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2.
Die Vorlesung

Meine Herren: – Mir ist von Ihrem Komitee der schwierige Auftrag zuteil geworden, Ihnen eine Vorlesung über die Williamssche Abhandlung »Der Mord als eine der schönsten Künste betrachtet« zu halten. Noch vor drei oder vier Jahrhunderten hätte dieses Thema keine sonderlichen Schwierigkeiten geboten, da jene Kunst damals noch wenig entwickelt war und nur einzelne große Vorbilder gezeitigt hatte. In unserem Zeitalter jedoch, das die Meisterleistungen begnadeter Mordkünstler gesehen hat, muß auch die kritische Würdigung ihrer Taten einen höheren Aufschwung nehmen, denn Praxis und Theorie müssen pari passu vorwärtsschreiten. Man beginnt allmählich einzusehen, daß zur künstlerischen Vollendung einer Mordtat doch noch etwas mehr gehört als ein Messer, eine Börse, eine dunkle Gasse und zwei Schafsköpfe, von denen der eine dem andern das Lebenslicht ausbläst. Scharfsinnige Berechnung, meine Herren, feinsinnige Verteilung von Licht und Schatten, kurzum – ein hochentwickeltes künstlerisches Empfinden – das sind die unerläßlichen Vorbedingungen zu einer solchen Tat. Mr. Williams John Williams, der Londoner Mörder von 1811. Die Schilderung seiner Morde ist im Anhang enthalten. hat uns allen darin ein unerreichbares Ideal aufgestellt und mir dadurch meine Aufgabe wesentlich erschwert. Wie Äschylos oder Milton in der Poesie, wie Michel Angelo in der Malerei, so hat er seine Kunst zu schwindelnder Höhe emporgeführt und – wie Mr. Wordsworth treffend bemerkt – »uns selbst zu künstlerischem Genuß seiner Taten erzogen«. Die Geschichte dieser eigenartigen Kunst zu studieren und ihre Grundsätze kritisch zu beleuchten, bleibt nun dem Kenner und einem Richter, dessen Gepräge sich von demjenigen der Herren Richter in Ihrer Majestät Assisen allerdings wesentlich unterscheidet, vorbehalten.

Bevor ich jedoch meine eigentlichen Darlegungen beginne, möchte ich mich zunächst mit einigen Worten gegen gewisse Spießer wenden, welche die Bestrebungen unserer Vereinigung als unmoralisch brandmarken wollen. Unmoralisch! Beim Jupiter, meine Herren, was wollen diese Leute eigentlich? Der ursprüngliche Wortlaut in »Blackwood« war: »Unmoralisch! Gott sei mir gnädig, meine Herren!« Ich bin gewiß der erste, der für Tugend und Moral eintritt, und ich gestehe unumwunden zu, daß der Mord ein verdammenswürdiges Verbrechen ist und daß derjenige, der sich eines solchen Verbrechens schuldig macht, weder seiner Denkweise noch seinen Grundsätzen nach zu den einwandfreien Charakteren gehört. Es liegt mir ebenfalls völlig fern, ihm etwa dadurch in die Hände zu arbeiten, daß ich ihm den Schlupfwinkel seines Opfers verrate, wie ein großer deutscher Philosoph dies allen Ernstes von jedem rechtschaffenen Menschen verlangt Kant – der seine Forderung unbedingter Wahrhaftigkeit so weit trieb, daß er verlangte, man müsse sogar dem Mörder den Zufluchtsort seines schuldlosen Opfers verraten, falls man danach gefragt würde, selbst wenn man bestimmt wisse, daß dadurch der Mord ausgeführt werde. Und damit man nicht etwa auf den Gedanken käme, diese These sei ihm vielleicht im Eifer des Disputierens entschlüpft, bestätigte er sie später einem französischen Schriftsteller gegenüber mit philosophischen Gründen.; ja, ich würde für seine Ergreifung sogar einen Schilling und sechs Pence opfern, also achtzehn Pence mehr als die größten Moralisten bisher dafür übrig gehabt haben. Im übrigen aber hat jedes Ding zwei Seiten. Den Mord z. B. kann man einesteils von der moralischen und meiner Meinung nach schwächeren Seite betrachten, wie dies z. B. von der Kanzel herab und vor dem Schwurgericht geschieht, man kann ihn andererseits aber auch ästhetisch würdigen, d. h. mit Rücksicht auf den künstlerischen Geschmack.

Um meine Darlegungen wirksam zu illustrieren, möchte ich mich auf das Zeugnis dreier berühmter Autoritäten berufen, nämlich S. T. Coleridge, Aristoteles und des bekannten Chirurgen Mr. Howship.

Lassen Sie mich mit S. T. Coleridge beginnen: Vor vielen Jahren saß ich eines Abends mit ihm beim Tee in Berners Street, die trotz ihrer unbedeutenden Ausdehnung schon so vielen genialen Naturen befruchtende Anregungen geboten hat In Cunninghams »Führer durch London« (1850) wird diese Gasse folgendermaßen beschrieben: – »Eine hauptsächlich von Künstlern bewohnte Straße. Sir William Chambers wohnte dort im Jahre 1773, Fuseli im Jahre 1804 und Opie von 1792 bis 1808. Nr. 8 war Opies Behausung, Nr. 13 diejenige Fuselis, und in Nr. 15 hatte Bone, der Emaillierer, sein Heim aufgeschlagen. Nr. 6 war die Wechselbank von Marsch, Stracey, Fauntleroy und Graham. Der Verlust, den die Bank von England durch Fauntleroys Fälschungen erlitt, belief sich auf 360 000 Pfund Sterling. Nr. 54 war (am 26. November 1810) der Schauplatz des berühmten Berners Street Streiches, den Theodor Hook als junger Mann Mrs. Tottingham spielte, und der darin bestand, daß er verschiedenen Kaufleuten etwa zweihundert größere und kleinere Aufträge erteilte, die alle zu derselben Zeit, in demselben Hause und an dieselbe Person abgeliefert werden sollten. Dieser Streich ist in der »Quarterly Review« Nr. 143 S. 62 ausführlich beschrieben worden und hat seitdem viele Nachahmer gefunden. – Alles dies mag de Quincey wohl vorgeschwebt haben; auch war ihm bekannt, daß Coleridge einmal in jener Straße gewohnt hatte und zwar – wie die Worte »vor vielen Jahren« andeuten – ungefähr zwischen 1810 und 1812.. Außer in allerhand leiblichen Genüssen – wie Tee und Toasts – schwelgte unsere kleine Tafelrunde in S. T. Coleridges geistvollen Darlegungen über Plotinus. Plötzlich erscholl der Ruf: »Feuer! Feuer!« und mit größter Geschwindigkeit stürzten wir alle – Meister und Schüler, Plato und οἱ περί τον Πλατωνα auf die Straße, um uns das Schauspiel anzusehen. Der Brand war in einem Pianofortemagazin in der Oxfordstraße ausgebrochen, und da er sich zu einer bedeutenden Feuersbrunst auszuwachsen versprach, so bedauerte ich lebhaft, daß anderweitige Verpflichtungen mich aus unserem kleinen Kreise abriefen, noch ehe das imposante Schauspiel seinen Höhepunkt erreicht hatte. Als ich nach einigen Tagen wieder mit meinem platonischen Gastfreund zusammentraf, erkundigte ich mich nach dem Verlauf des Brandes. »O Sir,« erwiderte er ärgerlich, »er wurde so schnell gelöscht, daß wir alle wütend waren.« Nun wird wohl niemand daran zweifeln, daß Mr. Coleridge, obwohl er zu aktiver Betätigung seiner Tugend viel zu dick und bequem war, dennoch entschieden zu den guten Christen zu rechnen ist. Niemand wird ihn einer Brandstiftung für fähig halten oder ihm zutrauen, daß er jenem armen Kerl und seinen Pianofortes irgend etwas Böses wünschen könnte. Ich möchte im Gegenteil meinen Kopf dafür zum Pfande setzen, daß Coleridge sich im Notfall selbst an die Spritze gestellt und aus Leibeskräften löschen geholfen hätte, was ihm bei seiner Korpulenz gewiß nicht leicht gefallen wäre. In diesem Falle jedoch kam es auf eine derartige Hilfsbereitschaft gar nicht an. Sobald die Feuerspritzen auf der Brandstätte erschienen, mochte die Versicherungsgesellschaft den Standpunkt der Moral vertreten, Coleridge, der um des interessanten Schauspiels willen seinen Tee hatte stehen lassen, war vollkommen im Recht, wenn er sich enttäuscht fühlte, als die erhoffte Augenweide seinen Erwartungen nicht entsprach. Und ich behaupte, daß unter den vorhin geschilderten Umständen auch der ehrenwerteste Mann berechtigt war, die Feuersbrunst als geistigen Leckerbissen zu genießen und sie wie irgendein anderes Schaustück, das im Publikum zuerst große Erwartungen erregte, später aber nicht erfüllte, auszuzischen.

Noch auf andere Autoritäten kann ich mich berufen. Im fünften Buche seiner »Metaphysik« (wenn ich nicht irre) schildert Stagiras großer Sohn einen Κλεπτὴν τέλειον – also einen »vollendeten Dieb« Die Stelle befindet sich im 4. Buch, Kapitel 16 und hat folgenden Wortlaut: – »Unter einem vollendeten Arzt oder einem vollendeten Musiker versteht man solche Leute, die sämtliche Fertigkeiten ihres Berufes in vollkommener Weise beherrschen. Mit demselben Rechte also kann man auf dem Gebiet des Lasters von vollendeten Schmarotzern und vollendeten Dieben sprechen.); und in seiner Abhandlung über »Indigestionen« trägt Mr. Howship John Howship: Praktische Winke über Indigestionen, 8<sup>0</sup>, London 1825. kein Bedenken, von einem »wundervollen Geschwür« zu sprechen. Nun wird wohl niemand behaupten, daß ein Dieb als solcher dem Aristoteles als vollkommener Charakter gegolten hätte, oder daß Mr. Howship vor einem Geschwür tatsächlich in Begeisterung geraten wäre. Aristoteles war ein so lauterer Charakter, daß er sich nicht damit begnügte, seine moralischen Grundsätze in dem Oktavbändchen der Nikomachischen Ethik niederzulegen, sondern noch ein umfangreiches moralphilosophisches Werk schrieb, die sogenannte »Magna moralia«. Wer aber ethische Grundsätze irgendwelcher Art aufstellt, kann nicht gleichzeitig einen Dieb per se bewundern. Ähnlich liegt die Sache bei Mr. Howship, der doch auf alle Geschwüre der Grafschaft Middlesex Jagd macht, ohne sich durch ihre Reize verführen zu lassen. Es ist aber trotzdem nicht zu leugnen, daß sowohl ein Dieb als ein Geschwür, so verabscheuungswürdig sie an sich auch sein mögen, es doch in ihrer Art zum höchsten Grad der Vollkommenheit bringen können. Spartam nactus es, hanc exorna. Ein Dieb wie Autolycus oder der weiland berühmte George Barrington George Waldron alias Barrington, der bekannteste Gentleman-Taschendieb seiner Zeit, wurde im Jahre 1790 nach Botany-Bay transportiert und starb dort 1804 als vollkommen gebesserter Mensch in ehrenhafter Stellung. und ein fressendes Krebsgeschwür Phagedoenic, ein griechischer Ausdruck für fressend oder ätzend, wird heute, entweder in der substantivischen Form phagedoena oder in der adjektivischen phagedoenic bezw. phagedoenous von den Ärzten als Bezeichnung für eine gewisse Art von Geschwüren gebraucht., das man durch alle Stadien der Entwicklung hindurch beobachtet, können das Ideal ihrer Gattung genau so gut verkörpern wie eine eben erschlossene Moosrose oder auf dem Gebiete menschlicher Entwicklung ein mit allen Reizen seines Geschlechts geschmücktes, vollerblühtes junges Weib.

So kann man also nicht nur von einem idealen Tintenfaß sprechen, wie Coleridge es in seinem berühmten Briefwechsel mit Blackwood Bezieht sich auf ein paar merkwürdige, im Oktober Hefte des »Blackwood-Magazines« veröffentlichte Briefe Coleridges, in denen er beispielsweise die Anforderungen aufzählt, die an ein ideales Tintenfaß zu stellen sind. so ausführlich beschreibt, obwohl an einem Tintenfaß ohnehin nicht viel auszusetzen ist, da man es an sich schon eine lobenswerte Sache und ein sehr nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft nennen kann – auch bei der unvollkommensten Sache auf der Welt gibt es einen Standpunkt höchster Vollendung oder Idealzustand.

Verzeihen Sie diese philosophischen Abschweifungen, meine Herren, ich schreite sofort zur Nutzanwendung. Wenn ein Mord noch nicht geschehen ist, sondern erst geplant wird und ein Gerücht davon uns zu Ohren kommt, so ist es selbstverständlich unsere Pflicht und Schuldigkeit, uns hierbei voll und ganz auf den Standpunkt der Moral zu stellen. Setzen wir aber einmal den Fall, die Tat sei schon geschehen, oder, wie jener harte Molossus Molossus bedeutet in der griechischen Prosodik einen Versfuß von drei gleich langen Silben. Der besondere Molossus, auf den de Quincey hier hinweist, das Wort ειρασται, steht in der Medea des Euripides, Zeile 293. aus der »Medea« es ausdrückt, τετέλεσται, wir ständen also vor einem fait accompli und könnten sagen »ἐίργασται«, »Es ist vollbracht«; nehmen wir an, das arme Opfer habe ausgelitten, und der schurkische Täter sei spurlos verschwunden; nehmen wir ferner an, wir hätten bei seiner Verfolgung – obwohl ohne jeden Erfolg – unser möglichstes geleistet, » abiit, evasit, excessit, erupit« usw. – was könnte man dann noch mehr von uns verlangen? Der Moral ist vollauf Genüge geschehen, jetzt können auch Geschmack und Kunstsinn zu ihrem Recht kommen. Es handelt sich ja fraglos um eine sehr traurige Angelegenheit, allein daran vermögen wir doch nichts zu ändern. Deshalb wollen wir uns bemühen, ihr die beste Seite abzugewinnen, und, da für die Moral nun einmal nichts dabei herausschaut, ihr vom ästhetischen Standpunkte aus beizukommen suchen. Bei so vernunftgemäßer Beurteilung der Sachlage werden wir zu unserer Befriedigung bald die überraschende Entdeckung machen, daß eine Handlung, die unter moralischem Gesichtswinkel betrachtet verabscheuungswürdig und verwerflich erscheint, für die Anforderungen des guten Geschmacks dennoch ungeahnte Vollkommenheiten in sich birgt. So ist alle Welt zufriedengestellt, und das alte Sprichwort, daß bei jedem Unglück auch ein Körnchen Gutes zu finden sei, bewahrheitet sich wieder einmal glänzend, denn jetzt kommt auch der Amateur, der – solange die Moral im Spiele war – sauertöpfisch und verdrossen drein schaute, auf seine Rechnung, und allgemeine Fröhlichkeit schwingt nun ihr Szepter. Der Tugend ist genug getan, jetzt kommen Liebhaberei und Kunstsinn an die Reihe. Und in diesem Sinne, meine Herren, möchte ich Sie im Geiste von Kain bis Mr. Thurtell führen. In andächtiger Bewunderung lassen Sie uns Hand in Hand jene Galerie großer Mörder durchwandern und ihre gewaltigen Taten kritisch würdigen.

