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Daneben ging aber das friedliche Werk des inneren Ausbaus in verschiedenen wichtigen Verwaltungszweigen stetig weiter.

So wurden die auf Grund der Vorschläge der Sachverständigenkommission im Oberschulrat ausgearbeiteten Entwürfe für die höheren Schulen einer Kommission vorgelegt, die aus hervorragenden Männern des Landes gebildet war; sie unterzog die Entwürfe einer Prüfung, insbesondere vom ethischen und praktischen Standpunkte aus.

Auf dieser Basis erließ der Statthalter ein neues Regulativ für die höheren Schulen. Von allgemeinem Interesse war daraus hervorzuheben: die Aufhebung der Realgymnasien. Die Begründung dafür wurde in dem fortdauernden Abnehmen der Schülerzahl dieser Anstalten gefunden.

Man nahm an, daß sie im Lande keinen Boden fänden, – und es ist auch bei der einheimischen Bevölkerung nie ein besonderes Bedürfnis nach Wiedereinführung dieser Schulgattung hervorgetreten; infolgedessen sind die Realgymnasien bis heut nicht wieder ins Leben getreten.

Wie Manteuffel persönlich über diese Fragen dachte, sprach er in einem Schreiben aus Topper, 7. Juli 1883, an den Unterstaatssekretär v. Puttkamer aus: »... Ueber den Wegfall der Realgymnasien wird viel gestritten. Im Prinzip ist ja doch die Sache im Ministerium durchberaten, und die verschiedenen Kommissionen haben sie auch beraten. Mir ist dann das Regulativ vorgelegt, und ehrlich gesagt, habe ich den Unterschied zwischen Realgymnasium und Realschule nicht einmal genau gekannt, und mich nur gefreut, daß ich »Realgymnasium« nicht las (nämlich im Regulativ), weil ich wußte, daß unsre Kadettenanstalten nach solchen organisiert sind, und ich seit 30 Jahren hiergegen gekämpft hatte. Ich bin mein Lebenlang gegen Zwitterzustände gewesen ...«

Auch die Ergebnisse der gesetzgeberischen Tätigkeit im Landesausschuß, dessen Mehrzahl aus durchaus staatserhaltenden, maßvollen Männern bestand, waren friedlich und befriedigend.

Die Gesetzgebungsarbeiten bezogen sich zum großen Teil auf finanzielle Fragen. Von allgemeinem Interesse war die Regelung der Jagdpolizei und ein aus der Initiative des Hauses hervorgegangener Entwurf eines Gesetzes über die Unterstützungssumme von 50 000 Mark für die Hochwasserbeschädigten.

Von den aus dem Haus gestellten Anträgen war nur der Antrag Grad bemerkenswert, der Bezug hatte auf die Geldstrafen, die von den als Ausländer anerkannten Optanten gezahlt oder zu zahlen waren. Er gab Veranlassung, daß die damit befaßte Kommission dem Statthalter ihren Dank für seine versöhnliche und entgegenkommende Behandlung der Optantenangelegenheit aussprach.

Es waren also auch starke Erfolge sichtbar, die in den breiten, ruhigen Schichten der Bevölkerung eine unleugbare Befriedigung und auch Beruhigung hervorriefen. Aber in andern Kreisen war der Geist, den man die Verneinung in Permanenz nennen könnte, ruhelos wach, und in diesen Kreisen verstand man den oft unpolitischsten Dingen eine Form zu geben, in die man geschickt die geheim bereitgehaltenen Schalen politischen Unmuts füllen konnte ...

So gaben den Protestlern die großen Hochwasserkatastrophen am Rhein im November-Dezember 1882 einen Anlaß zu politischer Demonstration.

In dem Gebaren dieser Oppositionspartei lag neben dem verbissenen Ernst, der ihrem widerspruchsvollen Wesen nicht abzusprechen war, auch ein stark schauspielerischer Zug. Es erzeugte den Eindruck, als ob sie sich wie Heldenspieler auf einer historischen Bühne fühlten, und jede Bewegung, jede Pose, jedes Wort darauf berechneten, mit einer Wendung nach Frankreich hin, dort Beifall zu ernten.

In Straßburg hatte sich ein Komitee gebildet, das beauftragt war, die aus Frankreich für die elsaß-lothringischen Ueberschwemmten gesandten Hilfsgelder zu zentralisieren.

Antoine, der » député de Metz«, hatte sich nach Straßburg begeben, um an den Arbeiten des Komitees teilzunehmen; ihm flossen aus Frankreich von allen Seiten die Gaben zu.

Anfang Januar 1883 schon hatten Reichstagsabgeordnete aus allen überschwemmten Teilen Deutschlands gemeinsam einen Aufruf erlassen. Es fiel auf, daß kein einziger elsaß-lothringischer Abgeordneter mit unterschrieben hatte, trotzdem das Reichsland sehr schwer heimgesucht war von den Verheerungen des Hochwassers von Rhein und Ill.

Fürst Bismarck brachte am 9. Januar eine kaiserliche Ordre im Reichstag zur Vorlesung, die die Gewährung von 600 000 Mark aus dem Dispositionsfonds mitteilte. In der sich daranschließenden Rede betonte der Fürst besonders, daß er die Namen von Vertretern des Reichslandes unter dem Aufruf vermisse, – insbesondere der Herren aus dem Elsaß, das doch stark von der Rheinüberschwemmung geschädigt sei; er rechne bestimmt auf die Mitwirkung der Elsässer ...

Trotz dieses Appells des deutschen Reichskanzlers, und trotzdem der Landesausschuß um jene Zeit in Straßburg versammelt war und es leicht gewesen wäre, die von auswärtigen Staaten gesandten Hilfsgelder an den Präsidenten Schlumberger, als an die zuständige, würdige Zentralstelle zu schicken, wie das Amerika, England und andre mit ihren Sendungen an den Reichstagspräsidenten getan hatten, bildete sich ein besonderes Komitee, um die aus Frankreich gesandten Summen in Empfang zu nehmen. Und in eben dieses Komitee traten alle Reichstagsabgeordneten von Elsaß-Lothringen. An seiner Spitze standen die Protestler Kablé und Antoine.

Die Tatsache eines besonderen Hilfskomitees zur Verteilung französischer Beiträge konnte doch nur darauf berechnet sein, dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß hiermit der frühere Zusammenhang, das dauernde Interesse und die tätige Hilfsbereitschaft von Frankreich für Elsaß betont werden sollten; besonders peinlich auffallend dabei war, daß deutsche Reichstagsabgeordnete an der Spitze dieses demonstrativen Sonderausschusses standen.

Wohl wiesen sie, wie leicht verständlich, den Vorwurf einer politischen Demonstration weit von sich. Baron Bulach hielt eine lebhaft dagegen protestierende Rede im Landesausschuß und betonte, daß der wohltätige Zweck das Alleinmaßgebende des Vorgehens gewesen sei.

Diesen Versicherungen gegenüber, die individuell für Baron Bulach und andre Abgeordnete volle Gültigkeit gehabt haben werden, standen aber Tatsachen, die der vorhin betonten Auffassung entschieden recht geben.

Das Hilfskomitee Kablé war eine politische Demonstration. Es war notorisch angeregt von Paris her (übrigens etwas sehr verspätet und zu einer Zeit, wo » nos chers frères en Alsace« schon längst durch die überaus reichen Gaben vom Deutschen Reich und von auswärtigen Staaten über ihre Ansprüche hinaus entschädigt waren).

Tatsachen, die die verhüllte, politische Tendenz des Hilfskomitees »für Gelder aus Frankreich« bewiesen, waren u. a. ein Brief, den ein Pariser Blatt veröffentlichte. Antoine quittierte in ihm dankend die Beiträge von Zöglingen eines Lyceums in Douai. Aus dem Brief, der unwidersprochen blieb, lauteten einige Stellen sehr bezeichnend ...: » Votre offrande me prouve, que tout en soulageant nos souffrances matérielles, vos cœurs ne cessent de vous rappeler, que nous sommes vos frères exilés, et qu'un devoir impérieux s'imposera bientôt à votre patriotisme: être de la revanche! Ayez toujours ces sentiments, chers amis! Je dirai à mes malheureux compratiotes ce que vous avez fait pour eux en ce moment, et ce que vous êtes prêts à faire pour l'unité française ...« Die unerhörte Kühnheit dieses Briefes ist nicht weiter zu kommentieren.

Dieser Brief hat übrigens später insofern eine verhängnisvolle Wirkung gehabt, als der schlechte Eindruck, den er unter den Reichstagsmitgliedern gemacht hatte, so stark war, daß Kablé seinen Antrag auf Aufhebung des Diktaturparagraphen unter diesem Druck nicht zur Verhandlung kommen ließ; er fühlte eben, daß der Antrag auf widerwillige Stimmung stoßen und jedenfalls abgelehnt werden würde.

Wie dieser Brief und das Verhalten der reichsländischen Verwaltung dazu (es wurde nicht eingeschritten dagegen) von ganz unbeteiligter Seite, im Ausland, beurteilt wurde, dafür soll hier ein Artikel der »Schweizer Grenzpost« angeführt werden:

»Man mag die Annexion von Elsaß-Lothringen beurteilen, von welcher Seite man wolle, das jedenfalls muß von jedem zugegeben werden, daß die Verwaltung des Reichslandes unter dem Marschall Manteuffel sich alle Mühe gibt, die Härten des Uebergangs zu mildern, und daß in Schonung der Gefühle die äußerste Toleranz geübt wird. Gegen den Verfasser dieses Briefes, der, wie gesagt, Mitglied des Deutschen Reichstags ist, und als solches wenigstens den neuen Landesherrn anerkannt hat, ist in keiner Weise eingeschritten worden. So können denn die Bewohner des Reichslandes von Glück sagen, daß die Regierung einem so toleranten Mann übertragen wurde, der trotz der wiederholten Aufforderung einer gewissen deutschen Presse, die die Germanisation mit Gewalt beschleunigt sehen möchte, seinem Worte treu bleibt: er sei gekommen ›nicht um neue Wunden zu schlagen‹ ...«

Es war eine häßliche Illustration zu des Statthalters humanem Streben, daß die Herren Antoine und Kablé fortdauernd intime Fäden der Uebereinstimmung und Gemeinsamkeit nach Paris spannen, wo nachweislich jeder Vorgang im Reichsland gegen die deutsche Regierung ausgebeutet wurde. Sogar die Wasserschädigungen, obwohl den dadurch Betroffenen von ganz Deutschland, sowie von der reichsländischen Verwaltung so großartige, opferfreudige Hilfe gebracht worden war, gaben in Paris Anlaß zu politischen Demonstrationen.

