Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Novemberheft 1839 von Blackwoods Magazin, fast dreizehn Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Artikels.

Wie sich der geschätzte Leser entsinnen wird, gab ich mich vor einer Reihe von Jahren für einen Mordliebhaber Im Originalartikel fand sich folgende Einleitung: Doktor North! Da Sie ein freidenkender Mann sind – freidenkend im wahren Sinne jenes Wortes, mit dem im Kauderwelsch moderner Politiker und Schulmeister so viel Mißbrauch getrieben wird – bin ich der festen Überzeugung, bei Ihnen Verständnis zu finden. Man hat mir übel mitgespielt, Herr Doktor – sehr übel! In der Hoffnung, daß Sie alles wieder ins gleiche bringen werden, gestatte ich mir Ihnen in Kürze einige Erklärungen zu geben und ein Bild schwärzester Verleumdung vor Ihnen zu entrollen. Ein zürnendes Stirnrunzeln Ihrerseits oder ein drohendes Schütteln des Krückstocks an die richtige Adresse wird mein Ansehen in der öffentlichen Meinung, die zu meinem größten Leidwesen dank der Minierarbeit böswilliger Verleumder mir und meinen Freunden recht feindlich gesonnen ist, wieder herstellen. Doch nun zur Sache!
Der Artikel fährt dann wie oben fort, nur daß die Worte »wie Sie (d. h. Dr. North) sich entsinnen werden« durch »wie sich der geschätzte Leser entsinnen wird« ersetzt sind. Diese Abänderung ist durch den ganzen Artikel beibehalten.
oder, besser noch, für einen Kunstkenner in Mordsachen aus, wenn das Wort »Liebhaber« dem Geschmack des mit einem zarten Gewissen und schwachen Nerven begabten Publikums zu kraß klingen sollte. Darin, hoffe ich, kann niemand etwas Unrechtes finden. Schließlich ist doch kein Mensch verpflichtet, Augen, Ohren und Verstand in die Hosentasche zu stecken, wenn sich ein Mord ereignet. Falls er nicht gänzlich stumpfsinnig ist, muß es ihm unbedingt einleuchten, daß ein Mord mehr oder weniger geschmackvoll ausgeführt werden kann als der andere. Wie Statuen, Gemälde, Oratorien, Kameen und Schnitzwerke, so unterscheiden sich auch Morde durch feine, künstlerische Nüancen.

Man kann es einem Manne wohl verübeln, wenn er über einen Gegenstand zu viel oder in zu breiter Öffentlichkeit spricht (das »Zuviel« stelle ich übrigens in Abrede – nie kann jemand seinen Kunstsinn zu sehr vervollkommnen), aber das Denken wenigstens müßte man ihm freistellen. Würden Sie es wohl für möglich halten, daß die Kunde von dem kleinen ästhetischen Essay, das ich veröffentlicht hatte, sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Nachbarschaft verbreitete? Und als die Leute unseligerweise gleichzeitig erfuhren, daß ich bei einem Festmahl in dem Klub, welcher der gleichen Richtung huldigte, wie mein Essay – nämlich der Verbreitung des guten Geschmacks unter den getreuen Untertanen Ihrer Majestät Ihre Majestät: In der Vorlesung sagte ich, da zu jener Zeit (1827) Wilhelm IV. (nein, Georg IV.) auf dem Throne saß, mit Bezug auf den Herrscher »Seine Majestät«; doch zwischen der Vorlesung und dieser Ergänzung liegt die Thronbesteigung unserer jetzigen Königin (diese Fußnote wurde im Jahre 1854 hinzugefügt). – den Vorsitz geführt hatte, überschütteten sie mich mit den niederträchtigsten Verleumdungen. Unter anderem behaupteten sie, daß ich oder der Klub (was auf dasselbe herauskommt) Prämien für wohlgelungene Abschlachtungen ausgesetzt hätte – und zwar nach einer für unsere Freunde aufgestellten Tabelle, die eine Skala von Abzügen für Mißgriffe und Fehler bei der Ausführung der Tat enthielte. Wenn ich nunmehr dazu schreite, dem geneigten Leser die volle Wahrheit betreffs des Festmahls und des Klubs zu enthüllen, so wird er daraus ersehen, wie bösartig die Welt ist. Doch zunächst sei es mir gestattet, meine Grundsätze in der fraglichen Angelegenheit vertrauensvoll darzulegen.

Es ist eine feststehende Tatsache, daß ich nie im Leben einen Mord begangen habe. Meine sämtlichen Freunde können es bezeugen und wenn ich wollte, könnte ich einen Bogen Papier von der Größe eines Tischtuches voller Unterschriften sammeln. Ich bezweifle sogar sehr, ob viele Leute imstande wären, so starke Beweismittel für ihre Unschuld beizubringen. Allerdings behauptet ein Klubmitglied, ich hätte mir einmal zu später Nachtstunde, als wir beide allein übriggeblieben waren, an seiner Gurgel zu schaffen gemacht. Doch pflegt sein Bericht, je nachdem er deutlich Civilisation oder nur Civil-l-ation An einer andern Stelle erklärt de Quincey die Bedeutung des Ausdrucks »Civilation«. So würde jemand, dem nach einem guten Diner die Zunge etwas schwer geworden ist, das Wort »Civilisation« aussprechen. aussprechen kann, stets anders zu lauten. Befindet er sich noch im Anfangsstadium, so begnügt er sich damit zu erzählen, ich hätte mit seiner Kehle geliebäugelt, worauf ich ein paar Wochen lang in Schwermut verfallen wäre; auch hätte das feine Ohr des Kenners damals aus dem Klang meiner Stimme das Bedauern über die »verpaßte Gelegenheit« herausgehört. Doch weiß der ganze Klub, daß er selbst ein in seinen Hoffnungen Betrogener ist und zu Zeiten die verhängnisvolle Nachlässigkeit, ohne Handwerkszeug ausgegangen zu sein, bitter beklagt. Übrigens ist das Ganze nur eine Angelegenheit zwischen zwei Dilettanten, denen wohl in einem solchen Falle ein paar kleine Schwindeleien und Übertreibungen gestattet sind. »Nun, wenn du auch gerade selbst noch niemand totgeschlagen hast, so könntest du doch immerhin einen Mord begünstigt oder gar angestiftet haben,« wirst du einwenden, lieber Leser! Auf mein Ehrenwort – nein! Dafür will ich eben in diesen Zeilen den Beweis antreten. Tatsächlich bin ich in allem, was den Mord anbelangt, sehr feinfühlig; ja, es kann sogar sein, daß ich hierbei in meinem Zartgefühl zu weit gehe. Der Stagirite ist vollkommen im Recht, wenn er – möglicherweise im Hinblick auf einen ähnlichen Fall wie den meinen – die Tugend in das το μεσον oder in den Mittelpunkt zwischen zwei Extreme stellt. Stets die goldene Mittelstraße einzuhalten, sollte sicherlich jedes Menschen eifrigstes Bestreben sein. Wenn es nur nicht leichter gesagt als getan wäre! Bei meiner allseitig bekannten Weichherzigkeit gelingt es mir leider nicht, die stetige Äquatorlinie zwischen den beiden Polen: »zu viel und zu wenig Mord« einzuhalten. Durch meine übertriebene Gutmütigkeit werden Leute verschont – oder vielmehr gehen gänzlich unbehelligt durchs Leben –, die eigentlich nicht geschont werden dürften. Wenn ich die Welt zu regieren hätte, so gäbe es, glaube ich, jahraus-jahrein keinen einzigen Mord, denn ich bin wahrhaftig mehr für Frieden, Ruhe, zu Kreuze kriechen und »klein beigeben«.

[Endnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re.]In ihrer ursprünglichen Fassung lautete die Stelle im »Blackwood« folgendermaßen: »Ich trete stets für Tugend, Güte und dergleichen ein.« Der Satz ist nicht bloß verändert und erweitert worden, es fehlt auch folgende Stelle, die ich, da sie der Wiedergabe wert ist, hierher setze:

»An zwei Beispielen will ich Ihnen beweisen, bis zu welcher leuchtenden Höhe sich meine Tugend emporschwingt. Vielleicht wird Ihnen das erste nur wie eine unbedeutende Bagatelle vorkommen; wenn Sie jedoch meinen Neffen kennen würden, der ohne meine warnende Stimme längst am Galgen geendet hätte, so wären Sie anderer Meinung. Von übertriebenem Ehrgeiz beseelt, bildete er sich ein, in allen Zweigen der Mordkunst beschlagen zu sein, während er, die von mir gestohlenen Ideen abgerechnet, keine blasse Ahnung von der Sache hatte. Und dies war so allgemein bekannt, daß der Klub, trotz aller schuldigen Rücksicht, die er ihm als meinem Verwandten erwies, ihn zweimal hinausballotierte. »Wirklich, Herr Präsident,« sagten die Klubmitglieder zu mir, »wir täten für einen Verwandten von Ihnen gern ein übriges; aber Sie wissen selbst, daß er uns blamieren würde. Wenn wir ihn wählten, so hätte er nichts Eiligeres zu tun, als irgend jemand auf die gemeinste Art und Weise abzuschlachten, nur um seiner Wahl Ehre zu machen. Das wäre dann eine nette Bescherung! Sie können sich die Geschichte ja selber vorstellen – mehr Wurstkessel als Künstleratelier! Wahrscheinlich würde er auf einen ungeschlachten Pächter verfallen, der betrunken vom Jahrmarkt nach Hause torkelt, und die Ströme des bei der Tat vergossenen Blutes sollten dann wohl vor unserer Kritik als »künstlerische Anordnung, Schlußeffekt, szenische Gruppierung« gelten. Und womit würde er wohl arbeiten? Sicherlich doch mit einem Beil und ein paar Pflastersteinen, so daß man auf den ersten Blick eher an einen scheußlichen Oger oder Cyklopen als an einen schönheitsliebenden Meister des 19. Jahrhunderts denken würde.«

Ich mußte allerdings zugeben, daß bei diesem düsteren Bilde die Hand der Wahrheit den Pinsel geführt hatte; meine persönlichen Gefühle schaltete ich von vornherein aus. Bei der Unterredung mit meinem Neffen am nächsten Vormittag befand ich mich in einer heikeln Situation, doch war ich fest entschlossen, mich durch keine verwandtschaftlichen Erwägungen in meinem Pflichtgefühl wankend machen zu lassen. »Mir scheint, daß du dich mit deinen Lebensanschauungen auf dem Irrwege befindest, mein lieber John,« sagte ich. »Von brennendem Ehrgeiz aufgestachelt, träumst du von glorreichen Taten, zu deren Erfüllung deine Fähigkeiten nicht ausreichen. Glaube mir, es ist nicht unbedingt notwendig, durch einen Mord seine Ehrenhaftigkeit zu beweisen. Mancher hat nie in seinem Leben den leisesten Versuch gemacht, einen andern auf gute, mittelmäßige oder schlechte Art umzubringen und ist doch in Ehren grau geworden. Zunächst mußt du dich stets fragen: quid valeant humeri, quid ferre recusent? Alle können wir nicht leuchtende Vorbilder der Menschheit sein. Es liegt in deinem eigenen Interesse, dich lieber mit einer bescheidenen, gut ausgefüllten Stellung zu begnügen, als Mißgriffe zu begehen, die im Gegensatz zu deinen prahlerischen Versprechungen aller Welt um so unangenehmer ins Auge fallen müßten.«

John machte ein sehr mürrisches Gesicht, sagte aber nichts, und ich schmeichle mir, einen nahen Verwandten vor dem Fluch der Lächerlichkeit bewahrt zu haben, indem ich ihm eine Sache ausredete, zu der er ungefähr so viel Begabung mitbrachte, wie zum Dichten eines Epos. Allerdings wurde mir erzählt, daß er über einem Racheplan gegen mich und den Klub brütet. Sei dem nun wie ihm wolle, liberavi animam meam. Wie man sieht, habe ich in dem Bestreben, die Zahl der Totschläge zu verringern, sogar eigene Lebensgefahr nicht gescheut.« –

Weshalb de Quincey diese Stelle in der Ausgabe von 1854 ausgelassen hat, ist nicht ersichtlich.

