Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 2. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Mathilde.

Eine schottische Novelle.

Mathilde Douglas ward schon in ihrem zweiten Jahre zur Waise. Ihr Vater fiel an der Seite des tapfern Robert Bruce, der die Engländer aus den schottischen Grenzen vertrieb und den Thron seiner Ahnen bestieg, den sein Vorgänger Johann Balink allzulang entehret hatte. Ihre Mutter, die Zierde ihres Geschlechts, überlebte ihn nur wenige Monden und übergab auf ihrem Sterbebette die kleine Mathilde der Gemahlin ihres Bruders, des Grafen Malcolm Dunbar, die sie als eine Schwester liebte. Lady Dunbar hatte keine Kinder und führte auf der Burg Woodhill, im angenehmen Cluydsthale, das Leben einer stillen Dulderin. Sie erzog ihre Nichte mit mütterlicher Zärtlichkeit, und Mathilde entsprach ihrer Erziehung. Sie öffnete ihr weiches Herz den reinen Gefühlen der Tugend und verschafte ihr alle Mittel, die ihr Zeitalter ihr vergönnte, ihren Verstand zu bilden. Doch mehr als der Kaplan des Grafen, der ihr Lehrer war, entwickelte die Natur ihre Talente, und der sechsmonatliche Unterricht eines Harfners war hinreichend, sie zur Nebenbuhlerin ihres Lehrmeisters zu machen.

104 Oft sah ihre Muhme sie mit stillem Wohlgefallen an, und sagte dann bei sich selbst mit einer Thräne im Auge: Holde Blume, möge doch nie ein unreiner Hauch dich vergiften! In der That glich das Mädchen einer aufblühenden Tochter des Frühlings: sie war mit allen Reizen der Jugend geschmückt, und ihre Seele war ihrer paradiesischen Wohnung würdig. Heiterkeit und innige Herzensgüte strahlten aus ihrem saphirblauen Auge, der Purpur der Sammetrose färbte ihre Wangen, und auf ihrer offenen Stirne thronte in stiller Majestät die heilige Unschuld.

Sie hatte ihr sechszehntes Jahr zurückgelegt, als sie ihre zwote Mutter verlohr, und nun ganz der Pflege ihres Oheims überlassen war, der sich bisher wenig um sie bekümmert hatte. Dieser vergaß über den Reizen seiner Nichte gar bald den Verlust seiner Gemahlin, die er schon lange nicht mehr liebte und nie zu schätzen wußte. Er war wollüstig und geizig: Mathilde war nicht nur die schönste, sondern auch die reichste Erbin der Gegend.

Malcolm zählte nicht viel über vierzig Jahre: sein Reichthum machte ihn stolz und seine vortheilhafte Gestalt machte ihn eitel. Mathilde hatte ihre bisherigen Tage in der strengsten Einsamkeit verlebt: das allmächtige Gefühl der Liebe 105 schlummerte noch in ihrem Busen. Der Graf hoffte es darinn aufzuwecken, und zu einer Zeit, da Gold und Ansehen bey dem Statthalter Christi alles vermochten, war er gewiß, die Erlaubniß zu dieser Heirath ohne Schwierigkeit zu erhalten. Er betrog sich: Mathilde kannte zwar die Liebe noch nicht: allein sie kannte ihren Liebhaber. Sie hatte mehr als einmal die verstohlnen Thränen ihrer Muhme gesehen: mehr als einmal ihre erstickten Seufzer gehört. Die strafbare Vertraulichkeit, worinn der Graf mit einer ihrer Zofen lebte, und der unverschämte Troz der Dirne hatten den Tod des gefühlvollen Weibes beschleunigt und manchen Auftritt veranlaßt, der Mathilden nicht ganz verborgen bleiben konnte.

Als Malcolm sah, daß sein schmeichlerisches Benehmen und die Juwelen, die er seiner Nichte aus der Verlassenschaft seiner Gemahlin schenkte, ihm nichts als einen unbefangenen, ehrerbietigen Dank zuwege brachten, und sie seine Absichten nicht einmal ahnen ließen, beschloß er sein Stillschweigen zu brechen, und ohne ihr Herz nach den Regeln zu belagern, ihr geradezu seine Hand anzubieten.

Dieses geschah an einem Sommerabend, da Mathilde, noch voll von dem Andenken ihrer Pflegemutter, in einer dunkeln Laube den Elegien 106 der Nachtigallen zuhörte, deren Accente so ganz mit der Stimmung ihres Herzens zusammentrafen, Malcolm sezte sich neben sie: es ist Zeit, Mathilde, sprach er, indem er sie bey der Hand faßte, daß ich mich mit Deiner Versorgung beschäftige. Du verdienest einen Gemahl, dessen Charakter, Stand und Vermögen fähig sind, Dein Glück zu versichern. Dieses kann kein flüchtiger Jüngling, der Dich heute zum Altar führen und morgen einer Buhlerin aufopfern, oder wohl gar das Erbe Deiner Eltern im Getümmel des Hofes verprassen wird. Ich bestimme Dir einen Gemahl, der über die Flitterjahre hinaus, aber selbst für eine Braut von Deinem Alter noch blühend genug ist, dessen Namen dem Deinigen einen neuen Glanz geben und dessen Reichthum Dich in den Stand setzen wird, diesen Glanz zu behaupten. Ich will Deiner Einbildungskraft die Mühe ersparen, diesen Mann aufzusuchen, wäre Dein Herz nicht zu neu, so würde ich nicht nöthig haben, Dir Deinen Oheim zu nennen.

Das gute Mädchen wußte auf diese Rede nichts zu antworten; stumm und schaamroth blickte sie ihn mit ihren großen Augen an, darinn aber der Graf nichts als ihr Erstaunen lesen konnte. Mein Antrag überrascht Dich, sagte er endlich mit gezwungener Freundlichkeit; wohlan, Mathilde, 107 ich verreise auf einige Tage nach Edimburg, bis zu meiner Rückkunft wirst Du Zeit haben, ich will nicht sagen, Dich zu bedenken, sondern Dich von Deiner Verwirrung zu erholen; denn ich halte Dich für zu vernünftig und für zu wohl erzogen, um die Ehre, Lady Dunbar zu werden, von Dir zu stossen.

Malcolm verreißte wirklich am folgenden Tage ohne Mathilden zu sehen, welche die ganze Nacht kein Auge schloß und kaum eingeschlummert war, als er ihr Mädchen fragte: ob sie aufgestanden sey? Brigitte antwortete nein, daß sie noch schlafe, und Malcolm hatte vor der Hand noch die Gefälligkeit, ihre Ruhe nicht zu stören. Diese Brigitte war ein angenehmes, gutartiges Geschöpf, das Lady Dunbar schon in seinem zwölften Jahre ihrer damals achtjährigen Pflegetochter mehr zur Gespielin als zur Aufwärterin unter den Kindern ihres Clans auserlesen hatte. Als sie erwachsen war, stach ihr munteres Wesen und vornemlich ihr glattes Gesicht dem reizbaren Malcolm ins Auge, der ihrer Unschuld manchen Fallstrick legte, aber immer seines Zieles verfehlte. Aus Liebe gegen Mathilden und aus Ehrfurcht gegen ihre Wohlthäterin hatte sie dazu geschwiegen, und nun, da der Graf sich mit Heyrathsentwürfen beschäftigte, ließ er einstweilen von ihr ab, 108 weil er glaubte, daß ihm diese Beute ohnehin nicht entgehen würde.

Brigitte hatte Mathilden häufige Beweise einer festen Treue und einer zärtlichen Anhänglichkeit gegeben, und diese, welche das Bedürfniß fühlte, ihr Herz zu erleichtern, würde auch dann, wenn sie eine andere Freundin gehabt hätte, das biedere Mädchen zu ihrer Vertrauten gewählt haben. Brigitte hörte sie mit stiller Aufmerksamkeit an, und als Mathilde mit den Worten schloß: ich weiß nicht warum? allein ich werde nie meinen Oheim als meinen Gatten lieben können, so traten ihr die Thränen in die Augen. Sie ergriff die Hand ihrer Gebieterin, die sie an ihren Busen drückte: aber ich, sagte sie, ich weiß warum? weil er nicht würdig ist, Euer Gatte zu werden. Nun erzählte sie ihr die Nachstellungen, die sie schon bey Lebzeiten seiner Gemahlin von dem niederträchtigen Wollüstling zu erdulden hatte, und bestärkte dadurch Mathilden in ihrem Entschlusse, sich der Heyrath mit einem solchen Mann aus allen Kräften zu widersetzen.

Malcolm kam von seiner Reise zurück und fragte des folgenden Tages Mathilden um ihre Entschließung. Blaß und schüchtern stand sie vor ihm und antwortete mit leiser Stimme: ich habe mich von Kindheit auf zu sehr gewöhnt, Euch als 109 meinen Vater zu verehren, daß es mir unmöglich seyn wird, Euch als meinen Gemahl zu betrachten. Vergebt mir meine Offenherzigkeit, Mylord, ich kann nicht heucheln, vielleicht bin ich noch zu jung und zu unerfahren, um die Ehre zu schäzen, die ihr mir anbietet. Mathilde hatte Zeit, gehabt, ihre Antwort vorzubereiten und mit ihrer Freundin zu verabreden, sonst würde sie ihr nicht so leicht vom Munde geflossen seyn.

Malcolm, dessen Blut eine übermäßige Dose Brennstoff enthielt, bemühte sich vergebens, seinen Zorn zu ersticken. Der schlaue Liebhaber verschwand und machte dem beleidigten Despoten Plaz. Sein Gesicht glühete, seine Lippen zitterten, und er konnte mit Mühe die Worte hervorstammeln: umsonst, Mathilde, suchst Du mich zu bereden, daß Du noch ein Kind bist; vor mir kann Deine Widerspenstigkeit sich hinter diesen Mantel nicht verbergen. Nur als meine Gemahlin kannst Du fortfahren, auf meinem Schlosse zu leben, und wenn Du meine Hand ausschlägst, so können nur die engen Mauern eines Klosters mir für die Unbesonnenheiten bürgen, die Dein Leichtsinn mich erwarten läßt. Bedenke es wohl, Mathilde, es wird Dir nicht so leicht seyn, die Riegel deines Gefängnisses zu sprengen, als es Dir jezt leicht ist, das Glück zu ergreifen, das ich Dir 110 anbiete. Indessen will ich dich nicht überraschen, sezte er in einem sanften Tone hinzu, ich gebe Dir noch einen Monat Frist, alsdann aber wird Deine Antwort Dein Schiksal unwiderruflich entscheiden. Er schwieg; Mathilde schwieg auch, und nachdem er sich einige Minuten an ihrem Schrecken geweidet hatte, verließ er sie mit hastigen Schritten.

Das arme Mädchen brauchte keine Krankheit vorzuschützen, um einige Tage das Zimmer zu hüten. Die Drohungen ihres Oheims hatten sie so gewaltig erschüttert, daß sie außer Stand war, ihre Glieder zu regen, und da Malcolm diese Krise für nöthig hielt, um ihre Kur zu bewirken, so ließ er sich durch ihre Unpäßlichkeit wenig anfechten. Doch die Natur und die treue Brigitte ersezten ihr den Mangel eines Arztes, und wenn sie fortfuhr in der Einsamkeit zu bleiben, so geschah es, um den Anblick eines Mannes zu vermeiden, dessen bloßes Bild sie mit Schrecken erfüllte, und um sich mit ihrer Freundin über die Mittel zu berathschlagen, seiner Rache auszuweichen. Die Erzählung, welche ihre Muhme ihr von einer Baase gemacht hatte, die als ein Schlachtopfer des Geizes einer Stiefmutter in einem Kloster verschmachten mußte, mahlte ihr diese Freystätte der verfolgten Unschuld als ein Vorgemach 111 der Hölle, und da sie wußte, daß die Habsucht ihres Oheims kein Verbrechen scheuen würde, um sich ihrer Güter zu bemächtigen, so ließ ihr die Verzweiflung keine andere Wahl übrig, als durch eine schleunige Flucht der Bosheit ihres Tyrannen auszuweichen.

Allein wie und wohin sollte sie fliehen? wo sollte sie die Mittel hernehmen, unter einem fremden Dache sich und die Gefährtin ihres Schiksals vor dem Mangel zu schützen? Diese lezte Schwierigkeit war am leichtesten zu heben. Mathilde hatte sich einige hundert Kronen zurückgelegt, die sie bisher bloß zu Wohlthaten anwandte, und im Nothfalle konnten ihre Juwelen ihr eine mehr als hinreichende Unterstützung verschaffen. Weit schwerer war es, einen Winkel auszufinden, der sie vor den Nachsuchungen ihres Oheims verbergen konnte, dem ihre Entweichung einen erwünschten Vorwand an die Hand geben würde, sie in das gefürchtete Kloster zu verschliessen.

Brigitte allein wußte diesen Knoten zu lösen. Der Pfarrer des Kirchspiels hatte einen Neffen bey sich, den er erzogen und in den Stand gesezt hatte, einen kleinen Handel zu treiben. Seine Geschäfte nöthigten ihn, öftere Reisen nach Glasgow zu unternehmen, wo er die Waaren einkaufte, die er in den umliegenden Ortschaften mit 112 Vortheil absezte. Arthur, so hieß der junge Mann, kam beynahe täglich auf das herrschaftliche Schloß, das er mit Gewürz und andern Bedürfnissen versah, und hatte schon seit einem Jahre eine Neigung zu Brigitten gefaßt, welche diese nur darum zu krönen verschob, weil es ihr unmöglich war, ihre gute Gebieterin zu verlassen. Brigitte versprach sich alles von seiner Liebe, und da sie nicht ohne Grund vermuthete, daß das Haus ihrer Eltern dem Fräulein keinen sichern Zufluchtsort gewähren würde, so ward unter den beyden Freundinnen beschlossen, ihn zu ihrem geheimen Agenten zu machen.

Brigitte unternahm die Unterhandlung; es verstrichen aber mehrere Tage, ehe sie Gelegenheit fand, ihn zu sprechen. Arthur besann sich keinen Augenblick, eine Unternehmung zu befördern, die er für ein frommes Nothwerk hielt und deren glücklicher Ausschlag ihm die Erfüllung seiner Wünsche verbürgte. Ich habe, sagte er zu ihr, in der Grafschaft Argyl eine Baase, welche die Wittwe eines wohlhabenden Pächters ist; bey dieser werdet ihr unentdekt leben und durch mich von Zeit zu Zeit von allem, was vorgeht, Botschaft erhalten können. Ich reise morgen in jene Gegend, und ehe acht Tage vergehen, hoffe ich mit guten Nachrichten zurückzukommen. Brigitte empfahl ihm 113 die strengste Verschwiegenheit, selbst gegen seine Baase, welche den Stand und Namen des Fräuleins nicht erfahren, sondern es für ihre jüngste Schwester halten sollte. Arthur versprach alles, er las seine künftige Belohnung in den Augen seiner Geliebten, und diese bot ihm zum erstenmal die Wange dar, als er sich von ihr beurlaubte.

Mathilde fiel ihrer Freundin um den Hals, als sie ihr von ihrem Geschäfte Bericht abstattete, und sah Arthurs Zurückkunft mit jener erquickenden Ungeduld entgegen, mit welcher die traurende Seele das Ende ihrer Leiden ahnet. Diese Hoffnung und die Besorgniß, durch eine längere Vermeidung ihres Oheims ein Mißtrauen bey ihm zu erwecken, gaben ihr den Muth, ihr Zimmer zu verlassen und mit unbewölkter Stirn vor ihm zu erscheinen. Zum erstenmal in ihrem Leben zwang sich das arglose Mädchen zur Verstellung, und ihr Versuch gelang ihr so gut, daß Malcolm anfieng, sich Glück zu wünschen, daß er ihr Zeit zur Ueberlegung gelassen hatte. Je näher der Tag kam, an dem sie Arthurs Rückkehr erwartete, je heiterer ward ihr Gemüth, und nur selten kam es ihr in den Sinn, daß zu gleicher Zeit der Augenblick sich näherte, den ihr Oheim zur Entscheidung ihres Schiksals anberaumt hatte.

Eine Woche war bereits verstrichen, als dieser 114 einen Spaziergang in das Lustwäldchen vorschlug, das den Hügel umschattete, auf welchem seine Burg ihre schwarzen Zinnen erhob. Auf einmal sahen sie einige Reuter in die Allee einlenken, die nach der Fallbrücke führte. Malcolm gieng ihnen mit seiner Nichte entgegen. Himmel! es ist der König, sagte er, indem er sich der kleinen Gesellschaft näherte. Er betrog sich nicht, es war Robert, der seit dem hergestellten Frieden von Zeit zu Zeit das Land bereiste, und sich dann bey den Edeln seines Reiches zu einem unvorbereiteten Mahle einlud. Ein Kleeblatt fahrender Ritter spricht Euch um das Gastrecht an, sagte er zu dem verlegenen Malcolm, indem er ihn mit der offenen Freundlichkeit des Helden grüßte. In der That hatte er nur zween Gefährten bey sich und ein paar Edelknechte, die ihm in einiger Entfernung folgten. Ist dieses Euere Tochter, Mylord, fuhr er fort, indem er Mathilden erblickte, welche mit der schüchternen Anmuth einer jungen Grazie, die noch nicht weiß, daß sie eine Grazie ist, sich vor ihm neigte? Es ist meine Nichte, Sire, antwortete Malcolm, die hinterlassene Tochter meines Schwagers Douglas. Die Tochter meines unvergeßlichen Freundes, unterbrach ihn der König; kommt, Miß, ich lasse mir von niemanden das Recht nehmen, Euch die 115 Hand zu bieten. Bey diesen Worten sprang er vom Pferde, reichte Mathilden seinen Arm, und führte sie, von der Gesellschaft begleitet, nach dem Schlosse.

Robert kannte seinen Wirth nicht ganz, aber doch genug, um keine besondere Hochachtung für ihn zu tragen. Auch würde er nicht bey ihm eingekehrt seyn, wenn er nicht gehofft hätte, einen Rechtsstreit beyzulegen, der schon mehrere Jahre zwischen Malcolm und dem verstorbenen Grafen Argyl obwaltete, den Robert bey seinen Lebzeiten als einen Vater verehrte, und bey dessen hinterlassenem Sohne er nun Vaterstelle vertrat.

Kaum kamen die erlauchten Gäste auf der Burg an, so entfernte sich Mathilde, um nach der alten Sitte des Landes die Tafel zu besorgen, indeß Robert und seine Gefährten sich mit ihrem Oheim über die Vorfälle des lezten Krieges und über die Angelegenheiten des Reiches besprachen. Man sezte sich an die Tafel, wo das reizende Mädchen die Rolle der Hauswirthin übernahm, und dieses Amt mit einem Anstande und mit einer Geschicklichkeit verrichtete, welche die Gesellschaft und besonders den König bezauberten. Beym Nachtische fragte er sie, ob die Harfe, die an der Wand hieng, ihr gehöre? Ja, Sire, antwortete sie, indem sie ihren Oheim ansah, der ihr nicht ganz 116 gutwillig einen Wink gab, welcher mehr eine Erlaubniß als eine Aufforderung zu seyn schien, sich hören zu lassen. Sie ergriff das Saitenspiel und sang darein mit einer süssen, kunstlosen Stimme einige von Ossians unsterblichen Liedern, welche ihre Muhme sie nicht nur singen, sondern auch fühlen gelehrt hatte. Alle Herzen schmolzen bey der himmlischen Melodie ihrer Kehle, und als sie sich bey aufgehobener Tafel entfernte, sagte der König zu Malcolm: Mylord, Euere Nichte ist ein verborgenes Kleinod, mit dem ich meinen Hof schmücken will. Meine Gemahlin wird sich freuen, ihre Jugendgespielin Douglas in ihrer Tochter wieder aufleben zu sehen. Bey Eurer nächsten Reise nach Edimburg bitte ich Euch, sie mitzubringen. Ich habe einen Einfall, den die Zeit reifen wird, und von dem wir alsdann sprechen wollen.

Malcolm antwortete mit einer gezwungenen Verbeugung, und izt äußerte der König den Wunsch, seinen Rechtsstreit mit dem jungen Lord Argyl zu vergleichen. Ich bin sein Vormund, sprach er, und hoffe, Ihr werdet meine Vermittelung annehmen. In drey Tagen komme ich nach Edimburg, wo ich Euch erwarte, Euere Billigkeit wird mir mein Amt nicht schwer machen.

Der geizige Malcolm konnte seine Verwirrung bey diesem Antrage nicht verbergen, er 117 brummte einige hirnlose Beschwerden über das Unrecht seines Gegners, und versprach in einem kalten Tone, der Vorladung zu gehorchen. Weit minder mit dem Oheim als mit der Nichte zufrieden, verließ Robert die Burg, und vergas über seinem Unmuthe Mathilden, der er beym Abschiede freundlich die Hand drückte, seine Einladung zu wiederholen.

Nun begann Malcolm wieder frey zu athmen, und so unangenehm es war, daß Mathilde die Aufmerksamkeit des Königs auf sich gezogen hatte, so unterließ der verschmizte Heuchler doch nicht, sie wegen ihres Benehmens zu loben. Der Beyfall des Königes hatte ihr zu sehr geschmeichelt, als daß ihr das Lob ihres Oheims jezt gleichgültig seyn konnte, und die heitere Stimme, womit sie es aufnahm, wurde von ihm als eine günstige Vorbedeutung ausgelegt.

Am Abend vor seiner Abreise sagte er zu Mathilden: Morgen, mein Kind, muß ich mich auf einige Tage nach Hofe begeben. Mit welcher Freude würde ich bey dem Könige erscheinen, wenn ich ihm und seinen Gefährten meine bevorstehende Vermählung mit eben der liebenswürdigen Mathilde ankündigen könnte, die ihnen so viel Vergnügen gemacht hat. Das gute Mädchen war betreten, es fühlte aber die Wichtigkeit des 118 Augenblicks und die dringende Nothwendigkeit, selbst den Schatten eines Verdachtes zu vermeiden. Die Frist, Mylord, die Ihr mir gestattet habt, ist noch nicht verstrichen, erwiederte sie, und ich bin zu entschuldigen, wenn ich sie bey einer so ernsthaften Angelegenheit nicht abkürze; allein ich hoffe, daß Ihr keine Ursache haben werdet . . . . Hier stockte sie und ward roth; sie wollte eine Lüge sagen, gegen die ihr frommes Herz sich empörte. Malcolm deutete diese Reticenz zu seinem Vortheil. Ein zündender Bliz fuhr durch seine Seele; schnell, wie der Schlag auf ihn folgt, haschte er das Mädchen in seine Arme, und ohne ihr einen Moment zu lassen, ihr glühendes Gesicht zurück zu ziehen, drückte er ihr einen Kuß auf die jungfräuliche Wange. Himmlisches Mädchen, sagte er, Du hast mir ein Blick in Dein Herz vergönnt, ich begnüge mich damit: allein wie ewig lang werden mir die Tage meiner Abwesenheit vorkommen. Mathilde entwand sich mit zurükgehaltenem Unwillen seinen Armen. Sie sah zur Erde nieder, und hätte die Leidenschaft Malcolms Augen nicht verblendet, so würde er in ihrer Miene den Schrecken gelesen haben, womit dieser Auftritt ihre Seele erfüllte.