Der erste Mord ist uns wohl bekannt. Als Erfinder des Mordes und Begründer jener Kunst muß Kain ein Genie ersten Ranges gewesen sein – wie überhaupt alle Kains, denn Tubal Kain z. B. erfand ein Fernrohr oder etwas Ähnliches. Wie groß aber auch das Genie und die Erfindungsgabe des Künstlers gewesen sein mag, man darf nicht vergessen, daß die Kunst selbst noch in den Kinderschuhen steckte, und muß diese Tatsache bei einer Kritik jener ersten Kunsterzeugnisse stets in Betracht ziehen. Sogar Tubals Erfindung würde heutzutage in Sheffield wenig geschätzt werden, und deshalb ist es auch keine Herabsetzung, wenn ich von Kain (Kain senior nämlich) behaupte, daß seine Technik nur so-so gewesen ist. Milton scheint freilich anderer Ansicht gewesen zu sein, denn nach seiner – auf malerische Wirkungen berechneten – Schilderung hat Kain die Tat in einer Aufwallung von Jähzorn verübt.

Worüber jener innerlich ergrimmt
Und mit dem Hirten hadernd einen Stein
Auf dessen Zwergfell warf, so daß der Schlag

Das Leben endete. Der andere fiel
Und seufzte todesbleich der Seele Hauch
Mit Blutesströmen aus.

Über diese Stelle äußert sich der Maler Richardson, der einen scharfen Blick für alles Wirkungsvolle hat, in seinen »Bemerkungen über das Verlorene Paradies« auf Seite 497 folgendermaßen:

»Man nimmt gewöhnlich an, daß Kain seinen Bruder mit einem großen Stein niedergeschlagen habe. Auch Milton schließt sich dieser Meinung an, gibt uns aber in seiner Schilderung gleichzeitig die Vorstellung einer klaffenden Wunde.« Das war an dieser Stelle ein äußerst glücklicher Griff, denn ohne eine derartig belebte, farbenreiche Ausmalung hätte der Vorgang bei einer so primitiven Waffe gar zu stark nach plumpem Urmenschentum geschmeckt, und die Tat hätte ebenso gut von einem in geistiger Stumpfheit dahinvegetierenden, nur mit einem Hammelknochen bewaffneten Polyphem begangen werden können. Was mich anbetrifft, so gefällt mir jener Zusatz Miltons besonders deshalb so gut, weil er mir beweist, daß der Verfasser in die Reihen der Unsrigen gehört. Dasselbe gilt auch von Shakespeare, dessen Schilderungen der ermordeten Duncan, Banquo usw., vor allem aber das unglaublich fein ausgeführte Miniaturbild des ermordeten Gloucester in »Heinrich VI.« die Wahrheit meiner Behauptung deutlich beweisen.

[Endnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re.]Die Stelle steht im zweiten Teil (3. Akt) von »Heinrich VI.« und ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: erstens wegen ihrer absoluten Naturtreue, obwohl der Dichter nur poetische Wirkungen zu erzielen beabsichtigte; zweitens aber wegen der unerbittlichen Bestimmtheit, mit der sie das anfangs nur leise raunende Gerücht, der mächtige Fürst und hochstehende Staatsmann sei keines natürlichen Todes gestorben, bestätigt. Der Herzog von Gloucester, der treue Beschützer und liebende Oheim des einfältigen, unmündigen Königs, ist tot in seinem Bette aufgefunden worden. Wodurch ist er gestorben? Hat die Hand der Vorsehung seinem Leben ein Ende gemacht? Ist er einem Meuchelmord zum Opfer gefallen? Beide Ansichten finden am englischen Hofe sofort ihre Vertreter. Der anhängliche und tiefbetrübte junge König kann, obwohl seine Stellung ihn eigentlich zu strikter Neutralität verpflichtet, seinen Argwohn gegen die Feinde des Herzogs nicht verhehlen, worauf der Führer der Gegenpartei, von Lord Warwick durch eifrigen Widerspruch bekämpft, sich angelegentlich bemüht, die Bedenken des Königs zu zerstreuen. »Welchen Grund, welchen zwingenden Beweis kann Lord Warwick anführen, um die Berechtigung seines ›grausen Eides‹ zu erhärten.« –

»So sicher meine Seele hofft zu leben
Bei jenem furchtbar'n König, der auf sich
Den Stand der Menschen nahm, uns zu befrei'n
Von dem ergrimmten Fluche seines Vaters,
Glaub' ich, es ward gewaltsam Hand gelegt
An dieses hochberühmten Herzogs Leben.«

Anscheinend gilt Suffolks Zweifel an der Richtigkeit dieser Vermutung Lord Warwick, in Wirklichkeit aber ist er an den König gerichtet. Und Warwicks Erwiderung, der Grund, auf den er seinen Argwohn stützt, besteht in einer wuchtigen Aufzählung all der Veränderungen, die der Tod an der Person des Ermordeten verursacht hat und die untrüglich darauf schließen lassen, daß dieser Tod ein gewaltsamer gewesen sein müsse.

»Seht, sein Gesicht ist schwarz und voller Blut,
Die Augen mehr heraus als da er lebte,
Entsetzlich starrend, dem Erwürgten gleich,
Das Haar gesträubt, die Nüstern wett vom Ringen,
Die Hände ausgespreizt, wie wer nach Leben
Noch zuckt' und griff und überwältigt ward.
Schaut auf die Locken, seht sein Haar da kleben,
Sein wohlgestalter Bart verworr'n und rauh,
So wie vom Sturm gelagert Sommerkorn.
Es kann nicht anders sein, er ward ermordet;
Das kleinste dieser Zeichen wär' beweisend.«

Wir dürfen bei dieser Schilderung keinen Augenblick vergessen, daß die erwähnten Anzeichen, wenn ihre Aufzählung irgendwelchen Wert besitzen soll, mit vollster diagnostischer Schärfe beschrieben werden müssen, denn es handelt sich ja um die Feststellung des Unterschiedes zwischen natürlichem und gewaltsamem Tode. Alle Anzeichen also, die unterschiedslos sowohl der einen als der anderen Todesart eigen sind, wären hier ganz unzugänglich und zwecklos.

Nach ihrer Erfindung schlummerte die Mordkunst leider ohne nennenswerte Verbesserung Jahrhunderte hindurch, und ich kann bis lange nach dem Eintritt der christlichen Ära alle Mörder, religiöse sowohl als profane, getrost überspringen, da sie der Erwähnung nicht wert sind. Auch Griechenland hat – selbst zur Zeit des Perikles – keinen Mörder hervorgebracht, wenigstens keinen, der zur Entwicklung der Mordkunst auch nur das geringste beigetragen hätte; und Rom besaß zu wenig geistige Selbständigkeit, um aus sich heraus etwas leisten zu können, worin sein großes Vorbild versagte Als dieses Buch geschrieben wurde (1827), teilte auch ich die allgemeine Ansicht über jene Sache. Nach eingehender Überlegung mußte ich dieses gedankenlose Urteil jedoch bald widerrufen. Und heute (1854) bin ich vollkommen davon überzeugt, daß die Römer in jeder Kunst, die sie unter gleichen Vorbedingungen ausübten, genau so volkstümlich eigenartig und schöpferisch veranlagt waren wie die besten Griechen. In der Hoffnung, auch den Leser davon zu überzeugen, werde ich an geeigneter Stelle noch einmal darauf zurückkommen. Verschiedentlich schon habe ich gegen jenen veralteten Irrtum Front gemacht, der sich lediglich auf das zeitgemäße Schmarotzertum des Hofpoeten Virgil stützt. Mit der niedrigen Absicht, Augustus in seinem rachsüchtigen Trotz gegen Cicero zu bestärken und der Redensart orabunt causas melius (auf den Gegensatz zwischen athenischen und römischen Rednern bezogen) durchweg Geltung zu verschaffen, opferte er skrupellos die gerechtfertigten Ansprüche seiner Landsleute (vergleiche ante, Bd. X, pp. 54-59).. Nicht einmal sprachlich war es imstande, eine erschöpfende Darstellung des Wortes »Mord« zu geben. »Der Mann wurde ermordet« heißt auf Lateinisch nur » interfectus est« oder » interemptus est«, wodurch lediglich die Tatsache des Meuchelmordes gekennzeichnet ist; das Kirchenlatein des Mittelalters sah sich daher genötigt, ein neues Wort zu prägen, wozu das klassische Zeitalter niemals fähig gewesen wäre. » Murdratus est« heißt es in der verfeinerten Ausdrucksweise der gotischen Epoche De Quincey drückt sich hier vollkommen korrekt aus. Das Wort »Mord« kam (obwohl seine Wurzel gleichzeitig in dem lateinischen » mori – sterben« oder » mors-mortis – Tod« und in dem Sanskritworte » mri – sterben« zu suchen ist) erst im Mittelalter auf dem Umwege über das Gotische in das Kirchenlatein und damit in alle romanischen Idiome Europas. » Wasuh than sa haitana Barabbas mith thaim mith imma drobyandam gabundans, thaici in auhyodan maurthr gatawidedun« heißt es im Markusevangelium XV,7 der gotischen Bibelübertragung des Ulfilas; und obwohl wir hier eine Schriftprobe der Donaugoten aus dem Jahre 360 vor uns haben, läßt sich die Sprachverwandtschaft dieser Bibelstelle mit dem betreffenden Abschnitt unsrer englischen Bibel nicht leugnen: »Es war aber einer, genannt Barabbas, gefangen mit den Aufrührerischen, die im Aufruhr einen Mord begangen hatten.« Ich glaube kaum, daß ein noch älteres Beispiel des gotischen Substantivs maurthr ( murther, Mord) existiert; und ich habe sogar in der neuesten Ausgabe des großen Wörterbuches über mittelalterliches Latein von Du Cange in dem Abschnitt über das Wort »Mord« keinen Hinweis darauf gefunden. Allerdings wird hier der ursprünglich gotische Ursprung des Wortes in der ziemlich allgemein gehaltenen Erklärung angedeutet, es stamme aus dem »sächsischen« morth und bedeute Tod oder Blutbad ( ex Saxonico morth); und in fünf wortreichen Spalten wird hierauf auseinandergesetzt, wie die mittelalterlichen Lateiner sich dieses morth oder moroth allmählich aneigneten, indem sie es zuerst in seiner ungeschlachten Urform ihren lateinischen Texten einverleibten, schließlich aber keck in murdrum oder murtrum latinisierten und sich in den Ableitungen murtricium, murdificatio, murdredum, murdrare, murdrire, murdrator, murdritor usw. einen ganzen stammverwandten Wortschatz schufen. Aus dem Lateinischen gelangte das Wort natürlich mit Leichtigkeit in die romanischen Sprachen, vgl. das französische meurtre und meurtrir. Da aber die verschiedenen teutonischen Völkerschaften das gotische Wort in dieser oder jener Form in ihren Sprachschatz aufgenommen hatten: vergleiche das angelsächsische morth (Tod), morthoi (gewaltsamer Tod), das deutsche »Mord – morden – Mörder«, so ist ihr Anspruch an jenen Ausdruck ohne Zweifel berechtigter. Ob freilich das im Frühenglisch nach der Eroberung so allgemein bekannte morthre oder mordre (später murther oder murder) wirklich das heimische, alt-angelsächsische morth bezw. morthor war oder vielleicht – entweder direkt oder auf dem Umwege über das Normannisch-Französische – dem mittelalterlichen Latein entnommen ist, bleibt zweifelhaft. Murther mit dem th-Laut scheint die ursprüngliche englische Form, die auch in der ersten Shakespeareausgabe vorherrscht, zu sein, obwohl die neueren Herausgeber durchweg murder dafür setzen.. Inzwischen pflegte die jüdische Mordschule die spärlichen Überlieferungen jener Kunst und übermittelte sie der abendländischen Welt. Auch im Mittelalter hat die jüdische Schule stets recht achtbare Leistungen gezeitigt, wie der Fall Hugo von Lincolns beweist, den sogar Chaucer der Erwähnung wert findet, da er ihn in seinen » Canterbury Tales« der Äbtissin bei Darstellung einer ähnlichen Kunstleistung in den Mund legt Chaucers Erzählung der Äbtissin in seiner »Pilgerfahrt nach Canterbury« schildert das Schicksal eines kleinen Christenknaben in einer asiatischen Stadt, den die Juden ermordet haben sollten, weil er auf seinem Schulwege immer die christliche Hymne » O Alma Redemptoris Mater« zu singen pflegte. Die Äbtissin schließt ihre Erzählung mit dem Hinweis auf die gleichartige englische Legende von dem jungen »Hugo von Lincoln «, den aus ähnlichen Gründen ein paar Juden am Kreuze zu Tode gemartert haben sollen. Der zeitgenössische Geschichtsschreiber Mathew Paris, der dieses Ereignis als wirklich geschehen berichtet, verlegt es in das Jahr 1255 und fügt hinzu, daß im folgenden Jahre eine Anzahl Juden wegen jenes Verbrechens in London hingerichtet wurden. Auf ihre Untat beziehen sich die Worte der Äbtissin:

»O junger Hugo von Lincoln, du auch bist
Von den verruchten Juden, wie bekannt,
Erschlagen worden erst vor kurzer Frist.«
.

Um aber noch einen Augenblick auf das klassische Altertum zurückzukommen, so drängt sich mir die unabweisbare Überzeugung auf, daß Catilina, Clodius und Konsorten es in ihrem Fach sicherlich bis zu erstklassigen Künstlern gebracht hätten, und daß Ciceros einseitige Pedanterie, die sein Vaterland der einzigen Gelegenheit beraubte, sich in dieser Hinsicht auszuzeichnen, aufs tiefste zu bedauern ist. Zum Opfer eines Mordes hätte sich übrigens niemand besser geeignet als er. Stellen Sie sich nur einmal sein Schreckensgeheul vor, wenn er Cethegus unter seinem Bette entdeckt hätte. O Jemine! »O Jemine!« ist eine Abschwächung in der Ausgabe von 1854 gegen den ursprünglichen Ausruf: »Herr des Himmels!« in der Ausgabe von 1827. In der Zwischenzeit hatte sich nämlich der Geschmack gerade in solchen Dingen bedeutend verfeinert. Ich glaube, ihm wäre das » utile« hier lieber gewesen als das » honestum«, und er hätte sich eher in einen Abtritt oder sogar in eine Kloake verkrochen, als daß er dem kühnen Eindringling beherzt gegenübergetreten wäre.