Unter der lügnerischen Proklamation, daß von Deutschland völlig ungenügende Unterstützung gekommen sei, wurden Opernvorstellungen u. s. w. zur »Hilfeleistung für die notleidenden Brüder« veranstaltet, – und zwar mit ungewollter Ironie: als die Wasserbeschädigten schon über ihre Ansprüche hinaus von dem deutschen Hilfskomitee unter stützt waren.

Der Marschall selbst war mehrfach ins Land gefahren, um eigenhändig die Gelder zu bringen. Aber, wo direkt böse und feindselige Auffassungen herrschen, da fallen oft an sich edle Taten und Worte unter verzerrende, ja unkenntlich machende Beleuchtungen.

Mit fast naiver, politischer Harmlosigkeit, gegenüber den mit französischen Feindseligkeiten konspirierenden Kundgebungen des Herrn Kablé, trat sein Verlangen auf, die Aufhebung des Diktaturparagraphen zu erreichen.

Der Pariser »Siècle« hatte eben erst einen Brief von Kable veröffentlicht, an den Leiter des Lycée Louis le grand gerichtet, der in ganz gleichem Sinne, nur mit noch leidenschaftlicheren Akzenten, wie der Brief Antoines verfaßt war. Sein Wortlaut war folgender:

»Das Zentralkomitee beauftragt mich, Ihnen für Ihre patriotische Initiative zu danken, und Sie zu bitten, der Dolmetsch seiner Gefühle bei Ihren Kameraden und bei allen denen zu sein, die zu dieser reichen Gabe beigetragen haben. Mit großer Freude sehe ich, daß sich die französische Jugend für die verbannten Brüder in den Vogesen und am Rhein interessiert. Die Gefühle männlichen Schmerzes, die eine zwölfjährige Trennung überdauern und auf die Jugend übergehen, sind ein sicheres Pfand für die Zukunft meines Landes. Die Elsaß-Lothringer vergessen ihrerseits auch nicht! Sagen Sie es recht Ihren Freunden! Die Bande der Solidarität, von der sie ein Zeugnis abgelegt haben, leben unzerstörbar auch in ihren Herzen fort, trotz des Schmerzes der Trennung ...«

Dieses Schreiben im »Siècle« (man beachte das wohl!), das zugleich im »Auftrag des Zentralkomitees« gegeben war, und den » camarades«, den » compatriotes« Dank für ihre »brüderliche Gabe« aussprach, blieb unwidersprochen. Wenn nun auch Kablé sein Schreiben dahin erläuterte, daß lediglich dessen erster Satz im Aufträge des Zentralkomitees geschrieben, für dessen weiteren Inhalt aber er allein verantwortlich sei, so ging doch diese etwas gekünstelte Interpretation weder mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Briefe hervor, noch wurde dieser in Frankreich so aufgefaßt. Denn die Bedeutung der Kundgebung lag für die Franzosen ja gerade darin, daß diese als der Ausdruck der Volksstimmung galt, deren berufene Interpreten eben die Reichstagsabgeordneten waren. Auch wurde nicht bekannt, daß Kable von seinen Kollegen etwa desavouiert worden wäre.

Alles das erregte in Reichstagskreisen das peinlichste Aufsehen. Selbst von der Fortschrittspartei und vom Zentrum, die Kablés Antrag (Diktaturparagraph) am freundlichsten gegenübergestanden hatten, wurde es zu den elsaß-lothringischen Abgeordneten offen ausgesprochen, daß jener durch seinen Brief im »Siècle«, der den Übeln Eindruck des Antoineschen Schreibens nach Douai noch verstärkte, seinen Antrag in ein höchst ungünstiges Fahrwasser geleitet habe; der Regierung habe er geradezu die Waffen zur Bekämpfung in die Hand gelegt; bei der gegenwärtigen Sachlage könne eine Verhandlung nur einen negativen Erfolg haben, ein Verschieben sei deshalb ratsam.

Die Elsaß-Lothringer zogen danach den Antrag zurück, und es trat beklommene Stille bei ihnen ein.

Um so lauter fuhr aber der Sturm in den Blätterwald, – und was da altdeutsche, fremdländische (schweizerische, englische, amerikanische) und der größte Teil der reichsländischen Zeitungen aussprach, das war für die Herren der Opposition, insbesondere für Herrn Kablé, vernichtend genug.

Es war ja auch eine beispiellose Kühnheit, daß derselbe Mann, der in seinem, just durch die Anwendung des Diktaturparagraphen unterdrückten Blatt als sein Programm verkündet hatte: » défendre l'idée française en Alsace et d'y entretenir le souvenir et l'amour de la France« nun verlangte, daß diese Waffe, die ihn mit Recht getroffen hatte, vom Deutschen Reichstag einfach dem Statthalter aus der Hand genommen würde. Dadurch wäre die reichsländische Regierung nicht nur scharf desavouiert und in Gegensatz zum Reichstag gesetzt worden, sondern es wäre den Bekennern der » protestation et action« das »Paktieren mit dem Ausland« freigegeben und – mit dem Reichsstempel besiegelt worden.

Von all den erregten Preßstimmen möchten wir hier nur eine, als besonders charakteristisch für die Anschauung wiedergeben, die sogar in Elsässer Kreisen (in den besonneneren der Autonomisten) über das politische Gebaren der Protestler bestand.

Das »Elsässer Journal« sprach anläßlich des Kabléschen Antrags aus: »Das Schicksal der meisten Abstimmungen hängt von flottanten Elementen der Sozialisten, der Polen, der Indisziplinierten einer oder der andern Gruppe und – den Elsaß-Lothringern ab, die gern jedem Antrag beitreten, in dem sie ein Mittel erblicken, den Regierungseinfluß zu verringern

Der Marschall Manteuffel, damals ein Mann von 73 Jahren, fühlte unter der Wucht all der Enttäuschungen, all der Gegensätzlichkeit, die sich ihm jetzt von fast allen Seiten entgegenstemmte, seine Spannkraft doch ermüden ... Gerüchte von einer gewissen Resignation und Ermattung seiner Hoffnungen müssen wohl auch in die Öffentlichkeit gedrungen sein, denn in Wiener und Berliner Blättern tauchte damals die Nachricht auf, Manteuffel sei regierungsmüde, und es sei bereits von seinem Nachfolger die Rede, welch letzterer in der Person des Grafen Stolberg gefunden sei.

Das waren freilich nur auf Hypothesen beruhende Gerüchte, aber sie sind doch als Symptom der Stimmung zu verzeichnen.

Als der Statthalter im Juni 1883 seine gewohnte Fahrt nach Karlsbad antrat, trug sogar seine äußere Erscheinung die Spuren von Ermüdung im Kampf.

Wenn er sich sonst auf den Krückstock stützte (er hatte wie Friedrich der Große die Gewohnheit, einen solchen immer auf seinen Spazierwegen zu tragen), so hatte dies Attribut der Hinfälligkeit immer in so großem Gegensatz zu seinem elastischen Schritt gestanden, daß es eigentlich wie eine kleine Koketterie wirkte. Als er aber im Juni 1883 auf dem Bahnhof erschien und von uns Abschied nahm, hatte sein Schritt zum erstenmal etwas Müdes, Hängendes: der Krückstock war in sein Recht getreten! –

Sein sonst leuchtender Blick lag wie hinter einem blassen Nebel. Es war, als ob das Auge etwas die Lust verloren hätte, in die Tiefe der Dinge zu dringen, und nur noch matt darüber hinflog, – vielleicht, weil es in den Tiefen zu viele Untiefen entdeckt hatte ...

Es war die alte, tragische Erscheinung, die selten im Leben des Einzelnen einen versöhnlichen Ausklang findet: daß die Mühen der Edeln in der Gegenwart keinen Lohn finden, oder doch nicht den, der ihrem Wirken entspräche. Erst die Zukunft ist der Vollstrecker der Gerechtigkeit.

Wir brauchen aus der neueren Geschichte nur auf den Ausklang in Bismarcks Leben zu weisen, um für die grausame Wahrheit dieses Satzes einen gewaltig überzeugenden Beweis zu bringen.

Auch Manteuffel, wenn er auch gewiß nicht von der ragenden Größe eines Bismarck war, hat für seine ehrlichen und großen Strebungen und seine ernste Arbeit nicht überall den befriedigenden Lohn gefunden, der nicht nur verdient war, sondern eine immanente Folgerichtigkeit seines Wirkens hätte sein müssen.

Manteuffel kehrte in den ersten Augusttagen nach Straßburg zurück, und da begann auch gleich eine sehr rege Tätigkeit gegenüber den heimlich fortglimmenden Feindseligkeiten gegen die deutsche Verwaltung, die natürlich in den Reihen der Protestpartei zu suchen waren.

