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Die stillere Zeit nach dem Schluß des Landesausschusses von Mitte Marz an brachte im Gebiet der Landesverwaltung wieder eine intimere Hinwendung zu den Fragen von Heer und Schule, in theoretischer und praktischer Behandlung. Manteuffel hatte sich besonders den inneren Kultus- und Schulfragen mit eindringlicher Wärme zugewandt. Ureigne Gedanken über Schul-, Haus- und Volkserziehung hatte er in dem neuen Regulativ niedergelegt, bezw. bearbeiten lassen; sein individueller Geist waltete in den reformatorischen Erlassen und Anordnungen.

Von unantastbarer Hoheit schienen ihm die Erziehungsgrundsätze, die in den Gutachten der Sachverständigen, in Uebereinstimmung mit seinen eignen, tieferwogenen Urteilen niedergelegt waren; gewissermaßen ein Extrakt des Nachdenkens ernster und gereifter Geister. Und als dann (es war im Mai 1884) plötzlich einer der tüchtigsten und auch gelehrtesten Lyzealdirektoren in einem öffentlichen Vortrag auftrat mit Tendenzen, die sich als Gegensatz zu des Statthalters schulreformatorischen Kundgebungen erwiesen, da loderte des alten Feldherrn Zorn auf und traf den kühnen Schulmann (es war der Direktor des Straßburger Lyzeums, Herr Deecke) mit recht scharfem Bannstrahl.

Deecke hatte in seinen »Plaudereien über Schule und Haus«, die er im Druck und in mündlichen Vorträgen veröffentlichte, dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die Aufsicht und der erzieherische Einfluß der Familie einzig verantwortlich sei für moralische Vergehen und Pflichtverletzungen eines Schülers in bezug auf Schulangelegenheiten. Ein tragischer Fall, der sich neuerlich ereignet hatte, ward von ihm zum Ausgangspunkt seiner Erwägungen gemacht. Es war letzthin eine Schülerverbindung aufgehoben worden. Ein Beteiligter, der empfindliche Ehrenstrafen von der Schule fürchtete, hatte sich vergiftet. Deecke wälzte nun die Schuld für den Selbstmord auf den mangelnden erzieherischen Einfluß der Familie; die Schule könne nicht allein für solche pädagogischen Einwirkungen eintreten. Die Regierung interpretierte das dahin, daß Deecke die erziehliche Aufgabe der Schule leugne u. s. w., eine Aufgabe, die gerade der Statthalter als eine ihrer vornehmsten bezeichnet hatte. – Deecke fühlte wohl, durch diese Interpretation der Regierung, die mit des Statthalters Unwillen über Deeckes Vorgehen übereinstimmte, daß er seine Gedanken in zu scharfer Form gegeben habe, und sprach nun in einem zweiten Vortrag über die erziehlichen Aufgaben der Schule. Den Statthalter hatte aber weniger die Tatsache, daß Deecke seiner entgegengesetzten Meinung Ausdruck verliehen hatte, als, wie er es getan, der Modus der Kundgebung, erzürnt. Der Direktor hätte seinen Bedenken und Meinungen etwa in der Form einer Darlegung an die vorgesetzte Behörde, den Oberschulrat oder sogar den Statthalter selbst, in schriftlichem oder mündlichem Vortrag Ausdruck geben können, aber nicht öffentlich im Volksbildungsverein durfte er die Maßnahmen und Regulative kritisieren ...

In erster Linie faßte Manteuffel die ganze Frage von Obrigkeit und Untergebenen religiös auf. Die Obrigkeit, als von Gott eingesetzt, war seiner Auffassung nach in Uebereinstimmung mit einem alten Volkswort (wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand) belehnt mit höherer Einsicht. Aus der Auffassung vom »Gottesgnadentum« und der besonderen Erleuchtung, die er seinem Amt innewohnend fand, leitete er nicht nur eine individuelle Bevorzugung her, sondern es war ihm eine Ueberzeugung von Allgemeingültigkeit geworden. Als logische Folge schien ihm für die Untergebenen aus der besonderen Einsicht und Begabung der Obrigkeit die natürliche Pflicht der Unterordnung zu erwachsen. Diese ethische Erwägung aber war durch den militärischen Geist, der Manteuffels Erziehung geleitet und durchdrungen hatte, und der vor allem eine festgegliederte Disziplin betonte, noch geschärft, und er hatte sie zu einem unerbittlichen Gesetz für sich und andre erhoben. Unter diesem Gesetz, das strenge Pflichtübung forderte, stand seiner Ansicht nach die Beamtenwelt ebenso wie das Heer, und er ließ sein Handeln von solcher Ueberzeugung leiten.

In des Direktors Deecke Handlungsweise sah Manteuffel nun aber einen großen Fehler gegen die Beamtendisziplin; er gab im August 1884 diesen Gedanken eine prinzipielle Begründung in einem Erlaß an den Staatssekretär und verfügte Deeckes Versetzung an ein kleines Gymnasium, in das Städtchen Buchsweiler; er charakterisierte Direktor Deeckes Auftreten als ein Vergehen gegen die Solidarität der Beamten mit den Beschlüssen der Regierung, und erachtete es als ein eigenmächtiges Durchbrechen der Schranken der Disziplin, daß sich Deecke öffentlich scharfe Kritik an den Maßnahmen seiner obrigkeitlichen Behörde erlaubt habe.

In die Sommermonate 1884 fiel auch die Behandlung und der Beschluß in einer kirchlichen Angelegenheit, und zwar in einer evangelisch kirchlichen, die vielfach und sehr lebhaft besprochen wurde, aber am Ende harmonisch ausklang. Es war die Ernennung des Pfarrers Weltz zum geistlichen Inspektor von St. Wilhelm. Das Gesetz vom Germinal, Jahr X, bestimmte, daß die geistlichen Inspektoren von der Inspektionsversammlung ernannt und durch die Staatsgewalt bestätigt wurden. Ein Dekret vom März 1852 änderte das dahin ab, daß die Inspektoren von der Regierung ernannt werden sollten auf Grund einer Vorschlagsliste vom Direktorium mit drei Namen der zu Erwählenden. Das Oberkonsistorium beschloß dann 1872, daß die Inspektionsversammlung drei Kandidaten präsentieren solle, und diese Liste unterbreitete das Direktorium der Regierung, die den Inspektor dann ernannte. Der Schwerpunkt bei der Wahl sollte offenbar auf die Inspektionsversammlung gelegt werden, und das Oberkonsistorium war wohl von der Hoffnung geleitet und bestimmt, daß ihr Wahlvorschlag, wenn unter den Präsentierten ein Kandidat besonders von ihr gewünscht werde, eine solche Autorität hätte, daß die Regierung immer ihre Wahl bestätigen würde, um so dem Urteil der hohen Kirchenbehörde Vertrauen zu beweisen und Geltung zu verschaffen. In der Liste der drei Vorgeschlagenen waren nun die Pfarrer Engelmann und Weltz, und zwar Engelmann als der mit 55 von 60 Stimmen der Inspektionsversammlung erwählte und in erster Linie vom Direktorium gewünschte Kandidat. Beide Herren galten als liberal, Weltz als gemäßigt und politisch zuverlässig, ein Pfarrer vom Lande, – Engelmann, ein Straßburger Pfarrherr, stand im Rufe, Beziehungen zu weniger deutschfreundlichen Kreisen zu haben. Weltz wurde nun vom Statthalter zum geistlichen Inspektor ernannt, aber es wurden Meinungen in der Presse und der Bevölkerung laut, als bedeute dies eine Schädigung der Autorität der Kirche, weil die Regierung dem von der kirchlichen Behörde besonders betonten Wunsch entgegen entschieden habe. Die drei vorgeschlagenen Kandidaten waren aber völlig gleichberechtigt, und die Regierung, die die freie Wahl unter ihnen hatte, erkannte es nicht als einen maßgebenden Satz an, daß der in erster Linie Vorgeschlagene nun auch ernannt werden müsse, sondern sie erachtete es vielmehr als ihr Recht und ihre Pflicht, den zu erwählen, der ihr als der am besten Geeignete erschien.

Weltz war einer der drei Präsentierten, er war dazu politisch ganz zuverlässig, und ein Landpfarrer. Statthalter und Regierung waren nämlich vorzüglich von dem Gedanken bei der Wahl geleitet, daß die geistliche Inspektion, die bisher sehr häufig an Straßburger Pfarrherren verliehen war, nicht nur in den Händen der Hauptstadtgeistlichkeit liegen solle, weil sie sich solchermaßen leicht zu einem Privileg dieser Körperschaft ausbilden und festsetzen könne. Das wäre einer Vernachlässigung und Nichtberücksichtigung einer großen Zahl tüchtiger und für weiteren Wirkungskreis hochbefähigter Kräfte der Landgeistlichkeit gleich gekommen. Die ganze Angelegenheit bedeutete übrigens, ebenso für die Kirchenbehörde wie für den Statthalter, eine Differenz über Prinzipien- und nicht in Personenfragen. Das wurde auch besonders von der Inspektion St. Wilhelm hervorgehoben, indem sie nach der Ernennung von Weltz ein Vertrauensvotum für diesen und zugleich ein Beileidsvotum für Engelmann wegen »unverdienter Zurücksetzung« aussprach. Alte Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten über evangelisch-kirchliche Fragen, insbesondere über die Grenzen der Befugnisse von staatlichen und Kirchenbehörden, und Autoritätsfragen waren bei dieser Wahl eines geistlichen Inspektors wieder neu erwacht und hatten auch die der Regierung gegensätzlichen Ansichten zu lauten Kundgebungen gebracht; aber die persönliche Lösung der Frage, d. h. die Wahl eines so allgemein geachteten, tüchtigen und zuverlässigen Mannes, wie der Pfarrer Weltz es war, wirkte am Ende als die Gegensätze versöhnend. Uebrigens hatte Manteuffel in dieser ganzen Angelegenheit nur in Uebereinstimmung mit dem Ministerium und durchaus nicht eigenherrlich gehandelt, – und konfessionelle oder gar orthodoxe und individuelle Auffassungen des Marschalls waren dabei ganz und gar nicht maßgebend gewesen.

Eine Angelegenheit, die während Manteuffels Verwaltung eine außerordentlich breite, eingehende und teils leidenschaftlich lebhafte Behandlung erfuhr, in der Presse, im Publikum und im Parlament, war die der Tabaksmanufaktur. Da des Statthalters Stellungnahme zu dieser Frage aber sehr passiv war, so wird sie in diesen Blättern, die hauptsächlich Manteuffel und der Darstellung seines Wesens und geistigen Strebens in jener Zeitepoche und seinen politischen Einwirkungen mit Wort und Tat gewidmet sind, nur skizzierend gestreift.