Ihr guter Engel weckte sie aus ihrer Betäubung, welche die Kühnheit des Wollüstlings noch 119 mehr entflammte: sie raffte alle ihre Kraft zusammen, trat mit einer Würde, die den Elenden überraschte, nach der Thüre, und in einem Tone, aus dem sie zu ihrem Glücke den sanften Accent der Güte nicht völlig verbannen konnte, wünschte, sie ihm eine vergnügte Reise. Sie durchwachte die Nacht unter tausend ängstlichen Gedanken, und erst als das Stampfen der Rosse ihr den Abzug ihres Oheims ankündigte, legte sich die Unruhe, die ihr Herz beklemmte.

Nun, liebe Freundin, sagte sie zu Brigitten, als sie in das Zimmer trat, nun ist es Zeit zu fliehen, oder es wird auf immer zu spät! Furcht und Entsetzen fesselten mir gestern Abends die Sinne. Ich sah Dich nicht, ich sah nur das Bild meines Verfolgers. Sie erzählte ihr die vorgefallene Scene, und Brigitte bedurfte keiner weitern Gründe, um ihrem Entschlusse beyzustimmen. Sie verließ Mathilden, machte sich ein Geschäfte bey dem Pfarrer, und beschied ihren Liebhaber an einen abgelegenen Ort, wo sie unbemerkt eine lange Unterredung mit ihm hielt.

Uebermorgen um diese Zeit, sagte sie bey ihrer Rückkunft zu Mathilden, werdet Ihr, wie ich hoffe, nichts mehr von Euerm Oheim zu befürchten haben. Sein Irrthum, der Euch so sehr ängstigte, wird unser Vorhaben begünstigen; denn ich 120 habe wahrgenommen, daß der Burgwart, der bey der vorigen Reise des Grafen alle meine Schritte beobachtete, mir nicht einmal nachsah, als ich in das Dorf gieng, um dem Pfarrer Euer wöchentliches Allmosen zu bringen. Morgen Abends wird Arthur eine seiner gewohnten Reisen vorschützen, und uns in der verfallenen Mühle am Waldstrom erwarten. Hier werden wir zwey Pferde nebst der Verkleidung antreffen, worein wir uns wenigstens in den ersten Tagen stecken müssen. Nach Tische wird er mit allerhand Waaren auf die Burg kommen, die er Euch verkaufen und dagegen Euer Gepäcke mit sich nehmen wird.

Zärtlicher ward nie eine Schwester umarmt, als Mathilde ihre treue Brigitte umarmte. Beyde vereinigten sich, um in der Stille ihre nothwendigsten Geräthschaften zusammen zu packen, und gegen Abend erschien Arthur mit einem Kober auf dem Schlosse. Er wies dem Burgwart die darin enthaltenen Sachen und ließ sich bey dem Fräulein anmelden. Er ward vorgelassen, die Waare zurückbehalten und der Kober mit dem Reisegeräthe angefüllt. Ich werde mich vor Tagesanbruch nach Glasgow auf den Weg machen, sprach Arthur, und alle zu Euerer Reise nöthigen Dinge einkaufen, mit welchen ich Euch übermorgen frühe erwarten will. Ein Spaziergang 121 nach dem Lustwäldchen, aus welchem ein Fußsteig auf unsern Sammelplaz führt, wird allen Verdacht einer Flucht von Euch entfernen. Mathilde stellte dem jungen Manne hundert Kronen zu, um den Ankauf der Pferde und Kleider zu bestreiten. Euere Belohnung, sezte sie hinzu, überlasse ich meiner Brigitte, bis ich in den Stand komme, Euch meine Dankbarkeit zu bezeugen. Die beyden Freundinnen brachten den folgenden Tag unter allerhand häuslichen Beschäftigungen zu, und als die aufgehende Sonne ihnen die Stunde ankündigte, welche ihre Fesseln brechen sollte, verliessen sie mit muthiger Zuversicht die melancholische Burg. Indem sie über den Hof hinwandelten, rief das Fräulein so laut, daß der Wächter es hören konnte, der Haushälterin zu: guten Morgen, Sally, das Wetter ist so schön, daß ich Lust habe, auf der Melkerey im Thale zu frühstücken, und wenn die Hitze nicht zu groß wird, so kommen wir schwerlich vor der Mittagszeit zurük.

Das Fräulein hatte diesen Mayerhof ihres Oheims schon mehrmals, besonders in Gesellschaft ihrer Muhme, besucht und der Burgwart hatte diesmal keinen Befehl, ihre Schritte zu belauschen. So lange die beyden Pilgerinnen bemerkt werden konnten, durchstrichen sie mit nachlässiger Langsamkeit die breiten Gänge des Wäldchens; als sie 122 aber das Thal erreicht hatten, das der brausende Waldstrom bewässerte, folgten sie seinem Laufe, ließen die Melkerey seitwärts liegen und langten nach einer Stunde bey der Mühle an, hinter deren Ruinen Arthur sie bereits mit den Pferden erwartete.

Er übergab ihnen die mitgebrachten Kleider und Brigitte eilte damit in einen Stall, den die verheerende Fluth verschonet hatte. In wenig Minuten trat sie als ein junger Bursche angethan und mit einem zugespitzten runden Hute bedeckt vor ihre Gebieterin, die ihr in das nämliche Puzgemach folgte und sich von ihr umkleiden ließ. Um sich vollends unkenntlich zu machen, hatte die sinnreiche Zofe Hülsen von frisch erhaltenen welschen Nüssen mitgenommen; sie wurden zerschnitten, mit Wasser vermischt, und die daraus entstehende braune Schminke gab den beyden Pilgerinnen, wo nicht eine männliche, doch wenigstens eine minder weibliche Mine, und Arthur versicherte, daß, wenn sie ihm in dieser Verwandlung erschienen wären, er sie eher für ein paar fahrende Schüler als für Töchter Evens gehalten hätte. Ihre weibliche Kleidung wurde dem übrigen Gepäcke beigefügt, und nachdem die Gesellschaft ein kaltes Frühstük, das ihr Führer aus seinem Reisesak hervorholte, genossen, und sich an einer frischen 123 Quelle gelabet hatte, wurde die Reise mit gröster Eilfertigkeit fortgesezt. Beyde Dirnen waren des Reitens gewohnt, oder besser zu sagen, sie kannten nach der Sitte des Landes keine andere Art zu reisen. Nach einem mühsamen Zuge, auf welchem Arthur sie meist durch Wälder und Nebenwege führte, langten sie glüklich bey einer einsamen Kapelle an, wo er ihnen vorschlug, die Nacht zuzubringen.

Sie waren nur noch vier Meilen von dem Meyerhofe seiner Baase entfernt, und da sie nun ihr Geschlecht wieder annehmen sollten, so konnten sie keinen bequemern Ort zu ihrer Umkleidung wählen. Sie hatten unterweges Zeit gehabt, ihre Rollen zu verabreden, und Arthur hatte keine Mühe, bey der guten, arglosen Wittwe seine beyden Gefährtinnen für seine zwo jüngsten Schwestern auszugeben, die nach dem Tode ihrer Mutter ihr Brod in einer Stadt suchen wollten. Könntet Ihr sie brauchen, fuhr er fort, so fände ich für besser sie blieben bey Euch, und bis sie Euch ihren Unterhalt abverdienen können, läßt mein Oheim, der Pfarrer, Euch wöchentlich zwo Kronen für ihre Kost anbieten.

Mistriß Gertrud war mit diesem Vorschlage sehr wohl zufrieden, und als der Vetter ihr vollends einen Monat voraus bezahlte, so ward auf 124 der Stelle ein Ziklein geschlachtet, um ihre Gäste nach Gebühr zu bewillkommen. Ueber dem fröhlichen Mahle wurden den beyden Schwestern ihre ökonomischen Rollen ausgetheilt. Brigitte, als die stärkere, sollte das Hauswesen besorgen, und Mathilde der kleinen Baby (so hieß die zehnjährige Tochter der Wittwe) die Schaafe und Ziegen hüten helfen. Am dritten Tage verreiste Arthur, wie er sagte, nach Inverneß, und versprach bey seiner Rückkunft wieder zu Greendal, (so hieß der Meyerhof) einzukehren, und sich nach seinen Schwestern zu erkundigen. Indessen überließ er ihre Pferde der Wittwe, um sie bey ihrem Feldbau zu gebrauchen. Es ist nöthig, sagte er zum Fräulein in einer geheimen Unterredung, daß ich nach Woodhill zurückkehre, um die Bewegungen auszuspähen, welche Eure Flucht veranlassen wird; in zehn bis zwölf Tagen hoffe ich Euch wieder zu sehen. Mathilde wiederholte ihm ihre Danksagung, und weigerte sich vergebens, den Rest des Geldes anzunehmen, das sie ihm zur Bewerkstelligung ihrer Flucht zugestellt hatte.

Noch am Tage seiner Abreise traten die zwo angeblichen Schwestern ihre Verrichtungen an. Mathilde in einem weissen hänfenen Kleide, mit einem Strohhut auf dem Kopfe und einem 125 Schäferstab in ihrer Rechten, übernahm die Aufsicht über die Heerde. Sie weidete in einem grasreichen Thale, das in einer Entfernung von zween dis drey Bogenschüssen sich von dem Meyerhofe hinabsenkte und von einem Forellenbache bewässert wurde, der sich zwischen blühenden Gebüschen hindurchschlängelte. Die kleine Baby war immer an ihrer Seite, und wenn die Schaafe ihrer Nahrung nachgiengen, kürzte Mathilde sich die Zeit mit Fischen. Jeden Abend brachte sie einige Forellen mit nach Hause und Mistriß Gertrud hörte nicht auf, ihren Fleiß und ihre Wachsamkeit zu loben.

An einem Feyertage war sie mit Brigitten und dem kleinen Mädchen zur Kirche gegangen, und hatte Mathilden als Hüterin zurükgelassen, weil sie, um die Blicke der Neugierigen nicht auf sich zu ziehen, eine leichte Unpäßlichkeit vorgeschüzt hatte. Wenn der Bruder Jacob kömmt, sagte Gertrud im Weggehen, so gebt ihm dieses Brod und diesen Ziegenkäs: es ist eine Gabe, welche der fromme Einsiedler jeden Sonntag bey uns abholt. Mathilde saß am Fenster, um die kühle Morgenluft zu athmen, als sie einen grossen, ehrwürdigen Mann in einer Mönchskutte den Fußpfad heraufwandeln sah. Ein langer Bart wallte über seine Brust herab, und über die offene Stirne 126 hatte das herannahende Alter seine ersten Furchen gezogen.

Als Mathilde ihn erblikte, eilte sie an die Thüre, um ihn zu empfangen. Heilige Jungfrau! rief der Eremit, indem er zurükbebte: sie ist es. Bey diesen Worten fiel er auf die Kniee. Ach, Mathilde, Mathilde, nun weiß ich, daß Du versöhnt bist. Gott! laß diesen Augenblik den lezten meines kummervollen Lebens seyn. Blaß und sprachlos stand Mathilde unter der Thüre; der Schrecken hatte ihre Sinne gefesselt und alle ihre Glieder versteinert. Vater Jacob lag noch immer auf den Knieen. Er sah sie starr an: nein ich betrüge mich nicht, fuhr er fort, indem er ein Bildniß aus seinem Busen zog und mit irren Blicken betrachtete; sie ists, es ist Mathilde Douglas, die vollendete, die himmlische Freundin meiner Seele.

Bey dem Namen Douglas verliessen Mathilden alle Kräfte: sie sank ohnmächtig auf die Thürschwelle nieder, der Siedler sprang hinzu und hob sie von der Erde. Diese Bewegung rief ihre Lebensgeister zurük. Um des heiligen Kreuzes willen! ehrwürdiger Vater, lispelte sie ihm mit leiser Stimme zu, verrathet mich nicht, sonst bin ich verlohren. Der Mönch sah nun wohl, daß die Gestalt, die er für ein überirrdisches Wesen hielt, 127 Fleisch und Bein hatte: allein sein Erstaunen war darum nicht geringer, als der vermeinte Engel, den er Mathilde Douglas nannte, sich diesen Namen würklich zueignete. Welch ein Wunder, welch ein Räthsel, sprach er, heiliger Gott! wer kann es mir lösen? Er schwieg, und Mathilde heftete ihren schüchternen Blik auf seine Lippen. Endlich fuhr er wie aus einem Schlummer auf. Ich Elender, rief er, konnte ich vergessen, daß sie eine Tochter auf dem Schoose hatte!

Deine Mutter, himmlisches Mädchen, war sie nicht eine gebohrene . . . . . Gräfin Dunbar, erwiederte das Fräulein, ich war kaum zwey Jahr alt als sie starb. O ich weiß es, Miß, nur allzuwohl weiß ich es, versezte der Siedler, und ein Strom von Thränen entstürzte seinen Augen. Die göttliche Mathilde starb durch meine Schuld. Das Mädchen schauderte. O hasset mich nicht, verabscheuet mich nicht, holde, theure Miß; jezt verdiene ich nur Euer Mitleid, Gott hat mir vergeben, Mathilde hat mir vergeben, ihre Tochter – ja, auch sie wird mir vergeben. Ihr sollt alles erfahren, Miß, und mit mir weinen. Allein wie kömmt es, daß ich Euch in dieser Bauerhütte antreffe? redet . . . .. (hier hob er seine Hand auf) ich gelobe Euch bey dem lebendigen Gott die Verschwiegenheit eines Beichtigers.

128 Mathilde faßte Herz. Der wichtigste Theil ihres Geheimnisses war ihr bereits entwischt: sie entdekte ihm das übrige mit wenig Worten. Ich kenne Euern Oheim, sagte der Mönch, und wenn er noch ist, was er vor vierzehn Jahren war, als ich die Welt verließ, so habt Ihr mit vieler Schonung von ihm gesprochen. Es ist noch frühe, fuhr er fort; Gertrud kann vor einer Stunde nicht zurückkommen, laß uns auf jene Rasenbank sitzen, die der Apfelbaum beschattet. Niemand in der Welt hat mehr Recht als Ihr, meine Lebensgeschichte zu erfahren. Indem ich sie Euch erzähle, wird mein Herz bluten und zugleich sich erleichtern. Mathilde folgte dem Eremiten, der ihr die Hand bot. Die geheime Furcht, die seine Reden ihr eingeflößt hatten, wurde, so oft sie ihn ansah, durch seine Blicke zerstreuet, in welchen der tiefste Schmerz mit der Gelassenheit des Heiligen sich paarte.

Als ich noch unter den Menschen wohnte, so fieng er an, indem er sich die Augen wischte, hieß ich Lord James Hamilton. Ich war der Jugendfreund Euers Vaters: treuer und wärmer können keine Brüder sich lieben. Als Knaben hatten wir unsere Spiele, als Jünglinge unsere Waffenübungen miteinander gemein. Wir zogen zusammen nach London und Paris, wo jeder 129 einen Turnierpreis errang, und wo wir an Einem Tage vom Könige den Ritterschlag empfiengen.

Als das Vaterland unsers Schwerdts bedurfte, fochten wir einander zur Seite, und unser Arm war ihm nicht unnüz. Eine Erbschaftsangelegenheit führte mich nach Frankreich zurück, indeß mein Archibald, zu stolz, einem solchen Könige zu fröhnen, sich auf seine Güter im Cluydsthale verbarg. Die Nachbarschaft machte ihn mit der edlen Mathilde bekannt; die Tugend und die Liebe vereinigten ihre Herzen und der Segen des Priesters verband ihre Hände.

Indeß mein Freund an der Seite des vollkommensten Weibes, das ich jemals kannte, das höchste Erdenglük genoß, ward ich am Hofe Philipps in einem Wirbel unedler Zerstreuungen herumgetrieben. Mein Herz war eben so gut, aber nicht so stark als das Herz eures Vaters; die Thorheit lokte mich unter ihren hundertfachen Masken, und ach! ich gehorchte ihrer Stimme. Als ich nach Schottland zurückkam, erwachte die Freundschaft in meinem Busen, ich suchte meinen Archibald auf und fand ihn im Paradiese der Liebe. Mathilde empfieng mich als den Busenfreund ihres Gatten, der eines Tages meine Hand in die ihrige legte, und ihr gebot, mich als einen Bruder zu betrachten. Ich Elender! unter eben dem Dache, 130 das der Himmel mir anwies, um in den Schoos der Tugend zurükzukehren, athmete ich das Gift einer unheiligen Leidenschaft ein. Lange verschloß ich sie in meinem Busen, endlich brach der lezte Damm, den die Ehre meinen stürmischen Trieben entgegensezte: ich bekannte Mathilden meine Liebe. Sie erblaßte und schlug die Augen nieder; ich faßte ihre Hand, sie zog sie zurük, und mit dem Blicke eines traurenden Schuzengels sagte sie zu mir: Ihr vergesset Euch, Mylord, Ihr entheiligt die Gesetze der Freundschaft; zwingt mich nicht, Euch meine Achtung zu entziehen. Ich verstummte; nie schien ich mir so klein als in diesem feyerlichen Augenblik. Ich verreiste, aber nach einigen Wochen riß ein unbezwinglicher Zug mich wieder zu ihr hin, Archibald empfing mich als seinen Bruder, und seine Gattin mit einer zwanglosen Güte, die, statt mich zu demüthigen, meine Leidenschaft noch mehr anfachte.

Mehrere Tage verstrichen, ehe ich Gelegenheit fand, ein Stillschweigen zu brechen, das meine Augen nicht so treu als mein Mund beobachtet hatten. Eines Abends giengen wir unter einem Zirkelgange von Ulmen spazieren, in dessen Mitte eine kleine Capelle, im Geschmak einer Einsiedeley, stand, welche Archibalds Mutter als ein Dankgelübde für seine Geburt hatte erbauen lassen. Sie 131 war mit Baumrinden bedekt und von aussen mit Muschelschalen aus der benachbarten See ausgelegt, welche allerhand religiöse Sinnbilder vorstellten. Mathilde betrachtete sie mit andächtiger Gefälligkeit, als ihr Gemahl abgerufen wurde. Ich benuzte diesen Augenblik, um ihre Hand, die er fahren ließ, zu ergreifen, und indem ich sie an mein pochendes Herz drükte, ihr das Bekenntniß meiner Flamme zu wiederholen. Anstatt mir zu antworten, zog sie mich mit unwiderstehlicher Kraft in die offene Kapelle, und ohne sich von mir loßzumachen, warf sie vor dem kleinen Altare sich auf die Kniee. Ihre Majestät schrekte mich nieder. Unwissend was ich that, folgte ich Mathildens Beyspiele. Die Gewalt der Tugend ist allmächtig: ich glich einem Verbrecher, dem der Arm der Gerechtigkeit den Nacken niederbeugt. Sie hielt meine Hand gefaßt und hob sie gen Himmel. Du Unsichtbarer! der Du auch hier gegenwärtig bist, empfange den Schwur meines Freundes, der Tugend und der Freundschaft getreu zu seyn, und den ehlichen Frieden seines Bruders und seiner Schwester nie wieder zu stören. Amen! Hier drükte sie mir die bebende Hand und mein Mund stammelte das Amen ihr nach. Mit eben der Schnelligkeit, womit dieser ganze Auftritt vorgieng, eilte sie mit mir aus dem Heiligthum unter das Gewölbe des Himmels, das 132 im Abendroth glänzte. Ihr Antliz glänzte wie er, und eine heitere Thräne zitterte in ihrem Auge. Was in meinem Herzen vorgieng, kann ich Euch nicht beschreiben und Euer unschuldvoller Busen kann es nicht fühlen. Ich würde zu ihren Füssen hingesunken seyn, wenn nicht ihr Gatte, dem ein Bedienter bloß einige Worte zu sagen hatte, auf uns zugekommen wäre.

Nun konnte ich nicht länger an einem Orte verweilen, den Schaam und Reue mir zum Kerker machten. Der Himmel selbst würde mir zur Hölle geworden seyn. Ich verließ die Burg am dritten Tage, um mich vor den Blicken der Tugend und vor mir selbst zu verbergen.

Bald hernach starb der König: Robert folgte ihm auf dem Throne und rächte die Schmach seines Vaterlandes. Der Krieg brach aus; ich fand meinen Archibald im Getümmel der Waffen, und zwey Jahre darauf war ich Zeuge seines Heldentodes. Mehrmals hatte ich es versucht, das unreine Feuer, das mein Herz verzehrte, zu ersticken, und es einer rechtmässigen Liebe zu öfnen; allein umsonst. Sobald ich einer Dirne mich näherte, trat das Bild Mathildens mir an die Seite und verdunkelte jeden andern Reiz in meinen Augen. Ich sah nur sie, und eben die Tugend, die mir keinen Schatten von Hofnung übrig ließ, 133 machte sie mir zu einer Gottheit, die ich in der Stille anbetete, und neben der jede andere Liebe mir als eine entehrende Abgötterey vorkam. Archibalds Tod fachte meine Leidenschaft und meine Erwartungen von neuem an. Dennoch ließ ich sechs Monate verstreichen, ehe ich es wagte, vor seiner Wittwe zu erscheinen. Ich wurde ohne Schwierigkeit vorgelassen. Blaß und schmachtend, aber für mein Auge nur desto einnehmender, saß sie auf einer Fensterbank und hatte ein Kind auf ihrem Schoose. Ihr waret es, theure Miß, und nach dem süssen Irrthume, der Euch mir verrathen hat, brauche ich Euch ihre Gestalt nicht zu beschreiben. Gegen ihr über hieng das Bild ihres Gatten, das mit einer frischen Kette von weissen Rosen umwunden war. Mit sanfter Freundlichkeit erwiederte sie meinen Gruß: ich blieb zwo Stunden bey ihr, ehe ich den Muth faßte, ihr meinen Wunsch zu eröfnen. Auch bey der Lauterkeit meiner Absicht konnte ich nicht vergessen, daß ich Mathilden vor mir hatte. Der Tod, sagte ich endlich, hat Euch Euren und meinen Archibald entrissen, o möchte ich ihn Eurem Herzen ersetzen können! Archibald ist abwesend, aber nicht todt, erwiederte sie, Mathilde ist noch immer seine Gattin. Meine Liebe machte mich beredt, ihre himmlische Freundlichkeit gab mir Muth, und jeder ihrer 134 Blicke schoß . . . . Doch ich vergesse mit wem ich rede. Kurz, Mathilde ward endlich meiner Zudringlichkeit müde; sie heftete ihre Augen auf das Bildes ihres Gatten. Archibald, sagte sie in einem Tone, der mich hätte vernichten sollen, Archibald, dein Freund will zum Zweytenmale dein Weib zur Untreue bewegen. Mathilde hat nur Ein Gelübde, und das wiederholt sie dir nicht; sich selbst aber gelobt sie, den Störer ihrer Ruhe nie wieder vor sich zulassen.