Antoine hatte, durch Plakatanschlag in Metz, das Erscheinen einer Zeitung verkündet, mit einem geschickt maskierten Programm; es gab die gleichen Versprechungen, wie die von Manteuffel unterdrückte »Presse« des Herrn Kablé, und versprach Vermeidung jeder religiösen Polemik, »um Zwiespalt im Lande zu vermeiden«. Es war ja transparent, daß damit gemeint war: vor allem und über allem steht der Protest; ob er sich nun auf demokratischer oder klerikaler Basis darstellt, ist ganz irrelevant. Der gemeinsame Boden, auf dem wir vereint stehen und handeln wollen, ist Protestation!

Die Maske des sophistischen Programms wurde nur ein wenig gelüftet durch einen Passus, der, an den geplanten Titel »Metz« anknüpfend, von den Tagen des empörten Schmerzes nach der Eroberung der lothringischen Festung sprach und die Bevölkerung zu einer Politik der Aktion nach der unfruchtbaren Gefühlspolitik aufrief.

Das Erscheinen der Zeitung war für den 16. August angekündigt.

Als klare Antwort darauf erfolgte ein Erlaß des kaiserlichen Statthalters, der das Erscheinen der Zeitung »Metz« verbot, mit der Begründung, daß alle Kundgebungen, die bisher von Antoine ausgegangen seien, den Interessen des Auslandes und nicht denen Elsaß-Lothringens gedient hätten, und nichts andres von dem Journal »Metz« zu erwarten wäre. »Ich habe mich von Anfang an dahin ausgesprochen, daß ich bei aller Schonung der Gefühle des Landes ein Paktieren mit dem Ausland nie und nimmer dulden werde,« fuhr der Marschall wörtlich fort, – »Zeitungen, die Protestpolitik treiben, kämpfen gegen den völkerrechtlich begründeten Rechtszustand des Landes an und gefährden die öffentliche Sicherheit. Kraft der mir durch § 10 des Gesetzes, betreffend die Einrichtung der Verwaltung von Elsaß-Lothringen u. s. w. übertragenen außerordentlichen Gewalten verbiete ich hiermit das Erscheinen der Zeitung ›Metz‹ –«

Wie recht der Statthalter mit diesem Verbot gehabt hatte, erwies sich später bei der über Antoine verhängten Haussuchung, auf die wir in dem sich schnell entwickelnden Gang der Dinge näher zurückkommen werden. Da fanden sich vollauf die Beweise, daß dieser fraglos als ein Vorkämpfer der französischen Revanchepolitik agierte.

Der Zweck dieser »Federzeichnungen« ist vor allem, die Gestalt Manteuffels klar herauszustellen, wie wir sie in der Geschichte der damaligen Zeit mit der Objektivität des ernsten Urteils und dabei mit der Subjektivität sympathischer Empfindung (was sich durchaus nicht gegenseitig ausschließt, sondern vielmehr ergänzt) geschaut haben. Dazu müssen alle geschichtlichen und kulturellen Bedingungen, ebenso wie die Persönlichkeiten, die zu Manteuffels Politik in ein bestimmendes Verhältnis traten, eindringlich beleuchtet werden.

Dieser leitende Gesichtspunkt bestimmt uns auch, der Affäre Antoine eine Betrachtung zuzuwenden, die sie an sich nicht verdiente, denn ihr Boden war die politische Phrase, – und außerdem täte man der braven, im allgemeinen friedlichen und sehr soliden Bevölkerung des Reichslandes bitter unrecht, wenn man den Tierarzt Antoine für den Interpreten ihrer intimen, patriotischen Ueberzeugungen und Wünsche hätte ansehen wollen.

Der Kampf Antoines gegen die völkerrechtlich sanktionierten Ereignisse der Geschichte trat ja mit großer Bitterkeit und mit der leidenschaftlichen Behauptung auf, als sei er der Ausdruck der elsaß-lothringischen Volksmeinung, aber er war doch nur im Namen einer jener verbissenen Negationsparteien geführt, die sich der Einsicht verschließen, daß es immer eine Lebensbedingung bedeutet, sich mit unabänderlichen Tatsachen in ein ersprießliches Verhältnis zu setzen ...

Manteuffel war nicht wie Bismarck der Mann, der seine Prinzipien den Forderungen der gerade gegenwärtigen Politik anbequemte und sie danach modifizierte; – im Gegenteil, er beharrte auf ihnen wie auf Evangelien.

Der gewaltige Repräsentant der praktischen Staatskunst, Bismarck, hat sich über diesen Punkt zu verschiedenen Malen sehr bestimmt geäußert. So sprach er einmal aus: »Die Politik ist weniger Wissenschaft als Kunst; sie läßt sich nicht lehren, man muß dafür begabt sein. Der beste Rat nutzt nichts, wenn er nicht in der richtigen Weise und je nach den Umständen ausgeführt wird.«

Und ein andres Mal: »Die Politik ist keine Mathematik oder Arithmetik. Man hat wohl auch in der Politik mit gegebenen und unbekannten Größen zugleich zu rechnen, – aber es gibt keine Formeln, keine Regeln, um im voraus das Fazit ziehen zu können. Viele haben schon von meinen politischen Grundsätzen gesprochen. Den Professoren und ihren Nachbetern in den Zeitungen tut es unendlich leid, daß ich ihnen nicht ein Symbolum von Prinzipien geoffenbart habe, nach dem ich meine Politik eingerichtet. Die Deutschen können sich nicht daran gewöhnen, die Politik als eine ›Wissenschaft des Möglichen‹ zu betrachten, wie mein intimer Gegner, Papst Pius IX., mit Recht gesagt hat.«

Manteuffel war eben kein Realpolitiker, sondern ein Prinzipienpolitiker.

In den Aufzeichnungen des Vicomte de Meaux, die besonders Erinnerungen an Thiers und Gambetta behandeln, findet sich ein interessantes Tischgespräch, während eines Diners bei Thiers, das Manteuffel mit dem Grafen Mérode, Mitglied der Versailler Assemblée, hatte; es zeichnet eine scharfe Illustration zu unsrer eben betonten Ansicht von dem grundverschiedenen Charakter der Politik Bismarcks und Manteuffels. Bismarck, als Realpolitiker, hatte immer die Auffassung vertreten, daß er in Frankreich die Republik wünsche als diejenige Staatsform, die den deutschen Interessen am günstigsten sei. Manteuffel dagegen, im Prinzip Monarchist (wie Bismarck), verschloß sich in seiner, man könnte sagen: Evangelientreue gegenüber jeder von ihm zum Prinzip erhobenen Ueberzeugung, dem politischen Nützlichkeitsgedanken vollkommen.

Auf jenem Gastmahl hatte er seinen Platz neben Gras Mérode, der ein bedeutsames, allgemeine Politik betreffendes Gespräch einleitete. Manteuffel betonte, daß Frankreich glücklich sein müsse, in einer so bewegten Zeit einen Staatsmann wie Thiers an der Spitze zu haben.

Als Mérode dann bemerkte, daß früher oder später doch eine definitive Regierungsform nötig würde, entgegnete Manteuffel mit Lebhaftigkeit, als sei da jeder Zweifel ausgeschlossen: das könne dann doch nur die legitime Monarchie sein! ...

Beide Staatsmänner, Bismarck und Manteuffel, waren ihrer politischen Ueberzeugung nach Monarchisten; Manteuffel, der Prinzipienpolitiker, wurde blind gegen die praktischen Forderungen der lebendigen Geschichte, wenn es sich darum handelte, dabei seiner Theorie untreu werden zu müssen; Bismarck, der Realpolitiker, dagegen war bereit, ein Prinzip eventuell den Bedürfnissen der Lage anzubequemen, wenn er dafür seinem Vaterland einen höheren Gewinn oder Nutzen eintauschen konnte.

Man kann dem Marschall Manteuffel sogar nachweisen, daß er manchmal ein Märtyrer seiner eignen Prinzipien wurde.

Auch im Fall Antoine war zu erkennen, daß, weil er seine Sätze zu Leitmotiven werden ließ: »Ich mache keine politischen Märtyrer«, »ich bin gekommen, Wunden zu heilen und nicht neue zu schlagen«, »denn nie kann ich einen Schritt tun, den zurück zu tun ich genötigt sein würde«, u. s. w. er es versäumte, mit der einschneidenden Kraft einer ganzen Maßregel aufzutreten.

Lange nach Manteuffels Tode erst ist das einzig Richtige: die Ausweisung Antoines, zur vollzogenen Tatsache geworden. Das war 1887, zwei Jahre nach Manteuffels Tod, als Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst bereits zwei Jahre Statthalter war.

Infolge politischer Vorgänge, die außerhalb des Rahmens unsrer Besprechung liegen, trat eine Ministerkrisis ein, in deren Verlauf der Staatssekretär v. Hofmann seinen Abschied nahm. Der damalige Unterstaatssekretär v. Puttkamer, der zuerst stellvertretender Staatssekretär war, hat es dann als erste Maßnahme in seiner neuen Stellung beim Fürsten-Statthalter befürwortet und veranlaßt, daß Antoine ausgewiesen wurde ...

Doch zurück zur Geschichte Antoine, deren Entwicklung und Behandlung so kennzeichnende Lichter auf die eigenartige, durchaus nicht immer unfehlbare, aber edle Politik des Marschalls Manteuffel warf.

Zunächst erfolgte auf das von Manteuffel publizierte Verbot der Zeitung »Metz« eine Antwort von Antoine. Dieser vielbesprochene und sehr kennzeichnende Brief lautete:

Monsieur le Maréchal! avant de connaître »Metz«, vous l'avez frappé: c'est beaucoup d'honneur! Si vous aviez mûrement réfléchi, avant de signer l'arrêt, vous vous seriez convaincu, que vous alliez jusqu'à abuser de la dictature, – car les articles 10 de la loi du 30 décembre 1871 et 2 de la loi du 4 juillet 1879 ne vous autorisaient à recourir aux pouvoirs dictatoriaux, qu'au cas, où la sécurité publique serait menacée. Comment la sécurité publique peut-elle être menacée par un journal, qui n'a pas paru? à moins cependant, je ne suis pas dans le secret des dieux, qu'une goutte d'eau fasse déborder le vase, – et encore, il me semble, que la sécurité de 40 000 000 habitants, tous armé et protégés par des remparts et des milliers de canons, ne peut jamais être menacée par un journal. Si malgré tout il y a quand même menace, eh bien, je vous répète, monsieur le maréchal: c'est beaucoup d'honneur pour »Metz«.

