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Uadi

Diese Novelle steht mit dem größeren Romane der Verfasserin: »Aus dem Leben eines Glücklichen« im Zusammenhange.

Novelle.


Himmel und Meer! – Blau eine Kuppel von Kristall liegt das Himmelsgewölbe über der weiten Spiegelscheibe des Indischen Oceans. Im Süden nur wenige Grad über dem Horizont erhoben glänzt das Sternbild des Kreuzes und seine Neigung zeigt, daß Mitternacht bereits vorüber. Die Magelans Wolken schweben, Silber glänzende Flügel des Engels, der den fernen Süden bewacht, nahe und in ewig gleicher Entfernung bei den letzten Sternen des Kreuzes.

Am fremden Himmel nur ein Bekannter, ein Freund aus der Heimath, der Mond, der goldglänzende Vollmond, der vor wenigen Stunden den Elfentänzen auf Deutschlands, vom December-Schnee, schimmernde Wiesen geleuchtet hat. Jetzt webt er huschende Schattenlinien an die feinen Faden des Tauwerks der Stangen und Spieren der Maste, die sich auf den Flanken des Verdeckes kreuzend, schwinden und wiederkehren, je nachdem die Wellen das schwankende Schiff nach einer oder der andern Seite heben oder senken.

Am Kompaßhäuschen steht gebeugt ein bärtiger Matrose und pfeift leise dem Winde. Auf dem Quarterdeck geht mit gemessenem Tritt, der schlanke jugendliche Unter-Steuermann auf und ab und rittlings auf dem Bugspriet, so daß senkrecht unter seiner Sohle die Wellen des unendlichen Meeres sich kräuseln, sitzt ein Passagier und sieht hinab in die Fluthen, die sich in funkelnde Flammen auflösen, wie sie steigen und niederfallen.

Die tropische Nacht hat ihren Zaubermantel über das Herz des einsam träumenden Reisenden geworfen. – Hier wo in der hüpfenden Welle sich das Gold der Flamme mit dem Silber der Fluth gattet, hier wo die fächelnde Luft mit lauem Kusse die murmelnde Woge grüßt, hier wo nun bald die Palme Indiens sich vor dem erstaunten Auge des Nordländers in des Ganges heiligen Wassern spiegeln wird, hier oder nirgend muß die Sehnsucht zur Erfüllung, der Traum der Phantasie zur Wirklichkeit werden.

Aber was ist es, daß das sehnende Herz verlangt? nach welchem Genusse ringt die Glücks durstige Seele? Welch' ein Bad der Wonne soll das Ich umspülen, das sich verdorret fühlt und schmachtet? Was kann kommen, was soll kommen um Befriedigung zu bringen, dem ganzen Dasein? um in Harmonien aufzulösen die in tausend fühlbaren Mißtönen vibrirenden Saiten der Nerven?

Es war ein Mann in der ersten Blüthe des Lebens, der diese Betrachtungen anstellte, während in seine lichten Locken der Lufthauch der tropischen Nacht spielte, Hans v. Waldow, der von Konstantinopel kommend sich in Gibraltar eingeschifft hatte. – Das Schiff das er zu seiner Reise gewählt stand unter dem Befehl eines Freundes, der ihm schon in Konstantinopel wesentliche Dienste geleistet hatte. Es war ein rüstiger Segler und ein so reizendes kokettes Ding, daß es die Vorliebe des Capitains, des Steuermanns und all der alten und jungen Matrosen für » the little Gypsi« vollkommen rechtfertigte. Wind und Wetter hatten die Fahrt begünstigt, es war als ob Feenhände die Wellen ebneten; ein Traum hätte auf seinen Goldflügeln den Wandrer nicht leichter, nicht angenehmer, als die saubern Planken der »kleinen Zigeunerin,« über die Hälfte des Erdballes tragen können.

Waldow machte die Reise nicht allein. Ihn begleitete Salome, eine bejahrte Jüdin, die ihm von Konstantinopel gefolgt war, um sein Kind, die kleine Fatime warten und zu pflegen, – Beide schliefen in der Kajüte die Waldow zu seinem eignen Gebrauch gemiethet hatte. Er selbst pflegte die tropischen Nächte meist auf dem Verdeck hinzubringen und unter dem Zeltdache zwischen den Masten, seine Hängematte gewöhnlich nur während der glühenden Tagesstunden zu suchen.

Der gellende Pfiff des Bootsmannes, der weithin über die stillen Wasser hallte, rief die Morgenwache auf das Verdeck.

In einen leichten Mantel von Segeltuch gehüllt, den Hut von Reisstroh nachlässig auf den dunkeln Locken, erschien der Capitain Jack Wilson auf der Kajütentreppe, sprach einige Worte leise mit dem Unter-Steuermann, von denen Waldow nur vernahm: »Brise schwach Nord-West bei Nord;« trat an das Kompaßhäuschen, warf einen Blick auf das Segelwerk, einen zweiten nach dem klaren tiefblauen Sternhimmel und begann dann, seinen gleichmäßigen Gang auf dem Deck, mit dem eigenthümlichen Schritt, der dem Seemann auf dem schwankenden Schiff natürlich wird.

Als die kleine Unterbrechung durch die Ablösung der Wache vorüber, lag bald wieder Schweigen und Ruhe über dem Schiffe. Der Capitain sang halblaut: rule Britannia, und die Wellen plätscherten leise an die Schiffswände. Aber Waldow war in seinen Träumen gestört und mit seemännischer Gewandtheit schwang er sich von seinem lustigen Sitz herab und trat zu dem Kapitain.

Die beiden Männer mochten in einem Alter sein, und wie sie so nebeneinander herschritten, hatte das Auge eines Malers oder Bildhauers, sich an ihrer Schönheit erfreuen können, um so mehr da dieselbe von der äußersten Verschiedenheit war.

Jack Wilson hätte zum Modell eines Herkules dienen können. Sein Hals war so kurz, seine Schultern so breit, als dies mit dem Schönheitsbegriff nur irgend verträglich ist. Sein Haar blauschwarz, glänzend und schlicht, wie das Gefieder des Raben, umschloß die Stirn, die zwar die tropische Sonne vergoldet hatte, die aber dennoch, da der breite Hut sie stets vor den schlimmsten Einflüssen derselben schützte, viel heller als das übrige Gesicht erschien, das von einem dunklen leicht gekräuselten Bart eingerahmt; jenes lichte Braun zeigte, womit Sonnenschein und Wetter die blühende Wange des Nordländers zu überziehen pflegen. Seine stahlgrauen Augen hatten entschieden den Ausdruck gutmüthiger Schalkheit, den die sehr rothen schwellenden Lippen, welche beim Lächeln – und sie lächelten häufig – blendend weiße Zähne zeigten, noch erhöheten.

Er mochte 28 Jahre zählen, nannte sich aber eine alte Theerjacke und in der That, Jack Wilson war ein alter Seemann, denn er war auf dem Wasser geboren, und hatte ¾ seines Lebens darauf zugebracht. Waldow, obgleich nicht größer als der kräftige Engländer, erschien doch lang und schlank neben ihm, der den Eindruck der Gedrungenheit machte.

Waldow's Figur war die, welche man eine Lieutnants-Figur nennen möchte. Die Taille rund und fein, die Schultern breit; die Brust gewölbt, doch hatte diese Art künstlicher Schönheit nichts verkünsteltes oder affectirtes und wenn man Müllners Wort: »Aufgewachsen schlank wie Nordlands Tannen,« recht eigentlich auf ihn anwenden konnte, so erschien Wilson neben ihm, wie die Eiche neben der Tanne.

Beide Männer gingen eine Zeitlang schweigend neben einander her, Wilson lächelnd mit dem Ausdruck herzlichster Zufriedenheit, Waldow das Zucken trüber Gedanken um den wunderschönen Mund.

Indeß säumte sich der östliche Horizont mit Purpur und Gold; das Funkeln des Meeres erlosch, die Wellen nahmen eine tiefblaue Farbe an, die bisweilen in das Glänzen des geschliffenen Stahles, überzugehen schien, am Himmelsgewölbe erbleichten die Sterne, und wenige Minuten nach dem ersten Erscheinen des Morgenrothes blitzte der Sonnenball, die Monstranz, das Allerheiligste der Natur am Horizonte auf, und streute auf jede Welle im weiten Ocean einen funkelnden Diamanten. Wilson hatte einem augenblicklichen Impulse folgend im Moment des Sonnenaufgangs den Hut abgenommen, und stand ein Weilchen in der Pracht des Anblickes versunken da. Auch Waldow war stehen geblieben, hingerissen von der Schönheit und Großartigkeit der Naturerscheinung, die selbst durch ihre tägliche Wiederkehr, nicht den Eindruck schwächt, den sie auf das Herz des Menschen macht.

Wahrhaftig sagte der Engländer, indem er den Hut wieder auf die Stirn drückte, ich kann es doch den Heiden nicht verargen, daß sie die Sonne da, die prächtige goldene Sonne zu ihrem Gott machten, wenn ichs nicht besser wüßte, ich könnte selbst hinknien und ihre strahlende segnende Schönheit anbeten.

Und was wissen Sie denn besser? fragte Waldow die Achseln leicht zuckend, was wissen Sie besser Kapitain von Gott als diejenigen, welche Sie Heiden nennen? was wissen wir alle davon? Gott! was ist das? wer ist das? wer hat ihn gesehen? wer kann von ihm Auskunft geben? Der Schiffer sah ihn verwundert an. Na die Bibel, denke ich, kann das, und thut das auch, entgegnete er treuherzig, ich bin eben kein Theolog oder Schriftgelehrter, aber ich glaube an die Bibel und was ich so zwischen Himmel und Wasser von der Welt sehe, das reicht aus, mich Den, der alles geschaffen hat, verehren und lieben zu lassen.

Sie sind glücklich, sagte Waldow mit einem Seufzer.

Glücklich in Ihrer Dummheit und Beschränktheit, möchten Sie sagen, Waldow, und thun es nicht aus Höflichkeit, lachte der Schiffer. Thun Sie sich keinen Zwang an, ich mache keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit.

Einer unsrer älteren Dichter entgegnete Waldow, indem er wieder an der Seite des Schiffers auf und nieder schritt, sagt von einem dem meinigen ähnlichen Zustande der Erkenntniß:

O der Helle, die dem Schwärmer
Nichts zu zeigen hat als ihre Nacht;
O des Lichtes, das den Glauben ärmer
Und die Weisheit doch nicht reicher macht.

Da sagt Ihr älterer Dichter mit Ihrer Erlaubniß etwas sehr Ungereimtes Lieutenant, obgleich Nacht und macht, Schwärmer und ärmer ganz leidliche Reime sind. – So weit ich deutsch verstehe nämlich. Helle kann schwerlich ihre Nacht zeigen, und Licht, womit hier wohl Kenntniß gemeint ist, macht die Weisheit stets reicher, wenn die Kenntniß keine Täuschung ist.

O doch! sobald die Kenntniß uns den Glauben nimmt, der uns in den Kindertagen des Lebens getröstet, gestärkt, erquickt hat und nichts anders an dessen Stelle setzt.

Das muß ein wacklicher Glaube sein, den so ein Bischen Kenntniß gleich über den Haufen werfen kann Lieutenant. –

Die Wissenschaft, sagte Waldow, der sich jetzt bei einem Lieblingsthema fand, zeigt uns statt des Gottes der Bibel, nur die ewig wandelbare, unerschaffene Malerei. Die Liebe, die Vorsorge Gottes, verschwinden als Kinderträume vor ihrem Glanz, das Gebet wird zu einer Lächerlichkeit, dem eisernen Gesetz ewiger Nothwendigkeit gegenüber.

Da ist die Wissenschaft eine infam eitle und anmaßende Person, und eine dumme dazu. So was kommt mir vor, als wenn einer mit einer Laterne vor der Mauer eines Hauses steht, beleuchtet mit seinem Pfenniglicht ein Stückchen davon, klopft daran; alles kalt, alles steinern, soweit ers eben besehen und beklopfen kann, die Thür ist aber am andern Ende und drinnen im Gebäude, da schlagen warme Herzen, da blühen und duften Blumen, da klingen Lieder, das zeigt ihm sein Laternchen nicht. Alter Freund, ich kehre jetzt heim zu meinem jungen Weibe nach Kalkutta, ich finde ein 4jähriges Mädchen dort und hoffentlich noch ein zweites Kind, von dessen Geburt ich noch nicht Nachricht erhalten habe. Freund, ich liebe mein Weib und meine Kinder, ich arbeite für sie, ich lebe für sie, und ich könnte gern für sie sterben wenns nöthig wäre. Der Gott, der ein liebendes Menschenherz schaffen konnte, der muß selbst lieben können, sonst hatte er Besseres geschaffen, als er ist und – das, das ist die einzige Unmöglichkeit selbst für die Allmacht.

Er schwieg und lächelte stolz auf sein unwiderlegliches Argument; auch Waldow schwieg und seufzte. Er liebte nichts und Niemanden, selbst das Kind kaum, dessen Dasein ihm eine fürchterliche Begebenheit seines Lebens unaufhörlich ins Gedächtniß zurückrief.

