Alfons Petzold
Sevarinde
Alfons Petzold

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So vergingen drei Jahre. Da ward eines Tages der letzte Stein in den prächtigen Tempelbau gefügt, um den schon eine große Zahl von Gemeinschaftshäusern standen, in denen aber noch nicht so viel Menschen beisammen wohnten, als in den mächtigen Gebäuden, die ich vorfand. Nun glaubte Sevaro, daß es an der Zeit sei, das neue Reich und sich als dessen erstes Oberhaupt auszurufen.

Zu diesem Zwecke veranstaltete er ein großes Fest, der Sonne zu Ehren und lud dazu die Vornehmsten der Paramben und Karamen ein. Nach den feierlichen Umzügen, Opferungen und anderen Zeremonien vereinigten sich die Gäste bei einem Gastmahl. Als nun diese in bester Stimmung waren und ein über das andere Mal den freigebigen Sevaro lobten, seine Weisheit und Güte priesen, ließ er durch einen seiner parambischen Vertrauten der Versammlung von Ratsältesten und Häuptlingen den Vorschlag machen, sich zu einem Staatswesen zu verbünden und ein Oberhaupt, mit königlicher Gewalt ausgestattet, zu wählen. Die parambischen sowohl als die karamischen Edlen stimmten dem Vorschlag begeistert bei und alle riefen sogleich, Sevaro müsse der Fürst des neuen Reiches werden. Sevaro spielte zuerst den Erstaunten und weigerte sich zum Scheine sehr, diese hohe Würde anzunehmen. Er fühle sich viel zu schwach für die Anforderungen dieses Amtes, sagte er, er sei ja auch kein Eingeborener und befürchte, sie nicht genug weise und gerecht regieren zu können. Als sie aber seine Weigerung und deren Gründe nicht anerkannten und weiterhin in ihn drangen, ihr König zu werden, bat er, sie möchten es ihm wenigstens verstatten, sich zuerst mit seiner und aller ihrer Herrin, der Sonne, beraten zu dürfen. Die Versammlung war damit einverstanden. Alle begaben sich mit Sevaro in den Tempel, in dem der Oberpriester vor dem Bilde des göttlichen Lichtes ein mächtiges Räucherwerk anzündete und in einem langen Gebet die Sonne mit vor Erregung bebender Stimme um ein Zeichen ihres Willens bat. Seine Gefolgschaft lag währenddem hinter ihm im angstvollen Lauschen, in das auch einmal, als das Gebet verstummte, ein unaussprechlich süßer Harfenton fiel, der wie Duft unirdischer Blumen vom Himmel zu kommen schien. Er enttönte den Geigen persischer Musikmeister, die hinter dem Opferaltar aufgestellt waren. Aber die verzückte Menge war der festen Meinung, daß es die Musik himmlischer Wesen sei, von der Sonne gesendet, ihrem Oberpriester zur Ehre. Und als dann noch der fremdartige, feierliche Gesang einiger parsischen Jungfrauen aus einer verborgenen Nische des Tempels zur Höhe schwebte, dem Loblied einer Schar Engel ähnlich, da sah alles in Sevaro nun auch den Auserkorenen der Sonne. Diesem aber war es selbst so, als hätte aus dem Qualm des Brandstoßes eine metallene Stimme zu ihm gesprochen:

»Gehe hin und regiere diese Völker, mir, Deiner Person und den Menschen zum Wohlgefallen!«

Und er drehte sich, wie in einem feurigen Sturm stehend, zu den Anwesenden und verkündigte ihnen den Willen der Sonne, also daß er ihr König werden und das neue Reich der Sonne gründen sollte. Als Antwort umbrauste ihn nicht endenwollender Jubel, die Vordersten küßten ihm Hände und Füße, alle schworen ihm ewigen Gehorsam und schickten sofort eine Unzahl Boten in alle Windrichtungen, um diese freudige Botschaft allem Volke zu verkünden.