Dieses Wort stürzte mich in Verzweiflung; es erweckte in mir das Gefühl meines Verbrechens und erfüllte mich mit Wuth gegen mich selbst. Er wird Dir gehorchen, rief ich, und zu gleicher Zeit Deine und seine Quaal endigen. Ich hatte noch nicht ausgeredet als schon mein Blut floß; ich würde mir das Herz durchbohrt haben, wenn nicht Mathilde eben so schnell als ich meinen Dolch zog, ihr Kind auf die Erde geworfen und meinen Arm aufgehalten hätte. Der Stoß glitt ab; die Göttliche stillte mein Blut mit ihrem Busentuche; sie konnte nicht reden, aber sie zitterte laut. Das Geschrey ihres Kindes zog ihren Blick von mir ab; sie raffte es von der Erde auf, verschloß ihm den Mund mit ihren Küssen. Verlaß mich, sprach sie, indem sie mir das Gesicht noch einmal zuwandte, und mit ihrer mütterlichen Bürde in ein 135 Nebengemach stürzte. Ich machte eine Bewegung, ihr zu folgen; der Abscheu vor mir selbst stieß mich zurück. Ich preßte ihr Busentuch auf meine Wunde, wankte in den Hof hinunter, und ritt langsam, wie ein Missethäter, den man zur Gerichtstätte führet, von dem Schlosse.

Vierzehn Tage hatte ich, von allen Menschen geschieden, in dem abgelegensten Gemache meiner Burg verseufzet, als man mir einen unbekannten Priester anmeldete, der sich nicht wollte abweisen lassen. Er trat mit der ernsthaft feyerlichen Miene eines Nathan zu mir: Mylord, sprach er, ich habe einen geheimen Auftrag von Lady Douglas an Euch. Dieses Wort tönte wie die Posaune des Weltgerichts in meine Seele. Wie lebt sie? fragte ich mit bebender Stimme. Wie die Engel Gottes leben, erwiederte er: vor zween Tagen ist sie zu ihrem Archibald zurückgekehrt. Ich war ihr Beichtiger, Mylord, und weiß alles. Hamilton wird Euers Beystands bedürfen sagte sie in der Stunde ihres Todes zu mir; wenn ich entschlafen bin, so besuchet ihn; tröstet ihn und sagt ihm, daß ich ihm verzeihe. Gebt ihm in meinem Namen dieses Bildniß, sein Anblick kann ihn vielleicht in den edeln Entschliessungen stärken, die ich von ihm erwarte. Er schwieg. Die Erstarrung des Todes hatte meine Glieder versteinert. 136 Matthildens Züge erwekten mich, ich verschlang das Gemälde mit meinen Küssen, ich überschwemmte es mit meinen Thränen, ich sank in Zuckungen der Agonie, der gute Priester verließ mich nicht, er hatte diese Würkung vorausgesehen, und einen stärkenden Balsam mit sich gebracht, der wider meinen Willen mir das Bewußtseyn wieder gab. Laßt mich kurz seyn, theure Miß, noch heute ist mir diese Scene so neu als vor vierzehn Jahren. Mathildens lezte Worte und der fromme Zuspruch meines Trösters würkten allmählich auf meine Seele. Niemand war fähiger als er, sie zu heilen. Er hatte einst geliebt, und auch eine Mathilde verlohren, aber seine Liebe war edel und rein, das Opfer, das er ihr brachte, war ihrer würdig. Ich faßte den Entschluß, seinem Beyspiele zu folgen, die Welt zu verlassen, und meine übrigen Tage der Busse und dem Andenken meiner verklärten Freundinn zu weihen. Ich schüzte eine weite Seefahrt vor, und verbarg mich, ferne von meiner Burg und von meinen Bekannten, in eine Grotte, die ich mich erinnerte einst auf einer Reise in diesem Gebürge bemerkt zu haben. Mein neuer Freund begleitete mich dahin und half mir sie bewohnbar machen. Bey unserer Trennung übergab ich ihm eine Urkunde, wodurch ich ihm meine Einkünfte anwies. Ich behielt mir nur einen Theil 137 zu geheimen Allmosen vor, den Rest überließ ich ihm zu gleicher Bestimmung. Jedes Jahr am Todestage Mathildens besuchte er mich, um mit mir das Fest ihrer Himmelfahrt zu feyern. Ihr Bildniß und ein Kreuz waren stets die einzigen Zierrathen meines Altars und ihr Busentuch, das mein unreines Blut nicht mehr beflecket, dienet mir zum Teppich auf der heiligen Tafel des Herrn. Ach! diesen Frühling mußte ich ihre Todtenfeyer allein begehen; der Mann Gottes wandelt nicht mehr unter den Lebendigen, aber sein Geist ist in meiner Klause zurückgeblieben. Der Friede wohnet in meiner Seele, und die wunderbare Begebenheit des heutigen Tages ist mir eine Versicherung von oben, daß der Mörder Mathildens begnadigt ist. Vater Jakob schwieg; das horchende Mädchen hatte bey seiner Erzählung sich kaum zu athmen erlaubt. Schauer auf Schauer, Thränen auf Thränen war alles, was sie darauf erwiederte. Schenkt mir Euer Vertrauen, Miß, sprach der Siedler, indem er sich zum Weggehen anschickte: ich werde als ein Freund Euch rathen, und wie ein Vater Euch schützen. Jeden Sonntag besuche ich diesen Meierhof, und jedes Kind kann Euch die Klause des Bruder Jakobs weisen.

Mathilde erzählte ihrer Freundin die wundersame Begegniß. Man beschloß, eine Wallfahrt 138 nach der Siedelei zu unternehmen, und nichts ohne den Rath eines Mannes zu thun, dessen Bekenntnisse sowohl als seine allgemein geschäzte Frömmigkeit das größte Vertrauen verdienten. Doch wollte man zuvor Arthurs Rückkunft erwarten, welcher erst am zehnten Tage auf dem Meyerhof eintraf. Er berichtete, daß Mathildens Flucht eine allgemeine Bestürzung verursacht, daß man den Grafen durch einen Boten davon benachrichtigt, und daß dieser, sobald er seine Burg betrat, reitende Knechte auf alle Wege und Stege ausgesandt habe, um Kundschaft von den Flüchtlingen einzuziehen. Als die Ausspäher unverrichteter Sache zurückkamen, fuhr Arthur fort, kannte seine Wuth keine Gränzen; er ließ alle seine Bedienten in den Kerker werfen, sezte sich selbst zu Pferde, und war nicht glücklicher als seine Kundschafter. Am Tage vor meiner Abreise traf er wieder auf seiner Burg ein, und ließ in der ganzen Gegend eine Belohnung von 100 Pfund demjenigen ankünden, der Euere Spur entdecken würde. Auf mich hat niemand Verdacht, und da die Waaren, die ich auf das Schloß brachte, alle unversehrt gefunden wurden, so ward ich nach einem Verhör von einer Viertelstunde, worauf ich alle Zeit hatte, mich vorzubereiten, wieder entlassen. Dennoch wird es nöthig seyn, daß ich, um die 139 Wachsamkeit der Ausspäher zu hintergehen, meine Besuche so wenig als möglich wiederhole. Ihr habt Euch also wegen meines Ausbleibens keine Sorge zu machen.

Nun erzählte ihm Mathilde ihre Begebenheit mit dem Eremiten. Arthur freuete sich, daß der Himmel ihr diesen Freund erweckt habe, der ihnen seine Abwesenheit ersetzen könne, und da sein Rückweg ihn an dem Thale vorbeyführte, das Bruder Jakob bewohnte, so beschlossen die beyden Freundinnen, unter dem Vorwande, ihn zu begleiten, auf den folgenden Tag ihre Wallfahrt dahin vorzunehmen. Der fromme Siedler empfieng sie mit väterlicher Zärtlichkeit und bewirthete sie, so gut er konnte, mit den Nahrungsmitteln, die seine gutherzigen Nachbarn ihm von allen Seiten herzu trugen. Er war ihr Rathgeber, ihr Arzt, ihr Tröster, der Friedensstifter der Familien, der Verpfleger der Armen. Nie behielt er einen mehr als dreytägigen Vorrath in seiner Grotte, den Rest theilte er mit den Nothleidenden, deren der Krieg viele gemacht hatte, und besonders mit dem hülflosen Alter. Er gab die reichen Allmosen, die er in der Stille austheilte, für milde Steuern aus, welche verborgene Hände ihm zustellten, und niemand gerieth auf den Gedanken, daß er selbst nicht bloß das Werkzeug, 140 sondern auch die Quelle dieser Wohlthaten war. Mathilde wiederholte ihm die von Arthur gebrachten Nachrichten und bat ihn um seinen Schutz. Seyd getrost, erwiederte er, ein höherer Schutz als der meinige waltet über Euch, und wenn Ihr des Beystandes der Menschen bedürfet, so wird Euch auch dieser nicht entgehen. Ich kenne die heutige Welt nicht, und die heutige Welt kennet mich nicht; allein mein Name und meine Person sind dem Könige nicht fremd. Wenn es nöthig wäre, so würde der Bruder Jakob sich bis zu seinem Throne hindrängen, um Euch Recht zu verschaffen.

Um dem rachgierigen Oheim alle Spur zu vertilgen, die ihm den Aufenthalt des Fräuleins entdecken könnte, kam man überein, daß Arthur bey seiner nächsten Reise die Meyerey nicht betreten, sondern seine Nachrichten dem Waldbruder überbringen sollte, der schon Mittel und Wege finden würde, sie Mathilden mitzutheilen. Die beyden Mädchen kamen gegen Mittag auf den Meyerhof zurück. Nach Tische begab sich Mathilde zu ihrer Heerde. Die kleine Wallfahrt hatte sie ermüdet, das Wetter war heiß, und der Forellenbach, an dessen blumichtem Ufer sie sich hinlagerte, murmelte ihr ein sanftes Wiegenlied. Baby, ihre Gespielin, war zu Hause geblieben; 141 der Segen des Einsiedlers hatte Hofnung und Frieden über ihre Seele ausgegossen; sie sank in einen tiefen Schlaf.

Wie groß war ihr Erstaunen, als sie beym Erwachen einen blühenden Jüngling erblickte, der ihr zur Seite saß, und mit einem Baumzweige die Fliegen von ihr scheuchte. Sein Auge begegnete dem ihrigen und winkte ihr einen Gruß zu, der sich in keine Sprache übersetzen läßt. Sie hatte sich aufgerichtet; allein, war es Schrecken oder Vertrauen? Mathilde floh nicht. Seyd mir gegrüßt, holde Schäferin, sagte der Fremde; die Jagd hat meine Schritte in dieses lachende Thal geführt, ich fand Euch schlafend und vergaß die Jagd, um die Ruhe der Unschuld zu schützen.

Die angenehme, seelenvolle Stimme des Jünglings drang Mathilden ans Herz. Ich danke Euch, sagte sie, für Euere Güte; die Hitze ist groß, ich habe hier Buttermilch in meiner Kürbisflasche, wollt Ihr Euch erfrischen? Sie reichte ihm die Flasche. Freudig ergriff sie der Fremde, und ehe er trank, bemerkte sie, daß er die Mündung des Gefässes küßte. Dieser Ausdruck seines Dankes freuete sie, aber sie verbarg ihre Freude. Indem er die Flasche zurückgab, begegnete seine Hand der ihrigen, die ihm das Gefäß abnahm, und er drückte ihr die Hand, aber so leise, daß 142 Mathilde den Druck nicht gefühlt haben würde, wenn sie die Flasche aus einer andern Hand empfangen hätte. Die Sonne sinket schon hinter die Berge, sagte sie, indem sie sich zum Aufstehen anschikte; es ist Zeit, daß ich meine Heerde nach dem Hofe führe. Der Fremde half ihr auf und reichte ihr den Schäferstab, der ihr zur Seite lag. Darf ich fragen, liebenswürdige Hirtin, ob Euere Wohnung weit von hier entfernt ist?

Auf dem Hügel hinter den Apfelbäumen.

Habt Ihr dort Euere Eltern?

Ich habe keine Eltern mehr, und bin fremd in dieser Gegend. Eine weitläufige Verwandte hat mich und meine Schwester zu sich genommen, bis wir eine andere Versorgung finden.

Eine Versorgung? – Vielleicht . . . . Doch nein, ich wollte Euch vorschlagen, mich in der Stadt für Euch zu verwenden, allein . . . . Euer Name?

Mathilde Harold, aus der Gegend von Glasgow. Harold war Arthurs Geschlechtsname, und als seine Schwestern mußten auch sie ihn annehmen. Der Fremde besann sich einen Augenblick, dann fuhr er fort: Nein, Ihr seyd besser hier als in der Stadt. Der Unschuld sicherste Freystätte ist eine Schäferhütte. Waret Ihr noch in keiner Stadt?

143 Nein, Sir, nie hat mich darnach verlangt.

Wohl Euch, daß Ihr die Dunkelheit liebt, möchte auch hier Euch kein Verführer ausspähen!

Mathilde sah ihn an, als wollte sie fragen: ist das Euer Ernst? und seine Physiognomie, die selbst dem Heuchler nicht immer zu Gebote steht, bestätigte seine Rede. Vermuthlich, Sir, wohnt Ihr in einer Stadt?

Nicht immer, ich gehöre dem Grafen von Argyl an, und halte mich seit einigen Tagen dort hinter dem Walde auf seinem Jagdschlosse auf. Ich wußte nicht, daß in meiner Nachbarschaft eine Mathilde lebe.

Das Mädchen erröthete; um ihre Verwirrung zu verbergen, lockte sie einige Ziegen, die zurückbleiben wollten. Der Fremde gieng noch immer an ihrer Seite. Schon entdekte man das braune Strohdach ihres Hofes; izt stand er stille. Lebt wohl, Mathilde, ich fühle, daß ich Euch weder aufhalten noch begleiten darf.

Ich danke Euch für . . . . Euere Güte, Sir.

Ich heiße Eduard, gewiß werdet Ihr meinen Namen eher vergessen, als ich den Namen Mathilde vergessen werde.

Ihr betrüget Euch, wollte Mathilde erwiedern, doch eine unsichtbare Hand hielt ihr den Mund zu; sie neigte sich mit unnachahmlicher 144 Anmuth, und Eduard verließ sie mit langsamen Schritten. Dreymal sah er zurück, und dreymal begegneten seine Blicke den Blicken Mathildens, und als sie zum viertenmale zurücksah, konnte sie nichts mehr als seinen hohen Federbusch wahrnehmen, ihn selbst verbarg ihr der Abhang des Thales.

Langsam und tiefsinnig kam sie auf der Meyerey an. Sie fühlte keinen Trieb, ihre Begebenheit Brigitten zu entdecken, für die sie sonst kein Geheimniß hatte. Sie wußte sich die Ursache dieser Zurückhaltung nicht zu erklären; allein sie gehorchte dem innern Verbote, ohne zu untersuchen, wo es herkam. Zum erstenmale seit ihrem Hirtenstande ward ihr die Nacht zu lang; sie verließ in aller Frühe ihr Lager, und als Brigitte sie, ihrer Gewohnheit nach, aufwecken wollte, war sie schon im Begriffe, die Heerde fortzutreiben.

Ein geheimer Zug lenkte ihre Schritte nach der Stelle, wo sie gestern geruht hatte. Sie fand sie mit den lieblichsten Blumen bestreuet; der Anblick schien ihr ein Sinnentrug zu seyn. Sie raffte einige Rosen, Anemonen und Nelken von der Erde auf, und überzeugte sich staunend von der Wirklichkeit der magischen Scene. Das kömmt von ihm, sagte sie leise, nur Er kann das gethan haben. Sie nannte seinen Namen nicht, weil kein 145 anderer Er für sie in der Welt war. Lange betrachtete sie die bunte Tapete mit stillem Lächeln. Endlich sezte sie sich nieder, wählte sich einige der schönsten Blumen aus, und band sie mit einem Grashalm in ein Sträuschen, das sie an ihre Brust steckte. Auf einmal glimmte der Gedanke in ihr empor: ist er vielleicht in der Nähe? Sie sprang auf, sah sich rechts und links um, gieng, als ob er sie beobachtete, mit zurückgehaltener Behendigkeit am Ufer des Gießbaches und im buschigen Grunde des Thales auf und nieder, schielte bisweilen durch die Hecken, und erhob, als sie ein Geräusch hörte, sich neugierig auf den Zehen, ob sie ihn etwa nicht erblicken möchte; allein sie sah ihn nicht. Es war ein Lämmchen, das an den zarten Blättern eines Wachholderbusches nagte.

Den ganzen Tag erschien kein Eduard, und sie kehrte eben so langsam, aber doch heiterer, als sie gekommen war, nach dem Hofe zurück. Er hat dich nicht vergessen, sagte sie auf dem Wege zu sich selbst; er wird gewiß wieder kommen. Hier warf sie einen Blick auf ihr Sträuschen, und verbarg es hinter ihrem Busentuch. Brigitte oder Gertrud möchten mich fragen, wo ich es her habe? Als sie zu Bette gieng, legte sie es in eine Schaale frisches Wasser, die sie vor das Fenster sezte, um es morgen wieder vorzustecken.

146 Sie träumte die ganze Nacht, ohne zu schlafen, und stand noch zeitiger auf, als des vorigen Tages. Wäre ich gestern früher gewesen, so hätte ich ihn angetroffen. Die Blumen waren frisch, er konnte sie nur denselben Morgen gebrochen haben. Unter diesem Selbstgespräche trieb sie ihre Heerde nach der Waide. Die Ahnung ihres Herzens betrog sie nicht; sie überraschte den liebenswürdigen Schwärmer über seinem gestrigen Geschäfte. Im gleichen Momente erblickte er auch sie; beyde blieben einige Augenblicke unbeweglich, und giengen dann auf einander zu, ohne sich Mühe zu geben, ihre Verwirrung und noch weniger ihre Freude zu verbergen.

Dachte ich's nicht, daß Ihr es wäret, rief sie mit reizender Treuherzigkeit ihm entgegen; da sehet, daß ich's dachte. Hier wies sie auf ihren Straus. Das unschuldige Mädchen wußte nicht, was, für einen versuchten Galan, in diesen Worten lag, aber Eduard war nichts weniger als ein versuchter Galan. Ein zärtlicher, seelenvoller Blick war seine ganze Antwort. Er band einen Straus von frischen Blumen, und bat Mathilden, mit ihm zu tauschen. Sie reichte ihm den ihrigen: er pflanzte ihn, wie einen Turnierpreis, oder besser zu sagen, wie eine Reliquie, auf sein Herz. Vergönnet mir, sprach er, holde 147 Mathilde, ein Stündchen bey Euch zu verweilen. Wer Euch einmal gesehen hat, zählet nur die Tage, an denen er Euch wieder sieht.

Math. Ihr wollt mich schaamroth machen, Sir.

Ed. Eduard ist mein Name; ich sagte es ja, daß Ihr ihn vergessen würdet.

Math. Vergessen! Nein, Eduard. Doch es ist nicht Euer Ernst.

Ed. Meynt Ihr's, liebe Mathilde? Dank für diesen Zweifel.

Diesen Dank begleitete ein Händedruck, den Mathilde mit einem offenen heitern Lächeln erwiederte. Nun folgte eine stumme Scene: die aufkeimende Liebe ist nicht wortreich. Mathilde spielte mit den umhergestreuten Blumen, und sprach mitunter vom schönen Morgen, von ihrer Schwester, von ihrer Baase, und selbst von ihrer Heerde, auf die sie von Zeit zu Zeit einen Blick warf. Eduard mischte einige Betrachtungen ein, über die Schönheiten der Natur, und die reinen Freuden des Landlebens. Mathilde begleitete sie mit kleinen Anmerkungen, die mehr als einmal ein geheimes Erstaunen bey ihm erregten. Sie kannte die Verstellung zu wenig, und ihre Rolle war ihr zu neu, um sie immer gut zu spielen. Zudem wollte sie für ein Hirtenmädchen, aber eben nicht für ein albernes Hirtenmädchen, 148 wenigstens nicht von dem gesitteten Eduard dafür angesehen seyn, und bey diesem Streite der Klugheit und der Eigenliebe konnte jene sehr leicht den Kürzern ziehen.

So verfloß ihnen ein Stündchen, ehe sie es merkten. Was kommt dort für ein Kind, sprach Eduard, indem er von ungefähr seine Blicke nach dem Hofe wandte? Ach, es ist Baby, rief Mathilde, die mir mein Frühstück bringt. Ich verlasse Euch ungern, sagte Eduard, der ihre Verwirrung wahrnahm; allein Ihr scheint es zu wünschen. Auf Wiedersehen, liebe Mathilde. Eduard war verschwunden, ehe Baby mit ihrem Milchnapf und Brödchen ihn bemerkte, und Mathilde lief ihr entgegen, ohne sie eben sehr freundlich zu bewillkommen. Sie brachte den Rest des Tages größtentheils auf dem Blumenplatze zu, der ihrer Phantasie eine so reiche Nahrung darbot. Sie wiederholte jede Scene von gestern und ehegestern, und blickte mehr als einmal nach dem Gebüsche hin, in welchem Eduard sich verlohren hatte. Vielleicht kömmt er wieder, dachte sie, mich dünkt, er versprach es: allein Eduard kam nicht wieder. Daß doch Baby ihn vertreiben mußte! Das Mädchen mag ein andermal immer zu Hause bleiben. Ach! wäre er auch ein Hirt, so könnten unsere Heerden beysammen 149 waiden. Diese Gedanken begleiteten sie in ihre Hütte; eine stille Schwermuth füllte ihre Seele. Sie war zerstreut, sprachlos, niedergeschlagen, und als Brigitte sie um die Ursache ihres Trübsinns fragte, bekam sie keine andere Antwort, als: man kann nicht immer fröhlich seyn.

Der folgende Morgen vermehrte ihre Unruhe; der Rasenhügel war mit keinen Blumen bestreut, und kein Eduard ließ sich sehen. Der ganze Vormittag verstrich ihr, wie dem neuvermählten Weibe, das am Ufer des Meeres das Schiff ihres Gatten erwartet. Voll Verdruß und langer Weile griff sie endlich nach ihrer Fischergerte, die schon drey Tage müßig gelegen hatte. Sie sezte sich an den Rand des Baches, und warf ihren Hamen aus; sie hatte schon bald eine Stunde vergebens auf eine Beute gelauschet, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Sie glaubte, es wäre Baby, die sie zu Hause gelassen hatte.

Bist du schon wieder hier? sagte sie mit einigem Unwillen und ohne zurück zu sehen: Schon wieder, antwortete ihr eine traurig-sanfte Stimme.

Ach! Eduard, ich glaubte, es sey mein kleines Mädchen, das mir immer die Ohren voll schwazt.

Mathilde wollte sich aufrichten; Eduard hielt sie zurück. Vergönnt mir, sprach er, mich neben Euch zu setzen, und – leihet mir Euere 150 Gerte: als Knabe war ich ein glücklicher Fischer. Mathilde reichte ihm die Gerte: allein Eduard hatte seine Kunst verlernt: er überließ seinen Hamen dem Spiele der wallenden Fluth, und hieng mit seinen Blicken blos auf Mathildens rosichtem Gesichte. Beyde hatten die Sprache verlohren: allein das Gespräch ihrer Herzen füllte die scheinbare Pause. Plötzlich unterbrach Eduard die stumme Unterredung: er langte aus seiner Jägertasche ein bedektes Körbchen hervor, und sezte es dem Mädchen auf den Schoos. Es ist sehr warm, liebe Mathilde, wollt Ihr Euch erfrischen? Hier sind einige Erdbeeren, die ich in unserm Garten für Euch gepflükt habe.