Um die Erweiterung des Betriebs der Tabakmanufaktur, die von vielen Seiten, und zwar in der Presse sowie in beteiligten Geschäftskreisen als im Zusammenhang stehend erachtet wurde mit den Bestrebungen des Reichskanzlers um Einführung des Tabakmonopols, kümmerte sich Manteuffel wenig; er überließ diese Angelegenheit ganz und gar dem zuständigen Unterstaatssekretär und dem Chef des Ministeriums. Jedoch war er mit den getroffenen Maßregeln im allgemeinen einverstanden. Manteuffel hatte für diese, wie überhaupt für finanzielle Maßregeln weniger Interesse und hielt dafür, daß an dem damals bestehenden Steuer- und Finanzsystem im allgemeinen festgehalten würde. Er verkannte übrigens nicht, daß die mit tempo prestissimo inszenierte Erweiterung des Betriebs der Mannfaktur mancherlei Mißstände mit sich geführt hatte. Den Angriffen, die im Landesausschuß gegen die Leitung der Tabaksmanufaktur erhoben wurden (besonders von Baron Bulach), war er aber bestrebt, die Spitze abzubrechen, und suchte dahin zu wirken, daß aus diesem Anlaß ernstere Mißhelligkeiten zwischen Regierung und Landesausschuß nicht entstünden.

Der August 1884 brachte einen für das publizistische Leben im Reichsland recht bedeutsamen Erlaß aus dem Schoß des Ministeriums. Der Staatssekretär v. Hofmann erließ eine Bekanntmachung über eine »im Auftrag des Ministeriums« erscheinende neue Zeitung, welche »Landeszeitung für Elsaß-Lothringen« heißen und alles Amtliche und jedes politische Geschehnis rein sachlich, ohne daran geknüpfte Kritik bringen sollte. Das bedeutete also den Wegfall jedes persönlichen Meinungsausdrucks, – eine farblose Berichterstattung, etwa im Stil der amtlichen »Karlsruher Zeitung« oder des »Deutschen Reichs- und preußischen Staatsanzeigers«.

Da Hugo Jacobi der Redakteur der neuen »Landeszeitung für Elsaß-Lothringen« bleiben sollte und auch fürs erste blieb, hatte die ministerielle Verfügung nicht eigentlich die Neuschaffung, sondern die Umwandlung eines bestehenden Blattes bezweckt. Bisher war die Jacobische Zeitung zwar offiziell inspiriert gewesen, hatte aber mit individuellstem Geiste Kritik an allen Vorkommnissen geübt und die Dinge immer sehr scharf in der Beleuchtung der eignen Auffassung geschaut und dargestellt. Wollte die Regierung (Hofmann) es etwa durch diese Verfügung vermeiden, daß unter ihrer Flagge so selbständig und kühn gefochten wurde? Das publizistische Treiben und Leben im Reichsland war ja ganz besonders frisch, streitbar und von springender, quellender Lebhaftigkeit; es war daher nur natürlich, daß jede Frage mit hellem Eifer und von allen Seiten geprüft ward. Die Kritik für und wider war gleichsam in Permanenz erklärt; sie trug viel zur Klärung und Sichtung des, den geschichtlichen Bedingungen nach, recht drängenden und gärenden Lebens bei, aber sie konnte, wenn nur ein Zuviel der Bewegung eintrat, auch leicht verwirrend und trübend wirken. Dies schien Hofmann zu befürchten – oder in der wachsenden Selbständigkeit der Zeitung herannahen zu sehen, und er zog deshalb die Flagge ein, die eigentlich absolute Solidarität mit der Regierung bedeuten sollte, und ihm jetzt eine zu starke Eigenart, eine zu große politische Selbständigkeit mit den offiziellen Farben zu decken schien. Die Zeitung verwandelte sich also in ein nüchternes Berichterstattungsblatt, und die starke geistige Persönlichkeit von Jacobi wurde als Leiter dieser Zeitung zu einer Schattenrolle genötigt. Jacobi blieb auch tatsächlich nur noch einige Monate Redakteur des verwandelten Blattes, trat dann in das Wolffsche Telegraphenbureau und übernahm später die Leitung der bedeutenden »Münchener Allgemeinen Zeitung«.

Der Monat August brachte gegen sein Ende hin dann noch einen statthalterlichen Erlaß von weittragender Wirkung und Wichtigkeit, den sogenannten Optantenerlaß. Es lebten im Reichsland, in Konsequenz der früheren Optionen, beinahe 15 000 Nationalfranzosen, 4585 Familienbestände bildend. Manteuffel hatte durch Anerkennung der Gültigkeit der Optionen, nach Maßgabe des Gutachtens der von ihm eingesetzten Kommission, in sehr weitem Umfange den Optanten die Möglichkeit eröffnet, gleich den eingeborenen Franzosen in Elsaß-Lothringen sich niederzulassen. Aus dieser Tatsache konnte sich leicht ergeben, daß durch Ansiedlung französischer Familien eine erhebliche Zunahme der im Land befindlichen Franzosen sich entwickelte, die insbesondere dann zu Uebelständen führen mußte, wenn die Söhne solcher Familien ins militärpflichtige Alter traten. Der Kardinalpunkt des Erlasses zielte also dahin, daß bei Eintritt solchen Falles die Familien aufgefordert werden sollten, entweder die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben und demgemäß ihre Söhne im deutschen Heer dienen zu lassen oder wieder nach Frankreich zurückzuziehen. Der Erlaß des Kaiserlichen Statthalters führte also in einer von Konflikten bedrohten Frage zu einer endlichen scharfen, aber gerechten Lösung; er wurde von der ausländischen Presse noch lebhafter und eingehender besprochen als von der deutschen. Denn die Maßregel kam der letzteren nicht unerwartet, weder auffallend noch außergewöhnlich; sie hatte sie als einen weisen, notwendigen Akt reichsländischer Hauspolizei schon seit längerer Zeit vorausgesehen und vorausgesagt. Die maßgebenden österreichischen Blätter und die meisten italienischen Zeitungen schlossen sich der deutschen Auffassung an. Auch die englische Presse erkannte die Notwendigkeit und die Berechtigung des Statthaltererlasses an, wenn auch die »Times« es sich nicht versagen konnte, ihn als ein Gespenst, als einen Schatten, eine »Wolke zwischen Deutschland und Frankreich« darzustellen.

Das war aber ein Irrtum, denn die Haltung der ernsthaften französischen Presse bewies, daß die Maßregel auch in dem naturgemäß am meisten und schmerzlichsten dabei interessierten Staat richtig gewürdigt wurde: nämlich als eine gebieterisch von der nationalen Würde geforderte Wohlfahrtsmaßregel für das eigne Land, die sich achtunggebietend und mit der Wucht einer geschichtlichen Notwendigkeit darstellte.

Das ernste Schauspiel des politischen Lebens im Reichsland gestaltete sich in den folgenden Monaten nun immer dramatischer und war auch leider von tragischen Ueberraschungen und Verwicklungen durchwebt.

Die Vorbereitung zu den Reichstagswahlen vom 28. Oktober 1884 und die Wahlen selbst waren es, die wieder alle Leidenschaften und Gegensätze aufrüttelten, und allem Versteckten, allen Halbheiten und Zerrissenheiten, ebenso wie offener Auflehnung und lautem Widerspruch erkennbaren Ausdruck gaben.

Der ackerbautreibende Nordgau und der industrielle Sundgau waren ganz verschieden in ihrem Charakter. Elsaß und Lothringen, die beiden Departements, kümmerten sich zur französischen Zeit wenig umeinander, und erst das gemeinsame Los der Annexion brachte sie einander näher. Die Sonderinteressenpolitik, die neben der straffen Zentralisation in Frankreich kultiviert wurde, hatte jeden Bezirk gleichsam in seinen engeren Kreis eingesponnen. Sobald an das Gefühl der politischen Einheit mit dem größeren Staatsverband appelliert ward, drängten die Erinnerungen und Sympathien immer noch mehr nach Frankreich hin, als nach dem Deutschen Reich, dem das Land staats- und völkerrechtlich angehörte. Die Wahlen mit ihren Pflichten offenen Bekennens der politischen Gesinnung weckten natürlich die wahren patriotischen Neigungen auf, und so kam es, daß durch die beiden annektierten, in ihrem Grundcharakter so verschiedenen und einander fremden Provinzen ein starker Zug von Ideengemeinsamkeit ging. Durch die Tatsache, daß man in mehreren Wahlkreisen deutsche Gegenkandidaten aufstellte, so z. B. Rechtsanwalt Leiber in Straßburg, wurden auch laue Politiker und solche, die aus autonomistischen Interessen mit der Regierung einheitlich zum Wohl des Landes in Presse, Parlament und öffentlichem Leben gewirkt hatten, veranlaßt, ihre innerste Meinung zu bekennen. In Straßburg war nun seit Jahren Kablé als Kandidat der Protestpartei aufgestellt. Das »Elsässer Journal« hatte bisher, wo es nur einem elsässischen Kandidaten, wenn auch von andrer Parteifärbung, gegenüberstand, geschwiegen; es trat aber, nun vor die Notwendigkeit gerückt, zu einem deutschen Gegenkandidaten Stellung zu nehmen, zum erstenmal offen für den Protestler Kablé ein. Sehr charakteristisch! Das erklärte Organ der Antonomisten, also der Gegenpartei zu den Protestlern, ließ hier in diesem Fall das Sonderinteresse der Partei besiegen von dem allgemeinpolitischen gegen das Deutschtum.

Die Wahlen brachten auf der ganzen Linie das Wiedererscheinen der alten Deputierten mit den früher von ihnen proklamierten Tendenzen. Besonders politisch bemerkenswert gestaltete sich die Wahl in Metz, wo Antoine in der Person des Abbé Jacques ( ancien aumônier militaire de l'armée du Rhin) einen von den Eingewanderten unterstützten Gegenkandidaten fand. In Verbindung mit dieser Kandidatur spielten sich zwischen dem Statthalter und dem Bischof von Metz sehr interessante Verhandlungen ab. Manteuffel suchte Dupont des Loges aus und stellte ihm vor, welch übeln Eindruck die Wahl von Antoine in ganz Deutschland, auch in den maßgebenden politischen Kreisen machen würde, und daß es ihm kaum möglich erschiene, seine Politik der Versöhnung bei Antoines eventueller Wiederwahl fortzusetzen. Im Hinblick auf den großen Einfluß des Klerus, auch in Wahlangelegenheiten, verlangte Manteuffel von dem Bischof das Einsetzen seines Einflusses für die Kandidatur eines Geistlichen der Diözese. Demgegenüber betonte der Bischof, daß er während seiner langen, nun 40 jährigen Verwaltung immer den Grundsatz gehabt habe, den Klerus fernzuhalten von politischen Agitationen, und daß er diese Tendenz auch bei der bevorstehenden Wahl nicht verlassen könne.