Wir kommen jetzt zu dem dunklen Zeitalter (womit wir – genau ausgedrückt – besonders das zehnte Jahrhundert meinen, das gewissermaßen als Meridianlinie zwischen den vorhergehenden und den folgenden zu bezeichnen ist, die in tiefstes Mitternachtsdunkel getaucht sind). Diese Zeit – etwa von 888 bis 1111 – muß naturgemäß der Entwicklung der Mordkunst ebenso günstig gewesen sein wie etwa dem Emporblühen der Kirchenarchitektur, der bunten Glasfenster usw. Und in der Tat erstand gegen Ausgang dieser Periode unserer Kunst ein hervorragender Vertreter in der Person des »Alten vom Berge«. Er war ohne Frage ein leuchtender Stern, und ich brauche Sie wohl kaum daran zu erinnern, daß der Ausdruck » assassin« von ihm abstammt. Der Name »Der Alte vom Berge« – auf Arabisch Sheikh-al-jibal, Fürst der Berge – war nicht etwa die Bezeichnung für eine Einzelperson, sondern vielmehr der Titel einer Reihe von Häuptlingen, die von 1090 bis 1258 über eine kriegerische, fanatische muhamedanische Sekte herrschten. Diese nannte sich die »Assassinen« und war über ganz Persien und Syrien verbreitet, hatte aber in gewissen Gebirgszügen ihre Hauptquartiere. Obgleich nun kein Zweifel darüber besteht, daß die Worte » assassin« und » assassination« als Bezeichnungen für Meuchelmord – und zwar besonders durch Erdolchen – sich auf die berüchtigten Gebräuche jener alten persischen und syrischen Sekte bezieht, so steht doch die Etymologie des Namens »Assassinen« selbst noch keineswegs fest. Skent erklärt ihn einfach durch das arabische hashishin, Haschischtrinker, und stützt sich dabei auf die Tatsache oder Vermutung, daß die Bevollmächtigten des Alten vom Berge sich auf ihren Mordzügen mit Haschisch oder indischem Hanf zu berauschen pflegten.«) Er war ein so begeisterter Anhänger seiner Kunst, daß er sogar einmal, als sein eigenes Leben von einem seiner Lieblingsassassinen bedroht wurde, von dem trotz des mißglückten Anschlags deutlich bewiesenen Talent des Missetäters so entzückt war, daß er ihn auf der Stelle zum Herzog mit der Erbfolgeberechtigung in der weiblichen Linie ernannte und ihm ein dreifaches Ehrengehalt aussetzte. Der Meuchelmord ist ein Kunstzweig, der besondere Beachtung verdient, und es ist daher nicht ausgeschlossen, daß ich ihm einmal eine besondere Vorlesung widme. Inzwischen möchte ich nur bemerken, wie seltsam es ist, daß dieser Kunstzweig nur in periodischen Aufwallungen blüht. Er ist nicht mit einem Landregen, sondern vielmehr mit einem Gewitterregen zu vergleichen. Unser Zeitalter kann sich allerdings einiger schöner Meisterwerke dieser Kunstart rühmen, beispielsweise der Affäre Bellinghams mit dem Ministerpräsidenten Perceval; ferner ist der Fall des Herzogs von Berry im Pariser Opernhause und der des Marschalls Bessières in Avignon erwähnenswert. Diese drei Morde sind eine Einschaltung in die Ausgabe von 1854. Spencer Perceval, dessen Präsidentschaft 1809 begann, wurde am 11. Mai 1812 in der Vorhalle des Abgeordnetenhauses von einem bankerotten Kaufmann, namens John Bellingham, durch einen Pistolenschuß ermordet. Der Herzog von Berry war der zweite Sohn des Grafen von Artois, Ludwigs XVlll. präsumptiver Thronerbe, dem er unter dem Namen Karl X. auf dem französischen Throne folgte – und nach dem Tode seines älteren Bruders, des Herzogs von Orleans, der mutmaßliche Nachfolger seines Vaters. Am Sonntag, den 13. Februar 1820 wurde er jedoch beim Verlassen des Pariser Opernhauses, als er seiner Gemahlin gerade in den Wagen half, von einem fanatischen Republikaner erdolcht. Jean-Baptiste Bessières, geboren 1768, einer von Napoleons fähigsten Generalen, im Jahre 1804 zum Marschall und 1809 zum Herzog von Istrien ernannt, fiel am 1. Mai 1813, am Tage vor der Schlacht bei Lützen in einem Scharmützel mit den Deutschen durch eine verirrte Kugel. De Quincey hat ihn hier mit einem anderen napoleonischen General, Wilhelm Maria Anna Brune, verwechselt, der im Jahre 1763 geboren, 1804 zum Marschall ernannt, am 2. August 1815 nach Napoleons Niederlage bei Waterloo von der Bevölkerung Avignons ermordet wurde. Vor zweieinhalb Jahrhunderten konnte man sogar von einer Hochflut derartiger Taten sprechen; ich erinnere Sie nur an das bekannte Siebengestirn: die Ermordung Wilhelms I. von Oranien, der drei französischen Heinriche, nämlich des Herzogs Heinrich von Guise, der nach dem Thron von Frankreich strebte, Heinrichs III., des letzten Fürsten aus dem Hause Valois, der damals jenen Thron inne hatte, und schließlich Heinrichs IV., seines Schwagers, der ihm als erster Herrscher der bourbonischen Linie in der Königswürde folgte. Kaum achtzehn Jahre später fand der fünfte Mord statt, nämlich der des Herzogs von Buckingham, (der in den von Sir Henry Ellis im Britischen Museum veröffentlichten Briefen ausgezeichnet geschildert ist), sechstens kam dann der Mord Gustav Adolfs und siebentens derjenige Wallensteins hinzu. Was für ein herrliches Siebengestirn, das umsomehr unsere Bewunderung verdient, als diese glänzende Konstellation künstlerischer Offenbarungen drei gekrönte Häupter, drei Mitglieder von Fürstenhäusern und eine andere hochgestellte Persönlichkeit einschließt und das alles in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von 1588 bis 1635. Die chronologische Aufeinanderfolge der von de Quincey aufgezählten Morde ist folgende: 1. Wilhelm von Oranien, mit dem Beinamen »der Schweiger«, der erste Statthalter der Vereinigten Niederländischen Provinzen, am 10. Juli 1584 zu Delft von Balthasar Gerard ermordet. 2. Heinrich, Herzog von Guise, das Haupt der Guisenpartei und die Seele des Plans, Heinrich III. von Frankreich zu entthronen, am 23. Dezember 1588 jedoch auf Betreiben des Monarchen in den königlichen Gemächern von Blois ermordet. 3. Der eben erwähnte Heinrich III., am 2. August 1589 von Jacques Clément, einem fanatischen Dominikanermönch, ermordet. 4. Heinrich IV. von Frankreich, der große und gütige Heinrich von Navarra, der als Hugenotte auf den Thron kam, ermordet am 14. Mai 1610 von François Ravaillac. 5. Der glänzende George Villiers, Herzog von Buckingham, der Günstling Jakobs I. und Karls I. und unter beiden Monarchen Premierminister von England, fiel am 23. August 1628 in Portsmouth unter dem Messer John Feltons. 6. Gustav Adolf, der heldenmütige Schwedenkönig und Beschützer des europäischen Protestantismus in einer der Perioden des dreißigjährigen Krieges, wurde auf dem Schlachtfelds bei Lützen, als er eben einen siegreichen Angriff leitete, vom Pferde geschossen. 7. Wallenstein oder Waldstein, der große Führer der katholischen Partei in derselben Periode des 30 jähr. Krieges, wurde im Schlosse zu Eger am 25. Februar 1634 im Interesse Kaiser Ferdinands von irischen Soldaten ermordet.) Die Ermordung des Königs von Schweden wird übrigens von verschiedenen Schriftstellern, wie z. B. Harte, angezweifelt; doch sind sie im Irrtum – er wurde tatsächlich ermordet. Und zwar halte ich diesen Mord für einzig in seiner Art, denn er wurde am hellen, lichten Tage auf dem Schlachtfelde verübt – ein Zug künstlerischer Eigenart, wie wir ihn in keinem anderen derartigen Kunstwerk mehr wiederfinden. Den Plan zu einem Meuchelmord, der sozusagen in Parenthese in das gewaltige Schauspiel des Schlachtgemetzels eingefügt ist, auf eigene Rechnung zu fassen, das gleicht beinahe Hamlets scharfsinnigem Einfall einer Tragödie in der Tragödie. In der Tat bieten alle diese Morde dem gewiegten Kenner einen hohen ästhetischen Genuß und können wohl als Musterbeispiele, als Modellstücke ihrer Gattung betrachtet werden, von denen es heißt:

» Nocturna versate manu, versate diurna –« besonders » nocturna«.

Daß die Ermordeten gerade Fürsten und Staatsmänner waren, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man die Umwälzungen bedenkt, die ihr Tod in den meisten Fällen mit sich bringt. Außerdem macht gerade ihre hervorragende Stellung sie denjenigen Mordkünstlern, die für große szenische Wirkungen Sinn haben, als Zielobjekt besonders geeignet. Mich setzt eine andere Klasse von Morden, die seit Beginn des 17. Jahrhunderts vorherrschen, weit mehr in Erstaunen, nämlich die Ermordung von Philosophen. Denn, meine Herren, es ist Tatsache, daß in den letzten beiden Jahrhunderten jeder Philosoph von einiger Bedeutung entweder tatsächlich ermordet worden oder zum mindesten doch nahe daran gewesen ist. Ja, man kann sogar sagen: hat sich gegen einen Mann, der sich selbst zu den Philosophen zählt, niemals eine Mörderhand erhoben, so ist das ein untrüglicher Beweis für den Unwert seiner Philosophie. Das beste Beispiel dafür – wenn überhaupt noch eins vonnöten ist – bietet Locke, für den, obwohl er zweiundsiebzig Jahre alt wurde, sich niemand fand, der ihm die Kehle abschnitt. Locke, geb. 1632 gest. 1704. Dies ist nicht die einzige Stelle in de Quinceys Werken, an der er seiner Abneigung gegen Lockes Persönlichkeit und Philosophie Luft macht. Da jene Philosophenmorde wenig bekannt, dabei aber in den meisten Fällen recht geschickt geplant und ausgeführt worden sind, so will ich bei diesem Kapitel ein wenig länger verweilen und Ihnen mitteilen, was ich selber darüber in Erfahrung bringen konnte.

Der erste große Philosoph des 17. Jahrhunderts (wenn wir von Bacon und Galilei absehen) war Descartes; und wenn man je von einem Manne sagen konnte, daß er fast um Haaresbreite sein Leben unter Mörderhänden ausgehaucht hätte, so war dies bei ihm ganz gewiß der Fall. Der von Baillet in seiner »Lebensbeschreibung M. Descartes'«, tom. I, pp. 102-3 berichtete Sachverhalt war folgender. Im Jahre 1621 – als Descartes etwa 26 Jahre alt sein mochte – reiste er seiner Gewohnheit nach wieder einmal umher (denn er war so ruhelos wie eine Hyäne) und kam damals auch entweder bei Glückstadt oder bei Hamburg an die Elbe, wo er sich nach Ostfriesland einschiffte. Was er dort eigentlich wollte, hat man niemals herausbekommen, vielleicht wußte er es selbst nicht, denn in Emden änderte er plötzlich seine Reiseroute und beschloß, nach Westfriesland zu segeln. Da geduldiges Abwarten nicht seine Sache war, so mietete er selbst eine Barke mit ein paar Seeleuten, machte aber bald nach dem Auslaufen die angenehme Entdeckung, daß er einer Mörderbande in die Hände geraten war. Seine Mannschaft bestand – wie Baillet erzählt – aus lauter abgefeimten Galgenstricken, nicht etwa aus Mordliebhabern, wie wir es sind, meine Herren, sondern gewerbsmäßigen Mordgesellen, die nur auf die Gelegenheit lauerten, ihm die Kehle abzuschneiden. Die Geschichte ist zu amüsant, um mit ein paar Worten abgetan zu werden; ich will sie Ihnen daher in der wortgetreuen Übertragung des französischen Urtextes mitteilen: »Herr Descartes war nur von einem Diener begleitet, mit dem er Französisch zu sprechen pflegte. Die Seeleute hielten ihn jedoch nicht für einen reisenden Kavalier, sondern vielmehr für einen ausländischen Kaufmann und glaubten daher, daß er viel Geld bei sich haben müsse. Aus diesem Grunde kamen sie zu einem für seine Börse nicht gerade vorteilhaften Entschlusse. Zwischen Land- und Seeräubern besteht nun der wichtige Unterschied, daß die ersteren unbeschadet ihrer eigenen Sicherheit imstande sind, das Leben ihrer Opfer zu schonen, während die letzteren nicht gut einen Beraubten an Land setzen können, ohne sich selbst aufs schwerste zu gefährden. Descartes' Mannschaft beschloß denn auch, jedes derartige Risiko zu vermeiden, umso mehr, als die Leute bemerkten, daß er ein in der Umgegend unbekannter Ausländer war, nach dem höchst wahrscheinlich niemand fragen würde, falls er spurlos verschwinden sollte ( quand il viendroit à manquer).« Stellen Sie sich vor, meine Herren, wie jene Friesenhunde über das Schicksal eines Philosophen beraten, als handle es sich um ein beliebiges, für irgendeinen Schiffsmakler bestimmtes Faß Rum. »Sein Charakter war, wie sie bemerkt hatten, gelassen und ruhig, und da sie aus seinem freundlichen Benehmen und der Höflichkeit, mit der er sie behandelte, schlossen, daß er nur ein harmloser Vergnügungsreisender ohne Amt und Stellung sei, so meinten sie, leichtes Spiel mit ihm zu haben. Sie scheuten sich auch nicht im geringsten, über ihre Mordpläne in seiner Gegenwart zu verhandeln, denn sie glaubten ihn nur der einen Sprache mächtig, in der sie ihn beständig mit seinem Diener verkehren hörten. Das Resultat ihrer Beratungen war schließlich, daß sie ihn ermorden, den Leichnam in die See werfen und die Beute teilen wollten.

Entschuldigen Sie meine Heiterkeit, meine Herren, aber jedesmal, wenn ich an die Sache denke, kann ich nicht umhin, über zweierlei Dinge herzlich zu lachen. Erstlich, wenn ich mir den panischen Schrecken Descartes' vorstelle (oder den Bammel, wie wir Eton-Kollegen sagen), als er so mit eigenen Ohren die Szenenfolge seines Todes und Begräbnisses, seiner Erbfolge und Nachlaßverwaltung entwickeln hörte. In noch höherem Maße aber belustigt mich der Gedanke, daß wir – falls den friesischen Spitzbuben damals ihr Plan geglückt wäre – heute keine cartesianische Philosophie hätten, und welch ungeheure Menge von Büchern dann ungeschrieben geblieben wäre – das ist einfach nicht auszudenken.