Einstmals bewarb sich um die freigewordene Stelle eines Dieners bei mir ein Mann, der in dem Rufe stand, in unserer Kunst ein wenig, und zwar nicht ganz erfolglos, herumgepfuscht zu haben. Daß er voraussetzte, die Ausübung dieser Kunst gehöre zu seinen regelmäßigen dienstlichen Obliegenheiten und seine Lohnansprüche danach bemaß, verblüffte mich jedoch stark. Das konnte ich unmöglich zugeben und ich sagte ihm dann auch sofort: »Richard (oder James, oder wie er sonst heißen mochte), Sie irren sich in mir. Wenn jemand diesen schwierigen (und lassen Sie mich hinzufügen gefährlichen) Kunstzweig ausüben will oder – weil er eine ungewöhnlich glänzende Begabung in sich spürt – muß, so kann er seine Studien fortsetzen, gleichviel ob er sich in meinem Dienst oder in dem eines andern befindet. Auch würde es ihm sowie dem Gegenstande, an dem er sich betätigt, nur zum Vorteil gereichen, wenn kunstverständige Leute ihn anleiteten. Wohl bedeutet Genie viel, doch ist der Rat eines Mannes, der ein langes, eingehendes Studium hinter sich hat, auch nicht zu verachten. Allgemeine Regeln will ich Ihnen daher gern geben, aber das ist auch alles! Mit irgendeinem speziellen Fall will ich nichts zu tun haben. Lassen Sie sich das ein für allemal gesagt sein! Kommen Sie mir nicht etwa mit einem Plan zu einem Kunstwerk, das Sie sich ausgeheckt haben – ich will nichts davon wissen. Wenn ein Mensch sich erst aufs Morden einläßt, dann verfällt er auch bald aufs Rauben; Saufen und Sabbatschänden sind die nächsten Laster, und von da ist es nicht mehr weit zu Frechheit und Saumseligkeit. Wer sich einmal auf abschüssiger Bahn befindet, kann nie wissen, wo er endet. Schon bei manchem Menschen ist ein Mord oder ein ähnlicher kleiner Fehltritt, dem er zur Zeit keine Bedeutung beimaß, der erste Schritt zum Verderben gewesen. Principiis obsta – das ist mein Grundsatz.« Diese Worte, die ich zu jenem Manne sprach, waren auch stets die Richtschnur meines Handelns. Ich wüßte also wirklich nicht, was tugendhafter sein könnte.

Nunmehr komme ich zu dem Klub und dem Festessen. Der eigentliche Begründer jenes Klubs bin ich nicht, da er – wie sehr viele derartige Vereinigungen zur Förderung der Wahrheit und Ausbreitung neuer Ideen – sein Entstehen mehr einem allgemein empfundenen Bedürfnis als der Anregung eines einzelnen verdankt.

Wenn man die Verantwortung für das Festmahl einem der Klubmitglieder besonders in die Schuhe schieben will, so kann in diesem Falle nur die »Unke« in Frage kommen. Seine mißvergnügte, menschenfeindliche Gemütsart, in der er auf jeden modernen Mord als scheußlich mißlungene, allen Regeln der Kunst Hohn sprechende Stümperei schimpfte, hatte ihm in unserem Kreise den erwähnten Beinamen eingetragen. Die glänzendsten Leistungen unserer Epoche kritisierte er mit beißendem Spott und wurde schließlich so streitsüchtig und als laudator temporis acti so verschrien, daß man gern seine Gesellschaft mied, was seinen Grimm noch steigerte. Wo man ihn nur irgend zu Gesicht bekam, brummte er vor sich hin und hielt Selbstgespräche, aus denen Schlagworte wie »minderwertiger Streber – kein Sinn für Linienführung – keine Idee von Technik« heraustönten. Schließlich machte er den Eindruck, als sei ihm das Dasein vollständig vergällt, er richtete nur noch selten das Wort an uns und schien statt dessen mit lustigen Gespenstern Zwiesprache zu halten. Wie seine Haushälterin uns erzählte, beschränkte sich seine Lektüre lediglich auf »Gottes Strafgericht über den Mord« von Reynolds Die Triumphe des göttlichen Strafgerichts über die zum Himmel schreiende, fluchwürdige Sünde des Mordes, London, 1621. Es folgten noch fünf Fortsetzungen, die im Jahre 1635 mit dem ersten Teile in einem Bande vereinigt wurden. Im Jahre 1679 erschien eine neue, erweiterte Auflage. und einen noch älteren, ebenso betitelten Schmöker, den Sir Walter Scott in »Nigels Schicksalen« Es ist jenes schreckliche Buch gemeint, das Nigel zu später Nachtstunde auf seinem im Hause des alten Geizhalses Trapbois befindlichen Zimmer liest, als er das entsetzliche Geschrei der Martha Trapbois hört, die eben den Mord ihres Vaters entdeckt hat. Scott beschreibt es folgendermaßen: »Das Buch »Gottes Strafgericht über den Mord« war nicht, wie ein Bücherwurm leicht mutmaßen könnte, das von Reynolds unter diesem pomphaften Titel veröffentlichte Werk, sondern ein von dem alten Wolfe gedrucktes und verlegtes Werk früheren Datums.« Doch hätte eins der frühesten Exemplare von Reynolds' Buch fast mit dem Datum der Geschichte übereingestimmt. erwähnt. Manchmal blätterte er noch in dem »Newgate Kalender« von 1788; ein Buch neueren Datums nahm er grundsätzlich nie in die Hand. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß die französische Revolution für den Niedergang der Mordkunst verantwortlich sei. »Es wird nicht lange dauern,« pflegte er zu sagen, »und die Menschen werden nicht einmal mehr Hühner schlachten können. Selbst die Anfangsgründe der Kunst gehen ihnen allmählich verloren.« Im Jahre 1811 zog er sich gänzlich von der menschlichen Gesellschaft zurück. An keinem öffentlichen Versammlungsort ward »Unke« mehr gesehen. »Weder auf der Wiese, noch im Walde war er zu finden. Nur am Ufer des Kanals streckte er um die Mittagszeit seine trägen Glieder und starrte auf die trüben Fluten, die sich vorüberwälzten. Hier ist eine Zeile aus den Schlußstrophen von Grays Elegie angeführt:

»Nicht Wald noch Wiese kannten seine Spur.«

De Quincey behält diesen Rhythmus in seiner scherzhaften Parodie jener andern, den einsamen Dichter beschreibenden Strophe bei:

»Zum Fuße jener Birke folge mir.
Die ihre nackten Wurzeln kraus verstrickt.
Zur Mittagsstunde siehst du, wie er hier
Lang ausgestreckt ins Murmelbächlein blickt.«
»Selbst die Hunde sind nicht mehr, was sie waren – noch was sie sein sollten,« spann dieser Sittenprediger seine tiefsinnigen Betrachtungen. »Zu Lebzeiten meines Großvaters verstanden sie noch zu töten. Ich erinnere mich einer Bulldogge, die ihrem Nebenbuhler im Hinterhalt auflauerte – jawohl, mein Herr – und ihn schließlich wirklich sehr geschmackvoll umbrachte. Auch zählte ich einen Kater zu meiner engeren Bekanntschaft, der ähnliches geleistet hatte. Doch heutzutage –« Als ob die Fortsetzung dieses Gesprächs ihm unerträgliche Qualen bereite, preßte er die Hand an die Stirn und wankte in der Richtung seines Lieblingskanals davon, wo ein Kunstliebhaber ihn in einer Verfassung antraf, die es ihm bedenklich erscheinen ließ, den Sonderling anzureden. Kurz darauf verkroch sich »Unke« in sein Loch; er war anscheinend unrettbar in Tiefsinn verfallen, und es ging sogar das Gerücht, er habe sich erhängt.