Nach dieser, in sanfter Form gegebenen Ablehnung ersuchte der Statthalter nunmehr den Bischof, daß er sich wenigstens der Kandidatur eines Geistlichen nicht widersetze. Dies versprach Dupont des Loges, unter der Voraussetzung, daß sein Name in keiner Weise in den Wahlkampf gezogen würde, – drückte aber die Hoffnung aus, daß kein Geistlicher die Kandidatur annehmen würde. Während so von der einen Seite gesucht wurde, den Bischof für die Kandidatur Jacques zu interessieren, wurden von Frankreich her Stimmen laut, die den Bischof zu veranlassen suchten, von dem Abbé Jacques zu verlangen, daß er seine Kandidatur zurückziehe. Interessant ist in dieser Beziehung besonders ein Schreiben des Bischofs Freppel von Angers an Dupont des Loges, das wir um seines bemerkenswerten Inhalts willen ganz zitieren:

» Permettez-moi de vous exprimer les scrupules patriotiques et les appréhensions religieuses, que j'éprouve au sujet de la candidature de M. l'abbé Jacques, en même temps que mon humble, mais très vif désir de vous voir intervenir, pour écarter, ce que je considère comme un péril pour la religion et – malheur pour la France

Tant que M. Antoine pouvait être réputé francmaçon, nous comprenions tres bien, que l'on pût songer a lui chercher un concurrent. Mais du Moment, qu'il repousse ouvertement cette qualité, qu'il conduit son fils à Paris Der Sohn Antoine war im Lyzeum »Louis le Grand« in Paris. en recommandant au proviseur de l'élever soigneusement dans la religion catholique, il y aurait une véritable injustice à le combattre et `à l'éliminer du Parlement allemand.

Assurément je ne dis pas, que N. Antoine représente exactement le catholigue pays de Metz. Si d'ici à quelques années on lui trouve un concurrent plus catholique, il faudra le faire. Mais en ce moment, après les persécutions, dont il vient d'être victime de la part des Prussiens, le sentiment national-français serait vivement froissé d'une pareille exclusion. Je puls attester à votre Grandeur, que la candidature de M. l'abbé Jacques produit une pénible émotion dans nos rangs. Nos adversaires s'en servent pour montrer, que les catholiques n'ont aucun souci de la patrie. M. le comte de Mun et nos collègues de la droite, M. l'abbé Winterer Es war kennzeichnend für die damalige Anschauung von Winterer und seinen geistlichen Kollegen im Reichstag, daß sie in dem Wahlkampf zwischen dem freigeistigen, französisch gesinnten Demokraten Antoine und dem katholischen, aber deutschfreundlicheren Priester Jacques sich für den ersteren aussprachen. et les Alsaciens membres du Reichstag partagent à cet égard entièrement mon avis. Si donc votre Grandeur pouvait obtenir le désistement de M. l'abbé Jacques, elle ajouterait à tous les titres qu'elle possède à notre admiration et à notre reconnaissance ... «

In seinem Antwortschreiben rechtfertigte Dupont des Loges die von ihm beobachtete Politik der Zurückhaltung und lehnte die Bitte des Bischofs Freppel ab.

Das Schreiben, aus dem übrigens hinreichend deutlich hervorleuchtete, wohin im Grunde der Wunsch des Bischofs ging, lautet: Je conçois vos alarmes et celles de vos amis, et je suis le premier à les partager.

La candidature imprévue et de la dernière beure de M. l'abbé Jacques m'a jeté dans une douloureuse perplexité. M'y opposer, c'eût été mécontenter une grande partie du clergé, me rendre aux yeux du pouvoir suspect d'un patriotisme à outrance, et m'exposer, surtout dans les campagnes, au reproche d'avoir attiré sur l'Alsace-Lorraine de nouvelles rigueurs, en favorisant ainsi indirectement l'élection de M. Antoine.

J'ai donc pensé que le parti le plus sage était de me renfermer dans une réserve absolue, de garder le silence, et de ne permettre à aucun des deux candidats, de se prévaloir de mon nom.

Mais on ne peut se le dissimuler, quel que soit le résultat de l'election d'après-demain, cette agitation électorale aura des suites très fâcheuses pour tous les intérêts qui nous sont chers. Aujourdhui, à la veille de l'élection, il ne me reste plus gu'à gémir et à prier dieu, de détourner les maux, gu'on peut prévoir pour notre malheureux pays.

Trotz all dieser interessanten Hinüber und Herüber von Meinungen und Bemühungen ward Antoine Sieger mit 8898 Stimmen gegen 7267 für Jacques. Der Sieg war glänzend. Der Optantenerlaß hatte besonders in Lothringen, wo viele französische Beziehungen rege waren, stark verstimmt. Die Notabeln, die äußerlich sich noch freundlich zu Manteuffel stellten, traten in ihren Kreisen entschieden für Antoines Wahl ein, und die Presse konstatierte, daß von Frankreich kommende, reiche Geldmittel die Wahl des Metzer Tierarztes wesentlich unterstützt hatten. Auch der Ausgang des Prozesses Antoine, der ihn fast zum Märtyrer verklärte, hatte bedeutenden Einfluß auf die Erwählung dieses fanatischen Chauvinisten geübt.

Mitte Oktober kam Manteuffel von Gastein zurück. Der erste Gruß, der ihm wurde, wenige Tage nach seiner Heimkehr, war kein friedlicher. Wie eine Botschaft des Sturms, wie das wilde Wehen erregter Leidenschaften traf ihn das Ergebnis der Wahlen. In der Volksseele mußten doch noch Funken einer alten Liebeswärme für das Vergangene, für das ehemalige Vaterland ruhen, die, von geschickten Schürern aufgerührt, recht bedrohlich emporlodern konnten. Zwar wurden sie für gewöhnlich sorglich verhüllt, aus Gründen der Wohlfahrt und des Friedens, und solange der ruhig erwägende Verstand Meister blieb, – aber – sobald ein Sturm von draußen sich kraftvoll den Weg bahnte dahin, wo im Innersten der Volksseele die Funken geborgen ruhten, blies er sie zu mächtigen Flammen empor. In die große Masse des Volkes war das Bewußtsein des organischen Verbundenseins mit Deutschland noch nicht tief genug gedrungen, um sie dem Einfluß gewisser leidenschaftlicher Führer sich verschließen zu lassen. Die Macht der französischen Agitation verdrängte leicht die ruhige Beherrschung und die Erkenntnis für das Friedlich-Notwendige; sie hatte sich in dieser Reichstagswahl 1884 noch als heimlich-unheimliche Herrscherin gezeigt ...

In Paris machte das Resultat der reichsländischen Wahlen Aufsehen und erregte große Begeisterung, – und in ganz Frankreich ward es als ein glänzender Triumph der Protestpartei aufgefaßt. Die etwas phantasiereiche Art der französischen Presse stellte sich aus der Wahl der drei bedeutendsten Städte Elsaß-Lothringens, Straßburg, Mülhausen, Metz, die Trikolore Frankreichs sinnbildlich zusammen, und zwar Straßburg-Kablé mit seinem Programm protestation et action, als das kräftige Blau; Mülhausen-Dollfus mit protestation pure, als das reine Weiß, und Metz-Antoine mit protestation et revanche, als das blutige, flammende Rot! Also: Blau-weiß-rot! Die Reichstagswahlen 1884 in Elsaß-Lothringen, insbesondere die von Antoine in Metz, bedeuteten, wenn nicht einen Rückschritt, so doch mindestens eine unfruchtbare Stagnation.

Bismarck hatte einst ein eisernes Wort geprägt: »Den Freunden: Freund, den Feinden: Feind!« In dem Satz liegt der Gedanke von ehrlichem Frieden und ehrlichem Kampf. Jedem den Lohn gezahlt, den er verdient; nur das schafft reine Luft und frisches Leben.

Manteuffel wollte im Ueberschwang seiner Ideale allen Freund sein, allen die Segnungen der Freundschaft geben, – auch denen, die sie gar nicht wünschten. So verlor er im Werben um stets neue Freunde die Freunde, die er hatte, um der Freunde willen, die er erstrebte.

Es hat etwas menschlich Erschütterndes, zu beobachten und zu erkennen, wie hier ein fast überschwenglicher Reichtum von edeln Impulsen und starker Liebeskraft oft ins Leere, oder, was noch schlimmer ist, ins feindlich Widerstrebende fiel. Doch trat auch in jene gewitterdrohenden Zeiten, die fortwährend Entladungen mit Blitz und Schlag brachten, manchmal ein breiter Sonnenglanz, der dann einen friedvollen Ausblick in eine fruchtbringendere Zukunft erschloß ... Zu einer solchen lichten Ruhephase gestaltete sich die Feier der Einweihung des neuen Universitätsgebäudes in Straßburg. Wie eine mächtige Schutzhütte auf sturmumgellten Höhen, so wirkte die Hochschule deutscher Wissenschaft, die nun auch äußerlich ein neues, starkes Haus erhalten hatte. In der Tat und symbolisch bot sein Dach Schutz und Ruhestatt in kampfreichen, politisch stürmischen Zeiten. Von sicherer Höhe und auf dem ruhigen Untergrund friedlicher geistiger Arbeit konnte man dem wechselnden Drängen in der Entwicklung der Dinge gemessener entgegenharren.

Wissenschaft und Kunst bauen sich nur feste Stätten, wenn ihnen der Friede für ihr Wirken gesichert erscheint ...

Das Kollegiengebäude in Straßburg wirkte auch architektonisch in seinem Aeußeren und Inneren mit klassischer Ruhe und Größe.

Am 27. Oktober 1884 beging nun die Universität die Feier der Einweihung ihres herrlichen Studiengebäudes, unter regster Anteilnahme der Einwohner von Stadt und Land. Auf der breit ausladenden Freitreppe, die zu dem in Säulen gegliederten Eingang der Universitätshalle führt, erwartete der Statthalter mit dem gesamten Ministerium, der Generalität und den Herren seines persönlichen Dienstes, den festlichen Zug der Professoren.