Math. Dank, Eduard. Sie aß. Euere Erdbeeren sind herrlich. Graf Argyl hat wohl einen sehr schönen Garten.

Ed. Noch vor drey Tagen kam er mir schön vor, nun finde ich in der ganzen Natur blos das Plätzchen schön, wo Mathilde ihre Schaafe hütet.

Math. (verwirrt.) Ihr seyd ein Hofmann, Eduard.

Ed. Wäre ich das, so würde ich nicht hier seyn. Doch, ich segne mein Schiksal; in der Königsstadt sah ich keine Mathilde. Er legte auf die lezten Worte jenen unnachahmlichen Accent der Empfindung, der allen Argwohn von Schmeicheley 151 entfernet. Mathilde fühlte ihren Werth; sie schlug beschämt die Augen nieder, und verzehrte schweigend ihre Erdbeeren. Eduard blickte nun zum erstenmal auf seinen Hamen. Ein großer Weißfisch hatte angebissen, er zog die Gerte zu rasch empor, sein Gefangener war nur noch eine Spanne vom Lande, als der Faden entzwey riß. Mathilde wollte ihn haschen, bog sich zu weit vor, und stürzte ins Wasser. Doch ehe sie noch den Grund berühren konnte, schoß Eduard wie ein Pfeil ihr nach, umschlang sie mit seinen Armen, und hob sie an's Ufer. Sie war halb ohnmächtig; Eduard legte ihr die Hand unter den Kopf. Mathilde! rief er, indem er ihr den Hut losband, und ihre blonden triefenden Locken von ihrer Stirne schob, liebste, beste Mathilde! Gott, Gott! Mathilde erwachte: eine sanfte Röthe überzog ihre Wangen. Sie sezte sich aufrecht, entfernte Eduards Hand von ihrem Gesichte, und legte ihr untreues Halstuch zurechte. Es ist nichts, sagte sie mit süßbewegter Stimme, ich weiß nicht, wie mir geschah. Dank Euch, mein Retter! nie werde ich den Augenblick vergessen. Ich auch nicht, flüsterte das neue Ich, das ein namenloser Blizstrahl izt in Eduards Seele erweckte. Stumm faßte er Mathildens Hand, 152 und fühlte in jeder Faser seines Herzens den sanften Druck, der ihre Danksagung begleitete.

Ich muß heimgehen und mich umkleiden, sagte sie nach einer kurzen Extase, die ihrem Auge einen bisher unsichtbaren Himmel aufschloß. Ich lasse Euch nicht allein gehen, theure Mathilde, ich muß Euch meinen Arm reichen. Mathilde ließ es geschehen. Mit sachten Schritten wandelten sie nach dem Meyerhofe. Sie sprachen wenig; Mathilde lehnte sich mit dem Vertrauen der Unschuld auf ihren Führer. Der Schrecken hatte ihre Beine geschwächt. Brigitte sah sie kommen, und eilte ihnen entgegen. Hier ist meine Schwester, Sir, sagte Mathilde, indem sie Eduards Arm verließ. Ich fiel beym Fischen in den Waldstrom, liebe Brigitte, hier ist mein Retter.

Erst nach einem Dutzend Kniksen und eben so vielen Ausrufungen fiel es der Frau Gertrud, die gleichfalls herbey gelaufen war, endlich ein, daß die Station im Hofe Mathilden nicht behagen könne. Sie überließ sie ihrer Schwester und führte ihren Begleiter nach der Wohnstube, wo sie ihn mit neuen Danksagungen und Lobsprüchen überhäufte. Sie bot ihm einen Becher mit Milch dar, den er annahm, und um ihren Complimenten auszuweichen, das Gespräch auf 153 allerhand Gegenstände der Landwirthschaft lenkte, bis nach einer Viertelstunde Mathilde, frisch und hochfarbig, wie die schlanke Purpurnelke, die der Maythau befeuchtet hat, in die Stube trat. Es geschah wohl nicht von ungefehr, daß sie gerade das niedlichste von ihren vormaligen Hauskleidern wählte. Schüchterner als zuvor, da das Nachgefühl der Gefahr sie gleichsam an ihren Retter anschmiegte, sezte sie sich neben ihn auf die Bank, und war es weit besser zufrieden als Eduard, daß Frau Gertrud sich im Besitze des Gespräches erhielt. Ich weiß nun, sprach dieser nach einer Weile, daß ich Euerer Gesundheit wegen außer Sorgen seyn kann; morgen hoffe ich Euere völlige Herstellung zu vernehmen. Mit diesen Worten verließ er sie unter den heissesten Segenswünschen der Frau Gertrud, die ihn mit den beyden Mädchen über den Hof begleitete und den ganzen Abend von nichts als von dem königlichen Gesichte und dem holdseligen Wesen des allerliebsten Herrn schwazte.

Mistriß Gertrud hatte eben so Unrecht nicht; Eduard war eine von den seltenen Gestalten, die nur sich selbst gleichen. Man denke sich den jungen Alcid in dem Augenblicke, da er auf dem Scheidwege steht und der Tugend die Hand reicht, und mildere das blitzende Feuer seines braunen 154 Heldenauges durch den sanftern Glanz einer an klösterliche Schwärmerey grenzenden Religiosität, so hat man einen Schattenriß von dem herrlichen Jüngling. Er lebte seinen zwanzigsten Sommer und war, was er Mathilden verhehlet hatte, der einzige Sohn des Grafen von Argyl. Sein älterer Bruder starb kurz vor dem Vater, nach dessen Tode Eduard der Erbe seiner Titel und ansehnlichen Güter wurde.

Da er als der Nachgebohrne dem geistlichen Stande gewidmet war, so hatte ihn der Graf schon im dreyzehnten Jahre seinem alten Freunde, dem Bischof von St. Andrews übergeben, der zwar keinen Mönch, aber einen rechtschaffenen Rhodiserritter aus ihm bilden sollte. Dazu war der Bischof der Mann. Er hatte in seiner Jugend mit Ruhme die Waffen getragen, und in der Verzweiflung einer unglücklichen Liebe die Lanze mit dem Hirtenstabe vertauscht. Edwina, so hieß seine Geliebte, zählte mehr Tugenden als Ahnen; ihr dunkler Stand empörte den Vater ihres Liebhabers gegen die Knüpfung eines Bandes, darein dieser seine einzige Glückseligkeit setzte. Als Edwina sah, daß sie nie die Seinige werden konnte, ohne den Sohn mit dem Vater zu entzweyen, entwich sie heimlich in ein Kloster, und schrieb ihrem Geliebten folgende Worte: 155

»Alfred, mein Alfred, Du bist zu einem grossen Opfer berufen; ich will es Dir erleichtern. Ich entsage Deiner Hand, aber nicht Deiner Liebe; auch in die Einsamkeit des Klosters, darein ich mich auf immer verschliesse, wird das Bild meines Alfreds mir folgen. Ich bin zu stolz, um wider den Willen Deines Vater Dein Weib zu werden, und kenne Deinen Werth zu gut, um jemals einen andern Mann zu wählen. Erst wenn ich mein Gelübde gesprochen habe, werde ich Dich vor mich lassen, alsdann aber wird Edwina sich nie vor dem Freunde verbergen, der auch dann noch in ihrem Herzen leben wird, wenn sie nichts mehr als seine Schwester seyn kann.«

Umsonst versuchte es Alfred, sie von ihrem Entschlusse abzubringen, und als seine Bemühungen vergebens waren, trat er in den Priesterorden, den er durch den Wandel eines Heiligen zierte, ohne jemals nach dem Rufe eines Heiligen zu streben. Er war es, welcher der Lady Douglas in ihren lezten Augenblicken beistand, und den verzweifelten Hamilton sich selbst und der Tugend wieder gab. Er war es, der jährlich das Todesgedächtniß Mathildens in seiner Einsiedelei feierte. Auch als Bischof unterließ er diese Wallfahrt nie, und las dann seinem Freunde einige Briefe seiner verewigten Edwina vor, die beide allein 156 würdig fanden, mit Mathilden verglichen zu werden.

Eben diese Briefe waren der Catechimus, nach welchem Alfred seinen Schüler Eduard unterrichtete, als sein Herz reif war, in die Geheimnisse seines Lehrers eingeweiht zu werden. Aus dieser Quelle schöpfte Eduard einen Adel, den seine Ahnen ihm nicht geben konnten, und zugleich jenes hohe Ideal von weiblicher Tugend, die das Herz des Jünglings jeder gemeinen Leidenschaft verschliesset. Wenn Du ein Weib findest, sprach einst der gute Prälat zu ihm, wenn Du ein Weib findest, das meiner Edwina gleicht, so fürchte Dich nicht, es zu lieben. Du wirst besser durch sie werden, als Du es durch tägliches Fasten und Beten werden kannst. Allein hüte Dich, mehr von ihr zu verlangen, als sie geben darf. Ein geistlicher Ritter ist ein Mensch. Er muß aber nie vergessen, daß er berufen ist, ein Held zu seyn. Wer die Unschuld beschüzt, thut mehr, als wenn er die Fahne Mahomets eroberte; und wer die Unschuld verführt, ist ärger als ein Meuchelmörder; er tödtet eine ganze Colonie des Paradieses. Du wirst unwürdige Brüder finden, die zwar keine Verführer der Unschuld sind, aber die Beute des Verführers mit ihm theilen, und das Laster in Sold nehmen. Diese Lüstlinge entehren zwar ihre Phrynen nicht, 157 aber sie entehren sich selbst. Der Kirchenräuber, der den Kelch des Versöhnungsaltars zum Saufhumpen entweihet, ist nicht so strafbar, als ein Verlobter Gottes, der sein Herz einer Buhlerin in den Schooß wirft.

Mit diesen Grundsätzen genährt, trat Eduard nach dem Tode seines Bruders in die Welt. Seine veränderte Bestimmung änderte seine Sinnesart nicht, und da sein ehrwürdiger Mentor bald hernach in eine hofnungslose Krankheit fiel, berief er seinen Liebling an sein Sterbebette und fragte ihn, ob er ihm das Versprechen mit ins Grab geben wolle, daß er auch auf der Laufbahn der weltlichen Ehre die Lehren seines alten Freundes nie vergessen werde? Eduard versprach es, und der Greis beschloß seinen Segen mit den Worten: Gott lasse Dich eine Edwina finden.

Noch war kein Jahr seit dieser Szene verflossen, als der Jüngling Mathilden begegnete. Er hielt sie zwar nicht für die Edwina, die er suchte; er hatte aber doch noch nie ein ähnlicheres Bild der Unschuld gesehen. Der Umstand, daß er sie für eine Hirtin hielt, war vollends eine mächtige Lockspeise für seine Phantasie; Edwina war auch aus einem dunkeln Stande, dachte er, wer weiß, ob ich nicht meine Edwina in einer Schäferhütte finden soll? Diese Gedanken beschäftigten ihn 158 vornemlich auf seinem Rückwege von dem Meierhofe, und die Szene am Gießbache war recht dazu gemacht, nicht nur seiner Einbildungskraft, sondern auch seinem Herzen einen romantischen Schwung zu geben.

Auch Mathilde fieng von diesem wichtigen Augenblicke an ihren Retter für etwas mehr als einen schönen Jüngling zu halten. Indem sie ihm so am Arm hieng, stieg der Gedanke in ihr auf: wenn er wüßte, wer das Hirtenmädchen ist, dem er so viel Güte erzeigte! Doch besser! er kennet mich nicht. Lieber will ich als Schäferin denn als Gräfin seine Blicke auf mich ziehen, die mein Stand vielleicht zurückschrecken würde. Ihr Herz war zu voll, um sich nicht in den Busen der Freundschaft zu ergiessen. Sie hatte sich ihre Zurückhaltung gegen Brigitten schon mehr als einmal vorgeworfen, und nun fühlte sie das Bedürfniß, eine Vertraute ihres Geheimnisses zu haben, in seiner ganzen Stärke.

Brigitte hörte ihre Erzählung mit jener heitern Aufmerksamkeit an, welche das unverdächtige Zeichen eines theilnehmenden Herzens ist. Sie kannte die Liebe besser, als Mathilde, und bedurfte nicht einmal ihrer ganzen Erfahrung, um sich zu überzeugen, daß das gute Mädchen weit mehr als das Gefühl der Dankbarkeit gegen ihren Retter im Busen trage. Sie wollte sie nicht 159 zurükschrecken, aber eben so wenig wollte sie eine keimende Leidenschaft aufmuntern, deren Gegenstand ihr unbekannt war. Eduard, sagte sie, scheint mir ein edler, schäzbarer Jüngling zu seyn; allein Ihr kennet ihn nicht. Ihr müsset Euch, theure Gebieterin, vor den Vorwürfen Eures eigenen Herzens und vor dem Tadel der Welt verwahren. – Was soll ich thun, liebe Brigitte – Ich kann Euch nicht rathen; aber das kann, das wird unser ehrwürdiger Einsiedler thun. An Eurer Stelle würde ich ihm, je eher je lieber, mein Herz offenbaren. Eduard liebt Euch, daran dürft ihr nicht zweifeln; er wird seine Besuche wiederholen, er wird Euch vielleicht seine Liebe gestehen; thut er's, desto besser. Ich würde ihm weniger trauen, wenn er schwiege, und selbst sein Geständniß kann Euch Gelegenheit geben, seine Absichten zu prüfen. Doch gesezt auch, sie sind rein, wie ich glaube, so ist der Unterschied zwischen dem, was Ihr seyd und dem was Ihr zu seyn scheinet, so groß, daß er wenigstens ein Ritter seyn müßte. Diese Anmerkung verbreitete eine Wolke über Mathildens Stirne. Brigitte bemerkte es, und unterbrach sich selbst: Nun freilich sieht er mehr als ritterlich aus. Dennoch aber . . . . . doch wie gesagt, Bruder Jacob kann Euch besser rathen, als ich, und morgen ist der Tag, da er sein Opfer 160 bei uns abholen wird. Bei diesem Entschluß blieb es, und Mathilde legte sich mit leichtem Herzen zu Bette.

Da das Vieh des Sonntags nicht ausgetrieben wurde, blieb sie wieder zu Hause, während Mistriß Gertrud und die übrigen zur Kirche giengen. Mathilde erwartete den Einsiedler: allein er kam nicht. Statt seiner kam Eduard im vollen Glanze seiner Schönheit den Hügel herauf. Mathilde nahm ihn nicht gleich wahr, sie saß auf der Bank unter dem Apfelbaume und las. Es war eine Sammlung hiblischer Geschichten, im Geschmacke jener Zeit auf Pergament geschrieben und mit feinen Gemälden geziert. Als sie den Jüngling erblickte, legte sie das Buch auf die Seite, und gieng ihm einige Schritte entgegen. Ich komme, mich nach Eurer Gesundheit zu erkundigen, theure Mathilde, und lese auf Eurem blühenden Gesichte die Antwort, die ich zu hören wünschte. Wirklich war ihr Gesicht mehr als blühend: Eduards überraschende Erscheinung hatte es mit dem lebhaftesten Karmin überzogen.

Sezt Euch, Eduard, Ihr werdet müde seyn.

Müde? wißt Ihr, daß ich kaum zwo Meilen von hier wohne? Ueber dieses habe ich Zeit auszuruhen, denn ich werde mich bei Eurer Baase zu Gaste bitten. Hier legte er einen Hasen zu 161 Mathildens Füssen nieder, den er an seinem Jagdspieße auf der Schulter trug. Doch was habt Ihr hier für ein Buch?

Math. Es ist ein Geschenk, das einst meine Muhme mir machte, als ich lesen lernte.

Ed. Wie, Mathilde, Ihr könnet lesen? – Dieses Talent war im vierzehnten Jahrhundert, selbst unter den Fräulein eben so selten, als es noch jetzt unter den Hirtinnen des schottischen Hochlandes ist. Er öfnete das Buch. Schön! herrlich! wißt Ihr, Mathilde, daß Ihr da einen kostbaren Schatz besitzet?

Math. Kostbar wegen der Hand, die mir es gab, und noch weit kostbarer wegen seines Innhalts.

Eduard sah sie mit einem bedeutungsvollen Blicke an, als wollte er sagen: nein, beym Himmel! so spricht keine Hirtin. Mathilde verstand ihn, und bemühte sich, ihre Verwirrung zu verbergen. Und darf ich fragen, fuhr er fort, was Ihr leset?

Math. Die Geschichte der Esther.

Ed. Eine reizende Geschichte, die Euch beweiset, daß die Tugend am schönsten in der Dunkelheit glänzet, und daß es der Vorsehung ein Geringes ist, einer armen Waise eine Krone aufzusetzen. 162

Math. Ihr habt Recht; allein . . . . . sie hielt inne.

Ed. Nun was wollet Ihr sagen?

Math. Nichts; es war ein kindischer Zweifel, der mir bey Lesung der Geschichte aufstieg.

Ed. Was für ein Zweifel? laßt hören!

Math. Ob wohl Esther so glücklich war, als sie es ihren Nebenbuhlerinnen schien, und als ihr stolzer Liebhaber sie zu machen glaubte?

Eduard erstaunt. Und warum zweifelt Ihr daran?

Math. Wie es nicht immer ein Glück ist, reich und vornehm gebohren zu seyn: so ist es auch nicht immer ein Glück, aus einem niedern Stande zu Reichthum und Ehre erhoben zu werden. Es gab Augenblicke, wo Esther es fühlen mußte, daß sie an der Seite eines tugendhaften Hirten glücklicher gewesen wäre. Eduard ergrif in einer Entzückung, die er nicht bemeistern konnte, Mathildens Hand und drückte sie fest an seine brennenden Lippen. Göttliches Mädchen! wer Du auch seyst, so verehre ich dein Geheimniß. Wenn diese Gesinnungen in der Brust einer Schäferinn entsprungen sind, so verdienen sie eine Krone. Ich irre mich: sie verdienen das Herz eines Liebhabers, in welchem das Deinige das fände, was du einer Krone vorziehest. O, Mathilde, wie selig 163 macht mich nicht schon ein einziger Blick in Deine himmlische Seele! wie unaussprechlich seliger würde . . . . .

Mathilde hatte bisher die Kraft nicht, ihre Hand zurück zu ziehen, die Eduard fest in der seinigen hielt, und bald an seinen Mund, bald an sein Herz preßte. Jetzt sah sie Mistriß Gertrud mit Brigitten und Baby den Fußpfad heransteigen. Da kommen unsere Leute, sagte sie mit tiefer, bebender Stimme, ohne daß es ihr möglich war, von der Bank aufzustehen. Um ihr Zeit zu lassen sich zu sammlen, lief Eduard den Pilgerinnen entgegen und sprach zur Meyerin: ich kam zu hören, oh Mathilde sich von ihrem Schrecken erholt hat, und um den schönen, heitern Sonntag mit Euch zu feyern. Nun näherte sich auch Mathilde: sie hatte den Hasen von der Erde aufgehoben und wies ihn der zeremonienreichen Base, die würklich anfing, sich wegen der hohen Ehre, die ihrem Hause widerfuhr, zu beglückwünschen. Nicht wahr, Brigitte, fuhr Mathilde fort, Du hilfst mir die Mahlzeit zurichten? – Hiemit gieng der Zug nach dem Hofe, und Fr. Gertrud kletterte mit geflügelten Beinen nach dem Taubenhause, um auch auf ihrer Seite die Tafel zu bereichern. Ich hin ein Jäger, sprach Eduard zu den beyden Mädchen, es ist mein 164 Geschäfte, das Wildbret auszuweiden. Hiemit folgte er ihnen in die Küche, wo die emsige Meyerin sofort mit einigen abgewürgten Tauben und allen Schätzen ihrer Speisekammer anlangte. Du bist uns hier nur im Wege, Mathilde, sagte die lose Brigitte, gehe indessen mit dem Herrn in den Garten; er wird dir wohl ein Körbchen mit Obst brechen helfen. Sie hat Recht, erwiederte Gertrud, die Pflaumen an der Scheunenmauer sind reif, leset ja die schönsten aus. Kommt, Mathilde, weiset mir den Weg, sprach Eduard, indem er sie bey der Hand faßte. Mathilde wußte nicht recht, ob sie ihm gern oder ungern folgte. Das Gespräch unter dem Apfelbaume hatte ihr Herz in eine Wallung versetzt, die ihr von Zeit zu Zeit den Athem hemmte. Zum Glücke hatte sie in der Zerstreuung vergessen ein Körbchen mitzunehmen, das Baby ihr nachbrachte, als sie kaum an Ort und Stelle angelangt war, und Eduard eben im Begriffe stand, die zur Unzeit abgebrochene Unterredung fortzusetzen. Baby wollte auch die Hausehre retten helfen, und las hüpfend die Pflaumen auf, die von dem Baume fielen, den Eduards nervige Arme schüttelten. Dieser Umstand neutralisirte die Unterredung, und gab Mathilden Zeit, ihre Lebensgeister wieder zu sammeln. Als das Körbchen gefüllt war, kam sie 165 auf den Einfall, den Rand desselben mit Blumen zu bestecken, welche Eduard pflücken wollte, um Gelegenheit zu haben, die Finger des lieben Mädchens zu berühren.

Nun brachte man den ländlichen Nachtisch in die Stube, und traf die rastlose Gertrud mit Deckung der Tafel beschäftigt. Mathilde holte die Teller herbey, und spühlte die irdenen Trinkschalen aus, indeß Baby Eduards Hut, der auf der Bank lag, begaffte, und die schönen Federn streichelte, womit er geziert war. Gefallen sie dir, sprach Eduard, als er es wahrnahm? O ja, lieber Herr! versetzte das Mädchen. Alsbald machte er eine von den Federn los, und stekte sie dem Kinde auf seinen Strohhut. Diese Gnade, wie Fr. Gertrud es nannte, machte sie vollends freudetrunken. Hätte sie, wie Baucis, nur eine Gans im Vermögen gehabt, sie würde sie ihren Gästen aufgetischt haben. Auch entschied dieser Augenblick das Schicksal eines Kruges mit Apfelmost, der noch von den Zeiten ihres lieben seligen Thomas her, im Kellerschranke stand, und urplötzlich herauf geholt ward, um diesen schönen Tag noch mehr zu verherrlichen.

Nun wurde das Essen aufgetragen, und Mathilden, als der Königin des Festes, ihre Stelle neben ihrem Retter angewiesen. Kein 166 Hochzeitmahl kann mit einer innigern Frölichkeit genossen werden, als dieser ländliche Imbis, wobey die redselige F. Wirthin nicht ermangelte dem Hasen, als dem Hauptgerichte, das gebührende Lob beyzulegen. Eduard sprach wenig: seine Seele athmete ein Wohlleben, darüber er alles, sogar das Essen, vergas, und ohne den Zuspruch der Meyerin würde er sich an dem Anblicke Mathildens gesättiget haben, die von lächelnden Amoretten umflattert, die Speisen herumgab. Beym Nachtische wurden die Schaalen mit dem Apfelmoste gefüllt, und auf Eduards und König Roberts Gesundheit ausgetrunken. Er ist ein guter Herr, sagte die Wittwe, aber noch ein besserer war unser lieber Lord Argyl. Gott hab' ihn selig! Er hat mir vor zwey Jahren, da ich Wasserschaden litt, zwanzig Kronen an meiner Pacht erlassen. Der junge Herr soll auch brav seyn. Doch, dieß müßt Ihr am besten wissen, Sir, da Ihr täglich mit ihm umgeht. Eduard wußte sich nicht zu helfen. Soviel kann ich Euch versichern, sprach er, daß er sich alle Mühe gibt, in seines Vaters Fußstapfen zu treten. Nun, Gott segne ihn! erwiederte die Wittwe. Wohlan, Sir, auf seine Gesundheit! Sagt ihm, daß wir täglich für ihn beten, und mit Euch auf sein Wohlseyn getrunken haben. Dieses fromme Trankopfer schmolz 167 Eduards Herz; die Thränen drangen ihm in die Augen. Ja, gutes Weib, sprach er, ich will es ihm sagen; wenn er mich beneiden könnte, so würde er's in diesem Augenblicke thun.

