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In die Erholungszeit des greisen Marschalls fiel leider wieder ein tiefes persönliches Leid: der Tod seines ältesten Sohnes Hans Karl.

Gegenüber den sich schnell folgenden Verlusten innerhalb seiner Familie, dem Tod seiner ausgezeichneten Gemahlin und dem seines ältesten Sohnes, die das fein und weich organisierte Gefühlsleben des alten Herrn in starke Erschütterung brachten, wirkte die Art, wie er die Kräfte seines Geistes unverrückbar zusammenschloß und auf die von ihm als richtig erkannten Ziele seiner Mission vereinte, mit geradezu imponierender Größe, die der tragisch-rührenden Züge nicht entbehrte.

Der starke Geist und das weiche, fast sentimentale und mystischen Anwandlungen gehorchende Herz des Feldmarschalls mußten sein ganzes Leben lang Kompromisse schließen – und nur wer die Stärke dieser beiden seelischen Faktoren bei ihm kannte, wird das Leben und Wirken dieses seltenen Mannes ganz verstehen ...

Manteuffel war nach dem Tod seiner Gemahlin ein innerlich tief vereinsamter Mann – denn die Mitglieder seiner engeren Familie standen durch ihre durchaus anders geartete Begabung wohl dem tiefsten Verständnis seiner Natur fern –, und er suchte deshalb oft Aussprachen mit Persönlichkeiten, die ihm verwandt oder sympathisch waren; dahin gehörte auch besonders der schon öfters genannte Julius Klein.

Während Manteuffels Aufenthalt in Karlsbad beschäftigte sich die gesamte Presse des Reichslandes, wie auch ein großer Teil der altdeutschen mit den strengeren Maßregeln, die man in letzter Zeit in der Landesverwaltung hatte ins Leben treten lassen, und es ist leider nicht zu leugnen, daß einige altdeutsche Zeitungen in einer fälschlichen Auffassung, die des Statthalters bisheriges Entgegenkommen als Schwäche hinstellte, damit die sichere Kühnheit der deutsch-feindlichen Parteien noch gestärkt hatten ... Besonders die »Presse von Elsaß und Lothringen« »von Elsaß und Lothringen« nannte sich das Blatt absichtlich, um damit die ehemalige französische Einteilung in Departements zu markieren. Elsaß-Lothringen hieß das Land nur unter deutscher Herrschaft, und diesen, die geschichtliche Umwälzung anzeigenden Namen wollte man nicht anerkennen. ward immer dreister und gebärdete sich ganz als ein vorgeschobener französischer Posten. Ihr Redakteur Heim (ein Pariser, dem man großmütig gestattete, seinen Wohnsitz in Straßburg zu haben) war ein Korrespondent des »Temps«. In der Denkmalfrage für Victor Hugo gerierte sich z. B. die »Presse« völlig wie ein französisches Departementsblatt. Ihr Redakteur war in das Pariser Komitee gewählt und publizierte mit einem Ton, von dem man nicht sagen kann, ob er mehr naiv oder mehr kühn war, folgendes: »Die Subskription in allen Pariser- und Departementsjournalen, sowie in den Bureaus der ›Presse von Elsaß und Lothringen‹ ist eröffnet« – ganz, als ob das Reichsland ein Appendix der französischen Departements sei.

Von altdeutschen Zeitungen brachte damals die »Frankfurter Zeitung« heftige Angriffe gegen den Statthalter. Sie fand ein Lob nur für sein erstes Auftreten im Land und sah seine einzigen Erfolge in der Beseitigung der Anfänge des Kulturkampfs, der Freigebung der Presse und der Lösung der Optantenfrage; sie tadelte die strengeren Maßregeln der letzten Zeit, insbesondere die Umwandlung der Pompierkorps in deutsche Feuerwehr.

Ueber diese Pompierfrage, die an sich unbedeutend war, aber durch ihre eigentümliche Verquickung mit soldatischem und politischem Geist eine ziemlich hervortretende Bedeutung gewann, müssen wir einige kurze Bemerkungen zu besserem Verständnis machen.

Die Offizierkorps der alten französischen Feuerwehr hatten sich aus Leuten rekrutiert, die der französischen Armee angehörten, und die Pompierkorps waren soldatisch gegliedert und von militärischem Geist erfüllt. Ihre Signale, ihre Märsche, ihre Kommandos waren genau denen der französischen Armee gleich. Während in Deutschland die Feuerwehr eine Institution ist, die einen rein gemeinnützigen Charakter hat, stellt sie in Frankreich zugleich ein soldatisches Nebenkorps dar, dessen Mitglieder auch meist direkt aus dem Heere hervorgingen.

Diese Pompierkorps waren sehr populär, auch in Elsaß-Lothringen; sie hatten meist gute Musik, und es war eine Gepflogenheit, daß sie bei ihren Umzügen, die sie behufs Uebungen etc. durch die Stadt machten, als Bataillone formiert, mit Musik voran, marschierten. Diese Umzüge nun, mit französischen Kommandos, Signalen und französischen Militärmärschen, hatten öfters tumultuarische Demonstrationen im antideutschen Sinne veranlaßt. Demgegenüber war ein ministerieller Erlaß ergangen, der bestimmte, daß fortan die Umzüge der Feuerwehr nur gestattet werden könnten, wenn dabei deutsche Kommandos, Signale und Armeemärsche zur Ausführung kämen und die dem französischen Militär ähnliche Uniform nach des Statthalters Ermessen einige Abänderungen erführe.

Darauf reichten die Offiziere der Pompierkorps ihre Demission ein! Ein Beweis, von wie viel höherem Wert als der gemeinnützige Zweck ihnen die französischen Gepflogenheiten der Institution waren.

So wurden also die Pompierkorps in deutsche Feuerwehr umgewandelt; eine durchaus verständliche und richtige Maßregel. –

Der »Temps« und einige Pariser Blätter erteilten übrigens der »Frankfurter Zeitung« für ihre Auffassung der reichsländischen Politik ein Lob, wohingegen das Organ der Autonomistenpartei, also ein Blatt von elsässischen Eingeborenen, die höchst eigentümliche Tatsache konstatierte, daß deutsche Blätter, die sich allein berufen glaubten, freiheitliches Deutschtum zu vertreten, und Pariser Blätter, die ausschließlich französische Traditionen etc. fortpflanzten, die gleiche Politik der Negation und Obstruktion trieben ...

In diese Zeit fielen noch von bedeutsameren Entschließungen und Entscheidungen im öffentlichen Leben des Reichslandes: die Uebernahme der Schulangelegenheiten durch den Staatssekretär, die Entscheidung des Statthalters in der Hattener Pfarrwahl, von der später die Rede sein wird, und die Veröffentlichung der päpstlichen Bulle, betreffs Einsetzung eines Koadjutors für Straßburg.

Am 24. August fand dann unter reger Anteilnahme der Bevölkerung und mit großem Prunk die Weihe des Koadjutors Stumpf zum Bischof in partibus infidelium (von Caesaropolis) statt. Unter den Gästen waren in Vertretung ihres Vaters die Kinder des Feldmarschalls, sein erster Adjutant, das gesamte Ministerium, die andern oberen Behörden, die Generalität, die Präsidenten und Vizepräsidenten wichtiger Körperschaften und so weiter, und so weiter.

Stumpf wurde von Bischof Mermillod aus Genf unter Assistenz des Bischofs von Speyer und des Koadjutors von Metz geweiht. Der zum Bischof von Trier ernannte Korum war auch anwesend.

Es darf hier eine Unterlassung nicht unerwähnt bleiben, die auf den Statthalter unmittelbar zurückzuführen ist. Nach den Bestimmungen des Konkordats haben die Bischöfe vor dem Antritt ihres Amts einen im Wortlaut vorgeschriebenen Eid zu leisten, und diese Vorschrift findet auch auf die Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge Anwendung. Während nun in Frankreich der im Konkordat gleichfalls vorgesehene Priestereid seit langer Zeit außer Gebrauch gekommen war, stand der Bischofseid völlig in Geltung. Trotzdem sah der Marschall von dessen Ableistung sowohl für Fleck in Metz wie für Stumpf in Straßburg ab. Gesprächsweise rechtfertigte er dies mit der Unwirksamkeit politischer Eide im allgemeinen, was aber den Kern der Sache – nämlich das im Eide sich äußernde Verhältnis der Kirche zur Staatsgewalt – nicht traf, und erwähnte, daß er zu seinem Vorgehen die Zustimmung von Berlin habe. Manteuffel hatte aber auch jedenfalls mit Dupont des Loges die Eidesfrage besprochen, und der Eifer, den der Bischof entwickelte, um in Rom die staatlicherseits vorgeschlagene Prozedur bei der Ernennung Flecks zur Annahme zu bringen, mochte damit zusammenhängen, daß der Statthalter in dieser Frage ihm entgegengekommen war. Denn der Bischof legte auf den Wegfall des Bischofseides ein großes Gewicht, wie auch aus einem Schreiben hervorgeht, das er unter dem 31. Dezember 1880 an seinen Vertrauten, den Dominikaner Pater Souaillard richtete: Tous les droits sont respectés, il n'y a point de serment exigé, et la procédure me paraît correcte.

Manteuffel konnte sich freilich auch darauf berufen, daß nach der Abtrennung Elsaß-Lothringens von Frankreich die beiden Diözesanbischöfe Raesz und Dupont des Loges weiter amtiert hatten, ohne daß von ihnen ein neuer Eid gefordert worden war. Anderseits konnte der früher der französischen Staatsgewalt von ihnen geleistete Eid auf die neuen Verhältnisse nicht übertragen werden. Sie fungierten also als unvereidete Bischöfe. In späterer Zeit, zuerst als Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst Statthalter im Reichslande war, ist der Bischofseid regelmäßig zur Anwendung gekommen.

Das hohe Alter des Bischofs Raesz veranlaßte, daß die Verwaltung der Straßburger Diözese bald ganz in die Hände des Koadjutors überging. Nachdem diesem schon durch Dekret vom 19. Dezember 1881 mannigfache Obliegenheiten, insbesondere auf dem Gebiete des Schulwesens übertragen waren, erging unter dem 3. Februar 1883 ein päpstliches Breve, durch das der Bischof von der Leitung der Diözese völlig entbunden und der Koadjutor Stumpf zum Administrator derselben ernannt wurde. Eine kaiserliche Verordnung vom 18. d. M. gestattete die Veröffentlichung und Ausführung dieses Breve. Alle diese Maßnahmen erfolgten in völligem Einverständnis des Statthalters mit dem Koadjutor, ja selbst, soweit wir unterrichtet sind, auf Manteuffels Anregung hin.

*

Indessen ward in den August- und ersten Septembertagen die Haltung der »Presse« derartig scharf und herausfordernd, daß sogar die »Union«, die in der Wahl Adam gemeinsam Schulter an Schulter mit ihr agiert hatte, sich von ihr lossagte, indem sie ausdrücklich erklärte, sie sei gegen den Ausbau des modernen Liberalismus; die »Presse« wäre aber nicht nur eine Vorkämpferin für solchen, sondern sie verträte direkt die moderne Demokratie und die »Religion der Vernunft«. – –

Das demokratische Protestblatt gerierte sich jetzt ganz unverkennbar als ein Organ der französischen Republikaner und machte sich also zum Sprachrohr fremdländischer Interessen.

In dieses laute, leichtsinnige, herausfordernde Treiben fuhr am 16. September wie ein schneidendes Richtschwert des Statthalters Verbot des weiteren Erscheinens der »Presse«.