Der berühmte Rechtslehrer Professor Dr. Sohm war damals Rektor; ihm übergab Manteuffel in feierlichem Akt die Schlüssel des Gebäudes, an deren Uebernahme Sohm eine an Gedanken und Schwung hinreißende Rede knüpfte.

Bei dem Festmahl, das später in der Aula stattfand, brachte Manteuffel erst, im Namen des Kaisers, ein Hoch auf die Universität aus, und nach einer Rede, in der Professor von Recklinghausen warm anerkennend von des Marschalls förderndem Verdienst um die Wissenschaft gesprochen und ihm ein Hoch brachte, erhob sich der Statthalter zu einer Antwort. Wie eine warme Flamme aus einem heimlich und liebevoll gewahrten Herd junger Begeisterung, den die vielerlei Enttäuschungen in Leben und Politik nicht hatten vernichten können, glänzte es da noch einmal empor. Die Worte Manteuffels waren wieder von jener zuversichtlichen Kraft warm, die in seinen ersten Reden (1879/1880), als er, hoher Ideale voll, des Reichslandes Boden betrat, so unmittelbar und individuell wirkte.

Die Rede lautete:

»Ich habe in meiner Jugend wohl auch ambitiöse Träume gehabt. So hoch aber sind sie nie gestiegen, daß der Prorektor einer großen Universität inmitten sämtlicher Professoren ein Hoch auf mich ausbringen würde. Da äußere Verhältnisse dies herbeigeführt haben, so nehme ich eine gute Erinnerung mehr ins Grab ...

Ich danke Ihnen, geehrter Herr Professor, für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, und danke allen den Herren recht aufrichtig.

Und nun bitte ich Sie, geehrte Herren, mit mir auf das Wohl des alten deutschen Landes zu trinken, auf dessen wiedergewonnenem Boden wieder ein deutscher Kaiser das Regiment führt und diese Universität hat stiften können. Welch hohe Bedeutung diese Stiftung auch für Elsaß-Lothringen hat, haben wir heute vormittag aus ciceronianischem Munde gehört. Schlachten geben die Basis der Friedensschlüsse; diese bilden die Grundlagen neuer Verhältnisse. Wirkliche Eroberungen erwachsen erst aus der zunehmenden inneren Gemeinschaft. Hierzu kann nichts mehr beitragen als Literatur und Unterricht. Für beide sind die Universitäten in Deutschland die vornehmste Werkstätte. Gott gebe auch hier seinen Segen! Elsaß-Lothringen hoch!«

Eine starke Welle von Aufschwung trug in diesen Tagen die Geister über die Wirren und Nöte des Täglichen empor ...

Ich hatte damals in meiner Begeisterung für die Schöpfung des prächtigen Heimathauses deutscher Wissenschaft eine Dichtung geschrieben, und sie den Professoren und Studenten gewidmet; sie ist in einem meiner Dichtungsbücher veröffentlicht, und ich gebe sie nur deshalb wieder, weil sie in gewissen Beziehungen zu Manteuffel steht. Der Marsch all hatte nämlich gemeint, es sei die schönste Kundgebung gewesen, die zur Einweihungsfeier laut geworden sei, – und nur auf seinen Wunsch habe ich sie später veröffentlicht.

Bei der scharfen Selbstkritik, die ich gewohnt bin, an meinen künstlerischen Leistungen zu üben, würde ich sonst diese Dichtung als zu pathetisch und kühlprächtig nicht unter meinen Dichtungen veröffentlicht haben; vielleicht hat sie aber gerade dem Marschall so gefallen, weil ihr Ton etwas auf Schillerisches Pathos gestimmt ist ... Die Strophen mögen hier ihren Platz finden, weil der verehrte, große Tote sie liebte. Sie lauten:

Geborsten und zersprengt liegt jener Ring,
Der neidvoll einst das Blühn der Stadt bedrängte;
Gelöst der Gürtel, der sie hart umfing,
Und ihr Entfalten steinern niederzwängte.
Nun dehnen sich der Feste Quadern weit
Ins üpp'ge Land. Der königliche Rhein
Grüßt jubellaut mit Wellenklang die Zeit,
Wo ihm mit großem Schritt die alte Stadt
Verjüngt entgegendrängt in Erz und Stein.
In jedem neuen Bau lebt Kraft und Tat,
Indessen träumerisch in alten Gassen
Die Schemen der Vergangenheit erblassen.

Wo einst die Mauern weithin ödes Feld
Umschloß, entragen heute rings Paläste.
Hier schuf die Wissenschaft sich eine Welt,
Dem deutschen Geist zu allgewalt'ger Feste.
Und köstlich schimmernd baut ein Säulendach,
Baut eine Burg sich fürstlich auf ins Blau;
Sie öffnet weithin Tore und Gemach,
Auf daß: die Meister in der Weisheit sind,
Und alle andern, die sie rings im Gau
Zu Rittern oder Jüngern sich gewinnt,
Begeistert auswärts klimmen ihre Stufen,
Vom Gott in ihrer eignen Brust gerufen!

Denn ich, ich glaube noch an jenen Gott,
Der sich entwirkt in edeln Männerseelen!
Wohl schau' ich Zweifelsucht und kühlen Spott
Sich blaß und frech durch unsre Zeiten stehlen,
Und manchen jungen Geist berührt ihr Gift.
Doch glaub' ich, daß es deutscher Wissenschaft
Vorübergeht, und nicht sie tötend trifft;
Denn hier wird alles Niedre streng verneint –
Hier ruht die reine, aufgewachte Kraft,
Die dem Gemeinen lebt als grimmer Feind.
Hier sind im Bannkreis feingeklärter Geister
Die Wahrheit und die Schönheit strenge Meister!

Und heilig ist der Boden, da ihr steht! ...
In West und Ost gesäumt von Bergeswäldern,
Daraus der dunkle Blick der Sage späht,
Indessen in den Gassen, in den Feldern
Erinn'rung und Geschichte mahnend wacht.
Und Erwins wundervolle Tat in Stein
Hebt aus der Stadt sich auf mit Säulenmacht.
Gleich einer ernst emporgereckten Hand,
Die aus dem Nied'ren, aus des Alltags Schein
Den Blick zur Göttlichkeit, zur Höhe bannt,
Und unaufhörlich aus den engen Kreisen
Des Täglichen ins Ew'ge möchte weisen.

Und neben euch, da schreitet einer sacht,
Der hier vor Zeiten selig-jung gewesen,
Des Blick, gleichwie zu goldnem Licht entfacht,
Manch jungen Geist von Sehnsucht ließ genesen.
Manch junges Herz in seinen Glutkreis zwang.
Feldüber liegt ein eingesunken Grab,
Darin ein so bezwungnes Herz versank ...
Von Goethes Jugend fielen Blüten leis
Und unverwelkt und golden leuchtend ab –
Die weben hier geheimen Zauberkreis ...
Ob dieser Stätte, über diese Matten
Entwandelt Goethes immerjunger Schatten! ...

Und also reicher Boden fordert nun
Auch goldne Frucht von euch in schwell'nder Fülle.
Laßt euer Können, eure Kraft nicht ruhn!
Ermüdet nicht, wenn ihr die zähe Hülle
Vom Kern des Wissens mühvoll lösen sollt!
Kraft reift das KönnenKönnen reift die Tat
So hebt sich dann der Ernte reiches Gold
Aus diesem Ring des Wirkens sieghaft auf.
Schon lacht das weite Haus, euch winkt der Pfad,
Der zu den Wissenshallen führt herauf –
Der große Geist der Zeit hat euch berufen!
Hebt eure Vollkraft! kühn hinan die Stufen

Das Fest der Einweihung wirkte wie eine Harmonie, die sich aus ringenden Dissonanzen freigelöst hatte; sie fiel nach dem leidenschaftlichen Kampf, bei Gelegenheit der Reichstagswahl, der eben zu Ende ging, wie ein Versöhnungsklang ein ...

Freilich, Unruhe und Gegensätzlichkeit kamen bald genug wieder zum Ausdruck ... Einige im Reichsland erscheinende Blätter: »Union«, »Echo« und »Odilienblatt« hatten neuerdings wieder scharf Stellung gegen das Deutschtum genommen. Die Artikel dieser Blätter wurden von solcher anmaßenden Heftigkeit, daß Manteuffel sich genötigt sah, mit einer intensiven Maßregel einzugreifen. Sie fiel Ende November 1884 und trug eine starke Bewegung gerade in Kreise, um deren Wohlwollen der Statthalter immer ernst bemüht gewesen war. Diese Maßnahme war der Erlaß des Verbots der drei Zeitungen: »Union«, »Echo« und »Odilienblatt«, eine Maßregel, die auch zu gleicher Zeit die letzte Anwendung des Diktaturparagraphen während Manteuffels Verwaltung darstellte. Der kaiserliche Statthalter begründete sein Verbot etwa mit folgenden Gedanken: Er habe, als er bei seinem Amtsantritt die Presse von den ihr auferlegten Beschränkungen befreite, geglaubt, die allgemeinen Verhältnisse im Reichsland seien so reif, daß man die Preßfreiheit gewähren könne, und daß sie aufklärend, befreiend, belehrend wirken würde. Doch sei das Gegenteil der Fall gewesen, wie es schon einige Pessimisten in seiner Umgebung beim Beginn seiner Verwaltung prophezeit hätten. Er habe damals ihre Auffassung zurückgewiesen, im Vertrauen, daß die Presse in objektiver Weise und zum Nutzen des Landes die öffentlichen Angelegenheiten behandeln werde. Diesem Vertrauen sei nicht entsprochen worden.

Es habe sich herausgestellt, daß in Elsaß-Lothringen noch zu besondere und schwierige komplizierte Verhältnisse obwalten, die Rücksichtnahme auf die Presse gebieten ... Die chauvinistischen Hetzereien jenseits der Vogesen nähmen eher zu und könnten der deutschen Entwicklung gefährlich werden, wenn die durch die Preßorgane erregte Stimmung der Bevölkerung ihnen aufnahmewilligen Boden gäbe. Eine solche Haltung läge nun bei einer Anzahl von Blättern vor: Da es sich zum Teil um Zeitungen handle, die sich als vorzugsweise katholische bezeichnen, habe er sich unterrichten wollen, ob diese sich hauptsächlich die Vertretung katholischer Glaubenssätze zur Aufgabe machten, und ob die Unterdrückung dieser Blätter das katholische Gewissen beunruhigen könnte. Er habe » zuverlässige Informationen« darüber, und habe sich überzeugt, daß die erwähnten Zeitungen reinpolitische seien. Das Einschreiten gegen sie habe er hiernach für eine Pflicht gegen das Land erkannt. Absichtlich habe er erst die Zeit nach der Reichstagswahl abgewartet, damit von einer irgendwie beabsichtigten Beeinflussung der Wahlen keine Rede sein könne.