Diese Szene würkte mit sympathetischer Allkraft auf die gefühlvolle Mathilde. Sie zog ihr Schnupftuch heraus, um ihre Thränen unbemerkt abzuwischen. Eduard sahe es, und sagte mit leiser Stimme zu sich selbst: ich habe meine Edwina gefunden. Warum so stille, bald möchte ich sagen, so traurig, liebe Mathilde, sprach Brigitte, siehst Du doch so feyerlich aus, wie eine Braut. Wohlan, singe uns eines von den Liedchen, die unser Vetter, der Minstrel, dich gelehrt hat. Singt sie? fragte Eduard. Ja wohl, erwiederte Brigitte, und spielt sogar die Harfe dazu. Das Mädchen hat seinen Geschwistern alle Geschicklichkeit weggenommen. Schwätzerin, erwiederte Mathilde, warte, ich werde dich bey dem Bruder Jacob verklagen. Brigitte erröthete, und schwieg. Sie fühlte, daß sie zu viel gesagt hatte; Eduard schwieg auch. Er saß da, als ob er sich fürchtete, daß alles, was er sah und hörete, ein blosser Traum seyn möchte. Gertrud, die sich weder zu schämen, noch zu fürchten hatte, unterbrach die kleine Pause. Der gute Bruder Jacob, sprach sie, schade, daß er schon weg war, 168 als wir aus der Kirche kamen: ich würde ihn bey Tische behalten haben.

Math. Ey! er ist gar nicht da gewesen.

Gertr. Das wundert mich; es muß ihn etwas Wichtiges abgehalten haben, er pflegt sonst nie wegzubleiben.

Eduard zu Mathilden. Wer ist dieser Bruder Jakob?

Math. Ein ehrwürdiger Einsiedler aus der Nachbarschaft, der ein Freund meiner Eltern war, den ich als meinen Vater ehre und liebe, und ohne dessen Rath ich nichts thue.

Gertr. Ihr solltet ihn kennen, Sir, er ist weise und gut, wie ein Apostel: er würde uns diesen frohen Tag noch froher gemacht haben. Doch daß wir's nicht vergessen, Mathilde; Euer Liedchen.

Ed. Recht so, Mistriß Gertrud; ich wollte sie eben daran erinnern.

Gertr. Singt einmal das von der Schäferin, und dem öden Eilande, das Ihr heute frühe im Garten sangt. Ich habe Euch aus dem Kammerfenster behorcht; es klang, wahrhaftiger Gott! so lieblich, wie das Morgenlied der Nachtigall.

Es war Mathilden ganz recht, daß man ihr die Wahl nicht überließ, und gegen den Geschmack der Fr. Gertrud hatte ihr Herz auch nichts 169 einzuwenden. Ohne eine neue Aufforderung zu erwarten, sang sie anfangs etwas schüchtern, aber schon bey der zweyten Strophe mir dem ganzen Zauber ihrer melodischen Kehle:

    Auf einem Anger saß Erwin
Mit Selma: sanft umschlang
Ihr Arm ihn: o wie schön ists hier!
Sprach Selma; Lieber, singe mir
Ein Lied. Der Schäfer sang.

    Wär' ich in einem Königssaal,
An Fräulein, wie die Flur
An Blumen, reich. Ich sähe mich
Nicht einmal um; ich sähe dich,
Du traute Selma, nur.

    Den Schäfer lohnte Selmas Kuß,
Der tief ins Herz ihm drang.
Wohlan! rief er entzükt ihr zu,
Mein Liebchen, singe nun auch du
Ein Liedchen. Selma sang:

    Würf auf ein ödes Eiland mich
Mit dir ein Wirbelwind;
Nie fiele mir zu fragen ein,
Mein Trauter, ob wir wohl allein
Im öden Eiland sind?

170 Eduard war in einer Begeisterung, die ihn zu lauter Ohr und zu lauter Herz machte, und die ohne Zweifel in eine Krise ausgebrochen wäre, welche der ganzen Gesellschaft sein Geheimniß verrathen hätte, wäre er nicht im entscheidenden Augenblicke durch eine laute, freundliche Stimme, die aus der Nebenthür erscholl, plözlich zu sich selbst gebracht worden.

Recht so, Kinder, sagte die Stimme: freuet Euch; die Freude ist auch ein Gebot Gottes. Ha! willkommen Bruder Jakob, rief Gertrud, und Mathilde und Brigitte riefen's ihr nach. Sezt Euch zu uns, fuhr die Wittwe fort, wir haben eben von Euch gesprochen; wäret Ihr doch nur um eine Stunde früher gekommen. Der Besuch eines Fremden hat mich abgehalten, versetzte der Siedler, indeß Mathilde eine Schale mit Apfelmost einschenkte, die sie ihm mit sichtbarer Verwirrung darreichte. Bruder Jakob hatte wechselsweise ihr und ihrem Nachbar Eduard einen forschenden Blick zugeworfen, der dem guten Mädchen aufs Herz fiel. Gertrud ersparte ihm alle weitere Fragen. Dieser liebe Herr hat gestern unsre Mathilde vor dem Ertrinken gerettet.

Jak. Heil Euch, junger Mann, da habt Ihr ein gutes Werk gethan.

Ed. Wofür ich schon lange, lange belohnt bin. 171

Jak. Seyd Ihr in dieser Gegend zu Hause?

Ed. Seit einigen Tagen, ehrwürdiger Vater. Wollet Ihr mir hernach eine kleine Unterredung gestatten, so hoffe ich, wir sollen näher mit einander bekannt werden.

Bruder Jakob verstand ihn, und lenkte das Gespräch auf gleichgültige Gegenstände. Der gute Siedler zwang sich zu einer Munterkeit, dazu seine Seele nicht gestimmt war. Der Fremde, dessen er erwähnt hatte, war niemand anders, als Arthur, den Dunbar auf die eingezogene Nachricht, daß er um die Zeit von Mathildens Entweichung ein paar Pferde gekauft habe, als ihren Entführer gefangen setzen wollte. Der Pfarrer, der davon einen geheimen Wink bekam, beförderte die Flucht seines Neffen, der sich zum Waldbruder begab, um ihm diesen bedenklichen Vorfall anzuzeigen, und sich Raths bey ihm zu erholen. Vater Jakob verbarg ihn einstweilen in seine Grotte, und da er eine Reise nach dem Hoflager für das einzige Mittel hielt, um selbst Mathilden zu retten, so beschloß er, sie zuvor noch einmal zu besuchen, um ihr alle Unruhe wegen seiner Abwesenheit zu benehmen.

Eduard benuzte den ersten Augenblick, der sich ihm darbot, um ihm einen Spaziergang in den Baumgarten vorzuschlagen. Der Mann, sprach er, 172 den Mathilde als ihren Vater verehrt, ist meines ganzen Vertrauens würdig. Ich bin der Graf Argyle, sie kennet mich nicht. Ich fürchtete, die Entdeckung meines Standes möchte mir den Weg zu ihrem Herzen erschweren, und warum sollte ich es verhehlen? kaum war ich eine Stunde um sie, so fühlte ich, daß von dem Besitze ihres Herzens meine ganze Glückseligkeir abhänge. Was denkt Ihr, Mylord? unterbrach ihn der Siedler, was kann ein Hirtenmädchen Euch werden?

Ed. Meine Gattin. Ich könnte euch sagen, daß ich Mathilden für kein Hirtenmädchen halte, und daß Ihr, ehrwürdiger Vater, vermuthlich am besten wisset, daß ich mich nicht irre. Allein, wäre sie auch eine Fürstin, so könnte sie mir mehr nicht seyn, als das Hirtenmädchen mir ist, ich würde sie nicht mehr, ich würde sie weniger lieben, weil ich ihr alsdann die Freude nicht zu danken hätte, sie aus der Dunkelheit hervor zu ziehen.

Jakob. (lächelnd) Schön! treflich! Mylord; allein wer bürgt mir, wer bürgt Mathilden für die Dauer dieser Gesinnungen?

Ed. Mein Herz, das der Rechtschaffenste unter den Menschen der Tugend geöffnet, und mit einer heiligen Ehrfurcht für weibliche Unschuld, und weibliche Zärtlichkeit erfüllet hat. O möchtet Ihr ihn gekannt haben, ehrwürdiger Vater! 173

Jak. Und wer war dieser Lehrer?

Ed. Ein Freund Gottes war es: der Bischof Alfred von St. Andrews. Vater Jakob warf sich Eduarden in die Arme. Der war auch mein größter Wohlthäter, Mylord: erlaubt mir in Euch sein Werk zu segnen. Der Zögling meines Alfreds muß ein Nathanael seyn, in dem kein Falsch ist. Alle meine Zweifel sind verschwunden, Mylord: Mathilde könnte durch Euere Hand nicht anders als glücklich werden. Allein . . . .

Ed. Ich verstehe Euch, guter Vater: Ihr meynet, ich habe den König, der mein Vormund ist, und meine Verwandten zu schonen, die eine solche Verbindung mißbilligen würden. Dieser Gedanke martert mich, und hat mir bisher die Zunge gebunden; allein mein Entschluß ist gefaßt: Wenn nur erst Mathilde mich dazu bevollmächtigt, so eile ich, troz meiner Verbannung, zu den Füßen des Königs, und beschwöre ihn, in mein Glück zu willigen.

Jak. Troz Euerer Verbannung? seyd Ihr in des Königs Ungnade?

Ed. Ja und Nein. Mein Vater hatte mir einen Rechtsstreit mit dem Grafen Dunbar hinterlassen. Der König wollte ihn beylegen, und da ich in einem halben Jahre mündig bin, so verlangte er, daß ich der Unterhandlung beywohnen sollte. 174 Man versammelte sich im Pallaste. Robert war noch nicht da. Dunbar näherte sich mir mit einer höhnischen Miene, und sagte halbleise, doch so, daß die Schiedsrichter es hören konnten: es ist schade, daß Ihr zu jung seyd, sonst könnten wir unsern Streit mit Schwerdt und Lanze ausmachen. Die Rede verdroß mich. Ich habe noch, antwortete ich, das Schwerdt und die Lanze meines Vaters, die Euch nicht unbekannt sind. Er hatte den Grafen in drey Turnieren überwunden. Die Umstehenden lachten! Dunbar schalt mich einen Lecker, und ich warf ihm meinen Handschuh dar. In diesem Augenblick erschien der König: Dunbar forderte Genugthuung, und zur Strafe für meine aufbrausende Hitze ward ich für einen Monat auf meine Güter verbannt. Dunbar verreiste unverrichteter Sache, und als ich beym Könige Abschied nahm, sagte er zu mir mit seiner gewöhnlichen Güte: du hast dich vergessen, Eduard, und mich gezwungen, dich zu strafen. Du weißt nicht, was für einen hübschen Plan du mir verrückt hast. Dunbar hat eine Nichte, schön und gut wie ein Engel; mit dieser wollte ich dich verheyrathen. Doch ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Dunbar ist eigennützig: wenn ich auch deine Ansprüche gegen ihn fahren lasse, so kann die reiche Douglas dir diesen Verlust zehnfach ersetzen. 175 Ihr lachet, Vater, nicht wahr, das hieß ohne den Wirth gerechnet?

Jak. Ja wohl, indessen soll Lady Douglas würklich eben so liebenswürdig als reich seyn.

Ed. Ich und Dunbars Nichte, wenn sie auch alle Reize und alle Schätze der Welt besässe, können nie ein Paar werden. Dieses sagte ich dem Könige; er nahm es übel. Gehe, Braußkopf, sprach er, indem er mir den Rücken zuwandte, ich finde nicht nöthig, mein Urtheil zu widerrufen. Damals kannte ich Mathilden noch nicht, sonst würde ich ihm geradezu gesagt haben: mein Herz ist auf ewig vergeben.

Jak. Seyd Ihr, Mylord, ihrer Gegenliebe versichert?

Ed. Vielleicht bin ich ihr nicht gleichgültig; allein ich habe es noch nicht gewagt, ihre Gesinnungen zu erforschen. Sie betrachtet Euch als ihren Vater, sie wird sich vor Euch nicht verbergen. Nur eines bitte ich, entdecket Ihr meinen Stand nicht: Sollte sie in mein Glück willigen, so behalte ich mir auf den Tag unsrer Verbindung die Wonne vor, ihr zu sagen, daß sie Gräfin von Argyl ist.

Bruder Jakob nahm den Auftrag an: Eduards Vertrauen bestätigte ihn in der Meynung, die er von seiner Redlichkeit gefaßt hatte. Wäre sein 176 Herz nicht rein und unerfahren in den Ränken des Buhlers, so würde er den Glanz seiner Geburt nicht verläugnen, noch einen Eremiten zum Dollmetscher seiner Liebe wählen. Er würde sich des Vortheils nicht begeben, den Gegenstand derselben durch seine Schätze zu blenden, und mit den Waffen einer glatten Zunge und einer gleißnerischen Mimik zu bestürmen. Er dankte der Vorsicht, welche in dem Augenblicke, da Mathilde Gefahr lief, ihrem Verfolger in die Hände zu fallen, ihr einen edeln Beschützer erweckte, der ihre Ruhe auf immer versichern konnte. Seine Phantasie weidete sich im Voraus an der süßen Ueberraschung Mathildens, welche in dem bescheidenen Eduard einen Verwandten des Königes, und an der Verwirrung ihres Liebhabers, der in seinem Hirtenmädchen eben die erlauchte Erbin finden würde, die er verschmähet hatte.

Indem Bruder Jakob diese Betrachtungen anstellte, saß Eduard an der Seite Mathildens auf der Rasenbank, und bat sie mit holder Blödigkeit, sie möchte ihm ihr Liedchen vorsagen. Ich will es auswendig lernen, sprach er, ich will es jeden Morgen und jeden Abend, aber nicht wie die Minstrels sagen, dem Wiederhalle, sondern meinem Herzen vorsingen. Statt einer Antwort langte Mathilde eine kleine Schreibtafel aus 177 ihrer Tasche, und ihre Rosenfinger schrieben das Lied auf ein abgesondertes Blatt, das sie ihm zustellte. Er drückte es an seinen Mund und wiederholte dreymal mir sanft feyerlicher Stimme:

. . . . . . ich sähe Dich,
Du traute Selma, nur.

Er küßte es wieder und schob es auf seinen Busen. Mathilde sah ihm schweigend zu, ihr Herz klopfte, die Rasenbank ward ihr beydes, das öde Eiland und die Welt.

Nun erschien Brigitte: Vater Jakob hat eine Reise vor, und möchte Dich noch sprechen. Mathilde flog nach dem Baumgarten, indeß Brigitte bey dem wonnetrunkenen Eduard zurückblieb. Er sprach wenig, und Brigitte störte ihn nicht in seiner stillen Entzückung. Ein gemeiner Liebhaber würde diese Gelegenheit benuzt haben, um seinen Vorwiz zu befriedigen. Eduard verschmähete diesen Kunstgriff. Wer sie auch sey, dachte er, meinem Herzen ist sie alles, und was ich noch zu wissen wünschte, werde ich durch den Bruder Jakob erfahren.

Eine Botschaft, die ich diesen Morgen erhielt, sprach der gute Siedler zu Mathilde, benachrichtigt mich, daß Malcolm noch immer fortfährt, die stärksten Untersuchungen wegen Euerer Flucht anzustellen. Es kann ihm zulezt gelingen, 178 Euern Aufenthalt auszuforschen. Daher wird es unumgänglich nöthig, den Folgen dieser Entdeckung zuvorzukommen: ich kenne nur Einen sichern Weg, die Anschläge seiner Rache zu vereiteln. Ihr habt mir gesagt, meine Tochter, daß der König Euch kenne. Auch mich kennet er: ich war ehedem sein Waffenbruder, und ob ich mich gleich vor ihm und der ganzen Welt verborgen habe, so wird er dennoch sich meiner erinnern, sobald ich ihm meinen Namen nenne. Ich will mich zu ihm begeben und seinen Schuz für Euch anrufen. Meine Bemühung wird nicht umsonst seyn. Robert ist weise und gerecht, Malcolm wird ihn nicht hintergehen können, indessen fahret fort, meine Tochter, Euch verborgen zu halten: in acht Tagen bin ich wieder bey Euch, und ehe ich Euch verlasse, werde ich Euch der Fürsorge des edlen Jünglings empfehlen, der Euch liebet.

Eine plözliche Flamme blizte über Mathildens Gesicht. Erröthet nicht, meine Tochter, fuhr der Alte fort, es ist keine Sünde, zu lieben. Selig ist der Jüngling und das Mädchen, deren erste Neigung auf einen tugendhaften Gegenstand fällt: dann wird die Liebe ihr zweyter Schuzengel. Ich überhebe Euch des Geständnisses Euerer Gegenliebe, sie ist meinen Augen nicht entgangen, oder habe ich mich etwa betrogen? Mathilde 179 faßte Muth: was soll ich Euch sagen, guter Vater? Eduard . . . . Sie stockte. Ist Euch nicht gleichgültig, Ihr freuet Euch seiner Gegenwart, es thut Euerm Herzen wohl, daß er Euch Euerer Freundin vorzieht, Ihr wünschet, ihm das Glück Euerer künftigen Tage verdanken und das Glück seiner künftigen Tage machen zu können. Habe ich recht gerathen? Wenn das die Liebe ist, lächelte Mathilde ihm zu, so . . . . . Ihr möget selbst meine Antwort vollenden. Gut, liebes Kind, sprach der Eremit, indem er ihre beyden Hände zwischen die seinigen faßte, und mit väterlicher Zärtlichkeit sie anblickte: Gott segne Deine Liebe! eine innere Stimme sagt mir, daß er sie beschützen werde. Freylich, fuhr er fort, hängt ihr Schiksal weder von Dir noch von mir ab. Vielleicht wird Dein Geliebter Deinen Verwandten mißfallen. Mathilde erblaßte. Der nächste unter ihnen Malcolm, sagte sie, wird hoffentlich nicht der Herr meines Schiksals werden, und wenn Eduards Stand unter dem meinigen ist, so bin ich in seinen Augen ein armes Hirtenmädchen, das er bis zu sich erheben will. Allerdings, liebe Tochter; zudem ist er von edler Geburt, das weiß ich, und auch das weiß ich, daß der König Dich nicht unter der Gewalt Deines Oheims lassen wird. Doch, es wird spät; lebt wohl, theure Miß, alle 180 Fragen, die Ihr noch an mich thun könntet, will ich Euch bey meiner Rückkunft beantworten.

In der That hatte Mathilde noch mehr als eine Frage auf dem Herzen; allein Vater Jakob eilte zur Gesellschaft, und nahm seinen Abschied. Eduard erbot sich, ihn zu begleiten, und da die Miene des Alten ihm nichts als Gutes ankündigte, so verließ er Greendal mit einer Heiterkeit, die Mathilden um so weniger befremdete, da sie die Ursache davon errathen konnte. Er ließ dem Einsiedler keine Zeit, sich länger auf seinen Bericht zu besinnen; sobald er den Meyerhof oder vielmehr Mathilden aus dem Gesichte verlohren hatte, sagte er zu ihm: nun, ehrwürdiger Vater, habt Ihr mir nichts zu sagen?

Jak. Nicht viel.

Ed. Nicht viel? großer Gott! ich darf also . . .

Jak. Hoffen. Dieses, Mylord, ist alles, was ich Euch zu sagen habe.

Ed. O es ist viel, unendlich viel; in diesem einzigen Wörtchen liegt das ganze Glück meines Lebens. O, laßt Euch umarmen, guter Alter, und erkläret Euch näher.

Jak. Mathilde kennet die Liebe noch nicht; dennoch ist das, was sie für Euch empfindet, Liebe. Gerührt sieht sie auf die großmüthige Hand, die 181 sie aus der Schäferhütte hervorziehen will; allein sie fürchtet . . . .

Ed. Was fürchtet sie? wen fürchtet sie? ich werde meine Wahl gegen jeden zu vertheidigen wissen. Der König selbst wird sie nicht mißbilligen, sobald er Mathilden siehet.

Jak. Das glaube ich selber. Allein wenn sie die Eurige werden soll, so muß er darein willigen, ehe er sie gesehen hat.

Ed. Ich habe Euch schon gesagt, daß ich mich ihm zu Füßen werfen will, morgen . . . . nein, morgen besuche ich Mathilden; übermorgen mit Tagesanbruch mache ich mich auf den Weg.

Jak. Er hat Euch auf Euere Güter verwiesen; wenn Ihr sie ohne seine Erlaubniß verlasset, so würde dieser Ungehorsam ihn unfehlbar gegen Euch aufbringen. Allein vielleicht kann ich dieser Schwierigkeit abhelfen. Eine wichtige Kunde, die ich heute erhielt, und die auch dem Könige nicht gleichgültig seyn kann, zwingt mich, morgen nach Edimburg zu reisen. Robert kennet mich, ja ich darf sagen, daß er vormals mich schäzte, und daß ich mich seiner Achtung seitdem nicht unwürdig gemacht habe. Ich muß ihn sprechen, und wenn Ihr wollt, Mylord, so erbiete ich mich, Euere Zurückkunft, ja vielleicht noch mehr bey ihm auszuwirken. In Zeit von acht Tagen, die 182 Mathildens Gesellschaft Euch abkürzen wird, hoffe ich mein und Euer Geschäfte glücklich zu endigen.

Mit frohem Danke nahm Eduard dieses Anerbieten an, und seitdem es im Lande der Scoten Eremiten gab, wurde wohl keiner so fest und innig umarmt, als er den Bruder Jakob auf dem Scheidewege umarmte, der sie von einander trennete.

Seine Einbildungskraft und sein Herz wiegten ihn in die süssesten Träume: er schlief nicht, und dennoch wurde die Nacht ihm zu kurz. Er sah sich bald an der Seite Mathildens, er wollte ihr die Empfindungen seines Herzens schildern, suchte Worte, und fand keine, und faßte alle seine Gefühle in einen Händedruck; bald warf er sich dem Könige zu Füssen, und beschwor ihn, in seine Liebe zu willigen. Er führte ihn zu Mathilden auf die Weide, sehet, Sire, dieß ist sie, dieß ist das himmlische Mädchen, das auf ewig mein Herz besitzet. Habt Ihr jemals mehr Unschuld mit mehr Schönheit vereinigt gesehen? Welche Dirne Euers Hofes gleicht meiner Mathilde? Dann saß er zu ihrer Seite auf der Burg seiner Ahnen. Seht, rief er zum Volke, das sich hervordrängte, seht die Gefährtin meines Lebens, nicht ich, ihre Tugend hat sie zu Euerer Gebieterin erhoben.

