Paula von Preradović
Königslegende
Paula von Preradović

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Der Mönch

Über dem steilen Bergabritt verging der Tag. Mitunter war der Ausblick auf das Meer durch vorgelagerte Felsen und flache Hügel verdeckt, dann wieder konnte man es in lindestem Blau unter sich liegen sehen, näher jetzt und deutlicher. Slavatz vermochte die Wellen mit ihren weißen Kämmen, die rotbraunen Segel der Schiffe, die helle Strandlinie der Inseln und auf den Inseln weiße Städtchen mit Kirchtürmen zu unterscheiden. Der steile Abhang, über den sie ritten, war kahl und unbewohnt. Mitunter nur begegneten den Reitern zwischen den umhergestreuten Steinblöcken große Schafherden, die von Hirten mit hohen Krummstäben bewacht wurden. Während zu Mittag am Kamm des Gebirges Windstille geherrscht hatte, war nun ein frischer Nordostwind aufgesprungen, der von den Höhen des Gebirges kommend, hinter den Reitern herblies. Als es Abend werden wollte und die Sonne strahlenlos, rot und riesig im Inselmeer versank, näherte sich die Reiterschar einigen steingebauten Häusern. Abermals gebot Golub Halt, doch saßen die Reiter nicht ab. Nur Slavatz wurde in einen Plachenwagen genötigt, der mit zwei Maultieren bespannt bereitstand, und dem Fahrzeug, in dem er den ersten Teil seiner Reise verbracht hatte, durchaus glich.

Sowie er sich in den Hintergrund des Gefährtes 45 gekauert hatte und zwei der ihm so verhaßten Kroaten vorne aufgesessen waren, ging die Reise weiter, und während er im hartpolternden Karren durch den sinkenden Abend bergab gefahren wurde, merkte er an vielerlei Geräuschen und an dem Schein von Lampen und Fackeln, der immer wieder durchscheinend auf das Dach seines Wagens fiel, daß die Straße nun schon durch das abendliche Leben menschlicher Siedlungen führte.

Er konnte kaum zwei Stunden unter der Plache gelegen haben, als der Karren angehalten und nach einigem Hinundherreden und fragendem Streit Slavatz zum Aussteigen veranlaßt wurde. Es war jetzt Nacht, doch sah er sogleich, daß er sich in einer Hafenstadt befand, deren östlicher Teil steil an den Berg hinangebaut war. Dicht am steingemauerten Ufer, daran die Wellen plätscherten, stand schwarz, hoch und schwer eine mächtige Burg. Wo mochte er sein? Wer war der Herr dieser gewaltigen Feste? Und hatte er auch hier keinen einzigen Freund? Während er noch überlegte, ob es nicht gelingen könnte, sich den Einwohnern der Stadt oder dem Herrn der Burg zu erkennen zu geben, er sich aber fast gleichzeitig sagen mußte, daß er hier an der nördlichen Küste wohl kaum auf einen Freund zu zählen hätte, wurde er auf das nähere von zwei Schiffen gebracht, die am Ufer bereitlagen.

Über eine kurze Leiter half man ihm in den Bauch des nicht großen Seglers und wies ihm im Hintergrund der Kajüte seinen Sitz an. Der niedere Raum, der von einer Öllampe erhellt war, füllte sich bald mit einem Teil der Begleitmannschaft, auch einige der 46 Schiffsleute schienen sich dazugesellt zu haben. Brot und Schafkäse wurden ausgeteilt, auch Slavatz, der seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte, erhielt davon, doch legte er die harten Brocken neben sich auf die Bank, denn in Gegenwart seiner Kerkermeister, unter denen sich auch Golub und Svein befanden, zu essen, wäre ihm allzu schmählich erschienen. Ein breiter Lederschlauch mit Wein wurde die Leiter herabgezerrt und in Krüge entleert. Den einen ließen die Männer unter sich kreisen, den anderen boten sie Slavatz an, bevor jemand daraus getrunken hatte. Er aber, obgleich ihm der Mund von Durst brannte, schüttelte mit zusammengepreßten Lippen den Kopf, lehnte ihn an die Schiffswand und schloß die Augen. Die Männer wurden durch den Wein lebhaft und heiter, bald erfüllte lautes Reden und Prahlen und wüstes Singen die enge Kammer und Slavatz saß unter den Trunkenen wie ein lebloses Steinbild auf einem Grabmal. Er schlief jedoch nicht und die bösen und unfaßbaren Erlebnisse der letzten Tage kreisten rastlos durch sein Gehirn.

