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Im Postwagen von Berlin nach Königsberg saß vor ein Paar Jahren, in einer schwülen Juliusnacht, ein junges blasses Mädchen. Ihr Häubchen mit schwarzem Bande garnirt, ihr Mäntelchen von schwarzer Seide und das dunkelgraue Kleid mit der schwarzen Busenschleife zeigten an, daß sie vor nicht allzu langer Zeit einen großen Lebensschmerz erlitten haben mochte, und in der That, die Kleine betrauerte ihre Mutter, die vor 8 Monaten in einer bedeutenden Stadt am Rhein gestorben war, und befand sich auf dem Wege zu ihrem Vater, der in einer abgelegenen Gegend Westpreußens lebte, und der die arme Marie seit ihrem dritten Jahre nicht gesehen hatte. Es war drückend heiß; in ihre Staubmäntel gehüllt, die Mützen tief in das Gesicht gedrückt, schliefen zwei Reisende, Marien gegenüber, den Schlaf des Gerechten, ein ältlicher dicker Herr machte sich neben ihr breit, und sank nicht selten mit seinem schweren glühenden Kopfe auf die Schulter des zarten Kindes. Ein starker Zigarrengeruch durchzog den heißen dumpfigen Kutschkasten, es war stockfinster, und nur häufige Blitze am Rande des Horizonts, erleuchteten von Zeit zu Zeit die flache, sandige und öde Gegend, durch welche die endlose Chaussee sich hinzog. Marie sah, hörte und fühlte von allem was sie umgab, nichts; einem tiefen Schmerz, einer tödlichen Angst hingegeben, saß sie da, die kleinen Hände in den Schooß gefaltet, starrte sie hinaus in die Nacht, und Thräne auf Thräne rann eiskalt und langsam über ihre bleichen Wangen. Die nächste Station schon, die allernächste, sollte sie zu Menschen bringen, die sie nicht kannte, aus deren Liebe sie nicht hoffte und die ihr dennoch durch natürliche Bande so nahe standen, zu einem Vater und einer Stiefmutter. Ihr Herz wand sich in unbeschreiblicher Pein, und ihr Körper erbebte von Zeit zu Zeit fühlbar, bei irgend einer besonders ängstlichen Vorstellung. Jetzt zeigten sich von ferne die erleuchteten Fenster des Posthauses. Der Postillion gab das Signal, einige schlaftrunkene Beamten traten aus dem Portal, und Marie, auf den Arm des Conducteurs sich stützend, verließ den Postwagen und trat in die Passagierstube. Ein einzelnes Licht erhellte dürftig den öden Raum, und zeigte den Eintretenden einen großen, starken Mann, der schlafend auf dem ledernen Sopha lag. Sie setzte sich todtmüde, wie sie es nach einer Reise von 3 Tagen und Nächten war, auf den nächsten Stuhl und bestellte mit ihrer tonlosen Stimme Extra-Post nach P… Man mochte ihre Forderung nicht gehört haben, denn der Eilwagen rollte davon, das Geräusch im Posthause beruhigte sich, Wagenmeister und Postschreiber suchten ihre Betten wieder auf und Marie saß noch immer in der Nähe des Schlafenden und ihre Angst und ihr Kummer ließen sie die Zeit vergessen. Unterdeß dämmerte der frühe Tag, das Wetterleuchten der Nacht ballte sich zu einem furchtbaren Gewitter zusammen, eine Windsbraut raste durch die Straßen des Dorfes, ein wilder Regenschauer schlug an das Fenster, und das Tosen und Lärmen erweckte zuletzt auch den Gefährten des jungen Mädchens, der nicht wenig verwundert, mit gutmüthigen und blauen Augen das weinende Kind betrachtete, das ängstlich dem wilden Wetter zu lauschen schien. Es war ein hübscher Mann, vielleicht 32 Jahre alt, und von jenen riesenhaften Körperverhältnissen, die man nicht selten bei blonden Männern findet. Eilig richtete er sich empor, fuhr mit der Hand durch einen Strom prächtiger, blonder Locken, fragte verbindlich und freundlich nach der Ursache von Mariens Anwesenheit zu so ungewöhnlicher Stunde und an einem so unfreundlichen Ort, bemühte sich so eifrig, ihr zu verschaffen was sie brauchte, legte so gutmüthig einige Kissen, die zu seinem eignen Gepäcke gehörten, auf das Sopha für Marien zurecht, und lachte so herzlich, weil man das Durchgehn des Eilwagens verschlafen; daß Marie eine Art freundlichen Zutrauens für ihn empfand und das Zusammentreffen für ein gutes Vorzeichen zu betrachten anfing. Indeß erschien dennoch in Sturm und Gewitter die Extra-Post, der Fremde trug Mariens Gepäck in den Wagen, half ihr selbst hinein, zog die Vorleder zu, wünschte sich verneigend eine glückliche Reise und fort gings durch das tobende Wetter auf einer schlechten Seitenstraße, bei deren erster Wendung die junge Reisende noch einmal die stattliche Gestalt ihres Beschützers im Portal des Gasthofs erblickte. Eine ganze Weile zog die Erinnerung an denselben, Marien von den traurigen Gedanken ab, wer er nur sein mag? und wie gut er aussah, und wie gewandt er sprach, dachte sie und unterdessen brachte jedes Umrollen des Rads sie näher an das gefürchtete Ziel ihrer Reise. Die Gegend war öde, Kiefernwälder begrenzten den Horizont einer sandigen, wenig angebauten Fläche, die Dörfer ärmlich und unreinlich, lagen noch im Schlafe, und der graue Gewitterhimmel hing über dem allen, wie eine Bleikuppel über einem Gefängniß. Und hier soll ich nun leben, Gott, mein Gott, hier in diesem Orte, unter Menschen die mich nicht kennen, nicht lieben, unter den Augen eines Vaters, der meine Mutter, meine engelgleiche Mutter haßte, quälte und verließ. Das blasse Gesicht der Mutter tauchte in ihrer Erinnerung auf, es schien ihr zu zu lächeln und die arme Marie streckte die Arme aus und weinte von Neuem und fragte sich selbst, wo sie Muth und Kraft hernehmen werde, ein Leben zu tragen, daß in fürchterlicher Länge, wie der öde Weg in diesen Gewittermorgen vor ihr lag. Da plötzlich um einen Sandhügel sich windend, führte dieser Weg sie an einen stattlichen Flecken, dem eine Kathedrale ein ehrwürdiges Ansehn gab. Eine Menge großer, altertümlicher Gebäude reiheten sich dem Gotteshause an, grünende Gärten zogen sich an einem kleinen hübschen Flüßchen hin. Wohlgebaute ansehnliche Häuser lagen im Grünen an der Straße, Heiligenbilder begrüßten das aus einem katholischen Lande kommende Mädchen, wie alte Bekannte, und der Postillion beugte sich zu seinen Reisenden und sagte mit seinem breiten preußischen Dialekt: »Das ist nun, P… da oben wohnt der Herr v. Hallmann. Marie erbebte, aber in Freude, ihre neue Heimath war weit freundlicher als sie es gehofft und geträumt, und auf das grün umrankte Vaterhaus warf die Morgensonne, die Wolken durchdringend, einen hellen goldigen Strahl. Es ist ja doch mein Vater, dachte sie froh, mein Vater! er kann, er muß ja wohl sein armes verwaistes Kind freundlich empfangen, und seine Frau, die ich von nun ab, Mutter nennen soll, ist gebildet wenigstens und vielleicht auch gütig, ihre Briefe zeigen das Erste und widersprechen das Letzte nicht, ich werde, wenn auch nicht glücklich, doch ruhig hinleben und dazu helfe mir Gott!
In diesem Augenblick ertönten die Glocken mit hellem harmonischem Geläute. Orgelklang und ein wohlklingender Kirchengesang mischte sich in dasselbe, und von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, verließ Marie den Wagen und trat in den fast leeren Dom. Die Morgensonne goß ihr volles Licht durch ein farbiges Fenster in den langen majestätischen Hauptgang, und warf einen rosigen Schein auf den Hochaltar, um welchen eine Gruppe, von mehr als 60 noch ganz jungen Männern, in Chorröcken und geistlicher Kleidung auf den Knien lagen, dem eintretenden Mädchen den Rücken wendend. Sie trat in eines der verdeckten Gestühle, kniete ebenfalls nieder, und richtete ein glühendes Gebet zur heiligen Jungfrau; diese, die sie die sanfte Vermittlerin nannte, um ihren Beistand und ihre Vermittelung zwischen sich und denjenigen, die ihr Vater und Mutter sein sollten, anflehend. Tief versunken in ihre Andacht, sah sie anfangs nicht, daß die geistlichen Sänger sich entfernten, und erst der letzte, der wie ein Schatten an ihrem Gestühle vorbeischlüpfte, weckte sie aus ihren Betrachtungen. Er blieb stehen, wie um etwas an seinem Gewande zu ordnen, aber er beugte sich rasch und nahm aus einer Vertiefung ein zusammengefaltetes Papier, das er schnell in seinen weiten schwarzen Aermel schob, aber in demselben Momente erhob er seinen Kopf, und Marie erblickte ein Gesicht von so außerordentlicher Schönheit und so eigenthümlichem Ausdruck, daß sie fast einen Laut des Schreckes ausgestoßen hätte. Rabenschwarzes glattes Haar legte sich seidenweich um eine blendend weiße Stirn, unter der ein Paar tiefdunkle Augen mit dem Glanz des Rubins hervorfunkelten, ein griechisches Profil und ein Mund von der wunderbarsten Feinheit um den in diesem Moment ein Lächeln des Triumphs spielte, vollendeten das Ganze eines Kopfs, der zu einer Gestalt gehörte, welcher selbst die entstellende Klostertracht nichts von ihrer graziösen Schönheit hatte rauben können. Er hatte Marien nicht bemerken können, die hinter den Wänden des Gefühls noch knieete und durch die halb offene Thür ihn erblickte, aber dennoch warf er einen scheuen Blick um sich her, eröffnete das Billet, las mit glänzendem Blick und zerriß dann das Papier in kleine klare Stückchen, die er im Weggehen an entfernteren Stellen einzeln fallen ließ. Marie war in ihrer Andacht gestört, sie begriff selbst nicht, wie sie den Muth gehabt, allein und zu so früher Stunde die Kirche zu betreten, sie schlüpfte hinaus und befand sich in wenigen Augenblicken an der Thür des fremden Vaterhauses.
Das Blasen des Postillions hatte dort schon ihre Ankunft verkündigt, eine Magd öffnete ihr und im nächsten Momente trat ein großer, schöner Mann mit einem stolzen Gesichte ihr entgegen, schloß sie liebreich in seine Arme und führte sie eine Treppe hinauf in ein freundliches Zimmer. Hier ruhe doch aus, mein geliebtes Kind, sagte er, von den Beschwerden einer so weiten Reise und erst dann, wenn Du gänzlich erholt bist, will ich Dich zu derjenigen führen, die Dir durch ihren Geist und Verstand eine Mutter, durch ihre Jugend und Liebenswürdigkeit eine Schwester sein kann und wird. Marie befand sich wie in einem Traum, angegriffen und reisemüde wie sie war, drängte der Wechsel von Angst und Freude, von einer entsetzlichen Furcht zu einer heitern Wirklichkeit zu mächtig auf sie ein, sie sank erschöpft auf das Sopha und ihr Vater bemühte sich mit einer Freundlichkeit um sie, die ein süßes Gefühl von Glück und Sicherheit in dem Herzen des armen Kinds erweckte. Er strich ihr die braunen, von Sturm und Regen zerstörten Locken aus den Gesicht, er nahm ihr die feuchten Reisekleider ab, und betrachtete mit inniger Freude und Zärtlichkeit, das jugendliche Wesen, dessen schüchterner Blick voll Dankbarkeit an ihm hing. Marie war 17 Jahre alt, aber von so zarten Formen, daß sie fast noch jünger erschien. Sie war eher klein als groß und ihr Gesicht gehörte zu denjenigen, die man beim ersten Blick unschön, beim zweiten angenehm und bei längerer Bekanntschaft von ungeahndetem Liebreiz findet. Jetzt freilich hatte der lange Schmerz und die lange heimliche Angst, den Ausdruck jugendlicher Schalkhaftigkeit, der in zwei Wangengrübchen und um den kleinen, etwas aufgeworfnen Mund wohnte, in den Hintergrund gedrängt, die großen dunkelblauen Augen waren von der Anstrengung der Reise mit einem bleifarbigen Ring umgeben und etwas geröthet, aber Mariens Schönheit lag nicht in der Färbung der Haut, nicht in der Regelmäßigkeit der Züge, er lag nicht oben auf, wenn man so sagen darf, sondern blickte von Jenen heraus, und äußere Verhältnisse konnten ihm daher wenig erheben. Diese Bemerkung machte auch ihr Vater, als er ihr in die sanften Augen sah und er drängte einen Seufzer zurück, der vielleicht einem längst vergangenen Glück galt. Mariens erstes und dringendstes Bedürfniß war offenbar Ruhe, und es war dafür aufs Beste gesorgt. Ihr kleines Zimmer hatte die Aussicht in einen Garten, der sich nach dem Flüßchen herunterzog, und erfrischt von dem Gewitter, in den Strahlen der Morgensonne prangte. Aber Todtenstille herrschte in seinen Gängen und das ferne momentane Geklapper einer Mühle, schien die Ruhe ringsumher nur fühlbarer machen zu wollen. Ein großer verwildeter Park, der die Klostergebäude umgab, war von Herrn von Hallmanns Garten, durch eine verfallende Mauer getrennt, an welcher Schlingpflanzen empor kletterten. Uralte Linden und Erlen, überragten dieselbe, und an vielen Stellen glänzte das Flüßchen silbern unter grünem Laube hervor. Es war Marien recht wohl und heimlich, als sie die Reisekleider abgelegt hatte und nun im Nachtzuge am Fenster sitzend, das freundliche Landschaftsbild betrachtete. Ihr Vater hatte ihr gerathen, einige Stunden zu schlafen, und Toilette zu machen, bevor er sie zu ihrer Stiefmutter führen wolle, und sie machte gern von der Erlaubniß Gebrauch, zum Theil auch noch, um sich zu sammeln und wenigstens ihre äußere Erscheinung so angenehm als möglich zu machen.
Wie wird sie sein, meine Stiefmutter, fragte sie sich selbst, während sie sich in den weichen Kissen ihres Bettchens einhuschte, und werde ich mich ihr freundlich anschließen, sie lieb gewinnen, sie ehren können, wie man eine Mutter, ehren und lieben soll? Mariens Nerven waren von der langen Reise so sehr angegriffen, daß sie noch immer das Rollen des Wagens zu fühlen glaubte, ihre Schläfen pochten, sie hörte noch die Domuhr schlagen, dann senkte sich der Schlaf ruhig über sie, der ermüdete Körper siegte über alle Aufregungen der Seele und Stunde um Stunde verrann, es ward Mittag und Nachmittag, ehe sie endlich die Augen öffnete und verwundert sich an einem fremden Orte, aber in freundlicher Umgebung wiederfand, denn der Traum hatte sie zurückgeführt an des Rheines grünen Strand.
Sie kleidete sich mit Eil und Sorgfalt und that einen Blick in den Spiegel, denn gar zu gern wollte sie einen angenehmen Eindruck auf ihre Stiefmutter machen, ein junges, hübsches Dienstmädchen war ihr behülflich und endlich erschien denn auch der Vater, nahm sie noch einmal an seine Brust und sagte herzlich: So komm denn mein Kind.
Das Haus des Herrn von Hallmann, war sauber und modisch eingerichtet, Marie ging durch mehrere hübsche Zimmer, die elegant meublirt, einen angenehmen Eindruck auf sie machten; trat in einen großen, von der Abendsonne überschienenen Gartensaal und endlich sollte sie ihre Stiefmutter finden.
An einem Flügel, der der offnen Gartenthür ganz nahe stand, saß sie, die Hand auf den Tasten, doch ohne zu spielen, sie stand rasch auf, trat Marien entgegen und zog sie mit Herzlichkeit an ihre Brust.