Des neuen Königs erster Regierungsakt war, daß er das neugegründete Reich Sarambi nannte. Er selbst blieb seinem Namen treu. Tag und Nacht gönnte er sich nun keine Ruhe und war unermüdlich tätig, dem Reiche geordnete Zustände zu geben. Mit Giovanni zusammen hatte er in vielen Nächten, nach langen Beratungen und Überlegungen einen Gesetzentwurf ausgearbeitet; der die Grundmauer für die künftige Ordnung des Reiches bilden sollte. Er stellte vor allem sieben Stände auf, und zwar den der Bauern, der Handwerker, der Künstler, der Kaufleute, der Gelehrten, des Adels und den der Priester, hohen Regierungsbeamten und Oberbefehlshaber des Heeres. Das Ackerland sollte zu 6 Teilen an die Bauern gleichmäßig verteilt werden, zu 4 Teilen im Besitz der Regierung bleiben, die aus seinem Erträgnis die Krankenhäuser, Schulen, Kasernen und sonstige öffentliche Anstalten zu beteilen hatte. Sevaros oberster Grundsatz war, keinen Hungernden in seinem Lande zu wissen. Sarambi sollte nicht das Elend der europäischen und asiatischen Reiche zu tragen haben, das Sevaro genugsam auf seinen Reisen gesehen und immer als größtes Verbrechen der Reichen und Mächtigen angesehen hatte. Die Lasten des Staates sollte jeder Einwohner nach seinem Einkommen und seiner öffentlichen Würde zu tragen haben. Alle öffentlichen Gebäude, wie Theater, Bibliotheken, Bildergalerien sollten jedermann zugänglich und unentgeltlich zu besichtigen sein. Als Hauptverbrechen hatten neben dem Mord, der Sittenlosigkeit, dem Diebstahle vornehmlich noch zu gelten: Hochmut, Geiz und Müßiggang. Gericht sollte stets öffentlich gehalten werden und vor ihm vollständige Gleichheit herrschen. Der Tag wurde in drei gleiche Teile geteilt, der erste zur Arbeit, der andere zur Unterhaltung, der dritte zur Ruhe. Von einem gewissen Alter an sollte bei einem jeden Untertanen die Pflicht zu arbeiten erlöschen und ihm ein ruhiger, sorgenloser Lebensabend gesichert sein.

Es kostete Sevaro nicht viel Mühe, die von Natur aus aufgeweckten, gutmütigen und der Arbeit nicht abgeneigten Eingeborenen von der Vortrefflichkeit seiner ersten Gesetze zu überzeugen. Auch war ihnen die Form der Gütergemeinschaft beinahe etwas Selbstverständliches, da sie diese in einer milderen Art schon seit urvordenklichen Zeiten in ihr Gemeindewesen eingeführt hatten.

Sevaro regierte bei 50 Jahre lang das von ihm gegründete Reich, machte er nach innen und außen mächtig und stark. Viele Städte gründete er. Die Einwohnerzahl stieg um das Vielfache, denn durch seine weisen Ehegesetze, Gründungen von Wöchnerinnenheimen, Kinderbewahranstalten war die Ziffer der Geburten um ein Beträchtliches in die Höhe geschnellt, während die Kindersterblichkeit auf einen ganz geringen Stand herabsank. Kunst, Gewerbe und Wissenschaften blühten um die Wette, besonders die Baukunst nahm einen ungemein großen Aufschwung, ebenso die Zucht der Haustiere und edler Pferde und Kamele. Über dem ganzen Reich waltete die nimmermüde Fürsorge dieses gewaltigen Mannes, er gönnte sich mit seinen Ministern kaum wenige Stunden Rast und was er nicht selbst studierte, ausprobierte und dann in seiner Tätigkeit besah, glaubte er nur halb getan. So war es kein Wunder, daß ein lautes Wehklagen durch das Land ging, als er, 80 Jahre alt und den Gebrechen und Schwächen des Alters preisgegeben, seinem einzigen Sohn und jüngsten Kinde Sevaris die Regierungsgewalt übertrug und sich auf ein kleines Landgut zurückzog, um dort noch bis zu seinem leichten Tode wie ein Bauer zu leben. Groß sind seine Worte, die er bei der Übergabe der Sonnenkrone vor einer ungeheueren Volksmenge an seinen Sohn richtete, der bis dahin ein einfacher Beamter in irgend einer fernen Grenzstadt gewesen war, nachdem er vorher als Bauer, Handwerker und Gelehrter, jeden Beruf ein paar Jahre ausübend, hatte leben müssen. Sevaro sprach:

