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IX

Man nannte sie die Unn vom Geysir. Und ihr Alter war wenig unter hundert Jahren. In ihrem Gesicht konnte man keine noch so kleine Stelle finden, die nicht von Runzeln und Falten bedeckt war, angefangen von der Stirn bis zum Ansatz des Halses hin, der ein ganzes Bündel von Furchen zu den hervorstehenden Schlüsselbeinen hinabschickte. Ihr spärliches weißblondes Haar fiel in dünnen Zöpfen auf die ausgemergelten Schultern nieder, auf ein farbloses, verwaschenes Hemd, dessen Ausschnitt wegen der fehlenden Knöpfe meist so weit offen war, daß man die magere faltige Brust sehen konnte. Männerhosen umschlotterten ihre langen dürren Beine bis zu den Waden hinab, wo sie, in lange Fransen zerrissen, endeten. Ihre knochigen breitzehigen Füße verrieten, daß sie zumeist nackt über den Boden gelaufen waren, und tatsächlich gab es keinen Menschen, der jemals Schuhe an ihnen gesehen hatte.

Das war die alte Unn.

Man sagte, daß sie wahnsinnig sei. Aber trotzdem hatte auch noch keiner die Worte vergessen, die die Alte einmal zu ihm gesagt oder besser gekrächzt hatte, die Worte der dürren alten Unn. Und das hatte seinen Grund nun wieder darin, daß die Leute glaubten, die Alte könnte mit ihren armen verwitterten Gedanken doch noch mehr erkennen als viele, die ihre Sinne beisammen hatten und wohlgeordnet, – sie konnte in die Zukunft sehen, die Alte!

Das kleine Grasdach, unter dem sie schlief und wohnte, war windschief und halb zerfallen, und es stand wohl eine gute Stunde Ritt von der nächsten Siedlung im Süden. Die einzigen Fenster an der Vorderseite ihres »Hauses« waren blind in ihren Scheiben, und über die rechte untere Glaseinfassung war ein Sack genagelt, ein leerer Rupfen, damit der Wind nicht durch die Öffnung hereinblasen konnte. So kam es, daß wohl ein Fenster in dem dunklen Raum war, den die Alte vom Geysir bewohnte, aber wenn man innen vor dieses Fenster trat, so konnte man doch nichts anderes sehen, als daß eben Licht durch die matten Scheiben hereinfiel. Vom Land draußen war so gut wie gar nichts zu bemerken. Aber was hatte das schon zu sagen! Die Alte zog es vor, keine Glaswand zwischen sich und dem hügeligen Land zu haben, das in saftigem Grün, sumpfig wegen der Nähe eines ruhig ziehenden Flusses, um ihren Wohnplatz lag. Man traf sie deshalb selten in oder besser unter ihrer Hütte; sie steckte nämlich ein gutes Stück im Boden, das, was Unn die »Hütte« nannte. Eigentlich war sie nur ein Grasdach, das sich in ganz niedrigem Bogen über ein Erdloch spannte.

Die dürre Unn war also allermeist im Freien zu finden, wo sie ihren zwei, drei Ziegen nachrannte oder einmal eine Hucke selbstgestochenen Torfes vom erhöht gelegenen Trockenplatz holte. Hatte sie diese beiden Geschäfte erledigt, dazu vielleicht noch die Milch in einem dicken braunen Topf in den Wohnraum hineingetragen, so war gewöhnlich ihr Tagwerk erschöpft. Sie hatte dann Zeit, den ganzen Tag hindurch ihren verrückten Gedanken nachzuhängen.

Wenn aber nun diese Freistunde angebrochen war, so legte sie nicht etwa sofort die Hände in den Schoß, sondern sie begann erst einmal ihr Besitztum sorgfältig zu untersuchen, ob nun alles in der Reihe war, wie es sein sollte. Erst kroch sie in der dunklen Höhle umher und füllte die Petroleumlampe auf, jeden Tag, solange nicht die Sonne ohne Aufhören am Himmel stand; dann rückte sie einen Kübel zurecht und glättete die Decke auf dem einfachen Holzschragen, der ihr Bett vorstellte. Schließlich ging sie durch die klapprige Tür nach draußen und lief ein paarmal um ihre Rasenhütte herum, sah nach den verwitterten Balken und sah auf jeden der rostigen Nägel, mit denen sie zusammengeschlagen waren, auf jeden Riß, der in ihnen klaffte.

Wenn die Alte auch das hinter sich hatte, so rief sie Thora, die Ziege, die meist währenddem schon hinter ihr hergetrabt war und mit großen blauschimmernden Augenovalen an der Gebieterin hing. Und Thora lief darauf langsam herbei oder ging auch gleich zu dem Platz, an dem sich die alte Unn um diese Tagesstunde gewöhnlich ins Gras niederkauerte und zu denken begann. Zu denken, denn die alte Unn wußte bei sich selbst, daß sie im ganzen Lande die einzige war, die wirklich denken konnte. Und bei sich selbst sagte sie auch, daß sie nur deshalb in der Einsamkeit wohnte, weil sie eben denken wollte.