Und unterdeß war die Sonne allmälig am Himmel emporgestiegen, die Matrosen erschienen auf dem Verdeck der »kleinen Zigeunerin.« Ein flinker Schiffsjunge meldete, daß das Frühstück in der Kajüte bereit stehe, und dort am Kaffeetisch saß Salome, die kleine Fatime aus ihrem Schooße.

Das engelschöne Kind, Tochter einer Mutter, die ihr Leben für ihre Liebe hingegeben, war eins von jenen seltenen Wesen, in denen die schaffende Natur alle Vorzüge ihrer Gattung und ihres Geschlechts vereint zu haben scheint. Ihre Sanftmuth und Gelehrigkeit zeigte sich deutlich schon in dem zarten Alter, dem sie noch angehörte. Nie hörte man das Kind laut schreien, nie sah man sie heftig nach etwas greifen. Runde glänzende Thränenperlchen rannen, wenn sie litt, oder wenn ein rauhes Wort sie erschreckte, über ihre rosigen Bäckchen, und der kleine Rosenknospenmund zuckte leicht und gab dem ganzen Gesichtchen einen unbeschreiblich schmerzlichen Ausdruck. Wenn sie etwas verlangte, so öffnete und schloß sie rasch hintereinander die kleinen Hände, und in ihren sanften braunen Aurikelaugen, dem Erbe ihrer Mutter, lag der Ausdruck unwiderstehlicher Bitte.

Daß die ganze Mannschaft der »kleinen Zigeunerin« das schöne Kind liebte und hätschelte, war natürlich; fast jeder Matrose ist Kinderfreund, und Fatime hätte auch das härteste Herz für sich zu gewinnen vermocht.

Das Kind war 11 Monate alt und diese ganze Zeit hatte Waldow auf Reisen, auf einer Art von Flucht zugebracht.

Anfangs floh er vor dem gegen ihn erhobenen Arm der türkischen Gerechtigkeit, der in seiner Schwere zermalmend auf seine Mitschuldige, die unglückliche Mutter Fatime's, niedergesunken war. Jetzt floh er nur noch vor dem Jammer in der eigenen Seele, vor dem finstern Bewußtsein, den gräßlichen Tod eines Wesens, das ihn namenlos geliebt, herbeigeführt zu haben.

Wohl jedem Menschenherzen, das nicht aus eigner Erfahrung weiß, wie fruchtlos die Flucht vor dem Gewissen ist.

Es war dem beklagenswerthen Manne fast wie ein Hohn der Natur gegen ihn erschienen, daß seine ganze Reise vom Wind und Wetter so außerordentlich begünstigt wurde.

Bei großen Seelenleiden erwartet der Mensch beinahe eine gewisse Uebereinstimmung der Außenwelt mit den Herzensgefühlen; der helle Sonnenschein, der süße Blumenduft, das Vogelgezwitscher beleidigt uns fast, wenn es die Nacht unseres Innern mit seinem Lächeln stört. Etwas Aehnliches empfand Waldow. Er wünschte, er sehnte Sturm und Unwetter, der Kampf mit den Elementen wäre ihm Genuß gewesen und nun setzte selbst der gefürchtete Tafelberg seine Sturmhaube nicht auf, während die »kleine Zigeunerin« sich in seiner Nähe befand. Der ganze Erdball schien zu lächeln, und nur in Waldow's Seele tobte der Sturm des Schmerzes, wütheten Gewitter wilder unzähmbarer Gewissensbisse.

Capitain Jack Wilson hatte eine Menge von verschiedenen Geschäften gehabt, er hatte auf Teneriffa, auf St. Helena landen, hatte einen Abstecher nach der Insel Mauritius machen müssen und war jetzt noch beauftragt, eine Ladung Zinn von der kleinen Insel Banka nach Kalkutta zu bringen.

Waldow hatte daher eine lange und sehr interessante Seereise gemacht, und schon begannen, ohne daß er es bemerkte, tausend neue Bilder und Erinnerungen ihre leichten Schatten über die eine fürchterliche Erinnerung zu legen, vor der er von einem Ende der Erde zum andern floh.

Schlimm für ihn war es indeß, daß er das Kind der unglücklichen Frau, die für ihn gestorben, daß er Salome, die Vermittlerin in jenem schrecklichen Liebeshandel, mit sich hatte nehmen müssen. Die Jüdin floh vor dem Arm der Justiz und zugleich war sie für Waldow eine stete Mahnerin an das was Fatimens Mutter von ihm gefordert, als sie in den Tod ging. Daß das Kind bei ihm bleibe, daß er es nicht in fremde Hände gäbe, war der letzte Wunsch der so entschlossen und liebevoll Sterbenden gewesen, und dieses Wunsches wegen befand sich der 28jährige Offizier, der nach Indien ging, um unter Englands Fahnen in den Ländern der tausend und einen Nacht zu fechten, in seiner abenteuerlichen Begleitung.

Nach Europa zurückkehren mochte und wollte er nicht, auch seine Heimath enthielt Erinnerungen der peinlichsten Art für ihn und dort würde ihn das Kind und dessen Pflegerin zum Gegenstande der Verwunderung des kleinstädtischen Geklatsches gemacht haben. Er wollte die Welt sehn. Er wollte sich mitten in den Strudel des Lebens stürzen. Bei dem möglichen Fall seines Todes besaß er einige werthvolle Edelsteine, deren Erlös hingereicht hätte, Fatime und Salome nach seiner Heimath zu seinem Vater und zu einem Freunde zu bringen, von welchen beiden er überzeugt war, daß sie sich des verwaisten holden Geschöpfes wohl angenommen haben würden.

So saß er denn jetzt beim Kaffee in der Kajüte der »kleinen Zigeunerin«, neben ihm Salome mit Fatime und auf der andern Seite des Tisches Capitain Wilson, der Steuermann und der Arzt des Schiffes, denn selbst ein Kauffahrer begiebt sich selten in jene, den Miasmen des bösartigen Fiebers ausgesetzten Gegenden, ohne die Begleitung eines Mediziners.

Dr. Seidel, von Geburt Hannoveraner, trieb das vagabondirende Leben eines Schiffsarztes nun schon länger als ein Vierteljahrhundert. Er kannte die Erdkugel so gut, als hatte er sie aus der Vogelperspektive betrachtet, und besser noch, denn es gab wenige Häfen, in denen er nicht einst vor Anker gelegen, wenige Inseln, über deren grünen Teppich sein schwerer Fuß nicht schon hingeschritten. Zu Hause aber nannte er ein kleines Stübchen in Gravesend, wo er seine ungeheuren Herbarien aufgestellt hatte und wo die Wände mit Schmetterlingen von den buntesten Farben in hübschen Glaskästen tapezirt waren, die ein alter Matrose mit der linken Hand abstäubte, da der Doctor ihm die rechte, welche einst ein niederstürzender Mast zerschmetterte, schon vor länger als 20 Jahren amputirt hatte. Dr. Seidel hatte eine so große Vorliebe für die kleine Fatime gefaßt, als wäre sie der schönste Schmetterling oder die seltenste Blume des Erdbodens. Er konnte stundenlang dem Kinde zusehen, wenn es spielte oder schlummerte, und auf seinem Gesicht, das alle Wetter Gottes gebrannt und zerpeitscht hatten, lag dann ein Lächeln, das dem Aufgang des Mondes über zertrümmerten Felsen glich.

Wo sind wir jetzt, Capitain? fragte der Doctor, während er, selbst frühstückend, der kleinen Fatime Ziegenmilch reichlich mit Zucker versüßte.

Unterm 4. Grade südlicher Breite; wir haben die Malediven und Lakediven hinter uns und nähern uns der Sunda-Straße; unsere Leute müssen strenge Wache halten, wenn der Wind so bleibt, können wir in drei Tagen in Müntock vor Anker liegen.

Bin an der Zinnküste noch nicht gewesen, sagte der Doctor vor sich hin, soll dorten von Krokodillen wimmeln, wurde mir vor Jahren in Batavia erzählt, und das verdammte Fieber dezimirt die Mannschaft aller europäischen Schiffe, die da landen müssen.

Gute Zeit für Sie, Doctor, entgegnete lächelnd der Capitain.

Den Teufel auch. Esse ich etwa die Fieberkranken oder erbe ich ihren Nachlaß? Ich muß in solchem Satanslande mich todt quälen, Tag und Nacht auf den Beinen sein, riskire meine Bekannten unter meinen Händen sterben zu sehen, und habe oft nicht Zeit, mein Schmetterlingsnetz aus meinem Reisekoffer zu nehmen, oder eine schon gepflückte Blume ordentlich aufzulegen.

Ich habe schon oft bemerkt, Dr. Seidel, sagte Hans, daß Sie nicht besonders gern praktiziren, was in der Welt hat sie denn eigentlich zum Arzte gemacht?

Die Welt, eben die Welt, Herr von Waldow, entgegnete der Arzt, die ich kennen will von innen und außen. Wär' ich ein reicher Mann gewesen, oder hätte ich vornehme Bekanntschaften gehabt, so hätte ich vielleicht in anderer Weise Gelegenheit gehabt, mich auf dem großen prächtigen Erdball umzusehen. Jetzt sitze ich so lange in meiner Stube in Gravesend, bis ein Schiff ausgeht, das Gegenden besucht, die ich noch nicht kenne, und dann laufe ich und thue was ich kann, damit man mich als Arzt mitnehme. Brauche dann kein Geld für die Reise zu zahlen, sondern nehme noch was ein, und so ist mir's denn gelungen, mich so weit zu bewegen, als meine Kette mir's nur irgend erlaubt.

Ihre Kette, Doctor? lachte der Schiffer; Sie Vagabond halten sich noch für gefesselt?

Ein Thor, der von Freiheit träumt, so lange er angebunden ist an die Erdkugel. Wie, oder sind wir das nicht? Die unsichtbare Kette an unseren Füßen erlaubt uns allenfalls rund um den Erdball zu kriechen, über ihn erheben können wir uns nicht, oder nur eine kurze Strecke, wie der an einen Faden gebundene Maikäfer. Soll mich nur verlangen, wie viel Freiheit der Tod uns endlich geben wird!

Und weshalb wollen Sie denn immer weiter laufen, Alter? fragte Wilson, was suchen Sie auf Ihren Reisen, von denen Sie nichts als welke Blumen und todte Schmetterlinge mitbringen?

Die Schönheit und die Wahrheit such' ich und ich finde sie, ja ich finde sie, Capitain; sie liegen schlafend in jedem Blumenkelche, wiegen sich auf jedem Schmetterlingsflügel; das Geschaffene, Vergängliche ist die Hülle des Unerschaffenen, Ewigen.

Er stand bei diesen Worten auf, strich das eisengraue Haar aus der Stirn und stieg auf's Verdeck, nachdem er der kleinen Fatime noch das Händchen geküßt hatte.

Ein wunderlicher Kauz, sagte Waldow.

Aber grundgut, entgegnete der Schiffer, und grundgelehrt dazu. –

Die Einförmigkeit der Seereise nahm jetzt ein Ende, stündlich sah man Schiffe der verschiedensten Nationen und von der eigenthümlichsten Bauart, und die Küsten von Java und Sumatra tauchten vor den Blicken der Reisenden auf.

Bei der Einfahrt in das nicht ungefährliche Fahrwasser der Sundastraße kam auf einem flachen runden Fahrzeuge, einer sogenannten Brauwa, ein holländischer Lootse aus Batavia zu ihnen, ein großer schwerfälliger Mensch, den die tropische Sonne alles Fett abgeschmolzen zu haben schien, was sein holländisches Phlegma anzusetzen geneigt gewesen sein mochte. Ein kleiner magerer Malaje begleitete ihn. Beide sprachen holländisch und englisch, und beide schienen so arge Faullenzer zu sein, als die glühende Sonne nur irgend in diesen Gegenden ausbrütet.

Waldow stand jetzt stundenlang auf dem Verdeck und betrachtete die Küste der beiden großen Inseln, die hier flach und sumpfig, von einzelnen Palmenwäldchen bedeckt, sich zum Meere hinziehen, während weiter ins Land hinein grüne Höhen sich heiter zum ewig heitern Himmel erheben.

Auch durch die Banka-Straße geleitete der Lootse das Schiff und wohlbehalten landete es am 23. December auf der Rhede von Müntock.

Capitain Wilson hatte Empfehlungen an den holländischen Residenten auf Banka, Obersten Rheeder, der den Reisenden mit großer Gastfreundschaft sein Haus öffnete.

Waldow und Dr. Seidel hatten den Capitain begleitet, und jener sah mit Staunen in dieser abgeschiedenen Erdgegend zum erstenmal die märchenhafte Pracht Indiens. Geräthe von Gold und Silber und mit den kostbarsten Edelsteinen besetzt, stammten vor den geblendeten Augen des Nordländers in der schimmernden Helle des tropischen Sonnenlichtes.