Das Verbot richtete sich gegen »Die Union«, »Echo« und »Odilienblatt«.

Diese Maßregel wurde dem Statthalter als eine Feindseligkeit gegen die katholische Kirche gedeutet; die Sätze des Erlasses, er habe sich »zuverlässige Informationen eingeholt, ob die Unterdrückung das katholische Gewissen beunruhigen würde«, wurden allgemein so ausgelegt, als habe Manteuffel in Priesterkreisen sich Aufklärung über diese Frage geholt und dann die vertraulichen Mitteilungen benutzt als überzeugende Waffe zur Unterdrückung jener katholischen Blätter. Mehrfach wurde auch die Meinung laut, als habe sich der Marschall in dieser Frage mit der höchsten Autorität, dem Bischof (Stumpf), in Verbindung gesetzt. Manteuffel hatte aber, indem er von Informationen gesprochen, nur solche gemeint, die er in seinen öffentlichen Sprechstunden aus Gesprächen mit Laien ebensowohl wie mit Priestern gewonnen hatte; das ergab sich auch aus des Marschalls Tischrede, am 1. Dezember 1884, die wir weiter unten skizzieren werden.

Eine kleine Ungenauigkeit im Ausdruck rief also einen wahren Strom von Entrüstung in den Kreisen der katholischen Priester und ihrer Presse hervor, trotzdem und obgleich Manteuffel der katholischen Kirche und dem katholischen Klerus in entgegenkommendster Weise seine duldsame, einsichtsvolle Sympathie seit Jahren bewiesen hatte. Wieviel Gegensätzlichkeit mußte also in den betreffenden Kreisen schlummern und nur gedämpft sein durch die versöhnliche Milde des Statthalters, wenn sie dem Kräutlein »Vertrauen« nicht einmal des Bodens Raum gewährte, um Wurzel zu schlagen! ... Das verletzte Manteuffels vornehme, allzu vertrauensselige Natur tief; das gab sich auch kund in der Tischrede, die der Marschall am 1. Dezember anläßlich eines Gastmahls hielt, zu dem Bischof Stumpf, fast alle Domkapitulare und viele katholische Geistliche geladen waren.

Diese Rechtfertigungen, bei denen das Gefühl plädierte als Verteidiger gewisser strenger Maßregeln, die die »Staatsraison« als nötig verordnet hatte, waren es, die der ganzen Manteuffelschen Regierungsweise, dem äußeren Anschein nach, etwas Unsichereres gaben, als sie im sachlichen Kern hatte.

Menschlich waren sie ja für jeden Größerdenkenden verständlich.

Wir geben die Tischrede wörtlich, damit der Leser selbst über die Auffassung Manteuffels urteilen kann:

»Ich erlaube mir, hochwürdige Herren, einige Worte an Sie zu richten. Offene Aussprache ist immer gut ... Einer der Herren Geistlichen, die ich heut zu mir gebeten habe, hat mir geschrieben, er käme nicht, weil die Annahme der Einladung einige zu der Voraussetzung führen könne, als gehöre er zu denen, die mir über die Frage berichtet hätten, ob die Unterdrückung der ›Union‹ und des ›Odilienblatts‹ das katholische Gewissen beunruhigen würde. Ich habe Seiner Hochwürden meine Verwunderung ausgesprochen, daß man glauben könne, ich würde einen Geistlichen des Reichslandes in Verlegenheit gesetzt haben, mir seine Ansichten darüber zu berichten. Da jene Möglichkeit aber einmal angenommen wird, so nehme ich Veranlassung, vor Seiner bischöflichen Gnaden und vor Ihnen allen, hochverehrte Herren, zu erklären, daß auf meinen Reisen und in meinen Sprechstunden nicht nur katholische Laien, sondern auch katholische Geistliche mir ihr Bedauern über die Haltung jener Blätter ausgesprochen haben, daß ich aber von keinem Geistlichen im Reichsland, wes Ranges und wes amtlicher Stellung er sei, Informationen darüber eingezogen oder erhalten habe, ob durch Unterdrückung der ›Union‹ oder des ›Odilienblattes‹ das katholische Gewissen beunruhigt werde. Aus einzelnen Schreiben der Herren Geistlichen habe ich ferner entnehmen müssen, daß das Verbot jener beiden agitatorischen Blätter wie ein feindseliger Schritt gegen die katholische Kirche selbst aufgefaßt worden ist. Das ist mir noch wunderbarer. Ich habe gleichzeitig das agitierende protestantische Blatt ›Echo‹ verboten; aber der Gedanke ist mir nicht gekommen, daß ich dadurch einen feindseligen Schritt gegen meine eigne, evangelische Kirche beginge.

Nicht anders lag es bei jenen agitierenden katholischen Blättern, – und nie und nimmer kann ich glauben, daß die Würdenträger der katholischen Kirche die Agitation dieser Blätter unter ihren Schutz stellen und sich mit ihr identifizieren wollen. Daß aber mein Verhalten seit länger als fünf Jahren gegen die katholische Kirche des Reichslandes mich vor jenem Vorwurf nicht bewahrte, ist eine betrübende Erfahrung mehr, die ich mache. Mit meiner Stellung zur katholischen Kirche hat das Einschreiten gegen die Blätter nichts gemein. Um jedoch jeder Mißdeutung für die Zukunft vorzubeugen, spreche ich es hier aus, daß ich das Wiedererscheinen der ›Union‹, des ›Odilienblatts‹ und des ›Echo‹, auch wenn's unter anderm Namen geschähe, nicht dulden werde, wie ich vor drei Jahren das Wiedererscheinen der verbotenen ›Presse von Elsaß und Lothringen‹, als sie es unter anderm Namen versuchte, auch nicht geduldet habe. Zum Schluß, hochverehrte Herren, versichere ich, daß bei dem allen es sich in meinen Gedanken nicht um die katholische Kirche gehandelt hat, sondern einzig und allein um die Erfüllung meiner Pflicht, den Frieden im Lande zu schützen.«

Wenn diese Verkündungen des Statthalters nun auch loyal und freimütig genug gegeben waren, um ein für allemal eine fraglose Klärung in diese Angelegenheit zu tragen, so verstummten in der Presse und im Publikum doch noch nicht die Auslegungen und Deutungen der Worte von der »Beunruhigung des katholischen Gewissens« und von dem »zuverlässige Informationen einholen« im Manteuffelschen Erlaß. Die Signatur der politischen Lage war eben: Unsicherheit.

Es traten auch Gerüchte von Manteuffels eventuellem Rücktritt wieder auf, die in bestimmteren Umrissen aus dem Nebel der » on dit« dadurch sich lösten, daß sie mit Begründungen erschienen, die der Wahrscheinlichkeit nicht entbehrten. Sie behaupteten nämlich bestimmt, der Statthalter habe dem Kaiser ausgesprochen: Elsaß-Lothringen hätte gegenüber seinen liebevollsten Bemühungen, es auf autonomistischer Basis zum Deutschtum zu führen, eine allzugroße Sprödigkeit bewiesen; und ob sein kaiserlicher Herr ihn noch, gegenüber dieser niederdrückenden Erfahrung, für fähig und stark genug halte, seine Mission zu vollenden. Der Kaiser habe dann, unter Bezeigung seines unwandelbar vollen Vertrauens, den Feldmarschall zu bestimmen vermocht, seinen Posten weiter festzubehalten.

Auch Gerüchte über die Niederlegung des Kommandos über das XV. Armeekorps wurden hörbar ...

Da erhob sich die »Kreuzzeitung« mit der ganzen Wucht ihrer Bedeutung und verneinte alle Gerüchte in besonders fester und scharfer Form. Nun erst trat Schweigen und eine Dämpfung der erregten Meinungen ein.

Das Jahr 1884 neigte sich zu seinem Ende. Für den 13. Januar 1885 war der Landesausschuß einberufen.

Am 14. Januar, bei dem großen Gastmahl für die Herren des reichsländischen Parlaments, hielt Manteuffel noch einmal eine größere Rede.

