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VII

Der Tag des Aufbruchs war gekommen.

Schulter an Schulter hockten die Knechte in der Hofstube hinter den Tischen und hörten zu, was Kjarval å Arnarholt ihnen zu sagen hatte. Und in der Tür standen die Mägde, oder sie liefen auch zwischen den Knechten hin und her und gossen ihnen die geleerten Tassen wieder voll aus großen dickbauchigen Kaffeekannen.

»Thorkill soll also den Nordstrich nehmen, das habe ich die Tage mit ihm besprochen. Und du bleibst bei mir, Geir, und Ihr wohl auch, Sera Leif! Wollt Ihr wirklich mit uns reiten?«

»Mein Amtsbruder meinte«, räusperte sich der Prediger und schaute auf den Bauern, »es gäbe nicht viel zu tun in der Pfarre, zur Herbstzeit ohnedies nicht! – Ja, ich will schon mit in den Berg.«

»Nun, dann ist das abgemacht! Ihr reitet dann bei mir. Geir kann ein Auge auf Euch haben«, fügte er bei, »bis Ihr Euch zurechtgefunden habt!«

Sera Leif schickte einen Blick zu Asdis hinüber, die neben ihrem Vater stand, die Hand auf seine Schulter gestützt hatte und dem Gespräch der Männer zuhörte. Aber sie begegnete seinen Augen nicht, sondern sah nur schweigend auf das Papier, das Kjarval vor sich ausgebreitet hatte. Es war eine Karte der Berggebiete, die er sich mit vieler Mühe selbst zusammengezeichnet hatte nach seinen vielen Ritten durch das Innere des Landes.

Die Pferde, die auf der Hofwiese herumliefen, schienen den bevorstehenden Aufbruch zu wittern. Sie schritten nicht, gemächlich wie zu andern Zeiten weidend, die Steinmauer entlang, die einen großen Teil des Hofes gegen die Steppe hin abschloß, sie rupften nicht da und dort mit gelangweiltem Senken des Kopfes einen Grashalm los. Es war anders! Jeden Augenblick fuhren ihre Köpfe hoch und wandten sich wie auf ein Kommando alle zugleich den Hütten zu, vor denen Sättel und Zaumzeug in einer langen Reihe lagen. Und oft, wenn sie schon ein Glasbüschel gefaßt hatten, vergaßen sie, es loszureißen, weil drüben im Haus eine Tür gegangen war oder ein Fenster. Jeder Augenblick konnte etwas Neues bringen, etwas, das man nicht übersehen durfte.

Aufbruch! riefen die Sättel und Zäume, Aufbruch ins Gebirg!

Der Rote lief würdevoll zwischen den andern Tieren umher. Er fraß sich manchmal zu einem von ihnen hin und drängte ihn weg von seinem Weidegrund. Nicht etwa, weil dort fetteres Gras gewachsen wäre als anderswo. Das spielte keine Rolle. Aber es galt zu zeigen, daß er hier der Herr war, dem sie widerstandslos zu gehorchen hatten. Oh, es war nur ein verschwindend kleines Bruchstückchen der Macht, die er in den Bergen besessen hatte. Wenn einer sein Näherkommen übersehen wollte, so blieb er stehen und sah mit starren großen Augen auf ihn hin, – hm, ob er noch nicht bemerkt hatte – dann warf er den Kopf steil zurück und schaute von der Seite nach ihm, und wenn auch das nicht genügen wollte, so stieß er geräuschvoll die Luft durch die Nüstern und trabte an, stellte mit schlagenden Hufen an ihm hoch, daß der andere verdutzt zur Seite wich und davonlief. Denn diese Geste war nicht zu übersehen. Und die Augen des Hengstes blitzten verdächtig dabei, tückisch!

Oddur, der Alte, saß auf einem zweirädrigen Karren vor dem Haus, während sie drinnen den Trieb besprachen. Er hörte das Murmeln und Rufen der Stimmen sogar durch die Tür hindurch. Ja, es ging nicht eben leise zu im Haus drinnen. Und Oddur wollte sich nicht mehr die Kehle wundschreien auf seine alten Tage. So saß er in der Sonne und taute sich die Knochen auf. Es gab ja so allerhand zu denken, jau! Viel! Er hatte sein Leben lang nicht so viel denken müssen wie heute.

Als er glaubte, endlich zu Rande gekommen zu sein, zu einem Entschluß also, da wollte er gerne die Probe aufs Exempel machen, wie er es immer bei wichtigen Dingen getan hatte. Er nannte es die Sonnenprobe. Sie war ganz einfach. Er fixierte ein wenig einen Pfahl, der vor dem Haus stand, weil die Mägde ja etwas haben mußten, an dem sie die Wäsche aufhängen konnten zum Trocknen, hm. Dann holte er aus und traf auch richtig den Balken mit etwas, mit etwas also, das nicht näher beschrieben werden soll. Als er sah, daß er gut getroffen hatte, begann er nach der Sonne zu blinzeln. Er hob sogar die Hand über die Augen oder vielmehr über sein Auge, denn man mußte sich schonen, wenn man deren nicht mehr zwei hatte wie gewöhnliche Sterbliche. Hm, und dann drehte er den dürren Kopf und sah also wieder auf den Pfahl, an dem die – hm, also die Feuchtigkeit herablief. Und wenn nun die Sonne sie austrocknete, bevor sie den Boden erreicht hatte und im Gras versickerte, dann war alles in Ordnung, was sich der alte Oddur gedachte hatte.

Der Alte rutschte aber am Ende aufgeregt auf der Wagendeichsel hin und her, denn die Brühe lief schnurstracks dem Boden zu. Er schaute erst empört auf den feurigen Sonnenball und dann wieder auf den Pfahl, und wurde noch aufgeregter. Die Sache war schon in der Höhe der Grasspitzen angelangt, die an dem Pfahl heraufwucherten. Mißtrauisch blinzelte er hinüber. Aber plötzlich grinste er, denn es war deutlich, jetzt war Schluß mit dem Fluß. Er rannte hinüber und bückte sich hinab, um genau zu sehen. Vorsichtig schob er die Grashalme am Ende des Balkens zur Seite. Jau! Die Sonne hatte gesiegt, im Verein mit dem alten Oddur. Hm, es war also klar!

Mittlerweile hatte er einen Zuschauer bekommen. Ein helles Lachen flog ihm plötzlich um die Ohren, über die ihm die Haare so dicht hereinwucherten wie die Gräser um den Pfahl.

Als er sich umwandte, sah er Asdis in der Tür stehen, wahrhaftig, zum erstenmal seit vielen Wochen sah er sie lachen, zum erstenmal lachen.

Am Ende lachte sie ihm doch ein wenig zu viel. Sicherlich ging das Lachen auf seine Kosten jetzt. Es war also zu viel. Er stand brummend auf und wollte abstreichen. Aber dann besann er sich anders und blieb stehen.

»Eh, Jungfer, da lacht Ihr –« sagte er böse. Er sah so komisch aus in seinem Harm, daß ihre Schultern zu zucken begannen und sie schließlich am ganzen Leib flog vor eitel Vergnügen.

»Da lacht Ihr nun«, brummte er nochmals, »aber, hm, ich könnte Euch sagen, also, warum lacht Ihr jetzt?«

»Hast du etwas verloren, Alter?«

»Ich habe etwas gefunden!« sagte Oddur streng und begann nun plötzlich auch zu grienen. »Und es betrifft Euch!«

»Mich?«

»Just gerade Euch!«

»Was ist es denn? Du?« fragte sie plötzlich eifrig, »hast du die Spange gefunden hier? Hab' ich sie hier verloren?«

»Hup, Spange?« tat der Alte und machte eine Bewegung, als wollte er eine Fliege verscheuchen. »Hm, also!« flüsterte er dann, »jetzt geht es um andere Dinge! Das sag' ich! Um andere!«

Asdis trat einen Schritt näher zu ihm und bekam ihn am Rockärmel zu fassen. »Erzähl doch, Oddur, was ist es denn?«

Oddur wurde weich unter ihrem Blick, – er war jetzt nur noch ein weicher Lappen, der jederzeit in sich zusammenfallen und auf dem Boden liegen konnte vor lauter Glück. Das Mädchen war ganz nahe bei ihm, daß er sogar die kleinen Flimmerhärchen betrachten konnte, die um ihre Wangen standen wie silberne Pünktchen. Und er sah ihre Augen so nahe.