»Ehe ich Dir im Namen unserer aller Sonne die Gnade verleihe, ein mächtiges Volk regieren zu dürfen, finde ich es als mein Gebot, an Dich, o mein Sohn Sevaris, einige Ermahnungen zu richten, die zu befolgen ich Dich zu Deinem und des Volkes Heil bitte. Die Ursache, die uns hier versammelt hat, ist, daß Du, gestern noch einer von meinen Millionen Untertanen, heute der Mittelpunkt des Reiches, sein König werden sollst. Ich steige mit Freude und demütiger Genugtuung die Stufen des Thrones hinab, auf denen Du mit gleicher Freude und tiefem Bewußtsein größter Verantwortung diesen besteigen sollst. Dieses Verlassen und Einnehmen des Thrones ohne Kampf zwischen uns beiden und Widerspruch des Volkes soll ein gutes Symbol für immerwährende Zeiten sein! Es ist nicht meine Macht und zuletzt auch nicht meine Schwäche, die Dir die Krone reichen, sondern der Wille des göttlichen Gestirnes dort oben und nicht Ehrfurcht und Hoffahrt dürfen Dich zwingen, sie auf Dein junges Haupt zu setzen, sondern nur der Gehorsam und die Lust, der ewigen Sonne und ihrem Volke mit all Deinen Kräften und Gedanken zu dienen. Hohe, kühne Pläne sollen Dich erfüllen, aber nicht für Deine Größe. Du selbst mußt Deinen Ruhm darin finden, das Volk mächtig und glücklich zu machen und wenn du auch dafür dem Unglück verfällst. Bedenke, daß Du nur ein Mensch bist, der nicht das Geringste vor den anderen voraus hat. Nackt und schwach wie das Kind eines Bauern oder Handwerkers lagest Du am ersten Tage der Geburt vor dem erstrahlenden Angesicht der feurigen Göttin und eines Hirten Sohn ist keiner größeren Unbeständigkeit des Glückes unterworfen wie Du!

Der hohe Dienst, dem Du Dich widmen mußt, verlangt immerwährendes Wachsein für die anderen Menschen, Strenge gegen Dich selbst, ein reines Gemüt, unerschrockenen Geist und eine Gerechtigkeit, die vor dem eigenen Todesurteil nicht zurückschrecken darf. Gehe nie den Weg der Tyrannei, denn er führt Dein Volk zur Empörung und Dich in die ewige Schande!

So nimm denn aus meinen Händen die Zeichen Deiner Würde, das Szepter und die Krone, mögen sie in jenen ihren Glanz bewahren, den ihnen mein Volk durch seinen Fleiß gab!«

Und er reichte ihm unter tiefer Ergriffenheit des Volkes Krone und Szepter, warf ihm seinen Königsmantel um und stand im einfachen Bauernkleid vor dem Sohne, vor dem er zuerst das Knie beugte, dann ging er unter lautlosem Schweigen der Menge von dannen und verschwand den feuchten Blicken, wie ein abschiednehmender gütiger Gott.

Beinahe 90 Jahre alt starb er. Seinem Andenken wird göttliche Verehrung gezollt.

Ich will nun näheres über das öffentliche und häusliche Leben der Sarambi erzählen, wie ich es während meines mehrjährigen Aufenthaltes bei ihnen kennen gelernt habe. Was mir an diesem Volke als besonders ungewöhnliche Erscheinung auffiel, war seine robuste Gesundheit und hohe Lebensdauer. Krankheitsfälle waren eine seltsame Erscheinung, starb jemand in jungen Jahren, so war der Tod meistens infolge eines Unfalles eingetreten und der Fall wurde als Seltenheit gerade so besprochen, wie bei uns der hundertste Geburtstag eines Menschen. Die Sarambis verdanken dies gewiß ihrer gesunden und natürlichen Lebensweise, die durch strenge Gesetze geregelt ist. So ist jede Art von Betäubung durch geistige Getränke oder narkotische Mittel auf das strengste untersagt.