Gedanken dürfen ja nicht gestört werden, dürfen nicht auf lebende Wesen treffen in der Richtung, in der sie gehen, und deshalb hatte die Alte das große Sandgebiet im Innern Islands gewählt, weil sie weit über dieses Land hinausträumen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß sie so leicht und häufig gestört werden würde. Es waren ja keine Lebewesen im großen Sand, die nächsten Nachbarn, so Sigurgeir Kjarval, wohnten im größeren Umkreis rundherum. Die Alte sah Tag für Tag in derselben Richtung, wenn sie ihren Platz eingenommen hatte; denn hinter ihr waren Berge und Matten, in denen man überall Tiere finden konnte und auch Menschen, wenn man Augen oder ein gutes Gefühl hatte. Die Bergrichtung war also kein Tummelplatz für die alte Unn. Entweder hockte ein Rabe oder ein Adler in den Felsenterrassen, oder halbwilde Pferde und Schafe grasten auf den Matten. Und die Gedanken der Wahnsinnigen durften nun einmal nicht auf lebende Wesen treffen auf ihrem Weg. Unn wußte wohl, daß jedes Tier, und war es auch nur ein jämmerlicher kleiner Regenpfeifer, eine Wolke um sich hatte, die neben ihm herlief und es umhüllte. Und eine solche Wolke hielt die Gedanken auf und verschluckte sie nicht selten, so daß Unns Abgesandte schon oft nicht mehr den Weg zu ihrem Kopf und ihrer Seele zurückgefunden hatten.

Nur in der Sandöde waren die Überlegungen der Alten sicher vor einem unverhofften Zugriff.

Wie immer hatte sich also Thora, die Ziege, einen Platz in der Nähe der reglos sitzenden Alten ausgewählt. Thora schleckte sich mit ihrer langen Zunge die Vorderläufe und wischte sich dann anmutig die feuchten Nasenlöcher mit ihr aus. Oder sie legte die Zunge wie eine Schlinge um ein paar Grashalme, rupfte sie los und hob mit einem Ruck den Kopf mit den spitzen Hörnern, sah die Alte an, bevor sie mit eingefallenen Backen zu kauen begann, aus Langeweile nur.

Unn war heute nicht so ruhig, wie es sonst ihre Gewohnheit war. Ihr Atem ging kurz, und sie kniff manchmal die Lider zu und schüttelte dabei aufgeregt den Kopf, unwillig und böse, daß es am Ende sogar der Ziege auffiel und sie zuletzt zu kauen vergaß. Sie glotzte auf die Alte und war so eifrig bei der Sache, daß sie ganz vergessen hatte, daß ihr noch ein Büschel Gras aus dem Maul hing. Und plötzlich hustete sie, trocken und rauh, weil eines der Gräser ihren Schlund gekitzelt hatte. Es hörte sich an wie das bellende Husten eines altersschwachen Gaules. Die alte Unn warf plötzlich den mageren Arm in die Höhe, als ob sie damit eine Hummel verscheuchen wollte. Sie hatte die Augen stier nach Norden gerichtet, wo eine Anzahl verwitterter Steinblöcke den Beginn des Sandgebietes anzeigte, in dem meilenweit nur noch flache Hügel neben Mulden lagen, und da und dort kochendheiße Schlammkrater in der Erde bullerten und ihre giftigen Dampfschwaden über die Öde trieben.

Sie warf also den Arm hoch, als ob eine Mücke sie angeflogen hätte. Aber es steckte doch etwas ganz anderes hinter dieser Bewegung. In der Sandwüste schien ein Feind zu sein! Die Gedanken der Alten waren verwirrt und verwundet zu ihr zurückgekommen, und sie hatte sie nun aufs neue hinausgeschickt. Deshalb der Arm!

Ein Störenfried mußte im Sand sein.

Die Unn murmelte unwirsche Worte aus ihren dünnen blassen Lippen. Sie hatte noch nicht ausmachen können, was dort über dem Weg war. Aber mit einemmal sprang sie von ihrem Platz auf. Sie spreizte die Zehen in den Boden und hielt die Hand über ihre alten Augen. Es schien ihr, als hätte sich zwischen den Steinblöcken etwas geregt.

Nun war es wieder da. Gleichzeitig kamen ihre Gedanken in heller Flucht zurück und schlüpften ihr hastig in den Kopf hinein, um sich zu verbergen.

Es war ein Feind im Sand. Und jetzt kam er näher.

Plötzlich schrak die Alte zusammen. Sie sah ein Pferd auf den Sand hinaustraben. Es trug einen Reiter.

Die alte Unn rannte in ihre Hütte hinein und versuchte durch die Scheiben zu sehen, was aus dem Ganzen werden sollte. Sie schob den Sack etwas zur Seite, der die eine Scheibe verdeckte und spähte hinaus. Das Pferd war bereits aus den Felsen heraus. Sein Reiter schien müde zu sein, denn er hing weit im Sattel vornüber. Als sie soviel gesehen hatte, kroch sie wieder durch die Tür und kauerte sich draußen wie eine Katze ins Gras nieder. Die Knie hatte sie bis an die dürre Brust hochgezogen. So sah sie auf den Reiter, der ein Feind war und doch keiner sein konnte, denn Unn hatte längst erkannt, daß er sich kaum mehr im Sattel halten konnte. Sie sah auch, daß die Zügel aus seinen Händen geglitten waren.

Das Pferd kam in gerader Linie zur Hütte getrabt.