Fahren wir indessen fort: trotz seines enormen Bammels ließ Descartes sich nicht verblüffen und versetzte dadurch jene anti-cartesianischen Schurken in heillose Bestürzung. »Als er merkte,« erzählt Baillet, »daß es sich nicht etwa nur um einen schlechten Witz handelte, sprang er mit einem heftigen Ruck auf und donnerte den Schurken in ihrer eigenen Sprache ins Gesicht, er werde ihnen auf der Stelle den Degen durch den Leib rennen, wenn sie es sich einfallen ließen, auch nur die Hand gegen ihn zu erheben.« Nun wäre es für jene obskuren Schufte doch entschieden eine höchst unverdiente Ehre gewesen, der Reihe nach auf einen cartesianischen Degen gespießt zu werden. Daher freue ich mich, daß Herr Descartes es nicht nötig hatte, den Galeeren Konkurrenz zu machen und seine Drohung auszuführen. Und zwar um so mehr, als es ihm wahrscheinlich niemals gelungen wäre, mit einer aufgespießten Schiffsmannschaft den Hafen zu erreichen, so daß er als ein neuer »Fliegender Holländer« auf ewige Zeiten in der Zuidersee kreuzen müßte. »Descartes' entschlossene Haltung«, fährt sein Biograph fort, »wirkte bei den feigen Hunden wahrhaft Wunder. Sie waren so bestürzt und verblüfft, daß sie nicht mehr zu mucksen wagten und ihn mit größter Unterwürfigkeit heil und unversehrt an seinem Bestimmungsort an Land setzten.«

Wir könnten uns vielleicht auch vorstellen, meine Herren, daß – jenem berühmten Worte Caesars an seinen Fährmann entsprechend: » Caesarem vehis et fortunas ejus« – Descartes zu jenen Elenden hätte sagen können: »Wie dürft ihr, Hunde, es wagen, eine Persönlichkeit wie mich anzutasten! Wißt ihr denn nicht, daß Descartes und seine Philosophie eurer Obhut anvertraut sind?« In diesem Falle hätte ich allerdings für sein Leben keinen Pfifferling gegeben. Etwas Ähnliches wird von einem deutschen Kaiser erzählt, der, als man ihm bei einer Kanonade riet, aus der Schußlinie zu gehen, in hochfahrendem Tone erwiderte: »Pah, wann hätte jemals eine Kanonenkugel einen Kaiser getötet?« Dasselbe Argument wird sehr häufig auch anderen Persönlichkeiten zugeschrieben. So soll einige Jahrhunderte früher ein französischer Dauphin, den man auf die Gefahr einer Blatternansteckung aufmerksam machte, an seine Umgebung die nämliche Frage gerichtet haben: »Hat man je davon gehört, daß ein Dauphin an den Blattern gestorben ist?« Nein, man hatte in der Tat noch nie davon gehört, was aber durchaus nicht verhinderte, daß jener Dauphin an den Blattern starb. Was einen Kaiser anbetrifft, so bin ich allerdings nicht so genau orientiert, daß aber eine weit geringfügigere Ursache einem Philosophen das Lebenslicht ausgeblasen hat – das weiß ich, denn der nächste große Philosoph Europas, Spinoza, ist unzweifelhaft einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.

Zwar ist die allgemein verbreitete Ansicht, er sei in seinem Bette gestorben, mir wohl bekannt, und ich will sie auch nicht einmal ohne weiteres als irrig bezeichnen; ermordet aber wurde er trotz alledem, wie ein im Jahre 1731 in Brüssel veröffentlichtes Buch untrüglich beweist. Es ist betitelt »Das Leben Spinozas, von M. Jean Colerus« und enthält eine Fülle von Anmerkungen aus der ungedruckten Biographie eines seiner Freunde. Spinoza starb am 21. Februar 1677, kaum vierundvierzig Jahre alt, was an sich schon verdächtig genug erscheint und durch eine, jener handschriftlichen Biographie entnommene Äußerung, »daß er wahrscheinlich keines ganz natürlichen Todes gestorben,« noch viel verdächtiger wird. Als Bewohner eines feuchten Küstenlandes mag man ihn vielleicht für einen Freund alkoholischer Getränke, namentlich des damals eben erfundenen Punsches »D. 1. Juni 1675. – Heute habe ich drei Glas Punsch getrunken (ein mir ganz neues Getränk),« sagt der Rev. Mr. Henry Teonge in seinem von C. Knight veröffentlichten Tagebuch. Und in einer Fußnote wird auf Fryers »Reise nach Ostindien im Jahre 1672« Bezug genommen, worin der Verfasser von »jenem entnervenden Getränk« spricht, das den Namen paunch (der hindostanische Ausdruck für »fünf«) führt, weil es aus fünf Ingredienzien zusammengesetzt ist. In dieser Art der Zubereitung schienen die Mediziner es »Diapente« zu nennen, während es – nur aus vier Bestandteilen hergestellt – die Bezeichnung »Diatessaron« führte. Dieser ehrwürdige Name mag es dem Rev. Mr. Teonge auch wohl empfohlen haben. halten, dem war jedoch keineswegs so, denn M. Jean nennt ihn »im Essen und Trinken außerordentlich mäßig«. Und obwohl über seine Mandragora- (p. 140) und Opiumsucht (p. 144) allerlei abenteuerliche Gerüchte in Umlauf waren, weist seine Apothekerrechnung dennoch keinen einzigen derartigen Posten auf. Wie kann nun aber ein so mäßiger und nüchterner Mensch im Alter von vierundvierzig Jahren eines natürlichen Todes sterben? Hören wir, was sein Biograph uns darüber zu berichten weiß: »Am Sonntag, den 21. Februar, kam Spinoza vor Beginn des Gottesdienstes die Treppe herab und sprach mit dem Hausbesitzer und seiner Frau.« Daraus geht also zweifellos hervor, daß der Philosoph um diese Zeit – etwa zehn Uhr morgens – noch wohl und munter war. Er scheint jedoch »einen Amsterdamer Arzt konsultiert zu haben, den ich«, sagt sein Biograph, »nur mit den beiden Buchstaben M. L. bezeichnen will«. Dieser M. L. hatte Spinozas Hausgenossen die Weisung erteilt, »einen alten Hahn« zu kaufen und sofort zu kochen, damit der Philosoph zu Mittag einen Teller Fleischbrühe genießen könnte. Das geschah denn auch, und nachdem seine Wirtsleute aus der Kirche zurückgekehrt waren, genoß Spinoza mit gutem Appetit auch ein Stück von dem alten Hahn.

»Nachmittags blieb M. L. mit Spinoza allein, da die übrigen Hausbewohner wieder zur Kirche gegangen waren. Bei ihrer Rückkehr erfuhren sie zu ihrer größten Bestürzung, daß Spinoza gegen drei Uhr nachmittags in Gegenwart des Arztes verschieden sei. Noch an demselben Abend kehrte M. L. mit dem Nachtboot nach Amsterdam zurück, ohne sich weiterhin auch nur im mindesten um den Verstorbenen zu kümmern. Auch nach der Begleichung seiner eigenen geringen Forderung fragte er nicht, wahrscheinlich weil er sich schon selbst in den Besitz eines Dukaten, sowie einer kleinen Menge Silbergeldes und eines Messers mit silbernem Griff gesetzt und mit seiner Beute das Weite gesucht hatte.« Daß er aus Geldgier an Spinoza zum Mörder geworden, liegt nach alledem klar auf der Hand. Zweifellos hat er – da man keinerlei Blutspuren fand – den schwachen, gebrechlichen Philosophen zu Boden geworfen und mit Kissen erstickt, nachdem der arme Mann sich schon an seiner Höllenmahlzeit halb erwürgt haben mußte. Denn man kann sich ja denken, in welchem Zustande der Erschöpfung der Ärmste sich befunden haben möchte, nachdem er jenen »alten«, wahrscheinlich also aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Hahn zerkaut hatte. Daß er M. L. dabei keinen energischen Widerstand entgegensetzen konnte, ist ohne weiteres erklärlich. Wer ist nun aber eigentlich jener bewußte M. L.? Lindley Murray kann es unmöglich gewesen sein, ich sah ihn nämlich im Jahre 1825 in York; außerdem halte ich ihn einer derartigen Tat auch nicht für fähig, zum mindesten nicht einem Kollegen gegenüber. Denn es ist Ihnen doch wohl ohne Zweifel bekannt, meine Herren, daß Spinoza eine sehr beachtenswerte hebräische Grammatik geschrieben hat.

Hobbes ist zu meiner größten Verwunderung nicht ermordet worden, was ich entschieden als ein grobes Versehen der Mordfachleute des 17. Jahrhunderts bezeichnen muß, da ihn – von seiner beispiellosen Magerkeit abgesehen – seine übrigen Lebensumstände zum Mordobjekt außerordentlich geeignet machten. Er war nämlich ein wohlhabender Mann und besaß – seiner eigenen Lehre nach – gar keine Berechtigung zur Verteidigung seines Lebens. Er selbst hatte jenen Lehrsatz aufgestellt, daß höchste Gewalt zugleich höchstes Recht sei. Demnach wäre es von seinem Standpunkte aus schnödeste und schwärzeste Rebellion gewesen, sich gegen die physische Überlegenheit eines Mordgesellen zur Wehr zu setzen. Trotzdem er nun – wie ich schon erwähnte – zu meiner Verwunderung nicht ermordet worden ist, gereicht es mir gewissermaßen zum Trost, daß er – wie er selbst erzählt – wenigstens dreimal ziemlich nahe daran war, ermordet zu werden. Zum ersten Male im Frühling 1640, als er – seiner eigenen Aussage nach – ein kleines Manuskript über das Verhalten des Königs gegen das Parlament Das englische Parlament, das Karl I. nach elfjähriger parlamentsloser Regierung am 13. April 1640 berief, um aus seinen Schwierigkeiten mit den schottischen Presbyterianern herauszukommen. Da es sich ihm jedoch nicht willfährig erwies, löste er es schon nach drei Wochen, am 5. Mai, wieder auf, weshalb es in der englischen Geschichte unter dem Namen »Das kurze Parlament« bekannt ist. zirkulieren ließ. Dieses Manuskript ist später nie wieder zum Vorschein gekommen, Hobbes aber meint, daß es ihn in die größte Lebensgefahr gebracht hätte, »wenn das Parlament nicht (im Mai) von Sr. Majestät wieder aufgelöst worden wäre«. Im November desselben Jahres jedoch trat das lange Parlament Am 3. November 1640. zusammen, und Hobbes, der jetzt zum zweiten Male für sein Leben zitterte, entwich schleunigst nach Frankreich. Seine Furcht grenzt beinahe an den Verfolgungswahn John Dennis John Dennis, literarischer Kritiker, geboren 1657, gestorben 1734., der das Weite suchte, weil er sich einbildete, Ludwig XIV. würde mit der Königin Anna nur dann Frieden schließen, wenn sie sich bereit erklärte, ihn – Dennis nämlich – den französischen Rachegelüsten zu opfern. In Frankreich fühlte Hobbes sich zehn Jahre lang sicher, bis er, um sich bei Cromwell in Gunst zu setzen, seinen »Leviathan« veröffentlichte. Von diesem Zeitpunkt an schwebte der alte Hasenfuß wieder in tausend Ängsten und fühlte, wenn er an das Schicksal der Parlamentsabgeordneten im Haag und in Madrid dachte, den Degen der Kavaliere beständig an seiner Kehle. »Tom,« sagt er in seinem eigenen lateinischen Kauderwelsch, –

»Tum venit in mentem mihi Dorislaus et Ascham;
Tanquam proscripto terror ubique aderat.«
»Dann gedachte ich an Dorislaus und Ascham, und bleiche Furcht überkam mich, als sei ich geächtet.« Das Zitat stammt aus Hobbes in Elegieform geschriebener Selbstbiographie, die im Dezember 1679, ungefähr 3 Wochen nach seinem Tode, veröffentlicht wurde. – Dr. Isaac Dorislaus. ein in England naturalisierter Holländer, der bei der Gerichtsverhandlung gegen Karl I. als Vertreter der Anklage fungiert hatte, wurde als erster Gesandter der englischen Republik nach dem Haag geschickt, dort aber gleich nach seiner Ankunft (am 3. Mai 1649) von verbannten Royalisten in seinem Gasthause ermordet. Athony Ascham, republikanischer Gesandter in Madrid, hatte im folgenden Jahre ein ähnliches Schicksal, denn auch er wurde von royalistisch gesinnten englischen Flüchtlingen am 27. Mai 1650 ermordet.

Und stehenden Fußes eilte er nach England zurück. Nun verdient allerdings ein Mensch, der ein Machwerk wie den »Leviathan« zu veröffentlichen wagte, eine gehörige Tracht Prügel und eine doppelte und dreifache noch dazu für einen so elenden Pentameter wie den auf » terror ubique aderat« auslautenden. Außer einem derartigen Denkzettel aber hätte niemand ihm ein Leid zugefügt; die ganze Geschichte läuft also auf nichts weiter als eitle Großmannssucht hinaus. Denn in einem von Schmähungen strotzenden Brief an einen »Gelehrten« (den Mathematiker Wallis nämlich) gibt Hobbes wieder eine ganz andere Darstellung der Sachlage und behauptet ( p. 8), er habe sich in sein Vaterland zurückgeflüchtet, weil »die französische Geistlichkeit ihm seiner Religion wegen nach dem Leben trachtete«. Das wäre allerdings ein Hauptspaß gewesen, solch einen Harlekin seiner »Religion« wegen zum Scheiterhaufen geschleppt zu sehen.

Ob nun Ruhmredigkeit oder nicht – jedenfalls ist Hobbes tatsächlich bis an sein Lebensende die Furcht vor einem gewaltsamen Tode nicht los geworden. Den besten Beweis dafür bildet die Geschichte, die ich Ihnen sogleich erzählen werde und die zwar keinem Manuskript entstammt, allein – wie Coleridge sagt – doch so gut wie einem Manuskript entnommen ist, nämlich einem gänzlich vergessenen Buche. Der Titel dieses zehn Jahre vor Hobbes' Tode ohne Angabe des Verfassers veröffentlichten Werkes lautet: »Mr. Hobbes' Bekenntnis in einer Disputation zwischen ihm und einem Studenten der Gottesgelahrtheit,« es ist – wie man jetzt festgestellt hat – von Tenison, dem Nachfolger Tillotsons auf dem Erzbischofstuhl von Canterbury Thomas Tenison, geboren 1636, wurde 1694 Erzbischof von Canterbury und starb im Jahre 1715., geschrieben worden, und die einleitende Anekdote, von der ich sprach, hat folgenden Wortlaut: »Ein gewisser Geistlicher« (ohne Zweifel Tenison selbst) »unternahm eine seiner jährlichen Erholungsreisen nach verschiedenen Teilen der Insel und besuchte dabei auch – durch Hobbes Beschreibung angeregt Eine von Hobbes ersten Veröffentlichungen war ein lateinisches Gedicht, » De Mirabilibus Pecci« (»Bergwunder«), das im Jahre 1636, als der Verfasser in seinem 48. Lebensjahre stand, seinen Erstdruck und im Jahre 1666 eine Neuauflage erlebte. – den Peak von Derbyshire. Da er sich gerade in der Nähe von Buxton befand, kehrte er in diesem Orte ein und traf an der Tür des Gasthauses mit einer Reisegesellschaft zusammen, die sich eben aus den Sätteln schwang. Unter den Herren entpuppte sich ein langer, dünner Geselle als kein Geringerer denn Mr. Hobbes selbst, der wohl von Chatsworth Chatsworth war damals, wie auch heute noch, die Residenz des vornehmsten Zweiges der Cavendish, der damaligen Grafen und heutigen Herzöge von Devonshire. Es gereicht dieser Familie zu besonderer Ehre, daß sie zwei Generationen hindurch Hobbes eine Zufluchtsstätte gewährte. Merkwürdig ist, daß dieser Philosoph gerade im Jahre der spanischen Armada (also 1588) geboren wurde und zwar – wie ich glaube – am 5. April, dem Karfreitag jenes Jahres. Bei seinem Zusammentreffen mit Tenison im Jahre 1670 muß er also ungefähr 82 Jahre alt gewesen sein. herübergeritten sein mochte. Natürlich hat ein auf Sehenswürdigkeiten erpichter Tourist nichts Eiligeres zu tun, als sich schleunigst an solch eine Berühmtheit heranzupirschen, und da zwei von Mr. Hobbes' Reisegefährten ganz plötzlich abgerufen wurden, so hatte Tenison auch die beste Gelegenheit, Leviathan ganz für sich allein zu genießen und, so lange er noch in Buxton blieb, allabendlich mit ihm zu zechen. Anfänglich zeigte Hobbes sich ziemlich zugeknöpft, denn er wollte von der Geistlichkeit nicht viel wissen; allmählich jedoch taute er auf, wurde sogar recht heiter und mitteilsam und verabredete mit seinem neuen Gesellschafter ein gemeinsames Bad. Wie Tenison es fertig bekam, in demselben Wasser mit Leviathan zu baden, ist mir unbegreiflich, doch plätscherten die beiden wirklich wie ein paar Delphine herum, obgleich Hobbes wohl schon so alt und verwittert sein mußte, wie die Felsen von Derbyshire.