Marie war wie verblendet, das Bild das sie sich von ihrer Stiefmutter gemacht, war zu verschieden von der Wirklichkeit. Schwerlich wird ein erwachsenes Mädchen sich die Lebensgefährtin ihres Vaters anders, als in den mittleren Lebensjahren vorstellen, Frau von Hallmann aber konnte höchstens 20 Jahre alt sein; schwerlich dürfte eine Waise sich ihre gefürchtete Stiefmutter anders, als mit einem strengen und ernsten Wesen träumen, Mariens Stiefmutter war schön, war lieblich wie eine Maiblume, und sie empfing die junge Stieftochter mit der Milde einer liebevollen Schwester.
Endlich, meine Marie, sagte sie mit einem so süßen Lächeln, wie es das junge Mädchen noch nie gesehn zu haben glaubte; endlich also hab' ich Dich nun; Du hast mich warten lassen! Wochen lang auf den Brief, der Deine Abreise meldete, drei Tage lang auf Deine Ankunft, und jetzt viele lange Stunden auf Deinen Anblick; aber was Du hübsch bist mein Mädchen und was es hübsch sein wird, Deine Jugend und Lieblichkeit so immer und immer neben sich zu haben. Marie drückte leise die Hand der Stiefmutter, sie konnte ihr nicht antworten, aber sie fühlte sich so glücklich und so dankbar, und ihre Augen hingen erstaunt und fröhlich an der schönen Gestalt. Vielleicht konnte man sich keinen größern Kontrast denken als diese beiden sich plötzlich so nahe gestellten Frauen. Ida v. Hallmann war groß, fast über der der weiblichen Schönheit zustehenden Größe, aber ein außerordentliches Ebenmaß und eine sehr schöne Haltung ließen ihre Figur nicht kolossal erscheinen, sie war blond und von jener Frische und Reinheit der Farben, die man höchstens noch am Kelch der Centifolie bewundert, das Schönste an ihr aber waren ihre wundervollen nußbraunen Augen, die so sanft, so fest in die Welt blickten, als könne nichts in derselben sie weder in Lust noch in Leid verblenden. Unwillkührlich mußte Marie diese glänzende Erscheinung mit dem Bilde vergleichen, das die treueste Kindesliebe in der Erinnerung an ihre eigene Mutter bewahrte.
Bleich, gebeugt, von unschönen Zügen, und offenbar viel älter als der Marie bis dahin fremde Vater, war die Verstorbene ihrem Kinde zwar ein Engel an Güte und Nachsicht gewesen, aber Marie selbst konnte es sich nicht verläugnen, daß ihre übrigen Umgebungen unter einer kränklichen ungleichen Laune hatten leiden müssen, daß sie oft hart, hart bis zur Lieblosigkeit den abwesenden Gatten verurtheilt und in dem jungen Herzen des Kindes statt Liebe, tödliche Furcht vor dem Vater erweckt hatte. Herr von Hallmann schlang einen seiner Arme um sein schönes Weib, den andern um seine reizende Tochter und mit Beiden an die Thür des Saales tretend, sagte er, den Blick der untergehenden Sonne zugewendet: »Ich frage Dich, ob Du auf den weiten Erdball auf einen glücklicheren Mann scheinst als auf mich.«
Wenn der Besitz von den tausend kleinen Lebensannehmlichkeiten und Bequemlichkeiten die der Wohlstand gewährt, wenn die Aufmerksamkeiten herzlicher Verwandtenliebe, wenn Jugend endlich und Gesundheit Glück gewähren können, so mußte Marie in dem Hause ihres Vaters glücklich sein und doch war sie es nicht so ganz. Zwischen ihr und ihrer Stiefmutter lag offenbar eine Kluft, die keine Freundlichkeit derselben auszufüllen vermochte, Ida v. Hallmann geistreich, schön und gütig, war doch nicht das Wesen, ein jugendliches Gemüth ganz zu sich hinzuziehen, in Hinsicht des Alters ihr zu nah, in Hinsicht der Verhältnisse ihr zu fern stehend, konnte Marie in ihrer Stiefmutter weder eine Mutter noch eine Jugendgenossin finden. Zudem war Frau v. Hallmann ein Wesen, das sich schnell Autorität zu schaffen verstand. Sie leitete das sehr comfortable Hauswesen ihres Gatten mit einer wundervollen Umsicht, die Domestiken gehorchten ihr auf den Wink, ihr Gatte befand sich wohl und behaglich bei allen ihren Einrichtungen, aber sie war auch der Mittelpunkt das strahlende Gestirn dieser kleinen Welt, das alle übrigen nur als untergeordnete dunkle Planeten umkreisten. Marie war von der anbetenden Liebe einer Mutter verwöhnt, die in ihr ihr Alles fand, sie war an das Leben in einer großen Stadt voller Genüsse, an eine reiche und herrliche Natur gewöhnt, und vor allem an eine gewisse Abwechselung zwischen Geschäft und Vergnügen, zwischen häuslicher Einsamkeit und geselligem Verein. Der Flecken, den Herr von Hallmann zu seinem Aufenthalt gewählt, lag eben abgeschnitten von allem Umgang, die kleinen stattlichen Gebäude bewohnten katholische Geistliche höheren Ranges, Domherr und Domprobst, Weihbischof und Domdechant. Lauter Personen, denen die katholische Marie alle mögliche Achtung zollte, die aber nicht die einsamen Stunden eines jungen Mädchens erheitern konnten. Die klösterlichen Gebäude, welche an den Dom stießen, in der That ehemals ein Zisterzienser Kloster gewesen, dienten jetzt zu einem Klerikal-Seminar, ihre Bewohner waren die Professoren und die Zöglinge jener Anstalt, der große verwilderte Garten, der mit an den Hallmannschen gränzte, war der einzige Spaziergang dieser gefangnen Jünglinge, und täglich zu gewissen Stunden sah Marie aus ihrem Zimmer die ganze Schaar derselben wie einen Flug Krähen aus dem Kloster stürzen und die dunkeln Laubengänge mit den eiligen Schritt von Leuten durchstreichen, die sich nach langem Sitzen Bewegung machen wollen. Es lag etwas Schwermüthiges, etwas Dumpfes über dem Orte, man sah so wenig Kinder dort, hörte so selten fröhliches Lachen, erblickte so viele schwarze Priesterkleidungen, so wenig heitre Damentoiletten und war zu dem ganz und gar auf Haus und Garten beschränkt, in diesem engen Raume gleichsam eingeschlossen, denn so wie man die nächste Nähe des Flüßchens verließ, ward die Gegend öde bis zur Trostlosigkeit. Sandhügel mit Kiefern bedeckt, wechselten nur mit langen röthlichen Buchweizenfeldern und öden Schafweiden ab; ein Spaziergang dort wäre das traurigste Vergnügen von der Welt gewesen. Im Vaterhause Mariens ging alles seinen ruhigen eintönigen Gang. Herr v. Hallmann besorgte sein landwirthschaftliches und kaufmännisches Geschäft, speiste mit Gattin und Tochter, schlief ein wenig nach Tische, und arbeitete dann in dem großen Garten, wo er stets einen Gegenstand für sein Vergnügen und seine Thätigkeit fand. Ida von Hallmann teilte ihre Zeit zwischen den Geschäften des Haushalts, Lektüre und Musik, sie schien durchaus kein Bedürfniß der Zerstreuung zu empfinden, Marie aber stand oft auf einem Hügel im Garten, schaute in die trostlose Gegend, welche die kleine Oase umgab, und sehnte sich nach dem herzlichen Geplauder einer Altersgenossin, nach Theater und Tanz, nach menschlichen Gesichtern, nach allen dem, was das Leben bunt und heiter macht. Marie war fast wie alle Weiber von lebhafter Phantasie und warmem Blute, eine religiöse Schwärmerin, und kein Ort in der Welt konnte dieser Geistesrichtung günstiger sein als P… Der prächtige Dom mit seinen geschmückten Altären, mit seinen Bildern und Kerzen, mit seiner wundervollen Kühle, war dem jungen Mädchen zu jeder Stunde des Tages ein Lieblingsaufenthalt. Leise durch eine der gothischen Pforten eintretend, schlich sie die hallenden Gänge entlang, kniete vor den Schrein eines Heiligen nieder, und vertiefte sich in Gebete und mystische Gedanken. Der Aufenthalt hier war ihr die einzige Zerstreuung, die einzige Erhebung aus dem ruhigen Alltagsleben des Vaterhauses. Oft auch schlich sie aus einer Seitenpforte des Domes durch den großen Saal, der das Refectorium des ehemaligen Klosters gewesen war, und jetzt von den jungen Studenten des Seminars bisweilen zum Konzertsaale benutzt wurde, in die Kreuzgänge, die einen mosigen, dumpfen Hof umschlossen, in welchen die meisten Fenster der Zellen gingen die die jungen Geistlichen bewohnten. Diesen Hof selbst zu betreten, wagte sie nun wohl niemals, aber nicht selten schaute sie aus einer der großen Bogenthüren der Kreuzgänge in seinen todtenstillen Raum, wo nie ein Vogel oder ein Schmetterling sich sehen ließ, während Kröten und Eidechsen durch das feuchte Gras schlüpften und Fledermäuse in den Abendstunden umherflatterten.
Die Kreuzgänge waren besonders an Regentagen für Marien ein anziehender Spaziergang. Geschmückt mit alten, zum Theil schon verwitterten Fresken, erleuchtet durch farbige Glasfenster, an einer Seite mit Bänken von sauber geschnitztem Eichenholze versehen und dabei stets einsam und still, waren sie ein so passender Ort zum Träumen, zum Weinen, zum Beten. Die Höhle der heiligen Rosalie und die Aufenthaltsorte noch vieler andern heiligen Frauen, können unmöglich stiller, ernster und melancholischer gewesen sein als dieser Lieblingsplatz Mariens. Leise, daß nicht die weiten Bogengewölben ihre Tritte zu hörbar nachhallen sollten, wandelte sie ohne Grauen, aber mit einem demselben verwandten, sehr angenehmen Gefühl auch in den Abendstunden, auch im Mondenschein durch die stillen Räume; stand vor den dunkelnden Gemälden in Betrachtungen versunken, horchte auf den Gregorianischen Lobgesang, der aus dem Dome herübertönte und träumte wunderbare Träume. Sie konnte sich diesem seltsamen Genuß um so leichter hingeben, da der Garten ihres Vaters sich an einer Seite bis dicht an die Klostergebäude hinzog, und ein Steg, der über das Flüßchen gelegt, sie in eine der Seitenthüren des Gotteshauses zu jeder Stunde des Tages gelangen ließ, ohne daß sie einen Fuß in die Straßen des Fleckens setzen durfte. Herr v. Hallmann sah den häufigen Kirchenbesuch seiner Tochter zwar gerade nicht besonders gern, aber er hinderte sie auch nicht daran, weil er glaubte, daß ein durch den Tod einer geliebten Mutter verletztes Herz, ein vielleicht am Bangen kränkelndes Gemüth nicht gehindert werden müsse, sich in sich selbst zurecht zu finden, durch welche schuldlosen Mittel das auch immer sein möge. Frau v. Hallmann beobachtete ihre Stieftochter genau, ohne sie mit Ermahnungen zu belästigen. Sie ging ihr nicht selten in den Dom, in den Kreuzgang nach, unterbrach ihre Träumerein durch heitre oder ernste Gespräche, wanderte mit ihr am Arme zurück durch den stille werdenden Flecken, aber sie untersagte ihr den Aufenthalt in jenen Räumen nie, wie hätte sie das auch thun können, sie die einzige Protestantin in einer katholischen Familie. Sichtlich bemüht, sich die Liebe ihrer Stieftochter zu erwerben und zu sichern, that sie überhaupt vieles was ihr selbst wenig Freude zu machen schien, nur Mariens wegen. Sie las mit ihr Romane und die Masse von Journalen, die Herr v. Hallmann in sein Haus kommen ließ, sie spielte mit ihr die Melodien Rossinis, Bellini's und Aubers, während sie für sich allein ziemlich ernsten wissenschaftlichen Studien oblag und sich gern in die Töne Beethovens, Mozarts und Glucks versenkte, wenn Marie in der Kirche ihrer brünstigen Schwärmerei nachhing, oder im Garten in die Ferne starrte. Verschieden wie die äußere Schönheit dieser beiden Frauen, war auch ihre Gemüths- und Geistesrichtung. Ida fest, klar und stark von einer rosigen Frische, Marie zart und weich und jenem raschen Farbenwechsel unterworfen, die eine eigenthümliche Schönheit sehr reizbarer Weiber ist. Beide wie die Rosen im verschloßnen Garten eines Pascha, ihre Reize nur für den Besitzer entfaltend. Schon war Marie länger als ein Vierteljahr im Hause ihres Vaters, schon fing der Herbst an die Gegend ihres Schmucks zu entkleiden, die Abende wurden länger und der Wind umsauste in den düstern Nächten das hochgelegene Fenster des jungen Mädchens, ohne daß sie Gelegenheit gehabt hätte, irgend eine Bekanntschaft zu machen. Die Einwohner des Ortes bestanden wie gesagt nur aus katholischen Geistlichen, deren Haushaltungen von alten Frauen aus niedrigem Stande und von geringer Bildung geführt wurden. Ein Apotheker war freilich auch in dem Flecken, und ein Gerichtsbeamter, der den Titel Syndikus führte, aber auch diese beiden Männer waren Hagestolzen, und das einzige Familienleben war folglich im Hause Hallmanns. Alle Wochen einmal, Donnerstags Abend fanden beim Beginn der rauhen Jahreszeit, die beiden zuletzt genannten alten Herren und ein eben so alter Geistlicher, Professor Grenzik, sich zu einer Spielparthie bei Hallmann ein, Ida machte dann mit einer Aufmerksamkeit die Wirthin, die auch skrupulösere Gäste befriedigt hätte, und zog sich, wenn die Herren um 8 Uhr gespeist hatten und mit dampfendem Punsch versehen waren, in ihr Zimmer zurück, das vom ersten Moment ihrer Bekanntschaft auch Marie und auf besondre Einladung ihrer Stiefmutter hatte betreten dürfen. Sie las hier, oder schrieb je bisweilen, aber nur selten hörte Marie, deren Zimmer ziemlich entfernt von diesem Gemach lag, die Töne des kleinen Stehflügels von Idas Stimme begleitet. Diese Abendstunden waren also Marie stets ganz, ganz allein, denn das kleine sehr hübsche Stubenmädchen, daß sie manchmal mit ihrem Nähzeuge zu sich rief, konnte nicht als eine Gesellschaft für das arme Kind gelten. Die lange Weile mit ihrem Gefolge, dem Mißmuthe, stellte sich dann bei ihr sehr fühlbar ein, sie weinte bitterlich bei der Erinnerung an den vergangnen frohen Winter, da noch ihre Mutter, obgleich sehr leidend, mit ihr Bälle und Theater besuchte. So jung und so einsam, so von aller Welt, von aller jugendlichen Lust abgeschnitten zu sein, das schien ihr hart und hundertmal dachte sie an Aschenbrödel, die aus der hohlen Weide vom Grabe der Mutter sich Ballputz und Tanzschuhe holte. Sie hätte auch anklopfen und sagen mögen: Weide, Weide, thu Dich auf und mit einem Kleide wie das Morgenroth, mit goldenen Schuhen und einem Diadem von Sternen geschmückt zum Tanze eilen.
Aber obgleich Marie schon vor mehreren Jahren lebte, so fällt doch die Zeit der Feen in eine weit frühere Periode und kein Zaubermittel ward dem jungen Mädchen bekannt, das sie aus dem Bann der Langenweile erlöst hätte; denn das allein existirende reelle, geistige Beschäftigung hatte sie nicht anwenden gelernt.