Unn saß noch starr und unbeweglich, als es schon auf wenige Meter herangekommen war. Der Reiter hatte die Augen geschlossen und sein Körper schwankte mit jedem Tritt des Tieres. Die Fäuste hatte er in die dichte Halsmähne eingekrallt und hielt sich krampfhaft an ihr fest.

Unn hatte mit einem vergessen, daß der Fremde mitten in ihre Gedanken hineingeritten war. Sie sprang auf und wollte den Grauen bei seinen Zügeln fassen. Aber das Pferd wurde durch ihre schnelle Bewegung scheu und stellte, und sein Reiter glitt aus dem Sattel und schlug auf den Grasboden nieder.

Unn stand eine gute Zeit und betrachtete den Gefallenen, der wie leblos vor ihr auf dem Boden lag. Dann bückte sie sich nieder und versuchte ihn auf die Seite zu drehen, um sein Gesicht zu sehen. Aber gleich darauf fuhr sie verwundert zurück, als ob sie ihren Augen nicht traute: es war ein Weib, das das Schicksal da zu ihrer Hütte geschleppt hatte! Ein Mädchen noch! Es schien jetzt zu erwachen, es rührte sich. Aber danach lag es doch wieder leblos wie vorher.

Die Alte versuchte, sich aufzurichten. Und als es ihr nicht gelingen wollte, faßte sie die Fremde schließlich an den Stiefeln und schleifte sie auf dem Boden hin zur Hüttentür. Sie ließ sie darauf vorsichtig die wenigen Stufen hinabgleiten, die in die Tiefe ihrer Behausung führten, und schaffte sie mit ihren letzten Kräften auf ihr Lager. Ermattet hockte sie sich danach auf den Rand der Bettstatt nieder, während ihr das Blut von der Anstrengung rasend durch die schwache Brust klopfte. Ihre Gedanken rannten zwischen ihrem Kopf und der Fremden hin und her, daß sie ihnen kaum mehr zu folgen vermochte. Sie flüsterten ihr von Arzneien und Tränklein, und meinten, daß sie einen Topf auf das Feuer setzen sollte, um einen Labetrunk für die Erschöpfte zu kochen. Unn nickte vor sich hin, als sie das verstanden hatte. Sie ging zum Herd und werkte eine Zeitlang geschäftig im Halbdunkel der Hütte herum.

Aber die Wirkung der Heilkräuter ließ lange auf sich warten. Der Puls schlug sogar eine gute Weile noch schneller als vorher, und die Kranke lag immer noch mit geschlossenen Lidern. Es schien ein großer Kampf in dem schwachen Weibskörper zu toben. Einmal schlug das Mädchen die Augen auf, es blickte zur niedrigen Decke hoch, wo die Wurzeln des Grasdaches zwischen den morschen Balken hereinhingen. Aber gleichwohl sahen die Augen dabei aus, als könnten sie nichts erfassen. Der Blick hatte immer dieselbe Richtung.

So lag die Fremde zwei Tage und zwei Nächte hindurch. Ihre Wangen zeigten glühendes Rot derweil.

Eines Nachmittags, – Unn kam eben von einem Gang zurück und hatte frische Brote in den Händen, die sie in einer Höhle fertiggebacken hatte, durch die der Dampf eines heißen Springquells zog – eines Tages also, es war der dritte, seit die Fremde auf ihrem Bett lag, hörte sie sie flüstern und sah, wie ihre Hände unruhig die Decken kneteten. Unn konnte nicht verstehen, was das Mädchen gemurmelt hatte. Nein, es war nicht zu verstehen!

Doch gleich danach begann die Kranke noch einmal zu sprechen, und zur Antwort kicherte die alte Unn leise in sich hinein.

»Hihihi«, machte sie, denn das Mädchen hatte einen Namen gesagt. Hihihi, einen Namen! Es mußte wohl der Name eines Mannes gewesen sein! Oder war es nicht so? Hihihi, früher hatte die alte Unn auch solche Namen gesagt. Und einer hatte ihr Haar gestreichelt, hihi!

Das Antlitz des zermürbten alten Weibes stand weiß aus dem Dunkel des Raumes heraus. Ihre Augen, die sonst unruhig glitzerten und fortwährend zu spähen schienen, lagen still auf dem Gesicht des Mädchens. Kein Laut war in der Hütte.

Die ganzen Nächte hockte die Alte so neben dem Lager und schaute in dieses Gesicht, während ihre Gedanken gleichwohl über das Land hinausliefen als ihre Sendlinge und überall sahen und horten und der Alten viel zu berichten wußten von dem, was draußen geschah. Sie brachten Erlebnisse und Schicksale in den kümmerlichen niedrigen Raum und breiteten sie aus vor den Blicken der Alten, daß sie sie aus nächster Nähe besehen konnte. Die Gedanken der armen alten Unn. – –

Gegen seine Gewohnheit bog Gudbrandur Steffansson, der Postreiter, von dem Kurs ab, den er sonst in dieser Gegend einhielt. Jau, Gudbrandur hatte also etwas entdeckt, oder besser, er hatte gemerkt, daß etwas nicht da war, was man um diese Zeit hier zu sehen gewohnt war, – an einem bestimmten Platz und bei einem solchen Wetter, wo die Wolken wie runde weiße Federkissen auf dem blauen Grund des Himmels lagen. Gudbrandur vermißte den Anblick der alten Unn, die sonst immer wie ein Häufchen Erde vor der Hütte saß und träumte. Nirgends konnte er sie bemerken. Nur das eckige Gestell ihrer Ziege stand unbeweglich vom Horizont weg, wie ein steifer schwarzer Schatten.