Immer wieder sah er Svein den gewappneten und geschienten Petar Junak durch einen einzigen Schwertstreich töten, sah er in der himmlischen Einsamkeit des Bergesmittags die Vila heranschweben, ihn mit unbegreiflich tiefen, süßen und bösen Augen anblicken und die furchtbaren Worte sprechen: »König zuvor, König nicht mehr« und »Im Westen wirst du leben in Fesseln«. Nun sehnte er sich fast nach der Zeit vor diesen beiden Begegnungen, die ihm, verglichen mit seinem gegenwärtigen Zustand, noch trostvoll erscheinen wollte. Er sehnte sich nach den Tagen, da er mit niemand gesprochen und auch Petar Junak 47 ihn noch nicht besucht hatte, und da das Loch in Sveins Kettenhemd ihm wie ein mildes Gestirn auf seinen schweigenden Ritten vorangeschwebt war. Doch fragte er sich in hoffnungsvolleren Augenblicken, ob durch Petar Junaks Leute und vor allem durch die Krieger seines eigenen Heeres, die ihm bis auf die Höhen des Gebirges gefolgt waren, nicht Kunde über ihn zu seinen Freunden gebracht und endlich wirksame Hilfe ins Werk gesetzt werden würde.

Die trunkene Gesellschaft im Schiffsbauch schien müde geworden, die Lieder verstummten und die Männer lagerten sich auf der die Kajüte umlaufenden Bank und auf dem Boden. Einer kam zu Slavatz und brachte ihm ein mißfarbenes Kissen und eine rauhe Decke, und diesmal verschmähte der König das Gebotene nicht. Denn er war von einer kaum je gespürten Müdigkeit und völligen Kraftlosigkeit, und das Merkwürdigste war, daß ein dunkles Gefühl ihm sagte, es habe ihn nicht so sehr die letzte schlaflos im wolfumheulten Zelt verbrachte Nacht, noch der steile und mühselige Bergabritt so erschöpft, sondern die kurzen Augenblicke, da die Vila, holdgebogen wie ein Rosenstrauch, ihm am Felsen der Höhe zykadenumsungen gegenübergestanden und schmerzhaft unergründliche Worte zu ihm gesprochen hatte.

Slavatz erwachte nach mehrstündigem Schlaf, als Dämmerung durch die offene Lucke fiel und von Deck der fröhliche und hoffnungsreiche Lärm herunterscholl, der das Flottmachen und Auslaufen eines Schiffes zu begleiten pflegt. Er hörte, wie Taue losgemacht und gerollt, Segel hochgezogen und helle, befehlende Rufe ausgestoßen wurden, die mit dem Gegröhl der Nacht 48 keine Ähnlichkeit hatten. Slavatz liebte das Leben auf dem Meer, war er doch ungezählte Male mit seinem Bruder Rusin, dem mächtigen Župan zur See, auf schönen, vielmastigen Schiffen die Narenta hinunter und ins Meer der Möven und großen Winde hinausgesegelt. Sein Herz brannte danach, auf Deck zu gehen und in der ersten Morgenfrühe das Auslaufen des Schiffes mitzuerleben. Als er sich aber von seiner Bank erhob und Anstalten machte, mühsam die Leiter zu ersteigen, wurde er von einem der normannischen Männer, die sich nach seinem Erwachen noch im Schiffsraum befunden hatten, mit bloßem Schwert und lauten, scheltenden Worten, die er nicht verstand, an seinen Sitz im hintersten Winkel zurückgescheucht, und er bereute bitter, daß er sich durch seine Lust nach Meeresluft und Segelblähen der Schmach einer Zurückweisung durch seinen Schergen ausgesetzt hatte.

Also saß er im Dunkeln und spürte nur am leisen Zittern der Bordwand, daß das Boot in voller Fahrt war. Wenn seine Wächter ihn nicht beobachteten, nagte er ein wenig an dem schon hartgewordenen Brot, das er am Vorabend erhalten hatte, und an dem trockenen Käse.

