Wilhelm Raabe
Gedelöcke
Wilhelm Raabe

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5.

Von dem isländischen Regimentsfeldscherer Herrn Snorro Skalholt und von Mynheer van der Tromp, weiland zu Leyden

»Halt!« kommandierte wiederum der Obrist. »In keinem Scharmützel, in keinem Treffen bin ich mit einem solchen Gefühl im Magen in die Schlachtlinie gerückt, und Er, Skalholt, lasse Er das abscheuliche Gegrunz und Gelach; hätt Er den Gedelöcke gekannt wie wir, es würde Ihme auch schwüler ums Herz sein.«

»He, he, he, ich lache nicht über den Herrn Kurator, monsieur le colonel; mich lächert Mynheer van der Tromp, den wir zu Leyden stahlen zur Ehre der Wissenschaft. Lasset mich sehen – Lemort, Hotton, Boerhave und ich teilten uns in ihn; – jaja, die drei andern sind als große lumina, als weltberühmte Lichter ausgegangen, und ich bin ein armer Feldscherer worden; aber was hat der Mensch von aller Gloria, wann er tot ist? Barbati praecedant, marschiere Er voran, Herr von Knorpp, doch trete Er leise auf: Mevrouw van der Tromp bot fünfhundert holländische Dukaten dem, so ihr ihres Eheliebsten Leib retourniere, und wir loffen schier an der Wand hinauf vor Ärger; denn wir hatten ihn allbereits verwürfelt und ausgeteilet, jeglichem nach seiner Fortun.«

»Das ist ja eine recht jokose Historia, Meister Snorro«, sprach der Oberst Benediktus. Courage, Monsieur Bleichfeld!«

»Eine recht jokose Historia!« murmelte der Famulus und schoß in die halb geöffnete Haustür, in welcher niemand ihm und seinen Begleitern entgegentrat.

»Niemand zu sehen und zu hören?« sagte der Obriste. »Wahrlich, das siehet öde und kalt aus. O Jens, Jens, du hast uns sonsten hier in anderer Weise salutieret! Haben sie denn alle Reißaus genommen? Brr, im Schwedenlager vor Frederikshall Anno achtzehn konnt's nicht kühler sein; – o Gedelöcke, Gedelöcke, was ist aus deinem lustigen Quartier geworden!«

Nichts regte sich in dem großen, weitläuftigen Hause. Auf einer Treppenstufe stand eine schwelende Küchenlampe, und dem Famulo schlugen die Kniee aneinander vor innerlichem Frost, als er die Hand nach dieser Lampe ausstreckte, um den beiden Herren den Weg zu zeigen. Auch in dem oberen Gestock rührte und regte sich nichts, außer den Mäusen hinter dem Wandgetäfel; die Tür des Sterbezimmers stand gleich der Haustür ein wenig geöffnet, doch brannte kein Licht in dem Gemache, und die kleine qualmende Flamme, welche David Bleichfeld auf Armeslänge zitternd vortrug, schien die Finsternis nur dichter und undurchdringlicher zu machen.

»Nun, Mann, da wir so weit sind, so rücket weiter«, sagte der Oberst, doch nicht mit der gewohnten rauhen Kommandostimme. »Die Toten beißen nicht, und den Lebendigen kann man die Zähne weisen; – da!«

Der isländische Regimentsdoktor hatte den zaudernden Famulus durch einen jähen Stoß in das Gemach gedrängt; der Schein der Lampe fiel über das Bett des Kurators, und aus dem Lehnstuhl neben dem Bette erhob sich fauchend der Kater Mutz und sah mit grünleuchtenden, wilden Augen auf die Eintretenden. Unter dem weißen Laken, so man über den Leichnam geworfen hatte, guckte nur der rote Zipfel der Nachtmütze Gedelöckes hervor; der Lichtschein tanzte über dem Tische mit den Arzneigläsern, Schalen und Bechern; auf der spanischen Wand grinsten die bunten Chinesen wie phantastische Kobolde, und in dem kuriosen Gezweig schienen die kuriosen Vögel in dämonischer Lustigkeit mit den Flügeln zu schlagen. Schon aber hatte Herr Snorro Skalholt die Leinwand von dem Gesicht des Toten gezogen, und während die beiden andern noch in Betrübnis und Grauen bewegungslos standen, betastete er mit gierig-kundiger Hand den Leichnam, wandte sich um und sprach:

»Herr Obrister von Knorpp, der Mann spielt Euch sicher keinen Possen mehr.«

»Ich wüßte nichts, so mir schwerer einginge!« seufzte der Oberst. »O Jens, Jens, das gehet noch über die Mamsell Spegelmann im Garten zu Rosenborg – ah, bah, hab ich damals meinen Willen gehabt, so sollst du jetzo den deinigen haben, Jens Pedersen Gedelöcke! Vorwärts im Schritt; – gebet Euer Wort dazu, ihr Herren!«

»Messieurs sind also fest entschlossen, mit hier vorliegendem Korpus per fas et nefas denen, so ein mehreres Recht daran haben möchten, die elatio, will sagen, die Leichaustragung vor der Nase hinweg vorzunehmen?« fragte der Doktor Snorro, sich von der Inspektion des Leichnams aufrichtend.

»Per fas et nefas, es war seine Meinung, und es soll so geschehen!« rief schluchzend der Famulus, und der Oberst von Knorpp streifte stumm, mit grimmigem Ernst, die weiten Ärmelaufschläge zurück, zu jedem Anpacken mit Fäusten und Zähnen bereit.

»So ist mein Avis«, sagte der Regimentsfeldscherer, »die Herren halten allhier gute Wacht mit Ober- und Untergewehr; ich aber bringe vom Spital die Vespillones, will sagen, meine Bahrträger. Da gehen wir dann mit dem Herrn Kurator fein still und sittsam die Treppe hinunter, machen an der Tür dem Haus unser Kompliment, und hab ich ihn, will sagen, den Herrn Kuratorem, im Spital, so –«

Der Doktor brach ab und zeigte nur sein Gebiß; der Herr von Knorpp und Herr David Bleichfeld aber gaben nickend ihre Beistimmung kund, jedoch mit der geheimen Reservation einer kleinen Unterschiedlichkeit zwischen den allerletzten Schicksalen Mynheers van der Tromp und des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke. Auf den Zehen schlich der Isländer aus dem Zimmer; der Obriste setzte sich zu Häupten des Lagers nieder, und der Famulus hielt Wacht an der Tür, nachdem er vorher noch eine Wachskerze, die er auf einem Nebentische fand, angezündet hatte. Schnurrend aber ging der Kater jetzo, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Freunde seines toten Herrn gekommen seien, von einem der beiden Männer zu dem andern und rieb sein knisternd Fell an ihren Schienbeinen und Waden, bis er plötzlich ganz improviso mit einem Satz dem Obristen auf das Knie sprang und gravitätisch daselbst seinen Posten behauptete. Hätte der Kurator sich aufrichten und einen Blick in das weite, dunkle Gemach, auf den rotröckigen Herrn Benedikt von Knorpp, den schwarzen, bleichgesichtigen, zähneklappernden David Bleichfeld und den Mutz werfen können, er würde dessen gewiß merkwürdiglich froh geworden sein.

Von Zeit zu Zeit unterbrach ein lauteres Geseufz, ein dumpferes Knurren und Brummen des Kriegsmannes die Stille der Nacht. Der Wind zischte vor den Fenstern, es rieselte der Ruß im Schornstein hernieder, einmal wurde draußen auf dem Gange eine Tür schnell geöffnet und noch schneller wieder zugeschlagen.

»Da lob ich mir jeglichen Posten über jeder Flattermine«, murmelte der Obriste, und der Famulus lobte noch manche andere Dinge und Zustände, welche behaglicher waren als dieses mitternächtliche Harren auf den isländischen Doktor Snorro Skalholt und seine Bahrträger. Endlich um zwölf Uhr weniger zehn Minuten legte der Herr von Knorpp die Hand ans Ohr, und David schlich zum Fenster und flüsterte:

»Da sind sie! Der Himmel sei gepriesen!«

»Amen!« sprach der Obrist. Taktmäßige Schritte mehrerer Männer ertönten in der stillen Gasse und hielten vor dem Hause des weiland Kurators Gedelöcke an.