Diener von den verschiedensten Farbenschattirungen deren bräunliche, grünliche und schwarze Gesichter seltsam mit dem blendenden Weiß und dem lebhaften Blau oder Hochroth ihrer seidenen Wämser und seinen leinenen Beinkleider contrastirten, standen in allen Ecken, des Winks ihres Gebieters harrend. Im Uebrigen war die Einrichtung des massiven und wohlgebauten Hauses durchaus europäisch, und unterschied sich von einem holländischen Landhause nur durch die Aengstlichkeit, mit der man den Sonnenstrahlen den Eingang durch Jalousien und das Vorhängen feiner Matten wehrt, die von Zeit zu Zeit mit frischem Wasser genetzt einen eigentümlichen erquickenden Duft aushauchen.

Eine Veranda von sauber geschnitztem Holze, überschattet von einem lustigen Bambusdach, umgiebt das Haus an der Nordwestseite, und von diesem reizenden Platze hat das Auge den freien Ausblick über die schmale Meerenge, welche Banka und Sumatra scheidet. Weiterhin erblickt man die niedrige von Palmen überschattete Küste dieser Insel und die Stadt Palmberg an der Mündung eines von flachen kleinen Fahrzeugen wimmelnden Flusses und im Hintergrunde die mächtigen, ewig grünen Berge Sumatra's, in deren Thäler noch nie der Fuß eines Europäers gedrungen ist.

Die Gattin des Obersten Rheeder, eine liebenswürdige Frau, die hier von der civilisirten Welt so weit entfernt, mit ihren seltenen Talenten, ihrer Güte und Schönheit einen würdigen Mann beglückt, nahm sich mit mütterlicher Freundlichkeit der kleinen Fatime an, die bald der Gegenstand voller Zärtlichkeit der ganzen Familie, und besonders der drei lieblichen Kinder wurde.

Und ein Glück war dies für das zarte mutterlose Kind, das wie eine vom Stamm gerissene Blüthe in der Welt umher flog, denn Salome hatte noch kaum den Fuß an die Küste gesetzt, als sie erkrankte. Das Fieber, das die unglückliche Frau ergriff, war von der schlimmsten Beschaffenheit, und das Kind mußte alsbald von seiner gewohnten Pflegerin getrennt werden. Frau Rheeder nahm das kleine Mädchen förmlich in den Kreis ihrer Kinder auf, Fatimens Bettchen stand neben dem der kleinen dreijährigen Dörtje Rheeder. Es bestand aus einem leichten Bambusgeflechte, auf dem eine weiße Matratze und ein mit Luft gefülltes Kissen lag, die Decke bildeten indische, oben in einem weißen Bande festgeheftete Mousselinlagen und ein an der Wand befestigter Bambusstab, trug, durch einen Goldring gezogen, die langen Vorhänge von ganz durchsichtiger Mousselin. Silberkügelchen, ziemlich dicht an den unteren Saum geheftet, ziehen dies leichte Gewebe nieder und gestatten ihm durch ihre Schwere nicht umherzufliegen. So ist es ein hinreichender Schutz vor den blutdürstigen Insekten und gewährt doch der Luft den so nöthigen Zugang zu den Schlafenden.

Hans von Waldow sah die aufmerksamen und liebevollen Vorrichtungen, welche die Gastfreundschaft an diesem fernen Punkte der Erde für seine und seines Kindes Bequemlichkeit machte, nicht ohne Interesse und Dankbarkeit. – Salome's Zustand erregte in ihm die lebhafteste Besorgniß, starb die Matrone, so stand er hülflos mit dem kleinen Kinde in einer ihm gänzlich fremden Welt und Dr. Seidel, der sich eifrigst seinen Kranken widmete, schüttelte bedenklich den Kopf bei Waldows ängstlichen Fragen.

Capitain Wilson betrieb das Geschäft, das ihn hierher geführt, mit Eifer. Doch schien sich sein Aufenthalt auf Banka in die Länge ziehen zu wollen, denn die Krankheit mehrerer Matrosen und eine dringend nothwendige Reparatur des Schiffes fesselte ihn. Eine Woche war bereits vergangen, man hatte im Schatten der Cocospalmen und der Magnolien im Garten des Residenten das Christfest gefeiert, und das größte Fest, das die gemischte Einwohnerschaft von Banka kennt, das europäische Neujahr, war vor der Thür.

Oberst Rheeder legte seine goldgestickte holländische Uniform an. Myfrouw Rheeder und die Kinder erschienen in Gewändern von blendendstem Mousselin und strahlend von Juwelen. Der Platz vor dem Hause war von Gerüsten bedeckt. Arbeiter liefen noch hämmernd hin und her, die chinesische Bevölkerung der Insel machte sich bereit, dem Residenten ihre Ehrfurcht zu bezeigen.

Doctor Seidel, der schon Gegenden des Erdballes kennt, auf denen man die Mongolische, Malajische und Kaukasische Raçe des Menschengeschlechts bei einander findet, hatte seine Freude daran, den staunenden und oft aufs äußerste bewegten Waldow die Sitten und Gebräuche, die ihn hier umgaben, zu beschreiben und möglichst zu erklären. Der wackere Doctor war für den jungen Offizier eine Art von ambulantem Conversations-Lexikon, das er gern zu Rathe zog, und auch heute standen die Beiden zusammen auf der Veranda und schauten hinab auf das Menschengewühl zu ihren Füßen.

Sehen Sie den dicken Chinesen mit dem Bambushut und der rothen Hose, der rechts da, Lieutenant? fragte der Doctor, sehen Sie ihn sich gut an, das ist ein interessantes Exemplar seiner Gattung, er heißt Hung-Gue und ist, wie man hier sagt, Chinesen-Capitain. Das heißt, der erste Beamte dieser Nation auf der Insel. Ein reicher, reicher Kautz, der seinen armen Verwandten im himmlischen Reich jährlich hübsche Summen schickt. Hierher kam er als Tagelöhner und handelte anfangs mit selbstgezogenem Gemüse, jetzt ist er der reichste Kaufmann Bankas, hat vier Seeschiffe, die besten Zinnmienen in Pacht, und treibt Handel mit allen großen Städten des holländischen und englischen Indiens. – Er hat uns alle, Sie auch, Lieutenant, nach dem Neujahrsfeste zu sich in sein schönes Haus eingeladen.

Wer ist das schöne Geschöpf neben dem Chinesen, dem er so eifrig seine Verbeugungen macht, daß der Zopf ihm dabei wackelt? fragte Hans.

Das malajische Mädchen dort in dem blauen Rocke, der auf den Schultern mit einem Rubinknopf geheftet ist?

Dieselbe.

Der Doctor betrachtete das junge Geschöpf, dessen außerordentliche Formenschönheit dem Kenner Waldow aufgefallen war, genauer und sagte dann: Gehört hier ins Haus. – Ist übrigens wahrhaftig ein schönes Geschöpf und wäre für einen Romanschreiber interessant. Sie ist die einzig Uebriggebliebene von der alten Familie der Sultane von Palembang, die jüngste Tochter des Depatti Barie, eine Schwester Depatti Amirs, die beide längere Zeit von einer Pension der holländischen Regierung hier auf Banka lebten, und die als wüthende Wahnsinnige, als Amockläufer starben, weil sie sich für mannigfache Beleidigungen der Holländer rächen wollten.

Das schöne Mädchen hier blieb, ein noch junges Kind, mit ihrer Mutter zurück und Oberst Rheeder nahm sie, als auch die Mutter starb, zu sich. Myfrouw erzählte mir das gestern, als ich das malajische Mädchen am Bette ihrer Fatime sitzen fand. –

Der festliche Abend des Neujahrs brach indeß auch herein. Die Familie des Residenten nahm mit ihren Gästen Platz auf der Veranda des Hauses. Unter ihnen befand sich auch das junge Mädchen, das Waldows Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie trug jetzt ein Kleid von hochrother Seide ohne Aermel. Ihr glattes, langes, tiefschwarzes Haar war am Hinterkopfe in einem Knoten zusammengenestelt, den ein Kranz von grünen, glänzenden Blättern umgab. Ihre Arme waren wie die Füße nackt, und um die biegsame Taille schlang sich eine goldne Schnur, die in Quasten von Perlen und Rubinen endigend auf das Kleid niederhing.

Die ganze Erscheinung hatte trotz der dunklen Farbe der Haut etwas gebietend Vornehmes, und das Gesicht war von einer zwar eigenthümlichen, aber regelmäßigen Schönheit, deren Gesammteindruck selbst nicht durch die sehr tiefliegenden Augen gestört wurde. –

Die Bevölkerung der Insel hatte schon seit einigen Tagen dem Residenten ihre Neujahrsgaben in verschiedenen Victualien dargebracht, die jetzt gesotten und gebraten und sonst nach Landessitte zubereitet, auf langen mit Blüthen geschmückten Tafeln standen, bereit zum Genusse der Versammelten zu dienen. Holländische Soldaten in voller Uniform, das Gewehr auf der Schulter, schlossen einen Kreis um dieselben, und auf den dazu eigens erbauten Tribünen saßen Holländer, Chinesen, Malajen im buntesten Farbengemisch, in den abenteuerlichsten Trachten. Hunderte von bunten Lampen und Papierlaternen, zum Theil von Menschen getragen, zum Theil an Pfählen und Gerüsten aufgehängt, erhellten die tropische duftreiche Nacht. Selbst in den Zweigen des mächtigen Mangobaumes, in der Mitte des Kampong (Marktplatzes) und an seinem riesigen Stamm hinauf schwebten vielfarbige Lampen. Ein Summen und Brausen von Menschenstimmen in Worten, wie sie Waldows Ohr noch nie getroffen, durchtönte die Luft und nur ein bekannter Laut ließ sich von Zeit zu Zeit vernehmen, der Ton harmlosen, herzlichen Gelächters, das an allen Enden des Erdballes gleichklingt und die gleiche Bedeutung hat. Auf dem Theater erschienen nun die drei Hauptfiguren der chinesischen Posse, zwei große Hähne und ein ungeheurer Drache. – Die Hähne von bunter Pappe, mannhoch, den brennend rothen Kamm gesträubt, hatten wenig anderes zu thun, als von Zeit zu Zeit bei gewissen Worten der menschlichen Schauspieler sehr hell zu krähen, oder sich gravitätisch zu verbeugen. Den Drachen agirten zwei Personen, einer am Kopf, der andere am Schwanzende, ein Stück schillernd buntes Seidenzeug, über ein biegsames Gerüste gespannt, bildete die Figur und in seltsamen Schlangenwindungen, oft mit einer Raschheit, der das Auge kaum folgen konnte, bewegte sich dieselbe. Auch einige Personen betraten die einfache Schaubühne, und ihre Action und Sprache, war selbst nach europäischen Begriffen nicht unschön.

Allerdings verstand Waldow den Hergang der Handlung nicht, aber er war dennoch während des Schauspiels angenehm beschäftigt durch seine Achtsamkeit auf das junge Malajische Mädchen. Mit stolzer Haltung, saß das schöne Geschöpf hinter Frau Rheeder. Die schwarzen glänzenden Augen meist zu Boden gesenkt, die wunderschönen Hände im Schooße gefaltet. Sie achtete nicht auf die Vorstellung und erhob kaum den Blick bei dem oft schallenden Gelächter des Publikums, aber wenn sie das Auge aufschlug, so lag ein Ausdruck von wilder Energie, von Kraft und Selbstgefühl in ihrem Blick, der zugleich erschreckend und anziehend auf Waldow einen fast magischen Eindruck machte.

Nach beendetem Schauspiel, wurden die leichten Gerüste des Theaters angezündet. Chemische Stoffe hatten unter denselben bereits gelegen, und in rothem, grünem und blauem Feuer züngelten die Flammen zum dunklen Nachthimmel empor, während unter lautem Jubel, unter Pistolenschüssen und Händeklatschen die Zuschauer sich in Besitz der aufgethürmten Speisen setzten und der Schmaus bis tief in die Nacht hinein unter freiem Himmel fortdauerte.

Die Familie des Residenten begab sich mit ihren Gästen unter Dach. Dr. Seidel fürchtete die Nachtluft für die Europäer, die Tafel war daher in dem luftigen Speisesaale gedeckt, aber während alle übrigen schmausten und lachten, begab sich Waldow in das stille Zimmer wo sein Kind schlummerte.

Es war dunkel dort, durch die Fenster drang frische milde Luft in den Raum, den der leise Athem des Kindes durchsäuselte. Mit gedämpftem Laute tönte der Jubel der Menge von der Vorderseite des Hauses hierher.

Waldow trat an das Bett seiner Tochter und erstaunte und erschrak zugleich, als er im Dämmerdunkel dort eine Gestalt gewahrte, die zusammengekauert, die Arme um die Knie geschlungen, das Gesicht auf dem Schoos; gebeugt, dort am Boden saß.

Wer ist da? fragte er deutsch den Ort vergessend wo er sich befand, und eine reine, aber gedämpfte Stimme antwortete ihm in derselben Sprache: Ich, Nadi, welche du kennst o Herr. Waldow beugte sich nieder. Es war das schöne malajische Mädchen, die gesprochen hatte und mit einem eigenthümlichen Gefühle der Ueberraschung und des Schrecks sah er die Augen dieses Geschöpfs funkelnd wie die der Tigerkatze auf sich gerichtet. Sie erhob sich und stand aufrecht vor ihm. Er legte die Hand auf ihre Schulter, die sich weich und kühl wie ein Gewand von Atlas anfühlte.