Die letzte Tagung des Landesausschusses, im Jahr vorher, war in drückender Stille von seiten des Statthalters eröffnet worden. Eine Erklärung über diese Abweichung von der hergebrachten Gepflogenheit: ein politisches Programm gewissermaßen an die Eingangstür der neuen Tagung zu heften, hatte Manteuffel damals in dem berühmten Interview gegeben; er hatte darin nämlich erklärt, daß von dem Augenblick an, wo der Landesausschuß seine Tischreden in Diskussion gezogen habe, ihm seine Auffassung von der Würde der statthalterlichen Stellung es verböte, weiterhin neuen Stoff zu Disputationen durch solche Ansprachen zu liefern. Das scheint uns aber eine übertriebene, künstlich aufgebauschte Auffassung von der Bedeutung der Statthalterstellung zu sein; denn selbst Ansprachen des Kaisers sowie auch selbstverständlich des Kanzlers müssen es sich ruhig gefallen lassen, daß sie in den Reichs- und Landesvertretungen besprochen werden. In dieser Tischrede (es war die letzte, die Manteuffel dem Landesausschuß gehalten, denn er starb im Juni desselben Jahres) begründete der Marschall nun eingehend sein damaliges Schweigen und seine jetzige Rede. Er sprach aus, daß, da seine Tischreden keine Amtshandlungen, sondern »Herzensergüsse« Aber seine »Herzensergüsse« waren eben politische Bekenntnisse von interessierendster Bedeutung! seien, er dem Landesausschuß auch nicht das Recht zuerkenne, sie zu kritisieren, er sei als Offizier sein Leben lang gewohnt gewesen, die Berechtigung zur Kritik seiner Dienstleistungen nur in den Händen seiner Vorgesetzten zu wissen und von ihnen geübt zu sehen. Und da er in der militärischen Hierarchie sehr hoch gestiegen sei, so habe er als alleinigen Vorgesetzten des Kaisers Majestät gehabt. Als Statthalter hätte er nun auch allen Mitgliedern des Landesausschusses das Recht zuerkennen müssen, an seinen Amtshandlungen Kritik zu üben. Das sei ihm sehr schwer geworden, aber er sei gewohnt, die Konsequenz seiner Schritte zu tragen. Er habe nicht mit den Wimpern gezuckt, als ein Mitglied des Landesausschusses seine Politik als eine für das Land nicht glückliche bezeichnete ... Aber zweifelhafter erschiene ihm die Berechtigung: bei Gastmählern in seinem Haus gehaltene Reden in die Diskussion des Landesausschusses zu ziehen. Dann entwickelte der Marschall nochmals in großen Zügen alles, was in den weiten Gebieten seines Strebens und Wollens lag; was einerseits Geschichte, nationale Würde und Vaterlandsliebe ihm streng diktierten, und anderseits, was ihm Humanität und Wohlwollen eingaben ... »Ueber den Rhein hinüber,« so sprach er, »rief ich es laut, daß Elsaß-Lothringen seine alten landständischen Rechte niemals verwirkt gehabt, daß nach seiner Wiedervereinigung mit Deutschland ihm daher alle Verfassungsrechte der andern deutschen Lande zuständen, daß Elsaß-Lothringen von einer Religion und Gesetz ehrenden Bevölkerung bewohnt sei, deren innerer Wert sich schon dadurch zeige, daß eine zweihundertjährige Vergangenheit in ihren Herzen festwurzle, und sie Gefühle nicht wechsle wie Kleider, daß es Pflicht sei, diese Gefühle zu respektieren. Den Elsaß-Lothringern setzte ich auseinander, wie das Reich dem Lande die vollen Verfassungsrechte nicht eher geben könne, als bis es die Sicherheit habe, daß ihm selbst keine Schwierigkeiten dadurch entständen. Der erste Schritt, ihm diese Sicherheit zu gewähren, sei, daß Elsaß-Lothringen, abgesehen von allen Sympathien, seine definitive Zusammengehörigkeit mit Deutschland offen und ohne Rückhalt anerkenne. Ich bat die Elsaß-Lothringer, sich von dem Einflüsse freizumachen, den die französische Presse noch auf ihr Auftreten übe, denn kein Mensch habe das Recht, zu verlangen, daß Elsaß-Lothringen französischer sei als Frankreich selbst; dieses habe das Land nicht behaupten können und in völkerrechtlichem Vertrag an Deutschland zurückgegeben: die Pflichten der Elsaß-Lothringer gegen das Geburtsland träten jetzt in den Vordergrund. Ich erklärte im vollsten Freimut, daß ich es mir zur letzten Aufgabe meines Lebens gestellt, Elsaß-Lothringen seine verfassungsmäßige Selbständigkeit zu erwerben, und meinen Ruhm hätte ich darein gesetzt, daß man dereinst auf meinem Grabstein läse: ›Hier ruht der Mann, unter dessen Verwaltung Elsaß-Lothringen seine Gleichberechtigung mit den andern deutschen Staaten erworben hat!‹ Aber ich sprach auch aus, wie ich ohne die Unterstützung des Landes dies Ziel nicht erreichen könne. Ich warnte vor dem chauvinistischen Auftreten einzelner und rief dem Lande die durch mehr als tausendjährige Geschichte bewährte Erfahrung ins Gedächtnis, daß die Bevölkerung die Folgen der politischen Handlungen einzelner immer habe tragen müssen, wenn sie sich von ihnen nicht losgesagt habe. Ich hob hervor, wie auch mich nur das Gebot der Selbsterhaltung gegen chauvinistisches Getriebe von jenseits der Vogesen, im Anschluß an einzelne Protestagitationen im Lande, zu Maßnahmen gezwungen habe, die mir schwer geworden seien. Durch keine dieser Maßnahmen stehe ich im Widerspruch mit meiner von Anfang an befolgten Politik, denn bei dem Betreten des Landes habe ich es auch ausgesprochen, daß Paktieren mit dem Auslande Feindschaftserklärung für mich sei. Paktieren mit dem Auslande ist alles, was die Bevölkerung gegen das Deutschtum aufreizt und in ihr den Wahn erzeugen will, die Zusammengehörigkeit von Elsaß-Lothringen mit Deutschland sei nur vorübergehend. Ich denke, diese dem Lande nachteiligen, wirklich veralteten Protestphrasen und diese Hetzereien werden nach und nach aufhören. Sollte es nicht sein, sollte die Ruhe des Landes dadurch gefährdet werden, sollte meine Pflichterfüllung gegen das Reich dabei in Frage kommen, so schrecke ich vor keinem Extrem zurück, denn die Pflichterfüllung gegen meinen Kaiser und mein Vaterland gehört zu meiner Religion. Abgesehen aber von dem Zwang, den solches Paktieren mit dem Auslande mir auferlegt, halte ich unverbrüchlich fest an meiner Politik: Wunden zu heilen, Gefühle zu schonen, dem Volke die Religion zu bewahren, durch gerechte, die geistigen und materiellen Interessen fördernde Verwaltung dem Lande die Uebergangsperiode zu erleichtern, und der subalternen Auffassung entgegenzutreten, Elsaß-Lothringen müsse als erobertes Land behandelt werden. Ich wiederhole: an dieser Politik halte ich fest, wenn ich auch manchmal Undank ernte und von andrer Seite des Alt- und Schwachgewordenseins beschuldigt werde. Ich kenne den gesunden Kern der Bevölkerung, weiß, daß sie mich versteht, und die Zukunft wird mir recht geben ...« Manteuffel legte weiterhin besonderen Nachdruck darauf, daß er heut nur spreche nach jahrelangem Schweigen, weil die Lage der Dinge ihn dazu dränge; er fühle es wohl, daß er selbst damit dem Landesausschuß einen Stoff zur Diskussion in den Schoß werfe. Dennoch könne er nicht anders, als mit einigen Worten Irrtümer zu klären, die sonst verhängnisvoll werden könnten ...

Es handle sich um die Frage des Ludwigshafener Kanalbaues, dessen Notwendigkeit aus wirtschaftlichen und militärischen Interessen sich ergebe. Das Geld zu den Vorarbeiten, 125 000 Mark, sei durch einen Initiativantrag vom Landesausschuß bewilligt und dem Reich zur Verfügung gestellt. Die Antwort des Reichs besage aber, entgegen seinen Erwartungen, daß es die Ausarbeitung des Planes nicht übernehmen könne, da die Vorlage erst möglich werde, wenn das Projekt festgestellt sei, und daß das Risiko für die Ausgaben Elsaß-Lothringen zufiele. Er sei nun in schiefer und unklarer Lage dem Landesausschuß gegenüber, dem er etwas zugesichert habe, auf das hin die Summe bewilligt worden sei, und was nun nicht in Erfüllung ginge. Welchen Verdächtigungen würde die Landesverwaltung ausgesetzt sein, wenn sich herausstellte, das bewilligte Geld sei ausgegeben, und die Voraussetzung, unter der es gewährt ward, sei unbegründet gewesen ... Weil er aber unbedingte Klarheit zwischen sich und dem Landesausschuß anstrebe, fühle er sich gedrängt, diese Worte zu sprechen, – und er proklamiere hiermit, daß das Projekt nicht ausgearbeitet und keine Mark von dem bewilligten Gelde ausgegeben würde.

So erlitt der Idealismus des Marschalls, der immer noch viel zu optimistisch und vertrauensselig vorstürmte (obgleich er schon in den letzten Jahren ein mäßigeres Tempo und größere Zurückhaltung zeigte), auch hier eine Niederlage. Enttäuschungen auf Enttäuschungen fielen wie Reif auf die fast leidenschaftlich zu nennende Gefühlswärme, die allen Auffassungen und Handlungen Manteuffels einen eigenartigen Schwung und Charakter gab.

Zu solchen Enttäuschungen im politischen und amtlichen Leben gesellte sich im Februar 1885 eine, die von mehr intimer Art war: die Verabschiedung seines langjährigen ersten Adjutanten, des damaligen Obersten v. Strantz. Persönliche Mißverständnisse veranlaßten Manteuffel zu dem Schritt, Strantz' Enthebung von seinem Posten zu bewirken; ein Schritt, der ihm selbst außerordentlich schwer wurde, wie wir aus seinem eignen Mund wissen.

All diese Erfahrungen trieben ihm tiefe Stachel in die Weiche, leicht verwundbare Seele, – und es ward immer einsamer um ihn – wohl auch, weil er sich mehr verschloß und selbst die Einsamkeit mehr suchte ... In diese Zeit, wo Bitterkeit, Zweifel und Enttäuschungen in sein gesamtes geistiges Leben schärfere Nuancen gebracht hatten, wo solche giftige Elemente an den Wurzeln seiner Kraft und seines Selbstbewußtseins nagten, in diese Zeit fiel die große Bewegung des deutschen Volkes zugunsten seines Nationalheros Bismarck. Des Fürsten-Reichskanzlers 70. Geburtstag fiel auf den 1. April 1885. Wie der alte Sagenhort lauteren und mächtigen Goldes im Rhein, im deutschesten Strom ruhend gedacht war, und erst, ans Licht gehoben, seine weltbezwingende Wunderkraft wies, so ruhten auch die Liebe und Tatkraft, die Begeisterung und Opferfreudigkeit in der deutschen Volksseele, und, ein stärkerer Siegfried, hatte Bismarck sie zu Licht und Tat aus den Tiefen gehoben. Die Geister, die er gerufen, ward er auch, wie Goethes Zauberlehrling, nicht los, – aber in einem entgegengesetzten Sinn: sie umgaben ihn, die erweckten Volksgeister, die Liebe, die Bewunderung, die Begeisterung, und suchten schöne Ausdrucksformen in Taten. Es war darum nur ein natürlicher Vorgang, daß jeder äußere Anlaß zur Ehrung des volksgeliebten Mannes mit heißer Energie ergriffen ward. Der herannahende 70. Geburtstag Bismarcks hatte im ganzen Deutschen Reich die Regsamkeit des Wunsches und Willens erzeugt: Dank zu betätigen für die unvergleichliche Gabe der Einheit, deren Hauptvermittler Bismarck für die deutsche Nation geworden war. Die Freudigkeit, auch zu geben, zu schenken nach besten Kräften, wo man so Unermeßliches, so Unschätzbares empfangen hatte, machte sich Bahn in Worten und Handlungen. Die große Bismarck-Spende, eine Sammlung, die das gesamte deutsche Volk veranstaltete, um eine Gabe von stolzem Wert damit zu erwerben, Hunderte von Festen und Feierlichkeiten in verschiedensten Formen und Gestalten, Fackelzüge, Kommerse u. s. w., die es seinem Helden bereitete, zeugten von der begeisterten, dankbaren Stimmung des Volkes. Mit urelementarer Kraft brach die große Bewegung: Bismarck überschwengliche Ehrung zu zeigen, hervor; ein herrlicher, volkstümlicher, völlig ungekünstelter Zug durchströmte sie. Auch in Straßburg, und zwar in allen deutschen Kreisen, ausnahmlos ...