Er verzieh ihr sogar ihr Lachen in diesem Augenblick.

»So, jetzt erzähl doch!«

»Hm, es ist nichts, nichts.« Oddur war standhaft.

»Oh – « tat sie enttäuscht, während ihr der Schalk aus den Augen blitzte und funkelte.

»Jau, es ist schon etwas!« knurrte er vor sich hin und wandte seinen Kopf weg von ihr, »aber das werdet Ihr noch sehen, es ist schon etwas. Wartet nur!«

Sie war nun wirklich neugierig geworden, die Asdis, aber in diesem Augenblick kamen ein paar Knechte zur Tür heraus und blieben verwundert stehen. Einer von ihnen lachte. Es war Einar. »He, da sie einer«, rief er laut, – und jetzt kam auch noch der Bauer heraus, »Oddur geht auf Freiersfüßen!«

Oddur stand geschmeichelt vor den Knechten und nickte: »Da habt ihr es nun gemerkt, he, hihihi, – nun haben sie es gemerkt.«

Auch in Kjarvals Augenwinkeln wollte ein Lächeln hochkriechen. Aber da geschah etwas anderes, auf der Wiese drüben.

Das helle Wiehern des Roten riß die Köpfe der Männer herum. Hufschläge dröhnten im Grund. Sie sahen den Roten hoch aufgerichtet vom Boden wegstehen. Er hatte die Hufe bis an das Maul gehoben, und sein wehender Schweif schlug die Luft.

Nur für die Länge eines Gedankens währte dieses Bild. Die Augen des Hengstes funkelten tückisch auf seinen Gegner nieder, und seine kurzen Ohren legten sich gedrückt in den Schwung des kräftigen Halses. Alle wußten, was jetzt kommen würde, und doch standen die Männer wie gelähmt. Keiner der Leute hätte auch nur mit einem Ruf Einhalt geboten, keiner der Reiter. Geir stand mit vorgeneigtem Kopf und griff nach dem Arm des Bauern, da krachte der Hengst mit der ganzen schwingenden Kraft seines schweren Körpers auf den Gegner nieder, weit geöffnete und dampfend das Maul, und sein Gegner war Odinn, der Schwarze. Der Huf des Roten rammte ihn zwischen den Ohren, daß er schwankend zurücktaumelte, in die Knie ging und seine Weichen entblößte, schutzlos. Und die schweren Eisen des Roten trafen beim zweiten Ausholen stampfend den Leib des Rappen. Ein blutiger Riß zog durch seine Decke.

Die Reiter standen atemlos. Langsam dämmerte es in ihren Gehirnen, daß hier etwas geschehen war, was nicht hätte sein dürfen, was man verhindern mußte. Noch einmal bäumte der Rappe sich auf die Seite. Seine Beine ruderten lächerlich, ziellos in der Luft. Da fuhr der Rote dem Besiegten an die Kehle und biß zu.

»Ho, Raudur!«

Die Männer stürzten zum Kampfplatz. Flüche, Schreie, eine Peitsche pfiff durch die Luft.

Der Rote sah sie auf sich zurennen. Er hob den Kopf, was hatten hier Menschen zu suchen! War es nicht, daß er auf freier Steppe einen zu Boden geschlagen hatte, der sich gegen ihn auflehnte? Mit einem federnden Satz sprang er über den Körper des Rappen und stand noch schnaubend, als plötzlich ein Dutzend Männer über ihn herfielen. Fäuste fuhren in seine Mähne. Er versuchte sie abzuschütteln, kämpfte wie ein Teufel mit den Männern, bis er sich ihnen ergeben mußte.

Den Rappen mußten sie töten.

Kjarval hatte sein Messer freigemacht, der Schwarze starb von seiner Hand.

Ein großes Schweigen kam an diesem Tag über den Hof. Die Knechte murmelten in der Stube. Den Bauern sah niemand bis zum Morgen, wo die Männer sich zum Abritt fertig gemacht hatten. Erst dann kam er vors Haus und sah ihnen zu, wie sie sattelten und die Packpferde beluden.

»Hört her, Leute«, rief er plötzlich und hob die Hand, »Thorkill!« Geir blieb bei dem Roten stehen, der immer noch unwillig an seinem Eisen kaute und wild an den Zügeln riß.

Thorkill schritt langsam auf den Bauern zu, und die Knechte ließen ihre Pferde stehen, wo sie waren, und wer den Sattel noch nicht festgeschnallt hatte, nahm ihn wieder vom Rücken seines Pferdes und legte ihn ins Gras, derweil.

Der Altknecht dachte, daß der Trieb nun beginnen sollte. Er reichte dem Bauern die Hand, wie es seit langem Sitte gewesen war, und wünschte ihm viel Glück im Berg, zum Abtrieb. Kjarval sollte ja ihr Führer sein wie die ganzen Jahre hindurch.

Aber Kjarval hob nicht den Kopf, um ihm zu danken.

» Welches Pferd wollt Ihr reiten, Bauer?« frug Thorkill. »Da ist der Graue, er geht sicher im Berg. Ihn vielleicht?« Er stand unbeholfen vor Kjarval, eckig, er wußte nicht, was er sagen sollte, er schaute auf seine Kameraden, die hinter ihm standen.

»Hört, Leute!« sagte der Bauer plötzlich, »ich bin alt geworden. Ihr werdet dieses Jahr ohne mich reiten müssen.«

Verblüfft sahen die Knechte auf ihn.

»Wenn es sich so verhält, Kjarval«, sprach Thorkill unsicher, »wer soll, – habt Ihr einen Vorschlag? Wer soll der Führer sein?«

Der Bauer schickte seine kühlen Augen über die Männer hin und kam wieder zu dem Altknecht zurück.

»Schon zu meines Urgroßvatern Zeiten haben sich die Bergreiter ihren Führer selbst gewählt. Ich habe nichts dazu zu sagen. Aber ihr solltet nicht das Alter wählen, dünkt mich. Es ist eine leichte Wahl, sich dem Älteren zu fügen. Ihr müßt dem Mann in die Augen sehen, den ihr wählt.«

Keiner der Knechte erinnerte sich, daß Kjarval jemals so zu ihnen gesprochen hatte. Und keinem entging es, daß die dünnen Lippen des Bauern zitterten.

»Er nimmt es schwer«, flüsterte Einar hinter Thorkill, »das mit dem Rappen. – Es ist doch nur ein Tier.«

Thorkill wandte sich um und sah über seine Leute hin: »Habt ihr einen Vorschlag?«

Als er sich wieder umwandte, sah er, daß der Bauer weggeschritten war, seinem Hause zu.

»Redet also!« drehte er sich nach einer Pause wieder zu den Männern, die um ihn herumstanden. Es waren lauter sehnige Gestalten, und wenn einer von ihnen mit den Jahren krumm geworden war, so hatte das nichts zu bedeuten. Das machten die Augen wieder wett und das, was in ihnen zu lesen war.

Da waren Gunnlaugur und Magnus und Einar – Einar war noch jung und doch schon alt genug, um ein Mann zu sein wie die andern. Dann war noch Helge da, Pjetur, Ole.

Thorkill schaute zu Ole hin.