So verging der Tag und der Abend. Als es völlig dunkel und die Öllampe entzündet worden war, wurde angelegt und das Boot mit Tauen an einem Uferplatz festgemacht. Daß er nicht sehen konnte, wo er war, in welchem Hafen, in welcher Stadt er sich befand, dünkte Slavatz eine sehr große Qual. Auch der nächste Tag wurde durchschifft, aber gegen Abend schien das Ziel der Fahrt erreicht zu sein. Slavatz erkannte an den Bewegungen des Schiffes, daß man in einen tiefen 49 Hafen einfuhr, man hörte Rufen und Lärmen von anderen Schiffen, und endlich spürte er, daß das Trabakel einen gemauerten Strand anlief und festgemacht wurde. Nun schrie Golub, der sich wie Svein während der beiden Fahrttage stets auf Deck aufgehalten hatte, durch die Lucke herunter, man möge den Kačić hinaufbringen, und Slavatz erkletterte mit Hilfe der normannischen Männer das Deck, von wo er, von seinen Wächtern dicht umgeben, über die Bootsbrücke das breite, gepflasterte Ufer einer Stadt betrat, die er sogleich mit Herzklopfen als die Stadt Spalato erkannte. Denn er sah den riesenhaften Palast des Heidenkaisers Diokletian, in den die Stadt hineingebaut und dessen mächtiges Mauerviereck ohne Ordnung durch zahlreiche Fenster für ärmliche Menschenwohnungen durchlöchert worden war, von seiner Höhe herabschauen. Wieder bewegten Hoffnungen Slavatz' Herz. Da man ihn nach der mächtigen Stadt Spalato gebracht hatte, so sollte er hier vielleicht mit seinen Besiegern zusammengeführt werden, um mit ihnen zu verhandeln. Vielleicht war endlich Hilfe von Basileus eingetroffen, vielleicht hatte Rusin seine Macht in die Waagschale geworfen, vielleicht befanden sich Jelena und der Knabe in der Stadt und er würde sie noch heute wiedersehen.

Gegen alle Gewohnheit waren hier weder Pferde noch ein Wagen bereit; Slavatz wurde von der Schar, die nur noch etwa ein Drittel der seit dem Besuch Petar Junaks vermehrten Zahl darstellte – dreißig oder fünfunddreißig Leute, unter denen sich alle die von Slavatz als die Vornehmeren erkannten Normannen befanden – in die Mitte genommen, ohne daß 50 man ihn an den Händen fesselte, was wiederum seine Hoffnung stärkte. Es dämmerte schon und nur wenige Menschen gingen über die Uferwege. Es wurde so langsam gegangen, daß Slavatz ohne Mühe mithinken konnte, dennoch dauerte es nur eine kurze Frist, bis man über den freien, langen und breiten Hafenplatz und über einen schmalen, nach der Landseite hin abbiegenden Pfad schreitend, vor einem breiten Gebäudeviereck, das nach der Straße von einer halbhohen, die vierte Seite des Quadrats bildenden Mauer abgeschlossen war, anhielt und an ein Tor klopfte. Ein Mönch öffnete sofort und ließ die Schar in einen sehr geräumigen Klosterhof ein, dessen linke Seite von der Front einer Kirche, die beiden anderen von den Flügeln des Konvents gebildet wurden.

In der Nähe des Kirchenportals stand eine Gruppe von Männern, die sich um einen hochgewachsenen und herrischen, mit einer prachtvollen Rüstung bekleideten Ritter mit auffallend langem, bartlosem Gesicht und blaßrötlichem, straffem Haar scharte. Der Vornehme mochte die Vierzig schon einigermaßen überschritten haben. Slavatz bezweifelte nicht, daß er ein Normanne war. Um ihn standen einige ähnlich, aber minder reich Gewappnete und vier Mönche, von denen zwei, ein älterer, starker, und ein sehr großer, feingesichtiger mit auffallend schwarzem Haar, goldene Kreuze an langen Ketten auf der Brust trugen.