Diese glänzenden Augen, diese atlasweiche Haut, diese schlanke üppige Gestalt ihm so nahe, ließen tausend bittere Erinnerungen, tausend quälende Gedanken in den Hintergrund von Waldows Seele treten. Seit dem Tode von Fatimens Mutter hatte er fast kein anderes Weib als die alte Jüdin, die sein Kind wartete, gesehen. Jetzt stand er vor einem von so seltsamer Schönheit und unter so eigenthümlichen Verhältnissen, daß sein ganzes Ich sich plötzlich beschäftigt und angezogen fühlte.

Wer bist Du schönes Mädchen? flüsterte er leise und mit jenem gedämpften Laut der in allen Sprachen verständlich, die Regungen der Leidenschaft bezeichnet.

Sie war zurückgetreten und sagte noch einmal: ich bin Nadi o Herr hier, im Hause eine Bettlerin, aber darum nicht weniger die Tochter von hundert Fürsten, nicht weniger die geborene Herrin dieser Insel.

Jetzt erst fiel es dem Frager auf, daß er in seiner Muttersprache gefragt und Antwort erhalten hatte.

Er versuchte die Hand der Sprecherin zu ergreifen, aber sie entzog ihm dieselbe mit Stolz, und war im Begriff das Zimmer zu verlassen, als Hans ihr bittend in den Weg trat. Du sprichst die Sprache meiner Heimath, sagte er schmeichelnd, von der ich Jahre lang entfernt bin, Du bist mir dadurch verwandt und befreundet, geh nicht weg von mir, schönes Mädchen, Fürstin oder Bettlerin für mich, dem Heimathlosen bist Du eine Freundin.

Sie wandte sich zu ihm. Ich höre die Laute der Zunge gern, sagte sie mit leisem Seufzer, sie erinnern mich an glückliche Zeiten. Wohl, so laß mich bei dir bleiben, sprich zu mir Nadi, und ich will träumen von der Heimath, von Eltern und Geschwistern.

Er hatte sie bei diesen Worten zu einem der Sessel geführt und sich zu ihren Füßen niedergekniet. Eine heftige Aufregung war in seiner Brust, die durch das wilde Jubelgeschrei von außen, durch die Lauheit der tropischen Nacht, durch das eigenthümliche seiner Lage, sich bis zum Beben jedes Nerven. steigerte.

Kniend vor dem schönen braunen Mädchen unter dem Himmel Indiens, fern von allem was ihn einst gefesselt oder beseeligt hatte, schien es ihm, als ob die Wunder der Märchenwelt zu Wirklichkeiten geworden, um ihn mit Entzücken zu überrieseln.

Nadi blickte lächelnd zu ihm nieder. Sein Auge hatte sich an das Dunkel gewöhnt. Er sah den feinen gluthrothen Mund mit den blendend weißen kleinen Zähnen einzeln stehend, wie die des Leoparden, sah das Auge funkelnd auf dem blauweißen Grunde wie edle Granate in einer Fassung von Opal. Er fühlte die leichte Kühle und Weichheit dieser sammetnen Haut und er beugte sein Angesicht nieder und küßte Nadis Hand, die auf ihrem Knie ruhte. Fremdling, sagte sie und legte diese Hand auf seinen Kopf, auch Du scheinst zu leiden und zu trauern, ich kannte einen Deines Namens und Deiner Sprache, der gut war und mich liebte, aber das ist lange, lange her, und damals war ich ein glückliches Kind, die Lieblingstochter eines Königs, die Freude meiner sanften Mutter.

Und bist Du nicht setzt auch geliebt, holdes Mädchen? wer kann Dich sehen ohne Dich zu lieben, fragte Hans schmeichelnd?

Sie erhob das schöne, wilde Auge zu dem Nachthimmel, dessen tausend für Hans so fremdblickende Sterne durch das Fenster auf sie niedersahen.

Geliebt! o möge ich bewahrt bleiben vor der Liebe jener, die mein Erbe an sich rissen, meuchlerisch meinem Vater nach dem Leben trachteten, ihn und meinen stolzen herrlichen Bruder zur Verzweiflung brachten, und sie dann wie Tiger niederschossen. Die mir und meiner Mutter von dem Reichthum, dessen sie uns beraubt ein Almosen zuwerfen und dafür noch Dank verlangen; dafür noch verlangen, daß ich ihre Speisen essen, ihren Gott und wo möglich sie selbst anbeten soll. – Fremdling, ich weiß nicht wie es zugeht, daß ich neben Dir den Haß vergessen kann, der mich beim Anblick jedes weißen Gesichts, gleichviel ob es einem Holländer oder Chinesen gehört, erfüllt. Wisse, daß meine Seele so voll ist von Wuth und Jammer wie dieser Kelch hier, den ich nur mit der Spitze meines Fingers berühren darf, um den seidenen Teppich auf dem er steht mit der eisigen Fluth zu netzen. Sie sprachen von Liebe, von Wahrheit, von Redlichkeit, sie, diese Geschöpfe, gefräßiger als das Krokodill, falscher als die giftgeschwollene Schlange, tückischer als der Skorpion. Sie wollen mich lehren, daß ihr Gott befahl, unsere Feinde zu lieben, und Denen die uns hassen Gutes zu thun. Für sie eine bequeme Lehre! freilich sie thun das Böse ungescheut, sie rauben uns unser Eigenthum, tödten unsere Väter und Brüder, treten uns in den Staub und predigen uns dafür was sie das Evangelium nennen, daß wir, wir die Unterdrückten, die Elenden nicht hassen, nicht zürnen, sondern ihnen dienen, ihnen vergeben, sie lieben sollen.

Aber ich, flüsterte Hans, die Hand des Mädchens schmeichelnd zwischen seinen Händen haltend, wie man ein wildes Vögelchen halten würde, das die Flügel jeden Moment zum Entfliehen heben will, – aber ich Nadi, hab' weder Dich noch einen der Deinigen je beleidigt. Ich bin fremd und einsam hier wie Du, Dich allein vermag ich unter allen diesen Menschen zu lieben. Dir allein vertraue ich. – Sie sind von meiner Farbe freilich, aber darum nicht meine Brüder und Landsleute. Ich spreche eine andere Sprache, habe eine andere Heimath, einen andern Fürsten als sie. Ihr Land und das meinige liegen weit, weit auseinander, so weit als Ihre Gefühle und die Meinen, wenn es wahr ist, daß sie Dich Mädchen hassen, denn ich liebe Dich Nadi, ich möchte, wenn ich nur zu Deinen Füßen liegen und in Deine Augen blicken dürfte, sterbend mein Geschick segnen, das mich so fern von meinem Vaterlande, so große Wonne finden ließ.

Das junge Mädchen athmete tief und beklommen, ihr funkelndes Auge bekam einen weichen Ausdruck, eine Thräne verschleierte es eine Minute lang, und sank dann von den dunkeln Wimpern brennend heiß, auf Waldows Stirn.

Du sprichst so sanft, Fremder, wie der Freund meiner Kindheit, dem einst mein Herz entgegenschlug, und dem ich die Kenntniß Deiner Sprache verdanke. Meine Mutter lebte noch und mein edler Vater und mein edler Bruder.

Obgleich flüchtig und unstet, waren die Meinen doch noch Herren des Landes und in stetem oft siegreichen Kampf mit diesen Holländern. – Damals krönten Wälder die Höhen jener jetzt kahlen Berge. Wo jetzt nur das starre trockne Alangatang Hirschgras., der schwarzen Schlange und dem gefleckten Leguan zum Versteck dient, stiegen die Riesensäulen der Nipong und Dejattipalmen zum Himmel, und um die silberweißen Stämme des Ratang schlangen sich die grünen Ranken der Lianen. Tauben mit grünem Rücken und purpurrothen Köpfchen wohnten, und bunte Papageien und Affen schaukelten sich in ihrem Netzwerk, das Blumen blau, roth und golden schmückten.

Dort, mitten im Walde, hatten die Krieger, die mein Vater und Bruder befehligten, uns eine Hütte gebaut. Ich schlief darin an meiner Mutter Seite. Dicht daneben stürzte sich ein klarer Bach vom Fels hinab, und sein Donnern wiegte mich in Schlaf.

Jetzt haben die hündischen Chinesen den edlen Wald niedergehauen, das Zinn damit zu schmelzen, das sie aus unsern Bergen stehlen. Dann hat das Feuer gewüthet und die Stamme niedergebrannt, die die gierigen Diebe nicht gefällt. Die Sonne hat den Bach verdorren lassen, den vor ihrer Gluth das Dach der Bäume nicht mehr schützt. Ja, sie dienten einander in Liebe, der perlende silberhelle Bach und die rauschenden dunkeln Bäume. Er tränkte ihre dürstenden Wurzeln, sie beschatteten seinen klaren Spiegel! Wo sind sie jetzt? Wo ist die Hütte, in der ich schlummerte, eingewiegt vom Gesang meiner Mutter, beschützt durch das Schwert meines Vaters? Wo sind jetzt Vater, Mutter, Bruder? Sie schwieg und starrte vor sich nieder. Auf der Stirn, dunkel glänzend wie Marmor, zuckte es wie Gewitterstrahlen, das Auge das vor kurzem so sanft blickte, flammte von Neuem und die Hand, die Hans noch immer in der seinigen hielt, zitterte heftig.

Hans zog ihre Hand an seine Lippen. Sie fuhr empor wie einem Traum. Du bist's Fremdling, der die Sprache des Freundes meiner Kindheit spricht, flüsterte sie heiser.

Ja, ich war glücklich, war ein Kind und geliebt, und man erzählte mir von der Größe und von der Macht meines Vaters und mein Herz war stolz und froh.

Da eines Tages kehrte mein Vater nach einem weiten Streifzuge nach der Hütte zurück, nur begleitet von einem weißen Mann.

Er rief meine Mutter und sagte ihr, daß er sich mit den Holländern ausgesöhnt, und daß dieser Mann der damalige Herr der Insel, den sie Schwend nannten, sein Freund, sein Gast sei.

Wir setzten ihm Speisen vor, wir breiteten die duftigen Matten zu seinem Lager aus, und dann ging meine Mutter in den hintern Raum der Hütte wo sie mit mir zu schlafen pflegte.

Ich war ein Kind, der Vater war so lange fern gewesen, ich sehnte mich nach seinem Schmeichelworte und erwachte in der Nacht vor Sehnsucht, ihn zu küssen und zu herzen. Ich schlich von der Seite der schlafenden Mutter hinweg und hob die Matte empor, die unsere Schlafstätte von der seinigen trennte. – Der Mond schien hell auf das Lager der Männer. Mein Vater schlief, der rechte Arm stützte seinen Kopf, seine linke Hand lag offen auf dem redlichen Herzen. Fern ab lag sein Dolch und sein Pistol, seine Augen zuckten nicht, und seine Lippen lächelten. Nicht so der Weiße. Ich sah, daß er wachte. Sein falsches Auge blitzte. Leise, wie die kriechende Schlange ihre Beute beschleicht, richtete er sich empor und griff nach der Pistole, die neben ihm am Boden lag. Ich hatte Abends ihren glänzenden Lauf betrachtet und mit meinen Lippen das Pulver von der Pfanne weggeblasen, um auch die Figur anzusehen, die mit kleinen Punkten auf den Hahn gezeichnet war, nicht ahnend, daß ich meines Vaters Leben dadurch aus der Hand des weißen Mannes erlöste. – Er kniete auf der Matte neben dem arglos träumenden Fürsten, und richtete den Lauf der Pistole auf das Herz, das ihm vertraute:

Ich schrie wild auf. Der Hahn des Feuergewehrs knackte und mein Vater erwachte von dem Schrei seines Kindes und sah die Augen des Todfeindes auf sich gerichtet. Aber ehe sich der Edle völlig besinnen konnte, wandte der Mörder die Waffe in seiner Faust um und schlug ihm mit derselben ins Gesicht. Er hielt den Arm vor und so schwer war der Schlag, daß derselbe kraftlos und blutend niedersank. Aber meine Mutter kam jetzt und ich schlang meine Arme um die Füße des Mörders, und während auf seinen lauten Ruf mehrere weiße Männer in die Hütte drangen, schlüpfte mein fürstlicher Vater, schwer verletzt und blutend, aus seinem eigenen Hause und entfloh in den Wald.

Uns führte man hinweg.

Aber unter den weißen Verräthern war einer, der Deine Sprache sprach. Eben so gut und edelherzig, als die andern falsch und nichtswürdig, nahm er sich des Kindes und der Gattin, die man heimtückisch gefangen hielt, mit Liebe an. Er nannte sich Gützlaw, und nur sein eignes Unglück hatte ihn unter die elenden Holländer geführt. – Das Schiff, welches ihn nach dem fernen Lande der Chinesen führen sollte, war von einem jener fürchterlichen Stürme erfaßt und zertrümmert worden, die bisweilen an diesen Küsten wüthen. Der größte Theil der Mannschaft hatte den Tod in den Wellen gefunden, während Gützlaw, seiner Kraft und seinem Gott vertrauend, schwimmend Pulu-Leat erreichte. Von dort hatten ihn Fischer hierher gebracht. Er wollte hier nur so lange verweilen, bis er ein Schiff gefunden, das ihn nach China bringen könnte. Er hatte alles beim Schiffbruche verloren, seine Kleider, sein Geld, seine Bücher. Nur seine Güte und seinen Edelsinn hatten die salzigen Wellen nicht von ihm wegwaschen können. Er war's, der sich unsrer annahm, als man uns gefangen nach Müntock schleppte. Er sorgte für meine Mutter, die erkrankt war, er spielte mit dem weinenden Kinde und sprach mit uns von Gott und dem Heiland der Christen. – Fast ein Jahr lang war er unser Freund und Gefährte, und wir lernten seine Sprache, während wir ihn die unsrige lehrten.

