dezember 1718 der tapfere König Karolus, des Namens der Zwölfte, von einer Falkonettkugel durch den Kopf getroffen, das Leben ließ und Schwedens Macht und Herrlichkeit ein jäh und schrecklich Ende nahm. Wir setzen den Fuß auf diesen hochtragischen Boden im Herbste des Jahres 1731, als Herr Benediktus von Knorpp Kommandante auf Friedrichsstein war, und noch sind nicht alle Spuren der schwedischen Belagerung in der öden, felsigen Umgegend verwischt. In diesen wenig bevölkerten, rauhen Gegenden hielt es schwer, selbst nur das Notwendigste wieder aufzurichten, und überall zeigten noch die Rudera verbrannter oder zerschossener Gehöfte, die zu Laufgräben und Schanzen aufgewühlte Erde, wie Bellona hier hofgehalten hatte. Wie Trauerflor überzog das dunkle Gewölk den Himmel, mit klagendem Getön fuhr der Wind über Land und Sund: immer noch schwebte über den schwarzgrünen, spiegelnden Wellen, dem düstern, regungslosen Felsen und den Ruinen das Gespenst des gloriosen, wilden, nutzlosen Daseins, das hier in dieser Einöde nach so gewaltigem Lärm und Leuchten in der Welt in nichts versank; – noch immer schien die königliche Leiche mit der blutigen Stirn unter den Mauern von Güldenlöwe zu liegen und die frostiger graue Landschaft nur die Trauerdekoration des schwedischen Niederfalls zu sein.

Auf einer Bastion der Festung, von welcher aus man eine weite Aussicht über den Swinesund, die Stadt und die Berge hatte, stand an ein Wallgeschütz gelehnt der Kommandant und neben ihm sein Regimentsdoktor, Herr Snorro Skalholt der Isländer, während eine Schildwacht, ohngefähr zwanzig Schritte ab, mit geschulterter Muskete auf und nieder ging. Beide, der Gouverneur wie der Feldscherer, gähnten sehr, und dann sprach der Herr von Knorpp:

»Daß man am Abend, wann man die Nachtmütze über die Ohren ziehet, seine Kinnladen noch beieinander findet, ist doch ein Mirakul, Meister Snorro; und wann man hier vom Parapet herunterguckt, pfui Teufel, man möchte der ganzen zahmen, lumpigen, lausigen Welt auf den Kopf speien. Aus Wams und Hosen möchte man fahren vor Ungeduld! 's war doch eine andere Zeit, als vor dreizehn Jahren der tolle Karl sein Hauptquartier da drüben zu Tistedalen hatte.«

»Gebe Er Frieden, Kommandante; was hilft Ihm der Skandal und Lärmen? Die Jahre ziehen einem jeden zu seiner Zeit die Stiefeln aus«, sagte der Isländer. »Sollte doch vermeinen, Er hab der wilden Wirtschaft genug gehabt in den dreißig Jahren, welche hindurch Er mich hinter sich fortschleppt! Man wird eben alt und kahl und – ›plus le singe s'élève, plus il découvre‹ – Ihr wisset wohl, was. Sat, satis! Was fehlet dem bescheidenen, friedlichen Sinn und Gemüt allhier auf dieser hochgelobten königlichen dänischen jungfräulichen Feste Friedrichsstein? Lasse Er mir und lasse Er Ihm selber Ruhe, das Postschiff kommt heut auch von Christiania, und ich für mein Teil verlange nicht mehr von dem theatro mundi zu erfahren, als was es uns in seinem Neuigkeitensacke mitbringt.«

»Jawohl, das Postschiff, das ist auch solch ein leidig Labsal«, brummte der Oberst. »Was spinnen und haspeln sie anders als ihre elende pragmatische Sanktion? Wann der richtige Tanz darob beginnt, Meister Snorro, werden wir zwei beide wohl still genug liegen. Na, wie ist's mit dem Schiffe, Mann?«

Diese letzte Frage galt der Schildwacht, welche salutierend den Kolben der Muskete auf den Boden stieß und prompt rapportierte:

»Lief vor einer Viertelstunde allbereits in den Fjord!«

»Bon«, sagte der Kommandant, »steiget hernieder, Doktor, ich glaub, wir haben für diesmal genug von diesem angenehmlichen point de vue; man kennt die Kuriosität zur Genüge. Was gibt es, Korporal?«

Der aus dem Innern der Festung emporsteigende Unteroffizier richtete sich ordonnanzmäßig und griff an den Hut:

»Hab dem Herrn Gouverneur zu vermelden, daß von der Stadt ein Subjektum sich heraufgeschleppt hat, so mit dem Boot von Christiania angelangt sein will und am Tor in Ohnmächtigkeit verfallen ist. Sitzet miserabel jetzt in der Kommandantur, winselt nach dem Herrn Gouverneur – halten zu Gnaden, ein erbarmungswürdig Stück Menschheit – nennet sich Monsieur David Bleichfeld, und –«

Mit offenem Munde blickte der Korporal Peter Pomperson seinem Vorgesetzten und dem Doktor Skalholt nach.

»Bleichfeld?! Gedelöcke?!« hatte der Oberst geschrieen, und schon hallten seine Schritte in dem nächsten bedeckten Wege, und der Isländer folgte ihm im Trabe auf den Fersen.

Gegen alle soldatische Würde langten in hastiger Atemlosigkeit die beiden Herren in der Behausung des Gouverneurs an, und David Bleichfeld, der Famulus des weiland Kurators Jens Pedersen Gedelöcke, wankte ihnen entgegen, wahrlich ein Bildnis des Jammers und aller Perdition des Leibes und der Seele!

In Lappen und Fetzen hing dem Armen sein schwarz Schulmeisterhabit um die Knochen, im Frost schlugen die Kniee aneinander, der bitterste Mangel starrte aus den geröteten, tief eingesunkenen Augen, und zu einem grimmen Hohn ward der Versuch der ausgemergelten Kreatur, dem Obristen und dem Doktor Skalholt entgegenzulächeln. Abermals sank der Exfamulus David Bleichfeld in Schwachheit zusammen.

»Packt ihn!« rief der Isländer. »Greifet dem Jammer sanfte unter die Arme, Herr von Knorpp! Ins Bett mit ihm! Den Grütztopf ans Herdfeuer, agite, agite! Das nennet man in extremis sein! He, he, he, Meister Bleichfelde, haben sie Euch das Fell über die Ohren gezogen? Habt Ihr Haare gelassen? Greifet zu, Herr Kommandante, habet Ihr Euch nicht gleich vorgestellt, daß es also kommen werde? Es ist ein bös Ding, in der Wespen Nest zu greifen, und es ist doch ein gut Ding um diese sichere und edle Feste Friedrichsstein. Bringet den Narren zu Bett, Herr Obrister von Knorpp!«


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