Nicht nur eine fast leidenschaftliche Beteiligung an der »Bismarck-Spende« hatte sich geregt, sondern es war auch in der Reichslandhauptstadt eine glänzende Ehrung für den Kanzler geplant: der Kriegerverein hatte einen großen Kommers vorbereitet, als Vorfeier, – und zum 1. April einen Fackelzug. Am Vorabend des Geburtstags wurde nun plötzlich die schon gegebene Genehmigung für den Fackelzug polizeilich zurückgezogen. Das brachte eine geradezu erschütternde Wirkung hervor. Die mise en scène der Maßregel hatte etwas Klägliches, Halbes, unsicher Tappendes. Ihre Motivierung durch die amtliche Zeitung lautete so: »Bei dem militärischen Zapfenstreich zu Kaisers Geburtstag (22. März) sind bedauerliche Exzesse vorgekommen. Um der Wiederholung solcher Dinge vorzubeugen, hat die hiesige Polizeibehörde sich entschlossen, auf ein Ersuchen des Festungsgouvernements, die Genehmigung zum Fackelzug zurückzunehmen.«

Zurücknehmen! Wieder eine halb« Maßregel, und – unter der besonderen Konstellation der Dinge (wir können nicht umhin, dies als unparteiische Betrachter der Geschichte auszusprechen) eine beklagenswerte Maßregel!

Besser wäre es gewesen, sogleich mit der vollen Maßregel eines Verbots zu kommen; sie wäre freilich dadurch nicht besser geworden, aber sie wäre von vornherein von klar ausgesprochenem Charakter gewesen.

Die Motivierung stand auf dem schwanksten Boden; denn es war sinnwidrig, eine Analogie zu ziehen zwischen Soldaten, wie sie beim Zapfenstreich im Festjubel und nach dem ungewohnten Genuß reichlichen Alkohols Ausschreitungen begangen hatten, und gebildeten, reifen Männern, ruhigen Bürgern (wie die Herren vom Kriegerverein doch waren), die ihrem begeistert verehrten Kanzler eine Ehrung in einem Fackelzug darbringen wollten. Der Kriegerverein sah das Verbot des Zuges als einen gewaltsamen Einbruch in das heilige Recht seiner Begeisterung an; er formulierte sogleich ein Telegramm an den Reichskanzler, das folgenden Wortlaut hatte:

»Zum größten Bedauern aller Deutschen Straßburgs ist feierlicher Zug für morgen zu Ehren Eurer Durchlaucht polizeilich nicht genehmigt worden. Bitten untertänigst die Genehmigung hochgeneigtest vermitteln zu wollen.«

Von Berlin aus erfolgte natürlich nichts. Wie hätte auch Bismarck zugleich pro domo und contra in eine Maßregel der reichsländischen Regierung eingreifen können!?

Altdeutsche Zeitungen sahen in dem Verbot eine übertriebene Beugung Manteuffels vor der chauvinistischen Presse und den Französlingen im Land und ängstliche Rücksichtnahme auf die Notabeln ...

Auch in Berlin erregte die Maßregel ein peinlich-großes Aufsehen. Besonders inmitten des gewaltigen nationalen Aufschwungs, der alles Widerstrebende und Kleinliche einfach hinriß in seine Zauber, erschien jene Aktion von kläglicher Fragwürdigkeit. Nirgend weniger als in Straßburg durfte ein Verbot solcher Kundgebung vaterländischen Geistes erfolgen. Die Wiedergeburtsstätte nationaler Größe war der gebotene geheiligte Ort für einen Akt aufrichtiger Dankbarkeit des deutschen Volkes. Der Festkommers in Tivoli (ein Vergnügungsgarten in Straßburg) verlief glänzend. Eine Huldigungsdepesche an Bismarck wurde entsendet, und begeisterte Reden ertönten. Nur ein Hoch oder eine Rede auf die Landesregierung fehlte. Darin lag eine herbe Verurteilung jener Entscheidung (Fackelzugverbot), wie auch in den Worten des Telegramms:

»Zum größten Bedauern aller Deutschen Straßburgs«, als gehöre die Regierung gar nicht zu den vorzüglich Deutsch-Nationalen ...

Der damalige Präsident des Kriegervereins Ministerialrat v. Strenge machte in seiner Festrede eine Andeutung, die wie eine Kritik der administrativen Maßregel klang; er sprach aus, wie man allüberall den großen Kanzler feiere, »aber hier? – es wär' zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein.« Stürmischer Beifall der Anwesenden zeigte, wie dieser Wortpfeil in den Kernpunkt der allgemeinen Empfindung getroffen hatte.

Manteuffel hat später über diese Rede Bericht eingefordert und war sehr erzürnt über sie; er fand eine Indisziplin in Strenges Verhalten, und ein disziplinarisches Einschreiten schien beabsichtigt. Die Einleitungen dazu sollen im Gange gewesen sein, als der Tod des Statthalters ihnen ein Ziel steckte. – Bald nach dem Verbot des Fackelzuges ward in den offiziellen Kreisen Berlins bekannt, daß Manteuffel an den Reichskanzler einen Brief gesandt habe, der diesem jene befremdliche Maßregel vom Standpunkt der Behörde begründete. Dieser bestimmt auftretenden Nachricht ist auch nie widersprochen worden.

Wie Bismarck den Brief aufnahm, entzog sich der Oeffentlichkeit. Man muß da unwillkürlich an ein Kraftwort denken, das der Kanzler einmal im Reichstag seinen Gegnern gegenüber aussprach: »Meine Herren, Sie wissen nicht, wie ich lache, wenn ich allein bin!«

Der ganze Vorfall des Fackelzugverbots, der unserm Empfinden nach dissonierend in die großen Noten hineintönte, die den Grundklang von Manteuffels Leben und Wirken harmonisch bildeten, hatte aber offenbar dem Marschall an höchster Stelle in Berlin nicht geschadet, denn bald nachher, im Lauf des April, erfuhr er eine im militärischen Leben noch nie dagewesene Gunst und Rücksichtnahme: es wurde ihm ein Stellvertreter, zur Erleichterung der Arbeitslast in seinen Geschäften als kommandierender General, beigegeben. Laut kaiserlicher Verfügung wurde ein General (Herr v. Heuduck, der bisher Kommandeur der Kavalleriedivision des XV. Armeekorps in Metz gewesen) nach Straßburg kommandiert, um dort »nach näherer Anweisung des kommandierenden Generals dessen Stellvertretung sowohl in der Führung der Geschäfte des Generalkommandos, wie in der Beaufsichtigung und Inspizierung des Dienstbetriebes und der Ausbildung der Truppen des ganzen Armeekorps zu übernehmen«. So war der Wortlaut ... Es lag übrigens wie ein schwerer Druck, wie eine schwüle Stille, die auf irgend eine befreiende Klärung wartete, über dem politischen Leben des Reichslandes, als Manteuffel Anfang Juni nach Karlsbad reiste. Ungelöstes, das der Lösung harrte, Trübes, das der Klärung bedurfte, Angefangenes und wieder Ruhengelassenes, das auf ein Ende hindrängte, viel Unfertiges lag überall, und die traurige Maßregel vom 31. März hatte wahrlich nicht klärender gewirkt. Manteuffel empfand das auch offenbar. Wohl hat er sich, unsers Wissens, zu keinem seiner Umgebung in Straßburg frei darüber geäußert, aber der feiner Empfindende fühlte es wie ein schwerflüssiges Fluidum in des Marschalls sonst so rasch bewegtem Wesen ... Mir persönlich ist ein Ausspruch des Feldmarschalls im Gedächtnis, ich habe ihn auch in den Notizen aus jenen Tagen ausgezeichnet gefunden, den er mir gegenüber tat, als er mit lebhaften Worten von einem meiner Dichtungswerke, das damals erschienen war, redete. »Ah, wer noch diesen Gedankenschwung hätte, wie Sie! Im großen Flug findet man fast immer das Richtige! Aber das Leben warnt einen mit so viel Enttäuschungen, – und wenn man erst zu grübeln und abzuwägen beginnt, dann greift man manchmal das Falsche ...« Das sind die letzten Worte, die mir von Manteuffel in Erinnerung stehen; sie waren mit weher Resignation gesprochen – wie der schmerzliche Ausklang eines gewaltigen, heldenhaften Strebens, das aber doch dem furchtbaren Fluch aller Menschlichkeit, dem Irrtum, nicht hatte entrinnen können ...

Manteuffel kam nie mehr in sein geliebtes Elsaß heim. Eine tödliche Krankheit erfaßte in Böhmen den alten Helden, und er erstand nicht mehr von ihr ... Seine Tochter Isabella, die den Vater schwärmerisch verehrte, war in Karlsbad, wie auf all seinen Erholungsreisen, seine treue Begleiterin: sie hat stets liebevoll und mit zartem Verständnis für ihn gesorgt und ihn auch in seinen letzten Tagen mit Aufopferung gepflegt.

Am 17. Juni 1885 starb der Statthalter an einer Lungenentzündung. Er hatte zu weite und über seine Kraft reichende Wanderungen auf die Höhen gemacht! – Das könnte auch sinnbildlich für sein Leben gelten.

Edwin v. Manteuffel wurde mit den ausgesuchtesten Ehren aus dem fremden Land in seine Heimat geleitet und dort begraben. Ein österreichischer kommandierender General (v. Philippovich) geleitete auf des Kaisers Franz Joseph Befehl die Leiche bis zur Grenze. Die Ehrenparade in Karlsbad ward von den Nachbargarnisonen gegeben. Auf der Ueberführung durch Dresden wurde der tote Marschall im königlichen Empfangssalon aufgebahrt. In Berlin waren der Kronprinz und Prinz Wilhelm auf dem Bahnhof zum Empfange anwesend, auch hatte Kaiser Wilhelm I. Befehl gegeben, daß die gesamte in Berlin und Potsdam befindliche Generalität, die Offizierkorps der Berliner Garnison, das erste Gardedragonerregiment (in das Manteuffel als ganz junger Mann eingetreten war und dem er sehr lange angehört hatte) und je eine Abordnung der andern Regimenter auf dem Anhalter Bahnhof zum Empfang der Leiche des Marschalls anwesend sein sollten, ebenso hatten sich die Militärbevollmächtigten der deutschen und fremden Staaten dort eingefunden. Wie ein großer Herrscher der Erde ward er geehrt.