Unter diesen süßen Täuschungen seiner Phantasie verließ er sein Lager, wandelte mit irrenden 183 Schritten in den schattigen Alleen seines Parks, und wenn ihm jemand von seinen Leuten begegnete, grüßte er sie freundlicher, als er sie nie gegrüßt hatte. Es war, als wollte er ihnen sagen: sehet Ihr nicht, daß ich der Glücklichste unter den Menschen bin? Ihr sollet alle mein Glück mit mir theilen. Bey Tische erinnerte er sich an das gestrige Mahl, jede Szene des wonnereichen Tages gieng wie ein liebliches Schattenspiel vor seiner Seele vorüber; er sprach kein Wort, forderte nichts, schlug nichts aus, und niemand, nicht einmal seine geschwätzige Amme, welche das Weib des Försters war, und seit seiner Ankunft immer mit ihm speisen mußte, hatte das Herz, ihn in seinem stummen geheimnißvollen Jubel zu stören.

In dieser Stimmung verließ er seine Wohnung, und eilte der Trift zu, wo Mathilde weidete. Ein waldiges Thal, das nur er in einer Stunde zurücklegen konnte, trennte sie von seinem Schlosse; allein er fühlte die Tageshitze nicht, war nicht Mathilde eben dieser Hitze ausgesezt? Er entdekte sie von Ferne; sie stand gedankenvoll an einer schmalen Sandbank, die sich am Ufer des Baches hinzog. Ihre Augen waren auf die Erde geheftet, und mit ihrem Schäferstabe schien sie im Sande zu wühlen. Eduard konnte sich ihr von hintenzu nähern; er that es so sachte, daß er, 184 ehe sie ihn wahrnahm, ihr über die Schultern sehen konnte. Wer kann die Entzückung seiner Seele ausdrücken, als er bemerkte, daß sie mit ihrem Schäferstabe den Namen Eduard in den rothgelben Sand schrieb. Ach Mathilde! rief er und die überraschte Mathilde fiel rükwärts in seine Arme. Ihre Wange streifte seine niedergesenkte Wange: beyde theilten sich ihre Elektricitär mit. Göttliches Mädchen, sprach er, indem er sie an sein Herz drükte. Doch, Eduard, vergiß nicht, daß du einen Engel im Arm hältst.

Ehrfurchtsvoll zog er sich zurück, ergriff Mathildens Hand, und küßte sie, wie man die Hand einer angebeteten Fürstin küßt. O warum, fuhr er fort, warum kann ich sie nicht mitnehmen, diese goldenen Buchstaben, welche für mein Herz die süsseste Weissagung enthalten. Ja, Mathilde, es liebt dich dieses Herz, es gelobt dir ewig, dich zu lieben, und hoffet . . . . Mathilde war nicht mehr bestürzt, sie war es nur einen Augenblick gewesen. Eduard, der mit der feyerlichen Miene der Andacht vor ihr stand, war ihr nicht furchtbar, und izt sah sie erst ganz die hehre, innere Gestalt des Jünglings, und fühlte, was er ihr seyn könne. Eduard, sprach sie, und aus ihrem Auge leuchtete jene sanfte Zärtlichkeit, jene trauliche Hingebung, die der erwachte Adam im 185 Auge der neugeschaffenen Eva las; Eduard, ich habe dir mein Geheimniß verrathen, ich bin mir nicht böse darum. Ja, ich liebe dich, und wenn ich die Deinige nicht werden kann . . . O warum nicht, unterbrach sie der entzückte Jüngling, du kannst, du must, du wirst es werden. Ich habe dem Vater Jakob aufgetragen, bey meinem Vormunde für mich zu reden; braucht er mehr als ihm meine Mathilde zu schildern, um ihn zu bewegen, in mein Glück zu willigen? Mathilde lächelte und schwieg. Sie erinnerte sich an die Zusage, die sie dem Einsiedler geleistet hatte. Sie brachten den ganzen Abend unter vertrauten Gesprächen zu, wobey auch Eduard mehr als einmal in die Versuchung gerieth, sein Incognito abzulegen. Allein der bloße Gedanke, daß der gute Alte Zeuge dieser frohen Scene seyn wolle, wäre hinlänglich gewesen, beyde zur Verschwiegenheit zu bewegen, wenn sie auch nicht einander diese süsse Ueberraschung auf die Stunde hätten versparen wollen, die ihre Liebe krönen würde.

Mathilde kam so fröhlich nach Hause, daß ihre Miene Brigitten schon im Voraus einen großen Theil der Erzählung verrieth, die ihr Mund, sobald sie allein waren, ihr machte. Ganz umständlich war diese Erzählung freylich nicht. Ein Mädchen, das keine Agnese ist, lernt mit der 186 Liebe zugleich die Zurückhaltung, und diese altkluge Halbschwester der Schaamhaftigkeit legt ihm auch dann den Finger auf den Mund, wenn jene nichts zu verschweigen hat. Beyde ergözten sich nun an den Aussichten in die Zukunft, und Mathilde vergaß in ihren Entwürfen die Freundin nicht, an deren Arme sie die Hälfte ihres Lebens zurückgelegt hatte. Man wünschte dem Bruder Jakob die Flügel Gabriels; man maß seine Tagreisen ab, und berechnete an den Fingern, daß er vor Ende der Woche nicht zurück seyn könne. Unterdessen aber träumte man jede Nacht von seiner Rückkunft, und erzählte sich beym Erwachen die günstigen Nachrichten, die er mitgebracht hatte.

Eduard erwartete ihn mit nicht weniger Ungedult. Er besuchte Mathilden täglich auf ihrer Waide; bald fand er sie unter dem Baume, wo er sie zum erstenmale schlafend antraf, und den sie nun mit einem Kranze von Wiesenblumen umwand; bald am Ufer des Gießbaches, wo sie jüngst seinen Namen in den Sand schrieb, den sie nun frisch ausgrub, und mit dem ihrigen paarte. Täglich wiederholten sie einander, was sie sich schon gesagt hatten, und jedesmal glaubten sie sich etwas neues zu sagen. Die Sonne gieng ihnen zu spät auf, und zu früh unter. Ihre Herzen kamen sich näher, oder vielmehr, sie fühlten immer 187 lebhafter, wie nahe sie sich waren. Die himmlische Unschuld schwebte mit ihren Schwanenfittigen über ihren Häuptern, und die Geister Alfreds und Mathildens sahen mit segnendem Lächeln herab auf ihre Lieblinge.

Der vierte Tag nach des Eremiten Abreise war ein Feyertag. Eduard lud sich wieder bei Mistriß Gertrud zu Gaste, und versah nun die Tafel beynahe allein. Er vergas nicht eine Flasche Malvasier, als das Gegenstück zu des lieben seligen Thomas Apfelmost, mitzubringen; und Mathilde vergas diesesmal das Körbchen nicht, in welches die Pflaumen gepflükt wurden, um der kleinen Baby die Mühe zu ersparen, es ihr nachzutragen. Gegen das Ende des fröhlichen Mahles erschien ein Jägerbursche, welcher den Eduard hinaus rief, der sogleich mit einer Harfe zurückkam. Brigitte sagte mir verwichenen Sonntag, daß Ihr die Harfe spielet, sprach er, indem er sie Mathilden überreichte, ich hoffe, Ihr werdet sie nicht Lügen strafen. Er durfte nicht zweymal bitten; Mathildens Herz war zu voll, zu selig, um sich nicht über diese Gelegenheit zu freuen, ihrem Geliebten ein Vergnügen zu machen. Sie spielte das Liedchen, das sie ihm aufgeschrieben hatte, und Eduard begleitete ihren Gesang mit einer Stimme, welche die Harmonie des 188 ländlichen Concerts vollkommen machte. Fr. Gertrud glaubte sich im Himmel: Baby tanzte in der Stube herum, und Brigitte dachte schweigend an ihren Arthur, den sie schon zu lange vermißte. Mathilde spielte, und sang nun einige von ihren Lieblingsgesängen: es waren Ossians Lieder von Selma. Eduard kannte sie, und fühlte ihren ganzen Werth: seine Seele huldigte in süsser Entzückung der göttlichen Muse des Barden, und dem zauberischen Talent seines Mädchens.

Es fieng schon an zu dämmern, als er den Meyerhof verließ. In der Mitte des Waldes, gerade auf dem Scheidewege, der nach Jakobs Clause führte, vernahm er ein plötzliches Geräusch. Es waren verschiedene Stimmen von dem Waffengeklirre eines Kampfes begleitet. Er verdoppelte seine Schritte: er hatte nichts als seinen Jagdspieß, der ihm bey seinen Wanderungen immer zum Stabe diente. Die Dunkelheit hinderte ihn nicht eine männliche Gestalt zu unterscheiden, die an einem Baum gelehnt, sich gegen zween Räuber vertheidigte, welche mit ihren Schwertern auf ihn einhieben. Was giebts hier, rief Eduard, indem er mit aufgehobenem Spiesse auf sie einrannte; getrost, mein Freund, Ihr bekommet Hülfe. Er hatte noch nicht ausgeredet, so waren die Räuber bereits in das Dickicht entwischt, und der 189 Gerettete lag zu seinen Füssen. Eduard dachte nicht an jene: Seyd Ihr verwundet, mein Freund, sprach er zum Fremden, indem er ihn aufrichtete? Nein, Sir, oder wenn ich es bin, so fühle ich es nicht; aber einen Augenblick später . . . . . Gott segne den Schutzengel, der mir zu Hülfe kam. Eduard nahm ihn beym Arme; wir dürfen hier nicht weilen, mein Freund, kommt mit mir nach meiner Wohnung, da könnt Ihr Euch von Eurem Schrecken erholen, und die Nacht über ausruhen. Der Fremde folgte ihm, indem er den Arm seines Retters drückte. Sie hatten noch eine halbe Stunde zu gehen; Eduard fühlte, daß ihm etwas warmes über die Hand herabfloß: Gott, Ihr seyd verwundet. Ich vermuthe es, erwiederte der Fremde, ich fühle einen Schmerz auf der Schulter; es kann nicht viel seyn, sie hieben mir nach dem Kopfe. Eduard machte ihm das Kleid auf und legte ihm sein Taschentuch auf die Stelle, da das Blut hervorquoll. Sie setzten ihre Reise fort und kamen ohne weitern Zufall auf dem Jagdschlosse an. Hier ließ Eduard durch einen seiner Bedienten, der ein Scherer war, die Wunde besichtigen, und verbinden. Sie war in der That sehr unbedeutend, und die Ruhe das einzige Mittel, das der Patient nöthig hatte.

Des folgenden Morgens, als Eduard noch 190 auf das Erwachen seines Gastes wartete, ritt ein Edelknecht des Königes aus dem Schlosse ein, und stellte ihm den Befehl zu, dem Ueberbringer unverzüglich in das Hoflager zu folgen. Zu gleicher Zeit übergab er ihm ein Briefchen vom Bruder Jacob mit der Nachricht: daß er den König unterwegs angetroffen und ein sehr geneigtes Gehör gefunden habe. Robert, so schrieb er ihm, kennet Euere Mathilde bereits so gut als ich, und Ihr dürfet Euch von seiner Güte alles versprechen, nur verschiebt Euere Abreise keinen Augenblick, jeder ist kostbar.

In einer Stunde bin ich reisefertig, sprach Eduard vor Freude zitternd zum königlichen Boten. Er befahl, ihm ein Frühstück herbey zu bringen, und taumelte wie ein Trunkener zum Zimmer hinaus, um die schleunigsten Anstalten zu seinem Aufbruche zu machen. Erst nach einigen Minuten fuhr ihm der Gedanke durch die Seele: allein, könnte ich nicht zuerst Mathilden diese frohe Botschaft überbringen? Er lief in die Stube zurück: Freund, sprach er, ich hätte noch erst einen nothwendigen Ritt in die Nachbarschaft zu thun, ehe Ihr Euch erfrischet habt, bin ich wieder hier. Ihr wollet vermuthlich nach Greendal, Mylord? diese Reise ist unnöthig; ich habe von meiner gestrigen Nachtherberge aus, einen Boten 191 mit einem Schreiben dahin abgefertigt, das Bruder Jakob mir empfohlen hat. Seyd also ruhig und säumet Euch nicht: der König ist ungedultig, Euch zu sehen. Dieser Bericht und die Ungedult des Königs mußte freylich Eduards Ungedult, die Hamilton vorausgesehen hatte, einen Zaum anlegen. Nun gut denn, sagte er, und ging etwas langsamer in den Stall zurück, wo er sich seinen besten Reithengst auslas und sein kleines Gefolge ernannte. Bruder Jakob meldete Mathilden bloß seine glückliche Ankunft, und daß er in wenig Tagen im Stande zu seyn hoffe, ihr angenehme Nachrichten zu ertheilen. Er hatte seine Maasregeln so genommen, daß Mathilde sein Briefchen eher nicht als nach der Abreise ihres Geliebten erhalten konnte.

Eduard war zu sehr mit Mathilden und mit seiner Reise beschäftigt, als daß er sich in der ersten halben Stunde seines Gastes hätte erinnern können. Nun aber fiel es ihm ein, daß er ihn doch vor seiner Abreise sehen und sich von ihm beurlauben müsse. Er fand ihn in seinem Bette sitzend: seine Wunde schien bereits geschlossen, und die genossene Ruhe hatte keine Spur des ausgestandenen Schreckens bey ihm zurückgelassen. Wundert Euch nicht, sprach er nach dem Morgengrusse zu ihm, daß Ihr mich reisefertig sehet. 192 Ein unerwarteter Befehl des Königs rufet mich schleunig nach Edimburg; doch meine Abwesenheit muß Euch nicht hindern, bis zu Euerer völligen Genesung hier zu bleiben, und mein Haus als eine Herberge zu betrachten, darinn Euch alles zu Gebote steht. Der Fremde dankte dem liebreichen Wirthe mit jener freudigen Rührung, die man nur alsdann fühlt, wenn der Wohlthäter seiner Wohlthat alles Drückende zu benehmen weiß. Eduard reichte ihm die Hand, welche dieser einige Augenblicke zwischen die seinige faßte und mit einer Thräne benetzte. Sie fiel auf Eduards Herz. Darf ich, sprach er, indem er ihm einen Blick des innigsten Wohlwollens zuwarf, darf ich nach dem Namen meines Gastes fragen? Ich bin ein reisender Kaufmann, erwiederte er, und wollte gestern Abends meine Herberge auf einer benachbarten Meyerey nehmen, wo ich Verwandte habe; mein Weg führte mich durch den Wald, in dem ich von Räubern überfallen und durch den edelsten Menschenfreund gerettet wurde.

Ed. Ihr habt Verwandte in der Nachbarschaft? Wie heißt die Meyerey?

D. Fremde. Greendal, Mylord.

Eduard hastig. Greendal? und Euere Verwandte?

D. Fremde. Die Meyerin Gertrud und . . . . . 193

Ed. Und wer mehr?

D. Fremde etwas verwirrt. Brigitte und Mathilde Harold.

Ed. Mathilde Harold! Gott, seyd Ihr etwa . . . . .

D. Fremde. Arthur Harold.

Eduard. (ihn umarmend.) Mathildens Bruder! Seyd mir willkommen, sie hat mir mehr als einmal von ihrem Bruder Arthur gesprochen.

Arthur. Sie, Mylord?

Eduard. (lächelnd.) Ja sie. Ich glaube wohl, daß Euch dieses ein Räthsel ist; doch sie selbst wird es Euch auflösen. Nur müßt Ihr mir eines versprechen.

Arth. Und was, Mylord?

Ed. Lasset sie auf keine Weise muthmassen, daß Ihr mich kennet.

Arth. Bey Mannes Eid, Mylord.

Ed. Ihr selber bin ich bloß unter dem Namen Eduard bekannt, bald aber soll sie meinen wahren Namen erfahren und ihn mit mir theilen.

Arthur. (erstaunt.) Ists möglich, Mylord?

Ed. Möglich, mein Lieber, und um es würklich zu machen, reise ich nach Edimburg.

Das Traben der Pferde, die in den Hof geführt wurden, zog ihn an das Fenster. Der Edelknecht erblikte ihn und rief ihm zu, daß alles 194 bereit sey. Eduard kehrte zu Arthurn zurück: man ruft mich, ich muß eilen. Lebt wohl, wenn wir uns wieder sehen, bin ich Euer Bruder.

Er flog zur Thüre hinaus und ließ Arthurn in einem Erstaunen zurück, das ihn aller Besinnungskraft beraubte. Endlich erwachte er von seinem Traume; es müssen grosse, unbegreifliche Dinge zu Greendal vorgefallen seyn. Doch was habe ich nöthig, mir den Kopf zu zerbrechen, meine Brigitte wird mir alles erzählen. Ueber diesem Selbstgespräche trat der Scherer ins Zimmer; er fand seine Wunde zwar schön, es war aber frisches Blut herausgedrungen, das entweder von Eduards Umarmung oder von der heftigen Gemüthsbewegung herrührte, welche die Abschiedsscene ihm verursacht hatte. Der Chiron fand sogar seinen Puls etwas fieberhaft, und legte ihm das strenge Gesetz auf, den ganzen Tag im Bette zu bleiben. Arthur wollte protestieren; es war umsonst. Mylords letztes Wort, als er zu Pferde stieg, war: »gib mir ja Achtung zu dem Fremden« und bey Gott! Sir, ich lasse Euch nicht reisen.

Nach diesem Orackel des Scherers fand Arthur es für überflüssig, weitere Einwendungen zu machen so sauer es ihm auch ankam, der Aufschlüsse Mathildens und des Kusses seiner Brigitte noch vier und zwanzig Stunden zu entbehren. Die 195 Räuber, denen er in die Hände gefallen, waren nichts anders, als ein paar gedungene Kundschafter des Dunbar, welche erfahren hatten, daß er schon mehrmals in der Gegend von Greendal gesehen worden. Sie waren auf dem Wege dahin, als er ihnen aufstieß, und ohne Eduards Beystand würden sie ihn unfehlbar der Rache des Grafen aufgeopfert haben, die um desto unversöhnlicher war, da sie vom giftigen Hauche der Eifersucht angefacht wurde. Arthurs Unvorsichtigkeit begünstigte ihr schwarzes Vorhaben. Die Klause des Einsiedlers war ihm zu einem unerträglichen Gefängnisse geworden, und er glaubte, ohne Gefahr eine nächtliche Wanderung nach dem Meyerhofe unternehmen zu können, wo er sich an der Seite seines Mädchens für die ausgestandene Angst und Langweile zu entschädigen hofte. Es war um Mittag, als der Bote mit Hamiltons Briefchen zu Greendal ankam. Mathilde saß gerade bey Tische; Baby pflegte sie um diese Stunde bey der Heerde abzulösen. Brigitte las den ganzen Innhalt des Briefes auf ihrem Gesichte. Mistriß Gertrud, die seit einigen Tagen das Verständniß, das zwischen Mathilden und Eduard sich entspann, bemerkt aber nicht mißbilligt hatte, weil ihr Gewissensrath, Bruder Jakob es zu billigen schien; Mistriß Gertrud wollte bey dieser 196 Gelegenheit ihren Scharfsinn an den Tag legen. Es scheint, sagte sie zu Mathilden, Sir Eduard schreibt Euch eine angenehme Kunde. Nicht Eduard, erwiederte diese, der Bruder Jakob schreibt mir. Der gute Mann! fuhr jene fort; nun, wenn er Euch glücklich machen kann, so wird er's gewiß nicht sparen. Doch, was ich sagen wollte: es war diesen Morgen ein Fremder hier, der nach Eurem Bruder fragte. Ich antwortete ihm: es seyen wohl vierzehn Tage, daß er seine Schwestern nicht besucht habe. So, so, sagte er, seine Schwestern sind also bey Euch? – Ja wohl, die beyden jüngsten: Brigitte und Mathilde. Damit gieng der Mensch wieder fort. Mathilde erblaßte bey dieser Nachricht, sie verglich sie mit dem, was der Einsiedler ihr bey seiner lezten Unterredung eröfnet hatte, und mußte sich allen Zwang anthun, um ihren Schrecken vor der geschwätzigen Meyerin zu verbergen. Brigitte bemerkte ihre Verwirrung, und ob sie gleich nichts von Arthurs Flucht von Woodhill wußte, so sah sie dennoch die Folgen ein, welche die Schwatzhaftigkeit ihrer Wirthin haben konnte.

Sobald die beyden Freundinnen allein waren, kamen sie mit einander überein, bis zu des Eremiten Zurückkunft den Hof nicht zu verlassen, und es wurde Mathilden nicht schwer, die Wittwe 197 unter einem unverdächtigen Vorwand zu bewegen, sie ihres Hirtenamtes auf ein paar Tage zu überheben. Baby blieb bey der Heerde, und Brigitte übernahm es, ihr zu sagen, daß wenn Eduard auf der Waide nach Mathilden fragte, sie ihn nach dem Meyerhofe weisen solle: allein der Abend brach ein, und Eduard erschien nicht. Mathildens Unruhe wuchs mit jedem Augenblicke, und als die Dämmerung ihr alle Hofnung benahm, ihren Geliebten zu sehen, überwältigte die tiefste Schwermuth ihre Seele.

Die Heerde war bereits eingetrieben, und die beyden Schwestern sassen Arm in Arm vor der Hütte, als die Ankunft eines Pilgers sie aus ihren ängstlichen Betrachtungen weckte. Gott grüß Euch, liebe Dirnen, sagte er zu ihnen, darf ein armer, verirrter Waller Euch um eine Nachtherberge ansprechen? Die Mädchen freuten sich dieser Erscheinung. Wenn die Seele Gefahr ahnet, so ist ihr jedes menschliche Wesen willkommen. Sie begleiteten den Fremdling in die Stube, wo die gutherzige Gertrud ihn mit Freuden aufnahm, und sichs zur Ehre rechnete, einen Diener Gottes zu beherbergen, der, wie er sagte, geradesweges aus dem heiligen Lande kam. Man räumte ihm die Oberstelle an dem bereits gedekten Tische ein, und Fr. Gertrud vergas Essen und Trinken über den 198 wundersamen Erzählungen, die er von der Stadt Jerusalem, dem Calvarienberge und dem heiligen Grabe machte. Nach der Mahlzeit sprach er ein gar andächtiges Gratias, und theilte der Gesellschaft einige mit Farben beklexte Holzschnitte, und Reliquien aus, darunter sich besonders ein Splitter vom Kreuze Christi auszeichnete, den Frau Gertrud mit einer tiefen Kniebeuge aus seiner Hand empfieng, und sofort in ihre Truhe zu ihrem Agnus Dei verschloß. Ihr werdet müde seyn, ehrwürdiger Vater, sagte sie hierauf zum Pilgersmanne; kommt, folget mir. Sie führte ihn in eine Nebenkammer, und wies ihm ein schneeweißes Bett an, welches seit der Krankheit ihres lieben seligen Thomas kein Sterblicher beschritten hatte. Bald hernach begab auch sie mit den beyden Mädchen sich zur Ruhe.