Ole hatte flachsblonde Haare, und sein Bart stand ihm wie ein Brand von den braungebeizten Wangen weg. Seine Beine waren nach der Sattelwölbung gebogen, und sein ganzer Körper hing leicht vornüber, daß es aussah, als suchte er beständig und erwartete, etwas zwischen den Steinen am Boden zu finden. Er war einer von den Alten gleich Thorkill und brauchte nicht mehr geprüft zu werden, weil er bald zwei Jahrzehnte lang den Beweis geliefert hatte, wer er war und was man von ihm erwarten durfte, – alles nämlich!

Der Altknecht heftete also seinen Blick auf Ole.

»Ole! Ole!« begannen die Knechte zu murmeln, und der dunkelhaarige Pjetur kam schließlich laut mit dem Namen des Alten heraus, »der müßte es sein, jau!«

Aber da begann der Flachsblonde sich zu räuspern und hüstelte vor sich hin, wie er merkte, wo die andern hinauswollten. »Kein Wort hätte ich gesagt«, rief er, »kein Wort, wenn es also nötig wäre, wenn es nun durchaus sein müßte. Aber es muß nicht sein!« brummte er hinterher, »oder vielleicht doch?« Nach dieser Unmenge von Worten drehte er seinen Daumen über die Schulter zurück und nickte mit dem Kopf dazu: »Da ist einer, dort drüben! Fragt doch ihn! Oder warum führst du nicht selbst den Trieb, frage ich? Warum nicht?«

»Thorkill!«

Aber der Altknecht tat, als hätte er seinen Namen gar nicht gehört. »Geir!« rief er über die Wiese hinüber.

»Der Bauer hat ihn gemeint!« sagte er zu sich selbst, als der Gerufene herbeikam und wissen wollte, was sie hier besprachen.

»Der Bauer kommt nicht mit in den Berg, dieses Jahr!« sagte er laut zu Geir. »Es wird am besten sein, wenn du zu ihm hineingehst und ihm sagst, daß du den Trieb führen wirst. Ist das nicht richtig, Männer?« Zustimmendes Murmeln kam von allen Seiten.

»Da hörst du es!« brummte Thorkill dann. »Geh also hinein zu Kjarval.«

»Es ist schon der Richtige!« schrie Ole. »Oder hat er nicht im letzten Jahr gezeigt, was für ein Kerl er ist?«

»Nun dann, wenn ihr es wollt?« stieß Geir Thors überrascht hervor, »ihr alle?«

»Jau, du sollst uns führen!« rief Ole wieder, obwohl er bald dreimal so alt wie der Bursche war. »Geh nun hinein!« drängte Thorkill und ergriff seinen Arm, »drinnen wartet der Bauer und will hören, wie wir uns entschlossen haben.«

»Da geht er nun!« griente der alte Oddur, »wer hätte das gedacht. Bergkönig, he!«

Aber während der Junge drinnen vor dem Bauern stand und der ihm die Hand reichte, – »Glück ab vom Berg, Geir Thors!' Ich habe gehofft, daß sie dich wählen würden!« – da war der Alte wieder auf seine Wagendeichsel geklettert und hatte das Gesicht in bedenkliche Falten gelegt. »Teufel, Teufel!« fluchte er unausgesetzt und schickte darauf einen scharfen Blick zu Thorkill hinüber, der mit dem Pastor sprach, wußte man nun, was der Schwarze drüben mit dem Altknecht vorhatte, he? Am Ende wollte er nun mit Thorkills Gruppe in den Berg reiten, seit der Bursche die Führung übernommen hatte? Denn natürlich wollte der Pastor nicht gerade tagaus und tagein neben Geir Thors herreiten, das war es wohl, was sie zu sprechen hatten.

Als der alte Oddur merkte, wie Thorkill mit dem Kopf nickte und schließlich auch noch Einar herbeirief, ah, nun sollte Einar also während des Rittes ein wenig auf den Pastor aufpassen, auch er nickte und reichte dann Sera Leif seine braune Hand – da kratzte sich Oddur bedenklich hinter den Ohren und dachte nach, daß ihm der Kopf rauchte. Und als Geir Thors schließlich mit dem Bauern wieder aus dem Hause herauskam und die Reiter schon überall bei ihren Pferden standen, lief er zu ihm hin und meinte mit gleichmütigem Gesicht: »Wie wäre es nun, wenn ich mit Thorkill reiten konnte? Da hatte ich mich nun so mit dem langen Ole angefreundet, – hm! Könnte ich nicht mit Thorkills Gruppe in den Berg?«

»Ole?« lachte der Bauer, der neben Geir Thors dahinschritt, »jau, die Alten wollen eben nun gerne zusammenbleiben, warum solltest du nicht mit der andern Gruppe gehen?«

»Sag Thorkill Bescheid!« setzte Geir noch hinzu, »warte, da kommt er schon, richtig, Thorkill! Ist alles fertig zum Aufbruch?«

»Nur der Pastor –« knurrte der Altknecht. »Eben war er bei mir und sagte, daß er bei meiner Abteilung mitreiten wolle. Und ich habe es ihm zugestanden! Wenn er durchaus, will!« Er zuckte die Achseln und tat nicht sehr erfreut darüber. Aber es war ja auch kein leichtes Ding, einen Neuling mit sich zu schleppen.

»Dafür kannst du noch den Alten haben, den hier!« scherzte der Bauer und wies auf Oddur. »Er tut seine Arbeit noch wie ein Junger!« Thorkill schien durch diese Neuigkeit wieder bessere Laune zu bekommen. Ein Mann mehr! Das ließ sich hören!

»Jetzt ist wohl alles klar. Oder gibt es noch etwas? Die Leute sollen noch einmal ihre Sachen nachsehen! In einer Stunde geht es los!«

In dieser einen Stunde schien die Hofwiese zu einem Heerlager geworden zu sein. Die Mägde hatten sich zum Abschied noch einmal fein herausgemacht und liefen mit roten Backen zwischen den Männern umher. Es war ein Lachen und Lärmen, und einer wollte den andern überbieten darin. Manchmal waren auch zwei Köpfe reichlich dicht beieinander, und es setzte Küsse und sogar Tränen.

Sigga stand neben Einar und strich bald ihm und bald seinem jungen Schimmelhengst übers Haar und drückte sich auch dann und wann stürmisch an ihn, an den Knecht nämlich. Und der liebe Einar hatte Mühe, all die süßen Brotfladen und das Rauchfleisch in seinem Mantelsack zu verstauen, die sie ihm so nach und nach aus der Küche herbeischleppte, damit er keine Not leiden sollte, solange er fort war.

Gunnlaugur hockte mit Lara zusammen im Gras und hatte den Arm um sie geschlungen. Und immer, wenn er glaubte, daß es niemand sehen könnte, kitzelte er sie ein wenig am Hals oder an den Knien, je nachdem, und griente dabei wie der Leibhaftige. An die Genüsse des Magens dachte Gunnlaugur offenbar nicht dabei.

Nur der alte Oddur saß still neben den Füßen seines Braunen am Boden und wartete, bis es losging. Nach einer Weile kam dann der Bauer wieder heraus, und neben ihm Geir und der Pastor. Der Vikar hatte die Hand auf Asdis' Unterarm gelegt und sprach eifrig auf sie ein.

Man konnte sich ja denken, was er zu sprechen hatte, dachte Oddur sich wieder und sah zu, wie Geir mit rotem Gesicht in den Sattel stieg und Kjarval noch einmal die Hand hinabreichte. Der Pastor kletterte danach auch auf den Rücken seines Tieres und sprach immer noch.

Scheinbar wollte er so lange noch reden, bis der Ritt begann. Aber das Mädchen Asdis zog plötzlich ihre Hand aus der seinen und schob sich zwischen ihren Vater und Geir Thors, um auch von ihm Abschied zu nehmen. –

»Geir«, sagte sie leise zu ihm und sah zu ihm auf mit ihren hellen Augen. Seltsamerweise sagte sie nicht mehr, sondern bot ihm ihre beiden Hände zugleich in einer plötzlichen Aufwallung. Hernach trat sie zurück, weil der Rote zu steigen begann, so stark preßte der Junge ihm seine Schenkel um die Rippen. Und plötzlich machte sie kehrt und lief ins Haus hinein, ohne sich noch um den Pastor zu kümmern, der mit einem kalkweißen Gesicht hinter ihr hersah.