Erzogen von einer kränkelnden, schwachen und ziemlich ungebildeten Mutter, die das einzige Kind, das Andenken an eine übereilt geschlossene Ehe, – eben weil es das einzige war, anbetete, kannte Marie wenig von dem, was dem Leben einen geistigen Reiz verleiht. Die Natur war ihr nichts als ein mehr oder minder schönes Bild zur Freude der Augen, daß sie das Kleid Gottes sei, war ihr nie in den Sinn gekommen. Sie hatte Dampfschiffe und Eisenbahnen gesehen und benutzt, ohne sich um die Kräfte, die diese wunderbaren Maschinen bewegen, im geringsten zu kümmern, Sie hatte neben arbeitenden Menschen gestanden, ohne je den Zweck ihrer Arbeit ins Auge zu fassen. Arbeit schien ihrem unaufgehellten Geiste, der auf der sündigen Menschheit ruhende Fluch des erzürnten Gottes, der selbst über den Donnerwolken in Glanz und Herrlichkeit thronend, seinen und der Jungfrau Sohn auf die Erde verbannte, um diesen Fluch nach Möglichkeit zu lösen.
Es schien ihr so! denn nachgedacht über alle diese Dinge hatte das 17jährige Kind noch nie. Ueber ihrer jungen Seele lag die weiche neblige Athmosphäre einer unerzognen und vom Temperament begünstigten Glaubensfestigkeit, die allem Denken und Zweifeln feind ist. Marie war eines jener weiblichen Wesen, welche, – so lange sie jung sind – von den Männern für den Inbegriff aller Liebesfähigkeit, aller Hingebung gehalten werden, weil sie keiner andern geistigen Erregung, als der durch Leidenschaft fähig sind. Daß diese holden Knospen später so oft zu unthätigen Hausfrauen, treulosen Gattinnen, nachlässigen Müttern werden, ist eine so bekannte Erscheinung, als daß sich aus der zarten Blüthe der Dalura Aramonium der stachlige betäubende giftige Stechapfel entwickelt.
Ida von Hallmann, die jugendliche Stiefmutter Mariens, befand sich ihr gegenüber auf einem gefährlichen und zweifelhaftem Standpunkte.
Frühe verwaist war sie in einer reichen Familie als arme Anverwandte erzogen worden, aber die weibliche Seele scheint wie der Wasserdampf ihre ungeheure Kraft nur durch den Druck zu empfangen, wenigstens bestätigte sich dies bei Ida. – Die Last ihrer freude- und liebeleeren Jugend hatte Kräfte in ihr entwickelt, die nach allen Seiten hin zu wirken geschickt und bereit waren.
Herr v. Hallmann hatte Ida im Hause ihrer Verwandten, in den traurigsten Verhältnissen kennen gelernt. Aschenbrödel unter ihren Stiefschwestern konnte nicht ärger gehudelt, gekränkt und mit unnützen Arbeiten überbürdet werden, als das schöne Mädchen, welches die unnützen Arbeiten mit Fleiß und Verstand verrichtete, den Hudeleien eine milde natürliche Würde entgegensetzte und die Kränkungen mit stiller Resignation ertrug.
Herr von Hallmann war damals eben von einer Reise, die er zur Erforschung der Gebirgsschätze Mexikos gemacht hatte, als ziemlich reicher Mann zurückgekehrt, aber er war Katholik und obgleich von seiner Gattin seit Jahren getrennt, doch verheirathet.
Geschäftsverhältnisse führten ihn fast täglich in den Familienkreis, in dem ein Wesen, das sein Interesse auf den ersten Blick erregt hatte, in so edler Weise die Last des Lebens trug.
Das Gefühl der Theilnahme steigerte sich bei ihm, der selbst das Leiden kannte, allmählig zu einer tiefern Liebe, die freilich den Charakter seiner Jahre an sich trug, aber vielleicht darum eben um so inniger und dauernder war.
Obgleich über seine Lippen nie ein Wort gegangen, so glaubte er doch in Ida's Herzen eine eben so innige Zuneigung zu erkennen, eine Zuneigung, die durch die Verschiedenheit der Jahre eher erhöht, als gemindert wurde.
Er befand sich zudem in der Lage, dem verwaisten Mädchen das Glück der Selbstständigkeit, eines ruhigen friedlichen Familienlebens bieten zu können und nur ein einziges Hinderniß lag zwischen ihm und dem Glücke, das er in seiner Jugend geträumt, nachdem er vergeblich gerungen hatte – sein Glaube.
Hallmann war nicht blos Katholik dem Namen nach, oder dem jugendlichen Glaubensbekenntnisse und der Gewohnheit nach, er war es aus innerster Ueberzeugung, die er sich nach manchem Kampfe mit zu bittern Zweifeln errungen hatte.
Einziger Sohn einer vornehmen aber ganz verarmten Familie am Rhein, hatte er in seinem 20sten Jahre nach dem Wunsche seiner Eltern die sehr reiche 30jährige Tochter eines Fabrikbesitzers in Cöln geheirathet. Der Jüngling brachte in diese Ehe ein noch freies Herz und den Wunsch, seine Gattin glücklich zu machen. Leider fand er bei dieser keine einzige der Eigenschaften, die das Leben der Ehe dauernd beglücken können.
Anastasia war ziemlich hübsch, aber grenzenlos eitel; sie war sehr reich, aber auf einer Seite verschwenderisch, und auf der andern schmutzig geizig; sie liebte ihren jungen Gatten mit heftigster Leidenschaft, aber diese sprach sich weit mehr in einer ungezügelten Eifersucht, als in freundlicher Güte aus.
Schon im ersten Jahre ihres Zusammenlebens fanden Mißhelligkeiten der schmerzlichsten Art zwischen den Eheleuten statt. Mariens Geburt schien indeß das Band minder drückend zu machen; aber bald nach derselben brach die wüthende Eifersucht Anastasiens mit verdoppelter Kraft hervor. Nach 4 Jahren einer unbeschreiblich bittern Sklaverei erbte Hallmann etwa 2000 Thlr. von einem entfernten Verwandten, verließ mit diesem Gelde Europa, das ihm durch sein Weib tödtlich verhaßt war und versuchte sein Glück in der neuen Welt.
Unähnlich vielen Andern, begünstigte das Geschick den jugendlichen Abenteurer. Er erwarb nicht blos ein hübsches Vermögen, sondern der Umgang mit den verschiedenartigsten Menschen, das Leben in den verschiedensten Verhältnissen, befestigte und klärte seinen Charakter und nach 12jährigem Aufenthalt in Amerika kehrte Hallmann als ein reicher und mehr noch, als ein reifer Mann nach Europa zurück. Von seiner Gattin hatte er sich gerichtlich schon während seines Aufenthalts in Mexiko getrennt. Protestantischen Begriffen nach war er ein freier Mann, als er Ida kennen lernte, und als ein solcher ward er auch in dem Familienkreise, wo sie lebte, behandelt.
Ida jedoch wußte, daß er sich gebunden fühle und sie knüpfte keine Hoffnungen an die Auszeichnungen des reichen schönen Fremdlings, als etwa die, in ihm den sie ganz besonders schätzte, einen Freund fürs Leben gefunden zu haben.
Hallmann hatte das abgelegene P. zu seinem Wohnsitze erwählt, zuerst weil sich dort sein einziger Freund aus der Jugend, der Professor Grenzik aufhielt, dann aber auch weil es ihm dort gelungen, unter höchst vortheilhaften Bedingungen bedeutende Ländereien zu erwerben.
Die Verbesserung seiner Besitzungen und ein ansehnlicher Holzhandel, den er damit verknüpfte, mußte seinen Wohlstand bedeutend erhöhen. Freilich fehlte seinem Leben der rechte Zweck, er war unglücklich mitten in dem sich mehrenden Reichthum, aber der Stern in der Nacht seines Lebens war Ida, die er häufig sah, die mit mildem Vertrauen ihm entgegen kam und in ihm den einzigen Freund liebte, den sie auf Erden besaß.
Dies sollte indeß nicht immer so bleiben. Die Familie, in der Ida lebte, machte die Bekanntschaft eines in der Gegend neu angesiedelten Beamten, des Oberförsters Werner, der wie Herr von Hallmann für einen Heirathskandidaten galt. Da sich nun außer Ida mehrere ziemlich hübsche Mädchen, die Töchter des Hauses dort befanden, so ward auch dieser mit Freundlichkeit aufgenommen.
Es ging indeß, wie es manchmal zu gehen pflegt. Werner übersah die geputzten Damen, die vor ihm tanzten, Klavier spielten und kicherten, und richtete sein ehrliches Auge nur auf Ida, die beschäftigt im Hause hin- und herging und ernst und still keine Notiz von Allem, was um sie her vorging, zu nehmen schien. Werner, ein Mann im Amt, von angenehmern Aeußeren und bedeutend jünger als Hallmann, konnte ohne eitel zu sein, sich Ida gegenüber für eine glänzende Parthie halten. Daß er in Hallmann einen Nebenbuhler besaß, kam ihm nicht in den Sinn, und fest auf das Jawort Idas bauend, traf er seine Veranstaltungen in seiner hübschen Dienstwohnung, kaufte Möbel und Geräthe, schmückte Haus und Hof und ging dann und holte sich ein entschiedenes unvermitteltes Nein! von dem Mädchen, für das er mit rechter Herzensinnigkeit geschafft und gearbeitet.
Der junge Mann war im ersten Augenblick wirklich fast mehr erschreckt und überrascht als betrübt. Es war ihm unmöglich erschienen, daß ein armes, in Dienstbarkeit lebendes Mädchen seine Person und die mit ihr verbundenen Vortheile der Stellung ausschlagen könne.
Er erkannte keinen vernünftigen Grund von Ida's Weigerung, er konnte sich auch keinen denken. Daß sie ihn nicht liebe und ohne Liebe keine Ehe abschließen möge, kam ihm höchst abentheuerlich vor. Warum liebte sie ihn denn nicht? Hatte er nicht alle Eigenschaften einem Mädchen zu gefallen, eine Frau glücklich zu machen?
Als er aber in sein Haus trat, als er die neuen Mobilien betrachtete, auf deren blanker Politur sich sein Herz und seine Phantasie so manches Bild häuslichen Glücks gespiegelt hatte, da ward er ernst, sehr ernst und dann sehr traurig, denn er fühlte sich einsam, ungeliebt und elend.
Doch Werner war nicht der Mann, sich den Schmerz über den Kopf wachsen zu lassen; eine schlaflose Nacht, deren dunkle Augen selbst Thränen sahen, die auf das Kissen des Verschmähten fielen, machte einem Morgen Platz, an dem die Sonne einen anmuthigen Entschluß beschien.
Ich will nicht wie ein Schulbube weinen und mich beklagen, sagte Werner zu sich selbst, und da mich hier Alles an zerstörte Hoffnungen und unerfüllte Wünsche mahnt, da selbst hier der hübsche Ruhtisch mir ein schiefes Gesicht schneidet und der neue Kleiderschrank offenbar mich auslacht, so will ich den ganzen Plunder eine Zeit lang allein lassen und dahin gehen, wo man mich ganz gewiß und von ganzem Herzen liebt, zu meiner Mutter.
Er nahm Urlaub, der ihm nicht verweigert ward, und ging nach dem äußersten Norden Deutschlands, wo in einem eben so abgelegenen Winkel als sein eigenes Forsthaus, die Wittwenwohnung seiner Mutter lag.
Ida indeß bereute ihren Entschluß nicht, sie hielt was sie gethan für eine Handlung gewöhnlicher Rechtlichkeit, und die Frau, die einen Mann heirathet mit der Liebe zu einem Andern im Herzen, für wenig mehr als eine Betrügerin. Auch war sie sich bewußt, selbst ohne Abschließung einer Ehe sich die Selbstständigkeit durch eigene Thätigkeit sichern zu können, und fühlte daß sie selbst an der öden Stelle, wo sie stand, kein unnützes Mitglied des Familienkreises und folglich der menschlichen Gesellschaft sei.
Das Geschick hatte indeß den ihr wünschenswerthesten Wirkungskreis bereits für sie geordnet. Wenige Tage nachdem der Oberförster Werner seine Reise angetreten, erhielt Hallmann die Nachricht vom Tode seiner Gattin, die ihm zu der bürgerlichen Freiheit auch die kirchliche gewährte.
Ohne eine Trauer zu erheucheln, die er nicht fühlte, denn ihr früher Tod war fast das einzige Glück, was Anastasia ihrem Gatten gegeben, trat der Wittwer nun als Bewerber um Ida auf, der freudigen Braut zugleich den Pflichtenkreis in seinem ganzen Umfange zeigend, den sie als seine Gattin über sich nehmen mußte.
Ich bringe Dir meine theure Freundin, sagte er, eine Tochter, Dir an Jahren fast gleichstehend, aber wahrscheinlich an Charakter sehr unähnlich. Diesem Kinde, das ich lieblos und feige verließ, weil ich seine Mutter haßte, bin ich Ersatz schuldig für die Vaterliebe, die sie entbehrte. Hilf mir Marien das Leben in unserer Heimath so süß, so freundlich zu machen, daß sie die Mutter nicht vermißt und dem Vater die lange Vernachlässigung vergeben lerne.
Ich will es, entgegnete ihm Ida mit einem ernsten herzlichen Handschlage, und ich glaube, daß es mir vielleicht eher als vielen andern Stiefmüttern gelingen wird, denn ich kenne die Bitterkeit eines Lebens ohne Familienliebe aus eigener schmerzlicher Erfahrung.
Vier Monate nach Anastasiens Tode ward Ida Hallmann's Gattin, und so bald sie selbst sich in die neuen Verhältnisse eingewöhnt, beeilte sie sich, die unbekannte Stieftochter in die Arme des Vaters zu rufen. – Diese Zeit nach dem Tode ihrer Mutter hatte Marie in einer Klosterpension zugebracht und man durfte daher wohl glauben, daß das stille Leben im neuen Vaterhause ihr kein ungewohntes sei.
Ida erkannte indeß sehr bald, daß die Natur ihrer Stieftochter, eine ihr schnurstracks entgegengesetzte sei. Wenn damals schon Amaranth geschrieben, Marie wäre eine der brünstigsten Verehrerin Jung Walters geworden, dieses Helden, der alle Mädchen küßt und den Verstand in seinem befederten, behelmten Haupt und das Gefühl in seinem bepanzerten Herzen unter den Ausspruch eines Priesters beugt, während Ida wahrscheinlich über dies weichliche Bildniß die Achsel gezuckt und den Schatz von Talent beklagt hatte, den der jugendliche Dichter zur Verherrlichung desselben aufgewendet. Ida erschien kühl bei der ersten Bekanntschaft, Marie glühend und doch barg das stille starke Herz der Stiefmutter mehr warme Gefühle, als das weiche der Tochter.
Herr von Hallmann wünschte seine Tochter glücklich zu sehen; es schien ihm, als habe er an das jugendliche Wesen, das ihm sein Leben verdankte, eine schwere Schuld von Glück zu zahlen, und jede Freundlichkeit, jede Zuvorkommenheit, die seine Gattin Marien erwies, empfand er in doppeltem Sinn wie einen doppelten Liebesbeweis für sich.
Wohl hätte Ida manches zu tadeln, vieles zu erinnern gehabt in dem Sinn und Wesen ihrer jungen Gefährtin, aber durfte sie ihrem eigenen Urtheile ganz und gar vertrauen?
War sie nicht selbst so jung noch, waren ihre Lebensansichten doch keineswegs die allgemeinen, noch auch vollständig geprüft durch die Erfahrung. – Mariens Erziehung erschien ihr keineswegs vollendet, selbst nicht in den allergewöhnlichsten Dingen des Lebens. – Marie war träumerisch und träge, sie scheute jeden Schmerz, jede Anstrengung, sie hatte über nichts ein begründetes Urtheil und überließ sich stets den augenblicklichen Eingebungen des Gefühls.
Der Charakter ihrer Stieftochter war ein Studium für Frau v. Hallmann geworden. Aus Liebe zu ihrem Gatten, dessen Herz sie an diesem zarten Punkte besonders so gern vollständig befriedigt hätte, beobachtete sie sein Kind fast mit der liebevollen Aufmerksamkeit einer weisen Mutter, aber noch hatte sie nicht zu der Erkenntniß kommen können, wie eine solche das junge Mädchen behandelt haben würde, und hätte sie diese auch gehabt, so fehlten ihr alle die natürlichen Unterstützungen der mütterlichen Autorität, die einer rechten Mutter durch Jahre Gewohnheit und Bewußtsein, daß Niemand an ihrer Liebe zum eigenen Kinde zweifeln könne, zu Gebote stehn.
Langsam verging für das träumerische Mädchen der lange Winter, der für die thätige und glückliche Frau Flügel hatte.