Laßt uns diese Pause benutzen, um zu einem andern Pilger zurückzukehren, den wir schon allzulange aus dem Gesichte verlohren haben. Bruder Jakob hatte den König auf seinem Sommerschlosse angetroffen, und dadurch seine Wallfahrt um einen ganzen Tag abgekürzt. Er ließ um ein geheimes Gehör bitten, das seine ehrwürdige Gestalt ihm noch eher, als sein Habit verschafte. Ich flehe Euch, Sire, um Schutz für die verfolgte Unschuld an, sprach er, indem er sich vor ihm auf die Knie 199 warf. Darum brauchet Ihr mich nicht anzuflehen, erwiederte Robert, den bin ich ihr schuldig: steht auf, Vater, und redet.

Jak. Mathilde Douglas, die Ihr kennet, Sire . . . . .

d. König. Ja wohl kenne ich sie. Gott! was ist ihr begegnet?

Jak. Sie hat von der Burg ihres Oheims Dunbar entfliehen müssen, der ihr keine andere Wahl als seine Hand oder ein Kloster übrig ließ. Sie lebt gegenwärtig auf einem Meyerhofe verborgen, wo sie nicht lange vor den Nachstellungen ihres Verfolgers sicher seyn kann.

d. König. Das arme, liebe Mädchen! Ich war bereits auf ihre Versorgung bedacht: allein mein Mündel Argyl, mit dem ich sie verheyrathen wollte, hat mir meinen ganzen Anschlag verdorben. Der Schwindelkopf weiß nicht, was er ausschlug.

Jak. Die Vorsehung, Sire, hat selbst Euern väterlichen Anschlag befördert. Lord Argyl liebt Mathilden, ohne sie zu kennen, und um Euch um ihre Hand zu bitten, läßt er Euch um seine Zurückberufung ersuchen.

Verwunderung und Freude wechselten auf Roberts Gesichte, als der Eremit ihm Eduards arkadische Liebesgeschichte erzählte. Es ist ein 200 treflicher Junge, sprach er endlich, und hoffentlich zweifelt Ihr nicht, daß ich seinen Wunsch erfüllen werde. Es ist ein Glück für ihn, daß seine Schäferin nicht das ist, was sie scheinen will, sonst müßte ich mein Ansehen gebrauchen, um ihn von seinem Minnefieber zu heilen. Nach einem kurzen Stillschweigen, fuhr er fort: doch wartet, Vater, es kömmt mir ein Einfall, der ihn zu gleicher Zeit für seinen Eigensinn bestrafen, und seine Standhaftigkeit auf die Probe setzen wird. Ich will seine Verbannung endigen, und sobald er hier eintrift, noch einmal auf seine Heirath mit der jungen Douglas dringen. Er wird auf seiner Weigerung beharren, und seiner Schäferin getreu bleiben wollen, dann . . . . doch die Umstände werden meine weitern Masregeln bestimmen. Zuvörderst muß ich Anstalt machen, daß Mathilde sicher und ohne sein Vorwissen aus ihrer verborgenen Freystätte abgeholt werde. Dieses soll morgen gleich nach meiner Ankunft in Edimburg geschehen.

Jak. Jeder Aufschub, Sire, kann ihr Gefahr bringen. Wenn Ihr mir die Vollmacht dazu ertheilet, so verpflichte ich mich, sie ungekränkt Euer Hoflager zu liefern. Robert sah den Einsiedler mit einem Blicke an, der ihm sagte: Ihr faselt, lieber Alter. Nicht wahr, Sire, fuhr 201 dieser fort, mein Anerbieten kömmt Euch thöricht, oder doch verwegen vor? allein wer an Roberts Seite Schwerdt und Lanze trug, der wird doch wohl noch zum Schildknappen eines Mädchens tauglich seyn.

d. König. (verwundert.) Thatet Ihr das?

Jak. Ihr werdet Euch wohl noch des James Hamilton erinnern, in dessen Armen Mathildens Vater verschied. Bruder Jakob ist dieser Hamilton.

d. König. Ja wahrlich! er ist es, es ist seine Stimme, es sind seine Züge. Robert umarmte ihn, wie man einen alten, wiedergefundnen Freund umarmt, und Hamilton erzählte mit wenigen Worten, daß er, der Welt müde, seit vierzehn Jahren als ein Einsiedler gelebt habe; allein, sezte er hinzu, sobald Hamilton im Harnisch Gott und der Menschheit besser dienen kann, als Hamilton in der Kutte, so hört er auf Bruder Jakob zu sein, und zieht einen Harnisch an, woran es hoffentlich hier nicht fehlen wird.

d. König. Recht so, mein alter Freund; ich sehe wohl, der Kämpe verlernt auch in der Klause sein Handwerk nicht. Meine Gewandkammer und mein Marstall stehen Euch offen. Ich werde Euch zween Knappen und zween Knechte mit Handpferden mitgeben; denn Mathilde wird sich wohl 202 von ihrer Gefährtin nicht trennen wollen. Nur eines noch: ich wünschte Euch vor Euerer Abreise in Euerm neuen Aufzuge zu sehen. Indessen werde ich einen Edelknecht an Eduard abfertigen, der ihn auf einem andern Wege nach Edimburg bringen soll, wo ich morgen wieder eintreffen werde.

Hamilton beurlaubte sich vom Könige, und nach einigen Stunden ließ er sich unter diesem Namen bey ihm anmelden. Robert erwartete ihn in einem abgelegenen Gemache. Er trat ihm mit offenen Armen entgegen: Nun erkenne ich Euch ganz, rief er; der lange Bart verbirgt die schöne Narbe nicht mehr, die Ihr neben mir empfienget. Aber, ehe ich's vergesse, die Eremiten führen keine Börsen: hier ist die meinige. Ich danke Euch, Sire, erwiederte Hamilton, Bruder Jakob hat sich immer einen Nothpfennig zurückbehalten. Seine Einkünfte waren guten Werken gewidmet, und Ihr gebet ihm Gelegenheit zum besten Werke, das er in vierzehn Jahren ausüben konnte. Nun so reist denn glücklich, sprach Robert, und lasset mich sogleich Euere Wiederkunft wissen.

Hamilton verließ die Burg. Die That, die seine Seele beflügelte, und eine geheime Ahnung, die in seinem Herzen klopfte, erlaubten ihm bloß die Ruhe, welche die Erholung der Pferde erforderte. In der zwoten Nacht kam er mit seinem 203 Geleite in der Nachbarschaft des Meyerhofes an. Er ließ die Knechte mit den Handpferden in der Entfernung eines Steinwurfs zurück, und näherte sich, blos von den zween Knappen begleitet, dem verschlossenen Thore. In eben dem Augenblicke ward es sachte geöfnet. Ein Mann, den die dicke Finsterniß nicht zu unterscheiden erlaubte, kam herausgesprungen, und sagte: Es ist gut, Dick, daß Ihr kommet, die Vögelchen liegen im Neste, wir dürfen sie nur herausnehmen: nur sachte, daß die Knechte nicht erwachen! Der Hofhund ist todt. Nun, Gottlob! sprach Hamilton halbleise, aber in einem ganz andern Sinne, als der verkappte Pilger es dachte; komm, halte mir mein Pferd. Kaum hatte der Kerl sich genähert, so sprang der Lord aus dem Sattel, und faßte ihn beym Schopfe. Herbey, Freunde, rief er, packt mir den Gaudieb. Die Knappen sprengten vor, und der erschrockene Bösewicht ward ohne Mühe angehalten, und gebunden. Verwahrt mir ihn, bis ich wiederkomme, sprach Hamilton, ich binde ihn auf Euere Seele.

Nun gieng er mit entblößtem Schwerdt in das Haus. Das Geräusch, das er mit Vorsatze machte, erwekte die schnarchende Gertrud. Wer ist da? rief sie, indem sie aus dem Schlafe auffuhr. – Bruder Jakob. Geschwind, gutes Weib, steht 204 auf und schlagt ein Licht. Ey, um Gotteswillen, ehrwürdiger Vater, woher so spät? rief Gertrud, indem sie aus dem Bette aufsprang. Das sollt Ihr alles erfahren, und noch weit mehr, als das; machet nur fort. Frau Gertrud brauchte gerade noch so viel Zeit, als wenn sie nicht geeilt hätte, um in ihre Kleider zu kriechen, und eine Lampe anzuzünden. Endlich kam sie damit in die Stube getaumelt. Heilige Mutter Gottes! schrie sie, als sie den geharnischten Mann erblikte, Hülfe, Hülfe! Sie ließ die Lampe auf die Erde fallen, und sank selber halbohnmächtig auf die Bank.

Jezt fiel es dem Lord erst ein, daß sein veränderter Aufzug diesen Irrthum veranlassen mußte. Er gieng auf sie zu, und schüttelte sie beym Arme; erschrecket nicht, liebes Weib, Ihr sollt gleich hören, warum Bruder Jakob als Ritter vor Euch erscheint. Wo ist Mathilde? – Ey! dort in der Nebenkammer; ach Gott! was ist das? o, vergebt mir, ehrwürdiger Vater, ich dachte, es wäre ein Dieb.

Hamilton. Ein Dieb? o, der war vor mir in Euerm Hause, und zwar kein alltäglicher Dieb; Ihr sollt ihn gleich sehen.

Gertrud zitterte und bebte, und bis sie unter einem Schock Stoßgebetchen und Ausrufungen ihre Lampe wieder zum Brennen brachte, hatten 205 Mathilde und Brigitte, die das Geschrey der Meyerin aus dem Schlafe gewekt, alle Zeit, sich nothdürftig anzukleiden.

Ungeachtet sie Bruder Jakobs Stimme erkannten und seine Ankunft mit Schmerzen erwarteten, fuhren sie dennoch zurück, als sie ihn in Panzer und Sturmhaube erblikten. Er gieng Mathilden entgegen und faßte sie bey der Hand. Ich komme, meine Tochter, im Namen des Königs, um Euch nach Edimburg zu geleiten, wo seine Gemahlin Euch erwartet. Mathilde stürzte sich dem Lord in die Arme; Brigitte klatschte in die Hände und weinte vor Freuden, und Gertrud stellte das leibhafte Conterfey von Loths Weibe dar. Heilige Maria! sprach sie endlich, was muß ich erleben! Mein Bäschen Mathilde soll zur Königin? Ey nun! rief Hamilton lachend, Ihr sollet wohl noch andere Wunder erleben: allein wecket uns vor allen Dingen Euere Knechte, damit sie unsere Pferde versorgen; es ist Zeit, daß ich meine Leute hereinrufe.

Er verließ Mathilden am Busen ihrer Freundin, und nach einigen Minuten zog das ganze Gefolge auf dem Hofe ein. Der Vorwiz lokte die beyden Mädchen aus der Stube; er machte aber bald dem Entsetzen Plaz, als sie den Muschelbruder mit gebundenen Händen und gesenktem 206 Kopfe zwischen den beyden Knechten einhersteigen sahen. Mistriß Gertrud schlug ein Kreuz über das andere, als Hamilton ihr sagte, daß dieses der Dieb sey, der sich bey ihr eingeschlichen habe. Der Bösewicht, sezte er hinzu, soll seiner Strafe nicht entgehen.

Nun erst bekam der Gefangene seine Sprache wieder; er flehte um Barmherzigkeit und bat sich vom Ritter ein geheimes Verhör aus. Ich weiß schon, was du mir sagen willst, erwiederte dieser, man sperre ihn in die Scheune und binde ihm auch die Füsse. Die Knechte mögen ihn wechselsweise bewachen. Der Kerl beharrte auf seiner Bitte, und Hamilton folgte ihm in die Scheune. Du kömmst von Woodhill, nicht wahr? sagte er zu dem Gefangenen: du siehst, daß mir Euer Bubenstück und sein Urheber bekannt ist. Ich will nichts läugnen, antwortete der falsche Pilger, drey Mann zu Pferde sollten um Mitternacht hier eintreffen, um die Lady Douglas mit ihrer Gespielin zu entführen. Ich wurde vorangeschikt, um das Haus auszuspähen und ihnen das Thor zu öffnen. Sie mögen immer kommen, sagte Hamilton, indem er ihn verließ, ich bin Dein Richter nicht, Graf Argyl ist es, auf dessen Boden Du betreten wurdest: zuvor aber must Du eine kleine Reise mit uns machen. Der Bericht der Knechte bestätigte 207 die Aussage des Gefangenen. Während der Lord allein auf dem Hofe war, hatten sich würklich einige Reuter genähert, sobald sie aber von seinem Gefolge angerufen wurden, mit größter Schnelligkeit die Flucht ergriffen.

Mathilde und Brigitte beschäftigten sich mit der Meyerin um die Wette, den Reisenden einige Erfrischungen vorzusetzen, und mittlerweile diese sie einnahmen, pakten die Mädchen ihr Geräthe zusammen, weil Hamilton mit seinen Gefährten nur etliche Stunden ausruhen, und beym Anbruche des Tages abreisen wollte. In der That schimmerte das Morgenroth nur erst in blassen Streifen hinter den waldigen Hügeln hervor, als der Zug sich auf den Weg machte. Die Meyerin weinte beym Abschied ihrer lieben Baasen, und Hamilton mußte die geistliche Gewalt des Bruder Jakobs zu Hülfe rufen, um sie zu bewegen, die Goldstücke anzunehmen, die er ihr in die Hände legte. Wir kommen wieder, Frau Gertrud, sagte Mathilde, indem sie auf ihren Zelter stieg, wir kommen gewiß noch einmal wieder. Indessen bewahret mir meinen Hirtenstab und meinen Strohhut, ich werde sie nie dahinten lassen.

Um die Reise zu beschleunigen, wurde der Muschelbruder in seinem vollen Ornat auf eines von den Pferden festgebunden, welche Mathilden 208 bey ihrer Flucht gedient hatten. Die beyden Knechte nahmen ihn zwischen sich und schlossen den Zug, den Hamilton an der Seite seiner Pflegetochter eröffnete. Sie legten schon am ersten Tage die Hälfte ihres Weges zurück. Mathilde fühlte keine Ermüdung; Liebe und Freude verklärten ihr Gesicht, und die Hoffnung stärkte ihre Glieder. Auch Brigitte, welche einige Tage her wegen des Ausbleibens ihres Arthurs in Sorgen war, wurde von ihrer tröstenden Allkraft neu belebt und blänkerte neben dem Knappen her, der ihr zum Stallmeister diente; sie wußte nicht wie nahe ihr Geliebter ihr war, und daß eben der Tag, der sie von Greendal entfernte, ihn in ihre Arme geführt haben würde.

Erst gegen Abend erlaubte ihm sein allzusorgsamer Aeskulap, die kleine Reise nach dem Meyerhofe zu unternehmen, und er würde alles, was Gertrud ihm bey seiner Ankunft erzählte, für ein Mährchen oder für einen Traum gehalten haben, wenn nicht die Abwesenheit seines Mädchens und ihrer Gebieterin ihn von der Wahrheit überzeugt hätten. Sein Entschluß war bald gefaßt; er sezte sich des folgenden Morgens auf das noch übrige Pferd, welches gerade der Klepper seiner Brigitte war. Durch diese glückliche Vorbedeutung aufgemuntert, schlug er, so schnell er konnte, den Weg 209 nach Edimburg ein, wo er das Ziel aller seiner Sorgen zu finden hoffte.

Eduard langte einen Tag früher als Hamilton und sein Gefolge in der Residenz an. Robert empfieng ihn mit einer ernsten Miene. Ich hatte Unrecht, sprach er, Dich auf Deine Güter zu schicken; ich hätte bedenken sollen, daß der Schwindler, der eine liebenswürdige, reiche Erbin ausschlug, noch größerer Thorheiten fähig ist. Ich habe durch Deinen seltsamen Gesandten Deine noch seltsamere Liebschaft erfahren, und hoffe, Du werdest es mir einst, wenn Dir die Augen aufgehen, verdanken, daß ich für nöthig erachtete, dem Abenteuer ein geschwindes Ende zu machen. Eduard stand sprachlos, mehr erstaunt als erschrocken, vor dem Könige. Endlich sprach er mit einem tiefen Seufzer: also hat Bruder Jakob mich hintergangen?

Rob. Keinesweges, er mußte in seinem Namen schreiben, daß Du Dir von meiner Güte alles versprechen kannst. Dieses wiederhole ich Dir, wenn Du nur nicht Dein Glück mit Füßen treten willst.

Ed. Es giebt für mich nur Ein Glück in der Welt. Ach! Sire, wenn Ihr es kenntet, das edle Mädchen; selbst am Hofe hat es . . . .

Rob. Seinesgleichen nicht, willst Du sagen, ich muß Dir diese Unhöflichkeit ersparen. Ey nun, 210 Deine Schäferin mag einzig in ihrer Art seyn, und ich lobe Dich darum, daß Du rechtschaffen genug warest, ihre Unschuld zu ehren; allein wenn Du die junge Douglas gesehen hättest, die ich Dir bestimmte, so würdest Du gewiß ihre Hand nicht verschmäht haben.

Ed. Ihr könnet über meine Freiheit und über mein Leben gebieten, Sire, aber mein Herz ist nicht mehr mein.

Rob. Gut, gut, ich kenne diese Sprache, und schäme mich für Dich, daß Du meine väterliche Fürsorge mit Undank erwiederst.

Eduard warf sich dem Könige zu Füssen. Ach Sire, nie soll der Undank mein Herz beflecken, aber auch der Meineid nicht. Ich habe meiner Mathilde eine ewige Treue geschworen . . .

Rob. Ich bin müde, Deine Schwärmereyen anzuhören. In wenig Tagen erwarte ich die junge Lady Douglas an meinem Hofe. Du bist nicht werth, der Ihrige zu werden, und ich kann Dich nicht härter bestrafen, als wenn ich Dir den Schatz zeige, dessen Du Dich durch Deinen Starrsinn beraubt hast; bis dahin sey meine Burg Dein Gefängniß. Verlaß Dein Zimmer nicht, und bedenke wohl, daß von Deinem Gehorsam die Maasregeln abhängen, die ich in Ansehung Deines Hirtenmädchens ergreifen werde.

211 Ein Wink des Königes gebot ihm, sich zu entfernen. Er verschloß sich in das Gemach, das er seit dem Tode seines Vaters inne hatte, und überließ sich den traurigsten Betrachtungen. Robert betrügt sich, sagte er, indem er sich auf sein Bette warf, wenn er sich einbildet, daß ich jemals den Verlust seiner Lady Douglas bereuen werde. Nein, himmlische Mathilde, kein Leiden, kein Opfer wird für mich zu groß seyn, wenn ich nur Dich erhalte, und keine Königsmacht wird mich zwingen, Dir zu entsagen.

Indem Eduard in melancholischer Einsamkeit seine Stunden verseufzte, näherte sich Hamilton mit seinem Gefolge der Stadt Edimburg. Schon umschleyerten die Schatten der Nacht den Scheitel ihrer Thürme, als er eine vor dem Thor liegende Herberge erreichte. Er sandte einen seiner Knappen voran, um dem Könige seine Ankunft zu melden. Er brachte den Befehl zurück, mit Mathilden und ihrer Begleiterin allein auf der Burg einzureiten, und sie in die Gemächer der Königin zu führen, wo Robert sie erwarten wolle. Hamilton folgte diesem Befehl, nachdem er zur Verwahrung des Gefangenen die nöthige Anstalt getroffen hatte.

Der König empfieng Mathilden mit einer Güte, die ihr im ersten Augenblicke alle Furcht 212 benahm, im Vorgemache seiner Gemahlin, welche das gerührte Mädchen mit der Zärtlichkeit einer Mutter umarmte. Sie stellte sie ihren Hoffräulein als eine neue Gespielin vor, und ließ sie nach einer kurzen Unterredung auf ihr Zimmer führen, wo Brigitte sie bereits erwartete. Robert begab sich mit dem Lord in sein Cabinet, um mit ihm die Scene des folgenden Tages zu verabreden, und ihm seine Befehle an Eduard aufzutragen.

Dieser lag in Schwermuth versenkt auf seinem Bette, als man ihm gegen Mittag einen Besuch des Lords Hamilton ankündigte. Der Lord wird sich irren, sprach der Jüngling zum Bedienten, ich kenne ihn nicht. Ja wohl kennet Ihr ihn, rief dieser, indem er zur Thüre hereintrat. Eduard erkannte die Stimme des Bruder Jakobs; er sprang von seinem Lager auf, und fuhr im gleichen Momente wieder zurück, als er die fremde Gestalt erblickte. Ihr betrügt Euch nicht, sprach der verwandelte Siedler, indem er die Arme nach ihm ausstrekte: Hamilton und Bruder Jakob sind eins. Ists möglich? versezte der Jüngling, der seine Umarmung mehr duldete, als erwiederte, welch ein Räthsel? wofür soll ich Euch halten?

Ham. Für Euern Freund. Nicht Menschenhaß, sondern Haß meiner selbst, trieb mich in die Einöde, und die Liebe zu den Menschen führet 213 mich in die Welt zurück. Wenn mein geheimes Geschäfte zu Ende ist, so werdet Ihr alles erfahren; bis dahin muß ich schweigen.

Ed. Ich wünsche, daß es Euch besser gelingen möge, als das meinige. Weiß der König wer Ihr seyd?

Ham. Allerdings weiß er's. Er ists, der mich zu Euch sendet, um Euch zu sagen, daß Ihr Euch diesen Abend in dem Zimmer der Königin einfinden sollt; ich werde Euch ahholen.

Ed. Wisset Ihr seine Absicht?

Ham. So viel ich weiß, will er Euch mit der jungen Lady Douglas bekannt machen.

Eduard. (entrüstet.) Und Ihr konntet diesen Auftrag annehmen? Ich sehe wohl, ich bin verrathen; allein, wenn ich wieder frey bin, so wird Lord Hamilton mir für die Aufführung des Bruder Jakobs Rede stehen. Sagt indessen dem Könige, daß ich seinem Befehl gehorchen werde, mir aber einen andern Begleiter ausbitte. Hier kehrte er dem Alten den Rücken zu.

Ham. Du bist sehr trotzig, junger Mann, allein statt Genugthuung von mir zu fordern, wirst Du diesen Abend noch in meinen Armen, wenn ich sie Dur nicht verschliesse, um Vergebung flehen. Lebe wohl. Hamilton verschwand, und überließ den aufbrausenden Eduard seinem Zorne. Nach 214 und nach verlohr sich das Gewitter in einem Monolog, darin er seiner Mathilde angelobte, eher auf ewig die Augen zu schliessen, als der verhaßten Douglas einen einzigen Blick der Zärtlichkeit zuzuwerfen. Der Lord war auf dem Wege, um dem Könige von seiner Gesandtschaft Bericht abzustatten, als ihm Arthur aufstieß, der in der Nacht angelangt war, und nach dem Grafen Argyl fragte. Ob er gleich die Metamorphose des Bruder Jakobs zu Greendal erfahren hatte, so wollte er doch kaum seinen Sinnen trauen, als dieser ihn anredete. Auf das erste Erstaunen folgten ein paar schüchterne Fragen nach Mathilden und Brigitten, die der Ritter mit der Freundlichkeit des Einsiedlers beantworten mußte, um bey dem jungen Manne die Ehrerbietung zu mäßigen, die er ihm schuldig zu seyn glaubte. Hamilton erkundigte sich nach der Ursache seiner Reise, und sein Bericht ergänzte ihm die Geschichte seines Gefangenen. Wir werden Euch brauchen, sagte zulezt Hamilton zu ihm: bleibet diesen ganzen Abend in Euerer Herberge; den Grafen Argyl könnet Ihr ohnehin heute nicht sprechen, er ist zum Könige beschieden. Ich errathe die Ursache, erwiederte Arthur, und erzählte ihm lauter Dinge, die jener früher und besser, als er, wußte. Morgen, sagte der Lord, werdet Ihr 215 mehr erfahren; stillet indessen Euere Ungedult mit dem Gedanken: daß Eduard und Mathilde nicht glücklich werden können, ohne Arthurn und Brigitten glücklich zu machen.