»Courage, Famulissime!« flüsterte der Herr von Knorpp. »Jetzo fasset einmal all Euern dänischen Heldenmut zusammen; denket an den ehrwürdigen Herrn Hieronymus Moekel und das hochehrwürdige Königliche Konsistorium; nehmt das Licht und haltet es hoch, ich nehme den Kurator! Courage, Jens Pe – wollte ich sagen David Bleichfeld! O Jens, Jens Pedersen Gedelöcke, ich hab schon manch einen also aufgegriffen vom Feld, aber keinen mit mehr Ärgernis und Jammer als dich! Komm, Alter, es war doch ein ander Ding, als wir in Rosenborg-Have uns im Sonnenschein unsere Meinung und die Mamsell Spegelmann um die Köpfe schlugen!«

Er hatte während dieser Stoßseufzer das Leinentuch fest um den Leichnam geschlagen und erhob denselben nun mit einem wilden Ruck von dem Pfühle. Im höchsten Schrecken fuhr David Bleichfeld gegen die Wand, und zischend, mit emporgesträubtem Pelz, schoß der Kater auf und sah mit allen Zeichen des Entsetzens von einem hohen Eckschrank seinem toten Herrn nach.

»Horch, Island auf der Treppen! Hinaus, Monsieur, in des Satans Namen! – Leuchtet vor – Courage!« rief der Obrist, keuchend unter seiner absonderlichen Last; der Famulus riß. die Tür auf, und der Herr von Knorpp sprang mit dem Leichnam auf den Korridor hinaus. In demselben Momento aber wurde auch die Tür der Frau Mette am Ende des Ganges geöffnet, und eine Magd, ein Teebrett mit Tassen und Töpfen in den Händen tragend, trat herfür, um einen Augenblick versteinert die verwunderliche Gruppe anzustarren und mit dem nicht ungerechtfertigten gellenden Gekreisch: »Er holt ihn, er holt ihn, er hat ihn! Der Teufel, der böse Feind, der Teufel holt den Herrn, der Teufel holt den Herrn Kurator!« zu Boden zu stürzen. Auf sie und die Trümmer ihres Porzellans sank mit eben solchem Geschrei die herzugeeilte trauernde Witib.

»Da haben wir's, Jens Gedelöcke, da hast du's, drin sind wir! Vorwärts, Monsieur Bleichfeld. Zehntausend finnische Nordlichter, wird das morgen einen Lärm geben in der Stadt Kopenhagen! Greift zu, Herr Snorro, und vorwärts im Galopp!«

»Ja, vorwärts im Galopp, das sagte Hermann Boerhave auch, als wir Mynheer van der Tromp durch die Hoftür zwängten«, murmelte der Isländer. »Te drommel, das war im Jahr neunundachtzig, Obrister!«

Der Famulus sagte nichts; denn zuletzt trug er doch am schwersten an dem Gewicht seines guten toten Patrons. Wie Frau und Magd im obern Stockwerk des Hauses, so schrieen nun Knecht und Köchin im Erdgeschoß auf und stürzten im fernsten Winkel übereinander; aber vor der Tür warteten ein Gefreiter und vier Füsiliere mit der Spitalbahre: »Viktoria, heran ihr Leute!« rief der isländische Feldscherer. »Packt auf und sehet euch nicht um; greift aus, Herr von Knorpp, greift aus, Monsieur Bleichfeld, in meinem Quartier mögen wir das Weitere besprechen.«

