Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 8. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Kenan.

In den Tagen, da die Enkel Jakobs Knechte waren in Egypten, befand sich unter dem Hausgesinde Rhamnes, eines der Hauptleute des Königes Pharao, Kenan, ein Jüngling aus dem Geschlechte Joseph, den sein Herr zum Führer seines Wagens gemacht hatte. Kenan war gut und fromm, und lieblich von Gestalt und Ansehen.

Rhamnes aber war ein böser Mann, trozig in seinen Reden und grimmig in seinem Zorne. Er ließ Kenan geiseln, wenn er schnell fuhr über das Blachfeld, und schlug ihn mit Fäusten, wenn er langsam fuhr über die Hügel.

Eines Tags gab Rhamnes ein großes Gastmahl, und Kenan mußte den Mundschenken ein tyrisches Gefäß voll Wein hinauftragen auf den Söller, wo die Gäste zu Tische saßen. Da strauchelte Kenan mit seinem Fuße, und das Gefäß fiel zur Erde und zerbrach in Stücken, und der Wein ging verloren.

Plözlich entrüstete sich Rhamnes und knirschte mit den Zähnen, und griff nach seinem Schwerdte, und wollte den Jüngling tödten. Einer aber von den Gästen hielt ihm den Arm auf und sprach: Lieber, 184 schone den Knaben, er hat ja nichts begangen, das den Tod verdiente. So bekam Kenan Zeit zu fliehen und sich zu verbergen.

Es lag aber vor den Thoren zu Memphis ein dichter Wald, in welchem Pharao zu jagen pflegte mit seinem Hofgesinde. In diesem Wald verstekte sich Kenan, bis die Nacht einbrach und dunkle Wolken den Mond verhüllten; alsdann gieng er weiter und erreichte eine Hütte, die Hezron, ein Hirt aus dem Volke Israel bewohnte, der ihn insgeheim beherbergte bis an den dritten Tag. Rhamnes aber ließ Kenan überall aufsuchen, und als seine Kundschafter ohne ihn zurükkamen, stampfte er auf die Erde und riß sich den Bart aus; denn ob er gleich Grausamkeit übte an dem Knaben, so war er ihm dennoch der liebste unter allen seinen Knechten.

Als nun der dritte Morgen anbrach, machte sich der Jüngling früh auf, und nahm Abschied von Hezron, und drang tiefer in das Gehölz, weil des Abends zuvor der Sohn des Hirten die Botschaft mitgebracht hatte, daß Pharao an diesem Tage eine gewaltige Jagd anstellen würde. Drei Stunden lang irrte Kenan unter den Steineichen und Cedern umher, und war nun müde, und wollte sich niedersezen in einem dunkeln Busche, um von dem Kuchen und den getrokneten Feigen zu essen, die Hezron ihm mitgab. Siehe da jagte plözlich ein lediges Roß am Busche vorbei, das er für das Leibroß Rhamnes seines Herrn 185 erkannte. Da vergaß Kenan seine Furcht vor dem Grimme des Egypters, und eilte nach dem Orte, von wannen das Roß herkam, und fand Rhamnes ohnmächtig ausgestrekt auf der Erde. Neben ihm lag sein Jagdspieß, den er abgeschossen hatte, nach einem Eber, als das Roß ihn vom Rücken warf, daß er zu Boden stürzte und seine Hüfte verrenkte. Kenan aber meynte er sei todt und entsazte sich und wollte fliehen, damit nicht jemand käme und ihn für den Mörder des Egypters hielte. Indem aber dachte er bei sich selbst, ich will diesen Spieß mitnehmen, er kann mich schüzen gegen die Räuber und wilden Thiere. Wie er sich nun niederbükte zur Erde und den Jagdspieß aufhob, so erwachte Rhamnes aus seiner Ohnmacht, und als er die Augen aufschlug und den Jüngling erblikte mit dem Spieß an seiner Hand, wähnte er, daß er ihn tödten und sich rächen wollte für alles Unrecht, das er ihm angethan hatte; und Rhamnes schrie zu den Göttern Egyptens und flehte den Knaben um Barmherzigkeit an, und sprach in der Angst des Todes: Ach, mein Sohn, vergieb mir und schone meines Lebens. Da warf Kenan den Spieß von sich, kniete vor Rhamnes nieder und sprach: Wie sollte ich eine solche Sünde begehen vor dem Gott Israel, und meine Hände legen an meinen Herrn! Nein, ich bin hier, um dir zu helfen und dich heimzutragen auf meinen Schultern. Diese Rede erweichte das Herz des Egypters, und er schlug sich 186 auf seine Brust, und seine Thränen fielen auf die Hand, die der Jüngling ihm gereicht hatte.