Gudbrandur hatte so ein Vernehmen, als ob nicht alles so sei, bei der Hütte drüben und mit der Alten, wie es nun einmal seit beinahe historischen Zeiten gewesen war. Und natürlich mußte sich die Obrigkeit für dergleichen interessieren, wer sonst, wenn nicht er als ihr Vertreter? Er bog also aus dem Kurs und strich sich vor Erstaunen seinen Schnauzbart ein ums andere Mal, denn nun hatte er doch recht gehabt mit seiner Vermutung. Was seit Jahrtausenden nicht geschehen war, das sah er nun mit eigenen Augen aus einer Mulde hervortreten, – ein Pferd, das in ruhigen Weideschritten an der Hütte der alten Unn vorüberzog, ohne den Kopf von seiner Äsung zu heben. Als hätte es schon seit ewigen Zeiten vor der Hütte gegrast, als sei es ein Pferd, das der alten Unn gehörte. Ein Pferd!

Der Postreiter schüttelte ungläubig den Kopf über diese Entdeckung. Dann kniff er sich in den Schenkel, um zu sehen, ob er nicht träumte oder am Ende vielleicht schon lange gestorben war und hier nur umging als Gespenst, wirklich, ein Pferd! Er sah es deutlich! Und dabei haßte die Alte nichts so sehr wie ein Pferd, weil es mit seinem großen Körper und seinen starken Hufen so schlimm in ihre Gedanken hineintrampelte wie kaum ein Lebewesen sonst auf der weiten Erde. Und sie hielt dafür, daß Pferde als die direkten Blutsbrüder des Teufels anzusehen wären!

Und war der Grimm, den die Alte gegen ihn, Gudbrandur Steffansson, hegte, etwa nicht einzig und allein darauf zurückzuführen, daß die dürre Unn jedesmal, wenn er vorübergeritten war, bemerken mußte, daß seine Pferde nun wieder alle ihre Gedanken mit Stumpf und Stiel aufgefressen hatten? Natürlich war das der Grund!

Übrigens war die Hütte der Alten verschrien im weiten Umkreis, weil es dort nicht geheuer sein sollte. Und wenn einer von den beuten die alte Unn brauchte, ein Tränklein fürs Vieh vielleicht, oder auch eines für einen jungen Burschen, der blind an einer Magd vorbeilief und nichts zu sehen schien von den feinen Dingen, die sie ihm restlos schenken wollte, wenn er sie nur gewahr geworden wäre, – in solchen Fällen also kam man an einem Schönwettertag, wie es heute einer war, und fand dann die alte Unn vor der Hütte sitzen, ohne daß man ihren Bau zu betreten brauchte.

Heute aber kräuselte dünnen blauer Rauch aus der halbverrosteten Eisenröhre, die aus dem Grasdach der Alten hervorstak. Ein dritter Verdachtsgrund für Gudbrandur, der nun entschlossen war, das Geheimnis zu lüften, das sich vor seinen witternden Nasenflügeln mehr und mehr verdichtete, anstatt sich aufzulösen. Er schnupperte mit seiner langen Nase, ob vielleicht der Rauch ihm Aufschluß geben könnte, denn natürlich mußte es ein besonderer Rauch sein, der aus Unns Palast aufstieg. Man mußte gewissermaßen schon am Rauch merken können, was da drinnen vor sich ging, hm! Aber er wurde nicht klüger, obwohl der Wind setzt die bläulichen Schwaden genau quer vor seine Nüstern trieb. Da ließ er seine Packpferde zurück, weil das Klappern ihrer Tragkisten vielleicht die Alte vorzeitig auf ihn aufmerksam gemacht hätte, und ritt auf leisen Sohlen, falls man das so nennen konnte, und unter Benutzung dichtbewachsenen welchen Grasbodens bis an die Tür der Kate hin, die er wegen ihrer windschiefen Bretter mißbilligend betrachtete, er, der Beamte, dessen staatliche Postkisten nach allen Seiten haargenau im Lot standen!

»Kann man das vielleicht noch eine Tür nennen?« murmelte er verächtlich und spie vielsagend zu Boden. »Ein Schafgatter ist dagegen noch ein Kirchenportal, ho!« Statt der Klinke war eine grau verwitterte Schnur um einen Nagel gewunden, die aussah, als zerfiele sie, wenn man sie nur mit den Fingerspitzen berührte. Und zwischen den Bretterritzen wucherte bleichgrünes Moos heraus. Es war ein richtiges Hexenhaus.

Gudbrandur stieg langsam und vorsichtig von seiner Stute herab und warf ihr die Zügel über den Kopf. Dann machte er sich daran, die Schnur, die nun einmal eine Klinke vorstellen sollte, von dem rostigen Nagelkopf loszuwickeln. Er wollte einen kleinen Spalt der Tür öffnen, damit er einen Blick auf das Blendwerk werfen könnte, das Unn wohl drinnen aus schmutzigen Töpfen zusammenleimte. Er hörte keinen Laut, nichts! Man mußte vielleicht das Ohr an die morschen Bretter halten, bevor man mit dem Recht, das der Obrigkeit zustand, unverhofft in ihre Hütte eindrang.