Schnell nahmen die Träger die Bahre auf, und im eilenden Laufe wurde der Leib des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke durch die Gassen geführet. Weit ausschreitend eröffnete der Obriste Herr Benediktus von Knorpp den Zug, und der Famulus mit dem Isländer beschlossen ihn. Scheu wich zur Seite, wer dem gespenstischen Wesen begegnete, und mehr als ein guter Kopenhagener Bürger, an welchem das »Ding« vorübergefahren war, sprach nachhero mit absonderlicher Inbrunst sein Vaterunser und zog die Bettdecke hoch über die Nase hinauf. Am andern Morgen in der grauesten Frühe, vor Eröffnung der Festungstore, rasselte ein Fuhrmannswagen gegen das Ostertor heran, und ein tief in seinen Mantel gehüllter Mann wies dem wachthabenden Korporal den Passierzettel vor, worauf die Gitter ohne Anstand geöffnet wurden und das Fuhrwerk ohngehindert seinen Weg durch die Osterbrogade fortsetzen durfte. Am Garnisonskirchhof hielt der Wagen abermals, drei Männer stiegen herab und trugen mit Hülfe des Fuhrknechts einen schlecht gezimmerten königlich dänischen Soldatensarg im tiefsten Schweigen durch den dichten Nebel über den Gottesacker zu einer Grube, an deren Rande der Totengräber mit seinem Gehülfen bereits wartete.

Im tiefsten Schweigen wurde der Sarg in die Erde hinabgesenkt; wie die drei Männer mit die Stricke gehalten hatten, so griffen sie auch mit zu den Schaufeln, und in kürzester Frist war die traurige Arbeit vollendet. Nachdem sich die Totengräber entfernt hatten, blieben die drei Leidträger allein an dem neuen Grabe; der Famulus des Herrn Kurators Jens Pedersen Gedelöcke, David Bleichfeld, schluchzte laut hinter dem vorgehaltenen Hute; der isländische Doktor Snorro Skalholt murmelte etwas von Mynheer van der Tromp, und der Obriste Herr Benediktus von Knorpp drückte mit einem Faustschlag den befiederten Dreimaster tief in die Stirn und sprach:

»So hast du denn wenigstens ein ehrlich Soldatengrab gekriegt, Jens, und Gott schenke dir und uns allen eine fröhliche Urständ! Wir haben unser Bestes getan, Messieurs, und für jetzt das Beste gewonnen; aber – Bleichfeld, nehme Er Vernunft an; gehe Er morgen mit mir und meinen Füselieren nach Norwegen. Bringe Er Seinen eigenen, magern Leichnam in Sicherheit, Famule; gehe Er mit uns nach Friedrichshall; die Kommodité soll seit der schwedischen Berennung Anno achtzehn mächtig zugenommen haben; ich geb Ihm meine Parol, auf Fort Güldenlöwe soll Er sitzen wie in Abrahams Schoß, und wir wollen lachen über das Krächzen und Flügelschlagen jenseits des Wassers.«

»Seine, meine Bibliotheka!« seufzte der Famulus. »Die zwotausend Reichstaler lass ich hinter mir wie einen Sack Nüsse; aber hat Er Raum an Bord für Opera omnia Lutheri, Melanchthonis, Brentii, Walleri, Erasmi, Clerici, Calvini, Cocceii, Launoii...«

»Hör Er auf, hör Er auf!« schrie der Obrist.

»Hat er Platz für des Cornelii a Lapide Bibelkommentare, sechzehn Folianten? Hat Er –«

Herr Benediktus von Knorpp hielt sich beide Ohren zu und stiefelte eilig über die Gräber der Kirchhofspforte zu, und verdrießlich folgte ihm der isländische Doktor. Der arme Famulus stand allein an dem traurigen Grabe des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke, schlug die Hände zusammen und rief:

»O mein guter Patron, mein Freund, mein Vater, was werden sie aus mir machen? Was soll ich ohne Ihn anfangen in dieser ärgerlichen, giftigen Welt? O Herr Kurator, Herr Kurator!« Auf den Zaun des Garnisonsfriedhofes aber legten sich zwei hagere, haarige, knochige Fäuste, eine lange, schwarze Gestalt hob sich auf den Zehen, und eine spitzige, gerötete Nase roch in den Nebel hinein.

»Ei, ei! So, so, Monsieur Bleichfeld«, sprach Meister Jesse Brägge, der Küster der Trinitatiskirche. »Solches wird man freilich ein Begräbnis Jojakims nennen! O profanatio, was werden wir dazu sagen im hochwürdigsten Konsistorio! Hat man Ihn, Monsieur? Ei, ei, ei, das war freilich ein lieblich Werk und wird einen guten Geruch geben.«


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