Kenan aber hob ihn von der Erde und lud ihn auf seinen Rücken und trug ihn durch den Wald zween Feldweges weit, bis er den Jägern des Königs begegnete, welche ihn auf einen Mantel legten, den sie anfaßten an seinen vier Zipfeln, und so den Verwundeten hereinbrachten in seine Wohnung. Kenan war nicht von seiner Seite gewichen, und als sie mit Rhamnes hereintraten in sein Haus, siehe, da kam ihnen entgegen Nephte seine Tochter, welche ihre Hände rang und laut weinte um ihren Vater. Rhamnes aber tröstete sie und sprach: Fasse dich, mein Kind, ich lebe noch, und daß ich noch lebe, danke ich Kenan, dem frommen Jüngling, der mir Gutes vergalt für Böses. Und Nephte sah den Jüngling an und liebte ihn und ließ eilends die Aerzte rufen, welche den Kranken verbanden mit Kräutern und stärkenden Salben. Kenan aber kam nie von seinem Bette, und half der Dirne seiner warten Tag und Nacht, bis er geheilt war von seinem Schaden. Wenn nun Rhamnes ihn so emsig sah, seiner zu pflegen, und seine Schmerzen zu lindern, weinte er oft an seinem Halse, oder er schlug die Augen nieder vor Schaam, daß er einst grausam war gegen den Jüngling. Er konnte nicht mehr ohne ihn seyn, und am Tage, da er sein Lager verließ, machte er ihn zum Waffenträger und Nephte schenkte ihm einen Gürtel, den ihre 187 Hände gewirket hatten von Gold und rosinfarbener Seide. Kenan, sprach Rhamnes, als die Jungfrau hinausgegangen war, Nephte ist die Freude meines Lebens; hold und gut ist sie und würdig das Brautgemach eines Fürsten zu zieren; aber Nephte liebt dich, nicht, weil Joseph dein Ahne auch ein Fürst war in Egyptenland, sondern wegen der Treue, die du mir erwiesen hast, und weil du auf dem Pfade der Tugend einhergehest. Kenan beugte seine Kniee vor dem Rhamnes, der ihm seine Rechte bot, die der Jüngling küßte, indem er ihn Vater nannte und als Nephte wieder hereintrat, segnete sie Rhamnes alle Beide, und umschlang sie mit seinen Armen.

Nach drei Monden wurde Kenan Nephtes Gemahl, und er lebte mit seinem Weibe, wie Joseph einst lebte mit Asnath der holdseligen, die Pharao ihm gegeben hatte.

Es begab sich aber nach einigen Jahren, daß Moses, der Knecht Gottes, die Kinder Israel ausführte aus Egypten, und er sprach zu Kenan: Lieber zeuch mit mir und mit deinem Volke, und verlaß das Land der Abgötter. Kenan aber antwortete und sprach: ich habe dem Gott Israels gedient mein Lebenlang, und Nephte mein Weib, das eine Priesterin in der Weisheit Egyptens unterwiesen bat, betet wie ich den einzigen Unsichtbaren an, nur daß es ihm einen andern Namen giebt. Da ergrimmte Moses und zerriß sein Kleid und schalt Kenan einen Heiden, und 188 öfnete seinen Mund, ihm zu fluchen; aber der Fluch starb auf seinen Lippen, und seine Zunge erstarrte, wie vom Froste des Winters. Da kam ihn eine Furcht an, und er rief des Nachts zum Herrn auf seinem Lager. Und der Herr antwortete, und sprach zu ihm: Siehe du wirst eine schwere Zunge behalten dein Lebenlang; denn du wolltest Kenan fluchen, der seinem Feinde vergab und ihm das Leben erhielt, und ich habe dir nicht geflucht, als du den Egypter erschlugst und ihn verscharrtest im Verborgenen. Mein Wille ist, daß Kenan bleibe in diesem Lande und meinen Namen fortpflanze unter seinen Nachkommen. Wenn dann vergangen sind tausend Jahre und fünfhundert Jahre, so wird einer von seinen Kindeskindern ein Weib beherbergen aus dem Stamme Juda mit ihrem Erstgebohrnen, der der gröste seyn wird unter den Menschenkindern. Moses fiel auf sein Antliz und sprach: Ach Herr, vergieb deinem Knechte, und wenn der Wurm sich unterwinden darf, mit Jehova zu reden, so nenne mir den Mann, den du meinest. Der Herr aber sprach: Wenn die Zeit erfüllet ist, so wirst du ihn sehen auf dem Berge Tabor.

 


 


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