Schwere Strafen treffen den, der sich seiner Leidenschaft zur Schande des ganzen Volkes untertan zeigt. Ebenso ist die größte Reinlichkeit vorgeschrieben. Amtspersonen untersuchen fortwährend die Wohnungen, ob die Vorschriften eingehalten werden. Jeder Einwohner muß mindestens einmal im Tage ein Bad nehmen und vor und nach jeder Mahlzeit sich die Hände und das Gesicht waschen. Es gibt auch eine Unzahl öffentlicher Bäder, die auf das herrlichste eingerichtet sind.

Die Fortpflanzung ist ebenfalls auf das weiseste geregelt. Da jeder Angehörige des Staates die gleiche Würde als freier Mensch besitzt, mag er nun Ofenheizer oder Minister sein, keine Erbfolge besteht, jeder persönliche Reichtum untersagt ist, so werden nur Ehen aus Liebe geschlossen, denen bekanntlich gesündere und geistig aufgewecktere Kinder entstammen, als den sogenannten Geschäftsehen.

Viel Aufmerksamkeit wird den Leibesübungen jeglicher Art zugewendet. Den ganzen Tag sieht man Gruppen, die sich im gemeinsamen Turnen vergnügen. Verboten sind nur die Spiele, die dazu angetan sind, das Grausame im Menschen zu wecken, wie Ringkämpfe und das Messen der menschlichen Kraft mit der gefangener Tiere.

Der Schönheitssinn und der Sinn für einfache Vornehmheit zeigt sich bei den Sarambi auf das deutlichste in ihrer Kleidung. Den Stoff zu dieser liefern Leinwand, die aus einer Flachsart gesponnen wird, Baumwolle und das Gewebe des Seidenspinners. Auch Gold und Silber, sowie herrliche Edelsteine werden dazu verwendet, doch nur auf unauffällige, geschmackvollste Weise. Die Farbe wird von dem Alter ihres Trägers bestimmt. So wird Weiß zumeist von der Jugend getragen, während die dunklen Farben bis zum Schwarz vom Alter bevorzugt werden. Purpur, in Verbindung mit Gold und Silber, darf wegen der Ähnlichkeit mit dem Farbenschimmer der Sonne nur vom König getragen werden. Die Form der Männerkleider ist eine Toga, unter der sich noch ein weichanliegendes Gürtelhemd an den Leib schmiegt – die Kinder beiderlei Geschlechtes tragen nur dieses – indes die Mädchen und Frauen leicht herabfließende Gewänder gleich denen der alten Griechinnen tragen. Die Männer bedecken ihr Haupt mit einer tütenartigen Mütze in der Farbe ihres Kleides. Die Haartracht ist bei den unverheirateten Männern eine lange, oft bis zu den Schultern reichende, während die Verheirateten verpflichtet sind, das Haar kurzgeschoren zu tragen. Die Jungfrauen flechten sich Zöpfe und tragen keinerlei Kopfbedeckung, dagegen die Frauen auf ihr einfach geknotetes Haar eine niedere Mütze mit Nackenschleier setzen. Da der Kinderreichtum als besondere Gnade der Sonne angesehen wird und eine mit diesem gesegnete Frau große Verehrung genießt, tragen die Frauen auf Geheiß des Königs so viel purpurne Binden um den rechten Arm, als sie Kinder besitzen, die das siebente Lebensjahr erreicht haben. Jeder Einwohner, mag er wer immer sein, bekommt für das Jahr zwei Kleider, eines für die Werktage und eines für die vielen Festtage. Alle drei Jahre wird das Tisch-, Bett- und sonstige Leinenzeug erneuert.