Damals war der Hung-Gue, der jetzige Capitain der Chinesen, noch ein armer Tagelöhner, aber klug und gewandt, wie kein Anderer. Durch seine Vermittlung gelang es meiner Mutter, Nachricht von meinem Vater und Bruder zu erhalten. Depotti Barin hatte mit Hülfe seines Sohnes Amir ein neues Heer gefunden und that, in den Bergen hausend, den Holländern großen Schaden, aber die Hülfe, die er von den Engländern aus Sumatra erwartet hatte, blieb aus, das Fieber wüthete unter den treuen Anhängern des alten Fürstenstammes und zu dem verzehrte sich mein Vater in Sorge um Weib und Kind. – Der schlaue Chinese, der ganz Treue, ganz Anhänglichkeit zu sein schien, trug den Mantel auf beiden Achseln und diente den Holländern so gut als uns, und so kam denn endlich durch seine Vermittlung ein Vertrag zu Stande, in dem Vater und Bruder ihre Hoheitsrechte an die Holländer abtraten, die ihnen dafür eine Pension zahlten und die Wiedervereinigung der getrennten Familie gestatteten. Das war ein Wiedersehn! Der edle Gützlaw war dabei gegenwärtig und empfing den Dank und Segen meines Vaters. Bald darauf ging er zu Schiffe nach China, ich habe nie mehr von ihm gehört, aber stets seine Sprache üben können, weil Myfrouw Rheeder sie mit mir spricht, die mich zu sich nahm, als –

Sie brach ab, ein Schauder schien sie zu überrieseln, und Hans betrachtete mit verdoppeltem Interesse das schöne Geschöpf, das so viel gelitten hatte und so lebhaft fühlte.

Mitternacht mußte längst vorüber sein. Draußen flammten noch immer die Freudenfeuer, tönte noch immer der wilde Jubel des Festes. Hans hielt das schöne Mädchen in seinen Armen, das vertrauend das dunkle Antlitz auf seine kräftige Schulter gelehnt hatte, und den strömenden Thränen freien Lauf ließ. – Sein Herz schlug, und eine Art von wildem Entzücken, mit nichts, was er je gefühlt, zu vergleichen, rann durch sein Blut in dem Gefühl seiner eigenthümlichen Lage; Nadi erschien ihm wie ein gezähmter junger Panther und die Macht, die er ganz ohne sein Zuthun über dies seltsame Geschöpf gewonnen hatte, kam ihm wie ein Zauber vor. – Hier fand er endlich, was er so lange gesucht, eine Aufregung des Gefühls ohne weichliche Beimischung.

Die Liebe dieses Mädchens, die sich ihm so offen kund gab, glich in nichts den zahmen Wallungen der zivilisieren Sünderinnen, die bei ihren Vergehungen dem Manne das Opfer ihrer Hingebung in jedem Blicke, in jedem Tone anrechnen.

Sie glich eben so wenig der weichen duftigen Liebe der Orientalin, die auch ihm gegenüber immer noch sich als Sklavin zeigte. Hier war Natur, wilde üppige großartige Natur. Ein Weib, stolz, kräftig und schön wie das Land, das sie geboren, und dessen Fürstin zu sein sie sich rühmen konnte, gab ohne Bedingungen, ohne Bitte, aus freiem Antrieb ihr Ich in seine Hände und verlangte nichts, nichts dafür, nicht einmal die Versicherung der Gegenliebe.

Sie erwiederte bebend seine Liebkosungen, ohne zu fragen, ohne zu zweifeln, oder zu fürchten, Ihm war zu Muth, als ob Ströme von Glück ihn überrieselten, als ob er mit der lauen Nachtluft Wonne tränke und bebend druckte er das schöne wilde Wesen an sich, das ihm zugleich begehrenswerth und schrecklich erschien.

Da öffnete sich leise die Thür. Es war Doctor Seidel, der noch einmal nach Fatimen sehen wollte. Er trat mit seinem gewöhnlichen ruhigen Schritt an das Bett des Kindes, schien aber zu erschrecken, als er die Malajin in Waldows Armen erkannte.

Das Mädchen machte sich nicht los, sie hob nur den Kopf empor und warf einen Blick auf den Eingetretenen, Waldow indeß löste leise ihre Arme von seinem Nacken und trat nicht eben ganz unbefangen an das Bett seines Kindes zu dem Arzte.

Man vermißt Sie sehr in der Gesellschaft, Lieutenant, sagte Seidel mit eigenthümlicher Betonung.

Hans fühlte, daß der redliche Alte ihn warnen wollte. Wie gehts mit Salome? fragte er, seine Aufregung verbergend.

Schlecht, das Fieber nimmt überhand, und was wird aus dem Kinde hier am Ende der Welt, wenn die Alte stirbt? – war die Antwort.

Es wird dem kleinen Mädchen nicht an einer Freundin und Pflegerin fehlen, so lange Nadi lebt, sagte das malajische Mädchen mit so unsäglich liebevollem Tone, daß das Herz des alten Mannes sich in seinen Tiefen regte.

Hans fühlte sich weniger davon gerührt. Sein Aufenthalt in dieser abgelegenen Gegend konnte nur von sehr kurzer Dauer sein und ferne lag es von ihm, das junge Geschöpf, das ihm seine Liebe auf so unverholene Weise gezeigt, mit sich in sein abentheuerliches Leben reißen zu wollen. Hier, wo sie geboren, wo man sie als Tochter von hundert Fürsten des Landes kannte, hier war Nadi ein würdiger Gegenstand für einen flüchtigen, aber süßen Liebestraum. Welche Rolle sollte sie dagegen in Indien, unter den englischen Damen, die er dort unter den Reihen der Offiziere kennen zu lernen hoffte, welche sollte sie wohl gar in seiner Heimath spielen.

Er mußte lächeln bei dem Gedanken an die kleine Stadt, die einst seine Welt gewesen; wenn er sich das wilde, braune Mädchen dort dachte. Der alte Marktplatz mit dem rieselnden Brunnen, das Vaterhaus, in dem seine schöne Schwester wie eine Fee waltete. Der große, grüne, schattige Garten seines alten Freundes, Wald und die Treibhäuser mit den verkrüppelten Dattelpalmen, mit der unter tausend Mühen reifenden Ananas standen ihm lebhaft vor der Seele.

Und zum offnen Fenster hinein blickten die Sterne des Kreuzes, wehte der Wind Bengalens, und zu seinen Füßen kniete die leidenschaftliche Tochter des Südens, die ihn liebte, und beugte sich über das Antlitz seines Kindes, des Kindes, das einer Liebe das Leben verdankte, die verloschen war, wie jede frühere, obgleich der Tod und das Leben ihr ein heiliges Siegel aufgedrückt hatten. Ein Schauder rann über seine Glieder, er legte die Hand auf Nadi's schöne Stirn und folgte dem Arzte, der ihn zurück in die Gesellschaft führte, in der sich jetzt auch der Chinese Hong-Gue befand.

Er hatte unter vielen Bücklingen die Familie des Residenten sammt den anwesenden Europäern für den folgenden Tag in sein armes Haus eingeladen, das, wie der Doktor Waldow ins Ohr flüsterte, circa eine Armuth von mehr als 200,000 Piaster enthielt. Auch gegen Waldow wiederholte er seine höfliche Einladung und in der Frühe des nächsten Tages brach die Gesellschaft nach dem Kampong des Chinesen auf.

Die Wege der Insel sind meist steinig, schattenlos und für Fuhrwerke gänzlich unzugänglich. Mehr als hundert Kulis (malajische Lastträger) standen daher mit Tragesesseln bereit, und auch die Männer machten von diesem landesüblichen Transportmittel Gebrauch. Dr. Seidel aber gab Hans einen Wink und erklärte, daß er seine eigenen 2 Füße den 16 der Träger vorzöge und Hans begleitete den Alten, der die Botanisirkapsel auf dem Rücken, das Schmetterlingsnetz in der Hand wohlgemuth dem Zuge voranschritt.

Der goldene Sonnenball stand noch am Rande des Horizonts, als die Gesellschaft abging. Man schlug einen Pfad ein, der durch eine Wüste von trockenem raschelndem Hirschgrase ins Innere der Insel führte. Es ging langsam bergauf, aber nach etwa einer Viertelstunde nahm der Wald die Gesellschaft in seine Schatten auf.

Hier wohnte zwischen den hohen riesigen Räumen der Genius der Stille.

Hierher konnte selbst das Licht der tropischen Sonne nicht ungehindert seinen Weg finden. Einer riesigen Säulenhalle gleich erhoben sich die schlanken mächtigen Stämme zum tiefblauen Himmel, der nur selten zwischen den ungeheuren Gewölben der kuppelartigen Zweige durchblickte. Einzelne Stämme erschienen glänzend weiß wie von geschlagenem Silber, andere befranzt mit grauem Moose. Noch andere sendeten die Zweige wieder zur Erde, dort von neuem Wurzel zu schlagen, so daß ein einzelner Baum, einen eigenen Wald bildete, und zwischen den tiefgrünen Blättern, hingen versteckt die Früchte, hochgelb, purpurroth und bräunlich, bald lang wie Kerzen, bald rund und kopfgroß. Die Blätter einzelner Bäume glänzend, wie von Wachs, reflectirten jeden darauf fallenden Sonnenstrahl, andere waren tiefgrün und sammetartig, noch andere von riesenhafter Länge und wie ungeheure Fächer gefaltet. Und von Zweig zu Zweig, von Stamm zu Stamm kletterten die Lianen, mit ihren biegsamen Zweigen sich fest anklammernd und die mächtigen Stämme, die ihnen zur Stütze dienten, mit der Pracht ihrer tausendfarbigen Blüthen schmückend. Tauben, Papageien, Becos von den buntesten Farben, schaukelten sich auf den Blättern und Ranken; Affen und Eichhörnchen schlüpften durch die Zweige. Die Natur schien ihre reichsten Gaben verschwenderisch auf diesen schönen Ort ausgeschüttet zu haben, und die bunte Gesellschaft, die Hans und der Doctor allmälig an sich vorüberziehen ließ, trug nicht wenig dazu bei, das tropische Waldbild zu verschönern.

Festen Tritts und mit den Trägern Schritt haltend, gingen die Beiden in gemessener Entfernung hinter dem letzten Palakin her. Dr. Seidel hatte noch keinen Augenblick an den Reichthum der Pflanzen und Thierwelt um sich her gedacht, kaum sah er sich mit Hans allein und unterm Schatten des Waldes, so ergriff er seine Hand und sagte: Wir sind jetzt längere Zeit Reisegefährten, junger Mann, und ich nehme Theil an Ihrem Geschick, für das ich Furcht zu hegen begann. Hans schüttelte dankbar des Alten Hand, ich merke Ihre Theilnahme, werther Freund, aber ich sehe nicht ab, was sie besorgt macht.

Hören Sie Bester, Sie kennen das Land und seine Sitten nicht, das Sie betraten. Der Europäer steht hier nicht in hohem Ansehn. Hier aus dieser kleinen Insel ist die Urbevölkerung zwar mehr als anderswo geknechtet, aber keineswegs treu oder anhänglich gemacht. – Drüben auf Sumatra giebts noch ganze Völkerschaften von Menschenfressern, die ihren Feinden das Fleisch von lebendigem Leibe schneiden und es mit Salz und Limonensaft verzehren. – Die Sultane von Bards haben einen Preis von 1000 Thalern auf den Kopf jedes holländischen Offiziers gesetzt und selbst bei den gänzlich Ueberwundenen räuchert der Hausvater hinter dem Europäer her, wenn er durch seinen Eintritt seine Hütte verunreinigt hat. Vor allem aber ist hier der Umgang mit dem schönen Geschlecht gefährlich. Küssen Sie hier ein Mädchen, so übernehmen Sie die Verpflichtung der Ehe und müssen noch ein hübsches Sümmchen an Eltern, Verwandten und Freunde bezahlen, für das Glück ein braunes Weib mit sich schleppen zu dürfen. – Es giebt hier der Weiber weniger als der Männer, und man fragt nach diesem raren Artikel daher mehr als in Europa. Die Chinesen treiben einen ordentlichen Handel mit ihren Töchtern, die meistens sehr hübsch sind, und die man ihnen gern mit einem Teller voll Piaster bezahlt; denn von denen ist die Scheidung nachher leicht und die Schönen werden oft 4 bis 5 mal kurz hintereinander an holländische Offiziere vermählt, auch sind diese Damen sanfter und gelehriger, nicht ungeschickt in häuslichen Geschäften und demüthige Gefährtinnen ihrer Männer.