Sehr interessieren dürfte hier die Erwähnung eines Briefes von Manteuffel an den damaligen Unterstaatssekretär v. Puttkamer. Das Schreiben ist kurz vor der Veröffentlichung des statthalterlichen Erlasses über das Verbot der »Presse von Elsaß und Lothringen« von Gastein aus erlassen und gibt in kurz markierenden Zügen die höchst charakteristische intime Aeußerung Manteuffels über die betreffende Maßregel. Der Brief lautet:

Gastein, 13. September 1881.

»Euer Hochwohlgeboren

danke ich herzlich für das gefällige Schreiben vom 8. d. M. und dessen sehr gelungene Anlage. Ich habe sie sogleich wörtlich abschreiben, auch den Passus Berlin darin stehen lassen bezieht sich auf den Kaiserpalast. und am Schlusse dem Fürsten Bismarck anheimgestellt, ob er, da es doch Reichssache sei, als Kanzler die Initiative in der ganzen Frage nehmen wolle.

Alle die Nützlichkeitsbedenken, die gegen das Presseverbot sprechen, erkenne ich vollkommen an; aber bei solchen Autoritätsfragen, wie hier, frage ich, wie ich einmal bin, nicht nach Klugheit, sondern tue einfach, was mir zur Erhaltung des Respekts notwendig scheint, und trage dann ebenso einfach die Folgen.

Leid tut es mir aber, nicht in Straßburg zu sein und die Eindrücke zu beobachten, die die Maßnahme macht.

Haben Euer Hochwohlgeboren Kenntnis von solchen Stimmungen gewonnen, so wäre ich dankbar, wenn Sie mir schrieben, denn Sie sind scharfer Beobachter, und urteilen, wie mich die Erfahrung lehrt, auch sehr richtig über Stimmung. Nun nochmals Dank für den Brief, – aber auch Vorwurf, denn Sie schreiben nicht, wie es Ihrer Frau Gemahlin geht, und wissen doch, wie mich das interessiert. Ich hoffe zu Gott, gut! Empfehlen Sie mich ihr auf das angelegentlichste.

E. Manteuffel.«

Der betreffende Erlaß, der auch von Gastein aus gegeben war, hatte folgenden Wortlaut:

»Ich habe bei Beginn meiner Amtstätigkeit in Elsaß-Lothringen die Presse von dem Erfordernis vorgängiger Genehmigung befreit. Ich habe dies getan, um einer allseitigen Erörterung der Interessen des Landes freien Spielraum zu geben, und je unabhängiger sich die Blätter hier aussprechen, desto ersprießlicher für das Wohl des Landes wird das sein. Ich kann es aber nicht dulden, daß Blätter hier erscheinen, die lediglich fremden Interessen dienen und gegen den völkerrechtlichen Zustand des Landes ankämpfen.

»Dies hat die ›Presse von Elsaß und Lothringen‹ wiederholt und noch speziell in der Nr. 210 vom 6. d. M. getan.

»Auf Grund der mir übertragenen außerordentlichen Gewalten verbiete ich hiermit das weitere Erscheinen des Blattes« etc. etc.

Diese politische Maßregel muß als eine eminent nationale bezeichnet werden; als eine solche, die von der politischen Würde und Selbstachtung geradezu erfordert wurde.

Sie wurde fast überall als gerechtfertigt beurteilt, besonders auch, weil die Form, in der das Protestblatt seine auflehnenden Ideen brachte, meist von gaminartiger Ungezogenheit war.

Nicht durch sittlichen Ernst tiefer Ueberzeugung hatte die Zeitung zu wirken gesucht, sondern mit einer umstürzlerischen Leidenschaft, die keine Gründe, sondern nur Affekte kannte.

Doch traten zwei altdeutsche Zeitungen von Bedeutung gegen des Statthalters Maßregel auf, und zwar die »Frankfurter« und die »Vossische Zeitung«.

Nun begann die offiziell zum Schweigen gebrachte Opposition der »Presse« für ihren Kandidaten zum Reichstag, Herrn Kablé, der auch ihr Hauptbesitzer und geistiger Führer gewesen war, eine um so heftigere geheime Tätigkeit.

Es wurde zunächst von Kablé die Neugründung einer Zeitung desselben Charakters versucht; sie sollte den Namen »Echo von Elsaß und Lothringen« tragen. Doch kam der Plan durch ein »Veto« der Regierung nicht zur Realisierung.

Aber auch so, wie sie es nur immer vermochte, war die Kablésche Agitation öffentlich tätig, indem sie Straßburg wahrhaft überschüttete mit Flugblättern, die zu Tausenden per Post in die Häuser gesendet wurden, mit Anschlägen an Straßenecken und mit Inseraten in Zeitungen.

Die »Zürcher Zeitung«, ein doch ganz unparteiisches Blatt, bemerkt dazu: »In einem Land, wo so freimütig gesprochen werden darf, kann es mit der individuellen Freiheit nicht gerade schlecht bestellt sein.«

Im Elsaß wurde, im Vergleich mit Lothringen außer Metz, auch in allen späteren Jahren der Wahlkampf immer mit ungleich höherer Lebhaftigkeit und frischerem Interesse geführt, so wie sich überhaupt der Elsässer viel aktiver in Politik und öffentlichen Angelegenheiten erwies, als der verschlossenere Lothringer.

Der 29. Oktober brachte nun das Ergebnis der Reichstagswahl: auf der ganzen Linie Sieg der Protestpartei; in allen Schattierungen, vom leidenschaftlichen Purpurrot des Herrn Kablé bis zum gedämpften Rosa des Barons Dietrich.

*

Zum 5. Dezember war der Landesausschuß einberufen und bei dem Gastmahl, das Manteuffel zu dessen Ehren gab, hielt er wieder eine seiner großen Bekenntnis- und Verteidigungsreden, die man bewegte Epiloge, beziehungsweise Prologe zu seinen Taten nennen könnte.

Man hat öfters sein Auftreten die dramatisch-historische Inszenierung seiner Persönlichkeit genannt. Wenn es so wirkte, so war das jedenfalls nicht beabsichtigt oder bewußt, denn Affekt und Leidenschaft, die immer bei ihm wirkten, die grübeln eben nicht.

Die äußere Form von Manteuffels Auftreten bei solchen Redekundgebungen hatte freilich etwas Ungewöhnliches; seine Geste dabei war groß, den Blick zum Himmel gewendet, als empfinge er die Gedanken in erhabener Inspiration, so stand er, wie ein entrückter Seher, hoch aufgerichtet. Dichterische Sentenzen durchwoben seine Rede, und geschichtliche Bilder gaben ihr ein starkes Relief.

Wir bringen aus seiner sehr langen, eingehenden Rede eine Zusammenfassung der wichtigsten darin ausgesprochenen Gedanken, um damit das Kolorit des Zeitbildes und zugleich dessen Spiegelung und Wirkung in des Marschalls geistigem Wesen zu geben.

Der Marschall fühlte wohl, daß sich Trübungen in die bisher klare Atmosphäre zwischen ihn und die Herren des Landesausschusses gedrängt hatten. Um diese Verdunkelung zu klären, begann er vor allem, die Motive zu seinen letzten Regierungshandlungen darzulegen. Es galt ihm, die drei scharfen Maßnahmen (Sprachengesetz, Verbot der französischen Versicherungsgesellschaften und des Protestblattes »Presse«), als eine logische Folge des Verhaltens gewisser französelnder Kreise zu erweisen. Sie waren es auch tatsächlich, und es hatten die feindseligen Agitationen und die geheimen, fortgesetzten Verbindungen mit Frankreich auch einen ersichtlichen Einfluß auf die autonomistisch gesonnenen Kreise im Land und im Landesausschuß.

Manteuffel verwahrte sich in seiner Rede von Grund aus gegen die Unterstellung, als habe er eine schnellere Germanisation durch seine, als Zwangsmaßregeln aufgefaßten Amtshandlungen bezweckt. Er wies das weit von sich, als eine politische und geschichtliche Kurzsichtigkeit. Er begründete seine Maßnahmen vielmehr als für die Wohlfahrt des Landes notwendig; denn zum Wohlergehen einer Bevölkerung gehöre vor allem das Gefühl der Sicherheit von dem Bestand des Staatsverhältnisses, in dem sie lebe. Es werde fortdauernd versucht, die definitive Zusammengehörigkeit mit dem Deutschen Reich zu erschüttern, durch geheime Anknüpfungen nach Frankreich hin. Es würde in dem Lande das Bewußtsein wach zu erhalten versucht, als sei der Verband mit dem Reich nur ein vorübergehender; und es bedeute geradezu ein Handinhandgehen mit den französischen Revanchegelüsten, wenn durch Protestblätter (deren dreistestes er soeben unterdrückt habe) alte Empfindungen, die die politische Verständigkeit eigentlich zum Schlafen weisen müßte, zu leidenschaftlichem Leben aufgeschürt würden.

Auch das Verbot der französischen Versicherungsanstalten sei aus dem gleichen Wohlfahrtsmotiv ergangen. Weiter führte Manteuffel aus, daß das sogenannte Sprachengesetz eine Frage der nationalen Würde darstelle, und erlassen wäre, um dem Lande klar die Sicherheit zu geben, daß es in jeder Beziehung als deutscher Staat, mit deutschen Gepflogenheiten, Rechten und Pflichten sich fühlen dürfe und behandelt werde ...

Die Männer, die damals in Berlin, als das Reichsland zum erstenmal Abgeordnete in den Reichstag schickte, Protest einlegten gegen die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Deutschland, und eine Volksabstimmung beantragten, hätten eine falsche Analogie gezogen mit dem Fall, wo Napoleon III. ein Plebiszit eintreten ließ; – denn in jenem Fall handelte es sich um Departements, die nicht in einem offenen, ehrlichen Krieg und durch daran schließende Friedensabmachung gewonnen waren, sondern sie waren der Preis für die Unterstützung eines Bundesgenossen. Um bei naheliegenden, französischen Beispielen zu bleiben, so habe weder Ludwig XIV. noch Napoleon I. jene Theorie anerkannt.

Wörtlich sagte dann der Statthalter: »Solange es Weltgeschichte gibt, haben Feldschlachten über die Geschicke der Völker entschieden. Der deutsche Reichstag hat die Abstimmungstheorie auch nicht anerkannt, und kein Staat Europas. Sie ist eben nicht Völkerrecht geworden! Damit ist die Protestfrage abgemacht und tot.«

In seiner Rede erwähnte Manteuffel auch flüchtig die Anwendung des Diktaturparagraphen, in bezug auf die Ausweisung einiger Sozialdemokraten.

Er war sich wohl bewußt, daß er durch derartige Maßnahmen die Sozialdemokratie nicht dauernd fernhalten könnte; er hoffte aber, das Eindringen derselben zu verlangsamen, was auch tatsächlich für die Zeit seiner Verwaltung wahr geworden ist. Freilich haben dabei noch viele andre Ursachen, mehr sozialer Natur, mitgewirkt ...

Am Ende seiner Rede versicherte der Statthalter noch mit besonderer Wärme, daß ihm jene Maßregeln, weil er wisse, daß sie vieler Gefühle verletzen würden, sehr, sehr schwer geworden seien, und daß er trotz einer scheinbaren Härte fortfahren wolle, Empfindungen zu schonen und Wunden zu heilen ...

Gegenüber der außerordentlich scharfen Betonung, die Manteuffel auf den Ausfall der Reichstagswahlen gelegt hatte, wie er gewissermaßen die politische Richtung, in der weiter gehandelt werden sollte, abhängig machte von dem friedlichen oder feindlichen Geist, der sich in den Wahlen aussprechen würde, erschien seine Haltung und die Begründung seiner letzten Regierungsakte etwas schwach und hilflos. Mit absolutem Schweigen ging er über das, was er als das Bestimmende seiner künftigen Politik hingestellt, hinweg. Mit keinem Wort wurde das Ergebnis der Reichstagswahl gestreift. Er konstituierte bei diesem Gastmahl die Herren des Landesausschusses zu einer Art Gericht, dem er, ein im stillen von ihnen Angeklagter, seine Entschuldigungen aussprach; Entschuldigungen für entfremdende oder befremdende Handlungen, die er einerseits staatsmännisch zu begründen suchte, denen er aber gleich darauf ein weiches Mäntelchen von Gefühlspolitik umhing ...