Als Slavatz die Gruppe sah, wollte ihm das Herz stillstehen. Nun kommt die Wendung, dachte er. Hier erwarten sie mich. Sie werden mich ehrerbietig begrüßen, Abbitte leisten wegen der Schmach dieser Fahrt und mir günstige Bedingungen bieten. Ohne 51 allen Zweifel hat der Basileus über den römischen Papst Vorteile errungen, meine Sache steht besser als nach der Schlacht, und was die Vila an Unheilvollem gesprochen hat, war törichte Bosheit. Und hat sie es überhaupt gesprochen? Habe ich sie und ihre Worte nicht nur geträumt, da die Sonne auf dem Berg so warm schien?

Slavatz und die dichte Schar seiner wachsamen Begleiter war über den schön gepflasterten Hof weitergeschritten und nahe an die Gruppe vor der Kirchentür herangekommen. Slavatz erwartete mit Sicherheit, daß der vornehme Ritter sich nun aus der Gruppe lösen, auf ihn zutreten, ein Knie beugen und ihn einladen würde, mit ihm zu verhandeln, und er wandte sich, während er weiterging, mit fragendem Gesicht ihm zu. In diesem Augenblick jedoch trennten sich Golub, Svein und die anderen vornehmen Normannen, die im ersten Glied vor Slavatz gegangen waren, von den übrigen, gesellten sich zu der Gruppe vor der Kirchentür und begrüßten mit Ehrfurcht den großen rotblonden Mann und die Mönche mit den Ketten. Der Rotblonde richtete freundliche, wie es schien scherzhafte Worte an sie, auf die sie mit höfischem Lächeln erwiderten. Er warf sodann einen prüfenden Blick auf die Schar um Slavatz, die ihren Schritt unsicher verlangsamt hatte, und auf Slavatz selbst, richtete eine leise Frage an Golub, die dieser ebenso leise beantwortete, worauf Golub einem der Kroaten, die mit Slavatz schritten, zurief, beim Klostereingang rechts werde er Bescheid erhalten.

Die Schar setzte nun ihren Weg rascher fort, Slavatz jedoch hielt alles für ein Mißverständnis, er konnte 52 es nicht fassen, daß der zweifellos mächtige Normanne, von dem er zu ahnen glaubte, wer er war, Golub und Svein, nicht aber ihn, den wenn auch besiegten, so doch von den Stämmen gewählten und gekrönten König zu sprechen wünschte. Er machte einen Schritt nach links aus der Reihe und wollte auf die Gruppe vor der Kirche zugehen, wurde aber sogleich von seinen Begleitern an den alten Platz im Glied zurückgestoßen. Er sah, daß der Vornehme das kleine Geschehnis bemerkt hatte, die Brauen hochzog, Slavatz eine Sekunde lang ins Gesicht blickte, um die Augen sodann mit ungewissem Ausdruck von ihm wegzuwenden. Indessen war die Schar bei einer Tür im rechten Flügel des Klosters angekommen, die sogleich von innen aufging. Der öffnende Mönch fragte schnell nach dem Gefangenen und Slavatz, überwältigt von Scham und Erbitterung, wurde über einige hallende Gänge in eine geräumige und nicht unwürdig ausgestattete Zelle geführt, deren Tür man hinter ihm versperrte.

Er setzte sich hart auf eine Bank, die an der Wand entlanglief. Wie der Rotblonde ihn angeblickt hatte! So wie man einen ansieht, dessen Ende beschlossen ist und mit dem auch nur ein einziges Wort zu wechseln unnütz wäre. Zum erstenmal kam Slavatz der Gedanke, ob man etwa beabsichtige, ihm einen peinlichen Prozeß zu machen, um ihn hier in Spalato, im Herzen der lateinischen Partei, als Ketzer zu verbrennen, allen volkhaft Gesinnten zum fürchterlichen Beispiel? Die Vila freilich hatte ihm langes Leben in Fesseln an einem westlich gelegenen Ort zugesagt. Aber hatte er nicht soeben die Worte der Vila, ja diese selbst angezweifelt, sie für eine Luftspiegelung oder 53 für ein Traumbild gehalten und ihre Worte für leeren und bösen Lügenschall?