Und »wenn sie sich vom Schwimmen und Tauchen ein wenig erholten, plauderten sie über die Bäder der Alten, den Ursprung der Quellen und ähnliche Themata. Nach einer Stunde etwa verließen sie das Bad, rieben sich trocken, kleideten sich an und setzten sich dann in Erwartung der kulinarischen Genüsse, die ihr Aufenthaltsort ihnen bieten konnte, zum Abendessen nieder, wobei es ihnen gleich den Deipnosophisten weniger auf Essen und Trinken als auf ihre philosophischen Unterhaltungen ankam. In dieser löblichen Absicht wurden sie jedoch durch einen unter den gewöhnlicheren Gästen ausbrechenden Streit gestört, der Mr. Hobbes in die größte Bestürzung versetzte, obwohl er sich ziemlich »weit vor dem Schuß« befand.« Und was halten Sie wohl für die Ursache seiner Bestürzung, meine Herren? »Zweifellos seine unparteiische, dem Greise und Philosophen wohl anstehende Friedensliebe,« werden Sie mir erwidern. Aber hören Sie nur weiter –: »Ganz fassungslos murmelte er in halblautem, ängstlichem Ton mehrmals vor sich hin, auch Sextus Roscius sei nach dem Abendessen in der Nähe der palatinischen Bäder ermordet worden. Sein sonderbares Benehmen mußte jedem unbefangenen Zuschauer unwillkürlich Ciceros treffende Bemerkung über den Atheisten Epikur ins Gedächtnis zurückrufen, der nichts auf der Welt so sehr fürchtete, wie das, was er am tiefsten verachtete, nämlich den Tod und die Götter.« Also nur, weil es gerade Abendbrotzeit war und er sich in der Nähe eines Bades befand, fürchtete Mr. Hobbes, das Schicksal des Sextus Roscius Sextus Roscius, ein begüterter Bürger aus Amerika, der oft Rom besuchte, wurde dort, als er gerade von einem Gastmahl zurückkehrte, in der Nähe der Palatinischen Bäder ermordet. Die beiden Mörder, seine eigenen Verwandten, klagten, um den Verdacht von sich abzuwälzen und sein Vermögen in ihren Besitz zu bringen, seinen Sohn, der gleichfalls den Namen Sextus Roscius führte, des Vatermordes an. Die Verteidigung dieses Jünglings war Ciceros erste rednerische Leistung vor Gericht, deren Erfolg die Freisprechung des Angeklagten bildete. teilen zu müssen. Er mußte ermordet werden, weil Sextus Roscius unter ähnlichen Umständen ermordet worden war. Da haben wir die Logik eines Mannes, der immer nur von Mord und Totschlag träumte. Da haben wir Leviathan, der jetzt nicht nur vor den Dolchen englischer Kavaliere und französischer Geistlichen zitterte, sondern den schon ein Wirtshausstreit zwischen ein paar biederen Stoppelhopsern gänzlich aus der Fassung bringen konnte, obwohl jene guten Leute ihrerseits nicht wenig erstaunt und verblüfft gewesen wären, wenn sie eine Ahnung gehabt hätten, mit welchem Schreckgespenst aus grauer Vorzeit man sie in Beziehung setzte.

Malebranche wurde, wie Sie mit Vergnügen hören werden, wirklich ermordet. Der Name des Mörders ist uns wohl vertraut – es war der Bischof Berkeley. Auch die Geschichte dieses Mordes ist allgemein bekannt, obwohl noch niemand sie bisher ins rechte Licht gesetzt hat. Als junger Mann kam Berkeley nach Paris und besuchte auch den Pater Malebranche, den er in seiner Zelle mit Kochen beschäftigt fand. Köche pflegen ein genus irritabile zu haben, Schriftsteller erst recht: Malebranche war Koch und Schriftsteller in einer Person, daher kam es zwischen ihm und seinem Besucher bald zu Meinungsverschiedenheiten. Der alte, schon ziemlich erhitzte Pater wurde immer hitziger, seine kulinarischen und metaphysischen Diätfehler schlugen ihm auf die Leber – er mußte sich zu Bett legen und starb. Das ist die gewöhnliche Lesart der Geschichte, durch die jedoch »das Ohr des Reichs schmählich getäuscht« ward. Die Sache wurde zwar mit Rücksicht auf Berkeley, den – wie Pope richtig bemerkt – »jede Tugend schmückte«, totgeschwiegen, doch es ist erwiesen, daß Berkeley, von dem mürrischen Wesen des alten Franzosen gereizt, mit ihm in Streit geriet, der sich sogar bis zu Tätlichkeiten steigerte. Malebranche wurde zu Boden geworfen und hätte sicherlich klein beigegeben, wenn Berkeley, der jetzt in Harnisch geraten war, nicht von ihm verlangt hätte, seine Lehre von den »Zufälligen Ursachen« zu widerrufen. Das war der Eitelkeit des Alten denn doch zu viel – er widerrief nicht und fiel als Opfer seiner eigenen Halsstarrigkeit und des stürmischen Draufgängertums irischer Jugend. Berkeley befand sich im Jahre 1713, als er 28 Jahre alt und ein jüngeres Mitglied des Trinity-College in Dublin war, zweifellos auf einer Besuchsreise nach Paris. In einem vom 25. November 1713 aus Paris datierten Briefe sagt er: »Morgen beabsichtige ich, Pater Malebranche zu besuchen und mit ihm über gewisse Punkte Rücksprache zu nehmen.« Ob Berkeley sein Vorhaben ausführte, weiß man nicht; jedenfalls ist es nicht dieser Besuch, auf den de Quincey Bezug nimmt, sondern ein zweiter im Oktober 1715. Am 13. dieses Monats starb Malebranche im 77. Lebensjahre und zwar, wie Berkeleys im Jahre 1776 veröffentlichte Lebensbeschreibung berichtet, infolge jenes Besuches. »Berkeley fand den genialen Pater in seiner Zelle damit beschäftigt, in einem kleinen Tiegel eine Arzenei gegen Lungenentzündung zu kochen, an der er damals gerade litt. Naturgemäß kam die Unterhaltung der beiden auch auf Berkeleys philosophisches System, von welchem Malebranche durch eine vor kurzem erschienene Übersetzung Kenntnis hatte. Leider aber wurde diese Gesprächswendung dem armen Pater verhängnisvoll, denn in der Hitze des Wortgefechtes ließ er seinem echt französischen Temperament so sehr die Zügel schießen, daß er sich infolge der Erregung eine Verschlimmerung seines Leidens zuzog, der er schon nach wenigen Tagen erlag.« Diese oft zitierte Stelle stammt aus Professor Campbell Frasers »Berkeleys Leben und Briefe« (1871), einem Werke, das sich mit diesem Material auf das gründlichste beschäftigt. »Es ist höchst bedauerlich,« sagt Professor Fraser, »daß wir über jene Zusammenkunft keinen authentischen Bericht besitzen, denn weder aus Berkeleys Worten, noch aus denen irgend einer andern Autorität – den Biographen genommen – geht hervor, daß sie sich wirklich so zugetragen hat.«

Da Leibniz dem alten Malebranche in jeder Beziehung weit überlegen war, so müßte man eigentlich a fortiori annehmen, daß er ganz entschieden ermordet worden ist, was jedoch nicht zutrifft. Ich glaube beinahe, er selbst hat sich deshalb immer ein wenig zurückgesetzt gefühlt, anders kann ich mir wenigstens sein Verhalten in seinen letzten Lebensjahren, wo er in unersättlicher Habgier Summen auf Summen häufte, nicht erklären. Sein Sterbehaus in Wien war seine Schatzkammer, und er schwebte daher – wie nachgelassene Briefe deutlich bezeugen – in beständiger Angst um sein Leben. Nun wäre es ihm freilich ein leichtes gewesen, durch Wegschaffung der Geldsummen aus seinem Hause die Gefahr zu beseitigen, allein das ließ sein Ehrgeiz, einmal das Ziel eines Attentates zu werden, nicht zu. Praktischer dachte später ein englischer Schulmeister – Birminghamer Fabrikat Da Birmingham den Beinamen »toy-shop of Europe«, d. h. »Europas Kramladen« führt, ein Ausdruck der Geringschätzung und der Minderwertigkeit. Anm. d. Übers. – Dr. Parr Dr. Samuel Parr, geboren 1747, starb 1825. Siehe in Band V de Quinceys langen Artikel über Dr. Samuel Parr; oder »Der Whigismus in seinen Beziehungen zur Literatur.«, der längere Zeit eine Menge Silbergerät in seinem Schlafzimmer in Hatton aufbewahrte. Da er aber nicht die geringste Lust verspürte, das Opfer eines Raubmordes zu werden, zu dessen Abwehr er sich auch gar nicht fähig fühlte, vertraute er seinen Schatz kurz entschlossen dem Grobschmied von Hatton an. Denn ohne Zweifel war – wenigstens seiner Ansicht nach – die Ermordung eines Schmiedes für das salus reipublicae weniger nachteilig als die eines Pädagogen. Freilich habe ich das oft bestreiten hören, und es scheint mir jetzt allenthalben die Meinung verbreitet, daß ein gut aufgelegtes Hufeisen mehr wert ist als anderthalb Spitalpredigten. »Spitalpredigten.« Dr. Parrs hauptsächlichste schriftstellerische Erzeugnisse bestanden außer seiner berühmten lateinischen Vorrede zu Belléndenus (nicht Bellendénus) in gelegentlichen Predigten zum Besten eines Krankenhauses (ich weiß nicht mehr welches), das als offizielle Bezeichnung noch den alten Titel »Spital« führte; aus diesem Grunde wurden jene Reden allgemein »Spitalpredigten« genannt.

Während Leibniz sich halb zu Tode fürchtete, daß er ermordet werden könnte, und halb zu Tode ärgerte, daß er nicht ermordet wurde, ist Kant, der sonst in dieser Hinsicht keinen Ehrgeiz hegte, ebenso wie Descartes nur mit genauer Not dem Dolch des Mörders entgangen. Dieser merkwürdige Fall, der wie kein anderer das blinde Walten der Glücksgöttin veranschaulicht, wird – wenn ich nicht irre – in einer anonym verfaßten Lebensbeschreibung des großen Philosophen berichtet. Aus Gesundheitsrücksichten pflegte Kant alle Tage sechs Meilen auf der Landstraße zu wandern und schwebte eines Tages in der größten Gefahr, von einem Manne, dem diese Gewohnheit bekannt war und der dem allzeit pünktlichen Philosophen am dritten Meilenstein hinter Königsberg auflauerte, aus privaten Gründen ermordet zu werden. Daß dieses Verbrechen nicht zur Ausführung kam, lag an dem zartbesaiteten oder, wie Mrs. Quickly sagen würde, verbohrten Moralempfinden des Mörders. In der Erwägung, daß ein Kind in seinem jungen Leben weniger Sünden auf sich geladen haben dürfte als ein alter Professor, gab er im kritischen Augenblick die Ermordung Kants auf und tötete bald danach ein fünfjähriges Kind. Dies ist die in Deutschland verbreitete Auffassung; meiner Ansicht nach war der Mörder jedoch ein Kunstliebhaber, dem ein alter, dürrer, ausgemergelter Metaphysiker kein sonderlich geeignetes Objekt zur Entfaltung seiner künstlerischen Begabung zu sein schien. Denn mumienhafter als zu seinen Lebzeiten konnte jener Mann auch schließlich im Tode nicht aussehen.

Während ich so den Spuren des Zusammenhanges zwischen der Philosophie und unserer Kunst nachgegangen bin, meine Herren, nähere ich mich allmählich unserem eigenen Zeitalter. Da es sich aber von dem vorhergehenden durch nichts unterscheidet, das siebzehnte, achtzehnte und das bisher verflossene Stück des neunzehnten Jahrhunderts vielmehr im Zusammenhangs das augusteische Zeitalter des Mordes bilden, erübrigt es sich, Ihnen unsere Epoche besonders zu charakterisieren. Das hervorragendste Werk des siebzehnten Jahrhunderts, das meinen uneingeschränkten Beifall findet, ist fraglos Sir Edmundbury Godfreys Am 17. Oktober 1678 fand man in einem Graben am Fuße des nördlich von London gelegenen Primrose Hill den von einem Degen durchbohrten Körper eines Ermordeten, dessen Gesicht durch Wunden entstellt war und der am Halse Strangulationsmarken aufwies. Es stellte sich heraus, daß der Tote ein Richter aus Westminster, Sir Edmundbury Godfrey, war, der in Greens Lane am Strand [Eine Straße in London. Anm. des Übers.] wohnte und seit mehreren Tagen vermißt wurde. Man schloß aus dem Tatbestand, daß er in London in der Nachbarschaft des Strand erdrosselt und seine Leiche nach dem Fundort geschleppt worden sei. Da nun ein merkwürdiger Zufall wollte, daß der Ermordete gerade der Richter war, vor dem Titus Oates am 27. des vorhergehenden Monats seine erste Zeugenaussage über die große papistische, sowohl London wie überhaupt den ganzen Staat aufs schwerste gefährdende Verschwörung gemacht hatte, so bezeichnete das Gerücht augenblicklich die Katholiken als Urheber des Mordes. Während der ganzen, langwierigen und maßlosen »Fort mit dem Papsttum«-Bewegung, die darauf einsetzte, wurde der Mord Sir Edmundbury Godfreys, jenes »Märtyrer des Protestantismus«, wie man ihn zu nennen pflegte, weidlich ausgenutzt, um die Wut des Volkes noch immer höher zu schüren. Ermordung. Der erhabene Zug des Geheimnisvollen, den in dieser oder jener Form eigentlich jeder scharfsinnig durchdachte Mordanschlag in sich tragen sollte, ist hier großartig ausgeprägt; denn der Schleier des Geheimnisses ist bis auf den heutigen Tag noch nicht gelüftet. Den Verdacht der Täterschaft auf die Papisten zu wälzen, hieße das Kunstwerk genau so schädigen, als ob man ein berühmtes Gemälde Correggios durch die Hand berufsmäßiger Farbenklexer »restaurieren« ließe, und jene Tat gar in die jeder künstlerischen Beseelung entbehrende Klasse der politischen oder Parteimorde zu verweisen, würde der vollständigen Vernichtung ihres Wertes gleichkommen. Ich richte daher an die geehrten Anwesenden die dringende Mahnung, derartigen Auslegungen mit aller Energie entgegenzutreten. Sie entbehren tatsächlich jeder Begründung und entspringen lediglich protestantischem Fanatismus. Denn Sir Edmundbury hatte sich beim Londoner Gerichtshof weder durch besondere Härte gegen die Papisten hervorgetan, noch den Eiferern nachgegeben, die gegen einzelne Persönlichkeiten die ganze Strenge des Gesetzes in Anwendung bringen wollten; er war überhaupt mit allen Religionsgemeinschaften gut ausgekommen. Die von träufelnden Wachskerzen herrührenden Flecke auf der Kleidung der Leiche, aus denen man auf die Mitschuld der an der königlichen Kapelle amtierenden papistischen Priester schloß, waren entweder eine fein ersonnene List von Personen, in deren Interesse es lag, den Verdacht auf die Papisten zu wälzen, oder die ganze Wachstropfengeschichte ist lediglich eine Erfindung des Bischofs Burnett, von dem die Herzogin von Portsmouth zu behaupten pflegte, er sei der größte Schwindler und Aufschneider des siebzehnten Jahrhunderts.