Auch die Versicherung, im Raum eines Satzes, daß er wisse, solche Maßregeln würden die Gefühle vieler verletzen, und zugleich, daß er alles tun wolle, um Gefühle zu schonen, bedeutete einen Widerstreit zwischen seinem Wollen und Erkennen und seiner Empfindung, – und wirkte als Unsicherheit der Ziele.

Uebrigens stand in dem Urteil über diese Rede die Presse, auch die altdeutsche, unsrer Ansicht ziemlich nahe; teilweise urteilte sie, wie z. B. die »Nationalzeitung«, sogar viel schärfer; sie nannte Manteuffels Rede eine schwächliche Entschuldigung und ein Kennzeichen dafür, daß der Statthalter selbst seine Stellung für unsicher und geschwächt halte ...

*

Indessen kam es am 7. Dezember, anläßlich eines Gastmahls zu Ehren des Oberkonsistoriums, der Professoren der evangelisch-theologischen Fakultät, des Kapitels des Thomas-Stifts u. s. w. auf einem ganz andern Gebiet zu einer bedeutsamen Manifestation des Marschalls; sie gestaltete sich auch zu einer Rechtfertigung und Verteidigung – ein Zeichen dafür, daß Angriffspunkte vorhanden waren und Angriffe gemacht wurden, die ihn, der so gern nur der Mann der friedlichen Tat sein wollte, zum Kampf aufriefen.

Manteuffel gehörte der streng-orthodoxen Richtung des evangelischen Kirchenglaubens an. Und wie er sein Eigenpersönlichstes in die Behandlung jeder politischen, religiösen oder sozialen Frage hineintrug, so nahm er auch mit seinem bestimmt geprägten religiösen Ich Stellung in Kirchen- und Schulfragen des Reichslandes, und legte dementsprechend seine persönlichen Anschauungen unwillkürlich seinen Amtshandlungen zugrunde. In seiner Rede, den Vertretern kirchlicher und wissenschaftlicher Behörden gegenüber, wehrte sich nun der Marschall ganz entschieden, daß er solches in der Absicht habe oder gar in seinen Regierungsakten betätige.

Er sprach aus, daß er niemals Staatsgewalt und Glaubensrichtung identifizieren wolle, d. h. jene anwenden, um dieser Geltung zu verschaffen. Tatsächlich hatte er aber, der als gesetzliche Machtvollkommenheit der protestantischen Kirche gegenüber nur das Bestätigungsrecht hatte, seinen persönlichen religiösen Ansichten Einfluß gewährt auf seine Handlungen.

Es ist bekannt, und Manteuffel sprach es auch selbst in der Tischrede vom 7. Dezember aus, daß er gleich im Beginn seiner Verwaltung des Reichslandes die einzelnen evangelischen Geistlichen, die ihn begrüßten oder sich ihm vorstellten, fragte, wie sie sich zur Frage von der Gottheit Christi verhielten.

Nur ein absoluter Glaube an die Gottheit Christi galt ihm als evangelisch und erschien ihm unerläßlich für den Beruf des evangelischen Geistlichen.

Es war dieser Glaube der starke Hort seiner eignen Religiosität und Kirchlichkeit, und erschien ihm so sehr die Basis für den erlauchten Beruf der Gottesgelehrten, daß er danach forschen zu müssen glaubte, und dies sogar als heilige Gewissenspflicht erachtete. Und so hatte sich im Lande die feste Meinung gebildet, als lasse sich der Statthalter je nach dem ausgesprochenen Glaubensbekenntnis beeinflussen, wo es sich um Bestätigungen von Geistlichen in ihrem Amt handelte.

Es lag unleugbar etwas Eigenmächtiges und Unbefugtes in dieser individuellen Einmischung, und sie konnte nur allzuleicht auf einem Gebiet, dem Frieden und Einheit immanent sein sollten, zu Streit und Kontroversen führen.

Wenn nun auch Manteuffel in seiner Rede proklamierte, daß er bei Beurteilung von Personalfragen immer den Grundsatz befolgt habe, den Schiller Wallenstein in den Mund legt: »Und war der Mann nur sonsten brav und tüchtig, so pflegt ich eben nicht nach seinem Stammbaum, noch seinem Katechismus viel zu fragen,« – so war doch gerade durch des Statthalters Eingreifen in innerkirchliche Angelegenheiten Unruhe in sonst wohlgesinnte Schichten der Bevölkerung getragen. Denn die beiden protestantischen Kirchen (Augsburgischer Konfession und reformierte) hatten auf ihre Selbständigkeit dem Staate gegenüber jederzeit ein großes Gewicht gelegt.

Die Seminare und Präparandenanstalten waren vom Statthalter zu konfessionellen gestaltet worden, und es bestand nun offenbar in den Kreisen der Universität, der Philologen und auch der gebildeten Bürgerschaft der geheime Zweifel, ob der als sehr orthodox bekannte Statthalter nicht auch das Prinzip des Konfessionellen bei den höheren Unterrichtsanstalten, bei Wahl der Lehrer u. s. w. zum Ausdruck bringen könnte.

Aus dieser latenten Besorgnis waren wohl die bekannten »Resolutionen« zu verstehen, die veröffentlicht wurden von Professoren, Lehrern, Beamten, Aerzten u. s. w. aus Straßburg und aus dem Lande. Sie lauteten:

Angesichts der fortgesetzten Angriffe der ultramontanen Partei (es waren in der »Union« sehr aufreizende Artikel über dies Thema erschienen) auf die Unabhängigkeit des höheren Schulwesens in Elsaß-Lothringen erklären die Unterzeichneten im Interesse des konfessionellen Friedens, der nationalen Gesittung und der ungestörten Fortentwicklung der Wissenschaft: 1. an den staatlichen höheren Schulen ist, mit Ausnahme der Religionsstunden, der Unterricht wie bisher, konfessionslos zu erteilen; 2. es ist zweckmäßig, daß die Konfession der Schüler Berücksichtigung findet, aber grundsätzlich sind die Lehrer nach ihrer wissenschaftlichen und pädagogischen Brauchbarkeit und nicht nach ihrer Konfession zu wählen. (Folgen mehr denn 300 Unterschriften.)

Manteuffel begründete nun in seiner Rede die Nichtbestätigung des Pfarrers in Hatten als politische Maßregel, der jede dogmatische Erwägung fernläge. Diese Motivierung erschien aber hinfällig, da ausgesprochenermaßen als der einzige Grund der Nichtbestätigung von Manteuffel angegeben ward, der Geistliche erscheine ihm nicht geeignet, in eine große, in religiöse Parteien gespaltene Gemeinde Frieden zu bringen.

Das aber ist kein politischer Grund, sondern eine Erwägung, der amtliche Konsequenzen zu geben nur in der Befugnis der Kirchenbehörde lag. In seiner Tischrede vom 7. Dezember wandte sich nun der Statthalter ziemlich scharf gegen die Tendenz der Resolutionen; er sah darin ein Mißtrauensvotum gegen die Festigkeit seines Charakters, von dem man zu glauben schiene, daß er schwankend gemacht werden könne von dem Anprall gewisser Kreise, und daß er dem Andringen auf Umänderungen im höheren Schulwesen nicht zu widerstehen vermöge.

Diese Haltung in kirchlichen und Schulfragen war ein recht sprechender Beweis dafür, wie bei dem bedeutenden Mann oft die Strömungen des Gefühls mit der Erkenntnis seines Geistes und der Richtung seines Willens in Konflikte gerieten und die Einheitlichkeit seines Handelns stark gefährdeten. Gewisse Aktionen sind nur daraus zu erklären, daß bald die eine starke Seite seiner Begabung, bald eine andre die bestimmende Führung übernahmen.

So kam es denn, daß sich überall, bei den Eingeborenen und den Eingewanderten, eine leichte Unsicherheit des Vertrauens fühlbar machte, die sich bisher mehr in schwüler Stimmung äußerte, als daß sie aktiv und erkennbar zum Ausdruck kam, und auch die Form direkten Mißtrauens zu des Statthalters Regierungsweise nicht annahm.

Die Haltung Julius Kleins, der ein unparteiischer Mann von wohlwollender Gesinnung und ein weitblickender Politiker war, ist dafür symptomatisch. Er begann zum erstenmal gesprächsweise (nicht offiziell) Zweifel zu äußern, ob Manteuffels Politik, die sehr ideale Forderungen stellte, und sehr optimistische Versprechen gab, befriedigende Erfolge erzielen würde.

Das Sprachengesetz hatte besonders erregend auf die Gemüter, insbesondere der Abgeordneten gewirkt; die Maßregel, die an sich ganz natürlich und geschichtsnotwendig war, erschien Klein ungerechtfertigt und im Widerspruch zu Manteuffels wiederholter Proklamation von dem »Wunden heilen« und dem »Eingehen auf jeden Wunsch und berechtigte Eigentümlichkeiten« zu stehen.

Maßnahmen, die sich als logische Konsequenzen, einesteils aus den geschichtlichen Ereignissen und anderseits aus der Entwicklung der Dinge ergaben, erschienen ihm und vielen als Härten, weil sie nicht auch Konsequenzen von des Statthalters öfters beteuerten Empfindungsanschauungen waren ...

Anfang Januar (1882) brachte das autonomistische »Elsässer Journal« einen Artikel über das Sprachengesetz, der die lauer gewordene Stimmung, auch in den wohlwollenden Elsässer Kreisen insofern wiedergab, als er Kritik an dem betreffenden Gesetz übte, es für verfrüht erklärte, und besonders tadelte, daß man zwar die Öffentlichkeit der Verhandlungen, aber nicht die Unverletzlichkeit der Abgeordneten bewilligt habe.

Als ein andres, charakteristisches Zeichen von Verstimmung der Abgeordneten muß es bezeichnet werden, daß Baron Bulach (Vater) im Landesausschuß Ende 1881 eine ziemlich leidenschaftliche Liebeserklärung für das Französische als Geschäftssprache für das kleine elsaß-lothringische Parlament in erregter Form gab, und daß sein Mißmut über das Sprachengesetz auch darin zum Ausdruck kam, daß er, der bisher die Frage des Baues eines würdigen Landesausschußgebäudes für eine Notwendigkeit erklärt und mit großer Energie verteidigt hatte, nun aussprach, ob nicht diese Frage besser auf unbestimmte Zukunft zu vertagen sei ...

Es gärte eben in den Geistern, und zum ersten Male war im Schoß des Landesausschusses eine stärkere Gegenströmung zu des Statthalters Regierungsweise fühlbar. Wir werden bald sehen, in welchen ersichtlichen Formen sie auch zutage trat.

*

Inzwischen war von Berlin her ein Erlaß des Königs von Preußen gekommen, der an sich mit der reichsländischen Politik nur in sehr losem Zusammenhang stand, aber von Manteuffel am 10. Januar (1882) eigens zur Nachachtung für die Landesbeamten publiziert wurde.

Dieser sogenannte »Beamtenerlaß«, der im Kern eine Betonung des monarchischen Gedankens und eine Stärkung der monarchischen Macht gegenüber gewissen Bestrebungen der Parlamente bedeutete, und Minister und Beamte in den Rahmen wies, pflichtmäßige Vollstrecker der monarchischen Entschließungen zu sein, und die Rechte des Königs vor der Verdunkelung durch parlamentarische Bestrebungen und Auffassungen zu bewahren, kam im Reichstag zur Verhandlung.

