Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 2. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Phanuel.

Salomo saß auf dem Stuhl seines Vaters Davids, und hatte dem Herrn ein Haus gebauet, und es eingeweihet im Angesichte von ganz Israel. Zu diesem Feste war auch Phanuel, ein Jüngling, der mit seiner Mutter im Thal Achor wohnte, hinaufgezogen gen Jerusalem, und hatte daselbst angebetet, sieben Tage lang. Als er nun wieder heimkehrte nach seiner Hütte, überfiel ihn der Abend in dem Haine bey Jericho, und er setzte sich, von der Hitze des Tages und der Mattigkeit erschöpft, unter einen Palmbaum, der am Fußwege stand. Er dachte an seine Mutter, und an den Mangel, der unter ihrem Dache wohnte, und sprach bey sich selbst: Gold und Silber ist in Jerusalem so gemein, als die Steine auf den Gassen, Ueberfluß und Wohlleben herrschen in seinen Mauren, und ich und meine Mutter vergehen im Elende. So dachte der Jüngling und eine stille Thräne glitt über seine Wange. Er seufzte, und ein wohlthätiger Schlummer drückte seine feuchten Augenlieder zu, indeß der kühle Abendwind mit seinen schwarzen Locken spielte. So lag er bis um die dritte Nachtwache, und schlief sanfter auf der rauhen Erde, als Salomo auf seinen Matten von Tyrus. Als er seine Augen wieder aufschlug, 99 siehe, da stand vor ihm ein hoher Mann, der mit freundlichen Blicken ihn grüßte. Goldgelbe Locken flossen wie Sonnenstrahlen von seinem Scheitel; seine Augen waren wie Adlers Augen, und sein Gewand war lichtblau und glänzend, wie der mitternächtliche Blitz. Wer bist du, mein Sohn? fragte der Fremde. Herr, ich bin ein armer Waise, der noch keinen Tag müssig gieng, und dennoch für sich und seine Mutter selten Brod hat bis auf den folgenden Abend. So antwortete Phanuel, indem er sich aufrichtete, und vor der ehrwürdigen Gestalt sich neigte. Werde mein Diener, erwiederte der Fremde, so sollst du Brods die Fülle haben, und köstlichen Wein und Kleider von Seide. Phanuel antwortete und sprach: Ach Herr! wie kann ich die Mutter verlassen, die mich geboren und gesäuget hat, und die nun blos von der Arbeit meiner Hände lebet? Willst du wohlthun deinem Knechte, so gieb mir ein Almosen, auf daß ich ihr ein Labsal mitbringe von meiner Reise. Der Mann lächelte und sprach: ich habe kein Geld,. das die Hand des Künstlers geprägt hat; aber nimm diese Kiesel, und trage sie in die Königsstadt, und frage daselbst nach Korah, dem Hüter des Schatzes, der wird dir sie abkaufen. So sprach der Glänzende, und legte sechs Kiesel in Phanuels rechte Hand und – entschlüpfte in das Dickicht, 100 ohne daß der Jüngling wußte, wo er hinschwand. Phanuel aber ergriff seinen Stab und kehrte zurück nach Jerusalem, und fragte nach dem Hause Korah, des Hüters des königlichen Schatzes. Als nun Korah ihn vor sich ließ, sprach er zu ihm: Herr, man hat mir gesagt, daß du diese Steine von mir kaufen würdest, und ich bin gekommen, sie dir anzubiethen. Korah betrachtete die Steine und erkannte, daß es rohe Opale waren, so groß, wie er noch keine gesehen hatte. Da ergrimmte er im Geist und rief: diese Steine sind mehr als tausend Seckel werth, wem hast du sie entwendet? Phanuel antwortete mit Thränen: so wahr der Herr lebet, ein Unbekannter hat mir sie geschenkt, als ich bey Jericho unter einem Palmbaum ruhete. Korah ließ den Jüngling binden und legte ihn in einen Kerker, und gieng mit den Steinen zu Salomo, und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte. Da ließ der König den Gefangenen vor sich bringen, und befragte ihn über alles, was ihm begegnet war: und erkannte aus seiner Rede, daß der Unsterblichen einer ihm erschienen seyn mußte, um seine Armuth von ihm wegzunehmen. Binde ihn los, sprach der König zum Schatzmeister und zahle ihm tausend Seckel, und besetze mit diesen Steinen die Krone meines Hauptes. Der Herr hat mich durch diesen Jüngling erinnert, daß ich 101 aufsuchen soll die Armen in Israel, und ihre Thränen abwischen von ihren Augen. Und Salomo befahl allen seinen Amtleuten, daß sie aufzeichneten die Nothleidenden in seinem Reiche, und er ließ ihnen Arbeit und Brod austheilen, und ein großes Haus bauen für die Siechen und Greise. An dem Tage nun, da der Grund dazu gelegt ward, erschien der Engel des Herrn Salomo im Traume, und redete also zu ihm: So spricht der Herr: Du hast mir einen Tempel erbauet, wie die Welt noch keinen gesehen hat: aber das Haus, das du den Elenden widmest, ist noch schöner in meinen Augen als das Allerheiligste mit den goldenen Wänden, darein du die Lade meines Bundes gesetzet hast. Und siehe, ich bin der Fremde, der vor drey Monden einem armen Knaben erschien, um dich an die Trübsal deiner Brüder zu erinnern.

Da sandte der König seine Knechte aus in das Thal Achor, und ließ Phanuel zu sich rufen, und sprach zu ihm: Lieber, bleib bey mir in meinem Hause, denn der Gott Israel hat dich ausersehen, um durch deinen Mund mit mir zu reden. Da beugte der Jüngling sein Antlitz zur Erde und antwortete: Herr König, laß deinen Knecht fürder wohnen im Thal Achor. Dort habe ich aus dem Golde, das Du mir gegeben hast, Aecker und Wiesen und Weinberge gekauft, und lasse sie bauen 102 durch meine armen Nachbarn, und theile mit ihnen die Früchte ihrer Arbeit. Da befahl der König, dem Jüngling ein Feyerkleid anzulegen, und ließ ihn von sich, und sprach zu den Gewaltigen, die um seinen Thron stunden: Phanuel ist weiser als ich; sein frommes Herz hat ihm eingegeben, was der Herr durch einen Engel mir befehlen mußte. 103

 


 


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