Es bleibt mir noch hinzuzufügen, daß das Zeitalter Sir Edmundburys an Morden, wenigstens an künstlerisch ausgeführten, nur eine geringe Anzahl aufzuweisen hatte, was man vielleicht dem Mangel an aufgeklärten Gönnern zuschreiben muß. Sint Maecenades, non deerunt, Flacce, Marones. In freier Übersetzung lautet der Vers etwa:
»Wenn es nur genug Maecene gäbe, würde es auch an Virgils nicht fehlen.
Aus Grants »Beobachtungen über die Sterblichkeit« (4. Ausg., Oxford, 1665) entnehme ich, daß von 229 250 Personen, die im siebzehnten Jahrhundert während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren in London starben, nur sechsundachtzig, also ungefähr 4 3/10 im Jahr, ermordet wurden, eine Zahl, die wirklich zu klein ist, um eine Akademie darauf zu gründen, meine Herren. Sicherlich könnten wir bei einer so geringen Quantität wenigstens eine erstklassige Qualität beanspruchen; jedoch bin ich der Meinung, daß der größte Künstler dieses Jahrhunderts nicht an den besten des folgenden heranreicht. Denn so anerkennenswert der Fall Sir Edmundbury Godfreys auch sein mag (und wahrlich, niemand kann seinen Wert besser würdigen als ich), so möchte ich ihn mit dem der Mrs. Ruscombe in Bristol doch nicht gleichstellen, weder was die Originalität des Plans noch die Kühnheit und Großzügigkeit der Ausführung anbelangt. Die Ermordung dieser guten Dame fand im Anfang der Regierung Georgs III. statt, unter dem bekanntlich die schönen Künste überhaupt in hoher Blüte standen. Weder Mrs. Ruscombe selbst, noch ihre einzige Dienerin, mit der sie in College Green ein stilles, zurückgezogenes Leben führte, hätten ohne den großen Künstler, von dessen Taten ich Ihnen berichten will, auch nur die leiseste Anwartschaft gehabt, geschichtliche Berühmtheit zu erlangen.

Eines schönen Morgens, als ganz Bristol bereits auf den Beinen war, schöpften die Nachbarn Verdacht, drangen gewaltsam in das Haus und fanden Mrs. Ruscombe ermordet in ihrem Schlafzimmer vor, die Dienerin desgleichen auf der Treppe. Es war ungefähr um die Mittagszeit, und zwei Stunden früher hatte man Herrin und Dienerin noch lebend gesehen. Soweit ich mich entsinne, fand das Ereignis im Jahre 1764 statt; es sind seitdem also mehr denn sechzig Jahre verflossen, und noch immer ist der Künstler nicht entdeckt. Die Nachwelt bezeichnet zwei Verdächtige – einen Bäcker und einen Schornsteinfeger – als Täter. Doch befindet sie sich damit entschieden in einem Irrtum; keinem ungeübten Künstler wäre der kühne Einfall gekommen, am hellen, lichten Tage mitten in einer großen Stadt einen Mord zu begehen. Seien Sie versichert, meine Herren, nicht irgendein simpler Bäcker oder namenloser Schornsteinfeger hat diese Tat vollbracht. Ich weiß, wer es war. (Hier erhob sich in der Versammlung ein allgemeines Murmeln, das zuletzt zu stürmischem Beifall anschwoll, worauf der Vortragende unter tiefem Erröten mit nachdrücklichem Ernst fortfuhr:) Um Gottes willen, meine Herren verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin es nicht etwa selber gewesen. Sie überschätzen mein bescheidenes Talent, und ich bin nicht eitel genug, um mir ein derartiges Meisterwerk anzumaßen. An einen Fall wie den der Mrs. Ruscombe reichen meine Fähigkeiten bei weitem nicht heran. Durch einen berühmten Chirurgen, der bei der Sektion des Mörders zugegen gewesen, erfuhr ich, wer der Täter war. In einem Privatmuseum, das jener Arzt sich zu Berufszwecken angelegt hatte, stand in einer Ecke der Abguß eines auffallend schön gebauten Mannes.

»Was Sie dort sehen, ist der Abguß des berühmten Lancashirer Straßenräubers,« erzählte der Doktor mir. »Er zog seinem Pferde wollene Strümpfe an, damit das Klappern der Hufe in der gepflasterten Allee, die zum Stalle führte, ihn nicht den Nachbarn verriete, wodurch es ihm gelang, eine Zeitlang seinen wahren Beruf zu verheimlichen. Zur Zeit seiner Hinrichtung studierte ich gerade unter Cruickshank. Da der Körper des Mannes so ungewöhnlich schön war, wurden weder Mühe noch Kosten gescheut, möglichst schnell seiner habhaft zu werden. Dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen des Untersheriffs wurde er unmittelbar nach der Hinrichtung auf einen Wagen geladen, so daß er, als er bei Cruickshank anlangte, noch nicht ganz tot war und Mr. – »damals noch ein junger Student, die Ehre hatte, ihm den Gnadenstoß zu geben und so dem Willen des Gesetzes genüge zu tun«.

Die kleine Anekdote, aus der man entnehmen könnte, daß alle im Anatomiesaal Anwesenden Kunstliebhaber in unserem Sinne waren, interessierte mich sehr. Ich erzählte sie eines Tages einer Dame aus Lancashire, die mir darauf mitteilte, daß sie in der Nähe jenes Räubers gewohnt habe. Auch entsann sie sich noch zweier Umstände, deren Verknüpfung ihn in den Augen der Nachbarschaft zum Mörder Mrs. Ruscombes stempelte. Der erste war seine vierzehntägige Abwesenheit zur Zeit des Mordes, der andere, daß bald darauf die Nachbarschaft mit Dollars überschwemmt wurde, und es war stadtbekannt, daß Mrs. Ruscombe zweitausend Stück dieser Münzsorte zusammengespart hatte. Sei nun der Künstler, wer er wolle, die Tat selbst bleibt ein dauerndes Denkmal seines Genies. So ehrfurchtgebietend war der Eindruck, den die Macht künstlerischer Gestaltungskraft in diesem Morde hinterließ, daß sich (wie mir im Jahre 1810 erzählt wurde) bis dahin noch kein Mieter für Mrs. Ruscombes Haus gefunden hatte. Dies ist nicht das einzige Mal, daß de Quincey die Geschichte des berühmten Mordes in Bristol erzählt. Ein ausführlicherer Bericht befindet sich in einem Kapitel seiner Autobiographie, Vol. I pp. 386-393.

Wenn ich nun auch in derartig begeisterter Form das Lob des Falles Ruscombe singe, so dürfen Sie deshalb keineswegs glauben, daß ich den Wert der zahlreichen anderen verdienstvollen, im Laufe dieses Jahrhunderts vollbrachten Werke unterschätze. Solchen Fällen allerdings wie denjenigen Miß Blands Es handelt sich hier um Mary Blandy, die am 6. April 1752 hingerichtet wurde, weil sie ihren Vater, einen geachteten Anwalt in Henley-on-Thames, mit einem Pulver, das sie von ihrem schurkischen Liebhaber erhielt, vergiftet hatte. oder des Kapitäns Donnellan und Sir Theophilus Voughtons Kapitän Donnellan und Sir Theodosius (nicht Theophilus) Boughton bilden ein und denselben Fall – in dem Donnellan der Mörder und Boughton das Opfer war. Jener, ein abgedankter Militär, hatte im Jahre 1777 die einzige Schwester des Sir Theodosius, eines jungen Edelmannes aus Warwickshire, geheiratet. Da ihr, falls der Bruder starb, dessen Besitztümer zufielen, vergiftete Donnellan seinen Schwager bei einem Aufenthalt in dessen Hause dadurch, daß er ihm heimlich »Lorbeerwasser« in seine Arzenei goß. Nach der gerichtlichen Verhandlung im März 1781 wurde Donnellan am 2. April des nämlichen Jahres in Warwick gehenkt. werde ich nun und nimmer auch nur das geringste Lob zollen.

Pfui über diese Giftmischer!

Weshalb können sie nicht die bewährte, ehrliche Methode des Halsabschneidens beibehalten, anstatt solche abscheulichen, aus Italien stammenden Neuerungen einzuführen? Im Vergleich zu dem echten, stilvollen Kunstwerk schätze ich all diese Vergiftungsfälle nicht höher als etwa eine Wachspuppe neben einer Marmorstatue oder einen lithographierten Druck neben einem schönen Volpato. Doch, abgesehen von diesen Pfuschereien, bleiben noch viele ausgezeichnete Werke von reinstem Stil übrig, zu deren Autorschaft sich jeder ohne Scham bekennen dürfte, wie es der ehrliche Kunstkenner zugeben wird. Ich betone, der ehrliche Kunstkenner, weil in diesen Fällen zu vieles berücksichtigt werden muß. Kein Künstler kann genau wissen, ob er imstande sein wird, seine sorgfältig ausgearbeitete Idee durchzuführen. Unliebsame Störungen können dazwischentreten. Die Leute wollen sich nicht ruhig den Hals abschneiden lassen; sie rennen davon, beißen und schlagen um sich.

Während die Porträtmaler über zuviel stumpfe Ausdruckslosigkeit in den Zügen ihrer Modelle zu klagen pflegen, wird dem Künstler unserer Richtung sein Werk durch zu große Lebhaftigkeit des Objekts erschwert. Wie störend aber auch für den Künstler die unangenehme Beigabe des Mordes, eben jene Erregung des Objekts, sein mag, so dürfen wir doch nicht außer acht lassen, daß sie dazu dient, schlummernde Talente ans Tageslicht zu bringen und dadurch der Welt im allgemeinen zu nützen. Jeremy Taylor spricht voll Bewunderung von der außerordentlichen Sprungkraft, welche die Leute im Banne der Furcht entwickeln. Ein charakteristisches Beispiel hierfür bildet der kürzlich passierte Fall M'Keans Ein Bericht über diesen Fall befindet sich in der Nachschrift.; der Junge erreichte eine Höhe, wie er sie bis an sein Lebensende nicht zum zweiten Male erreichen wird. Hervorgerufen durch die Panik, welche sich unseren Künstlern an die Fersen heftet, entwickeln sich die glänzendsten turnerischen Leistungen – Talente, deren Licht ihren Besitzern wie auch den betreffenden Kunstfreunden sonst wohl für immer unter einem Scheffel verborgen geblieben wäre. Eine interessante Illustration zu dieser Tatsache bildet ein Fall, der mir in Deutschland mitgeteilt wurde. Als ich eines Tages in Münchens Umgegend einen Spazierritt machte, überholte ich einen hervorragenden Kunstliebhaber unserer Geschmacksrichtung, dessen Namen ich aus begreiflichen Gründen verschweigen muß. Der zahmen Freuden bloßer Kunstliebhaberei überdrüssig (dies sind seine eigenen Worte) hatte er sich in der löblichen Absicht, sich ein wenig praktisch zu betätigen, nach dem Kontinent begeben und zu jenem Zweck Deutschland erwählt, weil er die Polizei dort für schwerfälliger hielt, als in andern europäischen Ländern. Sein Debüt als ausübender Künstler fand in Mannheim statt, und da er wußte, daß ich ein Kunstgenosse war, weihte er mich offenherzig in alle Einzelheiten seines Erstlingswerkes ein. »Mir gerade gegenüber wohnte ein Bäcker, der als Geizhals verschrien war und ganz allein lebte,« erzählte er. »Ob sein kugelrundes, teigiges Gesicht es mir angetan hatte oder sonst etwas anderes, kann ich nicht sagen – genug, er reizte mich und in mir reifte der Entschluß, an seiner Gurgel, die er dazu noch in geradezu herausfordernder Weise stets entblößt trug, meine Tätigkeit zu beginnen. Meinen Beobachtungen nach pflegte er regelmäßig Punkt acht Uhr seine Fensterläden zu schließen. Eines Abends drängte ich mich bei dieser Gelegenheit nach ihm ins Haus, verschloß die Tür und teilte ihm mit der größten Liebenswürdigkeit mein Vorhaben mit, wobei ich ihm riet, keinen Widerstand zu leisten, um uns nicht gegenseitig Unannehmlichkeiten zu bereiten. Doch als ich nun mein Handwerkszeug hervorzog, geriet der Bäcker, den meine erste Ankündigung förmlich gelähmt zu haben schien, in wahnsinnige Aufregung. »Ich will aber nicht ermordet werden,« kreischte er mit lauter Stimme, »weshalb soll ich mir denn meine teure Kehle abschneiden lassen?«

»Weshalb?« erwiderte ich. »Wenn aus keinem anderen Grunde, dann aus dem – daß Sie Alaun ins Brot nehmen. Doch ganz egal, ob Alaun oder nicht (ich wollte jedem Streit über diesen Punkt von vornherein die Spitze abbrechen), ich bin nämlich Mordvirtuose und darauf erpicht, mich in allen dieses Fach betreffenden Einzelheiten zu vervollkommnen. In Ihren feisten Hals habe ich mich direkt verliebt und will an ihm meine Kunst erproben.« – »Wirklich?« sagte er. »Na, denn wollen wir doch mal sehen, ob Sie hiervon auch etwas verstehen.« Damit nahm er Boxerstellung ein. Mir erschien der Gedanke, mit ihm zu boxen, direkt lächerlich. Allerdings hatte sich ein Londoner Bäcker bei einem derartigen Wettkampfe ausgezeichnet und wurde unter dem Titel »Der Semmelmeister« weit und breit bekannt. Doch war jener ein junger Mann mit unverbrauchten Kräften, während dieser einem wandelnden Federbett glich, fünfzig Jahre alt und gänzlich »außer Form« war. Trotzdem ging er mir, der ich doch ein erstklassiger Boxer bin, so ernsthaft zu Leibe, daß es manchmal wirklich schien, als ob sich das Blatt wenden und ich, der Kunstliebhaber, von dem Schuft von Bäcker ermordet werden sollte. Kurzum, ich befand mich in einer geradezu scheußlichen Lage! Zartfühlende Gemüter werden meine Angst begreiflich finden. Wie ernst es um mich stand, geht daraus hervor, daß bei den ersten dreizehn Runden der Bäcker tatsächlich im Vorteil war. In der vierzehnten bekam ich einen Schlag ins rechte Auge, daß es sofort zuschwoll und das war, glaube ich, meine Rettung, denn meine Wut steigerte sich jetzt dermaßen, daß ich in der nächsten und den drei folgenden Runden jedesmal den Bäcker zu Fall brachte.