Votre arrêté parle aussi de personnes, gui pactisent avec l'étranger, gui mettent en péril la situation légale du pays, telle qu'elle a été établie en vertu du droit des gens? Vous savez mieux que moi, ce qu'est un traité, – je ne crois pas, que dans l'arrêté, que vous avez pris, ce soit moi, qui sorte de la légalité. Quant à pactiser avec l'étranger, je ne comprends pas et je n'admets pas le grief; laissez-moi ajouter, monsieur le maréchal, que le droit des gens, sous votre plume, me semble une amère dérision, une cruelle ironie! Votre arrêté ne se défendant pas au point de vue légal, il devient évident, qu'il constitue un acte de persécution personnelle, qui met hors de loi le député de Metz.

C'est le dernier mot du »vae victis«! Je ne courberai cependant pas la tête, j'oserai quand même et plus que jamais, en remplissant le mandat, que le peuple m'a confié, dire à l'Allemagne entière, quelles sont nos aspirations, quelles sont nos revendications, et lui dire aussi, qu'il n'y a rien d'éternel ici bas!

Et vous, monsieur le maréchal, qui m'avez frappé à la façon de l'inquisition au moyen âge, des commissions mixtes sous Napoléon III., rappelez-vous comment l'histoire juge l'inquisition, – voyez ce que la France d'aujourd'hui fait des derniers survivants des commissions mixtes! j'espère, que de votre vivant vous assisterez à la revanche du droit sur la force; – ce jour-là je serai vengé de l'arrêté du 4 août.

J. M. Antoine
député de Metz.

In Frankreich betrachtete man das Auftreten Antoines als den Ausdruck der berechtigten Empfindungen einer ganzen Bevölkerung; die französischen Revanchepolitiker faßten das als eine Art Konzentration eines Plebiszits auf. Von ihrem Standpunkt aus war das ja auch begreiflich, nur entsprach es absolut nicht der Wahrheit.

Lothringen war, seinen geschichtlichen und geographischen Bedingungen gemäß, überhaupt französischer gesinnt, und hatte mehr Verbindungen nach Frankreich als das Elsaß, aber sogar in dem weniger germanischen Lothringen war Antoines extreme Haltung, die man das Gebaren eines Pariser Boulevardagitators nennen könnte, nur der Ausdruck einer kleinen Partei politisch Verbissener und Unversöhnlicher; die breiten Schichten der Bevölkerung, wir müssen das betonen, waren friedlich, arbeitsam, gehorsam der eingesetzten Obrigkeit, und ohne den Ehrgeiz, sich in politische Fragen tätig einzumischen. Aber wie bei jedem Agitator von leidenschaftlichem Wesen und einer Art volkstümlicher Beredsamkeit, verfehlten auch Antoines politische Kundgebungen nicht, einen gewissen Eindruck bei der Bevölkerung zu machen, zumal da sie mit großer Kühnheit sich darstellten und Antoine sich aus seine Stellung als »unverletzlicher Reichstagsabgeordneter« wie auf ein festes Schild stützte.

In der Erregung, die seine Manifestationen in die Gemüter werfen konnten und warfen, lag also jedenfalls eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Die »Metzer Zeitung«, die von den deutschen Zeitungen im Lande am schärfsten Kritik an der Regierung ausübte (man konnte ihre Haltung als etwas deutsch-chauvinistisch bezeichnen), erklärte es in sehr bestimmt gehaltenen Artikeln für durchaus unzureichend, daß der Statthalter Herrn Antoine nach dem Erscheinen seines Wahlmanifestes, den Publikationen an seine Pariser Freunde u. s. w. nur geantwortet habe mit dem Verbot der Zeitung »Metz«. Es sei nur eine logische Folge der sogenannten »Versöhnlichkeit«, daß so freche Kundgebungen wie der Antwortbrief von Antoine an den Statthalter überhaupt erscheinen könnten.

Es war übrigens wirklich ersichtlich, daß die Erlaubnis der Redefreiheit in der Presse, die von Manteuffel in den ersten Jahren dekretiert war, in den deutsch-feindlichen Kreisen als eine Schwäche aufgefaßt wurde, als das Eingeständnis einer Ohnmacht gewissen leidenschaftlichen politischen Strömungen gegenüber.

Ebenso war es auch ersichtlich, daß die feindseligen Kundgebungen der elsaß-lothringischen Protestpartei in Rede und Schrift in ursächlichem Zusammenhang standen mit dem Getriebe der Revanchepolitiker in Frankreich.

Seit geraumer Zeit hatten die Kundgebungen der französischen, insbesondere der Pariser Presse so ungeheuerliche, gehässige und teils auch jedem Anstand Hohn sprechende Formen angenommen, daß sie sogar im starken Deutschen Reich, das sie bis dahin als ohnmächtige Zorn- und Haßausbrüche großmütig ignoriert hatte, ernste Beachtung und scharfe Erwiderung fanden.

Die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« trat mit einem offenbar offiziös inspirierten Leitartikel auf, den sie »Ein Wasserstrahl nach Paris« nannte. Dieser Artikel machte im In- und Ausland, vornehmlich in der Stadt, an die er gerichtet war, einen ungewöhnlich tiefen Eindruck; er erregte durch die wuchtige, ernste Sprache, in der es wie mit dräuenden Posaunen von der beleidigten Ehre der starken, stolzen, deutschen Nation dröhnte, ein gewaltiges Aufsehen.

Es waren nicht nur die fortdauernden Hetz- und Schmähartikel auf Deutschland, die den Reichskanzler zu einem ernsten Warnruf veranlaßten, sondern insbesondere die Zeitungsnachrichten darüber, daß der Kriegsminister General Thibaudin 7 Millionen Franken für die Probemobilmachung eines Armeekorps an der Ostgrenze fordern wolle, und daß tatsächlich diesbezügliche militärische Maßnahmen an der Grenze vorbereitet wurden.

Der leidenschaftliche Zeitungssturm, der wild wie Kriegsrufe dröhnte, zeigte deutlich, welcher Geist sich in alledem verschloß und schon teilweis ungezügelten Ausbruch suchte. Es erschien daher als ein Gebot der Friedensliebe und der staatlichen Würde, auf die ungeheure Gefahr hinzuweisen, mit der Frankreich da spielte.

Krieg in wildester Form war bereits in der Presse erklärt und fand gerade jetzt ein Echo in den Protestkreisen Elsaß-Lothringens. Dazu kam das frevelhafte Spielen mit dem Kriegsgedanken an der Ostgrenze.

Da fuhr der hochoffiziöse Artikel der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« wie ein furchtbarer Warnruf hinein. Er erklärte geradezu, daß Frankreich durch die maßlose Heftigkeit der Revancheapostel und durch den Widerhall, den diese im Land und darüber hinaus bis in die Kreise gesinnungsverwandter Agitatoren in Elsaß-Lothringen fände, als einziger Staat sich darstellte, der den Frieden Europas dauernd bedrohte. Und er wies nachdrücklich darauf hin, daß dieser Zustand nicht andauern könne, ohne den Frieden zu gefährden.

Da mit diesem Artikel zu gleicher Zeit die Einberufung des Bundesrats und Reichstags binnen acht Tagen bekannt wurde, so konnte man darin einen Hinweis erblicken, daß erforderlichenfalls der Erklärung der nötige Nachdruck verliehen werden könnte.

Ob die Kundgebung der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« und die Einberufung der parlamentarischen Körperschaften des Reichs, für die freilich auch ein andrer Anlaß vorlag, im Kausalzusammenhang standen, ist nicht erwiesen; jedenfalls hatte aber der »Wasserstrahl nach Paris« eine außerordentlich niederschlagende Wirkung.

Die Pariser Zeitungen wurden zurückhaltender, und als die wertvollste Wirkung wurde die Mitteilung offiziös gebracht, daß General Thibaudin nach reiflicher Ueberlegung(!) aus technischen Gründen(!) den Plan, ein Armeekorps im Vogesendepartement probeweise zu mobilisieren, aufgegeben habe ...

... Die schärfere Luft, die von Berlin her wehte, machte sich nun auch fühlbar im Reichsland, in erster Linie in der Antoine-Frage. Leider aber, wie wir schon oben andeuteten, kam es nur zu einer halben Maßregel. Manteuffel wollte eben nicht mit seinen allzu oft und zu emphatisch proklamierten Prinzipien der Milde brechen. Er wollte »keine politischen Märtyrer machen«; wir werden in Verlauf der Angelegenheit Antoine sehen, ob der Statthalter nicht gerade durch diese Maßregel zu dem ängstlich gemiedenen Resultat kam, dennoch einen politischen Märtyrer zu machen, ja noch mehr: ihm eine viel weithin leuchtendere Gloriole um die Stirn zu legen ...

Am 24. August 1883 ward eine gerichtliche Haussuchung in Antoines Wohnung und in den Bureaux für die geplante Zeitung »Metz« angeordnet. Alle Briefschaften und Schriften wurden beschlagnahmt, und der Metzer Protestagitator ward unter die Anklage des Landesverrats gestellt.

Wenn man die altdeutsche Presse ebenso wie die reichsländische und die französische aus jener Zeit durchblättert, so erhält man ein scharfgezeichnetes Stimmungsbild der Lage.