Mit dieser weitverbreiteten Annahme befand sich die Welt, wie so oft auch in anderer Hinsicht, wieder einmal auf dem Holzwege. Wohl mochte »Unke« schlafen, doch tot war er keinesfalls, wie uns der Augenschein bald belehren sollte. Eines schönen Morgens im Jahre 1812 überraschte uns ein Kunstliebhaber mit der Neuigkeit, daß er »Unke« schnellen Schrittes über die taufeuchten Wiesen am Kanalufer dem Postboten habe entgegeneilen sehen. Schon dies war höchst auffallend, doch wie erstaunten wir erst, als wir ferner vernahmen, daß »Unke« sich rasiert und seine Trauergewänder mit einem hochzeitlichen Kleide vertauscht habe. Hier verfällt der Autor ebenfalls in dasselbe Versmaß:

»Es sprüht der Tau vor seinem hast'gen Schritt,
Der ihn dem Postmann rasch entgegenführt.
Das ist schon viel: doch größ'res Wunder noch!
Er trägt jetzt keinen Bart – er ist rasiert!«

eine Art Parodie auf Grays Stanze:

»Vielleicht teilt uns ein alter Schäfer mit:
Oft seh ich morgens ihn im Dämmergrau,
Es sprüht der Tau vor seinem hast'gen Schritt,
Wenn er die Sonne grüßt auf Bergesau.«
Was konnte das bedeuten? Hatte er den Verstand verloren? Nach kurzer Zeit »kam dann die Mordgeschichte heraus« und zwar in mehr als bildlichem Sinne. Die Londoner Morgenzeitungen brachten die Nachricht, daß vor drei Tagen im Zentrum von London ein Mord geschehen sei, wie ihn das Jahrhundert bis jetzt auch nicht annähernd so glorreich aufzuweisen hätte. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß es Williams' großes Vernichtungswerk im Hause Mr. Marrs, Ratcliffe Highway Nr. 29, und, soweit bisher bekannt, das Debüt des Künstlers war. Das zweite, von demselben Meißel ausgeführte Werk, das sich zwölf Nächte später bei Mr. Williamson ereignete, trug, nach Ansicht verschiedener Leute, in noch höherem Grade den Stempel künstlerischer Vollendung. Doch »Unke« erhob da gegen Einspruch. »Diese leidige Sucht zu vergleichen«, wie La Bruyère sie nennt, »wird noch unser Verderben sein,« ereiferte er sich. »Jedes Kunstwerk hat seine eigenen charakteristischen Merkmale – es läßt sich nicht mit anderen vergleichen. Wenn auch einer die Ilias, der andere die Odyssee anführt, was gewinnt Ihr dadurch? Keine von beiden kann oder wird je übertroffen werden, und redet Ihr auch stundenlang darüber, Ihr müßt doch immer wieder auf dasselbe zurückkommen.« Kritiken über die beiden Morde zu schreiben, wäre zwar ein ganz überflüssiges Bemühen, meinte er, doch über jeden dieser Fälle ließen sich Bände verfassen und er schlüge vor, einen Quartband zu veröffentlichen.

Wie kam es aber, daß die Kunde von dem Meisterwerk schon in aller Herrgottsfrühe zu »Unkes« Ohren gedrungen war? Ein Londoner Korrespondent hatte den Auftrag, in »Unkes« Interesse den Kunstmarkt zu beobachten und im Falle einer bemerkenswerten Neuerscheinung auf jenem Gebiete sofort einen Expreßboten abzuschicken, Kostenpunkt Nebensache! Der Bote langte mitten in der Nacht an und »Unke«, der nach mehrstündigem Schimpfen zu Bett gegangen war, mußte geweckt werden. Nachdem er den Bericht gelesen, umarmte er den Boten, nannte ihn Bruder, »rettenden Engel« und drückte ihm sein lebhaftes Bedauern darüber aus, daß es leider nicht in seiner Macht läge, ihm den Adel zu verleihen. Als wir übrigen Kunstliebhaber nun hörten, daß der alte Sonderling sich nicht aufgehängt hätte, drangen wir darauf, daß er sich persönlich unter uns blicken ließe. Er erschien – schüttelte jedem von uns fast die Hand aus dem Gelenk, wobei er sich in Ausdrücken höchster Begeisterung erging wie: »Endlich einmal ein wirklicher Mord! – Etwas Großes, Echtes! – Etwas, womit man sich einverstanden erklären, was man seinem besten Freunde warm empfehlen kann – eine ganz einwandfreie Sache! Ja, an solchen Werken wird man noch einmal jung!« Tatsächlich waren wir uns sämtlich darüber einig, daß »Unke« ohne diese Wiedergeburt der Kunst, welche er ein zweites Zeitalter Leos X. nannte, sicherlich draufgegangen wäre. Dieses Ereignis feierlich zu begehen, sei unsere heilige Pflicht, meinte er. Einstweilen brachte er ein gemeinsames Festmahl in Vorschlag, zu dem alle Kunstliebhaber auf hundert Meilen in der Runde eingeladen wurden.

Über dieses Festesten existieren im Archiv des Klubs zahlreiche Notizen in Kurzschrift, die aber, um mich diplomatisch auszudrücken, nicht »übertragen« worden sind, und der Berichterstatter, der allein imstande wäre, den ganzen Bericht in extenso zu geben, ist leider abhanden gekommen – wenn ich nicht irre, so ist er ermordet worden. Bei einem viele Jahre später, anläßlich einer vielleicht ebenso interessanten Gelegenheit, nämlich beim Auftreten der Thugs und des Thuggismus Ungefähr ums Jahr 1831 entschlossen sich die britischen Behörden, energische Maßregeln zur Unterdrückung der Thugs zu ergreifen. Es war dies ein Bund oder eine Sekte im nördlichen Teile Vorderindiens, die unter dem Deckmantel überlieferter religiöser Gebräuche Wegelagerei betrieb, Reisende ermordete und nach sorgfältiger Bestattung der Erschlagenen die Beute unter sich verteilte. Eins der ersten über Thugs und Thuggismus erschienenen Bücher waren die von Thornton im Jahre 1837 veröffentlichten »Erläuterungen zu der Geschichte und den Gebräuchen der Thugs«, stattfindenden Festessen übernahm ich selbst in der Befürchtung, daß dem Stenographen wieder etwas zustoßen könnte, den Bericht, den ich hier beifüge.