Anders ist es mit den Töchtern der Eingeborenen. Sie verlassen den Mann nicht, an den sie sich einmal gehängt, sie verstehen und lieben keine Arbeit, wohl aber machen sie gewaltige Ansprüche an Putz und Bequemlichkeiten, und vor allem an die Treue ihrer Erkohrenen, wenn dies Europäer sind. Ich reiste einst mit einem holländischen Schiffskapitain, der solch' eine braune Dame zur Frau hatte, den armen Schelm hab' ich beklagt! Er durfte nicht um sich blicken ohne Erlaubniß seiner Gebieterin. Sehen Sie Sich vor, Freundchen, und bedenken Sie besonders, daß das junge Geschöpf, dem Sie den Hof machen, die Tochter eines im besten Andenken stehenden Landesfürsten ist. Die kleinste Beleidigung gegen diese stolze Schönheit, und die braune Bevölkerung der ganzen Insel erwacht aus ihrer Lethargie und das Feuer des Aufruhrs brennt an allen Ecken. Das sind nicht Leute, mit denen man scherzen kann. – Als der Vater und der Bruder nach jahrelanger Unterwürfigkeit gegen die Holländer einst bei einem Neujahrsfeste sich zurückgesetzt glaubten, indem man ihre Polster nicht neben, sondern hinter den Residenten legte, berauschten sie sich mit Opium und rannten mit vergifteten Dolchen umher, jeden verwundend, der ihnen begegnete. Es waren die letzten Amockläufer auf der Insel. Man schoß sie, wie das Gesetz es befiehlt, wie tolle Hunde nieder, aber es dauerte Monate bis sich die braune Bevölkerung darauf beruhigte, und mancher blutige Mord ist in der heiligen Stille dieser Wälder verübt worden. –

Waldow fühlte ein leises Frösteln durch seine Adern rinnen, aber eben das Abentheuerliche, ja das Fürchterliche dieses seltsamen Liebeshandels verlieh demselben in seinen Augen nur einen neuen Reiz. Die Blume des Glücks, umgeben von so vieler Gefahr, schien ihm unendlich wünschenswerther als die, welche man am Wege blühend findet. Ja sogar das leise Grauen, was das junge schöne Mädchen selbst ihm einflößte, erhöhte seine brennende Leidenschaft. Nadi's gedenkend, sich den Blick ihrer wilden zauberischen Augen vergegenwärtigend, schritt er neben dem Doctor her, der nun sich seiner Liebhaberei hingab und die großen prächtigen Schmetterlinge verfolgte, die sich auf den Zweigen der Lianen wiegten.

Etwa um 8 Uhr Morgens langte die Gesellschaft auf einem freien Platz im Walde an, in dessen Mitte ein Dach von Palmenblättern, das hölzerne Säulen trugen, die Apparate zum Schmelzen des Zinns schirmte. Hier befand man sich schon auf dem Grund und Boden des Hong-Gue und seine Diener erwarteten die Ankommenden bereits mit Erfrischungen, um ihnen dann als Wegweiser zu dienen.

Die Schmelzfeuer waren ausgelöscht, denn das Geschäft des Zinnschmelzens wird auf Banka nur zu gewissen Jahreszeiten und auch dann der Hitze wegen nur des Nachts betrieben. Die Arbeiter waren fern, aber der Haushofmeister des Hong-Gue zeigte den Europäern die Einrichtung des Schmelzofens, der sehr einfach von Lehm erbaut war. Große Haufen Kohlen aus den prächtigsten Stämmen des Waldes gebrannt, lagen in der Nähe der Hütte. Die Stelle des Blasebalgs vertrat ein Cylinder in dem 8–10 Arbeiter eine an einem Stabe befestigte Scheibe hin und wieder stoßen, und dadurch den nöthigen Luftzug erregen. Der Doctor betrachtete sich das alles sehr aufmerksam. Hier könnte man durch die Einführung europäischer Blasebälge in 10 Jahren zum reichen Manne werden, sagte er zu Hans, der träumend neben ihm stand, und den Wald, den hier ein Bach durchrieselte, die einsame Schmelzhütte, die chinesischen Diener und die bunte Gesellschaft, die im Schatten frühstückte, betrachtete.

Nadi war nicht anwesend, nur die Kulis, die lang ausgestreckt am Ufer des Baches lagen, waren Farbige und zwischen ihnen und den Europäern konnte kaum ein größerer Unterschied sein, als zwischen den Europäern und den Chinesen, die diensteifrig hin und her liefen und Speisen und Getränke vertheilten. Alle anwesenden Europäer, sowohl die Hausgenossen des Colonnel Rheeder, als die Reisenden, waren mit Säbel, Dolchen und Pistolen bewaffnet, selbst die Damen trugen Dolche mit Edelsteinen ausgelegt im Gürtel. Hans kam sich vor, als wären die Märchen seiner Jugend zur Wirklichkeit geworden, und sein Herz schlug in ungestümer Aufregung.

Den Rest des Weges benutzten auch er und Doctor Seidel, die für sie bestimmten Palankine und etwa um 10 Uhr langte man im Hause des reichen Chinesen an. Weit vorher schon ging man durch große Anpflanzungen von Kokosbäumen, und ein breiter wohl unterhaltener Weg führte nach dem schönen Landhause des Hong-Gue. Ein Garten von beträchtlicher Größe, in dem die edelsten Fruchtbäume Bankas wohlgepflegt und in seltner Schönheit prangen, umgiebt ein mächtiges Haus, dessen roth und blau gemalte Fronte im Sonnengolde glänzt. Vier viereckige Thürmchen zieren die vier Ecken des hohen und weit überragenden Daches. Der Hausherr im festlichen Putz, eben so breit, eben so bunt, eben so viereckig als sein stattliches Haus, kam ihnen schon vor dem Garten entgegen und hieß sie unter vielen und lebhaften Verbeugungen willkommen. Die Wände der Zimmer stattlich bemalt mit goldenen Drachen und Blumen auf blauem und rothem Grunde waren mit vielen und kostbaren Hausgeräthe geschmückt, das zwar in Gestalt und Farbe eigenthümlich und nicht ganz dem europäischen Geschmack entsprechend, doch jedenfalls hübsch und zweckmäßig war.

Ausnahmsweise zeigten sich auch bald die Damen des Hauses, die Gattin des Hong-Gue, eine hübsche Frau, blendend weiß mit dunkelm Haar, schönen, nur wenig schief stehenden Augen und zwei Töchter von vielleicht 19 und 17 Jahren, die in ihrer Kleidung vom zartesten indischen Mousselin mit Schleifen von Goldband und goldener Stickerei auch in einer europäischen Residenz für schöne Mädchen gegolten hätten. Sie nahmen My Frouw Rheeder und die übrigen holländischen Damen sogleich mit vieler Artigkeit in ihre Mitte und begannen eine lebhafte Unterhaltung in holländischer Sprache, deren sie, so wie der englischen völlig mächtig waren. Auch der Hong-Gue sprach holländisch, englisch, sogar ein wenig französisch und lauschte mit vieler Aufmerksamkeit des deutschen Gesprächs, das Hans, Dr. Seidel und Kapitain Wilson ab und zu mit einander führten. Seit der Anwesenheit des deutschen Missionair Gützlaw auf Banka hatte er zwar mit keinem Deutschen gesprochen, verstand aber viele Worte und Redensarten der Sprache, und machte sehr gute Bemerkungen über ihre Verwandtschaft mit der holländischen und englischen.

Man speiste, besah die Gärten, die reinlichen Höfe, ja selbst die fast eleganten Schweineställe, die der Stolz des Chinesen sind. Der Chinese liebt sein Schwein wie der Araber sein Pferd mit einer Art von hochachtungsvoller Zuneigung, die diesem Thier sonst wohl von keinem Theile der Menschen-Familie gezollt wird; auch ist das Schwein des Chinesen ein anderes Thier, als das unsrige. Es wird gewaschen und gebadet, und sieht beständig ebenso glau als fett aus.

Waldow beschäftigte sich, soviel die Sitte dies nur irgend erlaubt, mit den Damen, Mutter und Töchter waren in ihrer Weise Schönheiten und nur eins war in ihren Zügen für europäische Schönheitsbegriffe störend, die weit zurücktretenden Stirnen. Die Gattin des Hong-Guo hatte ein gewisses matronenhaftwürdiges Wesen, das Vertrauen und Zuneigung erweckte, und sie schien sich für Waldow zu interessiren, denn sie heftete ihre dunkeln klugen Augen mehr als einmal auf ihn mit dem unverkennbaren Ausdruck der Theilnahme, und bei einem Gange durch den Garten in der Abendkühle, redete sie ihn in wohlklingendem Englisch an.

Du hast o Herr, sagte sie, ein schönes Kind bei Dir, das die Mühseligkeiten und Gefahren Deiner Reise theilen muß. Mein Hausherr erzählte mir dieses und auch, daß die Pflegerin Deiner kleinen Tochter unerrettbar dem Tode verfallen sei. – Du bedarfst natürlich weibliche Hülfe und bewirbst Dich um Nadi, die Tochter des Depatti-Barin. Mein Hausherr sagte auch, daß die stolze Fürstentochter Dir zu dienen und Dich zu lieben entschlossen sei, um ihres Jugendfreundes, Gützlaw willen, den sie verehrt.

Wir haben Deiner viel gedacht in unserm armen Hause. Auch wir kamen übers Meer mit einem kleinen Kinde, aber es war ein tüchtiger Knabe, und er schlief auf meinen Mutterarmen. Möge Nadi Deinem Kinde eine wahre Mutter sein.

Waldow's Herz erbebte, er sah sich plötzlich in ein ganz bekanntes Verhältniß zu dem schönen braunen Mädchen versetzt, und fühlte mit Schreck, daß die Sitte dieses fernen Landes dem Mann, der sich Rechte über ein Weib aneignet, Pflichten gegen dasselbe auferlegt. Kennst Du edle Frau, sagte er mit einigem Zögern, Nadi, die Tochter des Depatti-Barin?

Von ihrer Kindheit an, o Herr, sagte die Chinesin. Sie ist stolz, wie es ihrer Geburt ziemt, ehre sie und sie wird Dich ehren, sei gütig gegen sie und sie wird Dir dienen in Liebe; aber verachte, vernachlässige sie nie, denn sie gehört einem Stamme an, der sich fürchterlich zu rächen weiß.

Die Verbindung mit ihr wird Dir große Vortheile bringen, auch darfst Du, da sie keine Verwandten im Leben hat, für sie kein Heirathsgut zahlen, wie Du es müßtest, wenn Du eine Tochter meines Volkes oder ein anderes Mädchen aus diesem Lande Dir erwählt hättest. Nadi's Vater besaß Schätze, deren Dasein und Versteckort nur die Tochter allein kennt, denn dieses Volk wendet seine Reichthümer nicht an Bequemlichkeit oder kaufmännischen Speculationen, wie das meine, sondern es vergräbt sie und vererbt sie auf Kind und Kindeskind. Depatti-Barin muß an Gold und Edelsteinen ein großes Vermögen nachgelassen haben, das Dir wohl zu Gute kommen wird.

Hans von Waldow war eben nicht eigennützig, er war nur ein junger Mann unsrer Zeit. Nadi, die braune Gefährtin und Gesellschafterin der Frau Rheeder, war ihm wie ein hübsches Spielzeug erschienen. Nadi, die stolze Tochter eines indischen Häuptlings, gewann an Reiz und Interesse durch das eigenthümliche ihrer Verhältnisse, aber Nadi, die Erbin eines großen Vermögens, des Vermögens eines indischen Fürsten, wurde plötzlich zu einem andern Wesen. Im fürstlichen Prunk neben einer fürstlich gebornen Gattin, verzeiht man es in unserm civilisirten Europa leicht, daß diese Gattin neben der Schönheit auch die Farbe einer Bronze-Statue hat.

Im Hause des Chinesen sprach Hans zum ersten Mal mit Frau Rheeder von Nadi, als von einem Wesen, das ihm lebhaftes Interesse eingeflößt. – Die sanfte holländische Dame heftete ihre großen hellen Augen mit Aufmerksamkeit auf ihn.

Es ist nichts Seltenes, daß Europäer, die sich hier lange Zeit aufhalten, Verbindungen mit eingeborenen Frauen schließen, sagte sie freundlich. Hier in unserer Abgeschiedenheit bedarf der Mensch mehr noch als in andern Verhältnissen des häuslichen Glückes. Die Liebe einer Frau kann dies einem Manne überall bereiten, es kommt da nicht auf Rang, Reichthum, Nationalität, nicht auf die Farbe an. Sie aber Herr v. Waldow, der Sie unsre Insel nur im Fluge berühren, wollen ein Mädchen mit sich in Gegenden nehmen, wo sie außer Ihrer Liebe nichts findet, das sie anheimeln könnte. Wo ihre Farbe sie zu einem Geschöpf macht, das überall Aufmerksamkeit erregt und doch wohl nirgend Theilnahme findet. Nadi gehört einem stolzen rachsüchtigen Geschlecht an. Sie wird keine Zurücksetzung ertragen. Ist es gut gethan, eine Verbindung zu schließen bei so verschiedenen Verhältnissen? bei so geringer Kenntniß der Charaktere?