Das wäre in kurz umrissenen Zügen:

Die französische Presse sah einen »erhabenen Mut« in dem überhebenden Gebaren des Tierarztes von Metz. Die reichsländische Presse sprach sich zuwartend und vorsichtig aus, mit Ausnahme der »Metzer Zeitung«, die die allzuweit gehende Versöhnungspolitik des Statthalters offen tadelte, und betonte (als einzige), daß sie es für die allein richtige Maßregel hielte, im Fall Antoine den Diktaturparagraphen zur Anwendung zu bringen und auf Ausweisung zu erkennen.

Die altdeutschen Zeitungen, wie die »Nationalzeitung«, »Kölnische Zeitung«, »Magdeburger«, »Münchener Allgemeine«, waren einstimmig darin, in der Milde des Statthalters, die geradezu wie eine Begünstigung des Treibens journalistischer Franktireurs gewirkt habe, eine Gefahr für die friedliche Fortentwicklung des politischen Lebens im Reichsland zu sehen.

In mehreren Zeitungen wurde auch von einer starken Gegnerschaft der Beamtenkreise zu Manteuffels Politik gesprochen, und der Abschied des Bezirkspräsidenten v. Flottwell (in Lothringen) als ein Symptom für die Gegensätzlichkeit aufgefaßt, in der sich höhere Beamte mit der Verwaltung des Statthalters befunden hätten.

Diese letztere Behauptung beruhte aber entschieden aus einem Irrtum: der Abschied Flottwells hatte keine politischen, sondern rein persönliche Motive.

Mitte September erschienen auf einmal sehr überraschend die Publikationen der beschlagnahmten Antoineschen Korrespondenzen u. s. w. in der » Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« in Berlin. Die gefundenen Briefe offenbarten unwiderleglich die Verbindungen des Metzer Agitators mit Frankreich und die ideelle und materielle Unterstützung seiner Bestrebungen durch Franzosen!

Es wurde vielfach bestritten, ob die Veröffentlichung der Antoineschen Korrespondenzen in der offiziösen Berliner Zeitung rechtlich ganz zulässig war, und es sind Stimmen in der Presse und von bedeutenden Rechtslehrern dafür und dagegen laut geworden. Zu den Rechtslehrern, die für das Eingreifen der Staatsgewalt in derlei Fällen angerufen werden konnten, gehörte Professor v. Ihering, in Ausführung seines Werkes: »Der Zweck im Recht«, speziell in: »Ueber die Grenzen der Selbstbeschränkung der Staatsgewalt durch das Gesetz«.

Später ist dann diese Frage wiederholt im Landesausschuß durch den Abgeordneten Winterer zur Sprache gebracht worden. Nach entsprechenden Erklärungen der Regierung wurde der Sache aber kein weiterer Verfolg gegeben.

Anfang Oktober wurde der Reichstagsabgeordnete Antoine unter Anklage des Landesverrats, auf Weisung des Ober-Reichsanwalts, in Untersuchungshaft genommen, am 30. Oktober aber bereits wieder »Mangels konkreter Tatsachen«, laut Verfügung aus Leipzig, ohne Kaution der Haft entlassen. Die Untersuchung gegen ihn dauerte zwar fort, wurde aber demnächst durch Beschluß des Reichsgerichts eingestellt.

So wurde der Fall Antoine, der dem Statthalter die Gelegenheit fast in die Hände spielte, die Waffen der Macht, die ihm verliehen waren, zu erproben, zu einer Niederlage seines Regierungssystems. Dem kann man sich bei aller Anerkennung für Manteuffels ernsten Willen zum Besten und für seine bedeutenden staatsmännischen Fähigkeiten und Strebungen nicht verschließen. Die geschichtlichen Tatsachen haben da ihre eigne, überzeugende Beredsamkeit ...

Das Einschreiten der Justiz wäre nur dann richtig gewesen und hätte die nötige politische Wirkung erzielt, wenn ein erdrückendes Material zur Verurteilung vorhanden gewesen wäre. Aber die Anhaltspunkte für die Begründung von Landesverrat im strafrechtlichen Sinne waren nicht stark genug, um mit Sicherheit eine Verurteilung voraussehen zu lassen. Das einzig Richtige wäre das administrative Einschreiten auf Grund des Diktaturparagraphen gewesen.

Manteuffel hätte damit sehr eindrucksvoll das über alle erlaubten Grenzen hinausgehende politische Gebaren des deutschen Reichstagsabgeordneten, der wirklich »mit dem Auslande paktierte«, gekennzeichnet und unschädlich gemacht. Und er hätte weiter dem frevelnden Uebermut der Franzosen, der eben von Berlin her durch den Reichskanzler eine scharfe Zurückweisung erfahren hatte, und dennoch in dem bekannten, schmählichen Verhalten, bei Empfang und Anwesenheit des spanischen Königs Alfonso König Alfonso war im Herbst 1883, bei seiner Anwesenheit in Paris, auf den Straßen insultiert worden durch Rufe wie » sale prussien« u. s. w., nur wegen der harmlosen Tatsache, daß er der Chef des in Straßburg stehenden 15. Ulanenregiments war. in Paris feindselig eklatiert war, gezeigt, welch ein starker und ernst abwehrender Geist an den Grenzen, im deutschen Reichsland, wachte ...

Das, was der Statthalter hatte vermeiden wollen, d. h. »politische Märtyrer zu machen«, das beschwor er gerade in verstärktem Maße herauf; denn Antoine erschien im Licht des aufgehobenen Haftbefehls und des eingestellten Strafverfahrens als einer, der fälschlich einer Schuld angeklagt war, also als ein politischer Märtyrer in viel höherem Grade ...

Fürst Bismarck hat die Politik immer, wie schon oben angeführt ist, mehr als eine Kunst, denn als eine Wissenschaft betrachtet, – sie ist es auch. Manteuffel war nun kein echter Künstler der Politik, sondern ein Dilettant, wenn auch ein sehr geistreicher. Der Künstler von Gottes Gnaden ist unfehlbar sicher in seinem Schaffen, denn es beruht auf Inspiration; wir möchten es den »Instinkt des Richtigen« nennen. Der Dilettant läßt sich oft hinreißen, wo er berechnen sollte, und berechnet manchmal, wo er hingerissen sein müßte, – der Künstler aber erfaßt und handelt unter dem zwingenden Einfluß einer höheren Eingebung.

So ist es auch in der Kunst der Politik, und der Verfechter der These, daß die Politik eine Kunst sei, Fürst Bismarck, war zugleich deren glänzendster Darsteller ...

Manteuffel war Anfang Oktober von Gastein zurückgekehrt. Er kam nicht erfrischt aus den Bergen heim. Einen Zug von Müdigkeit und Enttäuschung konnten Seele und Körper nicht mehr verbergen. Es war, als ob die Energie, die ihn bisher befähigt hatte, seine Kräfte zusammenzuschließen und aufzurichten, sogar wenn sie manchmal unter dem Niederdruck von Arbeit und Enttäuschung lagen, nicht mehr Meisterin über entgegentretende Widrigkeiten des Lebens werden könnte ...

Er mochte es fühlen, daß in ihm und um ihn her eine Unsicherheit sich breitete, die die Frische und Freiheit des Handelns im politischen Leben künftighin beeinflussen würde ...

Das Vorwärtsdrängende, das Zeit, Raum und Verhältnisse meistern zu wollen schien, mit der Macht einer stolz bewußten, hinreißenden Individualität, verschwand aus Manteuffels Wesen; der wägende Verstand hatte es wohl hinter sichere Tore verschlossen ... Und der Statthalter wandte sich wieder den Aufgaben der laufenden Verwaltung zu, insbesondere dem mit Glück begonnenen Ausbau der Schulreform, die die Anregungen und Gedanken, die er in seinem großen Erlaß gegeben hatte, zur Realisierung führen sollte. In dieser neuen Schulordnung hatte auch eine Verminderung des französischen Unterrichts in den höheren Lehranstalten ihren Platz.

Eine Verminderung der Lehrstunden war aber nicht nur für das Französische, sondern mit Ausnahme von Geschichte und Geographie auch für alle andern Lehrgegenstände angeordnet, und zwar aus hygienischen Rücksichten.

Daß diese, von pädagogischen und gesundheitlichen Erwägungen diktierte Reform aber auch wieder im politisch-tendenziösen Sinne aufgefaßt wurde, erhellt aus einer Eingabe von reichsländischen Bürgern, die 538 Unterschriften wies und sich mit der Bitte an den Statthalter wandte, die Beschränkung des französischen Unterrichts aufzuheben. Manteuffel antwortete mehr im dilatorischen, als im direkt verneinenden Sinn, indem er die Verminderung zwar aufrecht erhielt, aber in Aussicht stellte, die Frage an der Hand der praktischen Erfahrung, nach Ablauf des Schuljahres weiter in Erwägung zu nehmen.

Am 10. Dezember wurde die neue Session des Landesausschusses eröffnet; am Abend war ein Gastmahl für die Abgeordneten im Statthalterpalast. Manteuffel hatte die Einberufung des reichsländischen Parlaments bisher immer zum Anlaß genommen, größere Programmreden zu halten.

Am 10. Dezember 1883 aber hatte er zum erstenmal nur einen kurzen Gruß für seine Gäste. Das war für des alten Feldherrn rede-, kampf- und siegeslustigen Geist eine sehr bezeichnende Resignation.

Im Landesausschuß veranlaßte die von der Regierung vorgeschlagene Erhöhung der Staatsgehälter für die Geistlichkeit größere Ausführungen, an denen sich Abbé Winterer kritisierend, und der damalige Unterstaatssekretär v. Puttkamer, der Justiz und Kultus verwaltete, verteidigend, besonders beteiligten. Im übrigen konzentrierte sich das Interesse ausschließlich auf die allgemeine politische Lage, und auf verschiedene Fragen, die in den letzten Monaten alle Parteien in Erregung gehalten hatten; vor allem auf die ganze Angelegenheit Antoine in all ihren Phasen und dann auf den nie ruhenden Diktaturparagraphen, an den sich, wie immer, hocherregte Disputationen knüpften.