Plötzlich vernahm er ein Wimmern von drinnen – und ein Stöhnen – eine andere Stimme sprach dazwischen hinein.

Gudbrandur wurde blaß bis unter den Hut dabei, und seine Lippen begannen in den Winkeln zu tanzen. »Höll und Teufel!« murmelte er, »Höll und Teufel!«

Da war die Alte dabei und hatte Besuch bekommen! Und vielleicht war es der Pferdeschwänzige selbst, der sich anschickte, die Hexe abzuwürgen. Er horchte atemlos, – ein Schrei kam durch die Bretter. Gudbrandur spuckte abergläubig über seine linke Schulter zurück. »Teufel! Jetzt hat er sie!«

Aber nie im Leben spie Gudbrandur seitdem mehr über seine Schulter zurück. Denn als er seinen Kopf wieder in eine normale Lage bringen wollte, verlor er vor lauter Lauschen plötzlich das Gleichgewicht und sauste mit der Hirnschale voraus durch die morsche Brettertür in Unns Höhle hinein. Es war ihm im Fallen, als ob die Welt um ihn zusammengebrochen wäre und als sähe er die Hölle brennen. Ein markerschütternder Schreckensschrei schlug ihm entgegen. Eine lange weiße Gestalt schien über ihm zu stehen und nach ihm zu fassen. Danach ging ein Gezeter los, – das waren die Teufel, die sich nun auf ihn stürzen wollten, um ihn, den armen dürren Gudbrandur, in tausend Fetzen zu zerreißen.

Er lag am Boden und suchte krampfhaft nach einem Halt in seinem Schrecken. Aber entsetzt fuhr er zurück, als wieder ein Schrei durch die Hölle hallte, und noch einer. Jetzt schrie die alte Unn! Zeternd lief sie um ihre Bettstatt und schraubte den Docht in ihrer Lampe in die Höhe, die sie dann mit zitternden Fingern über den Eindringling hielt, um ihn zu beleuchten und sein Gesicht zu erkennen.

Eckige Schatten und Lichter flogen über den Mannskörper am Boden, über sein bleiches fahles Gesicht, in dem sich der Schnurrbart wie eine Bürste sträubte. Und der Mannskörper streckte zwei abwehrende Hände vor sich hin.

»Hihihi!« zwitscherte die alte Unn plötzlich aus ihrer vertrockneten Kehle, »hihi, ist das nicht Gudbrandur Steffansson, der Postreiter, hihi, der sich hier in fremde Häuser einschleicht!« –

Sprachlos hockte das Gerippe von einem Postreiter vor der Alten, mit starren, entsetzten Augen. Ein Gebet nach dem andern flüsterte er mit bleichen Lippen. Dann plötzlich schrägelte er hoch und wollte entwischen. »Hihi!« machte die Alte und erfaßte ihn noch rechtzeitig am Hosenbein, als er die drei Stufen hinauftaumelte, in die lockende Freiheit!

»Hihihi, sie ist schwach, die alte Unn! Und du mußt ihr helfen!« flehte sie und hob hilflos die dünnen Arme hoch, worauf sie auf etwas Weißes zeigte, das auf dem Lehmboden lag, der Lagerstatt zu Füßen. Gudbrandur wollte sich mit aller Macht befreien. Er schickte einen angstvollen Blick in das Gesicht des alten Weibleins, und er sah... ein paar Tropfen, die ihr über die Wangen liefen, und wie sie zitternd den Mund bewegte, durchaus nicht so, wie man es sonst von Hexen kannte. Jäh war seine Zuversicht wieder zurückgekommen. In einem Sprung sozusagen. Hm, war man nicht ein Mann, ein richtiger Mann!

Nun, seine Augen waren immer noch etwas scheu, indem er auf der untersten Stufe stand und sah, was da auf dem Boden lag. Das war ja ein Weib! Ein Mädchen! –

Teufel! Das war ja das Mädchen von Arnarholt! Kjarvals Tochter! Nach der sie seit drei Tagen das halbe Land abgeritten hatten, um sie zu finden. Und da lag sie nun! –

»Gemordet hast du sie!« wimmerte die Alte, »vom Bett ist sie gefallen! Heb sie wieder auf, Verfluchter!«

Da riß er seine brüchigen Knochen zusammen. Vorsichtig schob er Asdis seine schwieligen Pranken unter den bebenden Rücken und legte sie auf das Bett zurück. Dann rannte er mit einem Satz aus der Kate und kletterte in den Sattel. Vergessen waren die Postkisten und die Packpferde. Mit einem schäumenden Gaul galoppierte er durch die Steppe nach Kjarvals Hof, während die alte Unn ihre Öllampe wieder über der Lagerstatt aufhängte und sich neben der Kranken niederkauerte, um sie unentwegt zu betrachten.

Ihre Gedanken sandte sie zu IHM, daß er dem kranken Mädchen das Leben erhalten mochte.