Fürst Bismarck trat in einer mächtig packenden Rede für den Erlaß ein, und zwar in seiner Eigenschaft als königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat.

Dem Erlaß wurde nicht nur eine speziell preußische Bedeutung gegeben, sondern es wurde anerkannt (auch durch die ausdrückliche Betonung dieses Gedankens in des Freiherrn v. Stauffenberg Rede), daß er eine Bedeutung für das Reich habe, und von Manteuffel dies auch in Elsaß-Lothringen anerkannt sei, durch seine Publikation »zur Nachachtung für alle Beamten«.

Dieser Erlaß ward auch in politischen Kreisen des Elsaß und in der Presse des Landes sehr lebhaft besprochen. Es ward hervorgehoben, daß die Stärkung und Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Krone Preußens untrennbar verbunden sei mit der Stärkung der Würde und Macht des Reichsoberhaupts.

Die Schmälerung der Rechte des Königtums würde auch den Niedergang des Kaisertums und Reichs unfehlbar nach sich ziehen. Es wurden wohl auch staatsrechtliche Bedenken und Zweifel laut über die Gültigkeit des Erlasses für Elsaß-Lothringen, aber am Ende beschied man sich damit, daß der Erlaß im Reichstag und nicht im preußischen Abgeordnetenhaus verhandelt, und daß Stauffenberg, der besonders die Ausdehnung auf das Reichsland hervorgehoben habe, die Befugnis des Statthalters zur Veröffentlichung nicht angezweifelt und niemand im Reichstag dagegen Einspruch erhoben habe.

Jedenfalls hatte des Königs Kundgebung für Preußen ein in das Reich hin wirkendes Echo erfahren und fand sogar einen Verkünder und Vertreter in dem sonst sehr streitbaren und nicht immer preußisch-regierungsfreundlichen Abgeordneten Windhorst.

Tatsächlich und praktisch hatte in jener Zeit übrigens die Publikation des Erlasses für Elsaß-Lothringen keine Bedeutung, da an eine Bildung parlamentarischen Regiments überhaupt nicht gedacht werden konnte, – und was die Stellung der Beamten zu den Wahlen, resp. deren Tätigkeit dafür betraf, so lag keine einzige Tatsache vor, die einen Hinweis auf die Beamtenpflicht hätte nötig erscheinen lassen. Für die damalige Epoche wirkte daher diese Ausdehnung der königlichen Kundgebung auf das Reichsland nur wie eine historische Arabeske ...

Freilich muß anerkannt werden, daß der Erlaß für die Zukunft einen Wert haben konnte, insbesondere für das Verhalten der politischen Beamten bei allen Arten von Wahlen.

Im Landesausschuß, der eine sehr lebhafte politische Regsamkeit zeigte, gingen wieder bekannte Erscheinungen und Geister um, die alljährlich auftauchten: Schulfragen, die teils im klerikalen Sinn von Winterer, teils im französierenden von Goguel (die französische Sprache als Unterrichtsgegenstand in den Volksschulen einzuführen) behandelt wurden.

Der Staatssekretär (damals Hofmann) wies aber alle diesbezüglichen Anträge mit ruhiger Logik und Beredsamkeit zurück.

Auch war die Bewegung der Landesausschußmitglieder gegen das Sprachengesetz noch sehr mächtig; sie drängte zu erkennbarer Ausdrucksform und fand eine solche zunächst in einem Antrag von Winterer, den er gegen Mitte Februar 1882 im reichsländischen Parlament einbrachte. Der Antrag ersuchte die Regierung, die geeigneten Schritte zur Abänderung der Bestimmung des Reichsgesetzes vom 21. März 1881 zu tun. Das Gesetz, das im März 1882, also in dem Jahr, von dem wir sprechen, in Kraft treten sollte, würde eventuell in der nächsten Session zum erstenmal zur praktischen Anwendung kommen.

Dies drohende Gespenst rüttelte seine Gegner zu leidenschaftlicher Aktion empor. Winterer, der sein Eingreifen davor verwahrte, als einen Akt der Opposition zu gelten, plaidierte allerdings nicht für Aufhebung des Gesetzes, sondern nur dafür, daß die Regierung einen Modus finden möge, Mitgliedern, die des Deutschen völlig ohnmächtig seien, die volle Ausübung ihres Mandats zu ermöglichen. Der Staatssekretär stellte sich in seiner Antwort bedingungslos auf den Standpunkt, daß die Regierung sich in der Unmöglichkeit sähe, dem Antrag Folge zu geben.

In der Abstimmung gelangte der Antrag einstimmig zur Annahme.

Ehe die Frühjahrssession geschlossen wurde, brachte noch Ch. Grad einen Antrag ein, betreffend die endgültige Verfassung von Elsaß-Lothringen; derselbe stellte das Ersuchen an die Regierung, die nötigen Schritte bei der Reichsregierung zu tun, um dem Land eine seine politischen Befugnisse regelnde und seinen Abgeordneten die parlamentarische Unverletzlichkeit zusichernde Verfassung zu geben.

Der Antrag Grad wurde nach kurzer Begründung angenommen.

Am 16. Februar wurde der Schluß der Session verkündet.

Diese Tagung (Frühjahr 1882) hatte insofern eine geschichtliche Bedeutung, als sie die letzte war, in der das Französische als Geschäftssprache geübt wurde. Sie zeigte noch ziemlich leidenschaftliche, teils auch recht feindselige Hinwendungen zur Vergangenheit, und fast fieberhaft ängstliches Festhalten daran.

Ein bis dahin zurückgedrängtes, oder vielleicht sogar teilweis durch Manteuffels entgegenkommende Haltung und seine allzuweit gehenden Versprechungen besiegtes Mißtrauen gegen die neuen, geschichtlichen Verhältnisse im Reichsland reckte sich wieder kampfbereit empor. Das war der Geist, der jetzt transparent durch alle Kundgebungen der Elsaß-Lothringer schien, und der eine starke Scheidewand aufzurichten strebte gegen den neuerlich mehr in die Erscheinung tretenden deutschen Geist.

Am 16. Februar versammelte der Statthalter die Herren des reichsländischen Parlaments noch einmal bei sich zur Tafel, – und der kurze Abschiedsgruß, den er ihnen da widmete, war in seiner Kargheit bedeutsam.

Manteuffels ausdrucksfreudige Natur verschloß sich plötzlich in ein ehernes Schweigen.

Das schöne Goethesche Wort: »Erwirb es, um es zu besitzen!« hatte ihm vielleicht unbewußt vorgeschwebt. Was durch die Macht der Waffen zum Besitz (zum materiellen zunächst) geworden war, wollte er durch Liebe erwerben, d. h. zum ideellen Besitz machen. Aus überschwenglichem Selbst- und Kraftbewußtsein sagte er sich: Ich bin ein Gottbegnadeter; ich kann, wenn ich nur unwandelbar will, Wunder wirken!

Aber – das war ein ehrgeiziger Traum. Politische Entwicklungen, innerliche Versöhnung mit neuen Regierungsformen, organische Verbindung mit neuen Kultur- und Lebensbedingungen, Dinge, die nur die allmächtige Zeit in der Geschichte vollendet, strebte Manteuffel an: allein als großer Zauberer zu bewirken. Eine ideale, aber vermessene Lebensforderung!

Und nun erkannte er auf einem Gebiet, das er voll grenzenloser Möglichkeiten glaubte, die er mit unbegrenztem Wollen zu realisieren suchte, plötzlich scharfe Grenzen und Schranken vor sich. Und – er zog sich zurück, weil er zu weit vorgegangen war, und schwieg, weil er zu viel gesagt hatte ...

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Wenn sich nun eine größere Zurückhaltung in offiziellen Kundgebungen zeigte, so war dafür in wesentlichen inneren Angelegenheiten des reichsländischen Verwaltungslebens ein rühriges Wirken und Streben bemerkbar.

Das kam in den sehr wichtigen, das Familien- und Staatswesen innig berührenden Fragen der Schule und des Kultus zunächst zum Ausdruck.

Am 21. April war eine kaiserliche Verordnung, betreffend die Errichtung eines Oberschulrats für Elsaß-Lothringen, erschienen, der ein Erlaß des Statthalters an den Staatssekretär vorausgegangen war, der mit jener in ursächlichem Zusammenhang stand. Beide Kundgebungen wurden von der Presse und von der Bevölkerung unterschiedslos beifällig begrüßt und als freiheitliche Fortschritte auf diesem Gebiet anerkannt.

Ein Durchbrechen der bisher vorwaltenden bureaukratischen Tendenzen, ein frischerer, weniger doktrinärer Zug eignet beiden Kundgebungen.

Die kaiserliche Verordnung setzte also eine technische Zentralbehörde ein, den Oberschulrat, zur Ausübung der dem Ministerium obliegenden Beaufsichtigung und Leitung des gesamten höheren und niederen Schulwesens.

Diese neue Behörde, deren Inslebentreten die bisherige Abteilung des Ministeriums für Unterricht ersetzte, sollte bestehen aus dem Staatssekretär als Vorsitzenden, einem Ministerialrat als Direktor und sieben ordentlichen Mitgliedern aus den Räten des höheren Unterrichtswesens. Eine Erweiterung erfuhr sie durch eine Anzahl außerordentlicher Mitglieder, die der Statthalter aus den Professoren der Universität, dem höheren Lehramt oder »sonstigen sachverständigen Kreisen« zu berufen hatte.

Manteuffels Begründung ging hauptsächlich von dem Gesichtspunkt aus, daß eine gewisse Einseitigkeit, die mehr von gelehrten, als von lebendig praktischen Gesichtspunkten ausginge, in der Führung des Schulwesens vermieden werden müsse. Auch war er der Ansicht, daß verschiedene Ausführungsbestimmungen der Regulative, die in den ersten Jahren nach dem Kriege entstanden und naturgemäß geboten waren, weil man auf die damaligen Verhältnisse Rücksicht nehmen mußte, den vielfach geänderten Bedingungen nicht mehr entsprächen und daher eine Revision der Regulative auf folgender Basis nötig sei: Die Schulen sollten nicht nur Unterrichtsanstalten, sondern auch Erziehungsanstalten sein.

Der Gedanke schien leitend in des Statthalters Ausführungen, daß es nicht der ideale Vollzweck der Schule sei, eine Anhäufung von Kenntnissen und von Lernstoff zu erzielen und ein gewisses Maß zu bewältigen, ohne auf die verschiedenen individuellen Möglichkeiten der Begabung einzelner Schüler Rücksicht zu nehmen. Ein besonderer Wert wurde neben den Bestrebungen für die psychische Entwicklung der Lernenden auch der physischen zugewandt und eine beachtenswerte Neuerung eingeführt durch die Einsetzung einer Kommission medizinischer Sachverständiger. Diese sollte des ernsten Amtes walten, die geistigen Anforderungen in Einklang zu bringen mit der körperlichen Leistungsfähigkeit.

In der letzten Zeit der Verwaltung des Oberpräsidenten v. Möller war bereits eine Verfügung erschienen, die eine Landesschulkommission mit den Befugnissen des ehemaligen höheren Unterrichtsrats einsetzte; sie kam aber infolge der Neuorganisation der Landesverwaltung nicht zur Ausführung.

Um so freudiger wurden deshalb jetzt die kaiserliche Verordnung und der Statthaltererlaß begrüßt.

Die Altstraßburger Zeitungen »Elsässer Journal« und »Union« sprachen in dieser Frage einmal ein bedingungsloses Lob aus.