Ein früher Lenz hob schon im Februar die Eisdecke von dem muntern Flüßchen, das Hallmann's Garten durchrieselte und dicht dabei sausend die Räder einer Mühle trieb. Wie helle brennende Kerzchen guckten die ersten Krokus an sonnigen Fleckchen aus der braunen duftigen Erde, ganze Nester von Schneeglöckchen breiteten sich aus an den Wurzeln der Kastanien, deren schwellende Knospen wie gefirnißt glänzten.
Herr von Hallmann begann seine Arbeiten in den Frühbeeten und Ida, eine leidenschaftliche Blumenfreundin beschäftigte sich mit der Pflege des Zimmergartens. Ohne Furcht, die Zartheit ihrer Hände einzubüßen, füllte sie von den schwarzen fetten Erdhaufen ihre Blumennäpfe, trug die Pflanzen an die Sonne, schnitt und band auf und sah zwischen den grünenden üppigen Pflanzen in der eignen rosigen Frische meistens entzückend schön aus, während Marie still und bleich wie ein leichter, vom Frühlingssonnenstrahl hervorgerufener Schatten durch die Gänge huschte, oder neben der glänzenden Erscheinung ihrer Stiefmutter stand.
Das Osterfest fiel besonders spät in diesem Jahre und zwar so, daß der 19. April, der Geburtstag Ida's mit dem ersten Feiertage zusammentraf.
Herr von Hallmann hatte zur Verherrlichung desselben eine ziemlich große Gesellschaft in sein Haus geladen, mit deren Ankunft er seine Gattin zu überraschen gedachte. Beim Professor Domherrn Grenzik ward zu diesem Zweck von der Schwester desselben gesotten und gebraten, Torten waren von dem ersten Conditor Danzigs, Herrn Kausmann, dahin addressirt und Marie und ihr junges Dienstmädchen waren häufig dort, um zu helfen oder Bestellungen von Herrn von Hallmann an seine alte Freundin Schwester Lene (wie die alte Jungfrau Helene Grenzik im ganzen Ort genannt wurde) zu bestellen.
Marie war während ihres einsamen Lebens mit der ihr gleichalterigen Dienerin vertrauter geworden, als sich das vielleicht mit der strengen Etikette vertrug. Das Mädchen war sehr hübsch, sie wäre eine seltene Schönheit gewesen ohne einen kleinen Fehler des Wuchses, der wahrscheinlichen Folge früher Vernachlässigung. Teklas Geburt und Herkunft war unbekannt. Im Cholerajahr war eine junge Frau zu Fuße mit einem Kinde auf dem Arm nach P. gekommen und wenige Stunden nach ihrer Ankunft im Kruge an der Seuche gestorben. Sie hatte nichts mit sich geführt als ihr Kind und ein wenig Wäsche, man fand kein Papier, weder Paß noch Brief und nur 6 Thlr. in verschiedenen Münzen bei. Das Kind mochte 8 Monate alt sein, sie hatte es Tekla genannt und ihrem Dialekt hatte man es angehört, daß sie eine Polin war.
In jenem schrecklichen Jahre war manche polnische Mutter flüchtig geworden und vergebens strebte man, die Verwandten des verwaisten Kindes zu ermitteln. Der Bischof erbarmte sich des kleinen Mädchens und zahlte an die Frau des Kruges eine kleine Geldsumme die die Kosten der Unterhaltung eines so jungen Kindes deckte. Tekla wuchs auf ohne Erziehung, ohne andern Unterricht als den in der Domschule. Sie kannte nicht die Pflege und Liebe, die andern Kindern zu Theil werden, obschon die gutmüthige schmutzige Frau des Kruges sie auch nicht eben mißhandelte. Im Kruge wars lustig, da tanzten Sonntags die Burschen, und Dienstags und Freitags tranken die jungen Alumnen des Klerikal-Seminars in einem besondern Zimmer ihr Bier, spielten Dame, Schach und bisweilen eine Parthie Billard. Die Heranwachsende Tekla hatte mit jenen getanzt, diesen die schäumenden Krüge mit den blanken Zinndeckeln kredenzt. Sie kannte somit die meisten der jüngeren katholischen Pfarrherren Westpreußens, die alle hier das letzte Jahr ihrer Studienzeit zubringen und meistens in dem prächtigen Dome, einem der schönsten Baudenkmale Preußens, Prämiß thun. Eine eiserne Zucht herrschte in dieser Zeit über den Jünglingen, die nur zweimal am Tage auf eine Stunde die Mauern des alten Zisterzienserklosters am Dome verlassen dürfen, um im Klostergarten frische Luft zu schöpfen und nur zweimal in der Woche in's Dorf hinab oder überhaupt aus den Räumen der Klausur kommen. – Der Bischof zwar, die oberste Behörde dieses eigenthümlichen Staates war ein humaner Mann, aber der eigentliche Aufseher des Seminars, ein Geistlicher, der den Titel Subregens führt, ein finstrer Schwärmer, der besonders jede Bekanntschaft mit einem weiblichen Wesen für einen Fallstrick des Satans hielt.
Professor Domherr Grenzik, ebenfalls Lehrer am Seminar, war der Sohn eines Bauern von jenen Gütern am Rhein, die einst der Familie von Hallmann gehört hatten. Wenige Jahre älter als der letzte Sprosse derselben, war er sein Spiel- und Schulgefährte gewesen, bis dieser in seine frühe Ehe, er in ein Priester-Seminar trat.
Lange Jahre hatten die Freunde sich zwar nicht gesehen, aber in fast ununterbrochnen Briefwechsel mit einander gestanden, bis sie jetzt sich unter so veränderten Verhältnissen wiedergefunden.
Prof. Grenzik war der beste Freund und Schützer der jungen Geistlichen. Ein Mann vom vortrefflichsten Herzen, vertrat dieses bei ihm die Stelle gesellschaftlicher Bildung, die dem Bauersohne freilich abging, auf das vollständigste, denn gesellige Bildung ist im Grunde nichts anders als die äußere Form oder der Ersatz für – die Güte des Herzens.
Marie war recht gern bisweilen im Hause des Professors. Er besaß eine Sammlung vortrefflicher Kupferstiche und einige nicht ganz werthlose Oelbilder, die er gern dem jungen Mädchen zeigte. Seine Büchersammlung war bedeutend, und obgleich sie fast nur theologische Werke und die Lebensgeschichten aller Heiligen und Märtyrer enthielt, so fand sich auch unter diesen manches, was ein Wesen wie Marien interessiren konnte. Da gab es eine Japanesische Kirchengeschichte, reich an schönen Holzschnitten und ganz erfüllt von mannichfachen Anekdoten über das Zusammentreffen des würdigen Jesuiten-Missionar, Franz Xaver mit dem Kaiser und den Eingebornen jener fernen Inseln. Da gab es die Bekenntnisse des heiligen Augustinus und das Leben der Fürstin von Gallitschin, da gab es vor allen wunderliche veraltete musikalische Instrumente, die der Professor, ein grundgelehrter Musiker, zu behandeln, und ihnen Töne voll seltsamer Süßigkeit zu entlocken wußte. Die Viole, die Gamba, die Trompet marina, und noch manches andre, von dem unsre Zeit nicht einmal den Namen weiß.
Schwester Lene, ein großes starkknochiges Mädchen, in deren Gesicht sich die dürren Zügen des Bruders in einer Umhüllung von rothem derbem Fleisch wieder fanden, war die Herzensgüte und Freundlichkeit selbst. Drei Jahre älter als der Professor, sah sie doch viel jünger aus als dieser, den sie mit einer hochachtungsvollen Liebe zugethan war. An ihr lag es wahrlich nicht, daß der arme Mann so mager und abgezehrt aussah, denn Schwester Lene verstand nicht nur das Kochen aus dem Grunde, und besorgte es mit wahrhaft herrischem Pflichteifer für ihren Bruder; sie pflegte ihn auch sonst auf alle erdenkliche Weise, sie trug ihm selbst im Sommer, wenn nur ein leichtes Wölkchen übles Wetter verkündigte, die Fuchspelzmütze nach und hatte sich so mit ihm in ihren Gedanken identificirt, daß sie von der Vergangenheit des Bruders stets wie von ihrer eignen sprach. Diese alte Dame hatte die Besorgung der Speisen für das Fest im Hause Hallmanns übernommen und Marie und Tekla liefen, so oft als möglich hinüber zu ihr, um die Fortschritte des großen Werkes zu betrachten. Truthähne wurden mit Trüffeln gefüllt, Hasen gespickt und Hühner farcirt. Die Büchsen mit Eingemachtem fanden sich wie ein geschlagnes Regiment auf allen Tischen und Schränken zerstreut, und die Geschäftigkeit Schwester Lenens hatte etwas wirklich Aengstliches, denn sie fiel in die stille Woche und beschwerte so mit einigermaßen ihr Gewissen.
Am grünen Donnerstag berief der Bischof in P. eine Ceremonie, die in diesen Tagen auch in Rom vom heiligen Vater vorgenommen wird, die Fußwaschung. Wahrscheinlich wird in Rom die Sache etwas glänzender ausfallen, aber auch dort wird aller Glanz und Pomp, dessen man fähig ist, darauf verwandt. Ida von Hallmann, die an diesem Tage in dem nächsten evangelischen Kirch-Dorfe das Abendmahl nahm, war bis zum Nachmittage von ihrem Hause abwesend. Herr v. Hallmann speiste mit seiner Tochter bei dem Professor, und Schwester Lene nahm Marie mit sich in das Refectorium, der feierlichen Handlung beizuwohnen; auch Tekla durfte auf ihr Bitten sie begleiten. Die Schwester des Professors hatte natürlich ihren bestimmten Sitz unter den Zuschauern, den sie mit Marien theilte, hinter beiden stand Tekla, deren schöner Kopf die Sitzenden überragte. Die 12 Greise, denen die Ehre der Fußwaschung zu Theil werden sollte, saßen in neuen Röcken von weißem Flanell auf einer erhöheten Tribüne, so daß der in vollem priesterlichen Schmuck eintretende Kirchenfürst ihre Füße erreichen konnte, ohne die Beschwerde des Bückens. Der mittlere Theil des Saales, in welchem schon ein sauber gedeckter Tisch für sie stand, war von dem übrigen durch eine Barrière getrennt und hinter derselben befand sich eine so große Versammlung von Zuschauern aus der Umgegend und dem Oertchen selbst, daß die Köpfe eine Art Steinpflaster zu bilden schienen, über das man möglicherweise hätte hinwegschreiten können.
Marie hatte sehr lange nicht so viele Menschen beieinander gesehn. Das Schauspiel machte ihr Vergnügen, ihre bleiche Wangen rötheten sich, ihre Augen begannen zu glänzen, sie lächelte und lächelte mit besondrer Freundlichkeit, als sie sich gegenüber, die ihn umgebenden Personen, wie weiland König Saul um eine Kopfeslänge überragend, ihren Bekannten aus jenem Passagier-Zimmer entdeckte. Ein grüner Rock mit goldenen Achselbändern stand ihm äußerst vortheilhaft, und obgleich er eingekeilt in eine Menschenmasse seinen jungen Schützling keine sehr modische und respektvolle Verbeugung machen konnte, so suchte er doch in die Neigung seines Kopfes soviel höfliche Ehrerbietung zu legen, als das bei einem Kopfnicken nur irgend möglich ist. – Marie dankte mit ihrem lieblichsten Blick und wahrlich der Blick ihrer dunklen feuchten Augen konnte unsäglich lieblich sein.
Durch eine Seitenthüre traten etwas später die Alumenen in das Refectorium, ein langer, schwarzer, ernster Zug; auch unter ihnen sah Marie ein bekanntes Gesicht, und die Augen, die schon einmal ihr so eigenthümlich erschienen, hafteten eine halbe Minute lang mit einem Ausdruck von Bekanntheit wie Vertrautsein auf ihrem Platze, der dem jungen Mädchen das Blut bis zu den Schläfen trieb.
Ihre Aufmerksamkeit auf die Ceremonie war dadurch gestört, immer wieder mußte sie nach der Stelle hinsehen wo der junge Geistliche stand, der auch von seiner Seite oft zu ihr aufblickte, obwohl es ihr schien, als gälte dieser Blick nicht ihr, sondern jemanden, der sich hinter ihr befinden mußte, ja als einen Moment lang ihre Blicke einander wirklich trafen, senkte er den seinigen und wandte sich bald darauf nach einer andern Seite.
Kennen Sie den jungen Mann der uns anblickte, fragte sie leise flüsternd ihre Nachbarin.
Es ist der Herr Oberförster aus Lichtenwerder.
Ich meine den jungen Kleriker, verbesserte sich Marie.
Ah der! das ist ein Pole, war die sehr unbefriedigende Antwort.
Die Ceremonie nahm indeß ihren Fortgang. Nach der Fußwaschung, die für Sr. Bischl. Gnaden allerdings kein eben angreifendes Stück Arbeit war, da ein junger Kaplan vor ihm her das silberne Waschbecken, ein andrer das Handtuch trug, während ein Kammerdiener in eleganter Livree mit einem Stoße andrer Handtücher zum Wechseln langsam nachfolgte, verfügten die 12 Greise sich zur Tafel, bei welcher der Bischof ihnen aufwartete. Marie sah, nachdem sie die Speisen gemustert, die man servirte, bald gar nicht mehr hin, denn jener junge polnische Kleriker fesselte ihre Aufmerksamkeit auf's äußerste. Er hatte sich an einen andern Platz gestellt und jetzt sie offenbar ins Auge gefaßt. Es war ihr, als ob sie das Brennen seiner Blicke auf ihrem Gesichte fühlen könne, sie war froh, als man endlich aufstand und die Menge sich, nach den Ausgängen drängte.
Schwester Lene hatte ihre Hand ergriffen und zog sie nach der kleinen Thür, die dem Publikum nicht geöffnet, das Ab- und Zugehn der verschiedenen Theilnehmer bei dem geistlichen Schauspiele erleichterte. Diese Thür führte nach den Kreuzgängen und durch diese nach dem Dome. Indem Marie, Schwester Lene und die junge Dienerin die haltenden Bogengewölbe durchschritten, kam von einer andern Seite die Schaar der Alumen ihnen entgegen, die eine der verordneten Andachtsstunden im Dome abzuhalten ging. Die drei Frauen traten dicht an die Seite um Platz zu machen; gesenkten Haupts ohne die Augen zu erheben, schritt die schwarz gekleidete Schaar an ihnen vorüber, der letzte derselben jener junge schöne Pole. Er hielt sich weit näher, als es unumgänglich nothwendig gewesen, an der Seite wo die Damen standen und Marie glaubte zu Boden sinken zu müssen, als sie ihn, da er an ihr vorüberkam, mit einem momentanen flüchtigen Augenaufschlag zu ihr flüstern hörte: Gegrüßt seist Du Maria!
Auch Schwester Lene hatte die Worte gehört, mechanisch sprach sie dieselben, die ersten des englischen Grußes nach und fuhr dann weiter fort: Du bist gebenedeit unter den Weibern etc.
Zu gut fühlte Marie v. Hallmann, daß das leise Geflüster des jungen Priesters kein Gebet, sondern ein Gruß an sie gewesen.
Alles Blut war ihr ins Gesicht geschossen, ihre Hände fühlten sich eisig an und ihre Knie bebten, als sie in den Dom tretend, jenen Jüngling so stehen sah, daß er die Thür, durch welche sie eintreten mußte, gerade im Auge hatte und bemerken konnte, daß er statt das vorgeschriebne Zeichen des Kreuzes zu machen, die Hand auf das Herz drückte und dann einen Kuß auf seine Fingerspitzen hauchte.
Sie kam wie träumend in das Haus des Domherrn, der seine Amtsfunctionen eben beendet.
Marien, die das Mahl mit dem Vater, seinem alten Freunde und dessen Schwester theilte, war es nicht möglich gewesen, noch einmal nach dem Namen des jungen Priesters zu fragen, und obgleich von einem Gefühl des Interesses für ihn weit lebhafter in Anspruch genommen, als dies der bloßen Neugierde möglich ist, erstarb doch das Wort in ihrem Munde, wenn sie den Versuch wagen wollte, in irgend einer Weise das Gespräch auf denselben zu leiten.