Die gemeinsamen Häuser sind, wie schon des öfteren erwähnt, von gewaltiger Größe. In jedem kann man die schönsten Schnitzereien, Skulpturen und Wandbilder bewundern, die selbst aus dem Wohnzimmer eines Taglöhners die Prunkstube eines reichen Mannes machen. Ebenso sind die Haus- und Dachgärten in ihrer Pracht nicht zu schildern. Die Stuben sind eigentlich Säle, haben reichliche Luftzufuhr und alle möglichen sinnreichen Vorrichtungen sorgen für die größte Annehmlichkeit und Erlustigung ihrer Bewohner.

Die Mahlzeiten werden dreimal täglich eingenommen und zwar das Frühstück und Mittagmahl gemeinsam in Speisehäusern, während es jedermann gestattet ist, zu Abend in der eigenen Stube ein kaltes Mahl einzunehmen und daran nach seinem Belieben Gäste teilnehmen zu lassen. Die Sarambis sind sehr geselliger Natur und lieben nebst den großen Volksfesten ein heiteres Beisammensein im Kreise der Familie und guter Freunde.

Die Arbeits-, Erholungs- und Ruhestunden sind für alle auf das genaueste eingeteilt. Dazu ist das Pflichtbewußtsein stark ausgeprägt und die Freude an einer den Körper nicht quälenden und zu Schanden machenden Mühe eine so große, daß Faulheit und Widersetzlichkeit beinahe unbekannte Laster sind. Die Kranken, Gebrechlichen und diejenigen, die das 60. Lebensjahr erreicht haben, sind von jeder Tätigkeit ausgeschlossen. Wundervoll gelegene Gebäude, mit den herrlichsten Gärten, Terrassen, Haustheatern stehen für die Aufnahme der Kranken und der Greise bereit. Dort werden sie von geschickten Ärzten solange auf das liebevollste gepflegt, bis sie wieder der Arbeit ihre Hände bieten können, oder der Tod sie von den Gebrechen ihres Leibes oder des Alters befreit. Die Verstorbenen werden unter feierlichen Zeremonien verbrannt und ihre Asche in Vasen gesammelt. Nach ihrem Glauben steigt die Seele des Toten als Rauch zur Sonne empor, um dort in deren goldenen Reich der ewigen Glückseligkeit teilhaftig zu werden.

 

Eine tiefe Religiosität beherrscht das ganze Leben der Sarambi, doch entbehren sie dabei des düsteren Fanatismus dunkler und oft grausamer Gottesbegeisterung, die anderen Glaubensbekenntnissen so viele blutige und schandvolle Tage brachte. Wohl ist der Sonnenglaube Staatsreligion, aber niemand wird gezwungen, sie auszuüben, und vollständige Gewissensfreiheit ist für den Sarambi eine der großen göttlichen Einrichtungen, an die frevelhaft zu rütteln, eine furchtbare Sünde wäre. Jedes Amt, auch das des ersten Ministers, steht auch den Andersgläubigen offen, wenn sie nur die Fähigkeit dazu und die bei den Sarambis am meisten geschätzten Tugenden besitzen.

In der Sonne sehen sie weniger ein göttliches Wesen, als vielmehr das Symbol eines Gottes, der allmächtig über allen Dingen und Erscheinungen thront, diese aber mit seinem Geiste durchdringt, so daß alles Sichtbare, Hörbare und Fühlbare der Zeit eigentlich nur ein Teil von ihm ist. Als Sevaro zu regieren begann, war dies noch anders. Nicht nur die Eingeborenen, sondern auch die eingewanderten Parsen erblickten in der Sonne die eigentliche Gottheit und mußten erst von Sevaro eines Besseren belehrt werden. Dieser hatte auf seinen vielen Wanderungen alle mächtigen Glaubensbekenntnisse kennen gelernt und war vermöge seines scharfen Geistes tief in ihre Geheimnisse eingedrungen. Und seine Weisheit gab ihm die Erkenntnis, daß Gott begrifflich in seiner Allmacht nicht erfaßt, seine überwältigende Größe nicht in einem, wenn auch noch so herrlichen Gegenstand, begrenzt von einem gegen das Weltall kleinen Raum wohnen könne und nur durch ein symbolisches Bild den Menschen, von denen die Mehrzahl ewig Kinder sind und bleiben werden, sichtbar vorgestellt werden muß. Kaum zum König gewählt, war er nun unermüdlich tätig, mit Hilfe seines treuen Giovanni seine Untertanen zu dieser tieferen Auffassung des Gottesbegriffes zu erziehen, was ihm auch bei dem für Religion sehr empfänglichen Gemüt der Sarambi auf das Schönste gelang. Er lehrte sie auch, daß die Welt unendlich sei, das kleinste Staubkorn selbst in Millionen Jahren nicht verschwinden könne, ein ewiger Kreislauf der Dinge bestehe, innerhalb dessen sich alles wiederhole und dem denkenden Menschen eine Verantwortung bis an das Ende aller Erscheinungen aufzwinge, von der ihn selbst Gott nicht befreien könne. Als die vornehmsten Gesetze eines frommen Lebens stellte er als erstes die Ehrerbietung vor dem Nächsten auf, als zweites die Liebe zur Natur und als drittes die Demut vor dem Willen der Allmacht.