In diesem Augenblick nahm auch Kjarval seine Hand von den Zügeln des Roten, und das Pferd drehte eine Pirouette um die andere vor Aufregung. »Dann reiten wir!« rief Geir lachend zu dem Bauern und winkte den Mägden einen Gruß zu, während der Boden von den vielen Pferden erzitterte, die mit schlagenden Schweifen Gruppe auf Gruppe in die Steppe hinaustrabten.

Lara rannte in das Haus hinein und holte ein Bettlaken herbei, als die Reiter so weit weg waren, daß sie kein Taschentuch von einem Mädchengesicht mehr unterscheiden konnten. Und damit winkte sie noch lange und ausdauernd, mit dem Bettlaken.

Blökend und schreiend suchte eine gewaltige Herde von Schafen ihren Weg durch die Berge. Wie träge schiebendes Geröll trabten die Tiere Leib an Leib dahin, ergossen sich wie ein raupender Fluß in die engen Schluchten, die ins Tal hinabführten. Da und dort tauchte ein Reiter aus Mulden und Gräben hoch und hetzte mit grellen Pfiffen ein Flock abgesprengter Schafe zur großen Herde zurück, die dann mit kläglichem, entsetztem Geschrei vor den jaulenden Hunden dahinrannten und sich kopfüber in die Hauptherde stürzten, um den reißenden Fängen ihrer Wächter zu entgehen.

Dunst und Staub zog wie eine Wolke mit den vielen Tieren. Träg zitterte die warme Luft auf den baumlosen Geröllfeldern. Die Männer hockten lässig in den Sätteln, während sich ihre Pferde mit vorsichtigen Hufen den Weg zwischen bleichen brüchigen Steinen suchten, die Sonne und harter Winterfrost in kantige, nadelscharfe Spitzen und Brocken zerrissen hatte.

Dürre knisterte über dem kargen Steinfeld.

Die Sättel ächzten und knarrten unter der Last der Reiter, die hinter den Schafen folgten, tief die Hüte in die braune schwitzende Stirn gezogen, eckig Kinn und Wangen. Flogen wohl mitunter Worte von einem zum andern, ein Scherz vielleicht, häufiger aber war es ein Fluch. Meist jedoch war es still zwischen ihnen, und die Lippen blieben geschlossen. Der Staub drang brennend in Mund und Nasenlöcher, drückte den Atem und preßte die Brust zusammen. Der Haufen der Tiere zog vor ihnen, und geduldig blieben die Pferde in seiner Spur. Die Jungschafe brüllten kläglich und wehleidig, wenn sie von ihren Muttertieren abgesprengt worden waren und sich plötzlich von einer Menge fremder Gesichter umgeben sahen, von drohenden gewundenen Gehörnen. Ein alter Bock hustete angestrengt und brakte danach laut über das Geschrei der andern hinaus, das wie eine lärmende Wolke in die Luft stieg und weithin den Berg erfüllte.

Es waren viele Reiter aufgeboten worden, die die Schafe im Berg sammeln und talab treiben sollten. Der Spätherbst kam bald heran, in dem Schneestürme auf die höher gelegenen Ebenen niederstießen und fegenden Schnee durch die Schluchten wirbelten, lange, ehe der Winter hereinbrach. Tausende von Tieren galt es zu sammeln, die sich meist in Gruppen zu zweit oder dritt im Berg herumtrieben und wie scheue Gemsen schon von weitem die Männer witterten, die nach ihnen suchten, weil sie in der großen Freiheit der Berge verwildert waren und ihre Sinne geschärft hatten.

Schwere Wochen lagen hinter den Männern, die mit abgespannten Gesichtern der Herde zu Tal folgten. Man trieb in großen Gruppen, die sich über Hunderte von Quadratkilometern im Berge verteilten und gleichzeitig mit dem großen Kesseltreiben begannen, das sein Ende erst in Arnarholt haben sollte, wo sich alle Gruppen wieder vereinigen mußten.

Da war die Nordgruppe unter Thorkills Führung, hier im Osten trieb Geir Thors. Und diese beiden Hauptteile des Triebs waren wieder aufgeteilt in kleinere Teile von zwei bis fünf Männern, die aus den entlegensten Bergebenen die aufgesammelten Schafe zur Hauptherde führten und mit ihr weiterzogen, zum Ziel, wo die Kette des Triebs geschlossen sein sollte. – – –

Geir Thors hielt den Roten erst an, als die Abendnebel über den Berg hereinkrochen. Sein Ruf zum Halten ging von Reiter zu Reiter, bis er den Knecht erreicht hatte, der an der Spitze der Herde ritt. Überall ritten die Männer gegen die Herde an, um ihren Fluß zu hemmen, während die Hunde kläffend sie umkreisten und zum Stehen brachten.

Weiter unterhalb sah man eine Hütte, die sich grau und alt in der Lehne einer hohen säulenverstrebten Basaltwand auf den Boden duckte. Es mochten noch eineinhalbtausend Meter zu ihr sein, und man hätte die Herde wohl noch bis dort hinabführen können. Aber die Hütte stand auf versandetem Boden, und kein Grashalm hatte sich in ihrer Umgebung festzuhalten vermocht, weil kaum einen Fingerbreit unter dem Sand schwere, geronnene und erstarrte Steinplatten den Unterbau bildeten, erstarrt in den gleichen Strömen und Windungen, wie sie dahingeflossen waren, als die Erde erbebte und feuriger Schleim aus ihren Wunden quoll. Es blieb deshalb nur ein Wächter bei der Herde zurück, während die übrigen Knechte sich aus dem Haufen von schmutziger Wolle und unaufhörlichem Geschrei herauslösten und weiter bergab trabten. Einer nach dem andern trat danach in den halbdunklen Raum des Rasthauses ein, hatte den Sattel unter den Arm festgeklemmt oder über die Schulter gehängt – und warf ihn mit einem Aufatmen in die nächste Ecke.

Geir steckte eine kleine Kerze an, während die Männer durch das Dunkel stolperten und sich einen päßlichen Platz suchten, auf dem man seine Beine wenigstens zur Hälfte dehnen und strecken konnte. Es war verflucht kalt zuerst, aber das wurde anders, als die vielen Männer auch nur eine halbe Stunde in der Hütte gewesen waren und sie mit ihrem Atem und ihrem Schweiß wohl angeheizt hatten. Einige von ihnen hatten Brotfladen und Käse und geräuchertes Schaffleisch auf den Knien liegen. Wieder andere hielten es für lohnender, erst einmal ein wenig zu verschnaufen und dann zu mahlzeiten. Sie erzählten untereinander vom Trieb, und wo die Schafe jetzt standen, und was sie also heute für ein Wegstück hinter sich gebracht hatten! Das sollte ihnen einer nachmachen, jawohl, das! In ihre Worte hinein schrie plötzlich vor der Hütte draußen ein Schafbock, dem ein Knecht das Fell über die Ohren zog, da nahm ihr Gespräch eine andere Wendung. Teufel, das sollte eine Sache sein, knusprigen Hammelbraten zwischen die Zähne Zu bekommen, nachdem man den ganzen Tag im Gebirge umhergekrochen war, daß die Hosen jetzt noch schweißig an den Schenkeln klebten.

Aber da war das Gespräch schon wieder in andere Bahnen gekommen, die Männer begannen plötzlich zu schnuppern und drehten verwundert die Köpfe, weil der Duft von starkem Kaffee ihre Nasen traf. Es war ein Tag, an dem man das Fest schon im voraus riechen konnte, richtig riechen, dem sie morgen entgegenritten, das Fest des Herbstes, das immer zusammenfiel mit der Rückkehr der vielen Reiter und Schafe aus dem Berg!