Gnädige Frau, entgegnete Waldow lebhaft, Nadi ist ein Wesen so außerordentlicher Art, die Verhältnisse, unter denen ich sie kennen gelernt, sind so ungewöhnlich, daß ihr gegenüber jedes Außerordentliche, jedes Ungewöhnliche gerechtfertigt erscheint.

Wenn das Ihre Ansicht ist, sagte Capitain Wilson hinzutretend, so bleiben Sie hier auf Banka, Lieutenant. Es wird Ihnen leicht werden, sich in dieser schönen Natur zu acclimatisiren, sie werden ohne Mühe bei ihren Kenntnissen der Chemie und Mechanik, in den Zinnwerken hier Beschäftigung finden und sich ziemlich schnell ein Vermögen erwerben. Hier ist Nadi zu Hause, hier hat eine Verbindung wie die, welche sie schließen wollen, nichts Auffallendes, ihr Kind wird hier gedeihen und sich wie das jung versetzte Bäumchen leicht einwurzeln. Von heut über 20 Jahr denken Sie umgeben von einer Schaar brauner Kinder, an ihre Heimath, wie an einen Traum und es wird Ihnen scheinen, schon ihre Wiege hätte hier in den Zweigen der Lianen geschaukelt. Ich habe mich auch in Indien angesiedelt und obgleich ich an den Ufern der Nordsee geboren bin, so ist jetzt meine Heimath doch in meinem kleinen Hause in Kalkutta.

Ich denke, entgegnete Waldow, daß in der ganzen Welt das Weib dem Manne folgt und sich seinen Verhältnissen anpaßt. Ich will auf meiner Reise mir Kenntnisse, Vermögen und Ruhm erwerben, finde ich nebenbei, wie es scheint, auch noch Liebe, so ist das eine Gabe des Glücks, die ich gerne mit mir nehme in mein bewegtes Leben, aber Liebe darf das Leben eines Mannes nicht ausfüllen, nicht von seiner Bahn ablenken. Ich werde erwartet im brittischen Indien, ich habe dort einen Beruf, habe Pflichten zu erfüllen. – –

Mein Herr hat Recht, unterbrach ihn die chinesische Matrone sanft, in allen Ländern der Welt, bei allen Völkern der Erde folgt die Frau dem Manne und Nadi, die Tochter des Depatti-Barin, wird dem Gatten, den sie sich erwählt, auch folgen, wie stolz sie immer auch ist.

Der frühe tropische Abend rief die Gesellschaft ins Freie. Im Garten waren vielfarbige Lampen an den schlanken Palmstämmen befestigt.

Man setzte sich zum Speisen an langen Tafeln nieder, Hans war der Nachbar des Hong-Gue. Sie unterhielten sich in englischer Sprache und bewundernswürdig war die Gewandtheit, mit der der kluge Sohn des himmlischen Reiches die Fragen, die Waldow ihm vorlegte, umging oder mit andern Worten beantwortete. Bei ihm schien ganz eigentlich die Sprache das Talent seine Gedanken zu verbergen oder zu verschleiern.

Es lag dem Frager daran, zu erfahren, wie groß das Vermögen sei, welches Depatti-Barin seiner Tochter hinterlassen habe, aber obgleich der Chinese ihm nie eine Antwort schuldig blieb, so belehrte doch keine derselben ihn über die eigentliche Summe von Nadi's Eigenthum.

Sie besitzt als Vatererbe einen Schatz, der vielleicht einzig in der Welt existirt, sagte Hong-Gue, einen Schatz, der selbst hier in Indien nicht seines Gleichen hat, dessen Werth ein Europäer gar nicht zu ermessen versteht.

Hans v. Waldow, dachte an den Kohi noor, an eine Perle von ungeheurer Größe, aber wie er seine Fragen auch stellte, das Genaue an der Sache konnte er nicht ergründen.

Bei der Rückkehr der Gesellschaft am folgenden Tage, traf ihn die Nachricht von Salomes Tode. Die Matrone, deren Väter am Ufer des Jordan wohnten, der die Wellen der Ostsee das Wiegenlied, die Wellen des Bosphorus das Brautlied sangen, fand ihr Grab unter den Palmen Indiens, auf einsamer Insel. Sie hatte nun genug Liebesgrüße hin und wieder getragen, genug Geschichten erzählt von der Ritterlichkeit und Treue der Männer des Westens.

Still ward die Leiche auf den Kirchhof geschafft. Niemand, nicht einmal Hans folgte ihr; denn dieser lag am Bettchen seines Kindes, zu Füßen des braunen schönen Mädchens, das allein in der ganzen Welt um die Dahingeschiedene weinte.

Und warum weinte Nadi? wie war ihr die Kranke so plötzlich werth geworden?

Krank und selbst dem Tode nahe hatte Salome ihre alte Liebhaberei nicht lassen können, sie hatte in das aufmerksame Ohr der fürstlichen Jungfrau ihre alten Märchen von Liebe und Treue von der Ritterlichkeit ihrer Landsleute und von ihres Herrn Leidenschaft für die schöne Zuhörerin geflüstert. Sie hatte das Feuer in der stolzen Tochter des Südens zur Flamme angeblasen, Nadi hatte gehorcht, mit allem Entzücken eines einsamen, bisher ungeliebten Weibes.

Die Ausbesserungen, deren die »kleine Zigeunerin« bedurft hatte, waren endlich beendigt; die Matrosen theils gestorben, theils genesen und fähig, die weitere Seereise zu ertragen; die Ladung Zinn, welche Wilson mitnehmen sollte, eingestaut. Die Reise sollte weit gehen, zuerst nach Kalkutta, wo Herr von Waldow erwartet wurde. Die kleine Fatime hatte sich während des Aufenthalts auf Banka merklich entwickelt und mit jedem Tage mehr an Nadi gewöhnt.

Es war entschieden, daß diese den Vater des Kindes auf seinen ferneren abenteuerlichen Zügen zu begleiten entschlossen sei, und die Vorkehrungen zu der Verbindung beider, wie sie landesüblich, wurden getroffen.

Colonel Rheeder ging mit Hans am Ufer eines jener Flüßchen spazieren, an denen Banka so reich ist und einst noch reicher war.

Sie sprachen von Nadi.

Es ist ein stolzes, kühnes und nach dem Begriffe dieses Landes edles Geschlecht, dem das junge Geschöpf angehört, sagte der Resident, aber es ist für einen Europäer immer ein Wagestück, sich mit einem Weibe der braunen Raçe zu verbinden, am meisten aber mit der Tochter Depatti-Baries.

Und warum das, Oberst? Nadi ist schön wie ein Geschöpf des griechischen Meißels, sie ist bildungsfähig, sie denkt und fühlt lebhaft und zudem besitzt sie Reichthümer, die manchen, ja die meisten Europäer mit der braunen Farbe ihrer Haut versöhnen würden.

Wissen Sie das gewiß, Kapitain? diese Malajen vergraben ihre Schätze und oft gehen bei dem plötzlichen Tode eines Vornehmen ungemeine Reichthümer verloren. Von dem was Depatti-Barie besaß, kann außer Nadi nur ein einziger Mensch Kenntniß haben – der Chinese Hong-Gue.

Von ihm weiß ich aber, daß Nadi sehr reich ist.

Trauen sie den Chinesen nicht zu viel, ein altes Sprüchwort in Sibirien sagt: Auf die Schlauheit eines Chinesen geht die von 2 Russen, auf die eines Russen, die von 6 Juden. Wenn das Mädchen sonst Ihnen zur Gefährtin nicht erwünscht ist, die Hoffnung auf Reichthümer könnte sich leicht als Täuschung ausweisen, wenn Sie sie nur auf das Wort des Chinesen bauen.

Hans konnte es nicht hindern, daß das Blut heftig in sein Gesicht schoß, ein unaussprechlich drückendes und unangenehmes Gefühl überkroch sein Inneres bei dem Gedanken, daß er in dieser Beziehung getäuscht sein könne und wie sehr er auch gewohnt war, seine Motive und sich selbst zu verbergen und zu verschleiern, in diesen Augenblick mußte er es eingestehen, daß nur die Hoffnung auf fürstliche Besitzthümer ihn mit dem Gedanken versöhnt hatte, das braune Mädchen als seine Gattin mit sich herumzuschleppen und endlich in sein Vaterland zu führen.

In diesem Augenblick kam aus dem Dunkel des Wäldchens, durch das der Fluß sich schlang, Myfrouw Rheeder mit ihren Kindern, Fatimen und Nadin ihnen entgegen. Fatime, schön wie ein Schmetterling, flatterte um das braune Mädchen her, daß sich von Zeit zu Zeit zu ihr niederbeugte.

Dr. Seidel und Wilson hatten sich ebenfalls der Gesellschaft angeschlossen und folgten den Damen; der erstere die Botanisirkapsel auf dem Rücken, das Schmetterlingsnetz in der Hand. Welche wundersame Landschaften diese kleine Insel hat, sagte der alte Naturforscher, hier rechts ab, wenn man dem Laufe des Baches folgt, der da aus dem Walde kommend, sich mit diesem Flüßchen vereint, ist ein Fleck, der der Göttin der Stille geheiligt zu sein scheint. Kennen sie ihn schon Waldow, es ist ein altes Bollwerk; dort am Wasser nicht weit davon steht eine einsame Hütte.

Man schlug den bezeichneten Weg ein und gelangte in ein dunkles, feuchtes, von Hügeln eng umschlossenes Thälchen, der kleine Fluß war hier ziemlich breit und schien tief, die Bäume von weißen langen Moosbärten umkleidet, sahen finster und altersgrau. Die Sonne vermochte nicht ihr dichtes Dach zu durchdringen und eine fast unheimliche Stille lag über der Landschaft.

So wie dieser Platz, sagte der Doktor, mag der Erdboden vor jener Epoche ausgesehen haben, die wir die Sündfluth zu nennen pflegen. Diese feuchte Brütwärme, diese rieselnden Wasserpfäden, die sich endlich zu Strömen vereinen, diese in einander geflochtenen Blätter und Zweige der seltsamen Pflanzenriesen und darüber ein Himmel voll grauer und ewiger Nebel.

Nur wir Menschengestalten gehören nicht in dieses Bild; zwischen den Riesenstämmen der Permischen Periode wandelten die ewige Stille durch ihr Schnauben unterbrechend, nur der riesige Plesiosaurus, das gewaltige Megaterium, und geflügelte drachenartige Ungeheuer flatterten umher, unter und über den mächtigen Baumkronen jener Farren und Bärlappen, deren wunderliche, verkohlte Stämme jetzt eine Art von Unterkleid der alten Erde bilden.

O, wir Menschen sind Eintagsfliegen, wir mögen unser einzeln Leben oder die Existenz unsrer Gattung hier auf dem Erdboden betrachten.

A was da, lachte der fröhliche Schiffer, das Leben jedes Einzelnen von uns ist lang genug, Gott und unseres Gleichen lieben zu lernen, sich an allem Schönen der Erde zu freuen und das Leben der Gattung ist auch lang genug gewesen, um uns des Guten und Schönen viel zu Genuß und Gebrauch zu erzeugen. Basta, mehr brauchen wir nicht. Während dieses Gespräches hatten die Kinder sich dem Rande des Flusses genähert und schauten neugierig hinein, denn unter den Planken des Ufers streckte sich ein gräulicher Kopf hervor, ein Kopf von so furchtbarer Größe, daß er einem jener Riesenthiere der Vorwelt anzugehören schien, von denen der Doktor eben gesprochen. Schaudernd traten alle zurück, nur Hans allein näherte sich dem Ufer ziemlich ohne Vorsicht. Das Holzwerk war hier glatt von grünem Pflanzenschlamm überzogen, die Stelle abschüssig; er glitt, er taumelte, und ehe noch jemand der erschreckten Anwesenden ihm die Hand reichen konnte, stürzte er kopfüber in die tiefe trübe Fluth, die sich zischend über ihm schloß.

Waldow war ein trefflicher Schwimmer und trotz der Kleidung tauchte er nach wenigen Minuten an einer andern Stelle auf, aber – scheußlicher Anblick – er war dem Krokodile so nahe, daß das Ungeheuer nur eine Wendung zu machen nöthig hatte, um den bleichen Schwimmer, dessen Auge fest auf dem Todfeind haftete, zu packen. An dieser Wendung hinderte es freilich die Nähe des Ufers, aber schon schwamm es weiter hinein in den Fluß, um dies Manöver ausführen zu können.