Was den eigentlichen Dienst der Sonne anbelangt, so ist er so klar und eindringlich wie dieses strahlende Gestirn. Ihre religiösen Zeremonien fallen durch ihre feierliche Einfachheit auf, die mit keiner Geheimnistuerei die Gläubigen blenden will. In ihren schönen Gebeten nennen sie die Sonne den Brunnen des Lebens, den göttlichen Spiegel oder das ewige Feuerauge. Die Kinder werden erst vom 10. Lebensjahre an zu den Gottesdiensten mitgenommen, indes ein Jahr früher der religiöse Unterricht beginnt, der sich ebenfalls in einfachen, leicht begreiflichen Formen bewegt. Drei heilige Pflichten werden ihnen eingeprägt: die Ehrerbietung vor dem allmächtigen Wesen, die Anbetung der Sonne, als sichtbarstes und gewaltigstes Symbol Gottes, und die Liebe zur Heimat, der sie außer Gott alles verdanken. Diese drei Begriffe werden in ihren Tempeln durch einen schwarzen Vorhang, eine schwebende Goldkugel und das Bild eines ein Kind nährenden Weibes dargestellt. Der Sonne schreiben sie die Erhaltung der Welt zu, sie bewege die Sterne und die Erde, gebäre die Winde, schicke den Regen und Ebbe und Flut seien ihr Werk. Alle Seelen kämen aus ihrem feurigen Reich und müßten dorthin zurückkehren, auch die der Tiere und Pflanzen. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ist ein Lehrsatz ihrer Religion, daneben ist noch ein großer Teil des Volkes der Meinung, daß es eine Seelenwanderung gibt für jene, die kein tugendhaftes Leben geführt haben und einer Läuterung bedürftig sind. Deshalb schreiben sie auch den meisten Tieren und Pflanzen Vernunft zu, da sie in ihnen Seelen der abgeschiedenen Menschen vermuten.

Da die Sarambi das allerhöchste Wesen für den Menschen als unfaßbar glauben, bauen sie ihm keine Tempel. Nur das gute und fromme Werk kann ihn ehren und loben. Dagegen stehen in allen Städten und Dörfern die herrlichsten Tempel, die sie der Sonne errichtet haben. Unter ihnen ist der große Sonnentempel in Sevarinde der prunkvollste. Ein wahres Wunderwerk aus Stein, Gold und Silber, erhebt er sich aus einem viele Morgen großen Märchengarten zu wahrhaft schwindelnder Höhe.