Mit glänzenden Augen schlürften sie nacheinander den heißen Trunk und gaben die Tasse weiter an den nächsten und sahen zu, wie sich auch sein Gesicht verklärte und seine Nasenflügel im Genuß sich blähten. Und nachher fielen ihre Worte schneller, Scherze flogen durch die alte Hütte im Berg, die plötzlich aus ihrer alten toten Ruhe erwacht und von lärmendem Leben erfüllt war.

Draußen polterte mitunter ein Pferd, oder ein Rabe krächzte in den Basaltfeldern, weil er sich nicht erklären konnte, wo mit einemmal die vielen Leute hergekommen waren. Und auch seine Eheliebste krächzte erstaunt und legte den Kopf schief. Aber sie sah nicht auf die Hütte hinab dabei, sondern zu der Herde hinauf, die weiter droben im Berg sich niedergetan hatte. Munter schlug und wetzte sie den scharfen schwarzen Schnabel auf dem Steingesims und ließ sich plötzlich in die Tiefe fallen, wo sie sich in pfeifendem Flug wieder fing und mit den schwarzen Lappen ihrer Flügel emsig bergan durch die Abendluft ruderte, um nach den Schafen zu sehen, nach den jungen Lämmern, denn man konnte nicht wissen, ob sich vielleicht eine Gelegenheit fand, einem der dummen wolligen Vierfüßler den Garaus zu machen. Die Hunde kläfften zwar hitzig auf, als sie den großen schwarzen Vogel über die Herde hereinschweben sahen. Aber dergleichen hatte nichts zu sagen. Sie kreiste eine Zeitlang über den ängstlich schreienden Tieren und stieß dann auf ein Lamm hinab, im Vorbeirauschen versetzte sie ihm einen scharfen Hieb in das Auge, und wieder einen, noch einen dazu, während das Jungtier kläglich schrie und blökte und zu seiner Mutter hindrängte, die es mit seinen blinden Augen nicht mehr zu finden vermochte. Und der Rabe strich darauf wieder den Felsen zu, wo der Gemahl saß und seine Ehehälfte mit einem trockenen Quarren empfing. »Krak!« sagte sie zu ihm, als sie einen Meter neben ihm aufblockte. Und das wollte heißen, daß morgen früh, wenn die Herde weiterzog, sich schon irgendwo ein kleiner wolliger Klumpen finden würde, der mit zitternden Läufen auf der Bergebene umherirrte. »Krak!« Und man konnte dann nach ihm sehen. Man mußte sich nur noch ein wenig gedulden, »krak!«

Gegen Morgen legte sich leichter Reif über die Halme und Grasspitzen. Aber die Sonne wischte ihn wieder weg, noch ehe sie richtig hinter den Bergen heraufgestiegen war. In perlenden Tautropfen sickerte er jetzt an den Halmen herab in den Boden hinein. Als die Sonne dann wie ein leuchtender roter Ball über die Matten hereinkam, wurden die Schafe unruhig. Die Tiere, die sich niedergetan hatten, standen auf. Und die Hunde, die während der Nacht ihre Nasen am Boden gehabt hatten und nur bisweilen ein Blinzeln zu ihnen hinübergeschickt hatten, sprangen wieder kläffend um die Herde und fuhren bisweilen aus reinem Übermut den Wollträgern an die Hinterkeulen oder zwickten sie in die wedelnden Stummelschwänze. Der Morgen war heraufgekommen.

»Da beginnt das Tagwerk wieder!« schrie Geir Thors in der Hütte drunten und stieg über die schlafenden Männer hinweg zur Tür, die er aufstieß, daß die gleißende Helle der Sonne auf all die verträumten und schnarchenden Kerle fiel und sie sich räkelten und dehnten und wohl auch fluchten, jau, daß es nun wieder begann. Und dabei war es ihnen, als ob sie eben erst eingeschlafen wären! Ein schweres Tagwerk war es auf den Hochebenen der Berge!

»Aufstehen, ihr Faulpelze!«

»Jau, man kommt schon, man kommt schon!« murrte der lange Gunnlaugur und wischte sich die Augenwinkel aus, »man kommt eh schon!«

Und eine halbe Stunde später wetzte wieder das Trippeln der tausend Schafe über die steinigen Halden bergab, während die Männer noch halb schlafend in den Sätteln hockten und in der warmen Sonne dösten. Hinter ihnen strichen die beiden Kolkraben vom Fels und holten sich den Tribut, den sie sich am Abend vorher gesichert hatten. Mühelos heimsten sie ihn ein, obwohl er jetzt noch schreiend über die Matte lief, getrieben von den schweren rauschenden Schwingen der schwarzen Vogel, die ihn umflatterten.

Die Landschaft, durch die die Herde zog, wurde ebenmäßiger und breiter. Die Felsen wichen zurück, und die Tiefebene kam heraufgezogen, den Schafen und Reitern entgegen. Das breite Band eines Flusses schimmerte herauf. Die Augen der Knechte begannen zu glänzen, als sie ihn gewahrten. Denn wenn sie ihn überritten hatten, so gab es nur noch eine breite Bahn zum Hof, die sie ziehen mußten. Und die Gebäude von Arnarholt würden bald dahinter aufsteigen!

Die Schafe schauten verblüfft in die Gegend, als sie am Rande des breiten Wassers standen, das sich ihnen nach Stunden in den Weg legte. Die ersten stutzten und sperrten sich mit der Kraft der Verzweiflung vor den schimmernden Fluten, die da so eilig durch die Ebene rannten und stießen. Sie drehten sich mit bedeutsamen Blicken die Köpfe mit den gewundenen Gehörnen zu, bis die andern hinter ihnen aufschlossen und endlich eine breite Front von dummen ängstlichen Gesichtern an der Uferböschung stand und auf die vorbeitanzenden Wellen glotzte. Aber dann trabten plötzlich ein paar Reiter seitwärts heran und schwangen die langen Peitschen, »Ho, ihr Biester! Marsch!« Da stürzten sich die Mutigsten, – kann auch sein, die Ängstlichsten, – prustend und jammernd in das nasse Element. Es war beinahe dasselbe Bild, wie man es bei den Flössern sehen kann, wenn ein riesiger Haufe gelber Stämme sich vor dem Wehr staut, bevor sie durch nachschiebende Hölzer in einem berstenden Ruck über den Damm hinausgedrängt werden und in den Fluten weiterschwimmen. Der ganze Fluß war von gelben Rücken übersät, die eilfertig zum andern Ufer hinzielten in Angst und Bangen. Zwischen ihnen stakten die Pferde durch den harten Strom, solange die Tiefe des Flußbettes es zulassen wollte. Die Rufe der Reiter schwirrten, und die Schafe schrien, ein Hund kläffte gellend, weil ihm unter Wasser der Huf eines Pferdes an den Rippen vorbeigestreift war.

Der Hof kam näher und näher.

Reiter tauchten plötzlich im Süden auf, die ihnen zum Willkommen entgegenritten. Erst einige, nach und nach ein Dutzend und mehr. Es gab ein Händeschütteln und Reden und Fragen, wie man es kaum noch erlebt hatte. Als die Tausende von Schafen wie ein Mahlstrom bei den Hofgebäuden in der Runde liefen und drängten, kam Kjarval über die Wiese gelaufen. Und obschon ihm seine Bauernwürde eigentlich gebot, ruhig und stet dahinzuschreiten, – man sah es seinen Schritten an, daß er am liebsten gerannt wäre. Lachend lief Geir Thors ihm entgegen. Erst als er ihn erreicht hatte, machte er ein würdigeres Gesicht: »Da sind wir, Bauer, zweitausend Tiere, und sonst alles in der Ordnung!«

Kjarval å Arnarholt reichte ihm erst seine Hand. Aber darauf zog er plötzlich den Kopf des Jungen zu sich hin und küßte ihn auf beide Wangen, wie es sonst nur unter Verwandten Sitte war.