Hast Du meine Bitte überlegt, Melchior? fragte Herr v. Hallmann am Ende der Mahlzeit den Professor. Ja! war die Antwort desselben, und ich hab' schon das Meine gethan, daß Du Deinen Willen hast; Sr. Bischöfl. Gnaden haben nichts dawider und unser junger Kapelldirigent will Dir gern den Freundschaftsdienst erweisen. Er ist ein ganzer Musiker, der Jablonowsky, so eine Art Mensch, der gleichsam von Tönen zusammengesetzt scheint und obschon er die alte Musik auch selbst, so weit sie in sein Fach, die Kirchenmusik gehört, nicht zu würdigen versteht, so ist ihm großes Talent einmal nicht abzusprechen.
Werden die jungen Männer des Abends aber bei uns bleiben können?
Ist nicht möglich, der Subregens geht nicht von der Regel ab, nach dem Conzert müssen sie heim.
Marie horchte mit gespannter Aufmerksamkeit.
Ein Conzert, in dem junge Geistliche mitwirken sollten, ein solches im Hause ihres Vaters, am Geburtstage der Stiefmutter, und welcher von der schwarzen Schaar mochte Jablonowsky, der Kapelldirigent sein? Sie saß noch träumend, da als Ida von ihrer kleinen Reise heimkehrte.
Die junge Frau war bildschön in ihrer schwarzen Kleidung, ihre Augen strahlten in einem milden Glanz, als sie ihren Gatten die eine Hand, Marien die andre reichte und den alten Geistlichen und seiner Schwester mit Herzlichkeit zunickte.
Der Charfreitag und der Osterabend vergingen: Marie besuchte spät die Ausstellung des Grabes Christi, ihre Stiefmutter begleitete sie diesmal in den Dom, der nur von der Grabkapelle aus erleuchtet, sonst in schweigendem Dunkel lag.
Seltsam strömte das Licht den schweigenden Frauen durch die dunkeln Gänge entgegen. Es schien sich wie eine Masse flüssigen Goldes langsam und glänzend an den Pfeilern und Schwibbogen hin zu verbreiten, einzelne lange Strahlen verloren sich in den verschiedenen Gängen und verschwammen dort in graues Zwielicht, das endlich in tief schwarze Dunkelheit endigte. – Orgel- und Chorgesänge schwiegen, die Trauer um den Tod des Erlösers zu bezeichnen; und das Gemurmel des messelesenden Priesters verbreitete sich vermischt mit dem leisen Laut betender Einzel-Stimmen durch die weiten dunkeln Räume.
Beide Damen konnten sich unmöglich von der komödienhaft erscheinenden Ausstellung der Grabkapelle angezogen fühlen. Nach einem flüchtigen Blick auf das geschmacklose Tableaux wandelten sie in die dunkeln Gänge zurück und ergötzten sich schweigend an der eigenthümlichen Mischung von Licht und Finsterniß. Mariens Arm hing in dem ihrer Stiefmutter und leise flüsternd machte diese das junge Mädchen auf die eigenthümliche Schönheit der Scene aufmerksam.
Ohne sich bewußt zu sein weshalb, traten sie vorsichtig auf und entlockten den Steinplatten, über die sie schlüpften, keinen hallenden Laut, sie würden geglaubt haben, durch einen solchen den Moment zu entheiligen. In dunkle Mantel gehüllt, glitten sie unhörbar und unsichtbar durch die dunkeln Gänge und lehnten sich zuletzt schweigend an einen der Pfeiler nahe an der zu den Kreuzgängen führenden Pforte, als diese sehr leise geöffnet wurde, und eine große Gestalt in einem Mantel sich hindurch wand und sich fest an den entgegengesetzten Pfeiler drückte.
Eine Minute später trippelte ein Weib, die eine dunkle Kapuze über den Kopf gezogen, den Seitengang hinauf und näherte sich dem Verhüllten mit demselben bald im tiefsten Dunkel verschwindend.
Marien war es als ob beide Persönlichkeiten trotz ihrer Verhüllung ihr bekannt erschienen, die Bewegungen des weiblichen Wesens erinnerten sie in ihrer Raschheit und Rundung an die kleine Tekla, die sich an dem Abende von ihr die Erlaubniß erbeten, ein Paar Stunden im Kruge bei ihrer Pflegemutter zuzubringen. Ihr Herz schlug gewaltsam, denn in dem Manne glaubte sie den jungen schönen Geistlichen zu erkennen, der sie selbst gestern in den Kreuzgängen mit dem englischen Gruße begrüßt hatte, doch war Tekla spät Abends bei ihrer Heimkehr so unbefangen, beantwortete jede an sie gerichtete Frage mit so ruhiger Festigkeit, daß Marie den Gedanken an eine solche seltsame Zusammenkunft aufgab.
Am Geburtstags-Ostermorgen hatten sowohl Marie als Tekla alle Hände voll zu thun. Die Gesellschaftszimmer mußten mit der nöthigen Beleuchtung versehen, die Tische im Speisezimmer gedeckt und geordnet und auf Hallmanns Befehl eine Art Tribüne für Musiker eingerichtet werden.
Schwester Lene half dabei nach besten Kräften, denn die Domestiken, die Frau v. Hallmann unter ihren eignen Befehl hatte, durften, um die Ueberraschung nicht zu stören, nicht zu diesem Geschäft verwendet werden.
Es wird schön werden, wunderschön, plauderte das alte Mädchen, während Marie Blumen-Vasen und sie selbst die Speisen auf der Tafel ordnete.
Wir haben nur ein einzig Mal dergleichen Gesellschaften gesehn, als wir noch Probst in Zibtnow waren. Die Gutsherrschaft dort gab eine Tochter aus und wir waren zur Hochzeit geladen, obgleich wir das junge Paar nicht kannten, da die Herrschaften nicht zu unsrer heiligen Kirche gehörten.
Und die Musik wird schon sein, das ist gewiß, Jablonowsky kann schöne Sachen spielen und gar zu prächtig singen.
In diesem Augenblick ließ die kleine Tekla einen Salzporzellan-Teller, den sie eben auf den Tisch stellen wollte, aus den Händen gleiten und klirrend auf den Boden fallen. Die Scherben sprangen und rollten in alle Winkel und die drei Frauen bemühten sich eifrig und ängstlich sie aufzuheben. Tekla selbst, die junge Missethäterin zitterte dabei und die hellen Thränen standen ihr in den Augen.
Marie suchte sie zu beruhigen, was ihr auch endlich gelang, obgleich ihre Wangen bleich blieben, und sie von Zeit zu Zeit einen ängstlichen Blick um sich warf.
Bald nach Tisch erschienen die Gäste. Die Wagen fuhren nach Verabredung an der hinteren Gartenpforte in einer jener Vertiefungen vor, die man an diesem gesegneten Theil Westpreußens mit dem polnischen Namen Perowa bezeichnet. Man versteht darunter eine kleine Thalspalte, deren Dasein man von der Höhe aus meist nicht eher entdeckt, als bis man am Rande derselben steht.
Die ganze Gegend dort besteht fast nur aus von dergleichen Perowen getrennten Sandhügeln, und hat wahrscheinlich Aehnlichkeit mit den Steppen Amerikas, nur daß sie einen geringern Flächenraum einnimmt und mehr angebaut ist. Diese Perowe trennte den Hallmannschen Garten von dem weiten verwilderten Klosterparke an der Nordseite, während an der Westseite das kleine hübsche Flüßchen zwischen beiden durch einen tiefern und grüneren Thalgrund hinströmte.
Jenseits dieses Flüßchens, über das neben der Mühle eine kleine Brücke oder vielmehr ein Steg ohne Geländer führte, lagen die Klostergebäude mit dem Dom und weiter hinten die Wohnungen der höheren Geistlichen, Curien genannt, an die sich in einiger Entfernung das ärmliche Dorf anreihte.
Marie empfing auf des Vaters Geheiß die Ankommenden an der kleinen Gartenpforte. Es waren die Familien verschiedener Grundbesitzer der Gegend, meistens Polen. Einige Domänenpächter deutscher Herkunft, der nächste protestantische Geistliche, die Verwandten Idas und einige Justizbeamten aus den kleinen Städten, Dirschau, Mewe und Stargart. Einer der Ersten der geladenen Gäste war Mariens alter Bekannter, der stattliche Oberförster aus Lichtenwerder.
Er ließ seinen hübschen kleinen Wagen nach dem Kruge fahren und trat Marien mit der Herzlichkeit eines alten Freundes entgegen. In dem ganzen Wesen des Mannes lag etwas Schlichtes, Offenes, das fast nie verfehlt, Vertrauen und Achtung zu erwecken. Marie fühlte sich zu diesem Manne mit wirklicher Innigkeit hingezogen. Er war der erste Mensch in der neuen Heimath gewesen, der ihr einen Liebesdienst erwiesen, und seine klaren hellblauen Augen hingen mit dem Ausdruck des entschiedensten Wohlwollens an dem jungen lieblichen Mädchen.
Es ist bekanntlich eine Naturnothwendigkeit in unsrer civilisirten Welt, daß sehr große Männer stets kleine Damen und sehr kleine Männer große Damen schön finden, und nach diesem Gesetze paßten die beiden vortrefflich zu einander, denn der Oberförster Werner war ziemlich noch einmal so lang als Marie von Hallmann und obgleich er schlank erschien, so konnte kein Zweifel obwalten, daß das schwarze glänzende Bandelier, das um seine Taille geschnallt, seinen Hirschfänger hielt, doppelt zusammen gelegt noch für Mariens Taille weit gewesen wäre.
Andre Gäste folgten ihm bald, Mariens Liste war geendigt und sie wollte eben ins Haus zurückkehren, als aus dem Klostergarten, sechs Kleriker in ihrer schwarzen Tracht, durch ein Pförtchen traten, welches sonst verschlossen zu sein pflegte, sie trugen musikalische Instrumente und gingen lachend und plaudernd durch den Thalgrund nach dem Hallmannschen Garten.
Marie blieb mit zitternden Händen stehen, einer der Jünglinge war ihr Bekannter, Jablonowsky, der Kapelldirigent. Alle sechs verbeugten sich nicht ohne Schüchternheit vor der Tochter des reichen Mannes, der sie in sein Haus geladen. Der junge Pole allein zeigte ein ruhiges festes Bewußtsein seiner Stellung und geistlichen Würde und schritt neben Marien in den geschmückten Gesellschaftssaal, wo er, nachdem er sich von ihr beurlaubt, auf der Tribüne Platz nahm und seine kleine Kapelle ordnete.
Die übrige Gesellschaft hatte sich auf den Stühlen und Sophas vertheilt, der Kammerdiener des Bischofs und die kleine Tekla reichten Kaffee herum, den Schwester Lene am Büffet einschenkte; in einem eleganten Lehnstuhle saß Sr. Bischöfl. Gnaden, ein bleicher Mann mit intelligentem Gesicht und neben ihm stand Herr v. Hallmann und der Professor Grenzik.
Die Musiker stimmten und sprachen leise mit einander. Hallmann ging seine Frau abzuholen, und indem er die stattliche Gestalt Idas am Arme führend in den Saal trat, begannen sie eine Symphonie, deren volle Akkorde die Gefeierte bewillkommenten.
Eine Ausnahme in ähnlichen Fällen, war die beabsichtigte Ueberraschung wirklich und vollständig gelungen, das Fest behielt seinen freundlichen, anständigen Charakter bis zum Schlusse. Sr. Bischöfl. Gnaden brachten in eigner Person die Gesundheit der schönen Wirthin und ihres Gatten in Champagner aus. Ida sprach unbefangen und heiter mit ihrem früher abgewiesenen Bewerber, der jetzt kaum zu begreifen vermochte, daß er in dieser stolzen vornehmen Dame einst ein zurückgesetztes freundloses Mädchen geliebt hatte, und mit Augen und Seele der kleinen Stieftochter folgte, die ihm jetzt gerade das Wesen zu sein schien, daß unter seinen breiten Flügeln blühen und gedeihen könne und würde.
Marie hatte indeß kein Auge mehr für den wackern Mann, der sie sich recht eigentlich zum Augentrost erkoren.
Ihre ganze Aufmerksamkeit war von dem jungen Geistlichen in Anspruch genommen, dem Schönheit, Haltung und musikalisches Talent ihr allerdings bemerkenswerth machten.
Um 7 Uhr empfahlen sich die Kleriker. Herr und Frau v. Hallmann luden sie freundlich in ihr Haus ein, so oft ihre Zeit es erlauben würde und mit großer Artigkeit nahm Jablonowsky diese Einladung für sich und seine Comiliten an.
Die Lampen wurden in Saal und Speisezimmer angezündet als sie gingen, Teklas Hülfe wäre dabei erwünscht gewesen, aber vergebens sah Marie sich nach dem Mädchen um, das endlich mit glühender Wange aus dem Garten kam und eine Entschuldigung für ihr Fehlen mehr murmelte als sprach. Die Luft war sommerlich warm, der Mond goß sein Licht durch die Gänge des Gartens, die Tafel war aufgehoben, die Gäste empfahlen sich. Hallmann führte seine Gattin in ihr Zimmer, Schwester Lene räumte mit Tekla und den andern Dienern des Hauses ab und Marie schlich sich ins Freie.
Die Bäume standen schon zum Theil in Blüthen, ein lauer Wind trug auf seinen Flügeln die süßen Düfte der blühenden Primeln und Aurikeln, das Herz des jungen Mädchens schlug in eigenthümlicher Befangenheit. Am Abhange des Hügels, der Hallmanns Haus und Garten trägt, ist nahe am Ufer des Flüßchens, eine grottenartige Laube mit Moos und Muscheln ausgelegt. Man hat von da aus die Aussicht ins das Thal, auf Fluß und Mühle und besonders im Mondschein, wenn das Wasser funkelnd über die Speichen des Rades strömt ist das Landschaftsbild von. den grauen Hügeln, wie in einem Rahmen gefaßt, außerordentlich schön.
Hier setzte sich Marie auf die grüne Bank. Eine mächtige Ulme wurzelt dort in dem Grunde und schlingt sich an der sandigen Bergwand empor, jenen Sitz im Sommer noch durch ihren Schatten und ihr Blattgesäusel verschönernd. Jetzt freilich war sie noch fast kahl, aber an ihren Stamm gedrückt, stand regungslos eine dunkle Gestalt von Marie ungesehn. Das junge Mädchen hatte ein dunkles Tuch über den Kopf gezogen, sie lehnte sich gedankenvoll an den Baumstamm und pfiff leise die Melodie eines polnischen Liedes, das sie oft Tekla hatte singen und pfeifen hören. Da fühlte sie sich plötzlich umfaßt, ein Kuß brannte auf ihre Stirn und einige polnische Worte wurden von glühenden Lippen in ihr Ohr geflüstert.
Zum Tode erschreckt und kaum eines Wortes mächtig, wandte sie sich um und blickte in die glühenden Augen Jablonowskys, der sie fest an seine Brust gedrückt hielt. Er hatte die entstellende Tracht der Alumen abgelegt, und stand vor ihr in einem blauen Mantel von modischem Schnitt, dessen Kapuze er sich über die Locken gezogen hatte.
All ihr Heiligen schützt mich, rief Marie ihn verstört anblickend, was wollen Sie hier mein Herr, was führt Sie in dieser Stunde in unsern Garten.
Einen Moment lang war auch der Pole betroffen, seine Wangen wurden fast bleich und seine Lippen bebten, aber rasch gefaßt, setzte er sich neben Marie auf die Bank, ergriff ihre Hand und sagte:
Fräulein, das Geschick hat Sie zur Vertrauten zweier armen Menschen gemacht, haben Sie Mitleid mit uns, ich suche hier meine Schwester, ihre junge, Ihnen so sehr ergebene Dienerin.
Wie Tekla! rief Maric in tiefstem Erstaunen.
Ja, gnädiges Fräulein, Tekla ist wahrscheinlich meine Schwester.