Ich muß erwähnen, daß »Unke« auch bei diesem Festessen zugegen war, was der Sache einen gemütvollen Anstrich verlieh. Wenn er bei dem Essen von 1812 so alt wie die Täler war, mußte er nach dem natürlichen Verlauf der Dinge beim Thug-Essen von 1838 so alt wie die Berge sein. Er hatte sich wieder einen Bart stehen lassen, zu welchem Zweck, kann ich nicht sagen, aber seine Züge erhielten dadurch etwas Mildes, Patriarchalisches. Ein schier überirdisches Lächeln verklärte sein Antlitz, als er sich nach dem unglücklichen Berichterstatter erkundigte (dabei erzählte man sich, daß er selbst ihn in einer Anwandlung künstlerischen Schöpfertriebes umgebracht haben sollte). » Non est inventus,« gab der Untersheriff unserer Grafschaft zur Antwort, was einen stürmischen Heiterkeitsausbruch entfesselte. »Unke« lachte dermaßen, daß wir glaubten, er würde ersticken. Auf dringendes Bitten der Gesellschaft setzte ein Komponist den Scherz in Musik, und das Lied wurde unter allgemeinem Beifall und unauslöschlichem Gelächter fünfmal nach Tisch gesungen, wobei der Chor sich bemühte, den Unkenruf so lieblich wie irgendmöglich nachzuahmen.

Der Text lautete:

» Et interrogatum est a Toad-in -the-hole: Ubi est ille reporter?«
Et responsum est cum cachimo: Non est inventus

Chor.

» Deinde iteratum est ab omnibus, cum
chachinnatione undulante, trepidante: Non est inventus

Nachträglich muß ich noch berichten, daß »Unke« vor etwa neun Jahren, als ein Expreßbote aus Edinburg ihm die erste Kunde von der durch Burke und Hare Im Jahre 1828 wurde ganz Edinburg durch die Entdeckung in Schrecken versetzt, daß zwei Irländer, William Burke und William Hare, unter der Beihilfe einiger Mitschuldigen einen regelrechten Handel mit den Körpern Ermordeter zu anatomischen Zwecken betrieben hatten. Sie lockten umherziehendes fremdes Volk, Bettelweiber. Schwachsinnige und dergleichen armselige Wesen, nach denen voraussichtlich niemand fragen würde, in die Höhlen, wo sie hausten, besonders in Burkes ganz abseits am Westhafen gelegene Hofwohnung, versetzten sie dort in sinnlosen Rausch, um sie dann in diesem Zustand zu ersticken oder zu erwürgen. Wie sich später ergab, waren den Mördern, ehe ihnen das Handwerk gelegt wurde, auf jene Weise sechzehn Personen zum Opfer gefallen. Burke, der zum Tode verurteilt wurde, endete den 28. Januar 1829 am Galgen, während sein Spießgeselle Hare zur großen Entrüstung des Publikums der gleichen Strafe dadurch entging, daß er bei der Untersuchung als Kronzeuge fungierte. – Als treffendes Beispiel für die Prägung einer Metonymie hat der Name des Edinburger Mörders von 1828 den Wortschatz der englischen Sprache um ein neugebildetes Wort bereichert. Man fing nämlich an, das Wort burk (mit Fortlassung des Schluß- e) als Verbum für »ersticken« zu gebrauchen, sowohl im buchstäblichen Sinne »durch Erstickung töten« (z. B. wurde ein Hörsaal für Anatomie in einer Stadt Nordschottlands eine Zeitlang allgemein »Das Burke-Haus« genannt, weil man annahm, daß die Studienobjekte nach Burkescher Methode dorthin geliefert oder gar an Ort und Stelle fabriziert wurden) als auch in übertragener Bedeutung in Sätzen wie: »Seine Rede wurde geburkt,« d. h. von den ungeduldigen Zuhörern unterdrückt oder erstickt. – Hare, an dem der Edinburger Pöbel, falls er seiner habhaft geworden wäre, Lynchjustiz geübt hätte, lebte unter falschem Namen weiter; an welchen Orten, mag der Himmel wissen. Es ging die Sage, er wäre bei einem Anstreicher beschäftigt gewesen und von seinen Arbeitsgenossen, nachdem diese herausbekommen hatten, wer er war, mit Kalk begossen worden, wodurch er sein Augenlicht eingebüßt hätte. Vor mehr als zwanzig Jahren wurde mir ein alter, weißhaariger Mann, der am Gitter der Nationalgalerie auf dem Trafalgar Square zu betteln pflegte, als der Mörder Hare bezeichnet, was mir, da der Alte einen recht ehrwürdigen Eindruck machte, ziemlich unglaubwürdig erschien. Später hörte ich allerdings, daß auch an anderen Orten auffallende Erscheinungen blinder Bettler mit der Person Hares in Zusammenhang gebracht wurden. eingeleiteten Umwälzung auf dem Gebiete unserer Kunst brachte, einen Tobsuchtsanfall bekam und den Boten, statt ihm eine lebenslängliche Pension auszusetzen oder einen Adelsbrief zu verleihen, fast selbst ge-»burk«t hätte, so daß er in eine Zwangsjacke gesteckt werden mußte. Deshalb konnte damals kein Festessen stattfinden. Doch diesmal waren wir alle, die Narrenhäusler sowohl wie die anderen, wieder frisch und munter; auf der Liste der Festteilnehmer fehlte nicht ein einziger; auch waren verschiedene fremde Kunstliebhaber als Gäste anwesend. – Nachdem die Tafel aufgehoben war, erhob sich ein allgemeines Verlangen nach der neuen Hymne » Non est inventus,« doch da sich diese mit dem erforderlichen Ernst der ersten Trinksprüche nicht vereinen ließ, lehnte ich den Vorschlag ab. Nach den üblichen patriotischen Toasten galt der erste offizielle in Gestalt eines stillen Glases – dem »Alten vom Berge«.

»Unke« dankte in gewählter Rede, in deren Verlauf er durch einige zarte Andeutungen auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem »Alten vom Berge« und der eigenen Persönlichkeit anspielte, was bei der ganzen Gesellschaft ungeheure Heiterkeit auslöste. Er schloß mit einem Hoch auf Herrn von Hammer, dessen Geschichte des Alten und seiner Untertanen, der Assassinen v. Hammers »Geschichte der Assassinen« erschien im Jahre 1818. In einer Anmerkung zu der Schrift über die Assassinen und den Alten vom Berge gibt Gibbon sein Quellenmaterial mit folgenden Worten an: »Alles, was wir von den Assassinen in Persien und Syrien wissen, ist aus den beiden von M. Falconet vor der » Academy of Inscriptions« gehaltenen Vorlesungen geschöpft, in denen er das Resultat seiner gründlichen umfassenden Forschungen zusammenstellt.« In der Gibbonausgabe vom Jahre 1839 hat Milman jedoch folgende Anmerkung hinzugefügt: »v. Hammers Geschichte der Assassinen hat nunmehr Falconets Dissertation in den Schatten gestellt.«, er anerkennend gedachte.