Er stieß einen so lauten Seufzer aus, daß der alte Mönch, der leise eingetreten war, und Speise auf den Tisch gestellt hatte, ihn erschreckt und teilnehmend ansah. Es war ihm aber wohl verboten worden, mit dem Gefangenen zu reden, denn er zog sich ohne ein Wort wieder zurück. Slavatz aß schnell und gierig, was in der Schüssel war, denn die karge Kost auf dem Segler hatte ihn ausgehungert. Als er abermals die Tür gehen hörte, meinte er, es sei der Alte, der um die leere Schüssel kam, und wandte sich nicht um.

Eine klare und verständige Männerstimme redete ihn an: »Sei gegrüßt, mein Bruder.«

Slavatz fuhr herum. Kamen sie nun doch, ihn zu Gespräch und Verhandlung zu holen, oder sollte ihm noch heute und hier Hinrichtung und Tod verkündet werden?

Ein jüngerer Mönch stand vor ihm. Er hielt die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen und sah Slavatz mit einem seltsam friedlichen und doch willensstarken Blick an. Ein zuchtvoller Mund lächelte ihm ruhig zu. Der Mönch war mittelgroß und wohlgebaut. Die schwarze Kutte, die kurze Kapuze, der harte, starke Ledergürtel, alles kleidete ihn wohl. Slavatz konnte sich dem Gefühl nicht verschließen, daß dies ein Mensch war, der seinen Willen zum Opfer gebracht und doch nicht eingebüßt, der auf die Lust der Welt verzichtet hatte, und dennoch von innerer Freude bewohnt war. Trotzdem sah er ihn stumm und mit Abneigung an, denn alles Römische war ihm ein Greuel. 54

Der Mönch sprach weiter: »Unser Vater Abt hat mir gestattet, dich noch heute zu besuchen.«

Slavatz antwortete nicht.

»So ist es wahr, was sie sagen, daß du nie sprichst. Sie sagten auch, du wolltest nichts mehr sehen und hieltest die Augen geschlossen.« Der Mönch sprach nicht unfreundlich und auch nicht höhnisch, sondern fast so, wie man einem Kind zuredet.

»Wer hat dir das gesagt?« entfuhr es Slavatz wider Willen.

»Von den Normannen, die dich begleitet haben, sind einige als Gäste bei unserer Abendmahlzeit gewesen.«

Slavatz verschloß den Mund fest und ließ den Kopf auf die Brust hängen. In den Wochen seiner bitteren Wanderschaft hatte ihm niemand Locken und Bart gestutzt, so daß sein Haupt wie das eines wahren Schächers von langen und wirren schwarzen Haaren umgeben war. Endlich sagte er rauh und unfreundlich: »Wenn du kommst, um mir ein schlimmes Urteil zu verkünden, dann hätte es wohl bis morgen Zeit gehabt.«

»Es ist nicht meines Amtes, dir ein Urteil zu verkünden. Ich bat um die Erlaubnis, dich zu sprechen, weil wir Brüder sind.«

»Schon einmal nanntest du mich deinen Bruder. Wer gibt dir das Recht dazu? Wenn ich jetzt auch hier sehr elend dahinsitze, so bin ich doch der von den Stämmen gewählte und gekrönte König der Kroaten und brauche mich nicht von jedem römischen Mönch Bruder nennen zu lassen.«

Der Mönch lächelte ein wenig. »Wer sollte es besser 55 wissen als ich, Slavatz aus dem Stamme Kačić, daß du der König der Kroaten bist? Denn um es zu werden, mußtest du ja erst mich auf die Seite schieben. Hast du mich nicht erkannt? Ich bin Stjepan, der Neffe des gottseligen Königs Petar Krešimir.«

Der Mönch hatte sich auf die Bank beim Fenster gesetzt und sah zu Slavatz hinüber, der noch immer gesenkten Hauptes am Tisch vor der geleerten Schüssel saß.

Jetzt hob er ein wenig den Kopf und warf einen bangen und verzweifelten Blick auf den Mönch.

»Stjepan bist du? Wirklich Stjepan? So magst du dich wohl freuen, mich in solcher Schmach zu sehen. Jetzt begreife ich es, daß du deinen Abt gebeten hast, mich besuchen zu dürfen, damit du dich an meinem Unglück weiden kannst. Ich habe dir wahrlich genug Böses getan.«

Wieder lächelte der Mönch.