Sie ist wahrscheinlich meine Schwester, theures gnädiges Fräulein. Auch ich bin ein Findling. Nach der Schlacht bei Praga fand ein gutmüthiger deutscher Handwerker, der in Warschau ansässig geworden, einen etwa 6jährigen Knaben blutend und ohnmächtig neben Leichen am Boden liegend. Dieses Kind war ich. Meine Mutter hatte Warschau mit mir und einer kleinen Schwester, die Tekla getauft worden, verlassen, um den Vater aufzusuchen, aber ich weiß nicht unter welchen Truppen er sich befand. Meine Erinnerungen sind sehr unzureichend, aber diese traurige Vergangenheit, und daß weiß ich, daß wir in einem Menschenstrom geriethen, daß ich Schießen, wildes Geschrei hörte, mich von meiner Mutter getrennt sah, daß ich mich wie eingekeilt in einen Menschenknäuel fand, von dem Viele bluteten, jammerten und schrieen, daß ich ein donnerähnliches Geräusch hinter uns hörte, Soldaten zu Pferde auf uns heransprengen sah und unter dem Haufen derselben das Bewußtsein verlor, welches ich erst im Hause meines Wohlthäters wiederfand.
Meine Mutter, eine Deutsche von Geburt, hatte Verwandte in Preußen, sie hat sich nach dem Tode ihres Gatten, nach dem Verlust ihres Knaben wahrscheinlich hierher gewendet und hier ihren Tod gefunden. Ich wußte meinem Pfleger damals noch soviel von meinen deutschen Verwandten zu erzählen, daß er mich nach Gnesen brachte, wo ein Geistlicher sich meiner annahm und mich erziehen ließ. Später kam ich in das Seminar, wo ich nun schon 2 Jahre weile und gleich Anfangs das verwaiste polnische Mädchen kennen lernte, dessen Geschick so viel Aehnlichkeit mit dem meinen hat, dessen Name der meiner Schwester ist und die an ihrem Halse eine Schnur trägt, wie auch ich sie trage, eine schwarze Schnur mit einem halben Ringe, davon der hier zu diesem paßt.
Marie hatte mit höchster Spannung zugehört. Und warum suchen Sie Ihre Schwester nicht öffentlich auf, warum machen Sie Ihr Verhältniß nicht Ihren Vorgesetzten, den Herrn Bischof, den übrigen Geistlichen und meinem Vater bekannt? damit sie wenigstens das Glück Sich gegenseitig zu sehen vor aller Augen genießen können.
O, mein Fräulein, sagte Jablonowsky, Sie kennen die Verhältnisse nicht, in denen ich jetzt leben muß, haben keinen Begriff von dem Mißtrauen das uns arme Alumen umgiebt. Welche Gewißheit habe ich dafür, daß Tekla mir so nahe verwandt ist? das Gefühl meines und ihres Herzens kann ich nicht vor das Gericht strenger ascetischer Männer stellen. Sie würden eine Betrügerei voraussetzen, würden – verzeihen Sie – unsre geschwisterliche Liebe mit einem niedern Namen brandmarken, würden uns trennen, mich vielleicht hart bestrafen. Nein, mein Fräulein, Ihnen kann ich mich anvertrauen, Ihr edles Herz kennt keinen Argwohn, keine Unreinheit, für alle andern muß mein Verhältniß so lange tiefes Geheimniß bleiben, bis ich entweder nöthigenfalls gerichtlich den Beweis führen kann, daß Tekla meine Schwester ist und dies dürfte sehr schwierig sein, oder bis ich selbstständiger Priester bin, wo ich dann meine Schwester anerkennen und in mein Haus als meine Wirthschafterin und Theilnehmerin meines Looses führen kann. Bis dahin – o gnädiges Fräulein – Ihre Engelszüge sprechen für die Schönheit Ihrer Seele, bis dahin sind Sie die Vertraute zweier Verwaisten. Gestatten Sie es ihrer armen Dienerin bisweilen, den eben so armen Bruder zu sehen, heiligen Sie durch Ihre Nähe in besonders glücklichen Stunden unser Beisammensein, sein Sie gnädig wie die Engel es sind, denen Sie gleichen.
Er hatte sich bei diesen Worten vor dem jungen Mädchen niedergeworfen, und ihre Knie umklammernd senkte er seine dunkeln brennenden Blicke tief in die Augen Mariens. Sie zitterte, sie weinte und ehe sie selbst noch wußte wie ihr geschehen, fühlte sie sich von den Armen des jungen Mannes wie von glühenden Schlangen umwunden, fühlte brennende Küsse auf ihren Lippen, ihren Augen, fühlte ein Herz heftig an den ihren pochen. Es schwamm ihr vor den Blicken, sie war als wäre sie nicht mehr sie selbst, ihr Blut kreiste wild in den Adern, ihre Schläfen pochten, wie trunken erwiederte sie die Küsse mit denen sie sich überdeckt fühlte, und erst die Stimme ihrer Stiefmutter, die ihren Namen rief, brachte sie zur Besinnung. Jablonowsky ließ sie los, flüsterte ihr zu: grüßen Sie meine Schwester, und war in einem Nu verschwunden, als hätte die Erde ihn verschlungen.
Wenige Minuten später stand Frau v. Hallmann neben dem bebenden Mädchen. Sie setzte sich zu ihr und schlang ihren schönen Arm um Mariens Leib.
Ich komme Dich zu suchen, liebes Herz, weil ich noch mit Dir reden möchte, sagte sie liebevoll. Manchmal ist mir wirklich zu Muthe, als ob mich etwas zu Dir riefe, hinzöge; an der Liebe zu Dir, mein Kind, fühle ich die Größe meiner Liebe zu Deinem Vater.
Marie vermochte nicht zu antworten, sie konnte nicht einmal den Händedruck Ida's erwiedern. Heftig zitternd saß sie da, und schaute in den Grund der Schlucht nieder, wo das Mühlrad sauste und brauste, und wo es ihr schien, als ob sich von Baum zu Baum sorgfältig den Schatten suchend, eine schwarze Gestalt dahin schliche. Dunkle abergläubige Gedanken stiegen in ihr auf; war jener schwarze Streif dort im Grunde der Versucher, der wie der brüllende Löwe einher geht? war die schöne, sanfte und edle Frau neben ihr, ihr Schutzengel, der sie warnen wollte vor ewigem Verderben? Sie hätte sich an Ida's Brust werfen, Ihr alles, was sie eben erlebt, bekennen mögen, aber eine kalte höhnende Stimme in ihrem Innern flüsterte ihr zu: Es ist die Verdrängerin Deiner Mutter, es ist eine Stiefmutter, die hier neben Dir süße Worte spricht, und Du hast versprochen zu schweigen! und so stand sie entschlossen auf und sagte: Es wird kühl Mama, wir wollen hinein gehen.
Frau v. Hallmann stieg hinter ihr die Burg hinauf und fragte endlich freundlich: Wie gefällt Dir der Oberförster Werner? Gut, o ganz gut!
Es ist ein vortrefflicher Mann, meine liebe Marie, ein Herz das noch uneigennütziger Zuneigung fähig ist, ein wackrer Sohn und Bruder.
Marie hatte zum erstenmal in ihrem Leben die Wirkung der Leidenschaft gefühlt und das erste selbst begangne Unrecht, gebar auch bei ihr das erste Mißtrauen. Zwar kannte sie die früheren Verhältnisse ihrer Stiefmutter nur wenig, aber sie wußte, daß diese längere Zeit mit Werner bekannt gewesen. Wie heiß sie ihn liebt, dachte sie bei sich selbst, der Himmel mag wissen, was sie für ihn fühlt.
Sie fand Tekla nicht im Zimmer, und erst lange nach ihrem Eintritt erschien diese erhitzt und ängstlich. Marie legte sich nieder und träumte wilde Träume.
Wenige Tage später bat Tekla ihre junge Herrin um die Erlaubniß, diesen Abend eine Stunde hinaus gehen zu dürfen, ihren Bruder zu sprechen. Sie sah ihr dabei mir seltsamen Blick in die Augen, so daß Marie die ihrigen niederschlug, als sie ihr Ja sagte.
Es war früh warm, sogar heiß in diesem Jahre, die Gewitter waren häufig und oft in der ärgsten Schwüle, ja beim heftigen Donner und Blitz ging das junge Dienstmädchen zum Stelldichein mit ihrem geistlichen Bruder.
Wo trefft Ihr Euch? wagte Marie einst zu fragen, Tekla legte den Finger auf den Mund und flüsterte scheu: In den Kreuzgängen, gnädiges Fräulein, dort ist's still und kühl und jeder Fußtritt eines Nahenden schallt so laut und so weit, daß man nach der entgegengesetzten Seite fliehen und durch eine der kleinen Pforten in den Dom, in den Garten, in den Seminarhof oder ins Refectorium entkommen kann.
Früher schon waren die Kreuzgänge ein beliebter Spatziergang für Marie gewesen, jetzt schien es sie mit Gewalt dahin zu ziehen.
Sie fürchtete den jungen Mann zu sehen und wünschte es doch wiederum brennend. Sie hatte gut machen mögen, was sie an jenem Osterabende verschuldet, hatte durch ein gemessenes Betragen ihm zeigen, mögen, daß – was hätte sie nicht alles. Tag und Nacht dachte sie an den jungen Priester, sie träumte von ihm, sie glaubte ihn unter den Spatziergängern eben im Klostergarten zu erkennen. Sie wäre gern Abends einmal allein in den Garten gegangen, aber ihre Stiefmutter war mehr als je um sie und wenn diese sie einmal allein ließ, so beobachtete Tekla sie mit seltsam spähenden Augen, die es ihr unmöglich machten einen Schritt zu thun, dem das junge Dienstmädchen eine falsche Deutung hätte geben können.
Endlich – schon blühten die Maiglocken, schon griffen die Kastanien mit Kinderhändchen nach dem Himmel – fand sich Marie eines Abends allein. Ida war in ihrem Zimmer und Tekla mußte bei einer häuslichen Arbeit in der Küche behülflich sein.
Marie schlüpfte in schwüler Abendluft in den Garten und nach jener Grotte am Berge. Er wird ja nicht kommen, hatte sie sich selbst gesagt und sollte er zufällig kommen, soll ihm mein Benehmen zeigen, wer ich bin.
Sie setzte sich nieder und blickte unruhig in die Thalschlucht. Er kommt nicht, sagte sie leise vor sich bin, und ihre Schläfen klopften, da sah sie an der andern Seite des Flüßchens neben der Mühle eine große kräftige Gestalt stehen, es war der Oberförster und er hatte sie in der Dunkelheit des Abends erkannt, denn er grüßte hinauf, pfiff seinem Hunde und kam zu ihr.
Ei, Fräulein Marie, das ist mir eine große Freude, Sie einmal zu treffen, ich wollte zu Ihrem Herrn Vater, aber meine Geschäfte hielten mich den ganzen Morgen und Nachmittag im Dorfe, ich hatte dort Holzlizitation und Abends wagte ich nicht einen Besuch zu machen.
Nun Sie sind gesund, das freut mich und glücklich, das sieht man an Ihren frischblühenden Wangen. Ihr Gesichtchen steht mir noch oft vor Augen so blass und verhärmt, als es bei unserm ersten Zusammentreffen in der Passagierstube war. Ich kam damals von einer ziemlich langen Reise heim und war weniger vergnügt, als ich es sonst zu sein pflege. Ich konnte Ihr sanftes bleiches Gesichtchen nicht mehr vergessen, freilich hielt ich Sie für ein armes verwaistes Kind und hatte keine Idee, daß Sie die Tochter Hallmanns, eine reiche, vornehme, junge Dame wären. Aber hören Sie, bestes Fräulein, ich bin nicht ohne Grund zu Ihnen gekommen zu dieser unschicklichen Stunde, ich war beim Professor Grenzik, da fand ich Schwester Lene in großem Eifer und Aerger. Im Seminar sind schlimme Dinge vorgekommen. Trotz aller Sorgfalt des Subregens haben etliche der jungen Burschen sich Nachts herauszuschleichen gewußt und zwar durch Grenziks Garten, dort hat man verschiedene Kleidungsstücke, Mäntel, Hüte etc. die vermuthlich zur Verhüllung der Missethäter dienten, gefunden und auch etwas daß ich zufällig genau kannte. Sehen Sie hier, er öffnete bei diesen Worten ein kleines Päckchen, das er in der Hand trug und entrollte Mariens schwarzseidenes, leichtes, altes Mäntelchen, das sie auf der Reise getragen. Fräulein, man muß Sie bestehlen und kann vielleicht einen schnöden Mißbrauch mit Ihren Sachen getrieben haben, aber ich wollte nicht, daß Ihr Name irgend, wie in dieser Geschichte, genannt würde und da habe ich denn den kleinen seidnen Mantel still wegpraktizirt, ich wollte ihn verbrennen. Wie ich Sie aber da so einsam in dunkler Nacht sitzen sehe, da fiel mir eine traurige Geschichte ein, von einem jungen Mädchen, das eine Bekanntschaft und heimliche Liebschaft mit einem Priester gehabt und ein elendes Ende gefunden hatte. Fräulein Marie, Sie sind hier so einsam, sind so jung und unerfahren, nehmen Sie es einem Manne nicht übel, der aufrichtiges Interesse für Sie fühlt, hüten Sie sich vor der Bekanntschaft mit den jungen Seminaristen. Es sind meistens Leute von niederer Herkunft; doch das würde nichts schaden, wenigstens nicht in meinen Augen, aber wie manches Gute auch sonst an den jungen Männern sein mag, sie werden recht systematisch zu Heuchlern erzogen, lernen fast nie achtbare und gebildete Damen kennen, und sind daher den Frauen gegenüber, mit denen das Geschick sie zusammenführt, entweder linkisch, blöde oder frech.
Marie war heftig aufgeregt von diesen Worten. Sie fühlte, daß sie dieselben eigentlich mit einer ernsten Zurückweisung beantworten müsse; aber ihr Gewissen regte sich, sie mußte jenes unglücklichen Abends gedenken, da Jablonowsky sie auf diesem nämlichen Platze getroffen, sie mußte sich selbst sagen, welche ungeheuere, fast bezaubernde Macht dieser junge Mann über sie so plötzlich gewonnen, und dennoch fühlte sie, daß sie in gewisser Weise unschuldig an dem Verdachte sei, der durch das Vorhandensein ihres Mantels an einem so seltsamen Orte über ihr schweben konnte.
Ein schwerer Kampf erhob sich in ihrer Seele. Sie wünschte sich in den Augen ihres freundlichen und theilnehmenden Gefährten zu reinigen und konnte dies doch nicht anders, als durch vollständige Offenheit, durch die sie allerdings ein ihr anvertrautes Geheimniß verrathen mußte.
Sie schwieg und hielt die Thränen zurück, die ihr das Herz beklemmten.
Werner küßte ihre Hand, legte den leichten Mantel über ihre Schultern und entfernte sich mit einem herzlichen: Gott schütze Sie, mein Fräulein.
Auch sie stand von ihrem Sitze auf und ging nach Hause, aber in ihrem stillen Zimmer regte ihr Herz sich in tausend bangen Gefühlen!
Morgen schon konnte ihr Vater vielleicht erfahren, daß ihr Name in einer nicht sehr ehrenhaften Beziehung zu den jungen Seminaristen, deren Thun und Treiben man mit Strenge zu erforschen suchte, genannt wurde. Und wenn es eine Wahrheit gewesen, was ihr Jablonowsky über sein Verhältniß zu ihrer jungen Dienerin erzählte – wie sie zu glauben geneigt war – so konnte es ja nur zu seiner eigenen und des Mädchens Entschuldigung dienen, wenn sie den Ihrigen mittheilte, was sie auf so seltsame Weise erfahren.
Aber ihr Vater! sie kannte seine strengen Rechts- und Anstandsbegriffe, was würde er sagen, wenn sie ihm ihr Gespräch mit Jablonowsky im Dunkel der Nacht erzählte? wie würde er gegen den jungen Mann auftreten, gegen die arme kleine Tekla. In Todesbangigkeit ging sie in ihrem Zimmer auf und nieder. Sie hatte das Licht ausgelöscht, der Mond war untergegangen. Eine schwüle Hitze war im Zimmer. Ein Fensterflügel war offen geblieben und aus dem Garten wehten süße betäubende Düfte herein. Sie stellte sich an das offene Fenster, denn die flatternde Gardine verbarg ihre Gestalt; da hörte sie leises Geflüster, sie konnte nicht irren, es war Jablonowsky, der polnisch mit Tekla sprach, die heftig weinte.