Geir sattelte bei den Hofgebäuden von Arnarholt ab, als er am dritten Tag dort wieder anlangte. Dem Roten gab er einen leichten Schlag auf die Hinterhand und sah ihm nach, wie er langsam zu einer Gruppe werdender Kameraden hintrabte. Auch der Hengst war müde. So müde wie der Bursche, der nun den Häusern zulief und sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Er hatte gedacht, daß er zu Asdis gehen müßte und sie umfangen und bei ihr ausruhen, so müde war er. Aber er schlug sich diesen Gedanken wieder aus dem Kopf, weil er fürchtete, daß sie seinen Zustand erkennen könnte und seine Schwäche, die ihn im Berg überfallen hatte. Es war am besten, wenn er zur Scheune ging und sich im Heu vergrub, bis die Sonne wieder hinter den Bergen aufstieg und die Nacht aus ihnen vertrieb, die Nacht, das Grauen und den Tod. Wenn die lebendigen Strahlen der Sonne über den Klippen und Schrunden lichterten und lohten, mußte dann nicht der Tod aus ihnen weichen?

Er schlug die Scheunentore zurück, wo die geöffneten Särge standen. –

Er trat auch langsam näher und begann wieder am ganzen Leib zu beben, während er doch Ruhe suchen wollte und Alleinsein. Aber es war wohl so, daß man nicht allein war, solange die Erde nicht hatte, was ihr gebührte.

Er schlug das Tuch von Oddurs Gesicht zurück – jau, den kannte er! Trotz der Risse, die durch sein Antlitz liefen, hatte Oddur jetzt ein freundliches Gesicht, seit die Starre des Todes sich wieder ein wenig gelöst hatte. Er sah beinahe pfiffig aus, – keiner hatte ihm das eine Auge zugemacht! Sie hatten sich wohl davor gescheut! Aber nun mußte es doch geschehen. Er mußte ja nun endlich zur Ruhe kommen, der Alte! Und es war gut, daß es der Sohn seines Bauern war, der ihm diesen kleinen Dienst erwies zum Dank für das ganze Leben, das er ihm geopfert hatte, wenn er Oddur etwa bei Lebzeiten einmal über dieses eine Auge gefahren wäre, so behutsam und weich, wie er es jetzt tat, so hätte der Dummkopf von einem Alten natürlich geheult. Deshalb war es gut, daß er nun tot war. Ein richtiger Toter kann doch nicht heulen.

Aber die Lebenden natürlich, hm, natürlich ist das eine andere Sache! Geir Thors, der ein Schluchzen unterdrückte, bückte sich und zog seine silberbeschlagene Peitsche aus dem Stiefelschaft, an deren unterem Ende die Initialen seines Namens eingegraben waren. Der Griff war aus gelblich schimmerndem Walbein gearbeitet. Er hatte es selbst aus dem Gerippe eines Blauwals geschnitten, der einmal südlich vom Sandfellhof an der Küste gestrandet war. Eine Peitsche, wie man sie selten auf Island gesehen hatte. Mit reichem Schnitzwerk und einem kräftigen Riemen aus Seehundshaut.

Er streichelte ein wenig über ihren Schaft und ließ den Riemen durch seine Finger gleiten. Dann steckte er sie dem alten Oddur zwischen die eine Knochenhand, die so hart eingekrümmt war, als ob er in seinem letzten Augenblick noch etwas in ihr gehalten hätte. Es war nicht leicht, ihm den Stiel in seine Hand zu zwingen. Aber am Ende ging es. Und sieh, da fiel etwas aus den verkrampften Fingern des Alten. Ein kleiner Zeugfetzen. Schwarz! Es war ein Glück, daß Geir ihn achtlos beiseite warf, – es hätte sonst sein können, daß er ihn zu Boden gedrückt hätte und er nie wieder aufgestanden wäre nachdem, – es war ein kleiner Fetzen von einer schwarzen Pfarrhose, der dem Alten in den Fingern geblieben war. Sera Leif hatte auch im Berg seine Predigerhose getragen, damit er wenigstens mit einem Kleidungsstück noch ein Pastor war unter den rauhen Knechten.

Geir streichelte dem Alten noch einmal über die Wange und deckte ihn dann wieder zu. Aber am nächsten Sarg blieb er noch viel länger stehen und starrte in das Gesicht der kleinen Sigga. So vertieft war er dabei, daß er nicht hörte, wie die alte Kristin hinter ihm in den Schober humpelte und murmelte, – hm, daß sie nun doch geglaubt hätte, es sei ein Schritt über den Hof gegangen, sie fürchtete sich ja vor den Särgen, hmhm, – aber weil die Scheune schon einmal offen gestanden hätte, so hätte sie also gedacht, daß man doch einen Blick hineinwerfen könnte.

»Und da steht Ihr!« hob sie dann die Stimme, daß Geir Thors herumfuhr, mit einem Gesicht, das nicht viel besser war als das der stummen Leute in den Särgen, »also da steht Ihr! wißt Ihr nicht, daß kein Mensch auf dem Hof ist, weil sie derweil das Mädchen suchen? Seit drei Tagen schon!«

»Das Mädchen?« flüsterte der Bursche und sah wie aus einem Traum auf die Alte.

