Hermione von Preuschen
Yoshiwara - Vom Freudenhaus des Lebens
Hermione von Preuschen

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Vorwort zu »Yoshiwara« von Professor Dr. Sh. Chiba, Tokio.

»Keisi ni Makoto nashi Towa Soria Taga uta?
Makoto aru – made Kimo sezumi!«

(Wer wagt zu sagen, daß uns die Treue fehlt?
Wer kommt uns so nahe, daß er unsere Treue erprobt!)

So heißt ein altes Lied von Yoshiwara, dem »nachtlosen Schloß«, in dem zu jeder Zeit dreitausend Frauen wohnen, die jedes Europäers Mitleid erwecken, da er glaubt, sie säßen im Käfig wie die wilden Tiere im zoologischen Garten.

Er weiß ja nicht, daß das Gitter, das ihm den Begriff Käfig weckt, nicht darum vorhanden ist, ihnen die Flucht unmöglich zu machen, sondern nur, damit kein rauher Mensch die zarten Mädchen unsanft anfasse.

Es sind ja wirklich zarte Mädchen, was kein Ausländer ahnt, denn die Ursache, warum neun Zehntel von ihnen hierherkamen, ist ihm unbekannt.

Aber ich bin dessen ganz sicher, daß die Geschworenen Europas kaum eines der Yoshiwaramädchen als ehrlos verdammen würden.

Freilich, daß sie so skrupellos zu Tausenden diesen Freudenberuf erwählen, nach dem Motto »der Zweck heiligt die Mittel«, zeigt zur Genüge, daß bei uns in Japan die Kurtisanen Yoshiwaras auf weit geachteterer Stufe stehen als die Freudenmädchen europäischer Bordelle.

Die Ursache, warum sie in den »Käfig« gehen, ist meistenteils nur Kindesliebe, um ihre bedürftigen Eltern zu unterstützen.

Vor fünf Jahren, als ich dort amtlich untersuchte, fand ich von zweitausendneunhundertfünfundfünfzig Frauen nur zehn, die einzig aus sinnlicher Lust dies Gewerbe erwählt hatten. Die anderen alle waren nur dorthin gekommen, um ihre Eltern oder ihren Geliebten aus drohender Geldnot zu retten.

Hier paßt, wie nirgend, Buddhas Ausspruch »Lotosblumen im Schlamm«. All ihrer Umgebung zum Trotz bleiben ihre Seelen rein wie die Lotos.

Sie gehören nun zu den von der ganzen zivilisierten okzidentalen Welt verachteten Freudenmädchen; aber warum sie es wurden, das entsprang einem reinen Impuls.

Was sagte einst Takeo, die ihrerzeit berühmte Yoshiwaraschönheit, zu einem Fürsten, der sie mit Geld lösen und an seinen Hof bringen wollte?

»Ihr könnt meinen Körper erkaufen wie einen Ziegelstein. Aber meine Seele, mein Herz, die gehören mir allein. Vor keinem Galgen fürchte ich mich. Das gleißende Gold bewegt mich nicht.«

Takeo war, um der Not ihres Verlobten willen, nach Yoshiwara gekommen. Körperlich war sie ein Spielball anderer Männer, doch seelisch blieb sie immer rein.

Als sie im reichgeschmückten Boot an den Hof des Fürsten gebracht werden sollte, wiederholte sie nur immer: »Ich gehöre niemandem an wie meinem Geliebten.«

Im Zorn tötete sie der Fürst. Und noch ihren Mörder lächelte sie sterbend an: »Dank Euch, daß ich, meine Ehre bewahrend, ins Jenseits fahre.«

Der ausländische Beobachter weiß gar nicht, wie viele Tränen im Lächeln dieser Frauen verborgen sind. Mitternacht ist lange vorüber. Der Zeiger der großen Uhr steht auf zwei. Da verliert die Benennung »Nachtloses Schloß« ihre Berechtigung. Die Gassen werden fast menschenleer. Feuerwehrleute, in der Hand klingende Schellen, ziehen die Straßen entlang. Jeder Schritt entlockt den Schellen melodischen Ton.

Dann kommen die Nachtwächter und schlagen die Hioshigi (Eichenklöppel). Von fern hört man den dumpfen Ton der Asakusaglocken.

Der Mond breitet sein blasses Licht über die Blumen von Yoshiwara.

Ein paar Schin-naisänger ziehen, melancholische Liebeslieder singend, mit ihrer Schin-naimusik vorüber.

Da lehnt wohl manchmal hinter dem Geländer einer Veranda ein Freudenmädchen, betrachtet sinnend den Mond und lauscht dem Schin-naigesang.

Dann wirft sie all ihr Geld den Vorübergehenden herunter, um das ganze Schin-nailiebeslied noch einmal zu hören. Und die Kleine steckt sich ihr Seidenpapiertachentuch in den Mund, um ihr Heimwehschluchzen zu ersticken. – Früge sie aber ein »Gast«, warum sie weine, würde sie nur antworten: »Wann seh’ ich dich wieder?« – Und der gutgläubige Fremde freute sich ob dieser Antwort.

Aber in dieser Lüge liegt die Treue – die Treue gegen ihre Angehörigen.

In der mondhellen Nacht zieht ihre Seele auf Flügeln der Schin-nailieder zu Eltern und Geliebten, um derentwillen sie sich hierher verkauft hat.

Verkauft haben sie sich ja wirklich, all diese Frauen. Aber das Geld, das müssen sie zu verachten scheinen, denn in Yoshiwara von Geld zu sprechen, gilt noch heute für plump.

Wenn auch die »goldene Zeit« lange vorüber ist, da ein Mädchen zu einem Reichen, der ihr Gold in die Kammer gestreut, empört rief: »Wirf die schmutzigen, gelben Würmer zum Fenster hinaus!«

Doch noch existiert die Tradition der scheinbaren Geldverachtung, und kein Freudenmädchen wagt das Geld, das sie verdient hat, gleich zu berühren.

Aber die fortschreitende »Zivilisation« tötet wohl auch die Poesie von Yoshiwara. Nur noch einen letzten Rest davon möchte die »Lotosblume im Schlamm« sich bewahren.

Möchte dies Buch helfen, im Sinnenkult des Ostens dem zivilisierten Ausland den Spiegel vorzuhalten, in dem es erkennen kann, wieviel reiner und harmloser wir bei uns in Japan dem Liebesdienst uns ergeben.

Und daß die Prostitution des Abendlandes wie ein dunkler Schandfleck auf der vielgerühmten Zivilisation des Okzidentes liegt!

Sh. Chiba.


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