Zwei, drei Mal hörte sie ihren Namen nennen, es war Tekla, die ihn händeringend aussprach, während Jablonowsky sie zu beruhigen, ihr zuzureden schien.
Aber fast im nämlichen Augenblicke öffnete sich leise die Thür, eine schlanke weiße Gestalt schlüpfte in das Zimmer, beugte sich leise über Mariens Bett und schrak zusammen, als sie es leer fand; dann flüsterte eine milde bekannte Stimme: Maria, wo bist Du, Maria?
Mutter! beste Mutter! sagte das junge Mädchen, ihre Arme um Ida's Hals schlingend, o wie freue ich mich, Dich zu sehen.
Ihr Gefühl war in diesem Augenblicke wahrhaft das einer Tochter gegen eine liebevolle Mutter, der sie vollkommen vertraut.
Was ist Dir, mein Kind? flüsterte Ida, was erregt Dich so heftig? Du hast Dein Bett noch nicht berührt, Deine Stirne glüht und Deine Hände sind eiskalt.
Maria küßte mit Inbrunst die weichen Hände, die die ihrigen zu erwärmen sich bemühten, und ihre Thränen fielen auf dieselben.
Dich sendet Gott, o Dich sendet sicher die heilige Jungfrau zu mir, die ich eben um ihren Schutz und ihren Beistand anflehte. Theuerste Ida, – aber horch! horch! welch' ein Geräusch? Die Gartenthür wird geöffnet, sagte Ida leise, man schleicht über den Korridor; was geht hier vor, mein Kind?
Es war Tekla, die in ihre Kammer schlüpfte. Ida zog ihre Pflegetochter auf das Sopha, setzte sich zu ihr, schlang ihren Arm um sie und sagte: Maria, Du bist des Mannes Kind, den ich nicht blos mit tiefster Innigkeit liebe, sondern dem ich auch für ein schönes Loos zur Dankbarkeit verpflichtet bin; Deine eigene Mutter ist bei Gott; aber wenn sie vom Himmel auf uns niedersieht, so muß sie wissen, wie gut ich es mit Dir meine, wie gern ich auf Dich die Schuld der Liebe, die ich gegen Deinen Vater fühle, übertrage. O denke, es sei eine Mutter, es sei eine ältere Schwester, die zu Dir spricht, und vertraue mir, mein Mädchen, hier ist nicht Alles, wie es sein sollte: was bedeuten Deine nächtlichen Spaziergänge, Dein Schlüpfen durch die unheimlichen Kreuzgänge? Was bedeutet Dein später Aufenthalt im Dome, was will der junge Kleriker hier in den Nachtstunden im Garten? Armes, unglückliches Mädchen! seit Wochen beobachte ich Dich, aber noch nie gelang es mir, Dich auf der That zu finden. Und selbst heute, wo Dein Bett nicht berührt ist, in dem ich Dich sonst stets, dem Anscheine nach, tief schlafend fand, werde ich wieder erfahren, daß man Dich an unheimlichen Orten gesehen; selbst jetzt finde ich Dich wenigstens im Zimmer, während jener grause Gast durch den Garten flieht.
Sie zeigte bei diesen Worten hinaus, wo eben ein Schatten, dunkler als die Gebilde dunkler Nacht zwischen den Bäumen durchschlüpfte.
Marie schwieg; sie mußte den Kopf mit der Hand halten, denn er drohte ihr zu springen. Welche furchtbaren Anklagen erhoben sich gegen sie; wie sehr mußte der Schein wider sie zeugen, wenn die Auffindung ihres Mantels mehr Zeugen, als den wackern Oberförster hatte.
Meine Tochter, Kind meines Gatten, sagte Ida mit unsäglicher Milde, o vertraue mir, wie Du Deiner Mutter vertraut hättest. Liebst Du, liebst Du irgend einen jener Jünglinge, die wohl nur darum so leicht und gerne die Schleichwege suchen, weil Ihnen die offenen geraden versperrt sind? Du bist reich, Maria, Dein Vater ist gütig und frei von Vorurtheilen; er wird Deine Liebe segnen und unterstützen, wenn der Gegenstand derselben nur irgend seiner Achtung würdig ist. Ein Rücktritt aus jenem finstern Kerker ist bei einigen Geldmitteln nicht unmöglich, nicht einmal schwierig. Ich hatte zwar einen Traum, einen Wunsch, der sich auf Dich bezog und mich einer Schuld entledigt hätte: wenn aber Dein Herz gesprochen hat, o meine Marie! so sprich Dich aus, sei offen und ich will Dein Glück und Deine Ehre sichern.
Mutter, o Gott Mutter! sagte Marie, ich weiß nicht, was ich Dir antworten soll. Ob ich liebe, kaum weiß ich es selbst; mir ist, als ob mein Herz brennte, als ob eine Macht, die stärker ist als ich, mich zu ihm hinzöge; wenn die Bangigkeit, die ich in seiner Gegenwart empfinde, wenn das Pochen aller Adern, wenn ich ihn sehe, Liebe ist – ja dann liebe ich ihn! –
Wen, Marie?
Jablonowsky, meine Mutter.
Und warum vertrautest Du Dich nicht den Deinen? warum gingst Du so lange, so oft verbotene Wege, da es doch wenigstens nicht unmöglich – sogar höchst wahrscheinlich war, daß ein vertrauendes Wort, Dein und Deines Geliebten Glück sichern konnte.
Mutter, entgegnete das Mädchen unter heftigem Weinen, ich bin weniger schuldig, als Du zu glauben scheinst; obgleich nicht so schuldlos und rein, als ich es wünschte, um Eurer Liebe werth zu sein. Zuerst fand ich es hier in dieser stillen und geregelten Häuslichkeit langweilig; ich sehnte mich nach Aufregung, nach Zerstreuung, und es war mir ein Vergnügen, es war mir wie das Lesen eines seltsamen Buches, die jungen Männer zu beobachten, die in Verhältnissen leben, welche sie von allen übrigen Menschen trennen und unterscheiden. Jablonowsky war mir schon aufgefallen, ehe ich noch in das Vaterhaus trat. Er ist so scheu und so – so – ach Ida, ich weiß nicht, wie ich ihn bezeichnen soll! Ich sah ihn manchmal von Weitem; er grüßte mich und an Deinem Geburtstage Abends ganz spät traf ich ihn im Garten, da – Mutter, da fühlte ich mich wie trunken, wie bezaubert neben ihm, da erzählte er mir, daß unsere Tekla seine Schwester sei, daß er sie bisweilen heimlich sehe. Mutter, liebe Mutter, er hat mich geküßt, mir Liebesworte ins Ohr geflüstert, aber vor und nach diesem Abend habe ich ihn nie gesprochen.
Marie, sagte Ida, armes Kind, ich weiß nicht, was ich von diesem Allen denken soll; man hat Dich lange vor dem Osterfeste mit einem Manne, in dem Einige den Polen erkennen wollten, an verschiedenen einsamen Orten gesehen. Glaubwürdige, rechtschaffene Menschen haben mir dies gesagt, haben mich aufmerksam gemacht, auf das Unglück, dem Du in der Verbindung mit einem wahrscheinlich sittenlosen Menschen entgegengingest. Ich selbst habe Dich durch den Garten schlüpfen sehen wie alles schon schlief, ich habe eine verdächtige Gestalt das Haus umstreifen sehen. Soll ich nun meinen Augen oder Deinen Worten glauben.
Das junge Mädchen rang bebend die Hände. O Mutter, Mutter, glaube mir, glaube mir, rief sie wie außer sich, ich habe gefehlt, ich habe meinen Fehler gestanden, ich sage es Dir noch einmal, kaum weiß ich ob ich diesen Mann liebe, aber ich weiß, daß er eine seltsame Macht über mich ausübt, daß mir in seiner Gegenwart zu Muthe ist, als zöge er mein Herz aus der Brust zu sich hin, als wüßte er mit seinem Blick mein Blut sieden zu machen, gesprochen habe ich ihn nur einmal, aber ich glaube, daß unsre Tekla, die seine Schwester ist, meine Kleider getragen hat, ist doch auch mein Mantel im Garten des Domherrn Grenzik gefunden worden.
Großer Gott, von wem? fragte Ida.
Vom Oberförster Werner, er brachte ihn mir.
Werner ist ein Ehrenmann, sagte Ida und jenes Geheimniß ist bei ihm sicher. Aber noch einmal Marie, um Gottes willen, um Deines zeitlichen Glücks, um Deines ewigen Friedens willen, sei wahr. Wenn Du diesen jungen Mann liebst, will ich alles thun ihn durch Deinen Vater in eine Lage bringen zu lassen, wo er sich Deinen Besitz mit der Zeit erringen kann, wenn er dessen würdig ist, was auch geschehen ist, sei wahr gegen mich, Marie.
Möge mich Gott in der Noth verlassen Mutter, wenn ich Dich täusche, sagte Marie. Es muß sich ausweisen, daß ich schuldlos bin wenn diese ganze Angelegenheit untersucht wird, zu dem, Tekla ist seine Schwester, er selbst hat mir das gesagt, und wenn er jetzt vielleicht in eine andre Lebensbahn tritt, so könnte er sie anerkennen, und wir wollen ihr eine bessere Zukunft zu bereiten suchen, als ein Leben, wie das der Schwester Lene.
In diesem Augenblick war's den Beiden, als ob sie oben über dem Zimmer in Tekla's Kammer einen Schrei und ein Wimmern hörten.
So müde Marie auch war, so konnte sie doch nicht einschlafen. Es war ihr bang und unheimlich zu Muthe und überdies hörte sie Tekla bis zum Morgen hin und her gehen. Endlich als schon der Tag angebrochen, entschlummerte sie und schlief nun fest aber von bösen Träumen geängstigt.
Sie erwachte über dem heftigsten Donnerschlage, den sie je gehört zu haben sich erinnern konnte.
Die Veste der Erde schien davon zu erbeben, es schien ihr, als ob Tische und Stühle sich vom Boden erhöben und wieder niederfielen, ein bleifarbiger Himmel sah drohend in das Fenster und dabei lag noch eine drückende Stille und Schwüle in der Luft, kein Regentropfen sank zur Erde, keine Windsbraut beugte die Kronen der alten Bäume.
Marie sprang heftig erschrocken empor und rannte ans Fenster. Da zuckte noch ein fahler Blitz hernieder und ein ähnlicher gräßlicher Donner, wie der erste durchbebte noch einmal die Luft, im gleichen Moment sah sie aus der Schlucht, deren Tiefe sie von ihren Fenster aus aber nicht erblicken konnte, eine bläuliche Rauchsäule empor wirbeln, und eine Minute später züngelte eine gelbe Flamme an ihr empor. Großer Gott, es brennt in der Mühle, sagte das junge Mädchen in Todesbangigkeit. Im Hause ward es zugleich lebhaft, der alte Diener ihres Vaters rannte die Treppen hinab, Frau von Hallmann trat bei ihrer Stieftochter ein.
Ein gräßlicher Tag, liebe Marie, sagte die junge Frau gefaßt, wirf einen Morgenmantel um und komm mit mir in Deines Vaters Zimmer, man ist ruhiger bei solchen Ereignissen, wenn man bei einander ist und für kein geliebtes fernes Haupt beben darf.
Marie that mechanisch wie ihr geheißen und fand sich bald darauf an der Seite ihres Vaters, der sich eilig ankleidete, um zu der Brandstätte zu eilen, wohin er auch den Diener und den Kutscher ihm zu folgen befahl.
Ein furchtbarer Regenguß, der jetzt niederzuprasseln begann, vereint mit einem plötzlich und mit gräßlicher Wuth aufspringenden Sturme, machte den kleinen Pfad an der Bergseite schlüpfrig und fast gefährlich. Eine Menge Menschen hatte sich um das vom Blitze entzündete hölzerne Wohngebäude des Müllers versammelt, auch die Alumnen eilten in ihren langen, schwarzen, sie bei jedem Schritt hindernden Kleidern den Berg hinab. Das Feuer schlug lohend zum Himmel auf, der Wind heulte, der Donner rollte, der Regen goß in Strömen nieder und der kleine Bach schwoll mit rasender Heftigkeit von Minute zu Minute an, überfluthete die kleine Brücke, füllte tobend mit trüben schlammigem Wasser die Schlucht an und zertrümmerte in wildem Rasen das Mühlwerk.
In diesem wüthenden Aufruhr der Elemente übernahm Hallmann das Commando bei den Versuchen das Feuer zu löschen. Alle anwesenden Männer stellten sich dem Tüchtigen und Erfahrenen zu Gebote, auch die jungen Geistlichen thaten es und mit Hülfe des niederströmenden Regens, mit Hülfe der heranbrausenden Fluth des Baches ward man in Kurzem Herr des Feuers. Während die Männer sich auf diese Weise beschäftigten, suchte Marie mit einem eigenthümlichen bangen Gefühl ihr junges Dienstmädchen in Haus und Garten.
Ida war ihr dabei behülflich, aber beide fanden keine Spur von ihr. Ihr Bett war unberührt geblieben, ihre Kleider hingen alle in ihrem Schranke, eine kleine Geldsumme fand sich in ihrer Truhe, wo auch jener halbe Ring an einer schwarz seidenen Schnur befestigt, ihr polnisches Meßbuch und ihr Rosenkranz lag. Sie konnte eben nur wie sie ging und stand sich aus dem Hause entfernt haben, in das nach Verlauf einiger Stunden Herr von Hallmann triefend von Regen, der noch nicht nachließ, und von der Anstrengung ziemlich erschöpft in Begleitung seiner beiden männlichen Domestiken zurückkehrte. –
Das Feuer hatte nur geringen Schaden gebracht, die Wasserfluth einen desto größeren, mehrere von den Schleusen waren in ihren Grundwerken unterspült und zerstört, so daß man einzelne Theile derselben durch den Strom fortgerissen, schwimmen sah.
Am folgenden Tage als endlich das Gewitter, das ziemlich 24 Stunden getobt, nachließ, bot die einst so freundliche Mühle im Thalgrunde einen traurigen Anblick dar. Sperrwerk und Räder hingen und lagen unordentlich und lose über einander, das Wasser hatte die Pflasterung vor dem kleinen Wohnhause unterspült, die Steine lagen wüst und spitzig vor der Schwelle, vor der die Fluth die kleine Treppe fortgerissen, die Thür klaffte lose in einer Angel, während die Fenster vom Feuer zersprungen waren, welches das Dach geschwärzt und zum Theil auch zerstört hatte.
Die Arbeiten zur Wiederherstellung des Gebäudes konnten noch nicht sogleich beginnen, da es nicht rechtskräftig zu ermitteln war, ob das Domkapitel oder der Müller für den Schaden, den das Wasser angerichtet, aufkommen mußte, den Feuerschaden trug die Assekuranz; so stand denn Wochen lang die wüste Ruine in der Thalschlucht. Tekla war spurlos verschwunden, alles Forschen nach ihr vergebens. Ihre Pflegeältern, die Krugbesitzer, zuckten die Achsel, wenn man nach ihr fragte und meinten, sie würde wohl für sich selbst gesorgt haben, sie hätte ihres Wissens Verbindungen gehabt, bei denen sie für ihre Zukunft nicht weiter besorgt gewesen.
Ueber die Vorfälle im Seminar herrschte ebenfalls ein tiefes Schweigen.
Auch Jablonowsky war verschwunden für das Publikum, es hieß, er wolle in einer andern Diözese seine Primiz Ablegung des geistlichen Gelübdes, welche fast wie eine Hochzeit von Verwandten und Freunden gefeiert wird. halten. Heimlich aber flüsterte man sich zu, er sei in eine bekannte Strafanstalt für Geistliche gebracht worden.
Im Hause Hallmanns beruhigte man sich ziemlich über das Verschwinden des jungen Dienstmädchens, nur in Mariens Brust kehrte die Ruhe nicht ein. Allmählich hatte sie sich mit ihrer Stiefmutter genau über ihr Benehmen und Verhältniß zu dem abwesenden Seminaristen verständigt. Die milde und nachsichtige Ida tröstete sie über ihre augenblickliche Verirrung, dem Himmel dankend, daß dieselbe nicht zu einer längeren und festeren Verbindung mit diesem jungen Mann geführt, dessen Charakter jedenfalls in einem zweifelhaften Lichte erschien.