Man kann diese Einsetzung des Oberschulrats mit der besonderen pädagogischen Begründung des Statthalters für einen großen Erfolg seiner Verwaltung erklären.

Gerade durch die erweiterte Kommission der außerordentlichen Mitglieder kam zu den wissenschaftlichen und rein schultechnischen Gesichtspunkten, von denen aus die Schulfragen bisher behandelt wurden, eine Fülle von Urteilen und Gründen des praktischen Lebens, die sowohl läuternd, als jede Einseitigkeit ausschließend wirken mußten.

Als die neuernannte Behörde im Mai zur ersten Plenarsitzung zusammentrat, wurde sie von Manteuffel mit einer kurzen Ansprache begrüßt, die vor allem die Bitte aussprach, politischen und konfessionellen Ansichten keinen Einfluß auf Beratungen und Entschlüsse zu gewähren, sondern nur einen Gedanken leitend sein zu lassen: Elsaß-Lothringen kräftige, gottesfürchtige und geistig entwickelte Söhne zu erziehen ...

Es war, als ob sich Manteuffel des Staates oft gerühmter, bester erzieherischer Werte für das Volk wieder stark erinnert habe: der Schule und des Heeres!, denn er hatte in letzter Zeit gerade diesen beiden seine Aufmerksamkeit und Tätigkeit geliehen. Der Schule in den eben besprochenen Verwaltungsaktionen und dem Heer insofern, als er, der Oberbefehlshaber und kommandierender General des XV. Armeekorps war, aber letzthin wegen Ueberbürdung den Gouverneur von Straßburg stellvertretend mit Ausübung der militärischen Funktionen betraut hatte, nun wieder lebhaft begann, sich mit Paraden, Hebungen, Besichtigungen u. s. w. in allen Garnisonen des Reichslandes zu beschäftigen; und zwar tat er das sehr eingehend, mit besonderer Berücksichtigung des einzelnen Mannes und seiner Leistungen.

Es mag nun Zufall oder tiefere Absicht gewesen sein: tatsächlich war die Wirksamkeit des Statthalters den beiden mächtigen Staatsstützen, Schule und Heer, in dieser stilleren Zeit der Einkehr besonders gewidmet.

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Während des Statthalters Abwesenheit vollzog sich im Schoß des Ministeriums eine recht eingreifende Veränderung: der Unterstaatssekretär des Innern, Herr v. Pommer-Esche, schied aus, und der bis dahin zur Abteilung des Innern ressortierende Kultus wurde dem Unterstaatssekretär der Justizabteilung unterstellt.

Es ist nicht sicher bekannt geworden, ob es in erster Linie eignen Wünschen des Unterstaatssekretärs entsprang, aus der elsaß-lothringischen Regierung auszuscheiden; wir sind aber geneigt, anzunehmen, daß die etwas steife, bureaukratische Art des Herrn v. Pommer-Esche der mehr genialen Geistesart Manteuffels nicht sympathisch war. Er hielt Pommer-Esche von demselben Geist imprägniert wie den ersten Staatssekretär, ja, er schien ihm eine Persönlichkeit Herzogscher Observanz.

Die Gegnerschaft und das tiefe Mißtrauen gegen Herzog und gegen alles, was in dessen Richtung gravitierte oder daran streifte, lag ihm zu tief im Blut – und solche abgeneigte Gefühle mögen auch für die Wertung des Herrn v. Pommer-Esche als elsaß-lothringischer Unterstaatssekretär mitwirkend gewesen sein.

Für die vornehme Gesinnungsart Manteuffels sprach es wiederum sehr, daß er eifrig bemüht war, dem Mann, den er im Reichsland nicht am rechten Platz erachtete, in Preußen eine äquivalente, hervorragende Stellung zu verschaffen, und daß er sehr unangenehm berührt war, als Pommer-Esche in Preußen zuerst ein Regierungspräsidium von geringerer Bedeutung erhielt.

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Ganz überraschend fiel in die sommerliche Stille noch die Beratung einer das Elsaß interessierenden Frage im Reichstag, und zwar in der letzten Stunde vor dessen Vertagung.

Die im reichsländischen politischen Leben immer noch latent wirkende Sprachengesetzfrage kam wieder in eine eruptive Phase. Der Lothringer Germain brachte mit einigen Gesinnungsgenossen einen Antrag, die Geschäftssprache des Landesausschusses betreffend, ein. Er wurde in erster Lesung nach kurzer Debatte, in zweiter ohne Debatte angenommen. Die dritte, entscheidende Lesung mußte bis zur Wiederaufnahme der Reichstagssession vertagt werden. Für die bedingte Zulassung der französischen Sprache in den öffentlichen Verhandlungen des Landesausschusses stimmten die Fortschrittspartei, Sezessionisten, Zentrum, Polen und Sozialdemokraten.

Die Ablehnung des Antrags im Reichstag brachte erst die dritte Lesung, die zugleich eine Verhandlung von stark erregter politischer Leidenschaft und von allgemeiner politischer Bedeutung bewirkte. Danach trat aber auch ein endgültiges Verstummen dieser Frage im parlamentarischen Leben ein ...

Die Schulfrage, für deren Behandlung Manteuffel vielfach den Rat des bedeutenden Philologen, Universitätsprofessors Studemund, einholte, war indessen im Laufe des Sommers und Herbstes (1882) durch Sitzungen, Abgaben von Gutachten, Vereinigung der Resultate der Gesamtberatung in einer Broschüre so wesentlich gefördert, daß zur Umgestaltung der Regulative geschritten werben konnte. Diese ruhig-ernste, mit lebendigen Bedürfnissen rechnende Behandlung der so sehr wichtigen Schulfragen hatte fortdauernd fühlbar in weite Kreise der Eingeborenen eine friedliche Strömung gebracht. Gerade diese Frage, die in die intimsten und vitalsten Interessen der Familie drang, konnte der beste Friedensbringer deutschen Geistes und deutscher Kultur sein. Es erwies sich ja leider bei jeder Gelegenheit, wie lebensnötig ein solcher Friedensbote war, daß noch viel Zündstoff überall in den Geistern und Gemütern lag, und daß der leiseste, springende Funke oder das unschuldigste Lichtlein manchmal genügte, ein Aufflammen hervorzurufen.

Allzulange hatte die deutschfeindliche Presse uneingeschränkt walten dürfen; sie hatte die Freiheit, die ihr die Negierung großmütig bewilligt, zur Schrankenlosigkeit erweitert. Keine Grenze und kein Maß hatte sie gefunden in der Anknüpfung und Verbindung mit französischen Chauvinisten. Systematisch hatte sie politische Leidenschaften, die die Ereignisse und Forderungen der Geschichte hätten dämpfen müssen, immer wieder aufgerührt; und wenn auch das kühnste Organ des Protestes, die »Presse von Elsaß und Lothringen«, durch Verbot verbannt war: der feindlich-mißtrauische Geist war nicht gebannt, sondern glühte in heimlichen Feuern fort.

Das erwies sich z. B. besonders auffallend bei einer Nachricht, die Mitte Juli auftauchte; nämlich daß die Regierung die Erlaubnis erteilt habe zur Wiedereröffnung des Klosters der Damen vom Sacré cœur de Jésus«.

Es wurden an diese Nachricht, die bestimmt auftrat und überall Glauben fand, langatmige politische Artikel geknüpft, die alle eine scharfe Kritik an des Statthalters sogenanntem »unverständlichem Doppelspiel« des Regierungssystems übten.

Elsässische Zeitungen, wie das sonst so maßvolle »Elsässer Journal«, wiesen aus die befremdende Erscheinung hin, die darin läge, daß, trotzdem aus den Reihen der Klerikalen (Winterer, Simonis, Guerber) fortdauernd der deutschen Regierung Gegnerschaft bewiesen würde, diese sich doch auf besten Fuß mit der klerikalen Welt stelle und ihr Zugeständnisse mache.

Dabei war diese Nachricht in die Luft hingestellt gewesen ohne die leiseste Begründung – denn laut Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1873 war die » Société du sacré cœur de Jésus« als dem Jesuitenorden verwandte Genossenschaft zu betrachten, deren Niederlassungen durch das Reichsgesetz (4. Juli 1872) verboten bezw. aufgehoben waren. Also eine Nachricht, die sich bei ruhiger Betrachtung sogleich in ihrer wahren Gestalt, nämlich als basisloses Gerücht erwiesen hätte, wurde gierig erfaßt zu Angriffen gegen Manteuffels Politik.

Die letzten Monate des Jahres 1882 waren von einem regen, teils sogar erregten, politischen Leben erfüllt. Das war erstens veranlaßt durch Wahlen der Gemeinderäte, also die vorbereitende Wahl zum Landesausschuß, dann durch die Verhandlungen im Reichstag, die in dritter Lesung den Antrag Germain gebracht hatten, und endlich durch die Metzer Wahl des Tierarztes Antoine zum Reichstag – ein Ereignis, das sich tatsächlich und in seinen Konsequenzen zu einem hochpolitischen entwickelte ...

Es offenbarte sich beim Ausfall der Wahlen zum Landesausschuß, daß das Sprachengesetz, das von den oppositionellen Parteien und von gemäßigten Elsässer Politikern als eine Art apokalyptisches Gespenst geschildert worden war, das sich drohend vor die Pforten des reichsländischen Parlaments stellen oder doch die Herren zum Stummsein verdammen würde, bei hellem Taglicht der Wirklichkeit als ein Phantom verflatterte; das Leben bewies eben fast das Gegenteil der überlebten Prinzipien und grauen Theorien. Denn tatsächlich hatte das Sprachengesetz keine Einwirkung auf die Kandidaturen gehabt, die im wesentlichen die gleichen waren wie früher. Einige heißspornige Zeitungen nannten das einen »Marasmus« des politischen Gefühls im Elsaß; in Wahrheit aber war es wohl der gesunde Kompromiß mit den Bedingungen, die die lebendige Geschichte stellte.

Dagegen konnte kein Heißsporn den Verhandlungen im Reichstag über den Antrag Germain den Vorwurf von irgendwelchem »Marasmus« machen –, sie wurden mit leidenschaftlichem Feuer geführt, das die eigentlich versteckte politische Absicht in dem Antrag grell beleuchtete trotz aller Bemühungen Winterers, die Frage als eine rein formale Höflichkeits- und Zweckmäßigkeitsfrage hinzustellen.

Auch die altdeutschen Zeitungen, unter ihnen besonders die sehr bedeutenden »Nationalzeitung« und »Kölnische Zeitung«, hatten ganz entschiedene Stellung gegen den Germanischen Antrag genommen, und überall wurde der politische Kern der Sache aus den Hüllen heraus erkannt, die seine Verteidiger sehr geschickt, aber auch ziemlich transparent darum gelegt hatten.

Die nationale Seite wurde in den Reden Böttichers, Bennigsens, Treitschkes besonders hervorgehoben.

Der Grundzug, der durch die Debatte ging, war von den Gegnern des Antrags: die Betonung seines hochpolitischen Charakters, und von ihren Verteidigern: das fieberhafte Bemühen, ihn als einen Antrag, der eigentlich nur eine Geschäftsordnungsfrage, also eine interne Frage des Landesausschusses sei, zu behandeln.

Es war ja eigentlich eine Ungeheuerlichkeit und jedenfalls eine noch nie erlebte parlamentarische Erscheinung, daß ein vom Reichstag rechtskräftig beschlossenes Gesetz, ehe es noch in Kraft trat und auf seine Wirkung hin erprobt worden war, wieder abgeändert werden sollte.

Das Ergebnis der Diskussion war denn auch die endgültige Ablehnung des Antrags mit 153 gegen 119 Stimmen.