»Jau, das Mädchen!«

»Ihr meint doch nicht, meint Ihr vielleicht die Asdis?«

»Just die Asdis! Und der Bauer meinte, daß sie in die Berge geritten sei, weil sie Euch suchen wollte! Aber Ihr denkt wohl, es sei besser, bei andern Leuten zu stehen indessen!«

Und nach diesen Worten begann sie zu flennen und zu wimmern, daß der Bursche ratlos an ihr vorbei zur Tür ging, weil er doch nichts Genaueres aus ihrem Gestammel heraushören konnte. Er holte sich ein frisches Pferd unter den vorhandenen Tieren heraus und warf ihm den Sattel über den Rücken, der noch von seinem letzten Ritt schweißig war. Dann saß er auf und ritt Zum Hausgang, weil er noch eine Peitsche holen wollte, denn er wußte nicht, was für einen Gaul er sich in der Eile gerade gegriffen hatte. Und es mochte ein saures Reiten geben, wenn man ihm nicht etwas nachhelfen konnte, sofern es vonnöten war. Als er den ganzen Hausgang nachgesucht hatte und auch noch die Knechtstube, ohne auch nur einen ellenlangen Riemen zu finden, ging er wieder hinaus und zur Scheune hinüber.

»Es ist nur so – du weißt schon!« sagte er zu dem alten Oddur, »ich war etwas voreilig, das mußt du einsehen! Ich verspreche dir aber, daß ich sie dir zurückbringen will, siehst du!« Damit nahm er ihm die Peitsche wieder aus den Fingern und verließ den Heuboden, um zu seinem Pferd zu kommen.

Er wußte zu der Zeit noch nicht, daß ihm der Alte nun zum zweitenmal einen unschätzbaren Dienst erwiesen hatte, als er ihn noch eine Zeitlang auf dem Hof zurückhielt. Denn gerade jetzt ritt der lange Gudbrandur schon ganz nahe am Hof mit seiner Stute, die die Beine wie ein Kamel hinter sich warf und doch kaum mehr vorwärtskam, weil ein solches Rennen, wie es der Postreiter heute mit ihr anstellte, sowohl über ihre Begriffe als auch über ihre Kräfte ging.

Und wer weiß, was geschehen wäre, wenn der dürre Gudbrandur etwa ein Händler oder ein Brettschneider gewesen wäre, und nicht ein postreitender Beamter, der natürlich überall genau zur rechten Zeit eintraf, wie jetzt zum Beispiel.

»Wißt Ihr es schon, he? Bei der Unn! Bei der Unn!« brüllte er und schwenkte die Arme, daß seine Stute nun vor Schreck wirklich noch das laufen lernte. »Da ist sie, jau, bei der Unn!«

»Hsss!« krächzte die Kristin und hob ihrerseits die Arme, »wißt Ihr nicht, daß Tote im Haus sind? Und da schreit Ihr wie ein richtiger Flegel!«

»Der Flegel –« schrie sie noch ingrimmig, als er schon vorbeigebraust war und beinahe den Burschen samt seinem Pferd umrannte, weil die Stute nun nicht mehr so leicht zu bremsen war, nachdem sie nun endlich in Fahrt gekommen war. Aber Gudbrandur Steffansson hatte nicht umsonst ein ganzes Leben lang mit bald siebzig Jahren mehr im Sattel gesessen als auf einer Bank oder gar im Bett. Er führte die Stute nach kurzem Kampf dahin, wo sie hingehörte nach dem Willen des Allmächtigen und Gudbrandur Steffanssons, des postreitenden Beamten.

Darauf neigte er sich aus dem Sattel zu Geir hinüber und sagte: »Ich weiß ja, nun, ich weiß, was alles geschehen ist!« Dann machte er eine großzügige Handbewegung. Das war nun also vergeben und vergessen, und kein Hahn sollte mehr darüber krähen! Hierauf machte er wieder eine Pause und schrie dann plötzlich: »Aber jetzt ist sie bei der alten Unn vom Geysir! Und krank ist sie auch! Und am Ende wärt Ihr der beste Arzt für sie, he?« Er schnaufte tief aus seiner trockenen Kehle und blinzelte vielsagend und doch zugleich wegwerfend und brummte schließlich: »Daß Ihr es wißt! So sind nun einmal die Weiber.«

Der Bursche saß vorgeneigt auf seinem Pferd und hörte auf den Alten, und dabei war er das eine Mal aschfahl über das ganze Gesicht und wieder glühend rot. Und er hatte dem alten Postreiter auch noch kein Dankeswort gesagt, als er nachher bei ihm in der Knechtstube auf einer Bank saß und ihn erzählen hörte, wie das nun alles eigentlich gekommen war. Doch als Gudbrandur an der Stelle angekommen war, wo er seine Pferde zurückgelassen hatte und die Postkisten, da schob er plötzlich mit einem Ruck die Teller und Tassen von sich und das Brot dazu, das er in der Hand hielt.

Unruhig rutschte er auf der Bank herum und sprang schließlich mit einem Fluch auf seine Ständer. Und keine Minute mehr hielt es ihn darauf im Haus. Die Postkisten! Die hatte er ja ganz vergessen! Der Teufel mochte wissen, wo sich die Postkisten nun herumtrieben, denn er hatte ja nicht einmal Zeit gefunden, sie von den Pferden zu schnallen.