Neunzehnte Runde. Keuchend und augenscheinlich stark erschöpft rappelte sich mein Gegner wieder empor. Seine geometrischen Heldentaten während der letzten vier Runden waren ihm augenscheinlich nicht gut bekommen, dennoch bewies er keine geringe Geschicklichkeit bei der Abwehr eines auf seine leichenfarbene Fratze gezielten Schlages, wobei ich ausglitt und hinfiel.

Zwanzigste Runde. Ich sah den Bäcker an und schämte mich, daß solch ein formloser Teigklumpen mir so viel zu schaffen machte. Wütend stürzte ich auf ihn los und versetzte ihm ein paar derbe Püffe. Es kam zum Handgemenge – wir fielen beide auf den Boden – der Bäcker zu unterst – jeder hätte zehn zu drei auf den Kunstliebhaber gehalten.

Einundzwanzigste Runde. Der Bäcker sprang mit überraschender Beweglichkeit auf. Trotzdem er in Schweiß gebadet war, gebrauchte er wirklich seine Fäuste mit bewunderungswürdiger Wucht; doch hatte er jetzt den Geschmack an unserm Wettkampfe verloren, in ihm wirkte nur noch die Todesangst. Lange konnte er's also nicht mehr machen. Im Verlaufe dieser Runde versuchten wir das Webesystem, wobei ich stark im Vorteil war. Mehrmals gab ich ihm, um ihn zu ärgern und zu reizen, ein paar tüchtige Hiebe auf seinen pickelübersäeten Schnorchel, was auch sofort die von mir beabsichtigte Wirkung hervorbrachte.

Während der nächsten drei Runden stolperte der Semmelmeister umher, wie eine Kuh auf dem Eise. In der vierundzwanzigsten flüsterte ich ihm ein paar Worte ins Ohr, worauf er umfiel wie ein Klotz; der kalte Schweiß stand ihm auf dem Gesicht, und ich hatte ihm doch nur im Vertrauen meine Ansicht darüber mitgeteilt, wie hoch eine Lebensversicherungsgesellschaft wohl den Wert seiner Kehle einschätzen würde. In den nächsten beiden Runden hatte ich leichtes Spiel, und als ich die siebenundzwanzigste ausrief, lag er da und rührte kein Glied mehr.«

»Man darf demnach wohl annehmen, daß Sie Ihren Zweck erreichten?« fragte ich den Kunstliebhaber. »Ganz recht,« erwiderte er sanft, »und was mich dabei noch mit besonderer Befriedigung erfüllte, war der Umstand, daß ich gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe schlug.« Er wollte damit andeuten, daß er den Bäcker sowohl im Kampf geworfen, als auch ermordet hatte. Mir wollte diese Logik durchaus nicht einleuchten. Es schien mir vielmehr, als ob er mit zwei Klappen eine Fliege getötet habe, da er seinem Opfer erst mit der Faust und dann mit der Mordwaffe das Bewußtsein zu rauben genötigt war. Doch die Moral von der Geschichte war gut, denn sie bewies, daß die Aussicht, ermordet zu werden, außerordentlich anfeuernd auf verborgene Talente wirkt. Ein schwerfälliger, kurzatmiger, zum Schlagfluß neigender Bäcker in Mannheim hatte, nur unter diesem Einfluß, siebenundzwanzig Runden mit einem englischen Meisterschaftsboxer gekämpft. Bis zu solcher Vollendung hatte seine natürliche Begabung sich in der genialen Gegenwart seines Mörders entwickelt.

Wenn man solche Sachen erfährt, meine Herren, sollte man vielleicht doch versuchen, die Strenge, mit der die meisten Menschen den Mord verdammen, etwas zu mildern. Dem Urteil der großen Menge nach könnte man wirklich glauben, daß alle Nachteile und Unbequemlichkeiten nur auf der Seite derer lägen, die ermordet werden, und daß daher das einzig Erstrebenswerte wäre, nicht ermordet zu werden. Umsichtige Menschen denken jedoch anders. So äußert sich z. B. Jeremias Taylor: »Sicherlich ist es ein geringeres zeitliches Übel, durch die Schärfe des Schwertes zu fallen, als der Gewalt des Fiebers zu erliegen, und die Axt (er hätte noch hinzufügen können: das Beil des Schiffszimmermanns und das Brecheisen) verursachen weniger Schmerzen als ein Blasenkrampf.« Sehr richtig! Der Bischof spricht wahrhaftig wie ein Weiser und Kunstliebhaber, der er, meiner Überzeugung nach, auch wirklich gewesen. Ebenso war ein anderer großer Philosoph, Mark Aurel, in diesem Punkt über die Vorurteile der Menge erhaben. Er erklärte es »für eine der edelsten Funktionen der Vernunft, zu wissen, ob es Zeit ist, aus der Welt zu gehen oder nicht« (drittes Buch der Übersetzung von Collers). Wahrlich, der Mann, der es unternimmt, die Leute in diesem wenig verbreiteten Zweig der Wissenschaft gratis und noch dazu auf eigene, nicht geringe Gefahr hin zu unterrichten, muß ein Menschenfreund sondergleichen sein. Doch ich gebe dieses alles nur künftigen Moralisten zu bedenken; denn vorläufig bin ich noch der Meinung, daß sehr wenige Morde aus philanthropischen oder patriotischen Gründen geschehen, und kann nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe, nämlich, daß die Mehrzahl der Mörder höchst minderwertige Charaktere sind.

Die Mordtaten Williams', die erhabensten und in ihrer Art vollkommensten, die je begangen wurden, will ich mich nicht erkühnen, nur so nebenbei zu erwähnen. Es würde einer ganzen Vorlesung, ja sogar eines Zyklus von Vorlesungen bedürfen, um ihre Verdienste hinreichend zu beleuchten. Eine ausführliche Beschreibung der Williamsschen Werke befindet sich in der Nachschrift. Doch einen merkwürdigen, mit jenem Fall verknüpften Umstand, aus dem hervorgeht, daß die Strahlen seines Genies das Auge des Gesetzes vollständig zu blenden schienen, möchte ich erwähnen. Sie alle werden sich erinnern, daß die Instrumente, mit denen er sein erstes großes Werk (die Ermordung der Marrs) ausführte, ein Zimmermannsbeil und ein Messer waren. Das Beil gehörte einem alten Schweden, John Peterson mit Namen, und war mit dessen Anfangsbuchstaben gezeichnet. Williams hatte es im Marrschen Hause zurückgelassen, wo es in die Hände des Gerichts fiel. Wäre nun dieser Umstand, meine Herren, der unmittelbar zur Verhaftung Williams' führte, früher veröffentlicht worden, so hätte sein zweites großes Werk, der Mord der Williamsons, der genau zwölf Tage später erfolgte, niemals stattgefunden. Doch das Gericht hielt diese Tatsache zwölf Tage lang geheim, bis das zweite Werk vollbracht war, und erst nachher, anscheinend in der Empfindung, daß Williams nun genug für seinen Ruhm getan, der jetzt durch Zwischenfälle nicht mehr geschmälert werden konnte, veröffentlichte es den Fund des gezeichneten Beiles.

Wie ich mich zu Mr. Thurtells Fall äußern soll, weiß ich nicht recht.

[Endnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re.]Am Freitag, den 24. Oktober 1823 vernahm etwa um acht Uhr abends ein Farmer in Butlers Green, einer im südlichen Hertfordshire gelegenen Ortschaft auf dem Gills-Hill Lane genannten in der Nähe vorüberführenden Landwege das Rollen eines Gefährtes »und kurz darauf den Knall einer Pistole, dem lautes Stöhnen folgte«. Zwei Arbeiter, die am folgenden Morgen die Pistole unter der Hecke am Wegsaum fanden, meldeten, daß sie bei Tagesanbruch zwei Personen an der betreffenden Stelle hätten »herumgrabbeln« sehen, als ob diese nach etwas suchten. Nachdem das Zeugnis der beiden Arbeiter noch von anderer Seite beglaubigt worden, suchte man zwei oder drei Tage später einen mehrere Meilen entfernten morastigen Teich ab und fand dort eine mit Steinen beschwerte Leiche, deren Beine zusammengeschnürt waren und deren Kopf mit durchschnittener Kehle und zertrümmertem Schädel in einem Sack steckte. Die Persönlichkeit des Toten wurde, wie man vermutet hatte, als diejenige Mr. William Weares, eines enragierten Spielers, festgestellt, der gewöhnlich in Lyons Inn am Strand in London logierte. Als Anstifter des Mordes verhaftete man den Besitzer einer Spielhölle in Manchester Buildings, Westminster, namens John Thurtell, der einer achtbaren Norwicher Familie entstammte. Außer ihm selbst wurden noch zwei seiner Freunde in Haft genommen: ein gewisser Joseph Hunt, der Sänger und gleichzeitig Inhaber eines Kaffeehauses in London war, und William Probert, ein ehemaliger Weinhändler, der Bankerott gemacht und sich nach Hertfordshire zurückgezogen hatte, wo er in einem Häuschen, das in der Nähe des Tatorts lag, zur Miete wohnte. Die Geschworenen in Hertford, die über Thurtell als Haupttäter, und Hunt und Probert als Helfershelfer zu Gericht saßen, verurteilten die beiden ersteren zum Tode, während Probert in seiner Eigenschaft als Kronzeuge mit dem Leben davonkam. Doch nur bei Thurtell wurde der Urteilsspruch am 8. Januar 1824 in Hertford vollstreckt. Noch nie hatte ein Mörder am Galgen geendet, der sich soviel Ruhm und Volkstümlichkeit wie Thurtell erworben; und zwar nicht allein durch die Begleitumstände des Verbrechens und die damit verknüpften Legenden, sondern auch durch seine eindrucksvolle Verteidigungsrede vor Gericht und sein von Schließern und Wärtern bezeugtes Benehmen im Gefängnis unter dem Schatten des Todesurteils. Am merkwürdigsten ist aber die literarische Berühmtheit, zu der Thurtell und der Mord in Hertfordshire vom Jahre 1824 gelangten. In einer zeitgenössischen, Theodor Hook zugeschriebenen volkstümlichen Ballade finden wir einen gedrängten Auszug der Tatsachen in folgenden unsterblichen Versen:

They out his throat from ear to ear;
His brains they battered in:
His name was Mr. William Weare,
He dwelt in Lyons Inn
.

Die kraftvolle Einfachheit dieser Strophe imponierte Sir Walter Scott dermaßen, daß er sie öfter mit Wonne zitierte. Es scheint beinahe, als ob Sir Walter bei seinem eingehenden Studium der Mordliteratur nie auf eine Tat stieß, die ihn mehr begeistert hätte, als die von Theodor Hook besungene. Wir lassen einen Auszug aus Scotts Tagebuchaufzeichnungen während der traurigen Monate in Abbotsford folgen, als der geschäftliche Ruin über ihn hereingebrochen war und das Unglück ihn tief darniederbeugte: – »16. Juli 1826. Schläfrig, stumpfsinnig, faul – habe die Bücher geordnet, worauf ich gänzlich unbrauchbar war, – wenn man nicht das drei bis vier Stunden lange Hinbrüten über einer Ausgabe der Gills Hill Tragödie »Studium nennen will. Für rohe Gemüter ein wahrer Festschmaus! Denn abgesehen von der Brutalität eines so ungewöhnlichen Mordes, kann man sich an den absonderlichen Luftsprüngen John Bulls ergötzen, die ihn zuletzt so benebelten, daß er anfing, den scheußlichen Mörder Thurtell zu beweinen und die Blätter und Zweige der verhängnisvollen Hecke als kostbare Reliquien zu sammeln – ja, man drängte sich sogar in die Vorstadttheater, um den Rotschimmel und das gelbe Gig zu sehen, in dem das Opfer des Verbrechens von einem Hause zum andern transportiert wurde. Ich bin heute nicht über die Schwelle gekommen, so stumpfsinnig war mir zu Mute«
Als Scott sich fast zwei Jahre später auf der Rückreise von London nach Schottland befand, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen Umweg zu machen, um Gills Hill und die Überbleibsel von Proberts Landhaus zu besuchen. In seinem Tagebuche finden wir unter dem Datum vom 28. Mai 1828 eine Beschreibung des Ortes und der dort empfangenen Eindrücke, die in folgendem Zitat aus Wordsworth zusammengefaßt sind.

»Vor Zeiten nur ein Platz wie andre auch:
Heut' aber ruht ein Fluch auf diesem Ort.«

Carlyle, der ebenfalls die Gerichtsverhandlungen über den Fall Thurtell verfolgt hatte, entnahm ihnen einen seiner beharrlichsten und meistbekannten Carlylismen. »Was für ein Mensch war Mr. Weare?« wurde einer der Zeugen beim Verhör gefragt. »Ein sehr achtbarer Mann,« lautete die Antwort. »Was verstehen Sie unter achtbar?« forschte der Richter weiter. »Er hielt sich ein Gig,« erwiderte der Zeuge. Mr. Weares »Gig« wurde von dem Augenblicke an Carlyles Lieblingssymbol für Achtbarkeit, das er entweder einfach als »Gig« oder in verallgemeinerter Form als »Gigbarkeit«, »entgigte Gigbarkeit« und anderen Zusammensehungen unaufhörlich anwandte.

Selbstverständlich achte ich meinen Vorgänger im Präsidium dieser Gesellschaft sehr hoch, auch gebe ich zu, daß seine Vorlesungen stets einwandfrei waren. Doch so geistreich er als Redner war, glaube ich, daß seine erste Leistung als Künstler in der Tat stark überschätzt worden ist. Ich selbst habe mich anfangs auch von der allgemeinen Begeisterung hinreißen lassen. Am Morgen nach dem Bekanntwerden des Mordes war die Versammlung der Kunstliebhaber so stark besucht, wie nie mehr seit Williams' Tagen. Alte, bettlägerige Kenner, die sonst mit höhnischer Miene herumnörgelten, »daß rein nichts passiere,« humpelten in den Klub: solch eine Fröhlichkeit, solch einen Ausdruck beseligter Zufriedenheit auf allen Gesichtern hatte ich selten gesehen. In allen Ecken beglückwünschte man sich händeschüttelnd und verabredete Festmahle für den Abend. Man hörte nur Ausrufe des Triumphes, wie –: »Na, was sagen Sie dazu?« »Sind Sie nun zufrieden?« »Ja, so etwas lobe ich mir!« Da, mitten in all dem Aufruhr, verstummten wir plötzlich, als der alte Zyniker L. S. mit seinem Holzbein und seinem gewöhnlichen sauertöpfischen Gesicht hereinstampfte, wobei er fortwährend vor sich hinbrummte –: »Elendes Plagiat – ganz gemeines Plagiat, aus Winken, die ich hinwarf, zusammengestohlen! Außerdem ist sein Stil so hart wie Albrecht Dürers und so roh wie Fuselis.« Viele hielten es für einen Ausfluß seiner Eifersucht und bissigen Veranlagung; doch ich muß gestehen, daß, nachdem das Feuer der Begeisterung verraucht war, scharfsinnige Kritiker in Thurtells Stil ebenfalls ein gewisses »falsetto« herausfanden.