Als eine überraschende und bemerkenswerte Illustration zu der Behauptung der Elsässer, als sei ein sehr großer Teil der Bevölkerung, besonders auch der gebildeten Klassen, gar nicht in der Lage, deutsch zu verstehen, brachte die »Münchener Allgemeine Zeitung« die authentisch konstatierte Nachricht, daß von 82 politischen, sowie sonstigen Blättern und Zeitschriften, die im Reichsland gedruckt würden, 60 (!) in deutscher Sprache erschienen, 17 in französischer und 5 in beiden Sprachen; und in dem mehr französisch sprechenden Lothringen sogar neben 9 deutschen nur 7 französische Zeitschriften.

Wenn man jetzt, nach 20 Jahren, jenen erregten Kampf der reichsländischen Abgeordneten und der Presse in der Geschäftssprachenfrage betrachtet, wie darum wie um eine politische Lebensbedingung gestritten wurde, und wie sich dann die ganze Angelegenheit geschichtlich entwickelte, so erscheint dem unparteiisch Urteilenden jener heiße Streit ähnlich dem berühmten Windmühlenkampf des seltsamen spanischen Ritters Quichotte de la Mancha.

Die »notorisch« des Deutschen nicht Mächtigen haben freilich keine Reden gehalten, aber – das hatten sie auch früher nicht getan. Sie waren eben rednerisch nicht tätig, was ihre politische Mitwirkung absolut nicht wesentlich beeinträchtigte, da die Arbeit in den Kommissionen und die Abstimmungen im Haus ebenso politische Arbeit darstellen. Mandatsniederlegungen erfolgten außer der Antoines auch keine nach der endgültigen Ablehnung des letzten Vorstoßes in jener Frage durch Germain, und Wiederwahlen wurden angenommen. Somit hatten sich die Kassandraschen Voraussagungen der reichsländischen Deputierten nicht erfüllt. Das Sprachengesetz wirkte nur zeitlich unbequem, aber nicht dauernd hinderlich, und die Geschichte ist mit sicher siegendem Schritt darüber hinweggegangen.

Politische Gesetze werden eben nicht für augenblickliche, vorübergehende Situationen geschaffen, sondern nach den praktischen Bedürfnissen einer dauernden Gesamtlage, und sie werden vom staatlichen Recht und der nationalen Würde redigiert.

Der Gemahl der Verfasserin hat die Leitung des elsaß-lothringischen Ministeriums als Staatssekretär später 14 Jahre lang (unter Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst und Fürst Hohenlohe-Langenburg) innegehabt und mit dem Landesausschuß als mit einer politisch reifen und von entgegenkommend friedlichem Geist erfüllten Volksvertretung gearbeitet, und er kann konstatieren, daß stets sehr frisch und ohne Verschleppungen in deutscher Sprache diskutiert worden ist ...

Die sogenannten strengen Maßregeln des ersten Statthalters, die freilich als natürliche Reaktion auf sein allzuweites Entgegenkommen getroffen wurden: Sprachengesetz, Verbot der französischen Versicherungsgesellschaften, Verbot der »Presse« u. s. w., haben sich demnach als heilsame, feste Griffe eines einsichtsvollen Geistes erwiesen.

Das Ergebnis der Reichstagsabstimmung machte in ganz Deutschland, dem dadurch die elsässischen Verhältnisse wieder einmal besonders nahegerückt wurden, einen guten Eindruck, denn das deutsche Volk, der Reichstag und die verbündeten Regierungen bekannten sich zu der Ansicht, daß ihre Sprache tatsächlich, sowie rechtlich im Reichsland ebenso allgemein herrschend sein müsse als in allen übrigen Teilen des deutschen Vaterlandes.

Auf dem Gebiet des Unterrichts war Manteuffel weiter in förderndem Geist tätig, indem er durch einen Erlaß die Ausdehnung der reformatorischen Maßnahmen (auch der hygienischen) auf die höheren Töchterschulen und Elementarschulen anordnete.

So beruhigend aber der Wellenschlag auf diesem Gebiet war, so feindlich anstürmend gingen in Lothringen zu gleicher Zeit die Strömungen auf politischem Gebiet. Bézanson, der langjährige Abgeordnete für Metz, war gestorben; er war immer das führende Haupt der lothringischen Protestmänner gewesen. Als Ersatz für ihn kandidierte der Metzer Tierarzt Antoine, der aus dem Bezirkstag und Landesausschuß bekannt war, ein eifervoller Gefolgsmann der stets nach Frankreich, respektive nach Paris schauenden Opposition gegen die geschichtliche Neuordnung der Dinge.

Bismarck hatte sehr kurz und den Begriff erschöpfend die Herren von der Gesinnung Kablé-Antoine: die »Pariser im Elsaß« genannt.

Antoine veröffentlichte nun, zugleich in Metz und Paris (!), einen Aufruf, den er höchst charakteristisch » la voix française« nannte. In ihm waren die altbekannten Thesen des feurigsten Protestes verkündet, die mit einer besonders drastischen Variante des Urthemas folgendermaßen schlossen: »Ich werde im Reichstag erklären, daß die Annexion unsre Rechte als freie Männer und Bürger unter die Füße geworfen hat, und ich werde unsern Siegern, deren Richtschnur gewesen ist: ›Wehe den Besiegten!‹ laut wiederholen, was ich am 9. Dezember 1881 im Landesausschuß gesagt habe: Und trotz euch bleibt uns das, was ihr uns niemals werdet entreißen können, die Hoffnung! Wir werden warten; denn hoch über euerm Gebaren steht die Majestät des Rechts und der Gerechtigkeit. Würde, Unabhängigkeit, Hingabe, das wird meine Devise sein. Sie wird mir Kraft geben bis zu dem Tage, wo das Recht über die Gewalt siegt

In der »Indépendance Française«, die natürlich dem prahlerischen, phrasenhaften Aufruf ihre Sanktion gab, wurde fälschlich gemeldet, daß die deutsche Regierung den öffentlichen Anschlag verboten habe. Tatsächlich aber prangte der Wahlaufruf in Metz an allen Mauern.

Antoines politisches Gebaren wurde übrigens von einsichtigen und maßvolleren Landesbewohnern ernst verurteilt.

Kennzeichnend für den Geist der verschiedenen Zeitungen und Parteien des Reichlandes war deren Haltung in der Frage der Metzer Reichstagswahl. Die »Union« sprach sich, allerdings wohl mehr aus kirchlichen, wie aus politischen Gründen, gegen die Wahl Antoines aus. Die autonomistische Presse schwieg darüber; die absolute Negation und Opposition, die in Antoines Wahlmanifest lag, war ja im autonomistischen Sinne so unpolitisch wie möglich.

Alles, was der Aufruf Positives und Affirmatives enthielt, galt – Frankreich. Eine selbstverleugnende opferwillige Aktion in elsaß-lothringischen Angelegenheiten, das »Elsaß-Lothringen – den Elsaß-Lothringern« war völlig ausgeschaltet aus dem Programm. Und das war eben das Gegenteil aller Proklamationen der Autonomisten; ihre Presse schwieg also, weil sie hätte verdammen müssen, wenn sie gesprochen hätte.

Es ist hier noch nachzutragen, daß im Frühjahr 1882 eine Zeitung in Straßburg Einzug gehalten hatte, die sich durch scharfe Federführung auszeichnete: die »Straßburger Post«. Durch ihre nahen Beziehungen zur »Kölnischen Zeitung« (sie erscheint im gleichen Verlage und steht mit ihr in materieller und geistiger Verbindung), erwuchs sie von Anfang an aus einem besonders wurzelkräftigen Boden. Sie war (und ist) das Organ des maßvollen Liberalismus auf durchaus konstitutioneller Basis. Ein »Professorenblatt« ist sie öfters genannt worden; uns erscheint das als ein Lob, denn der deutsche Professor galt uns noch immer als der Repräsentant tiefer und gediegener Bildung.

Die »Straßburger Post« wirkt durch ihre sachlich-ernste Art, die jedem Sensationswesen und jeglicher Uebertreibung abhold ist, vermittelnd und vornehm, und ihre immer wachen und intimen Verbindungen mit dem elsaß-lothringischen Leben haben oft die wertvollsten Wirkungen und Anregungen erzielt ... Ihr ausgezeichneter Redakteur, Pascal David, der einen Schatz von reichen Erfahrungen und Kenntnissen mit hoher Intelligenz und klarem, politischem Blick vereint, hat der Zeitung während seiner jetzt mehr als zwanzigjährigen Leitung eine bedeutende Geltung im journalistischen Leben des Reichslandes und Altdeutschlands verschafft.

Doch zu Antoine zurück! Er wurde also, wie vorauszusehen war, am 17. Dezember (1882) in den Reichstag gewählt.

Das war nun fraglos ein schriller Mißton, der in die ruhigeren Noten der Manteuffelschen Politik hinein klang, wie sie sich in letzter Zeit in weiser Zurückhaltung und mit der Vorherrschaft kühlerer Verständigkeit markiert hatte.

Ab und zu brach sich freilich noch die alte Gepflogenheit Bahn: in erster Linie persönlichen, impulsiven Neigungen zu folgen.

So veranlaßt der Marschall die Verleihung eines Ordens an den Bischof von Metz. Durch Erlaß des Kaisers vom 11. Dezember 1882 wurde Dupont des Loges der Kronenorden zweiter Klasse mit dem Stern zuteil.

Wie der Bischof diese kaiserliche Huld, die ihm auf des Statthalters Anregung wurde, auffaßte, und welche Briefe und Handlungen er, in Konsequenz seiner Auffassung (die von seinem Standpunkt aus auch ihre ethische Berechtigung hatte) daran knüpfte, wollen wir darlegen. Damit diese ganze Angelegenheit klar geschaut und gerecht beurteilt werden könne, müssen wir ihre interessante Vorgeschichte mitteilen.

In Metz, das fast ausschließlich französisch sprechende Einwohner besessen hatte und auch noch lange nach der Neugestaltung der Verhältnisse durch den Krieg 1870/71 eine sehr große Zahl solcher besaß, waren die Predigten bisher in französischer Sprache gehalten worden. Mit der deutschen Einwanderung entstand nun in der Diözese ein neues, von Jahr zu Jahr wachsendes Kontingent von deutschen Katholiken, und damit erwuchs dem Bischof die Pflicht, diesen Diözesanen die Seelsorge, die mit dem Wort gegeben werden mußte, in ihrer Sprache zu vermitteln. Es wurde zuerst zwei Priestern die Erfüllung der geistlichen Pflichten: Predigt, Beichte, Religionsunterricht der Kinder, in deutscher Sprache übertragen und die schöne St. Clément-Kirche ihnen zu diesem Zweck angewiesen; auch präsidierte der Bischof mindestens einmal im Jahr einem ihrer feierlichsten Gottesdienste.

Mit der wachsenden Zahl der einwandernden deutschen Katholiken erwies sich der alleinige Gottesdienst in der St. Clément-Kirche als unzureichend, und für die Bewohner der Stadtteile, die weit abgelegen von dieser Kirche waren, auch als schwer erreichbar und infolgedessen allzu zeitraubend gegenüber den Verpflichtungen der beruflichen Arbeiten.

Demgemäß verordnte der Bischof in einem Rundschreiben, daß fortan in jeder Pfarrei allsonntäglich die große und die stille Messe zelebriert würde » suivie d'une instruction en allenand « – vor allem auch in der Kathedrale von Metz. Damit wurde also der deutsche Gottesdienst neben dem französischen in allen katholischen Kirchen von Metz eingeführt.