Ein feuchter, kalter und unfreundlicher Sommer folgte dem glühenden Frühling. Die Familie Hallmann war durch das Wetter auf ihre Zimmer beschränkt, und nach der einen großen glänzenden Gesellschaft wieder auf sich selbst verwiesen. Ida und Marie aber traten einander täglich näher. Die junge Stiefmutter belehrte ihre fast gleichaltrige Tochter nicht blos über die Regungen von Mariens eigenem jugendlichem Herzen, sondern auch über viele Dinge, an denen diese früher mit Gleichgültigkeit vorüber gegangen.
Die Arbeiten an den Kohlengruben wurden durch Ida's vortreffliche Belehrungen, dem jungen Mädchen jetzt plötzlich interessant. Und nicht blos hier, sondern aus allen Seiten eröffnete sich für sie eine neue Welt, durch Kenntnisse, die sie sich unter Ida's Leitung mit Leichtigkeit aneignete. Die beiden Freundinnen lasen nicht mehr blos Romane, die sich einzig um Gefühle drehen, deren Erwachen in der Brust der Jungfrau man besser der Zeit überläßt, sondern Bücher, die sie in schönere Geheimnisse, als die des schwachen weiblichen Herzens einführten, in die heiligen Geheimnisse der schaffenden Natur.
Marie begann, wie ihre Stiefmutter Blumen zu ziehen und zu pflegen, sie lernte das ahnungsvolle Leben und Weben der Pflanzenwelt beobachten und lieben. Sie betrachtete den Mond nicht mehr blos als den bleichen Vertrauten ihrer Träume und Gefühle, sondern als den stillen Begleiter der heimathlichen Erde. Der Sternenhimmel erschloß ihr seine heiligen Geheimnisse, und ehe noch der Sommer zu Ende ging, war das träumerische, sich in Sehnsucht nach Zerstreuung, nach einem unbekannten Glück verzehrende Kind zu einer denkenden, thätigen, glücklichen Jungfrau geworden, zur innigsten Freundin und Verehrerin ihrer Stiefmutter, zur anbetenden Tochter ihres verständigen durch Studium und Leben hochgebildeten Vaters. –
Eines nur lag bisweilen trüb auf Mariens Seele, das Andenken an Werner, der gänzlich die Familie von Hallmann vermied. Zwar wußte sie, daß dieser Mann einst um Ida geworben, aber sie wußte auch und nicht blos die freundliche Stiefmutter, sondern das eigene Herz sagte es ihr, daß er sich auch für sie lebhaft interessirt, und das Interesse nur aufgegeben, als er sie in andere Bande verstrickt geglaubt.
An den jungen, schönen, seltsamen Jablonowsky dachte Marie wie an ein dunkles Räthsel. – Je mehr sie alle einzelnen Umstände erwog, je weniger schien es ihr wahr, daß er Tekla für seine Schwester gehalten. Ein kleiner Umstand bestätigte sie in ihrem Argwohne, der nämlich, daß die Krügerfrau versicherte, das bei ihr zurückgebliebene Kind habe kein, gar kein Erkennungszeichen an sich gehabt und von einer Ringhälfte als Erbe der Mutter sei ihr durchaus nichts bekannt, obgleich sie eine solche später um Tekla's Finger gesehen.
Schwester Lene und der alte Diener ihres Vaters versicherten auf Ida's und Marie's Befragen einstimmig, daß sie Marie häufig in ihrer gewöhnlichen Kleidung mit einem Alumen an abgelegenen Plätzen gesehen, sie beide belauscht und sich nur darüber gewundert hätten, sie polnisch mit einander sprechen zu hören. Der alte Diener war es auch, den Ida von diesem Umstande benachrichtigt und sie gebeten hatte, das Kind seines Herrn zu warnen, zu bewachen.
Wie gern hätte Marie sich von dem Verdachte gereinigt, den Werner nothwendig über ihre Sittlichkeit gefaßt haben mußte. Je mehr sie fortschritt in wahrer und ächter Bildung, je thätiger und besser sie wurde, um so lebhafter fühlte sie, wie viel Schwäche und Niedrigkeit des Herzens zu einer heimlichen und so auf alle Weise unerlaubten Liebschaft, als Werner sie bei ihr vermuthen konnte, gehöre.
Ihr graute jetzt vor dem schönen Jünglinge, dessen Zauber sie einstens ohne Ida's Aufmerksamkeit auch leicht hätte erliegen können, und schmerzlich bedauerte sie das arme, junge, unerzogene Mädchen, das in seiner Herrin höchst wahrscheinlich eine begünstigte glücklichere Nebenbuhlerin vermuthet hatte. Daß wahrscheinlich – denn wie sie sich später überzeugte, konnte man von Tekla's Kammer aus jedes in ihrem Zimmer gesprochene Wort verstehen – in der verhängnißvollen Nacht ihres Verschwindens geglaubt, der Mann, dem sie ihr Herz in der Hoffnung hingegeben ihn einst unter Bedingungen, die freilich nach geregelten Begriffen nicht ehrenhaft sind –, anzugehören, würde der Versuchung, die sich ihm in der Liebe ihrer Herrin darbot, die ihm Freiheit und Reichthum geben konnte, nicht widerstehen. – In einer früheren Epoche ihres Lebens würde Marie der heiligen Jungfrau ein Gelübde gethan haben, damit diese ihre Unschuld an's Licht bringe. Jetzt betete sie still zu dem Gott, der in's Verborgene sieht, und strebte so zu fühlen und zu denken, daß dies allsehende Auge nichts Unreines, nichts Unedles in ihr finde. Sie bemühte sich zu tragen, was das Schicksal ihr auferlegt und so eine Schuld zu sühnen, die leise mahnend auf ihrem Herzen lastete.
Der einige Zeit verzögerte Bau der Mühle sollte vor dem Herbste noch ausgeführt werden. Ein Baumeister war zu diesem Zweck herbeigerufen worden, der sowohl mit Herrn von Hallmann als dem Oberförster Werner in Berührungen kam, mit letzterem besonders wegen der Bauhölzer, die zum Theil der Fiscus zu liefern hatte. Die Untersuchungen der Sachverständigen hatten ergeben, das namentlich das Abflußgerinne der Freischleuse zerstört sei. Schon in früheren Zeiten war dasselbe zur Erhaltung des ganzen Werkes und besonders zur Erhaltung der schon früher schadhaften Spundwände durch Faschinenpackungen gesichert worden. Theilweise hatten die Spundwände dadurch auch dem letzten ungeheuren Wasser widerstanden, das indeß große Lücken in die Verpfählung gerissen.
Die Arbeiten begannen mit der Aufnahme des Schleusenbodens und Werner und der Baumeister waren dabei zugegen. Unter den Händen der rüstigen Zimmerleute ward die dunkle Tiefe allmählich sichtbar.
Die Sonne stand lachend am Himmel und ihr goldenes Licht fiel endlich auch in jenen feuchten Grund, ihn lieblich erhellend.
Aber ein Schrei des Schreckens und Grausens entwand sich der Brust aller Anwesenden, denn Gottes schönes Licht beschien einen Gegenstand so finster und grausig als die Phantasie ihn sich nur träumen kann, eine weibliche Leiche, an der die Zerstörung bereits so weit ihr Werk geübt, um die Gesichtszüge unkenntlich zu machen. Aber die Kleidung, meistens Seide, hatte der Einwirkung der Verwesung widerstanden. Werner kannte diese Gewänder, sie gehörten Marien; doch nicht ihr jugendlicher Leib war es, der hier seine Bestandtheile der Erde wiedergab; denn Marie ging im nämlichen Augenblick an Idas Arm oben im Garten ihres Vaters spatzieren und dieselbe Sonne, die die Leiche in der feuchten Tiefe beschien, lächelte in ihr sanftes jugendliches Gesichtchen. Werner konnte sehen, wie der leichte Wind ihr die dunkeln Locken von der reinen Stirn wehte, während unten neben ihm sich das dunkle lange Haar der Leiche wirr um einen Pfahl geschlungen hatte. Ein heftiges Grausen erfaßte das sonst so muthige Herz des Oberförsters. Er erbleichte, und mußte alle seine Seelenkräfte aufbieten, um nicht nieder zu stürzen. In diesem schrecklichen Augenblick fühlte er erst deutlich wie theuer ihm Marie gewesen. Er ward sich klar bewußt, wie er um ihren Verlust zwar getrauert, an der Möglichkeit desselben aber immer noch gezweifelt hatte, wie er sich nur mit dem Gedanken an sie seit vielen Monaten fast ausschließlich beschäftigt hatte, aber er sah es jetzt auch mit voller Klarheit, daß die Gerüchte, welche ihm Zweifel über ihren Charakter eingeflößt hatten, unbegründet gewesen, daß ihre verschwundene polnische Dienerin für sie gesündigt hatte und für sie gestraft war.
Das ganze Oertchen gerieth durch die Auffindung der Leiche in heftigstem Aufruhr. An dem halben goldnen Ringe an ihrem Halse, dessen seidne Halteschnur ebenfalls noch unzerstört geblieben, an den Zeichen in ihrer Wäsche, dem sehr langen schwarzen Haar und an einem Doppelzahne, der dem einst so frischen Munde der kleinen Polin einen so hübschen neckischen Ausdruck gab, erkannte man mit voller Sicherheit das verschwundene Dienstmädchen Mariens. Immer aber blieb es unentschieden, ob das arme Kind an jenem furchtbaren Gewittermorgen sich freiwillig in die dunkle tobende Fluth gestürzt, oder ob sie von dem Stege geglitten und so ihren frühen Tod gefunden hatte.
Marie und Ida vermutheten das Erstere, da sie die Vorgänge der Nacht und ihre eignen Gespräche während derselben kannten.
Im Publikum nahm man das Letztere an; die Geistlichkeit begrub die Leiche mit altem Gepränge ihrer Kirche, und Mariens heiße Thränen flossen auf den kleinen Grabhügel.
Die Unschuld der jungen Herrin ward durch den Tod der Dienerin, die in der Kleidung derselben gefunden worden, ans Licht gebracht. Die Polin hatte sich zu ihren Zusammenkünften stets dieser Kleidung bedient um jeden Verdacht von sich abzulenken, vielleicht auch um im Fall einer Entdeckung auf größeren Schutz bei ihrem Entfliehen rechnen zu können. – Jablonowsky blieb verschollen.
Der Oberförster Werner aber besuchte von da an fleißig das Haus Hallmanns und war, ehe ein Jahr verfloß, der Verlobte der lieblichen Marie und der Vertraute ihrer ersten flüchtigen Gefühlsverwirrung.
Jetzt erst neben einem wackern verständigen Verlobten fühlte sie ganz, welchem Abgrunde sie nahe gewesen, aber sie liebte den Mann, der ihr bei ihrem ersten Eintritt in neue Lebensverhältnisse als helfender Freund erschienen war, der in allen Verhältnissen des Lebens klar dachte und rein fühlte, mit innigster, achtungsvollster Zärtlichkeit.
Mehrere Jahre nach ihrer Verheirathung machte Werner mit seiner Frau eine Reise nach ihrem heimathlichen Rheine. Ihre zwei allerliebsten Kinder waren wohl versorgt unter der Aufsicht der Großmama, die der Oberförster in sein Haus genommen und in der seine Frau sehr bald eine wahre Mutter liebte.
In Cöln hatte Marie am Grabe ihrer Mutter gebetet, sie hatte alle Plätze ihrer Kindheit, alle ihre Jugendgefährten aufgesucht und befand sich mit ihrem Gatten auf dem Dampfschiff, das sie nach Mainz führen sollte.
Sie standen zusammen auf dem Verdeck unter einer Gesellschaft von Herren und Damen, die das Rheinufer betrachteten und sich in mancherlei Explicationen über ihre Schönheit ergossen. Am andern Ende des Fahrzeuges saß unter verschiedenen ärmern Passagieren eine Anzahl böhmischer Musikanten. Die Leute trugen Hüte mit Federn geschmückt und eine Art Uniformen; es waren ältere und jüngere Männer darunter, sogar ein Paar weißhaarige Knaben. Einer aber fesselte die Aufmerksamkeit Mariens besonders. Ein schlanker Mann von feiner Taille, dessen schlichtes schwarzes, wie Atlas glänzendes Haar, das unter dem Federhut hervorsah, seltsame ängstliche Erinnerungen in der jungen Frau erregten. Auch während er sein Instrument, das Klapphorn spielte, wandte er der Gesellschaft unter dem Zelte entschieden den Rücken, doch auf die Aufforderung des Aeltesten der Musikanten ging er mit dem Notenblatt unter den Reisenden umher. Marie stützte sich ängstlich auf den Arm ihres Gatten; es konnte keinem Zweifel unterliegen; Jablonowsky war es, der vor ihnen stand, das Notenblatt in der Hand, den Hut unter dem Arm.
Werner legte ein Geldstück zu den Silbermünzen der andern. Und sie Madame sagte der Pole, doch Sie eigentlich haben mich am reichsten beschenkt, denn durch Sie erhielt ich, wenn auch mittelbar, meine Freiheit aus einem Joche, das die Armuth meiner jugendlichen Thorheit aufgebürdet hatte. Freiheit, Madame, Freiheit um jeden Preis, war damals mein Wahlspruch und ist es noch heute.
Marie zitterte wie Laub. Teklas bleicher Schatten schien vor ihr aufzutauchen, der bildschöne lächelnde Musikant kam ihr wie ein finsterer Mörder vor.
Und ihre Schwester? fragte sie leise.
O Madame, daß ist ein dunckles Blatt in meinem sonst hellen und lustigen Leben. Ich hätte sie mit mir genommen die arme Kleine, die mir mit Leib und Seele ergeben war. Meine Schwester, nun das war sie wohl sonst eigentlich nicht, aber sie war mir von ganzem Herzen zugethan und wir hätten uns zusammen durch die Welt geschlagen. Aber sie kam nicht die Arme und ich mußte fort, der Sturm begünstigte meine Flucht aus jenen düstern Mauern, und wollte ich mich nicht in noch härtern Zwang fügen, als der unter dem ich schon seufzte, so mußte ich an jenem Morgen auf und davon. Sie kannte auch den Ort, wo wir gemeinschaftlich uns verbergen wollten, dort erwartete ich sie 2 Tage, und als sie nicht kam, ging ich in die weite Welt, aber die Nachricht von ihrem traurigen Ende habe ich doch erhalten. Madame, ich bin ein wilder, leichter Bursche, Musikantenblut von Ur-Ur-Urvater her, aber das ist eine Geschichte, die schwer auf meinem Herzen lastet.
Er wandte sich bei diesen Worten, nach einer tiefen Verbeugung und ging zu seinen Gefährten zurück. Werner wollte ihn einladen, ihr Gast im Gasthofe zu Mainz zu sein, aber Marie bat ihn ängstlich, die unheimliche Bekanntschaft nicht zu erneuern, und lächelnd willfahrte er seiner Frau. Als er selbst aber den Böhmen aufsuchen wollte, war er mit seiner Gesellschaft schon fortgezogen, sie konnten sich keine Stunde in Mainz aufgehalten haben.
Als Marie bei ihrer Heimkehr diesen Vorgang ihrer Stiefmutter mittheilte, tadelte Ida ihre Furcht vor Jablonowsky als einen Rückfall zu ihren alten unklaren Gefühlsverirrungen. – Ich möchte diesen Menschen mit den seltsamen Schlangenwindungen seines Wesens zu einem Studium für mich machen, sagte sie, ich möchte seine Lebensgeschichte, seine Erziehung, seine Ansichten kennen. Ich nicht, beste Ida, entgegnete Marie mit leisem Beben der Stimme, ich möchte nicht die Naturgeschichte giftiger Schlangen studiren, ich bin zu furchtsam dazu, auch – ach Ida Du vergißest, daß ich Ursache habe, vor diesen dunkeln glühenden Augen die meinen niederzuschlagen, ich aber, meine Freundin kann und werde das nie vergessen.