Naturgemäß mußte der Umstand, daß er ein Mitglied unseres Klubs war, unser Urteil freundschaftlich beeinflussen; auch war er der »Phantasie des Volkes« eine vertraute Persönlichkeit, was ihm bei der Bevölkerung Londons eine vorübergehende Volkstümlichkeit verschaffte, die seine Anmaßung nicht ertragen konnte; denn opinionum commenta delet dies, naturae judicia confirmat. Es existiert jedoch noch ein unvollendeter Plan Thurtells zur Ermordung eines Mannes mit einem Paar Hanteln, dem ich meine höchste Bewunderung zolle. Diese Skizze, die niemals ausgeführt wurde, übertrifft, meiner Meinung nach, in jeder Beziehung sein Hauptwerk, doch kann ich mit den Kunstkennern, die das Unvollendete der Skizze bedauern, nicht übereinstimmen; denn die von originellen Künstlern kühn hingeworfenen Umrisse und Bruchstücke tragen meistens den Stempel frischer Ursprünglichkeit, der bei genauer Ausführung der Einzelheiten leicht wieder schwindet.

Der Fall M'Kean Siehe die Nachschrift. überragt, meines Erachtens, bei weitem die vielgerühmte Leistung Thurtells; er ist tatsächlich über jedes Lob erhaben und den unsterblichen Werken Williams' innerlich so verwandt wie die Äneide der Ilias.

Jetzt ist es wohl an der Zeit, daß ich Ihnen ein paar Regeln über den Mord, nicht als Anweisung zu Ihrer Praxis, doch als Anleitung für Ihr Urteil gebe. Den alten Weibern und der großen Masse der Zeitungsleser gefällt schlechterdings alles, vorausgesetzt, daß nur recht viel Blut dabei fließt. Doch der denkende Mensch verlangt etwas mehr. So wollen wir denn erstens von der Person sprechen, die sich für die Zwecke des Mörders am besten eignet, zweitens von der Örtlichkeit, drittens von dem Zeitpunkt und andern Nebenumständen.

Was nun die Person anbetrifft, so halte ich es für das Richtigste, daß der zum Mordopfer Erkorene ein guter Mensch sein müsse, denn ist er das nicht, so liegt die Gefahr nahe, daß er vielleicht gar selber Mordabsichten hegen könnte. Derartige Konkurrenzkämpfe, obgleich an sich hoch interessant, können den Ansprüchen strenger Kritik jedoch nicht standhalten.

Ich könnte Leute genug aufnennen, die in einer dunklen Allee ermordet worden sind, und dem oberflächlichen Beobachter scheint die Sache dadurch genügend gekennzeichnet. Bei tieferem Einblick ist man jedoch dahinter gekommen, daß jene Ermordeten selbst die Absicht hatten, ihre Mörder zu überfallen, zu berauben und, wenn möglich, auch niederzumachen. Wenn das aber der Fall ist, dann ade künstlerische Vollendung der Mordtaten! Denn der Endzweck der Mordkunst ist doch ganz derselbe wie derjenige einer Tragödie in aristotelischem Sinne, nämlich: die Menschenherzen durch Furcht und Mitleid zu läutern. Furcht mag nun freilich auch bei jenen Mordtaten mit im Spiele sein, allein wie soll man Mitleid empfinden, wenn ein Tiger den andern zerfleischt?

Ebenso klar liegt auf der Hand, daß das Opfer eines Mordes keine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeit sein darf. Ein erfahrener Mordkünstler würde z. B. niemals versucht haben, Abraham Newland Abraham Newland (Hauptkassenrendant der Bank von England, der im Jahre 1807 starb) ist jetzt vollständig vergessen. Zur Zeit jedoch, als dieses Buch geschrieben wurde (1827), war von allen englischen Namen der seine wohl der populärste, denn man las ihn auf allen großen und kleinen Banknoten, und ein Vierteljahrhundert hindurch (ganz besonders während der französischen Revolution) bildete er geradezu das Merkmal höchster Sicherheit im Papiergeldverkehr. zu ermorden, denn jedermann las den Namen dieses Mannes so oft, ohne ihn selbst jemals zu Gesicht zu bekommen, daß er für das große Publikum schon geradezu ein abstrakter Begriff geworden war. Ich erinnere mich z. B., daß man mich einmal, als ich gesprächsweise erwähnte, ich hätte in einem Kaffeehause mit Abraham Newland zusammen gespeist, höchst mißtrauisch ansah, als ob ich behauptete, mit Prester John Billard gespielt oder mit dem Papste einen Ehrenhandel ausgetragen zu haben. Letzterer gehört übrigens gleichfalls in die Kategorie der zu Mordopferungen gänzlich ungeeigneten Persönlichkeiten. Bei seiner Allgegenwart als Vater der Christenheit hört man nämlich beständig von ihm, sieht ihn aber so selten wie den Kuckuck, und die Vermutung, daß er vielen Menschen auch schon zu solch einer abstrakten Idee geworden, entbehrt daher nicht einer gewissen Berechtigung. Etwas anderes freilich ist es, wenn eine im öffentlichen Leben stehende Person Diners »mit allen Delikatessen der Saison« zu geben pflegt. In diesem Falle ist wohl jeder davon überzeugt, daß man es nicht mit einem abstrakten Begriff zu tun hat, und es stände der Ermordung dieser Persönlichkeit daher nichts im Wege. Allerdings würde ein solcher Mord in die Klasse der Meuchelmorde fallen, von denen ich bisher noch nicht gesprochen habe.

Drittens: Das auserkorene Opfer muß vollkommen gesund sein; es ist höchst barbarisch, eine kranke Person zu ermorden, die dem Angriff des Mörders nicht gewachsen ist. Aus diesem Grunde darf man z. B. keinen über fünfundzwanzig Jahre alten Schneider wählen; von diesem Alter an leiden nämlich die meisten bereits an schlechter Verdauung. Will man sich aber trotzdem die Jagd in jenem Gehege nicht versagen, so muß man nach guter alter Sportregel wenigstens eine Potenz von Neun, also achtzehn oder siebenundzwanzig oder sechsunddreißig auf einmal zur Strecke bringen. Gerade in dieser liebevollen Rücksichtnahme auf das Wohlbefinden kranker Personen erkennt man die veredelnde und verfeinernde Wirkung echter Kunst. Die breite Masse ist im allgemeinen sehr blutdürstig und verlangt von einem Morde nichts weiter als möglichst ausgiebiges Blutvergießen. Der Geschmack des gewiegten Kenners ist dagegen weit anspruchsvoller, hat er doch die Wirkung seiner Kunst, die ja wie jede andere freie, mit Meisterschaft betriebene Kunst das Wesen ihrer Jünger adelt, am eigenen Leibe erfahren, denn

» Ingenuas didicisse fideliter artes
Emollit mores, nec sinit esse feros

Ein philosophisch veranlagter Freund unserer Sache, der durch seine Menschenfreundlichkeit und Nächstenliebe allgemein bekannt ist, verlangt auch, daß zur Erhöhung des künstlerischen Pathos der Ermordete eine Schar hilfloser, unversorgter Kinder hinterlassen müsse – zweifellos eine sehr feine Nuance, auf der ich jedoch nicht allzu streng bestehen möchte. Zwar gebe ich zu, daß die Erfüllung dieser Forderung fraglos höchste künstlerische Vollendung bedeutet, wenn jedoch das vom Künstler erwählte Objekt in moralischer und gesundheitlicher Beziehung vollkommen einwandfrei zu nennen ist, möchte ich einer derartigen Beschränkung des künstlerischen Betätigungsfeldes nicht das Wort reden.

So viel über die Person des Opfers. Was nun Zeit, Ort und Werkzeug der Tat anbetrifft, so wäre darüber noch sehr vieles zu sagen, wozu es mir hier leider an Raum mangelt. Der gesunde Menschenverstand hat bei solchen Taten gewöhnlich Nacht und Verborgenheit bevorzugt, doch ist man mitunter auch von dieser Regel abgewichen, und zwar mit ausgezeichnetem Erfolge. Im Hinblick auf die Zeit ist beispielsweise der Fall Ruscombe, den ich bereits erwähnte, eine jener hervorragenden Ausnahmen; und was Zeit und Ort anbetrifft, so finden wir in den Annalen von Edinburg (1805) einen Ausnahmefall, der seiner Zeit jedem Kinde in Edinburg bekannt, seitdem jedoch durch englische Amateure in unverantwortlicher Weise seines wohlverdienten Ruhmes beraubt worden ist. Der Fall, den ich meine, betrifft einen mit einer namhaften Summe fortgeschickten Kassenboten, der am hellen, lichten Tage in der High Street, einer der belebtesten Straßen Europas, ermordet wurde, und dessen Mörder noch heute nicht entdeckt worden ist.

[Endnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re.]Hätte de Quincey die Edinburger Verhältnisse im Jahre 1827 besser gekannt, so wäre seine Hindeutung auf jenen berüchtigten Mord bei weitem nicht so flüchtig gewesen. Die näheren Umstände des Verbrechens, die uns Robert Chamber in seinen Edinburger Traditionen ausführlich berichtet, sind folgende: Am 13. November 1806 fand man gegen fünf Uhr abends in Tweeddale Court, einem engen, neben der High Street gelegenen Hof, der den Zugang zu den Hauptgebäuden der Britischen Leinen-Gesellschaftsbank bildete, die Leiche William Begbies, eines Kassenboten, der am Nachmittag jenes Tages wie gewöhnlich eine größere Geldsumme – in diesem Falle 4392 Lires in Banknoten – aus der Filiale in Leith an das Edinburger Hauptgeschäft abzuliefern hatte. Kurz nachdem er von der Hauptstraße her im letzten trüben Zwielicht des scheidenden Novembertages den Hof betreten, hatte ein Dolchstoß ihn mitten ins Herz getroffen. Bis ans Heft war die Mordwaffe, die noch im Körper des Ermordeten steckte, dem Unglücklichen in die Brust gedrungen. Die breite, dünne Klinge hatte eine scharf geschliffene Spitze, und das Heft war mit einem weichen Papierbausch umwickelt, um der Hand des Mörders mehr Halt zu geben und ihn vor dem emporspritzenden Blute zu schützen. Alle diese Umstände bewiesen, daß der Mord sorgfältig vorbereitet gewesen, während das Fehlen der Banknoten ihn als Raubmord kennzeichnete. Die Verfolgung des Verbrechers wurde sofort aufgenommen, man setzte auf die Ergreifung des Mörders Belohnungen aus und nahm auch mehrfach Verhaftungen verdächtiger Persönlichkeiten vor. Allein alles, was man herausbekommen konnte, war, daß ein unbekannter Mann den Kassenboten von Leith aus auf Schritt und Tritt verfolgt habe, während andere wieder beobachtet haben wollten, wie ein Mann von Tweeddale Court quer über die High Street gelaufen und in einem nach Leith herunterführenden Gäßchen auf der anderen Seite der Straße verschwunden sei. Monate waren darüber vergangen, und noch immer hatte man keine Spur von dem Mörder entdeckt; da fand am 10. August 1807 ein Arbeiter auf einem augenblicklich unbewohnten Grundstück in der nördlichen Umgebung der Stadt einen Teil der geraubten Summe zu fällig in einer Maueröffnung. Der Mörder hatte nur die geringwertigen Banknoten behalten und die auf höhere Summen lautenden im Betrage von ungefähr 3000 Pfund Sterling in jenes Loch gestopft. Auch diese Entdeckung brachte die Angelegenheit um keinen Schritt weiter; Jahre vergingen, und wenn auch hier und da einmal die öffentliche Meinung diesen oder jenen hartnäckig mit ihrem Verdacht verfolgte, so wurde doch der Mord Begbies allmählich zur Legende. Noch heutzutage, wo auch der Mörder – und wäre er steinalt geworden – schon manches Jahr im Grabe ruhen muß, erinnern sich die Passanten von Tweeddale Court jenes entsetzlichen Ereignisses, und der Ausdruck »Begbies Mord« gilt in Edinburg geradezu als typisch für jede beliebige unaufgeklärte, mysteriöse Angelegenheit. –

Am 23. Februar 1827, zur selben Zeit, als im »Blackwood« dieses Werk de Quinceys erschien, fand in Edinburg jenes berühmte Theatergründungsdiner statt, bei dem Sir Walter Scott den Vorsitz führte und durch einen Toast, den sein Freund, Lord Meadowbank, auf ihn ausbrachte, veranlaßt wurde, die solange getragene Maske fallen zu lasten und sich als den rechtmäßigen und einzigen Verfasser der Wawerleyromane zu bekennen. Die Beifallsstürme, die dieses Geständnis entfesselte, waren noch nicht verhallt, und Sir Walter hatte kaum seinen Sitz wieder eingenommen, als er an einen in seiner Nähe sitzenden Festteilnehmer, den wohlbekannten Mr. Patrick Robertson, alias »Peter Dickwanst«, den witzigen Falstaff der schottischen Advokatenwelt und späterhin der schottischen Abgeordnetenbank ein Zettelchen schickte. Peter stand als Nächster auf der Rednerliste des Abends, und Sir Walter Scott forderte ihn – wie Lockhart zu berichten weiß – durch jenes Zettelchen auf, nun auch seinerseits irgend etwas zu bekennen – und sei es die Täterschaft des »Begbie-Mordes«.

» Sed fugit interea, fugit irreparabile tempus,
Singula dum capti circumvectamur amore

Und nun, meine Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal feierlich beteuern, daß ich selbst nicht den geringsten Anspruch darauf erhebe, zu den Kunstbeflissenen gerechnet zu werden. Den einzigen Mord, den ich je verübt habe, beging ich im Jahre 1801 an einem Kater, und sogar diese bescheidene Kunstübung nahm einen ganz anderen Ausgang, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Der Zweck, den ich verfolgte, war offensichtlicher Mord. » Semper ego auditor tantum?« sagte ich mir, » nunquamne reponam?« Und so machte ich mich denn um ein Uhr in einer dunklen Nacht auf die Suche nach dem Kater mit dem ganzen » animus« und zweifellos auch dem teuflischen Aussehen eines Mörders von Beruf. Ich fand mein Opfer gerade im Begriff, die Speisekammer zu plündern, und dadurch bekam die Sache natürlich sofort ein anderes Gesicht. Denn es waren schlechte Zeiten damals, so daß manch ein ehrlicher Christenmensch sich mit Kartoffelbrot und Reisbrot behelfen mußte. Und da sollte ich es ruhig mit ansehen, wie der verwünschte Kater in dem teuren Weizenbrot hauste? Nein, in diesem Augenblick war es einfach soziale Pflicht, ihn zu töten, und während ich den funkelnden Stahl auf ihn zückte, beseelte mich ein Gefühl, wie Brutus es an der Spitze der Vaterlandsfreunde empfunden haben mußte. Und als ich ihn durchbohrte,

»Da rief ich laut des Tullius Namen aus
Und huldigte dem Vater seines Landes.«

Seit jener Zeit verschloß ich alle Mordgedanken, die ich etwa noch gegen alte Schafe, bejahrte Hennen und ähnliches »Niederwild« hegen mochte, in meiner tiefsten Brust, und gar bis zur weidgerechten Pirsch auf Hochwild hat mein Ehrgeiz sich nie verstiegen. Nein, meine Herren, mit den Worten des Horaz

» Fungar vice cotis, acutum
Reddere quae ferrum valet, exsors ipsa secandi


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