Dupont des Loges faßte das (wie es aus seinem Schreiben an Manteuffel auch hervorging) als eine Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten gegenüber deutschsprechenden Diözesanen auf, während Manteuffel in jener Aktion mehr den Ausdruck eines politisch-nationalen Gedankens sah; er schrieb, bald nach dem Inkrafttreten der bischöflichen Verordnung einen Brief an den Metzer Bischof, der begleitet war vom Kronenorden zweiter Klasse, den der Deutsche Kaiser dem Bischof verlieh. Der Brief lautete:

Monseigneur!

Je reconnais trop en Votre Grandeur un véritable prince de l'église, pour ne pas savoir que, comme tel, vous êtes au-dessus de tout ce qu'on – pourrait nommer: ambition mondaine, et que les distinctions de ce monde ne vous touchent que peu.

Mais, connaissant vos sentiments religieux, je sais aussi, que Votre Grandeur sera touché d'une preuve de l'intérêt, que Sa Majesté l'Empereur porte aux âmes de ses sujets catholiques.

C'est dans ce sens, que j'ai l'honneur de vous envoyer les insignes de la décoration, que Sa Majesté vient d'accorder à Votre Grandeur, et d'y joindre l'ordonnance originale, dans laquelle l'Empereur, ce qui n'est pas l'usage chez nous, daigne notifier sa décision etc. ...

Diesem statthalterlichen Brief war außer dem Orden noch die kaiserliche Kabinettsordre beigefügt, die in sehr huldvollen Worten gegeben war.

Dupont des Loges, dem diese Auszeichnung völlig unerwartet kam, fühlte sich dadurch in peinliche Konflikte gesetzt. Den Orden ablehnen, hieße das Staatsoberhaupt, das ihm denselben als besonderen Gnadenbeweis verliehen hatte, verletzen, die Rücksicht gegen den Statthalter verfehlen, und höchst wahrscheinlich üble Folgen heraufbeschwören, die er weniger für sich persönlich, als für die religiösen Interessen der Diözese befürchtete.

Nach langem, ernsten Ueberlegen und nach »innigem Gebet« (wie er an einen befreundeten Geistlichen schrieb) kam er in seinem Gewissen zur Entscheidung und schrieb folgenden Brief an Manteuffel:

Metz, le 15 décembre 1882.

Monsieur le Maréchal!

J'ai reçu la lettre, pur laquelle Votre Excellence m'a fait l'honneur de in'former, que Sa Majesté l'Empereur me confère un de ses ordres, pour reconnaître le soin, que j'ai pris de procurer aux catholiques allemands, résidant à Metz, de nouvelles facilités, pour accomplir leurs devoirs religieux.

Je suis touché du haut intérêt, que le souverain daigne prendre aux efforts que nous faisons, mon clergé et moi, au milieu de graves difficultés, pour venir en aide à un grand nombre d'âmes, dont la direction spirituelle nous est confiée ... Cependant, Monsieur le Maréchal, la distinction, que vous m'annoncez, me surprend autant qu'elle me confond.

Dans les mesures récentes, que j'ai cru devoir adopter après de mûres et sérieuses réflexions, je n'ai eu d'autre mérite, que celui de satisfaire à l'obligation, que m'impose ma conscience d'evêque envers près de 10 mille catholiques, que les circonstances ont amenés à Metz, et qui ignorent plus ou moins complètement la langue française, la seule, parlée par la population messine. Votre Excellence me permettra d'ajouter l'expression d'un regret.

Pendant près de 30 ans, que j'ai eu l'honneur d'appartenir à l'épiscopat français, plus d'une fois le gouvernement me fit pressentir au sujet d'une semblable distinction, qu'il semblait désireux de me conférer, et chaque fois il voulut bien renoncer à son projet, par égard pour ma résolution, de me tenir à l'écart de toute préoccupation politique, et de me renfermer rigoureusement dans mes devoirs d'évêque. En cela je croyais devoir donner à mon clergé un exemple salutaire.

Si vous m'aviez confié d'avance les intentions trop bienveillantes de l'Empereur à mon égard, je vous aurais prié, Monsieur le Maréchal, de plaider auprès de Sa Majesté la même cause, que me rendaient doublement chère, et la fidélité à mon passé et la religion des souvenirs. Veuillez agréer etc. etc.

Paul, l'évêque de Metz.

Die Bemerkung in dem Schreiben des Bischofs über erfolglos ihm angebotene Dekorationen ist nicht ganz genau; sie kann sich nur auf solche Auszeichnungen beziehen, die ihm in Anerkennung der Ausübung seines bischöflichen Amtes verliehen werden sollten. In der Tat besaß Dupont des Loges das Kreuz der Ehrenlegion; es war ihm verliehen » pour services rendus pendant le blocus de la place« am 15. Oktober 1871. Er schrieb darüber an seinen Bruder: » Cette nouvelle croix, dans d'autres circonstances, aurait été pour moi un embarras et une vive contrariété. Aujourd'hui il n'en est plus ainsi: la population tout entière en a ressenti beaucoup de joie; c'est un souvenir de la France, et elle m'est donnée sur la proposition du ministre de la guerre pour cause de dévouement à nos chers blessés. Il paraît d'ailleurs que je ne pourrai porter cette décoration qu'avec l'autorisation de l'Empereur d'Allemagne, qu'assurément ne je solliciterai pas.«

Letztere Bemerkung ist nicht zutreffend, da der Bischof zur Zeit der Verleihung des Ordens französischer Staatsangehöriger war. Er hat aber die Ehrenlegion nie getragen.

Auf obiges Schreiben des Bischofs an den Statthalter beeilte sich Manteuffel, zu antworten; er suchte eine nähere Erklärung und Rechtfertigung seines Vorgehens zu geben, die aber wohl besser unterblieben wäre. Sein Brief vom 16. Dezember lautet:

» Confidentielle. Monseigneur, Je suis bien souffrant et le médecin m'a défendu de m'occuper des affaires et mes forces me permettent à peine, d'écrire une lettre. Mais je tiens trop à l'opinion de Votre Grandeur pour ne pas répondre immédiatement à la lettre, que Votre Grandeur a bien voulu m'adresser sous le 15 de ce mois. Elle est comme je l'attendais. Trop chrétien et trop grand-seigneur pour fair un éclat Votre Grandeur parle de ses sentiments avec la dignité d'un prince de l'église et d'un gentilhomme de noble race. Je respecte la religion de vos souvenirs, et la fidélité avec laquelle vous y tenez est une des causes de l'estime profonde que j'éprouve pour Votre Granduer. Si malgré cela j'ai proposé à l'Empereur de vous conférer une de ses décorations, je vous le confesse, Monseigneur, confidentiellement, que j'ai eu en vue l'intérêt de mon Empereur et que j'ai mis cet intérêt au dessus des égards que j'aime tant à avoir pour Votre Grandeur Elle-même. Je tiens à la gloire de l'Empereur dans l'histoire. Personne qui connait l'Alsace-Lorraine ne comprend les décorations conférées à Monseigneur l'évêque de Strasbourg et au clergé d'Alsace, les comparant au rien vis-à-vis de la grande position que Votre Grandeur prend dans les esprits et de la tenue tranquille et digne du clergé de la Lorraine. Cela faisait tort dans l'opinion publique à l'Empereur et j'en souffrais. Alors je crois qu'il y a un mois, Monseigneur Stumpf venait me voir et me racontait de vos arrangements pour des sermons en Allemand. J'ai prié alors Monsieur le Staatssecrétaire de prendre mes informations, ce qu'à mon grand regret on a fait trop officiellement. Mais les ayant reçues j'ai fait à l'Empereur un rapport dans lequel je Lui ai dit, l'évêque de Metz a donné tel et tel ordre. Ne croyez pas Sire, que cela prouve un approchement à l'Allemagne, l'évêque est et restera Français dans le fond de son âme, mais ce que je respecte c'est que l'évêque au dessus de tout ce qui est sympathie ou antipathie politique ne pense qu'à sa conscience, ayant le courage de froisser même l'opinion du jour il s'agit de sauver les âmes des catholiques parlant allemand dans son diocèse. Si l'Empereur n'avait pas compris ce qu'il y a de fond religieux dans l'action en question, Il n'aurait pas répondu, ou Il aurait donné une décoration à Votre Grandeur au Ordensfest. Mail l'Empereur a répondu immédiatement et a daigné donner les motifs pour lesquels Il confère la décoration à Votre Grandeur. Cette décoration n'a pas le sens ordinaire, c'est la forme dans laquelle l'Empereur a voulu prouver son intérêt pour le salut des âmes de ses sujets catholiques.

J'ai été très franc, je sais que je me confie à Votre Grandeur mais je ne pas puis continuer, mes forces me quittent, je prie Votre Grandeur de me garder votre bonne opinion et d'agréer l'expression de ma plus haute et respectueuse considération.«

Als nun die Veröffentlichung der Ordensverleihung, die Dupont des Loges merkwürdigerweise nicht erwartet zu haben schien, erfolgte, publizierte der Bischof seinen » lettre de refus«, wie er in der französischen Presse genannt wurde. In Wahrheit war aber nicht von » refus«, sondern nur von » regret« die Rede gewesen in jenem Schreiben.

Diese Publikation des Bischofs erregte ungeheures Aufsehen, vorzüglich natürlich in Frankreich; außerdem machte sie aber auch » le tour du monde entier«.

Dupont des Loges wurde in den extravagantesten Lobeserhebungen gefeiert, und die Berichte der Pariser Blätter klangen wie Apotheosen für einen Heiligen, der eine erlösende, patriotische Tat vollbracht hätte ...

In übertreibendsten Worten wurde der Bischof für die »wachende Seele Frankreichs in Metz« erklärt. Der bischöfliche Palast wurde gestürmt von einer wahren Hochflut von Kundgebungen, aus Frankreich, Algier und den französischen Kolonien.

General Bourbaki, der früher in Metz befehligt hatte, sandte sein Bild an Dupont des Loges mit der Inschrift: » Bourbaki présente l'hommage de son respect à Monseigneur Dupont des Loges, évêque de Metz, défenseur dans cette chère et malheureuse cité de la religion de nos pères et de l'amour de la France.«

Und Gambetta, der zum Sterben krank war, sandte von seinem Schmerzenslager die Worte: » Merci au nom de la patrie française tout entière!«

Dupont des Loges war von dieser ganzen Angelegenheit seelisch tief erregt und hin und her gerissen von den mannigfachsten Empfindungen, die noch besonders kompliziert wurden durch den in solcher Wucht nicht vorausgesehenen Eindruck, den die Ordensverleihung und ihre Begleiterscheinungen in Frankreich überall hervorriefen.

Der Bischof fühlte sich innerlich genötigt, seine Gedanken und Empfindungen darüber an Befreundete und Bekannte auszusprechen. Ein Brief an den Bischof Msgr. Hacquard von Verdun ist in dieser Hinsicht besonders bezeichnend; er lautet:

» Vous avez deviné avec votre cœur d'ami les cruelles angoisses, par lesquelles j'ai passé. J'ai bien éprouvé la vérité de cette parole de M. de Bonald: ›Le plus difficile n'est pas toujours, de faire son devoir, mais de savoir, où il est.‹ En acceptant cette décoration, qui me tombait sur la tête comme un pavé, je perdais ma situation; en la refusant, je m'exposais au ressentiment de celui, qui me le donnait ... Je devais gagner de vitesse les mauvais journaux, dont quelques-uns avaient déjà exploité contre moi la simple annonce du décret impérial ... Je n'ai point renvoyé la décoration: je l'ai reçue, mais je ne l'ai point acceptée.