In Topper, auf dem Dotationsgut, ward dann Manteuffel still und ohne Prunk, wie sein letzter Wunsch gewesen war, auf dem Dorffriedhof begraben ...

In Frankreich erschienen anläßlich des Todes des Statthalters sehr sympathische Beileidsartikel. Persönlich war Manteuffel von der Okkupationszeit in Nancy her, wo er mit äußerster Milde aufgetreten war, sehr beliebt und geschätzt. Seine Widersacher haben ihm freilich häßlichen Tadel daraus hergeleitet, wie wir weiter unten noch ausführen werden. Auch in elsässischen Kreisen ward der Feldmarschall tief und ehrlich betrauert; man fühlte wohl, was für eine warme Liebeskraft mit seinem Leben erloschen sei. Im Erdgeschoß des Stadthauses (Mairie) war am Begräbnistag Manteuffels dessen lebensgroßes, von Schüler gemaltes Bildnis ausgestellt; fünftausend Besucher, meist Landbewohner, in den pittoresken elsässischen Trachten, zogen stillgrüßend daran vorüber. Manch ein tiefes, schönes Wort hat die feierliche Stunde und die Sympathie der Bevölkerung da geprägt. Es war ein herzrührender, ungekünstelter Trauerzug für einen milden Herrn, den sie durch den Tod verloren hatten ... Er war ja auch so versöhnlich im Reichsland gewesen, daß er eher die Gefühle der Altdeutschen, als die der Elsaß-Lothringer und Franzosen verletzt hätte. Das war nicht Liebedienerei, nicht Popularitätssucht, wie man es oft genannt hat, nicht Schwäche, – sondern der Marschall wollte die, die durch Schicksalsgewalt, durch historische Vorgänge, an denen sie schuldlos waren, schmerzlich getroffen waren, besonders rücksichtsvoll behandeln. Die Großmut eines edlen Siegers, den Besiegten gegenüber. – –

Dupont des Loges, der ihm, wie wir wissen, besonders nahegestanden hatte, schrieb am 21. Juni an seinen Freund, den Provinzial der Dominikaner, Souaillard: Vous êtes dans le vrai, mon bien cher Père, et vous comprenez mieux de loin qu'on ne paraît la comprendre de près, l'étendue de la perte, que nous venons de faire dans la personne du maréchal. Un attachement mutuel, j'ai presque dit une amitié sincère, nous unissait, et grâce à sa constante et loyale bienveillance, j'ai pu protéger les intérêts religieux de mon cher diocèse.

Und an Fräulein v. Manteuffel schrieb der Bischof: Dieu, dans ses desseins impénétrables mais toujours adorables, vient de ravir à votre tendresse un père, qui était votre honneur et votre consolation ... J'ai besoin de vous exprimer la part respectueuse que je prends à votre douleur filiale, et de vous assurer, que je ne perdrai jamais le souvenir de la bienveillance que m'a témoignée l'illustre défunt.

In gleichen Aeußerungen der Anerkennung und Dankbarkeit war das Zirkular gehalten, in dem der Bischof der Geistlichkeit der Metzer Diözese das Hinscheiden des Marschalls zur Kenntnis brachte.

Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß diese »Federzeichnungen« es durchaus nicht anstreben, ein ganz erschöpfendes, geschichtliches Charakterbild Manteuffels zu geben, wie bereits Stimmen in der Presse und in der Gesellschaft in diesem Sinne laut geworden sind. Wir konnten dies auch gar nicht anstreben, da die »Federzeichnungen« nur eine Epoche aus des bedeutenden Mannes Leben und Wirken behandeln und die Hauptseite seines Berufes (die militärische) gar nicht darin zu eingehender Betrachtung und Beurteilung kommen konnte; denn nach dem Wesen und Charakter der Arbeit, die ja auch ausdrücklich »Aera Manteuffel« sich nennt und die erste Statthalterschaft in Elsaß-Lothringen behandelt, mußte diese Seite ausgeschaltet werden, und wir wären auch nicht kompetent für deren Beurteilung gewesen.

Es ist verständlich, ja sogar vielleicht natürlich, daß, wenn man Manteuffel als Vollpersönlichkeit, nicht nur in seinem politischen, diplomatischen und administrativen Wirken, sondern auch in seinem soldatischen auffassen und kritisieren wollte, man zu viel schärferen Urteilen kommen könnte.

Wir kannten Manteuffel, wie wir im Eingang schon hervorgehoben haben, nur in der geklärteren letzten Epoche seines Lebens, wo sein Ehrgeiz und sein angeborenes Selbstbewußtsein eine Sättigung in ihren Aspirationen erfahren hatten. Wir haben Manteuffel als ersten Statthalter in Elsaß-Lothringen in seiner historischen Bedeutung, seinen großen, staatsmännischen Talenten, den hervorragenden Eigenschaften seines Geistes und Herzens, aber auch in seinen Schwächen gerecht und dabei liebevoll schildern wollen.

Wir mußten, weil von absolut andern Ausgangspunkten ausgehend und den Marschall von einer ganz andern Basis und von einem andern Milieu aus anschauend, als z. B. General v. Stosch es tat, auch zu einem andern Endurteil kommen. Trotzdem werden beide Urteile ihre Berechtigung und ihre Gerechtigkeit in sich haben. Stosch nehmen wir als den Typus des intelligenten militärischen Beurteilers an.

Wir wissen, daß das Urteil über Manteuffel ungemein scharf innerhalb der Kreise hoher Militärs lautet. Rein militärisch betrachtet, mag die Gestalt Manteuffels ja wohl auch nicht ungerecht von diesen Herren beurteilt werden. Daß man aber aus der von Frédéric Loliée veröffentlichten (und von Fräulein Dosne, Thiers' Schwägerin, bereitwillig zur Verfügung gestellten) Korrespondenz des großen Historiker-Staatsmanns Thiers mit dem Grafen St. Vallier und mit dem Vicomte de Gontaut-Biron schließen zu sollen glaubt, Manteuffel hätte sich allzu frankreich freundlich während der Friedensverhandlungen und der Okkupationszeit verhalten und habe die deutschen Interessen gegenüber den französischen vernachlässigt, halten wir für irrig.

Es findet sich keine einzige Stelle in den Publikationen, die mehr besagt, als daß man auf französischer Seite Manteuffels konziliante Art des Verkehrs in den schwierigsten Lagen anerkannte und ihm Dank dafür wußte.

Thiers hatte dem Feldmarschall bei dessen Abzug aus Frankreich seine Geschichte des Konsulats und Kaiserreichs übersandt mit der Widmung: A son Excellence, le général de Manteuffel en souvenir de son humaine et généreuse administration des provinces occupées françaises son dévoué A. Thiers.

Aus den Lolieéschen Veröffentlichungen wollen wir die hauptsächlichsten, Manteuffel betreffenden Stellen zitieren, damit der Leser selbst urteilen kann darüber. Sie stehen in zwei Briefen von Thiers an Graf St. Vallier, und in einem von St. Vallier an Thiers. Der Passus im ersten Brief lautet: »Ich kenne die Leute und die Sachen, und ich habe, ohne daß ich dabei gewesen bin, alles das klar vor mir, was zwischen Herrn v. Bismarck und Herrn v. Manteuffel vorgegangen sein muß. Es sind das die menschlichen Armseligkeiten, von denen die Staatsmänner leben müssen, wie die Aerzte von den Krankheiten leben. Haben Sie die Güte, Herrn v. Manteuffel zu sagen, daß ich aufs tiefste das ihm Widerfahrene bedauere, und wie leid es mir tut, ihn in Ungelegenheiten geraten zu sehen wegen des uns bewiesenen Interesses, das doch ebensosehr Zeugnis für seine persönliche Hochherzigkeit, wie für seine Einsicht in die wahren Interessen seines Landes ablegte. Uebrigens hat er als Militär wie als Diplomat so gute Dienste geleistet, daß diese Wolke nicht von Dauer sein wird, und daß sein König, der rechtschaffen und dabei vernünftig ist, ihm jedenfalls Gerechtigkeit widerfahren lassen muß.«

Die Stelle im zweiten Brief von Thiers an St. Vallier spricht aus: »Ich bin immer noch äußerst gerührt über das von Herrn v. Manteuffel mit Bezug auf uns beobachtete Verhalten, und ich werde als Mensch wie als Bürger ihm ewig Dank dafür wissen. Ich werde schließlich doch noch einmal meine Lebenserinnerungen niederschreiben, vorausgesetzt, daß ich nicht unter der Last erliegen werde, und die Wißbegierigen des künftigen Jahrhunderts werden dann erfahren, daß ein feindlicher General, der ebenso hoch wegen seines Herzens wie seines Geistes dastand, Frankreich gegenüber der edelste der Gegner war ...«

Und der Passus in St. Valliers Brief an Thiers hat folgenden Wortlaut: »Der gute General v. Manteuffel ist wieder nach Berlin zurückgekehrt, wo er bei seiner Ankunft den Feldmarschallstab vorgefunden hat; er ist derselbe geblieben bis zum Schluß: stets gerecht, versöhnlich und freundschaftlich. Auch er hat, obgleich Preuße, ein Blatt ernstlicher Dankbarkeit in unsern Annalen verdient.«

Es sind scharfe Stimmen laut geworden über Manteuffel nach der Veröffentlichung dieser Korrespondenzen, und harte Worte sind über den Marschall gefallen. Uns scheinen sie als gewonnenes Ergebnis aus den Lolieéschen Publikationen nicht verständlich ... Denn wie kann das Lob eines Feindes als ein Tadel aufgefaßt werden, nur aus dem Grund, daß es eben eines Feindes Mund entstammt? Das würde doch einem Mangel jeder objektiven Sachlichkeit und jeder Gerechtigkeit im Urteil gleichkommen.

Daß man einem Mann wie Manteuffel, dessen ganzes Leben ein Hohelied der Vaterlandsliebe gewesen, einen Mangel an Patriotismus vorwerfen kann wegen seines gerechten, loyalen, aber freundlich anerkennenden Wesens und Verkehrs mit dem Feind, erscheint uns unbegreiflich und widerspruchsvoll in sich.

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