Waldow mußte um eine Stelle zu erreichen, wo er den Fuß auf festen Boden setzen konnte, durchaus an den entsetzlichen Rachen des Krokodils vorüberschwimmen, er schien verloren und dem schrecklichsten Tode verfallen, da stürzte sich plötzlich von einer höhern Uferstelle mit lautem Geplätscher Nadi ins Wasser. Die Augen funkelnd und fest auf das Krokodil gerichtet, ruderte sie mit der linken Hand ihm entgegen, in der rechten Hand einen spitzen graden Ast haltend, den sie mit der Kühnheit ihres Volkes dem Feinde in dem gräßlich klaffenden Rachen schob. Die beiden harten und scharfen Spitzen gruben sich tief in die beiden Kiefer des Thiers und hielten den schrecklichen Rachen weitklaffend offen, in welchem die bebenden Umstehenden die scharfen Zähne sehen konnten, für eine Weile, bis es sich von dieser Sperre befreit, war das Ungeheuer unschädlich und Waldow und seine kühne Retterin hatten bald einen Uferplatz erreicht, wo sie landend von allen Anwesenden mit Jubel empfangen und aller Gefahr entronnen waren. Sie standen beisammen, sie schauten einander in die Augen, beide gleich schön und gleich kühn, die Repräsentanten des Nordens und Südens, in den verschiedenen Geschlechtern. Ich danke Dir mein Leben, Mädchen, sagte der tief erschütterte Mann.

Beide Leben oder keins, entgegnete Nadi, was hätte ich mit dem meinen machen wollen, wenn das Deine verloren war. Ich konnte höchstens für Dich oder mit Dir sterben, wie viel besser, als ohne Dich leben.

Es war der erste Blick, den Hans v. Waldow in die Tiefe dieser Flammenseele that und eine leise eiskalte Ahnung, sagte ihm, daß Haß und Liebe in ihr gleich energisch, gleich überströmend sein müßte.

Man ging zu der nahen Hütte, sie war unbewohnt und verfallen, aber auf dem zerbröckelten Heerde konnte ein Feuer angezündet werden, die nassen Gewänder zu trocknen. Der Doktor blieb bei den Geretteten. Rheeder, der rüstigste Fußgänger der Gesellschaft schritt voraus und nach etwa einer halben Stunde erschienen Kulis mit Tragesesseln und trockner Kleidung. Hans in seinem Palankin schaukelnd, ließ tausend Bilder aus seinem Leben an seinem innern Auge vorüberziehen. Jetzt fühlte er sich an dem Wendepunkt seiner Existenz, er war im Begriff das Leben eines Weibes für immer an das Seine zu fesseln, und er konnte sich eines Schauders nicht erwehren bei dem Gedanken, an den kühnen Muth, an die heftige Leidenschaft, die wilde Energie Nadis.

Diesem Charakter, der vor nichts zurückbebte, war auch nichts unmöglich.

Das Schiff lag gerüstet, Hans und Nadi, verbunden nach dem Ceremoniel des Stammes dem sie angehörte, waren zur Abreise bereit, Fatime spielte sorglos mit den Kindern des Obersten Rheeder.

Der Chinese war gekommen, zum Theil um nach der Zinnladung zu sehen, zum Theil um von Nadi und der ganzen Schiffsgesellschaft Abschied zu nehmen.

Hans zog ihn bei Seite.

Ihr habt mir von dem großen Vermögen der Tochter des Depatti-Barin gesprochen, Hong-Gue, sagte er, was wißt Ihr davon? wo ist es? sie selbst sagt kein Wort darüber.

Mein Herr möge nur vergeben, daß ich Ihn auf einen Irrthum aufmerksam mache. Ich sprach nicht von Vermögen, sondern von einem Besitzthum, von einem seltenen, einzigen Schatz! Diesen hat Nadi bei sich eingenäht in ihre Kleidung, wie er ihr vor Jahren, nach dem Tode der ihrigen, von einem treuen Freund und Geschäftsführer eingehändigt wurde.

Ihr wart dieser Geschäftsführer, würdigster Hong-Gue, entgegnete Hans mit Ironie, ich irre mich wohl nicht und worin besteht der Schatz, für den ihr das Vermögen eines Indischen Fürsten umtauschtet. Der Chinese legte den Finger auf den Mund.

Schweigt, o schweigt Herr, daß niemand hört oder ahnt, worüber ihr durch Nadi Herr geworden, die Holländer würden nimmermehr einwilligen, den größten Schatz dieser Insel sich entgehen zu lassen.

Und warum spricht Nadi nicht von diesem Besitzthum, von diesem seltsamen Schatze?

Weil man durch viele Worte den Zauber stören kann, der daran haftet, weil – fragt sie selbst, o Herr, sie wird es Euch sagen. –

Auf alle Fälle – dachte der Europäer bei diesen Worten des Chinesen – bin ich ja an das braune Mädchen durch kein Band geknüpft, daß in einem civilisirten Land Gültigkeit hätte. – Ohne eine Wärterin für Fatime kann ich nicht nach Kalkutta, noch weniger zu dem Posten gelangen, den das Regiment einnimmt, zu welchem ich gehöre. Ist sie betrogen oder betrügt sie mich wissentlich, gleichviel! ihr Narr darf ich immer nicht sein. Tausend aus Indien heimkehrende Engländer und Holländer haben braune Dienerinnen, ich werde wenigstens nicht der Geprellte sein.

In der Einsamkeit des Seelebens, daß nun folgte, hoffte Hans Gewißheit über Nadis Eigenthum zu erhalten, vergebens aber war sein leises Lauschen, sie schien seine Andeutungen nicht zu verstehen oder geflissentlich zu umgehen.

Und wieder lag eine tropische Nacht voller göttlicher Schönheit über dem indischen Ocean, wieder saß Hans auf dem Bugspriet der kleinen Zigeunerin und blickte hinab in die goldfunkelnden Wellen, wieder war sein Herz voll Weh und unbeschreiblicher, unaussprechlicher Sehnsucht, nach einem Glück, das vor ihm und doch seiner Hand unerreichbar in den Lüften zu spielen schien. Eine neue Erfahrung hatte sich den alten angereiht und flüsterte ihm abermals zu, daß Glück nicht eins mit Genuß sei, daß er des Glückes farbigen Fittig noch nie erfaßt habe, wie tief er sich auch eingetaucht in die Silberfluthen des Genusses.

Unten am Bette Fatimens kniete mit fliegendem Busen, mit funkelnden Augen Nadi und betrachtete das Kind, das im Schlummer lächelte.

Deine Mutter starb, sich für ihn opfernd, so erzählte mir Salome, flüsterte sie in sich hinein. Es kann nicht schwer sein, sich dem zu opfern, den man liebt, von dem man sich geliebt weiß – aber leben, leben und die wachsende Gleichgültigkeit erleben, leben und fühlen, daß die Liebe gestorben! wehe! –

Aber so soll es wohl sein, so wird es wohl sein, komm her mein Talisman, theuer erkaufter Schatz, du sollst mich vor solchem Elende schützen.

Aus dem Zipfel eines indischen Shawls trennte sie jetzt eine Kapsel, die da sorgfältig eingenäht war. Die künstliche Arbeit derselben, die wunderliche Zeichnung daran – wahrscheinlich ein Portrait des Götzen Hangmann bewies, daß sie von chinesischer Arbeit sei.

In diesem kleinen Gefäß lag eingewickelt in einem kleinen Läppchen buntschillernder Seide, ein grauer Stein von bauchigem Ansehen, etwa so groß wie eine Wallnuß. Nadi hielt ihn in der Hand und betrachtete ihn lange und ängstlich.

Ein wenig davon abgerieben und in das Trinkwasser geschüttet, erneuet und befestigt die Liebe, etwas mehr heilt das Fieber, noch mehr so viel, als man mit zwei Fingern festhalten kann, ist gegen Pocken und Cholera ausreichend, so sagt der Chinese.

Sie war beschäftigt auf einem kleinen Reibeisen, daß am Deckel der Kapsel angebracht war, etwas von dem Steine abzureiben und auf das seidene Läppchen fallen zu lassen, als die Kajütenthür leise geöffnet wurde und Hans eintrat.

Was machst Du, Nadi, sagte er erstaunt und erschrocken, als er sah, daß sie das abgeriebene Pulver in einen Krug schüttelte, aus dem er gewöhnlich zu trinken pflegte. Sie fuhr zusammen und verbarg Kapsel und Stein in ihre Hände.

Was machst Du da, Nadi, was schüttest Du in mein Glas? wiederholte er mit zusammengezogenen Brauen. Ihm fiel ein, daß er seit mehreren Tagen die Malajin vernachlässigt hatte, und die Erzählungen von der Rachsucht ihrer Familie traten ihm lebhaft vor die Seele. Die Urwälder Bankas, brachten, das wußte er, außer den Gewürzen und Früchten manches furchtbare und den Europäern unbekannte Gift hervor. Wie, wenn Nadi – – er dachte den Gedanken nicht aus, aber er ergriff fest ihre zusammengeballte Hand, öffnete kräftig und rücksichtslos die Finger und an den Boden fiel Kapsel und Stein, die sie vor ihm verborgen.

Ein langer wilder Wehschrei entrang sich Ihrer Brust. Er aber hob die Gegenstände auf, betrachtete sie und sagte dann: was ist das Nadi, wozu besitzest Du diese Dinge und verbirgst sie vor mir!

Sie richtete die Augen auf ihn, ein Meer von Schmerz und Kummer schien in ihren dunkeln Tiefen zu liegen. Wohlan, sagte sie dann – so wisse alles, da Du mir Alles geraubt hast.

Dieser Stein ist mein Schatz, mein Reichthum, nach dem Du so oft in begehrlicher Weise fragtest. – Es ist ein Bezoar, ein Talisman und ein Heilmittel zugleich. Mein Vater hinterließ uns etwas Gold und einige kostbare Edelsteine, meine Mutter übergab mir sterbend diese Schätze, sie liegen vergraben unter dem Heerde jener Hütte am Fluß.

Nur Hong-Gue, der Chinese kannte ihren Werth. Für mich hatten sie keinen, denn ich besaß mehr als ich brauchte im Hause des Colonel Rheeder.

Da sah ich Dich zum ersten Mal und meine Seele verlangte nach Dir, mein Herz dürstete nach Deinem Herzen. Die alte Salome hatte mir von Dir erzählt, von Deiner Liebe zu Fatimens Mutter, von ihrem Tode, von Deiner Treue.

Ich hätte mein Blut hingeben mögen, nur Dich glücklich zu sehen, um Dein Herz zu erfüllen mit neuer Liebe, mit Liebe zu mir. – Da sprach ich Hong-Gue. Er sagte mir, daß einer seiner Landsleute im Besitz des großen Bezoars sei, den einst Nurmahal besessen, des Steins, der Liebe erregen und befestigen und alle Krankheiten heilen könne. O mich verlangte nach dem Besitz dieses Kleinods.

Hong-Gue verschaffte es mir und ich gab ihm dafür mein Erbe an Gold und Edelsteinen. Der erste Trunk, den ich Dir reichte, wirkte mächtig.

Dein Auge fiel auf mich, Du liebtest mich, was bedurfte ich des Goldes!

Aber der Chinese hat mir die Bedingungen gesagt, unter welchen der Talisman nur wirkt. Mit dem Augenblick da Du ihn sahst, hört er auf wirksam zu sein, und Hong-Gues Gattin schärfte mir ein, dir treu und unterthänig zu sein, damit ich zur Erhaltung Deiner Liebe des mächtigen Talismans nicht bedürfe.

Wehe mir, jetzt ist seine Macht gebrochen und ich habe nichts mehr, nichts, was Dich an mich fesselt, denn Dein Auge sagt mir, daß Deine Liebe entschwunden.

Der stolze Europäer zuckte die Achseln ob des jämmerlichen Aberglaubens seiner braunen Gefährtin. Er nahm den dunkeln leicht zerreiblichen Stein zwischen seine Finger und murmelte: Verdammter spitzbübischer Chinese, und dann ging er hinauf auf das Verdeck, lehnte sich auf die Schiffsbrüstung und pfiff ein längst vergessenes Lied.

Er wußte nicht, sollte er lachen oder weinen. Seine Hoffnung auf einen fürstlichen Reichthum war zerflogen. Wohl sagte eine Stimme in seinem Innern, dies braune Mädchen verließ ihr Vaterland für Dich, gab für Deine Liebe ihr Erbe und setzte muthig ihr Leben an die Rettung des Deinen. –

Waldow aber war nicht der Mann, der den Schatz in Nadis Seele, den Reichthum ihrer wilden, aber tiefen Gefühle zu schätzen wußte. Mit dem Besitz schwand für ihn das Interesse, jenen Jägern gleich, die das Wild, dem sie lang durch Dorn und Moor nachjagten, wenn es erlegt ist, wegwerfen oder verschenken.

Er ahnte nicht, daß das Glück, das von ihm so heiß ersehnte, nur zu finden ist in der Liebe, die das eigne Herz empfindet, im treuen Festhalten an einmal Erwähltem. Er ahnte nicht, daß in Nadis Herzen Himmel und Hölle neben einanderlagen, und daß es in seine Hand gegeben war, sie zu einem Engel des Lichts oder zu einem Geiste des Abgrunds zu machen.

Er pfiff, zuckte die Achseln und belächelte die Leidenschaft, die er erregt und zu theilen aufgehört hatte.

Als man in Kalkutta ankam, stand Nadi auf der Gasthofs-Liste als – Malajische Dienerin des Hauptmanns v. Waldow. Hans war bald in Gesellschaften und Verhältnisse verwickelt, die ihn das braune Mädchen als ein nothwendiges, wenn gleich wenig angenehmes Zubehör seines Hausstandes zu betrachten veranlaßten.

Drei Jahre später kehrte er in ihrer Gesellschaft nach Europa zurück.


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