»Was ist mit Thorkills Gruppe?« fragte er nach einer Weile.

»Wir hatten einmal Fühlung mit ihm«, antwortete Geir, »er muß schon ganz in der Nähe sein, vielleicht ist er morgen schon da!«

Der Hof war wie zu einer Hochzeit gerüstet.

Fremde Gesichter liefen zwischen den Häusern hin und her, Bauern aus der weiteren Nachbarschaft, Jungvolk und Bäuerinnen mit festlichen Gewändern. Sie saßen auch drinnen in den Stuben und labten sich an großen Tafeln, die beinahe unter der Last des Gebotenen brachen.

Aber als das Meer der Schafe den Häusern zuflutete, als Staub und Dunst im Scharren der vielen trippelnden Beine wie eine Wolke in der klaren Nachmittagssonne hing, da standen die langen Tische plötzlich leer, und alles was Beine hatte lief und ging und humpelte, so schnell es gerade ging, auf die Wiesen hinaus. Sogar die alte Kristin kroch auf ihren Stock gebückt hinterher. Sie hatte nun schon den vierten Schlaganfall hinter sich gebracht und ließ sich deshalb ein wenig mehr Zeit als die übrigen, die sie bald um die Hälfte hinter sich ließ an Jahren, obschon sie jetzt doppelt so weit voraus waren mit ihren Beinen.

Sie hustete und hielt sich die Brust zwar. Aber rennen tat sie doch, für ihre Begriffe wenigstens.

Hoch in den Bergen zog indessen noch Thorkill mit seinen Reitern und Tieren. Der Altknecht war guten Mutes, denn er brauchte nur noch einen schmalen Felssteig hinter sich zu lassen, bis er sich anschicken konnte, zur Tiefebene hinabzusteigen. Nun, mit diesem Tag war es noch nicht zu schaffen. Aber morgen in der Frühe war es so weit. Nur noch die Nacht lag dazwischen und der Steig, bis er die Verantwortung für das Treiben aus seinen Händen geben konnte.

Thorkill war guten Mutes. Auch die breiten Bänder von grauem feuchtem Nebel konnten ihm nicht die Stimmung verderben, die nun langsam begannen, von der hohen Kuppe des Torfamassivs herabzufließen, wo sie den ganzen Tag wie eine Schlafhaube gethront hatten. Wenn die Nebel kamen, so hatte er sicher den Saumweg weit hinter sich. Nun ja, er nickte immerhin mit dem Kopf, vielleicht war er doch etwas bedenklich geworden? Nach einigem Überlegen gab er den Befehl, daß die beiden Knechte schneller traben sollten, die die Spitze der Herde führten, es war immerhin sicherer.

Dem Prediger, der neben ihm ritt, brummte er etwas von einem schmalen Weg und von Nebel zu, und vielleicht wäre es besser, wenn er etwas mehr nach hinten ritte, denn der Weg war nur schmal und es konnte sein, daß die Schafe sich aus irgendeinem Grund aufstauten mitten an seiner schmalsten Stelle, – wenn man auf sie eindrängte, zum Beispiel! Und es wäre dann kein Platz für alle auf dem Steig gewesen, sondern einige von ihnen hätten über den steilen Felsen hinausspringen müssen. Er wollte darauf anspielen, daß der Pastor hie und da sein Pferd nicht so in der Gewalt hatte, wie es gut gewesen wäre. Schon des öfteren waren die Schafe erschreckt vor den Hufen seines tänzelnden Pferdes weggerannt und hatten die andern Tiere kopfscheu gemacht. Und das ging wohl, so lange nach allen Seiten Platz genug war. Aber niemals ging das auf einem schmalen Steig.

Der Pastor biß sich ein wenig auf die Lippen, als der Altknecht ihm das zu verstehen gegeben hatte. Aber er hielt sich von da an zu Einar, der weiter hinten ritt.

Es wurde plötzlich kühler. So kühl schließlich, daß man den Atem der Pferde sehen konnte. Der Nebel kam nun mehr aus der Höhe herab, und die Haare der Pferde wurden feucht.

Thorkill brummte nach einiger Zeit jedoch schon wieder gemütlich vor sich hin, weil er nun an den Beginn des Saumpfades gekommen war. Denn das wollte besagen, daß der Großteil der Herde ihn bereits hinter sich gelassen hatte. Sachte trieb er auf die Schafe ein und hatte sogar einen Kosenamen für das eine und das andere der Tiere, für den schwarzen Teufel etwa, der dicht vor den Hufen seines Gaules trippelte und nicht einmal schrie, wenn das Pferd ihm zu nahe gekommen war, sondern nur vorwurfsvoll seinen Kopf mit den gewundenen Hörnern umwandte und dann machte, daß er weiterkam. Er war schier ein Musterkind unter den Schafen. Er zog so brav seines Weges, daß Thorkill wünschte, alle Schafe wären schwarz und solche Musterschüler. Jau! Aber es war doch ein wenig dunkler geworden, dachte Thorkill dann, schwerer Nebel, aber es war jetzt geschafft. Hauptsache, die Schafe waren nun bald über die gefährliche Wegstrecke hinüber, dann kam die Rast! Und morgen! Morgen also, da war Schluß mit der Arbeit und Schluß mit dem Berg.

Und auf dem Hof begann das Fest!

Just das gleiche dachte auch Einar, der einige hundert Längen hinter ihm ritt. Er ließ seinen jungen Schimmel eine Zeitlang auf der Stelle treten, als der Pastor an seine Seite kam, weil Sera Leif etwas an seinen Zügeln zu ordnen hatte, wie er meinte. Sein Pferd sei so unruhig, meinte er noch dazu, weil ihm war, als ob er sich rechtfertigen müßte gegenüber dem Altknecht, der ihn zurückgeschickt hatte. Über Einars Lippen flog ein kleines Lächeln, als er das hörte, denn ihn wollte dünken, daß Sera Leif ein so braves Pferd ritt, wie er es kaum vorher gesehen hatte. Solche Pferde, wie der Pastor eines ritt, verwendeten die Bauern sonst nur als Arbeitstiere, etwa zum Heueinholen im Herbst oder zum Tragen von Lasten. Aber wenn der Pastor nun einmal meinte? Und weil Einar an diesem Tag so glückselig war wie ein kleiner Junge, so oft er an Sigga dachte, die er morgen von früh bis spät küssen wollte, so weit es die Mahlzeiten jedenfalls zuließen, denn man mußte natürlich auch etwas anderes zu sich nehmen als Küsse, weil man von ihnen allein nicht hätte leben können, – weil er also so übermütig war, so wollte er dem Pastor zeigen, was ein richtiges Pferd sei und kitzelte seinen jungen Hengst ein wenig in den Seiten, daß er schnaubend mit den Läufen in die Luft fuhr, während sein breiter weißer Schweif wie ein Fächer über die Steine am Grund hinpeitschte. Und weil es unweit von dieser Stelle einige hundert Fuß in die Tiefe ging, so war es immerhin ein Kunststückchen, auf dem kleinen Platz, der noch blieb, eine jagende Volte zu reiten, hm. Aber er hatte dem Pastor nur zeigen wollen, was ein richtiger unbeschnittener Hengst war.

Seitlich von den beiden hatte Oddur angehalten und den wilden Sprüngen des Schimmels zugesehen. Und weiter hinten ritt noch eine kleine Gruppe von Knechten.