Neue oder wesentlichere Argumente und Auffassungen, wie wir sie größtenteils aus eignem Urteil, teils aber auch aus Urteilen der Presse, des Reichstags und aus den Reihen elsaß-lothringischer Politiker brachten, traten nicht hervor.

Ein andrer Vorgang, der mit überraschender Dramatik einsetzte und weithin fühlbare Kreise zog, lenkte alsbald das Interesse von Regierung und Parlament ausschließlich auf sich; er hatte sogar eine wichtige Aktion des Statthalters im Gefolge, die nach Berlin an den Kaiser gerichtet war ...

Bereits in der zweiten Sitzung des Landesausschusses machte eine Rede besonderes Aufsehen, die der Abgeordnete Baron v. Bulach über die allgemeine politische Lage des Landes hielt. Sie gestaltete sich zu einer verurteilenden Kritik von Manteuffels Verwaltungssystem, im Gegensatz zu dem des Oberpräsidenten v. Möller, dem größere Erfolge und größere Fortschritte in der Entwicklung des Landes zugesprochen wurden.

Baron Bulach mischte scharfe Beobachtung und richtige Urteile mit übertriebenen Darstellungen, so daß die Rede nicht den Eindruck der Objektivität erzeugte. Wenn nun auch einzelnes Richtige und tiefer Geschaute in der Auffassung lag, die Bulach von Manteuffels geistigem Wesen und dessen Ausdrucksformen gab, so waren doch die Folgerungen, die er daraus herleitete, irrig.

Zum Beispiel charakterisierte der Baron ganz richtig das Autokratische in des Statthalters Natur, und wie letzterer geglaubt habe, seine Pläne mit der Kraft seines persönlichen Wunsches und im Licht seiner Erkenntnis, die er für die allein richtige und gültige hielte, verwirklichen zu können. Nun aber kam Bulach zu dem willkürlichen, beweislosen Schluß, daß sich aus diesem » régiment personnel« die Auflösung der autonomistischen Partei entwickelt habe.

Bulach behauptete dann weiter, daß Manteuffels Verwaltungssystem durchaus nicht gebilligt würde in deutschen Kreisen, und glaubte die Beweise darin zu finden, daß ihm »einige Beamte ihre Unzufriedenheit ausgesprochen hätten«.

Richtige und halbrichtige Beobachtung war hier mit willkürlichen Schlüssen derart gemischt, daß das Ganze wie die im Kopf eines sehr subjektiv anschauenden Politikers veränderte Spiegelung eines Wirklichkeitsbildes wirkte.

Bulachs Beschreibung von der Auflösung der Autonomistenpartei entsprach auch nicht der Wirklichkeit; es konnte nur von einer vorsichtigeren Zurückhaltung der Partei die Rede sein.

Das ganze Bild der Lage war in stark ins Düstere übertriebenen Linien gesehen, wie übrigens die meisten Schilderungen, die von elsaß-lothringischen Abgeordneten entrollt wurden, wenn es sich darum handelte, Stimmungsgemälde der allgemeinen politischen Lage zu geben. Ein scheinbarer Widerspruch war es, daß die Herren in der Theorie, in ihrem Urteil oft ungerecht und negierend waren, während sie in der Praxis, in der Ausübung ihrer parlamentarischen Arbeit friedlich, gerecht, besonnen und sehr fleißig waren.

Psychologisch war das wohl so zu erklären und zu verstehen: Von der politischen Bühne des Elsaß aus wurde immer noch mit einer Wendung nach Frankreich hin agiert. Zu viele feine Bande des geistigen Lebens, und zu viel innige des Gemüts wirkten noch anziehend nach dorthin. Man wollte das alte Vaterland nicht verletzen, denn man liebte es noch mit dem Herzen, und man durfte die neuen Herren im Lande nicht verletzen, man mußte im Gegenteil sich ihnen freundlich fügen und mit ihnen leben, denn sie waren nach Staats- und Völkerrecht Gebieter in der geliebten Heimat. So machte man unwillkürlich Zugeständnisse nach beiden Seiten hin. Das weithin tönende Wort in Rede und Presse wendete sich mehr nach Frankreich; die still wirkende Tat galt dem engeren Vaterland Elsaß-Lothringen. Das war keine Treulosigkeit, keine Doppelzüngigkeit, – nein, es war einfach ein schmerzlicher Zwiespalt, eine seelische Zerrissenheit, die als eine nicht unnatürliche Folge der großen geschichtlichen Ereignisse erschien ...

Bulachs Rede machte einen sehr peinlichen Eindruck bei der Regierung, gerade weil sie von einem Manne ausging, der nicht Protestler war und der Frische, Talent und Willen zur friedlichen, politischen Mitarbeit an den Geschicken des Landes bewiesen hatte.

Der damalige Staatssekretär v. Hofmann ergriff auch gleich tags darauf das Wort und nahm sehr entschieden Stellung gegen Bulachs schwarzseherische Betrachtungen.

Auch bedeutende altdeutsche Zeitungen machten scharf Front gegen die Rede und tadelten besonders die sehr fragwürdige Logik: daß das persönliche Regiment des Statthalters verantwortlich gemacht werde dafür, daß die Autonomistenpartei sich aufgelöst habe.

Im übrigen machte die ganze Budgetdebatte 1883/84 einen viel ruhigeren, sachlicheren Eindruck als die Debatten früherer Tagungen, weil sich in diesen die Erregung der Geister über das sogenannte Sprachengesetz fühlbar kundgab und viel leidenschaftlichere Töne in die Diskussion spielte ...

Außer Bulachs Rede, deren seltsame Anklagen schließlich auch im Hause auf Widerspruch stießen, war die Haltung des Landesausschusses und die Behandlung der Fragen von sachlichem Ernst und maßvoller Gerechtigkeit durchdrungen und getragen. Das war ein absoluter Erfolg; relativ war er aber noch viel höher zu werten, weil gerade die letzten Monate des Jahres die größten politischen Erregungen gebracht hatten und durch das agitatorische Auftreten des Reichstagsabgeordneten Antoine und die enthüllten Verbindungen mit Frankreich Zündstoff in die Geister geworfen worden war. Wenn sich nun diese Geister in Ruhe und Sachlichkeit der parlamentarischen Arbeit an den Verwaltungsausgaben des Landes widmeten, so bedeutete das eine Erhebung, einen sittlichen Ernst und einen Triumph des Pflichtgefühls für die wahre Wohlfahrt des Landes, die jenen politischen Männern ehrlichste Anerkennung sichern müssen ...

Die Rede des Herrn v. Bulach, der bisher wohl als ein temperamentvoller Politiker aufgetreten war, dessen etwas impulsive Leidenschaftlichkeit aber von der Einsicht eines schönen Patriotismus immer in Schranken gehalten wurde, hatte das Maßvolle diesmal doch etwas vermissen lassen. Gewisse scharfpersönliche Noten gaben der Rede etwas zum Kampfe Herausforderndes, und als eine Art Heerruferin im Streit wirkte sie auch und riß ziemlich weite Kreise durch ihre bewegte Stimmung in Mitleidenschaft. Daß sie bei altdeutschen Zeitungen recht scharfe Verurteilung fand, haben wir schon angedeutet; es wurde ihr aber auch eine solche symptomatische Bedeutsamkeit gegeben, daß der Statthalter sie zum Ausgangspunkt einer auffallenden politischen Aktion machte. Ein Artikel der Kreuzzeitung, der um so beachtenswerter erschien, als diese preußisch-konservative Zeitung immer bereitwillig und charakterkräftig Manteuffels Politik im Reichsland unterstützt hatte, nun aber in der Bulachschen Rede ein Scheitern von Manteuffels Versöhnungspolitik zu erblicken glaubte, mochte auch Wohl mitbestimmend gewesen sein zu dem Schritt, den der Marschall in Berlin tat.

Manteuffel fragte nämlich bei Wilhelm I. an, ob er einen Bericht über die Angelegenheit befehle. Die Antwort des Kaisers fiel in sehr gnädigem und hochgeneigtem Ton aus: ein Bericht resp. eine Erklärung oder Rechtfertigung sei durchaus nicht nötig, da Manteuffel nach wie vor das fraglose Vertrauen seines kaiserlichen Herrn besäße. Dies Schreiben hatte dem edlen alten Herrn, dem beim Verfolgen seiner nach höchsten Zielen gerichteten Bahn fast unter den Schritten die weghemmenden Schwierigkeiten wuchsen, den etwas herabgedämmten Mut neu gestärkt. Von der höchsten Stelle des Reichs aus waren ihm erlauchte Pflichten und Rechte zur Uebung und Verwesung gegeben; sie forderten die Anspannung aller geistigen und leiblichen Kräfte; an ihnen zerrten und rissen nun aber alle möglichen widerstrebenden und kritisch eifernden Elemente, –: scharfe und feindselige Preßstimmen, oppositionelle Nörgler und Heißsporne, Unzufriedene aus mancherlei Berufszweigen und Parteiungen.