Hierauf erhob ich mich und erwiderte, daß zweifellos den meisten von uns hinlänglich bekannt sei, welchen Ehrenplatz die Orientalisten dem Österreicher von Hammer, diesem ausgezeichneten Kenner des Orients, anwiesen. Auf dem Gebiete unserer Kunst habe er, soweit sie im Zusammenhange mit jenen frühen und hervorragenden Künstlern, den syrischen Räubern zur Zeit der Kreuzzüge steht, die tiefgründigsten Forschungen angestellt. Seit mehreren Jahren ruhe sein Werk als ein kostbarer Schatz in der Bibliothek des Klubs. »Ja, sogar der Name des Autors, meine Herren,« fuhr ich fort, »kennzeichnet ihn als den berufenen Historiker unserer Kunst – von Hammer –«

»Sehr richtig,« unterbrach mich »Unke«, »von Hammer ist der Mann für einen malleus haereticorum. Sie alle wissen, welches Gewicht Williams auf den Hammer oder die Zimmermannsaxt, was dasselbe besagen will, legte. Meine Herren, ich erinnere Sie noch an einen andern großen Hammer, Karl den Hammer oder, wie er im Altfranzösischen genannt wurde, Karl Martell, der die Sarazenen zerschmetterte: Ein donnerndes Hoch auf Karl Martell!«

Dieser spontane Ausbruch »Unkes« und das Hurragebrüll auf Karls des Großen hochseligen Großpapa hatten die Gesellschaft außer Rand und Band gebracht. Stürmisch wurde wieder das neue Lied von dem Orchester verlangt. Mir ahnte eine wildbewegte Sitzung, und ich postierte daher zu meiner Unterstützung rechts und links von mir je drei Kellner – worauf der Vicepräsident das gleiche tat. Schon machten sich Anzeichen zügelloser Begeisterung bemerkbar, und ich muß gestehen, daß auch ich, als die Musikkapelle die einleitenden Akkorde anstimmte und darauf der Jubelsang: » Et interrogatum est a Toad-in-the-hole: Ubi est ille reporter?« ertönte, von dem allgemeinen Rausch angesteckt wurde. Doch der Sturm der Leidenschaften erreichte seinen an Tobsucht grenzenden Höhepunkt, als der Chor einfiel: » Et iteratum est ab omnibus: Non est inventus

Der nächste Toast galt – den jüdischen Sicarii, über die ich den Anwesenden folgende Erläuterungen gab. »Es wird Sie sicherlich interessieren, meine Herren, daß die altehrwürdigen Assassinen im eigenen Lande bereits Vorläufer hatten. In ganz Syrien, hauptsächlich aber in Palästina betrieb während der ersten Regierungszeit Kaiser Neros eine Räuberbande auf eine ganz vom Herkömmlichen abweichende Art ihre Studien. Sie betätigten sich nicht zur Nachtzeit oder an einsamen Orten, sondern mischten sich in der richtigen Erwägung, daß dichte Menschenmassen an sich schon eine Art Finsternis darstellen, in der man den Täter nicht herausfinden kann, überall ins Gedränge. Wie Josephus berichtet, trieben sie ihre Kühnheit sogar so weit, beim Passahfest in Jerusalem in den Tempel zu dringen – nun, und gab es dort wohl ein würdigeres Objekt für ihre Kunst als Jonathan, den Pontifex Maximus selbst? And ich behaupte, meine Herren, hätten sie ihn bei stockdunkler Nacht in einer engen Gasse unter den Händen gehabt, sie hätten keine vorzüglichere Arbeit leisten können. Als man dann nach dem Mörder und dessen Herkunft forschte –«

»Lautete die Antwort:

» Non est inventus,« rief »Anke« dazwischen, und wie ich auch dagegen protestieren mochte, der Chor setzte sofort mit begleitendem Orchester ein: Et interrogatum est a Toad-in-the-hole: Ubi est ille Sicarius? Et responsum est ab omnibus: Non est inventus

Als die donnernden Wogen des Chorgesanges sich legten, begann ich von neuem:

»Meine Herren, einen ausführlichen Bericht über die Sicarii finden Sie wenigstens an drei verschiedenen Stellen bei Josephus; zunächst im Buch XX sec V. C. VIII seiner »Altertümer«; dann im Buch I seiner »Kriege«, und im Abschnitt X des zuerst erwähnten Kapitels gibt er in folgenden Worten eine genaue Beschreibung ihrer Werkzeuge:

»Sie arbeiteten mit kurzen Säbeln, die sich nicht viel von den persischen Acinacae unterschieden und in ihrer stark gebogenen Form noch mehr den halbmondförmigen römischen Sicae glichen.«

Wahrhaft erhebend, meine Herren, ist eine eingehende Lektüre der glorreichen Geschichte der Sicarii; vielleicht bildet sie den einzigen, urkundlich nachgewiesenen Fall, wo ein regelrechtes Heer von Mördern, ein justus exercitus, geschlossen auftrat. Sie rotteten sich in der Wüste so zahlreich zusammen, daß Festus selbst ihnen an der Spitze der römischen Legionen entgegenziehen mußte. In der heißen Schlacht, die darauf entbrannte, wurde das Heer dieser Kunstliebhaber vollständig aufgerieben. Beim Himmel, meine Herren, ein Bild erhabenster Größe! Stellen Sie sich vor! Die römischen Legionen – die Wüste – am Horizonte Jerusalem – und im Vordergrunde ein Heer von Mördern!«

Der nächste Trinkspruch galt – »der weiteren Vervollkommnung der Werkzeuge und dem Dank an den Festausschuß«.

Im Namen des berichterstattenden Komitees hielt darauf Mr. L. ein äußerst fesselndes Referat, aus dem hervorging, welch großes Gewicht schon die Alten, die Griechen sowohl wie die Römer, auf die Art der Ausführung legten. Zur Bestätigung dieser interessanten Tatsache machte er eine sehr verblüffende Mitteilung in bezug auf das früheste Werk vorsintflutlicher Kunst. Auf Seite eintausendvierhundertundeinunddreißig »Auf Seite eintausendvierhundertundeinunddreißig –« heißt es buchstäblich so, lieber Leser, und ist kein Scherz. (Marin Mersenne, Mönch eines Klosters in der Nähe von Paris, wurde 1588 geboren und starb 1648. Eins seiner Werke war ein im Jahre 1623 in Paris unter dem Titel P. Marini Mersenni, ordinis minorum S. Francisci de Paula Questiones celeberrimae in Genesim, cum accurata Textus explicatione veröffentlichter Kommentar zur Genesis. Jede Seite des dicken Folianten war in zwei Spalten geteilt, die einzeln numeriert waren, was de Quincey trotz seiner Gründlichkeit übersehen hat. Daher befindet er sich im Irrtum, wenn er wiederholt scherzend von der angeführten Stelle als auf Seite »eintausendvierhundertundeinunddreißig« spricht. Es müßte eigentlich heißen Spalte 1431, die Seitenzahl wäre demnach nur 716.) seines umfangreichen Kommentars zur Genesis erwähnt nämlich ein gelehrter, römisch-katholischer Mönch, Pater Mersenne – von Geburt Franzose –, der sich dabei auf Werke mehrerer jüdischer Rabbis (Schriftgelehrten) bezieht, daß der Streit zwischen Kain und Abel um ein junges Weib entstand. Und zwar hat nach Angabe einiger Schriftgelehrten Kain seinen Bruder mit den Zähnen ( Abelem fuisse »morsibus« dilaceratum a Cain), nach Angabe anderer mit einem Eselskinnbacken, welches Werkzeug später auch die meisten Maler bei ihren bildlichen Darstellungen dieser Szene wählten, ermordet.