Oddur linste mit seinen zweierlei Augen in das trübe Dämmerlicht des Abends. Die beiden hatten ihn bis jetzt gar nicht bemerkt. Als Einar wieder neben dem Pastor weiterritt, gab er seinem Braunen die Hacken und schloß auf hinter ihnen. Sein neuer hellfarbener Sattel mit den Nickelbeschlägen quietschte und knarrte eintönig unter seinen Schenkeln. Es brauchte eben lange, bis solch ein Sattel endlich schweigen lernte. Und verrückt konnte man werden, wenn man den ganzen Tag seine trostlose traurige Musik vernehmen mußte, wenn er dann wirklich einmal nicht knarrte und schrie und man sich schon freute, daß er nun Vernunft angenommen hätte, so mußte man nach einer halben Stunde erkennen, daß nur der Wetterumschwung schuld daran gewesen war, daß er schwieg. Wie, war ein Sattel nun etwa ein Barometer? Ist das ein Sattel, der unter einem quietscht und stöhnt zum Gottserbarmen? Richtig schön war er anzusehen mit seinen glänzenden Nickelrändern! Nur, – was nicht zu ihm paßte, das war der Alte selbst, der ihn unter sich hatte. Ein junger Kerl hätte in diesen Sattel gehört, einer mit wehenden Locken und schmalen Schenkeln. »Jau!« grunzte der Alte, wenn etwa Geir in diesem Sattel gesessen hätte! Und hätte er dann nicht wenigstens ein gutes Erbstück von dem alten Oddur gehabt? Und was für ein Erbstück!

Oddur war heute richtig nachdenklich gestimmt. Er war traurig. Er dachte an die Sonnenprobe im Hof drunten und an das Mädchen Asdis, das aus der Tür herausgekommen war, um zu sehen, was er da suchte im Gras. Eine Brosche? Als ob man wegen einer Brosche eigens die Sonne bemühen müßte! Und dabei hatte Oddur doch den Pastor gesucht, natürlich nicht im gemeinen Verstand. Aber hätte er das dem Mädchen sagen können, daß er da den Pastor unter den Grashalmen gesucht hatte? Richtig den Pastor! Natürlich auf eine andere Weise als man das sonst verstand. Natürlich! Aber es war eine wichtige Probe gewesen, die Sonnenprobe. Wenn nämlich die Sonne nicht gesiegt hätte, so hätte er jetzt nicht so absonderliche Gedanken in seinem Kopf haben müssen. Gedanken um den Pastor und um den Weg, den sie noch vor sich hatten.

Der Alte sah einmal hinter sich, wo die letzte Gruppe der Knechte sie nun bald erreicht hatte, und wünschte, daß sie sie überholen mochten, denn Oddur wollte nicht gerne jemanden hinter sich reiten haben, wenn es auf den schmalen Weg hinausging, dessen erste Windung jetzt vor ihnen auftauchte. Er blinzelte einmal zu Einar hinüber und dann auf Leif. Eben bog Thorkill vor ihnen um die Felsen und war verschwunden. Der Steilweg war schon ganz nahe. Plötzlich hatte der alte Oddur einen Gedanken, wie es zu machen war, daß die Knechte zuerst auf den Weg einritten. »He, Einar!« rief er, »willst du nicht meinen Sattel haben? Sollen wir tauschen?« Der Junge fiel beinahe von seinem Pferd vor Erstaunen. Er drehte ungläubig den Kopf zu ihm hin: »Ob ich, ob ich?« – »Jau!« knurrte Oddur.

»Deinen Sattel?« rief Einar noch einmal und kam herbeigetrabt, der Eifer glänzte nur so in seinen Augen: »Wieviel Aufgeld willst du haben, wenn ich dir den meinen dafür gebe?«

»Nichts!« tat Oddur gelassen und stieg ab, um den Bauchgurt loszuschnallen, innerlich war er wohl betrübt, weil nun Geir nicht auf den Nickelbeschlägen sitzen sollte. Aber zuerst galt es, Zeit zu gewinnen. Es mußte sein, und Einar war ja auch ein frischer Junge! Nur, hatte sich der Alte nicht ausgemalt, daß es sich schön auf dem funkelnagelneuen Zeug in den Himmel reiten ließe? Jau, aber es mußte nun einmal sein! Schnell hob er das Gestell von dem warmen dampfenden Rücken seines Braunen und reichte ihn dem jungen Einar hinüber. »da!« sagte er mit einem leisen Beben in der Stimme, »da, nimm ihn schon!«

»Hätten wir nicht während der Rast tauschen können?« staunte Einar. »Hm, nur noch der Saumpfad liegt dazwischen! Wir werden ja gleich dort sein! Aber wenn du nun durchaus willst, meinetwegen!« lachte er dann und stieg ab. Man mußte alten Leuten ihren Willen lassen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten. Sigga würde Augen machen, wenn er nun angeritten käme wie ein General!

Gerade als der Tausch zu Ende war, ritten die Knechte an ihnen vorüber und verschwanden auf dem Steilweg. Man hörte sie noch eine Zeitlang lärmen und scherzen. Auch in ihren Köpfen spukte schon das Fest. Keiner von ihnen war mehr zu sehen. Sie waren nun so gut wie allein im Berg, die drei. Oddur nahm den Sattel über, den ihm der Junge reichte, und schnallte ihn fest. »Ein schlechter Sattel!« murrte er erbost, als er dann aufgesessen war und weitertrabte. »Hm, warum wolltest du dann durchaus tauschen, Alter?« fragte Einar und machte Augen wie ein Kater, dem der Spatz vor der Nase wegflog, »hm, also warum dann?« »Reit zu!« meinte der Alte und zwinkerte ihm verdrossen zu, »was für ein Naseweis du bist! Zu meinen Zeiten fragte man einen alten Mann nicht nach Gott und der Welt. Hm, da hielt man den Mund! Früher!« Er rückte sich zurecht und fragte dann nochmals: »Jau? Ist das jetzt wohl Sitte, daß man einen alten Mann fragt, warum er einen Sattel eintauschen will? Reit zu!«

Einar lachte fröhlich über das krause Getue des Alten. Er hatte genau den Unterton in den Worten Oddurs vernommen. Pfeifend lenkte er seinen Hengst auf den Felssteig hinaus. Nur der Pastor schüttelte den Kopf und schickte Oddur einen mißbilligenden Blick zu, dann ritt er hinter dem Knecht her, während der Alte auf seinem Braunen den Abschluß bildete.

Über ihnen stieg der Fels kahl und naßschwarz in die Höhe. Und unten an der Wegkante war es dasselbe. Nur daß er dort abfiel. Wie in der Innenwand einer hohlen Kugel, so ritten sie im Nebel. Und er war nun nicht mehr weiß oder grau, sondern schwarz, der Nebel. Es war dunkel geworden. Die Nacht fiel früher ein, wenn Nebel überm Land stand. Übrigens war die Wegkante etwas zerrissen. Manchmal fehlte eine kleine Ecke in ihr, oder ein Stein war ausgebrochen. Oder eine Wasserrinne hatte in der Frühjahrsschmelze eine Furche durch sie gerissen. Es war ein Weg, auf dem man leicht ausgleiten konnte, wenn man ein Pferd hatte, das nicht berggewohnt war. Auf einem solchen Weg gab man am besten seinem Gaul den Kopf frei und rührte nicht einmal an den Zügeln. Nur etwas ausgleichen mußte man im Sattel, sein Gewicht etwas gegen den Berg zu halten, nur so, wenn das Pferd vielleicht einmal stolpern sollte. Oder konnte nicht mitten auf dem Weg einmal ein Stein liegen, der von den Felsen herabgefallen war? Das geschah nicht selten. Und jetzt hätte das Pferd einen solchen Stein nicht sehen können, es war schon zu dunkel dafür. Dann konnte ein Pferd wohl einmal stolpern!