»Vor Zeiten dachte auch ich, du habest mir Böses getan, aber heute weiß ich es anders. Was soll ich tun, um dich zu überzeugen, daß ich mich deiner Schmach nicht freue? Wenn du es auch nicht hören willst, sind wir jetzt doch Brüder. Gott hat uns zu Brüdern im Verzicht gemacht.«

»Ich verzichte nicht. Die Stämme haben mich gewählt«, sagte Slavatz leise, aber mit verzweifelter Entschlossenheit.

»Oh, mein Bruder, du wirst verzichten müssen. Sie sind schon dabei, einen neuen König zu bestimmen.«

»Wen?!« schrie Slavatz. »Sie dürfen es nicht, ich habe die Schlacht verloren, aber ich lebe noch.« Lang wirst du leben in Fesseln, fiel ihm ein. 56

»Die Sieger dürfen alles. Dich zu vernichten und fortzuschaffen, sind die Normannen gekommen. Du hast dem Papst widerstrebt.«

»Wirst du jetzt König werden?« fragte Slavatz dumpf und zögernd. Er wagte nicht, den Mönch anzublicken, stand auf und begann im Hintergrund der Zelle hin und her zu wandern.

»Ich sagte dir schon, daß Gott uns zu Brüdern im Verzicht gemacht hat. Dimitrije Zvonimir, der unter Oheim Petar Krešimir Banus in Slavonien gewesen ist, ihn werden sie im nächsten Jahr krönen.«

Als Slavatz den Mönch still und gleichmütig diese Worte sagen hörte, erblaßte er tief. Er blieb stehen, legte den rechten Arm an die Mauer und den Kopf auf den Arm und weinte. Die Tränen rannen ihm in den Bart und einige tropften auf den Steinboden.

Der Mönch aber redete weiter.

»Ein feierlicher Vertrag mit dem Papst wird der Krönung vorangehen. Ihn vorzubereiten, ist Gebizon, der Abt des Klosters der Heiligen Bonifazius und Alexis in Rom, hierher gekommen und hat eine Synode einberufen. Du hast ihn gesehen. Er stand im Hof, als du kamst.«

Slavatz hatte sich die Tränen mit dem Ärmel getrocknet und fragte widerwillig, welcher der Mönche es gewesen sei.

Stjepan wandte sich ihm lebhafter zu als bisher: »Hast du die zwei Äbte mit den goldenen Ketten gesehen? Der größere von beiden war Gebizon.«

»Der mit dem schmalen Kopf?« fragte Slavatz.

»Ja, der mit dem schmalen Kopf. Der Ältere und Breitere war unser Vater Abt.« 57

»Und wer war der rotblonde Mann in der fürstlichen Rüstung?«

»Das war der Comes Amicus.« Stjepan sagte es so leise und schonend wie möglich. Als Slavatz es hörte, nickte er ein paarmal langsam mit dem Kopf und ließ die Arme dann schwer auf die Schenkel fallen.

Darauf war es eine Weile still in der Zelle. Stjepan saß ruhig da wie ein geschnitztes Bild und hielt die Hände in den weiten Ärmeln der Kutte verborgen. Dies schien seine bevorzugte Haltung zu sein. Slavatz aber lehnte mit dem Rücken an der Mauer und aller Gram der letzten Zeit schien in verzehnfachter Schwere neu und so noch nie gefühlt auf seinem Herzen zu wuchten. Nach einer Weile entschloß er sich zu reden.

»Stjepan«, sagte er, »warum wählen sie jetzt nicht dich? Du bist ein päpstlich Gesinnter. Du bist der legitime Erbe.«

Stjepan sagte sehr ruhig:

»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich deshalb, weil Dimitrije Zvonimir der Schwager des Königs von Ungarn ist. Seine Gattin ist Jelena, die sie die Schöne nennen, des Ladislaus Schwester.«

»Jelena die Schöne!« schrie Slavatz hemmungslos. »Jelena die Schöne! Das ist ja meine Frau.«

»Wie das?« fragte Stjepan betroffen. »Deine Frau die Schwester des Ungarnkönigs?«

»Keine Ungarin, aber doch Jelena! Und schön! Schön! Schön! O Gott, wie soll ich es tragen?« Er schwieg einen Augenblick, dann trat er nahe zu Stjepan und fragte ihn leise:

»Hast du hier nichts gehört, wo sie sind, Jelena und der Knabe? Soll ich sie denn nie mehr sehen?!« 58

Stjepan sah ihn schüchtern und ernst an. Der Schmerz des geschlagenen Mannes bewegte sein Herz.