Der stete Kampf, das » toujours en vedette«, hatte in die ohnehin doch alternde Lebenskraft des Statthalters ein ersichtliches Wanken gebracht. Selbstvertrauen und das lebhafte Wachsein der Energie waren von Müdigkeit angewandelt. Des alten Feldherrn stolze, einsame Seele sehnte sich nach einer Kräftigung der vom Lebensstreit ermatteten Geister; die wurde ihm nun von seinem höchsten, innig verehrten Herrn. Es war, als erstarke mit diesem Vertrauensbeweis seines Kaisers das Schwungkräftige seines Wesens neu, und als er Ende 1883 auf einem Gastmahl, zu dem er das Ministerium und die Generalität um sich versammelt hatte, die Botschaft seines hohen Herrn vorlas, hatte seine Stimme wieder den stolzfreudigen Ton eines, der sich noch aufrecht zum Kämpfen und Siegen fühlt. Offenbar arbeitete aber trotz der Genugtuung, die ihm des Kaisers Antwort gegeben, noch etwas in Manteuffels Innerem, das nach Klärung seiner Beziehungen zum Landesausschuß und zu der Bevölkerung strebte. Denn die befestigende Wirkung der kaiserlichen Vertrauenserklärung ging doch nicht über den engen Kreis hinaus, den die Beziehungen zwischen dem Kaiser und seinem Feldmarschall-Statthalter bildeten. Die Form, seinen Gedanken und Auffassungen in größeren Programmreden bei seinen Gastmählern Ausdruck zu geben und sie so in die Oeffentlichkeit und in die Presse zu leiten, hatte Manteuffel selbst nicht mehr für ersprießlich erachtet, nachdem der Landesausschuß Anlaß nahm, sie in öffentlichen Sitzungen zum Zielpunkte politischer Diskussionen und von Parteikritiken zu machen. Seine sehr ausdrucksfähige und ausdrucksbedürftige Natur hatte ohnehin den Bann des Schweigens und der Zurückhaltung, den er sich selbst im letzten Jahr auferlegt hatte, beengend und verwirrend empfunden. Er fühlte es wie eine innere Nötigung, seinen drängenden Gedanken Ausdruck zu geben, und er suchte für die beabsichtigten Kundgebungen einen Raum mit möglichst weithinhallender Akustik. Dieser unabweisbare Trieb nach beredtem Bekennen und Verteidigen seiner eigenartigen Politik war in ihm neuerlich durch Bulachs Angriffsrede wieder mächtig aufgestanden. Die Rede war nicht nur eine scharfe Beurteilung, sondern eine Verurteilung von des Statthalters Verwaltungssystem gewesen, und sie blieb in ihrem jugendlich heißen Eifer nicht in den Grenzen der Gerechtigkeit und sachlich maßvollen Erwägung. Dies reizte den Manteuffel tief eingeborenen Sinn edler Streitbarkeit besonders. – Des Marschalls geschichtliche Auffassung der elsaß-lothringischen Aufgabe war so bedeutend und tief, und er setzte an die Erfüllung der letzteren so ganz die besten Kräfte seiner Seele, daß sich sein Geist in natürlicher Folge davon auflehnte gegen jede ungerechte oder nicht von ganz großen Auffassungen getragene Kritik. Und die Bulachsche Kritik gab sich noch dazu als die Verkündung eines gewichtigen Teils der reichsländischen Volksmeinung, und es war ihr bisher nicht im Landesausschuß widersprochen worden. So suchte Manteuffel denn den Ausdruck für seine mächtig erregten Gedanken und – wählte die Form eines Interviews dazu, mit daranschließender Veröffentlichung in der Presse. Das Interview, das eine Unterhaltung von A. und B., zwei Gästen des Statthalters auf einem Ball in seinem Straßburger Palais, mit ihm selbst darstellte und alle möglichen wichtigen Fragen des aktuellen Lebens behandelte, erschien im Januar 1884 als ein »Eingesandt von einem Freund aus dem Ober-Elsaß« in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« in Berlin und zugleich als Extrablatt der »Elsaß-Lothringischen Zeitung« in Straßburg, welch letztere Zeitung als die offiziös von der Regierung inspirierte galt. Damit war also des Interviews Wichtigkeit und Authentizität festgestellt.

Ob das Interview nun künstlich in Szene gesetzt war, oder sich natürlich als Rede und Gegenrede bei einem Fest im Statthalterpalais ergab, ist unsrer Meinung nach völlig unwesentlich.

Es ist viel darüber gestritten worden, und am Ende ist auch die dominierende Meinung, als habe H. Jacobi, der Redakteur der »Elsaß-Lothringischen Zeitung«, das Interview mit Manteuffel auf dessen Wunsch inszeniert, unwidersprochen geblieben; wir haben berechtigten Grund zu der Annahme, daß dies der Wahrheit entspricht ... Ob A. und B. (die Fragenden) auf dem Ball fingierte Persönlichkeiten waren, denen die Fragen über interessante Dinge in den Mund gelegt wurden, oder ob Hugo Jacobi der Fragende war, ist doch im Grund nicht so wesentlich; das Wesentliche war einzig und allein, daß der Befragte, also Manteuffel, seine innersten Ueberzeugungen in der Gegenrede aussprach. Denn es ist authentisch, daß die Antworten von Manteuffel herrühren. In dem Interview beklagte sich Manteuffel über die Presse, in deren scharfer Beurteilung seiner politischen Tätigkeit im Reichslande er eine animose Voreingenommenheit zu erkennen glaubte. Wir meinen aber: je höher einer im Staat und im öffentlichen Leben, in der Wissenschaft oder Kunst u. s. w. steht, desto mehr ist er dem Blick der Welt ausgesetzt. Ist je ein Großer, ein über die Mitte Emporragender der eingehenden Anschauung, dem eindringlichen Urteil entgangen? Weil er dem gewöhnlichen, mittleren Maß entrückt ist, wird er auch mit größerem Maßstab gemessen; und wie man Hohes und Höchstes von ihm erwartet, so wird auch jedes Zurückbleiben hinter der Ideallinie scharfer Kritik anheimfallen. Doch hat noch jede Größe im öffentlichen Urteil (und die Presse ist der Niederschlag der öffentlichen Meinung) ebenso gerechte Verteidiger als leidenschaftliche Feinde gefunden. Das gerade wäre ein Beweis für ihre Bedeutung, daß sie die Geister zu Haß und Liebe emporschürt. Manteuffels Urteil über einseitige Feindseligkeit der Presse war daher nicht gerechtfertigt. Es lagen übrigens in des Statthalters Aufgabe damals vielfach die Nötigungen, kampfbereit, schlagfertig und streitbar sein zu müssen. Einer, der im Kampfe steht, der befindet sich eben in einem Element der Unruhe. Jeder Hieb, jede Verteidigungspose wird weithin bemerkt und – beurteilt, – oft auch verurteilt. Daß die Presse sich lebhaft mit Manteuffel beschäftigte, war also natürlich und verständlich, – daß sie es nicht immer mit Lob und Anerkennung tun konnte, war bei den ungeheuern Schwierigkeiten der politischen Bedingungen und Manteuffels komplizierter Geistigkeit und deren Betätigung ebenso verständlich. Manteuffel gab zu, daß er die Urteile der Presse mit Aufmerksamkeit lese und daran Selbstprüfungen knüpfe, aber er wies den Gedanken weit zurück, als könne sie Einfluß auf sein Handeln haben.

Baron H. Bulachs Rede wurde auf Befragen des Interviewers vom Marschall stark verurteilt. Es sei ihm verdacht worden, daß er der Rede des betreffenden Abgeordneten eine zu große Bedeutung beigemessen dadurch, daß er dem Kaiser darüber Bericht eingesandt habe; es handle sich aber gar nicht darum, ob die Rede Bulachs bedeutend oder unbedeutend gewesen sei, sondern um eine politische Tatsache. Das Faktum, daß nach vierjährigem ernsten Wirken in Elsaß-Lothringen des Statthalters Verwaltung öffentlich im reichsländischen Parlament einer abfälligen Kritik unterzogen worden sei, daß sie von Bravos aus dem Hause, insbesondere von dem vernehmlichen des Vizepräsidenten begleitet worden sei, daß der Landesausschuß Stillschweigen demgegenüber beobachtet und unter diesem Eindruck die Sitzung geschlossen habe, dies Faktum habe er dem Kaiser unterbreiten müssen, – es sei eine Pflicht gewesen, denn er habe Bulachs Rede für eine Kundgebung aus der Mitte der Bevölkerung gehalten. Darüber befragt, warum er den Landesausschuß nicht auch diesmal mit einer Ansprache beehrt habe, antwortete Manteuffel, daß, seitdem der Landesausschuß seine Tischreden, die doch intimer Natur seien, der öffentlichen Diskussion unterworfen, er aus Rücksicht der Würde für seine Stellung es unterlassen habe, zu sprechen.

Ueber die Beamten, insbesondere über deren neuerliche Gepflogenheit, öffentlich, wenn auch anonym, die höchsten Vorgesetzten, auch den Statthalter, streng zu kritisieren und seine Maßregeln und Verwaltungsart zu verurteilen, vom Interviewer befragt, antwortete Manteuffel, daß bei der Zusammensetzung des Beamtentums aus verschiedenen deutschen Staaten, die teils verschiedene Geschäftsanweisungen hätten, es leicht möglich sei, daß gewisse Schwierigkeiten, Verstimmungen oder ganz neue ungeahnte Formen sich ergäben. In der Forstverwaltung sei dies besonders bemerklich.

Daß eine wirkliche Beamtenopposition vorhanden sei, heimlich gärend und sich anonyme Auswege suchend, glaube er nicht; ebensowenig wie er glaube, daß Beamte absichtlich den Baron Bulach zum Organ ihrer Unzufriedenheit gemacht haben sollten.

Auch die Frage Flottwell wurde gestreift, und es wurde von Manteuffel der genaue Hergang der Angelegenheit konstatiert: Er habe dem Bezirkspräsidenten Vorhaltungen über einzelne Vorgänge in seiner Verwaltung gemacht, dann habe Flottwell unter Bezugnahme darauf um seine Stellung zur Disposition gebeten. Manteuffel schrieb nun an Flottwell, er habe seine Vorhaltungen unrichtig aufgefaßt; er wisse nicht, wie er die Zur-Dispositionstellung Flottwells motivieren solle beim Kaiser, und er lehne sie deshalb ab.