Oddur hatte seine Augen auf dem Rücken seines Vorreiters. Er hatte sich das just so vorgestellt, daß sie einmal einen solchen Weg reiten würden. Er dachte daran, daß dieser Weg im Grunde genommen genau so war wie der Weg durchs Moor. Es war ein sonderbarer Gedanke, denn das Moor lag doch bald einige tausend Fuß tiefer, während sie hier in der Höhe dahinritten, hoch unter den Wolken beinahe. Und dennoch glaubte Oddur bald, daß er wieder im Sumpf reite wie damals, – aber natürlich nicht im gemeinen Verstand!

»Nein!« nickte Oddur, »nicht im gemeinen Verstand.« Aber in einiger Hinsicht doch, hm. Heute war der letzte Tag des Rittes! Morgen waren sie in der Ebene. Da hätte er seine Sonnenprobe umsonst gemacht. Hm, es war jetzt der letzte Tag!

Wer wollte es Oddur verdenken, daß er nun ernste Gedanken hatte? Und während er weiterdachte, nun, er konnte seine Gedanken nicht bei sich behalten, wenn er nicht von Zeit zu Zeit auf Sera Leif sah, der vor ihm ritt. Manchmal sah er auch scheu in den Abgrund zur linken Hand hinab. Auch von dorther fanden seine Gedanken ein wenig Halt. Er durfte jetzt nicht den Faden verlieren, der sich durch die Gedanken zog, fast wie der Bindfaden, an dem die kleinen Mädchen ihre Glaskugeln aufreihten, bevor sie sich die um den Hals hingen und spielten und sangen, wie eine solche Kette waren die Gedanken des Alten, nur daß die Glaskugeln Gesichter hatten, – sie waren eigentlich lauter Köpfe, von Männern und Mädchen und Kindern. Kjarvals Gesicht war darunter zu finden. Und natürlich auch Asdis'. Links von ihr war Geir auf den Faden gereiht und rechts der Pastor Sera Leif! Aber Oddur dachte sich noch weiter, daß die bunten Perlen nicht auf demselben Faden bleiben konnten, hm, – er mußte wohl eines Tages den Faden abreißen, eines Tages!

Und natürlich hatte er damit richtig kalkuliert! Schon im Moor hatte er das gedacht, und die ganzen letzten Wochen in den Bergen war er nicht mehr fertig geworden mit diesen Gedanken –

Und es wollte ihm scheinen, wie er so ritt, daß der Faden schon recht dünn geworden war.

Jeden Augenblick konnte er reißen!

Sera Leif sah einmal zurück zu dem Alten. Er wagte sich nicht ganz im Sattel umzudrehen, weil er dachte, daß es gefährlich sei, die Zügel auch nur für einen Augenblick zu lockern. Er hatte bisher sein Pferd sorgsam um jede Windung des Weges gelenkt, weil er dachte, daß das so sein müßte, wie konnte er auch wissen, daß man ein Pferd am besten sich selbst überläßt auf einem solchen Steig? Und weil er sich nur halb gedreht hatte, vermochte er nur die dunkle Gestalt des alten Oddur zu erkennen.

Aber nicht sein Gesicht –

Der Pastor ritt ruhig weiter. In seinen Gedanken sah er schon den Hof von Arnarholt aus der sonnenbeschienenen Ebene auftauchen. Und das Mädchen Asdis stand vor den Gebäuden, um ihm zuzuwinken. Sie war jetzt lange allein gewesen und mochte wohl Sehnsucht nach ihm haben. Und vielleicht würde sie ihm nun endlich das gewähren, was sie ihm bis jetzt versagt hatte. Er war ja nun bald wie einer der Knechte geworden auf diesem Ritt. Die Berge hatten ihn verwandelt, seine Wangen gebräunt. Und seine weißen Hände waren von der Dorschleber zerfressen, die die Knechte auf das Sattelzeug schmierten, damit das Leder weich und geschmeidig blieb. Richtige Arbeiterhände hatte er.

Sera Leif war stolz geworden auf die Männer, auf die er zuerst heruntergesehen und nicht als seinesgleichen hatte ansehen wollen. Auch darin hatten ihn die Berge belehrt.

Wenn er jetzt an das Mädel dachte, so sah er sie auch nicht mehr im städtischen Gewand, sondern in der schweren strengen Tracht der Bäuerinnen. Aber zumeist sah er sie auch noch anders in seinen Gedanken. Als ein Mädchen oder als – als ein Weib. Zumeist sah er sie so. Und auch daran mochten die Berge mit ihrem harten Leben schuld sein, mit ihrer himmelfernen Einsamkeit und Verschlossenheit. Denn Sera Leif war noch nicht so weit, daß sich die Berge ihm geöffnet hatten. Er sah Asdis vor sich mit einem Lächeln, das ihm galt. Und er riß sie in seine Arme, weil er nun ein Mann geworden war. Und weil er ein Knecht war wie die andern, so bettete er sie in duftendes Heu und nahm sie in seine Arme mit der Kraft, die ein Weib zu sich zwingt. So sah es Leif, sollte sie nicht ohnedies in wenigen Wochen sein Weib werden? Sein Weib! »Mein Weib!«

Sera Leif sah in Gedanken die Sonne strahlend über der Ebene aufgehen.

Aber hinter ihm hockte Oddur schief im Sattel und keuchte bei jedem Schritt seines Pferdes. Er spähte mit vorgeneigtem Kopf um jede Windung des Weges, bis der Nebel die nächste nach ihr erkennen ließ. Feucht kam die Nacht über die Felsen herab. Er griff fester in die Zügel, daß der Braune verwundert den Kopf aufwarf und mit gesperrtem Maul auf der Trense kaute. Speichel tropfte ihm von der Zunge, die er drehte und dehnte, damit der Druck des Eisens von ihr lassen sollte. Seine Augen flackerten, weil ihm die Stange schmerzend wie eine Zwinge in die weichen Lippen schnitt. Unruhig hob er den rechten Huf vom Boden und begann zu tanzen und zu zerren.

Der Fels trat einmal in einer schroffen Zinne über den Weg hinaus. »Das ist die Stelle!« hörte der Prediger den Jungknecht sagen. »Vor Jahren ritt hier der Vater von Ksarval, – an dieser Stelle fand er den Tod. Man hat ihn nicht wiedergefunden.«

»Man sagt«, fuhr Einar fort und wies in die Tiefe hinab, »man sagt, daß er umgehe, wenn Leute vom Hof hier vorbeireiten!«

»Leute vom Hof?« frug Sera Leif.

»Jau!« brummte der Alte hinter ihm, und um seinen dünnen Mund war ein seltenes Lächeln, ein vergessenes! Der Fels war da. Oddur war ganz auf dem Hals seines Pferdes zusammengekrochen, damit er nicht die Tiefe sah, die von drunten heraufkam und nach ihm faßte, er wollte sie nicht sehen. Einar hatte den Felsen umrundet. Nun ritt Leif auf ihn zu. Da tat das Pferd des alten Oddur plötzlich einen wilden Sprung im Berg und schoß auf den Felsen zu. Polternd krachten Hufe an der Wand. Schnaubend verschwand eine dunkle Gestalt vom Weg und eine zweite – Steine begannen drunten im Fels loszuspringen und knatterten durch die Hänge.

Erschreckt riß Einar in den Zügeln, als er das Getümmel hinter sich hörte. Sein Hengst stand einen Augenblick lang frei über der Tiefe, er glitt und schwankte. Mit einem Sprung wollte der Knecht aus dem Sattel. Da erfüllte ihn lähmendes Entsetzen, sein Fuß hing im Bügel, Herrgott, sein Fuß hing fest!

Einige Steine fielen hinter ihm her und sprangen polternd über die Felsen hinaus.

Ein paar Steine – – – – – – –

Am Ende des Saumweges wandten die Knechte ihre Köpfe. Es waren dieselben, die vorher überholt hatten.

»Ja, – man weiß doch nie, Hölle und Teufel! Habt ihr gehört? Da ist nun wieder ein Steinschlag niedergegangen!«

»Nein, man weiß nie im Berge!« –


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