»Ich habe nichts gehört, mein Bruder. Aber vielleicht kann ich etwas erfahren. Morgen, ehe du weiterreisest, will ich dir Botschaft senden.«

»So bringen sie mich noch weiter fort? Stjepan, soll ich getötet werden?«

»Sicherlich nicht«, sagte Stjepan. »Mir werden für gewöhnlich keine Geheimnisse verraten, aber ich hörte es heute bei Tische, du würdest noch weiter segeln, an einen fernen und freundlichen Ort.«

Im Westen wirst du Netze auswerfen und Fische fangen, dachte Slavatz.

Der alte Mönch trat leise und gebückt herein und als er Stjepan sah, wollte er sich entfernen.

»Du willst die Schüssel holen, Bruder Mavro«, rief Stjepan ihm zu. »Nimm sie nur. Geht man schon zur Komplet?«

»Gleich werden sie läuten«, sagte der Alte und ging wieder.

»Dann ist meine Zeit um«, sagte Stjepan. »Aber noch muß ich dir dasjenige sagen, um dessentwillen ich gekommen bin. Slavatz, schreib' es in dein Herz: es ist nicht so schlimm, kein König zu sein. Als ich, vom Stamme Kačić gezwungen, hier im Kloster verschwinden mußte, war ich tief verzweifelt und habe mich aufgebäumt. Ich habe die Tage und Nächte durchtobt und durchschrien. Ich habe, Gott verzeihe es mir, Flüche gegen dich und dein Geschlecht geschleudert. Aber ich habe es überwunden. Glaube mir: Als einer unter vielen gehorsamen Mönchen bin ich jetzt glücklich. Ich habe gelernt, daß wir geborgen 59 sind, wenn wir Gottes Willen annehmen und Gottes Dienst über alle Dinge stellen.«

»Was mir geschehen ist, war nicht Gottes Wille, sondern der Wille böser Menschen.«

»Warum sagst du: böser Menschen? Weil sie anders wollten als du? Du hast erstrebt und getan, was gegen die wahren Zeichen der Zeit war. Sieh, Slavatz, ich bin unseres heiligen Vaters Benedikt von Nursia demütiger Sohn. Aber sollte man mich eines Tages doch noch auf den Thron rufen, so würde ich folgen, denn ich bin der legitime Erbe. Nicht aus Lust und Ehrsucht würde ich folgen, sondern aus Pflicht. Und dann würde ich mit Gottes Hilfe versuchen, den heiligen Willen und Brauch des Volkes, seine tiefe und wilde Liebe zu den eigenen uralten Wurzeln mit der neuen großen Ordnung zu versöhnen, die im Abendland herrscht und die auch das kroatische Volk einbeziehen will. Wir sind keine Morgenländer. Unsere Berge und unsere Küsten blicken nach Abend. Wir gehören zur abendländischen Christenheit, dem Basileus sind wir viel zu fern. Ich habe Muße hier, um nachzudenken, Slavatz, und dies habe ich mir hervorgedacht in den Zeiten des Grames und der beginnenden Beruhigung: Daß unser Volk fest in der eigenen Erde wurzeln, aber nach Westen schauen muß.«

Das schnelle und starke Bimmeln einer Glocke drang herein.

»Die Komplet«, sagte Stjepan, aufatmend nach der ernsten Rede. Er stand auf und rückte seine Kutte zurecht.

»Leb wohl, Slavatz«, sagte er, »trage dein Los in Geduld. Morgen in aller Frühe sende ich dir Botschaft.« 60

Damit ging er eilig durch die Tür, schloß sie von außen ab und ließ Slavatz allein. Als der alte Mönch am nächsten Morgen die Suppe brachte, flüsterte er Slavatz scheu zu, Vater Stjepan lasse ihm sagen, er habe in Erfahrung gebracht, daß Frau Jelena und der Knabe Michael sich in Sicherheit bei Župan Rusin befänden. Und Vater Stjepan wünsche dem Herrn gute Fahrt. 61

 


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