C'est une nuance diplomatique. Mais cette affaire a pris les proportions d'un événement politique, dont les suites me sont inconnues. Je prie Dieu, et je vous demande de le prier avec moi, qu'il n'en résulte rien de fâcheux pour mon chère diocèse.«

Der Verlauf der Angelegenheit hinterließ übrigens keine dauernde Verstimmung zwischen Manteuffel und Dupont des Loges. Am 6. September 1883 schrieb letzterer an den Abbé Dieu:

» Il y a quelques jours, le maréchal étant à Metz pour une revue, est venu me voir et, après un seul mot dit sur la fameuse lettre, a ajouté, qu'il n'en fallait plus parler, et le reste de la conversation a été des plus affectueux. Voilà donc tous les nuages dissipés ...«

Nach dem Tode des Bischofs wurde das kleine Päckchen mit dem Kronenorden uneröffnet und noch mit dem Manteuffelschen Siegel versehen vorgefunden ...

Diese ganze » affaire de décoration« mit dem » lettre de refus« gehört in ein Kapitel aus des Statthalters Leben und Wirken im Reichsland, das mehr für die freigebige, impulsive Güte seines Wesens, als für die unbedingte Klarheit seines politischen Urteils spricht ...

... Schon nach der Wahl Kablés hatte sich in Manteuffels Haltung bei Kundgebungen im öffentlichen Leben ein gewisses sensitives Zusammenschließen seines sonst jugendfrisch vorwärts strebenden Willens zur Tat offenbart. Dazu kam Antoines Wahl in Metz, die sich mit so besonders chauvinistischem Charakter inszenierte.

Das alles wirkte lähmend auf die Schwungkraft seiner politischen Ideale. Der hinreißende Zug der Begeisterung schien aus Manteuffels Seele gewichen; eine ernste Entsagung und Beschränkung war an die leere Stelle getreten, die in den Jahren vorher so frisch belebt war.

Auch aus seiner Rede war das Siegessichere und Verheißungsvolle verschwunden; er sprach überhaupt seltener, und wenn er es tat, dann klangen schwermütige, müde Töne vor ...

Am 15. Januar 1883 war die erste, öffentliche Sitzung des Landesausschusses, deren Verhandlungen in deutscher Sprache geführt wurden.

Es ward übrigens von der Presse und von den Anwesenden konstatiert, daß die Anwendung des Deutschen durchaus nicht das tempo presto der früheren Verhandlungen geändert habe, sondern daß eher mit erhöhter Lebhaftigkeit diskutiert wurde. Etwas bunt aufgeschmückt erschien das Deutsch freilich noch durch Anklänge aus dem ein wenig plump-behäbigen Elsässer Dialekt und durch französische Flickworte, – aber von einer Dämpfung der Redelust oder einer Abschwächung frischer Streitbarkeit, weil man mit ungewohnten Waffen kämpfte, war nichts zu bemerken.

Am Abend des 15. Januar hatte der Statthalter die Herren vom Landesausschuß zum Gastmahl bei sich versammelt, und er hielt seit langer Zeit wieder einmal eine größere Rede. Sie bedeutete im wesentlichen eine Befestigung des alten Programms und eine Begründung der strengeren Maßregeln durch die Haltung gewisser leidenschaftlich hervortretender Parteien, wie sie in den Reichstagswahlen zum Ausdruck gekommen.

Neu war in dem alten Programm die scharfe und unbedingte Verurteilung des letzthin durch Antoines Kundgebungen wieder besonders akzentuierten » protestation et action« der Protestler.

»Der Mut, solche Briefe und Manifeste zu veröffentlichen, ist wohlfeil, denn ich mache keine politischen Märtyrer,« proklamierte Manteuffel sehr bestimmt. Ein Ausspruch, der, weil er ihn zum festen Prinzip erhob, ihm verhängnisvoll wurde in der späteren Anklagesache von Antoine.

Die Rede des Marschalls, die teilweise sehr scharfe Urteile aussprach, klang aber wieder in den gewohnten Akkord aus: »Meine Politik wird trotz alledem die der Versöhnung und Gefühlsschonung bleiben.«

Es muß dem tiefer Hinhorchenden, dem, der zwischen den ausgesprochenen Gedanken noch die Untertöne innerster Seelenstimmung hört, auffallen, wie sich mehr und mehr ein müder, ja fast fatalistischer Zug durch Manteuffels Reden schlich. Es war jetzt viel mehr kühle Erwägung und sachliche Beweisführung als kühner Schwung in seinen Worten. Die Vertrauensseligkeit und der Wunderglaube, die jedem echten Idealisten innewohnen, schienen zu schlummern ...

In einer Reihe von praktischen Fragen für das Wohl des Landes hatte der Statthalter teils Widerstand, teils keine Unterstützung gefunden, und er schob nun das Scheitern seiner Pläne den elsaß-lothringischen Reichstagsmitgliedern und der von den Protestlern beeinflußten Bevölkerung zu. Die Wahrheit lag aber anders: er hatte Versprechungen gegeben, wie freigebige Geschenke eines Siegessichern, und er konnte sie nicht einlösen, weil der Boden, auf den er die reiche Saat edlen Willens und werbenden Gefühls gestreut, einfach noch zu spröde Schollen wies; er hatte mit offenen, empfänglichen Stimmungen gerechnet und sah sich einer unfruchtbaren Verschlossenheit gegenüber ...

Die eben skizzierte Rede des Marschalls hatte natürlich einen Widerhall in den Verhandlungen des reichsländischen Parlaments gefunden, der hauptsächlich in Reden des Baron Bulach Sohn und des Dr. Raesz sich markierte.

Eine fördernde Wirkung übten die Reden nicht, denn sie gaben als Antwort nur ein Betonen und Hervorkehren der alten, politischen Gesichtspunkte, keinen einzigen neuen, fruchtbaren Gedanken der Anknüpfung.

Das Beharrungssystem in einem festen Kreis, der kein Durchbrechen der Linien gestattete, war damals für die Stimmung und die Aktionen des Landesausschusses ebenso kennzeichnend wie für des Statthalters Politik, – und es fanden sich für ihre praktische Ausgestaltung keine Uebergänge aus dem einen Lager in das andre. Als gemeinsamer Grundzug trat allerdings in beiden fest umrissenen Kreisen die Fürsorge und das warme Interesse für das Wohl des Reichslandes hervor. Ueber die Wege dazu konnte aber, bei den beharrlich festgehaltenen Auffassungen und Prinzipien jedes der beiden Teile, eine Verständigung nicht erzielt werden.

Die Tischrede vom 15. Januar hatte aber doch offenbar gerade durch ihre mehr nüchterne und kühle Anschauung der augenblicklichen Lage und durch die scharfe Kritik, die sie an dem unversöhnlichen Programm Kablé-Antoine übte, eine Bewegung in die Gemüter getragen.

Der berechtigten Anklage folgte die – schwachbegründete Verteidigung. Das Fazit blieb aber doch: Beharren im alten Prinzipienzirkel.

Am 17. Januar veröffentlichte Kablé einen Brief, der eine Verteidigungsschrift für die Programmworte » protestation et action« bedeutete. Kablé deduzierte, daß er mit dem Ausdruck » action« keineswegs die in Handlung umgesetzte Theorie der » protestation« meine.

Die ursprüngliche Fassung des Programms sei gewesen: » protestation et abstention«; das habe man dann im Lauf der Jahre gewandelt, und » action« solle bedeuten, daß man nun tätigen Anteil an der Verwaltung des Reichslandes nehmen wolle. Nur in diesem Sinne und nicht im Sinne von »Kampf« sei das Wort » action« aufzufassen. – Das klang ja ganz friedlich und wie vom Willen zur politischen Selbstverwaltung des Reichslandes (Autonomie) diktiert.

Aber wenn man den Gedankenkern freilöste aus den Phrasenhüllen, so blieb nichts übrig als ein Widerspruch in sich.

Denn wer Protest aussprach gegen die Einverleibung Elsaß-Lothringens ins Deutsche Reich, wer gegen den völkerrechtlichen Friedensbeschluß und dessen Konsequenz Widerspruch erhob, der befand sich doch in voller Negation gegenüber den bestehenden Verhältnissen. Das war schon eine Kampfposition – das war Auflehnung gegen rechtlich Bestehendes, – und wenn diesem Protestprogramm noch das Wort » action« hinzugefügt wurde, so konnte doch unmöglich damit eine friedliche, gemeinsame Arbeit mit einer Regierung gemeint sein, deren berechtigte Existenz fortdauernd in Frage gestellt wurde.

Die Protestler, und das erscheint uns charakteristisch für deren ganzes Auftreten, faßten die durch den Krieg 1870/71 geschaffenen Zustände als einen Waffenstillstand auf, in dem sie auf Stärkung der Kraft des alten Vaterlandes und auf Vereinigung um jeden Preis mit ihm sannen. Die Waffen hatten im Geist und im Herzen die Protestler nie gestreckt; sie wichen nur widerwillig dem Zwang der geschichtlichen Verhältnisse; heimlich reckte sich die Faust fortwährend und suchte allüberall nach Waffen.

Manteuffel hatte nicht mit Unrecht den Ursprungsort des Wortes protestation in seiner Rede zitiert: Bordeaux!

Wie damals das Wort in leidenschaftlicher Kraft von Kablé lauter als von den andern elsaß-lothringischen Abgeordneten in die Nationalversammlung gerufen worden war, eine Auflehnung gegen die Losreißung vom Vaterland, so klang es noch zwölf Jahre später aus des alten Protestlers Seele. Ein verzweifelt festgehaltener Glaube, ein Stück Titanentrotz, der gegen den »Schritt Gottes in der Geschichte«, wie Bismarck die unsichtbare, gewaltige Macht nennt, anstürmte und über den dieser »Schritt« still, aber siegend hinwandelte.

Eine gewisse Unsicherheit und Unruhe machte sich jetzt im politischen Leben bemerkbar; dazu wirkten nicht nur die bereits dargestellten Vorgänge mit, sondern sehr erkennbar schienen auch einige Beschlüsse des Reichstages, wie die Ablehnung der französischen Militärpensionen und der in Neubreisach zu errichtenden Unteroffizierschule ein laueres Interesse der höchsten parlamentarischen Körperschaft des Reiches an der Entwicklung elsaß-lothringischer Angelegenheiten darzutun.

Das wurde auch von altdeutschen Zeitungen so aufgefaßt, und die »Nationalliberale Korrespondenz« nannte die Ablehnung (Neubreisach) eine der bedauerlichsten Entscheidungen des Reichstages. Sie knüpfte auch einen Tadel der Manteuffelschen Verwaltung daran, indem sie meinte, daß man die Früchte seiner Versöhnungspolitik immer spärlicher und zweifelhafter finde ...

Wenn die Zeitung freilich die Rede des klerikalen Elsässers, Abbé Simonis, in dieser Sache als symptomatisch für die Stimmung der Bevölkerung hielt, so mußte sie wohl zu jenem Tadel kommen.

Simonis' Rede strotzte von ungeheuerlichen Behauptungen, die ein klarer Blick auf die Dinge augenblicklich widerlegen konnte. Der berüchtigte »weinende Bauer« spielte darin eine Rolle, der angeblich hilflos und mit neuen Steuern belastet, vor den Toren der Städte und in den Dörfern vegetierte, während doch die bäuerliche Not und Unzufriedenheit eine Uebertreibung der Phantasie des Abbé Simonis war.

Er sprach auch vom Rückschritt der Städte Colmar, Straßburg und andrer, während ein geradezu blühender Aufschwung, insbesondere auch der Reichslandhauptstadt ersichtlich war, an öffentlichen Bauten, erhöhtem Leben in Industrie, Kunst und Wissenschaft und an steigenden Ziffern der Einwohnerzahl.

Aus solchen widerspenstigen und widersinnigen Auflehnungen gegen den derzeitigen Bestand der Dinge klangen in versteckten Noten immer Klagelieder um das Vergangene ...

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