Bis dahin war nie davon die Rede gewesen, daß sich Flottwell im »Widerspruch mit Manteuffels Politik« befinde. Jetzt erst erklärte Flottwell, er bestehe auf seiner Stellung zur Disposition, um so mehr, als er sich im Widerspruch zu Manteuffels Politik befinde. Manteuffel lehnte abermals ab; Flottwell wandte sich nun direkt an den Kaiser, sandte Krankheitsatteste und erhielt die Pensionierung. Er trat dann in eine wohldotierte Stellung als Leiter eines Finanzunternehmens in Breslau. –

Im weiteren Verfolg des Interviews wies es der Marschall weit zurück, als stehe er unter dem Einfluß der »Notabeln«; er sei während seines ganzen Lebens eminent selbständig gewesen und nie beeinflußt von andern; er bleibe seiner Natur treu, auch hier; nur habe er es für Pflicht und Recht gehalten, liebenswürdig und zuvorkommend gegen Männer zu sein, von denen viele schwere Opfer gebracht hätten, indem sie ihre persönlichen Gefühle dem Gemeinwohl untergeordnet hätten.

Darauf wurde der unliebsame Fall des Oberförsters Mang besprochen, der damals im Publikum und in der Presse ein heftiges Aufeinanderprallen verschiedener Meinungen hervorgerufen hatte, und der Statthalter proklamierte es anläßlich dieses Falles ausdrücklich als einen Grundsatz: mit größter Strenge gegen Beamte vorzugehen, die rücksichtslos und unhöflich gegen Landesbewohner seien. Die Gerichte hatten die beiden Herren, die der Oberförster Mang wegen Beleidigung verklagt hatte, den Baron Schmid und H. v. Ott, verurteilt zu Geldstrafen. Manteuffel sprach in dem Interview aber den Gedanken aus, also im Gegensatz zu der richterlichen Erkenntnis, als sei dies eigentlich keine Genugtuung für eine Beleidigung. Das wurde in weiteren deutschen Kreisen als eine Mißachtung der Gerichte aufgefaßt, deren Entscheidung doch als die höchste moralische Autorität gelten solle. Am Ende sprach sich Manteuffel noch ernst bedauernd darüber aus, daß es ihm die Haltung der Straßburger Bevölkerung, wie sie sich in den Reichstagswahlen dokumentiert habe, unmöglich mache, an die Wiederherstellung des Gemeinderats zu gehen.

Alle bedeutenden Zeitungen des Reichslandes und Altdeutschlands sowie österreichische, französische und englische nahmen Stellung zu den Verkündungen des Statthalters; besonders in den englischen Zeitungen wurden Manteuffels Aussprüche beim Interview für klassisch und hochbedeutend gehalten; auch in der Form und Prägung der Gedanken, denen man Bismarcksche Plastik und knappe Klarheit nachrühmte. In den Kreisen der Alt-Elsässer riefen einige Sätze Befriedigung, andre wieder ein merkliches Mißbehagen hervor. So berührten Manteuffels überzeugend warme Worte, die seine Sympathien und seine versöhnlichen Tendenzen ausdrückten, sowie seine gerechte Auffassung der Beamtenfrage sehr sympathisch, während das, was der Statthalter über die schroffe Haltung einzelner elsässischen Kreise bei den Reichstagswahlen und in der Straßburger Gemeinderatsfrage aussprach, verstimmte.

In altdeutschen Kreisen des Reichslandes schätzte man das freie Bekenntnis des Statthalters über wichtige politische und administrative Fragen, das er in dieser neuen Form des Interviews gab, in seiner vollen Bedeutsamkeit, stellte aber eine große Meinungsverschiedenheit mit einzelnen Urteilen des Marschalls fest.

Wenn Manteuffel in den letzten Jahren die politischen Reden bei seinen Gastmählern unterdrückt hatte, weil er seine »Herzensergüsse« nicht zur öffentlichen Diskussion in Parlament und Presse stellen wollte, so hatte er nun den Zauberkreis der Intimität, in den er jene gebannt wissen wollte, selbst und mit erkennbarer Absicht durchbrochen; denn das unwidersprochene, unwiderlegte Erscheinen des Interviews in der offiziösen Berliner Zeitung und danach als Extrablatt in der reichsländischen Zeitung kam doch einer sorgfältig inszenierten Sensation gleich.

Und so wirkte es auch weithin und tief hin, trug Bewegung in alle Geister und brachte alle Fragen von Bedeutung in lebendigen Strom ... Das trat zuerst im Landesausschuß sehr ausdrucksvoll in die Erscheinung in einer lebhaften Rede des Baron Hugo Bulach. Er erklärte, daß das letzthin veröffentlichte Interview ihn geradezu nötige, zu sprechen. Er könne und wolle es nicht für authentisch halten, weil er nicht glaube, daß der Statthalter sich solcher Mittel zur Betonung und zum Nachdruck seiner Politik bediene. Viel Falsches sei über seine Rede verbreitet worden; er sei nicht im Namen unzufriedener Beamter aufgetreten; es leite ihn auch nicht persönliche Feindschaft gegen den Statthalter, und er protestiere gegen die Zusammenstellung mit Antoine; – im übrigen halte er seine Behauptung vom 13. Dezember 1883 aufrecht, daß Manteuffel ein allzu persönliches Regiment führe ... Darauf erhob sich der Staatssekretär (damals v. Hofmann) und erwiderte mit einer ernsten, fast feierlichen Würde: Als der Statthalter die vom Kaiser gewünschte Versöhnungspolitik inaugurierte, fand sich in einem Teil der altdeutschen Presse die Ansicht, als würde man in Elsaß-Lothringen solche Politik für Schwäche halten.

Das Land war ihm aber dankbar, daß er nicht nach Schablonen regierte, sondern sein eigenst-persönliches Interesse dauernd bekundete und strenge Maßregeln mied, wo es irgend angängig war.

Da kam Baron Bulach und tadelte gerade das, was das Land billigte. Bulachs Rede wäre bedeutungslos, wenn sie nicht über die Grenzen des Landes hin bekannt geworden wäre, und nicht nun eine Strömung in Altdeutschland aus ihr Kapital schlüge ...

Nach dieser Rede des Staatssekretärs erhob sich der Abgeordnete Mieg-Köchlin (Bürgermeister von Mülhausen) und erklärte unter allgemeiner Zustimmung des Hauses: die Angriffe gegen den Statthalter seien nur als die persönliche Meinung des Herrn v. Bulach anzusehen und nicht als die Ansicht des Landesausschusses. Das Land würde dem Statthalter dankbar sein, wenn er seine Politik der Milde fortführe ...

Wenn auch durch diese Erklärung Bulachs Rede charakterisiert wurde als eine ganz subjektive Einzelmeinung, und ihr die tiefere Bedeutung genommen ward, als sei sie eine Kundgebung der elsaß-lothringischen Volksmeinung, so war doch durch die Vorgänge, die sie im Gefolge gehabt hatte, Interview, Anfrage Manteuffels beim Kaiser u. s. w., eine gewisse schwankende Erschütterung in die Lage gekommen. Gerüchte über große Meinungsverschiedenheiten Manteuffels mit dem Reichskanzler wurden in politischen Kreisen jetzt immer lauter, so daß sie sogar weithinhallend in den Spalten ernster ausländischer Zeitungen, »Temps«, »Times« u. s. w. ein Echo weckten. In gewissen äußeren Vorgängen fanden jene Gerüchte Nahrung; Manteuffel ging nämlich kurz nach der Landesausschußverhandlung und den Interviewpublikationen nach Berlin und von dort nach Friedrichsruh zum Fürsten Bismarck. Daran schlossen sich auch ziemlich bestimmt auftretende Gerüchte über den demnächstigen Rücktritt von Manteuffel, die eine festere Form gewannen durch Nennung bestimmter Namen wahrscheinlicher Nachfolger; so wurden als politisch mögliche Männer z. B. Graf Otto Stolberg und der damalige Minister des Innern und Vizepräsident des Staatsministeriums, Robert v. Puttkamer genannt, während ausländische Zeitungen, wie die »Baseler Nachrichten« und österreichische Blätter die Erwählung eines depossedierten Fürsten für die hochbedeutende Stellung eines reichsländischen Statthalters für wahrscheinlicher hielten. Manteuffels Reisen nach Berlin und Friedrichsruh wurden übrigens von andern politischen Kreisen als ein entgegengesetztes Symptom aufgefaßt; den optimistischer Gesonnenen galten sie nämlich als ein Wahrzeichen des Vertrauens vom Kaiser zu seinem Reichslandsverweser und des befestigten Einverständnisses mit dem Fürsten Reichskanzler.

Offiziell wurde weder eine Negation noch eine Affirmation in der Frage laut, und es blieb von all den schwirrenden Meinungen als sichtbarer Rest nur eine Unruhe, die wachsam und etwas mißtrauisch den Wendungen und Ereignissen im öffentlichen Leben entgegensah und nachforschte. Indessen arbeitete der Landesausschuß sehr ernstlich und fleißig, und Baron Bulach, der wohl fühlen mochte, daß ihn seine Leidenschaftlichkeit, die sonst immer die patriotisch edeln Grenzen gewahrt hatte, in seiner Kritikrede über den Statthalter etwas zu weit geführt hatte, trat nunmehr in maßvoller, sachlicher Ruhe auf und behandelte mit Wärme und viel politischer Einsicht die verschiedensten Fragen des staatlichen Lebens, die gerade im Vordergrund der Betrachtung standen: Steuern, Mehrbesoldung der katholischen Geistlichen, Tabaksmanufaktur (in welcher Frage er ein sehr streitbarer Kämpe war), Bahnprojekte, Landwirtschaft u. s. w.

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