Hamilton stattete dem König von seinem Auftrage Bericht ab. Da der Starrkopf, erwiederte Robert, sich auch mit Euch abgeworfen hat, so sollet Ihr sein Begleiter nicht seyn, sondern ihn bey meiner Gemahlin erwarten. Ich komme würklich von ihr, sie ist beynahe so sehr als Eduard in Mathilden verliebt; ihr Schmuck und der Anzug, den sie ihr diesen Morgen zusandte, hat die Reize des holden Geschöpfes noch erhöhet. Beynahe würde ich ihrem Oheim seine Thorheit vergeben, wenn sie ihn nicht zu einem Verbrechen verleitet hätte. Doch dieses Verbrechen soll mir zum Mittel dienen, ihn zum Stillschweigen zu bringen, falls er seine vormundschaftlichen Rechte gegen seinen Nebenbuhler behaupten wollte. Hamilton nahm hievon Anlaß, der an Arthur verübten Gewaltthätigkeit zu erwähnen, und bekam den Auftrag, ihn in Beyseyn des Gefangenen abzuhören, und beyder Aussagen beurkunden zu lassen.

Robert hatte von seiner neuen Mündel nicht zu viel gesagt; nie war Mathilde schöner, als an diesem Tage. So erschien die rosenbekränzte 216 Hebe im Kreise der Götter, als Vater Jupiter sie dem vergötterten Alcid in die Arme führte. Mathilde hatte nach der damaligen Sitte ihre seidenen Locken mit einer Blumenkette von Edelgesteinen durchflochten, die eine Verlassenschaft ihrer Mutter war, und bey der Flucht von Woodhill nicht vergessen wurde. Ein langes himmelblaues Gewand wallte von ihren schlanken Lenden, die ein mit Silber durchwürkter Gürtel umzingelte. So zeigte sie sich an der Königstafel. Alle Ritter hefteten einen staunenden Blick auf die Feentochter; und ihre neuen Gespielinnen, deren Eifersucht ihre holdselige Bescheidenheit bereits entwafnet hatte, buhlten um ihre Freundschaft.

Nach Tische mußte sie dem Könige in das Zimmer seiner Gemahlin folgen. Er lenkte die Unterredung auf die Geschichte ihrer Flucht, welche sie mit einer Schonung erzählte, die den König und die Königin bezauberte. Sie vergas nicht des Beystandes zu erwähnen, den Brigitte und Arthur ihr geleistet, und der Gefahr der sie sich, ihr zu Liebe, ausgesetzt hatten. Seyd nur ruhig, sagte Robert, weder Ihr noch sie habt die Rache Dunbars zu fürchten, der wohl nächstens in den Fall kommen dürfte, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Betrachtet mich von nun an als Euern Pflegvater, bis ich Euch dem Schutze eines 217 Gemahls abtreten kann, der Eurer Hand würdig ist. Ich habe einen Mündel . . . . . . Mathilde erblaßte. Erschrecket nicht, fuhr der König lächelnd fort, ich werde Eurem Herzen nie Gewalt anthun, allein, wenn Ihr den jungen Grafen Argyl kennet, so werdet Ihr meine Wahl billigen. Ich kenne ihn nicht, Sire, erwiederte Mathilde mit bebender Stimme. Ihr sollt ihn diesen Abend noch sehen, sprach Robert, und um das arme Mädchen nicht länger zu ängstigen, sezte er hinzu: doch wie gesagt, so lieb mir auch mein Mündel ist, so soll er doch nie wider Euern Willen Euer Gemahl werden. Ich gebe Euch meine Hand darauf. Mathilde bückte sich vor, um sie zu küssen; er zog sie zurück, und eine warme Thräne des gerührten Mädchens fiel auf die Rechte des Helden. Die Königin lenkte die Unterredung auf allerhand gleichgültige Gegenstände, und Mathilde fieng an einen zwanglosen Antheil daran zu nehmen, als Hamilton in das Zimmer trat.

Der Anblik ihres Begleiters, der zugleich ihr Vertrauter war, gab ihr ihre völlige Heiterkeit wieder. Die Verwandlung des Klausners in einen Ritter, führte das Gespräch auf seine Erscheinung zu Greendal. Er erzählte der Königin seinen Auftritt mit der Meyerin, die ihn für einen Banditen hielt, indeß sie einen würklichen 218 Banditen beherbergte. So wahr ists, sagte der König, daß die Kutte den Mönch nicht macht. Noch der Schäferstab die Hirtin, sezte die Königin hinzu, indem sie Mathilden einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Sie that alles, was sie konnte, um ihre Verwirrung zu verbergen, die aber in der folgenden Minute aufs höchste stieg, als der Kämmerer, welcher den Auftrag hatte Eduarden zu rufen, ins Zimmer trat, und dem Könige den Grafen Argyl ankündigte. Laßt ihn hereinkommen, sprach Robert.

Indem trat Eduard in ritterlicher Hoftracht herein. Er schlug die Augen nieder, und sah nur den König. Dieser ergriff ihn liebreich bey der Hand, und indem er das Gesicht gegen Mathilden wandte: Hier, meine Tochter, sprach er, und wollte weiter reden, als Mathilde, die sich aufgerichtet hatte, mit einem erstikten Schrey auf ihren Stuhl zurücksank. Ists möglich? Mathilde! rief Eduard, der, ohne auf den König und die Königin zu achten, herbeysprang. Ja, sprach Robert, Mathilde Douglas, deren Hand Du mir gestern noch zurükschlugst. Werdet Ihr ihm vergeben, Gräfin, sagte er zu Mathilden, die zwar nicht ohnmächtig aber sprachlos da sas, und zu träumen wähnte? Sie hat ihm nichts zu vergeben, erwiederte die Königin, denn noch vor 219 einer Stunde hörte sie eben so ungern vom Grafen Argyl sprechen, als Graf Argyl von der Lady Douglas. Nun, nun, Kinder, sagte Robert, indem er ihre Hände in einander legte, Ihr habt, ohne es zu wissen, meine Absichten befördert. Ich billige Euere Liebe, und hoffe sie zu krönen. Eduard und Mathilde wollten sich dem Könige zu Fusse werfen. Er faßte sie in seine Arme. Gott segne Euch, Sohn und Tochter meiner zween trautesten Freunde! Die Königin umarmte sie ebenfalls mit den Worten: Roberts Freunde waren stets meine Freunde; ihre Kinder gehören ihm nicht allein zu.

Während dieser ganzen Szene stand Hamilton stumm und unbeweglich in ein Meer von Empfindungen versenkt. Endlich war er seiner nicht mehr mächtig: ein Strom von Thränen entstürzte seinen Augen. Der König bemerkte es und sagte zu Eduard: Hier ist einer, der mir den Vatertitel bey Dir und Deiner Braut streitig macht. Er war der Fürsprecher deiner Liebe, der Schutzengel Mathildens. Gott! rief Eduard, indem er sich ihm in die Arme warf, und ich konnte ihn so grausam beleidigen! Vergebt, vergebt mir, mein Vater!

Ham. Sagte ich Dirs nicht diesen Morgen, daß Du bald anders von mir urtheilen würdest? Nun weist Du mein Geheimniß, mein Sohn, und 220 was Du nicht weist, wie nemlich Lady Douglas, Mathilde Harold wurde, das wird sie selbst Dir erzählen.

Nun ja, sagte Robert, sie werden sich allerhand zu erzählen haben, und das wird wohl am besten auf Mathildens Zimmer geschehen können, indeß ich mit Hamilton die Mittel ergreife, ihren Vormund zur Einwilligung in ihre Heirath zu bewegen.

Die Szenen der grenzenlosen Freude können wie die Szenen des grenzenlosen Schmerzes nicht treuer dargestellt werden, als wenn der Mahler im Angesichte des Zuschauers entweder seinen Pinsel wegwirft, oder, nach dem Beyspiel des Timanthes, das Unvermögen desselben hinter einem Schleyer verbirgt. Die Wonne des Wiedersehens zweyer getrennten Liebenden, und die noch grössere Wonne der Gewißheit, daß sie nicht mehr getrennt werden sollen, gehört in jene Classe der Situationen, welche höchstens den innigen Vertrauten der Musen gelingen, und sich noch weit weniger durch Worte als durch Farben schildern lassen. Indeß Eduard und Mathilde sich ihren Entzückungen hingaben, und nur die verbrüderten Engel der Liebe und der Freundschaft zu Zeugen hatten, war Hamilton beschäftigt, einen reitenden Boten mit einem Briefe des Königs nach Woodhill abzufertigen, dem die Aussage Arthurs und das 221 Verhör des Gefangenen beygelegt waren. Aus dieser erhellte, daß Dunbar der Anstifter der gegen Mathilden und ihren Befreyer versuchten Gewaltthätigkeiten war, welche die Ermordung dieses letztern ohne Eduards Dazwischenkunft nach sich gezogen hätten. Wollet Ihr, Mylord, so schloß der König, mir das Mißvergnügen ersparen, diesen Vorfall der Ahndung der Gesetze zu übergeben, so sendet mir Euere schriftliche Einwilligung in die Heyrath Euerer Nichte, Mathilde Douglas, mit meinem Mündel, dem Grafen Eduard Argyl, gegen dessen Sitten, Stand und Vermögen Ihr nichts einwenden könnet. Er liebt Mathilden und sie liebet ihn. In jedem Falle aber wird Lady Douglas als Pflegtochter meiner Gemahlin, des Schutzes geniessen, den ich der verfolgten Unschuld und dem Andenken ihrer Eltern schuldig bin.

Mathilde saß mit strahlendem Gesichte zwischen Brigitten und ihrem Geliebten, dem sie die Geschichte ihrer Verwandlung in ein Hirtenmädchen zu erzählen anfieng, als Hamilton von Arthurn begleitet, in ihr Zimmer trat. Nun erneuerte sich die Szene des Jubels, aus deren Taumel die beyden Freundinnen und der schwärmende Eduard sich kaum erholt hatten. Brigitte empfand in den Armen ihres Geliebten und dieser in ihren Armen alle Seligkeiten der süssesten Ueberraschung; denn Eduard hatte noch nicht Zeit gehabt, Brigitten ein Wort von ihrem Bräutigam zu sagen, und Bruder Jacob hatte mit Vorsaz vermieden, weder sie noch Mathilden von 222 seiner Ankunft zu benachrichtigen. Er wollte mit ihnen den Nektarkelch der Freude tropfenweis ausschlürfen. Ich werde es nie vergessen, lieber Arthur, sprach Eduard zu ihm, daß Ihr einst Mathildens Bruder waret, und in dem gefährlichsten Zeitpunkt ihres Lebens als ein Bruder für sie gesorgt habt. Nur das Grabmal soll uns trennen und mein Vermögen . . . . . Mit Erlaubniß, unterbrach ihn Mathilde; die Ausstattung meiner Geschwister ist meine Sache. Zanket euch nicht, Kinder, sprach Hamilton, wenn Ihr einmal ein Paar seyd, so wird sich Euer schöner Streit von selbst beylegen. Dazu aber wird noch die Antwort von Woodhill erfordert, die hoffentlich nicht lange ausbleiben wird. Was für eine Antwort? rief Eduard hastig. Sachte, junger Mann, versetzte der Lord, Euer guter Freund Dunbar hat auch ein Wort zu Eurer Heyrath zu sprechen. Erschrecket nicht, liebe Mathilde, das Wort muß und wird ein Jawort seyn.

Nun unterrichtete er sie von den getroffenen Maasregeln, und izt erst erfuhr Brigitte die Gefahr, die ihr Geliebter ausgestanden, und die Hülfe, die Eduards Tapferkeit ihm geleistet hatte. Hastig sprang das gefühlvolle Mädchen vom Stuhl auf, um die Kniee seines Retters zu umfassen. Eduard und Mathilde warfen sich ihr entgegen, und schlossen sie und ihren Geliebten in ihre Arme. Wir haben unsere Mitgift empfangen, riefen beyde schluchzend, indem sie dem edlen Paare den Kuß zurückgaben, womit es den Bund ewiger Freundschaft versiegelte, die es ihnen gelobte.

223 Der Zeitraum, der bis zur Rückkunft des Staatsboten verfloß, war für die glükliche Gruppe ein ununterbrochenes Fest, das ihr eben so kurz vorkam, als es dem, der es beschreiben, und dem, der die Beschreibung lesen müßte, langweilig vorkommen würde. Im Elysium der Liebe ist jedes Gräschen eine Rose, jedes Wort ein Conzert, und jede Wiederholung ein neuer Genuß. In Woodhill hingegen herrschte nichts als Angst und Bestürzung. Die königliche Botschaft kam dem Grafen Dunbar nicht ganz unerwartet. Er hatte durch seine entflohenen Trabanten den mißlungenen Anschlag gegen Arthurn und die Gefangennehmung des falschen Pilgers erfahren, und zweifelte nicht, daß die Reuter, denen dieser zu Greendal in die Hände fiel, von irgend einem mächtigen Beschützer Mathildens abgeschickt worden. Wer aber dieser Beschützer sey? konnte er nicht errathen. Der Staatsbote riß ihn aus dieser Ungewißheit. Er eröfnete seine Briefschaften mit zitternden Händen. Geiz, Eifersucht und der Dämon der getäuschten Rache tobten in seinem Busen; allein seine Wuth wurde bald durch die Furcht vor der Ahndung erstickt, welche der Schluß des königlichen Handschreibens ihm ankündigte.

Malcolm war von Natur feige, und die Enthüllung seines Verbrechens brachte ihn vollends zur Verzweiflung. Sobald er eine Feder halten konnte, schrieb er die verlangte Einwilligung in Mathildens Heyrath, und kam nicht eher zu sich selber, als bis sein furchtbarer Gast zum Burgthore hinaus sprengte. Seine Lebensgeister waren 224 zu stark erschüttert, als daß seine Gesundheit nicht unter dem Stoße hätte erliegen sollen; er verfiel in ein hitziges Fieber, in welchem seine Phantasie an Mathilden und an seinem Nebenbuhler die Rache ausübte, welche die Macht ihres Beschützers ihm versagte. Nach einigen Wochen genas er, und sein lasterhaftes Herz fand im Glücke der von ihm verfolgten Tugend eine weit empfindlichere Strafe als das Schwerdt des Gesetzes ihm hätte zuziehen können.

Nun stand der Verbindung der beyden Verlobten kein Hinderniß mehr im Wege. Robert wollte sich selbst das Vergnügen machen, ihnen Dunbars Antwort mitzutheilen, und die gerührte, wohlwollende Mathilde benutzte diese Gelegenheit, um die Gnade des Gefangenen von ihm zu erbitten. Das königliche Paar vertrat die Stelle der Eltern bey dem Feste ihres Bundes, das mit der bescheidenen Pracht, die an Roberts Hofe herrschte, und zugleich von den Vermählten mit jener heiligen Freude gefeyert ward, der nur unbefleckte Seelen fähig sind, welche Venus Uranie in ihre Mysterien einweihet. Am folgenden Tage wurden auch Arthur und Brigitte mit einander vereinigt und von dem edelmüthigen Brautpaare so reichlich ausgestattet, daß es Mühe brauchte, sie zur Annahme so vieler Wohlthaten zu bewegen. Auch Hamilton machte ihnen ansehnliche Geschenke, nicht sowohl, wie er sagte, um ihre Treue gegen Mathilden zu belohnen, als um ihnen die mannichfaltige Freude zu vergelten, die er ihnen zu danken hatte. Ihr habt, sprach er, 225 die Tochter der Göttlichen, durch die ich die Tugend und die Ruhe wieder fand, in meine Nachbarschaft geleitet; nicht nur für ihren Gatten, sondern auch für mich wird Greendal hinfort eine heilige Stätte seyn. Wohin wir nächstens wallfahrten wollen, unterbrach ihn Eduard. Und wohin, setzte jener hinzu, Bruder Jakob Euch begleiten wird.

Die Wallfahrt gieng würklich nach einigen Tagen vor sich. Graf Argyl führte seine junge Gemahlin auf seine Herrschaft, wo alle Herzen ihr huldigten. Die Gesellschaft folgte ihm auf das Jagdschloß, welches er, wegen der angenehmen Erinnerungen, die es in ihm erweckte, selbst der prächtigen Burg seiner Ahnen vorzog. Aus Furcht, das Gerücht möchte die Nachricht von seiner Vermählung der Mistriß Gertrud vor seiner Ankunft zu Ohren bringen, wurde die Reise nach Greendal schon am folgenden Morgen vorgenommen. Sobald man das Thal erreicht hatte, stieg man ab, ließ die Pferde zurück und Eduard und Mathilde besuchten, von ihren Gefährten begleitet, den ihnen so heiligen Blumenplatz, den Eduard die Geburtsstätte seiner Glückseligkeit nannte. Er wurde mit mehr als einer Thräne befeuchtet, und jede derselben ward im Himmel ein reineres Opfer als das Blut des Lammes oder der Turteltaube. Baby, die nicht weit davon die Heerde hütete, hatte die Gesellschaft kaum erblikt, als sie nach Hause lief und ihre Mutter davon benachrichtigte. Frau Gertrud wollte ihre Gäste in einem geziemenden Aufzug empfangen, und 226 dieses war Ursache, daß sie ihnen nicht weiter als bis vor das Hofthor entgegen kommen konnte. Ich habe Euch bey meinem Abschiede einen Besuch versprochen, sagte Mathilde, indem sie ihr freundlich die Hand drückte, und nun seht Ihr, daß ich Wort halte. Gertrud staunte sie mit froher Bestürzung an. Alle Welt! Bäschen, rief sie endlich, Ihr seht ja wie eine Lady aus; hat Euch die Königin so ausgeschmückt? Nein, erwiederte Mathilde, das that mein Eduard, dessen Gattin ich bin.

Gert. (Seine Gattin?) Ists möglich! nun, nun, es spukte mir wohl so etwas vor. Ey, ey, mein Bäschen, Euere Gattin, Sir?

Ed. Ja, gutes Weib, meine Gattin.

Ham. Das heißt: die Gemahlin des Grafen Argyl, Euers gnädigen Herrn.

Ed. Den Ihr gesegnet, und auf dessen Gesundheit Ihr getrunken habt. Ihr seht, daß ich Euern Auftrag bey ihm ausgerichtet habe.

Heiliger Gott! rief Fr. Gertrud auf den Knieen. Ach, Mylord, Bäschen, liebes Bäschen, rede für mich. Ach! ich wußte es nicht . . . . .

Ham. Freylich wußtet Ihr's nicht, gute Frau. Es gibt noch mehr Dinge, die Ihr nicht wußtet; z. B. daß Euer vermeintes Bäschen die junge Lady Douglas war.

Mathilde mußte sie mit ihren Armen auffangen, sonst wäre sie zum zweytenmal auf die Kniee gefallen. Sie schwebte aber lange in einer Verzückung, aus der sie nichts wecken konnte, als die Bedienten des Grafen, die ihn mit allem, was zu einem ländlichen Hochzeitmahle gehört, in einiger 227 Entfernung gefolgt waren. Nun fiel ihr ein, daß sie die Hausehre retten müßte, und mit diesem Gedanken kehrten alle Kräfte ihre Seele und ihres Leibes zurück. Von Brigitten unterstüzt, bereitete sie, nach dem Wunsche Mathildens, die Tafel im Baumgarten unter dem saphirnen Dom des Himmels, und verlohr erst alsdann ihre Fassung wieder, als Eduard und Mathilde sie und Baby neben sich zu Tische setzten.

Nach der Mahlzeit, mit welcher das Panket in Roberts königlicher Halle in keine Vergleichung kam, sagte der Graf zu ihr: der Meyerhof, den Ihr bisher als ein Pachtgut besessen, ist von heute an Euer Eigenthum. Wir legen Euch keine andere Lehnspflicht auf, als über das Blumenbeet zu wachen, das meine Mathilde auf dem Pläzchen, da wir uns zum erstenmale begegneten, anlegen will. Gertrud konnte nichts antworten: sie weinte, sie hob die Hände gen Himmel, und wollte bald Eduards Hand, bald seinen Koller küssen. Gebt Euch zufrieden, liebe Gertrud, sagte er endlich zu ihr, ich habe Euch ja versprochen, daß ich mich bemühen wolle, in meines Vaters Fußstapfen zu treten.

Während dieser Scene hatte sich Hamilton entfernt, jedermann fragte nach ihm, und Arthur stand würklich auf, um ihn zu suchen, als man ihn im völligen Gewande des Bruder Jakobs heranwandeln sah. Mein Geschäfte in der Welt ist geendigt, sprach er, und, Dank seys der Vorsicht! glücklich geendigt. Bruder Jakob kehrt nun auf immer in seine Klause zurück, aber nicht, um sich auf immer von Euch zu trennen. Jedes Jahr, 228 meine Kinder, wollen wir diesen Tag hier mit einander feyern, wie ich ehedem den Todestag meiner himmlischen Freundin feyerte. Lebe ich nicht mehr, so werdet Ihr ihn feyern, und sodann einige Blumen aus Mathildens Gärtchen auf mein Grab streuen, das ich mir unter dem Apfelbaume bey der Rasenbank, wo ich ihr meine Geschichte erzählte, ausersehen habe. Indessen, mein Sohn, empfanget hier meinen lezten Willen, und gelobet mir, ihn zu vollziehen. Eduard reichte ihm seine Rechte, indem seine Linke ihm das aufgerollte Pergament abnahm. Es war eine Verschreibung, wodurch er Mathilden zur Erbin aller seiner Güter erklärte, mit Vorbehalt eines einzigen, welches er zu einem Armenhause für Wittwen und Waisen bestimmte, wovon Lady Argyl die Vorsteherin seyn sollte. Bruder Jakob ließ dem gerührten Paare nicht Zeit, ihm seinen Dank auszudrücken. Meine Stunde hat geschlagen, sprach er, indem er sich ihren kindlichen Umarmungen entzog. Künftiges Jahr, meine Kinder, besuchet mich in meiner Zelle, da werde ich vor Euerer Mutter Bilde das Band Euerer Liebe zum zweyten Male weyhen. Sein Blick war so hehr, sein Wink so ehrfurchtgebietend, daß niemand es wagte, ihn aufzuhalten, oder ihm nachzugehen: allein, im folgenden Sommer walleten sie nach seiner Klause, und zugleich mit ihnen ward ihr Erstgebohrner von dem Mann Gottes eingesegnet.

 


 


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