Er rannte auf die Wiese hinaus, wo seine Stute graste. Erst hatte er gedacht, sie auf dem Hof zu lassen und ein frisches Pferd für den Rückritt zu borgen. Aber nun mußte er sie auf jeden Fall wieder mitnehmen, jau, sie war nämlich rossig. Und dem Herrn sei Dank, daß sie es war, denn wenn die Postkisten nun etwa weggerannt waren, so würden sie wie ein geölter Blitz wieder angelaufen kommen, sobald die beiden Hengste, die sie trugen, auf zehn Kilometer im Umkreis die brave Stute rochen.

Geir Thors war hinter dem Alten hergelaufen und ging zu seinem Pferd, während der lange Gudbrandur schon im Sattel war und losgaloppierte. Im Wegreiten schrie er noch zur alten Kristin hinein, daß sie den Bauern hinter ihm herschicken sollte, sobald der wiedergekommen sei.

Noch auf dem Wege zum Großen Sand holte Kjarval mit seinen Knechten den Postreiter und Geir Thors ein. –

Dem Mädchen Asdis schien es an diesem Tag, als ob die Zeit zurückgerollt wäre, als sei sie wieder ein Kind wie ehedem, das der große starke Mann, der ihr Vater war, freudig an seine Brust drückte und es vor sich auf den Rücken seines Pferdes hob, um mit ihm in den Abend hineinzureiten und zum Hof.

Und es folgten ihm wie damals viele Reiter auf schnellen Pferden, die Knechte von Arnarholt! Die herbstliche Steppe stäubte unter den vielen Hufen der Tiere, Bügel klirrten, und die Männer redeten freudig miteinander, als seien sie froh, daß sie die Hoftochter gefunden hatten. Doch neben dem starkknochigen Roß des Bauern ritt noch ein andrer Mann in der Schar. Es war schier noch ein Jüngling, der neben Kjarval dahinritt auf Raudur, dem Roten.

Der Bauer sah bald auf seine Tochter, die er in seinen Armen hielt, sorgsam, daß die Schritte des Pferdes ihr nicht schaden sollten, bald sah er wieder auf den Jungen an seiner Seite und lächelte ihm vertraut und froh zu. Und Kjarval hatte doch seit vielen Monaten nicht mehr zu lächeln vermocht, sondern nur Angst und Sorge mit sich herumgetragen, wo er auch ging.

Einmal hielt er plötzlich sein Roß an, sah erst auf Geir und schließlich auf die Knechte. Er hatte ein sonderbares Gebaren dabei, als er sich so im Kreis all der Leute umsah. Die Männer konnten sich nicht erklären, was er damit meinte und warum er überhaupt mitten im Traben angehalten hatte.

Nur der lange Gunnlaugur begann plötzlich zu schmunzeln und nickte, als ob er ahnte, was nun geschehen würde, wie unklug mit dem Kopf und lachte schließlich richtig heraus. Und danach brüllte er begeistert, weil er sah, wie Kjarval å Arnarholt das Mädchen Asdis dem jungen Geir auf seinen Sattel hinüberhob und ihn dabei fragte, ob er wohl dächte, daß es auf diese Weise eine bessere Ordnung mit den Dingen sei.

»- auf diese Weise!« hatte Kjarval gesagt und sein Pferd danach hinter das des Burschen gesetzt, weil jetzt Geir die Spitze des Trupps übernehmen sollte.

Aber nach den fröhlichen Rufen der Männer trat gleich wieder Stille ein, in der man nur die Pferde über den trockenen Steppenboden trappeln hörte, doch nicht das leiseste Murmeln unter den vielen Reitern.

Das war in dem Augenblick, in dem das Mädchen Asdis wie unbewußt ihre Arme um den Hals des Jungen schloß, vielleicht weil ihr der Tausch gar nicht zum Bewußtsein gekommen war. Sie drückte sich fest an den Mann, der sie im Sattel vor sich hielt. Und das war wohl nur, weil sie sich vor den Stoßen des trabenden Pferdes bergen wollte. Sicher war es das.

Nur Gunnlaugur begann wieder zu schmunzeln, als er das gewahrte, denn er hatte einmal den Roten geritten, damals im Berg, als Geir Thors in den Felsen suchte, – nun, damals! Da hatte er ihn den Bergsteig hinabgeritten bis zu einem Ort, an dem er weiden konnte, bis der Bursche wieder zurückkam.

Just deshalb schmunzelte Gunnlaugur, denn dabei hatte er gemerkt – der Teufel sollte ihn holen, wenn auf ganz Island ein einziges Pferd so weich ging wie der Rote!

Die alte dürre Unn war vor ihrer Hütte zurückgeblieben und hatte die ganze Zeit über nur haßerfüllt auf die vielen Rosse gesehen, die den Rasen um ihre Hütte zerstampften.

»Herr, nun reitet! Reitet!« hatte sie unwillkürlich gemurrt.

Und als Kjarval frug, wie sie darum dächte, sie sollte nach Arnarholt kommen für den Rest ihres Lebens –

»Reitet, Herr, reitet!« erwiderte sie nur wieder, und wies dabei in den Sand hinaus, der öd und grau sich hinter der Hütte nach Norden zog: »Die Gedanken, Herr! Die Gedanken!«


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