Für jeden fein empfindenden Menschen ist es höchst erfreulich, daß mit dem Fortschritt der Wissenschaft gesündere Anschauungen Platz griffen. Da tritt ein Schriftsteller für eine Heugabel in die Schranken, Sankt Chrysostomus für ein Schwert, Irenäus für eine Sense und Prudentius, der christliche Dichter des vierten Jahrhunderts, gibt uns seine Ansicht über diesen Punkt in folgenden Worten kund:

» Frater probatae sanctitais aemulus
Germana curvo colla frangit sarculo

womit der Verfasser sagen will, daß »der Bruder in seiner Eifersucht auf die bewiesene Heiligkeit des anderen Bruders diesem mit einem krummen Gartenmesser die Kehle abschneidet«.

Es ist nicht Sache des Komitees, meine Herren, diese Frage zu entscheiden; meine Darlegung bezweckt nur, der Jugend die Wichtigkeit, die sogar von Männern wie Chrysostomus und Irenäus der Art des Werkzeugs beigelegt wurde, eindringlich vor Augen zu führen.

»Hol der Teufel den Irenäus!« rief »Unke« ungeduldig und erhob sich, um den nächsten Trinkspruch auszubringen: – »Auf unsere irischen Freunde! Mögen sie in bezug auf ihre Werkzeuge und alles andere, was mit unserer Kunst zusammenhängt, schleunigst eine völlige Umwälzung herbeiführen!«

»Wir wollen der Wahrheit die Ehre geben, meine Herren. An jedem einzigen Tage fällt, wenn wir die Zeitung in die Hand nehmen, unser Auge auf einen Mordbericht. Wir fangen an zu lesen, rufen: »Gut! Ausgezeichnet! Prachtvoll!« doch schon nach wenigen Zeilen erkennen wir an dem Wort: Tipperary, Ballina oder dergleichen die irische Fabrikmarke. Sofort wettern wir los, winken den Kellner herbei und schimpfen: »Schaffen Sie uns die Zeitung aus den Augen, werfen Sie sie zum Fenster hinaus! Sie beleidigt unseren Schönheitssinn!« Ich frage jeden unter Ihnen, meine Herren, ob er nicht bei der Entdeckung, daß ein noch so vielversprechender Mord den irischen Stempel trägt, genau so wütend wird, als wenn der Kellner ihm statt des bestellten Madeiras Kapwein bringt, oder als wenn er einen Edelpilz gefunden zu haben glaubt und sich das Gewächs nachher als ganz gemeiner Fliegenschwamm entpuppt?

Steuerfragen, Politik, kurz – irgend etwas im Zuschnitt Verdorbenes entweiht jeden irischen Mord. Hier muß dringend Ordnung geschaffen werden, meine Herren, oder Irland hört auf, zu den Ländern zu zählen, wo ein anständiger Mensch existieren kann. Wenigstens müßten wir, falls wir dort leben wollten, alle unsere Morde importieren, das ist klar!« Noch immer fauchend vor unterdrücktem Zorn setzte sich »Unke«, und ein stürmisches »Hört! Hört!« verkündete geräuschvoll die allgemeine Zustimmung.

Der nächste Toast galt »der glorreichen Epoche des Burkismus und Harismus«!

Mit Begeisterung wurden die Gläser geleert. Eins der Mitglieder, das sich zur Sache äußerte, machte der Gesellschaft eine höchst merkwürdige Mitteilung:

»Wir halten den Burkismus für eine Erfindung unseres Zeitalters, meine Herren, und tatsächlich hat auch kein Pancirollus diesen Kunstzweig in seinem de rebus deperditis erwähnt. Guido Panciroli, italienischer Jurist (geb. 1523, gest. 1599) war der Verfasser eines Werkes über verloren gegangene Künste und Erfindungen. Dennoch konnte ich feststellen, daß die wesentlichen Grundlehren dieser Kunstart schon den Alten bekannt waren; obgleich sie, wie die Kunst der Glasmalerei, der Anfertigung der Myrrhengefäße und andere mehr aus Mangel an Förderung wieder im Dunkel der Jahrhunderte untergegangen ist. In der berühmten, von Planudes Diese Sammlung griechischer Epigramme von Planudes Maximus, einem byzantinischen Mönch des vierzehnten Jahrhunderts, erschien zuerst 1594 in Florenz. zusammengestellten Sammlung griechischer Epigramme befindet sich ein wahres Juwel, das direkt auf einen blendend schönen Fall von Burkismus gemünzt ist. Das Epigramm selbst kann ich Ihnen augenblicklich leider nicht zitieren; doch hier ist ein den Anmerkungen über Vopiscus Flavius Vopiscus, ein Schriftsteller des vierzehnten Jahrhunderts, war der Verfasser einiger jener Biographien römischer Kaiser, die unter dem Sammeltitel Augusta Historia bekannt sind. Der Name seines Erklärers Salmasius oder Claude de Saumaise (geb. 1588, gest. 1653), den seine Zeitgenossen für den größten Gelehrten hielten, wird uns jetzt vielleicht am meisten durch Miltons Angriff auf ihn im Defensio pro Populo Anglicano ins Gedächtnis zurückgerufen.von Salmasius entnommener Auszug:

» Est et elegans epigramma Lucilii, Dieses Epigramm, das von Planudes in seiner griechischen Form erhalten worden ist, wird von Salmasius dem 148 v. Chr. geborenen und 103 v. Chr. gestorbenen Satiriker Caius Lucilius zugeschrieben. Unter den aufbewahrten Fragmenten des Lucilius findet es sich jedoch nicht und in der griechischen Form ist es anonym. In dem griechischen Texte des Epigramms war der Doktor »Krateas«, der Pollinctor »Damon« benannt, was die Leser des Originalartikels im »Blackwood« durch eine von Wilson dem de Quinceyschen Text beigefügte Anmerkung erfuhren. Ihr Wortlaut war folgender:
»Hier das griechische Epigramm – in einer Übertragung C. Ns. (Christopher North). Eine Wiedergabe des griechischen Textes erübrigt sich. Wilsons Übertragung (oder eigenes Machwerk?) lautet:

»Damon beweist Geschäftsgeist und Genie:
In Firma Krateas und Kompagnie,
Stiehlt er die Leichentücher über Nacht,
Woraus der Doktor Wundverbände macht.
Zum Dank dafür schickt dieser Ehrenmann
Dem Kompagnon all seine Toten dann.«
ubi medicus et pollinctor de compacto sic
egerunt ut medicus aegros omnes curae suae commissos occideret.« Wie Sie sehen, war dies die Grundlage des Vertrages, den einerseits der Doktor für sich und seine Rechtsnachfolger abgeschlossen hatte und auch getreulich erfüllte, indem er alle die ihm anvertrauten Patienten ermordete: und aus welchem Grunde? Darin liegt eben die Schönheit des Falles – » Et ut pollinctori amico suo traderet pollingendos.« Bekanntlich versah der » pollinctor« das Geschäft des Schmückens und Herrichtens von Leichen zur Bestattung. Die eigentliche Veranlassung zu dem Abkommen scheint sentimentaler Natur gewesen zu sein; denn der mordlustige Doktor äußert sich mit Bezug auf den Pollinctor: »Er war mein Freund, er war mir lieb und wert.« – Doch das Gesetz, meine Herren, will in seiner Strenge und Härte von solchen zarten Beweggründen nichts wissen. Zur Anerkennung eines rechtmäßigen Vertrages bedarf es einer »Entschädigung«. Nun, und worin bestand diese Entschädigung? Bis jetzt lag der Vorteil ganz auf Seiten des Pollinctor, der fiir seine Dienste reichlich bezahlt wurde, während der edle, großmütige Doktor leer ausging. Welches war nun das gleichwertige Entgelt, das die Klausel des gesetzmäßigen Vertrages dem Doktor zubilligte? frage ich abermals. Sie werden es gleich hören: Et ut pollinctor vicissim quos furabatur de pollinctione mortuorum medico mitteret donis ad alliganda vulnera eorum quos curabat; d. h. als Gegenleistung hatte der Pollinctor die Binden, die er bei seiner beruflichen Tätigkeit gelegentlich den Leichen zu entwenden vermochte, dem Arzt zu den Wundverbänden für dessen Patienten gratis zu liefern.

Der Fall liegt also klar auf der Hand: ein so ganz auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit aufgebautes Geschäftsabkommen mußte von Bestand sein. Unmöglich konnte der Doktor, den wir wohl für einen Chirurgen halten müssen, alle seine Patienten umbringen: einige mußten notgedrungener Weise verschont bleiben. Für diese brauchte er leinene Bandagen. Nun trugen die Römer aber leider Wolle, weshalb sie auch so häufig badeten. Es gab allerdings Leinwand in Rom zu kaufen, jedoch zu unerschwinglichen Preisen. Daher konnte der Wundarzt die leinenen Wickelbinden, mit welchen, abergläubischer Vorschrift nach, die Leichen umwickelt wurden, vorzüglich gebrauchen. Aus diesem Grunde verpflichtete sich der Doktor zu fortlaufenden Lieferungen von Leichen an seinen Freund, – vorausgesetzt, daß dieser ihm die Hälfte des von den Angehörigen der Ermordeten gelieferten Verbandmaterials überließ. Der Doktor empfahl unentwegt seinen unschätzbaren Freund, den Pollinctor (den wir den Unternehmer nennen wollen), während dieser, im Hinblick auf die geheiligten Rechte der Freundschaft, mit gleicher Beharrlichkeit den Doktor empfahl. Gleich Orestes und Pylades waren sie leuchtende Vorbilder idealer Freundschaft, und wir wollen hoffen, daß ihre Eintracht, wie im Leben, so auch am Galgen, Stich hielt. Ich könnte mich totlachen, meine Herren, wenn ich mir vorstelle, wie die beiden Freunde gegenseitig ihr Konto buchten: »Pollinctor in Abrechnung mit Doktor, Debet für sechzehn Leichen, Kredit für fünfundvierzig Bandagen, wovon zwei beschädigt.« Leider kennen wir die Namen der beiden Ehrenmänner nicht, doch möchte ich beinahe glauben, sie müßten Quintus Burkius und Publius Harius geheißen haben. Da fällt mir übrigens ein, hat vielleicht jemand kürzlich etwas von Hare gehört, meine Herren? Meines Wissens hat er sich ganz gemütlich in Irland, recht weit im Westen, zur Ruhe gesetzt und schließt dort ab und zu ein kleines Geschäft ab, doch nur ganz bescheiden en detail, wie er seufzend zu bemerken pflegt – nichts im Vergleich zu dem blühenden, so leichtsinnig aufgegebenen Engroshandel in Edinburg. »Da sieht man, was dabei herauskommt, wenn man sein Geschäft vernachlässigt –« das ist die Hauptlehre, das ηπιμυδιοο, wie Aesop sagen würde, die Hare aus seinen Erfahrungen zieht.

Schließlich stieg der Toast des Tages – das Thugtum in allen seinen Abarten.

Wieviel Anläufe zu Reden auf diesem Höhepunkt des Festessens genommen wurden, läßt sich in Zahlen nicht wiedergeben. Auch machten mir der donnernde Beifall, die rauschende Musik und das Klirren zerbrochener Gläser, die in dem allseitigen Bestrebungen, keinen minderwertigen Toast aus demselben Glase zu trinken, unermüdlich zerschmettert wurden, ein gewissenhaftes Registrieren unmöglich. Außerdem war »Unke« nun nicht mehr zu bändigen. Er feuerte seine Pistole in alle Windrichtungen ab, schickte seinen Diener nach einem alten Schießprügel von Hakenbüchse und faselte von Kugelpatronen. Kurzum, entweder war bei der Erwähnung von Burke und Hare der Wahnsinn wieder bei ihm ausgebrochen, oder er hoffte, in einer erneuten Anwandlung von Lebensmüdigkeit, durch ein allgemeines Blutbad umzukommen.

Da wir dies unmöglich zulassen konnten, blieb uns nichts anderes übrig, als ihn an die Luft zu sehen, was wir dann auch, ungeachtet unseres Mitleids für seine grauen Haare und sein engelhaftes Lächeln, mit vereinten Kräften, sozusagen uno pede taten. Während dieses Gewaltaktes intonierte die Musik den bekannten Chor, und die ganze Gesellschaft – selbst »Unke« fiel zu unserem größten Erstaunen mit Feuereifer ein – stimmte dröhnend an:

» Et interrogatum est ab omnibus:
Ubi est ille Toad-in-the-hole?
Et responsum est ab omnibus:
Non est inventus


 << zurück weiter >>