Seine aus rosenrotem Marmor erbaute Riesenkuppel schwebt wie eine milde Abendsonne über dem blendendweißen Dächergewoge der gewaltigen Stadt. Innen besteht er aus einem einzigen Gewölbe, dessen Wände mit Mosaikbildern aus Edelsteinen bedeckt sind. In seiner Decke ist mit riesenhaften Edelsteinen der nächtliche Sternenhimmel nachgebildet. Durch diese Sterne und den Mond fällt auch am Tage das Licht, das jedem Bilde, ja jedem Betenden einen unirdischen Glanz verleiht. Der Altar zeigt über einem schneeigen Marmorsockel das riesenhafte Bild der Sonne, aus Gold geschmiedet, das feurige Strahlen wirft. Unsichtbar angebrachte Orgeln mit wundervollen Tönen weihen diesen herrlichen Raum den ganzen Tag mit feierlicher Musik, die den gläubigen Beter bald in eine fromme Verzückung versetzt. Ich habe vor- und nachher kein solch herrliches Bauwerk gesehen, das sich mit dem Tempel in Sevarinde nur im entferntesten vergleichen ließe, obzwar ich durch ganz Europa und ein gutes Stück Asiens gekommen bin.

Einen gewaltigen Eindruck machte auf mich stets die Feier des Jahresfestes zu Ehren der unsichtbaren Allmacht. Dieses Fest fällt in die Zeit der Frühlingswende, wo die Gärten ihre prunkvollsten Blütenkleider angelegt haben und ein himmlischer Duft durch das ganze mächtige Reich weht.

Sobald die Sonne untergegangen ist, werden alle hundert Tore des Tempels geöffnet, von denen sonst das übrige Jahr hindurch nur zehn Tag und Nacht Einlaß gewähren. Das Innere des Tempels, seine Bilder, Statuen, jeder Gegenstand, selbst die Darstellung der Sonne sind mit schwarzem Tuch verkleidet, so daß man glaubt, sich in einem Tempel des Todes und der Trauer zu befinden. Die Priester sind gleichfalls in schwarze Togen gehüllt und tragen einen schwarzen Schleier vor dem Gesicht. Nur der König, der ihre große Schar anführt, hat einen weißen Mantel um die Schultern gelegt. Er schreitet tief gesenkten Hauptes zu dem Altar, auf dessen schwarzverhangener Platte eine kopfgroße Kugel aus Kristall liegt, die ebenfalls mit einem dünnen schwarzen Flor verhüllt ist. Die obersten Würdenträger und Priester folgen ihm mit brennenden Fackeln in den Händen, indes das Volk in lautloser Andacht den ungeheueren Raum des Gotteshauses besetzt hält. Vor dem Altar liegt ein schwarzes Seidenkissen, auf das sich der König mit zu Boden gewandtem Gesicht hinstreckt und zu beten beginnt. Die Priester tun desgleichen, während sie die Fackeln löschen, nur beten sie nicht laut wie der Herrscher, dessen klare Stimme sich zu immer stärkerem, inbrünstigerem Klang erhebt.

 

Die Lust zur gemeinsamen Freude ist bei den Sarambi stark ausgeprägt und wird von der frühesten Kindheit an auf das sorgfältigste gepflegt. Sie betreiben alle möglichen Sportspiele auf das leidenschaftlichste und der Besuch der öffentlichen Schauspielhäuser ist ihre liebste Zerstreuung. Diese gibt es selbst in dem kleinsten Dorfe und sie sind mit unerhörter Pracht ausgestattet. Ihr Besuch ist vollkommen unentgeltlich. Die Kosten ihres Unterhaltes trägt zur Gänze der Staat.

Das Schauspielhaus in Sevarinde ist vielleicht das größte Bauwerk der Welt. Nach Art des römischen Kolosseums errichtet, jedoch mit einem gewölbten Dach versehen, bietet es 20.000 Zuschauern die bequemlichsten Sitzplätze. Es steht auf einem Hügel der Stadt und ist weitum in seiner marmornen Pracht sichtbar. Von allen Seiten führen breite, von schönen Bäumen eingesäumte, mit Standbildern hervorragender Dichter und Schauspieler geschmückte Wege hinauf. Das Innere des Theaters ist von edelster Harmonie und Schönheit. Von den weißen Marmorwänden heben sich die schwarzen, mit Zieraten aus Silber eingelegten Sitzplätze aus Ebenholz auf das vornehmste ab. In fünf Galerien steigen sie zur Kuppel empor, die aus riesengroßen Tafeln einer milchig schimmernden und das Sonnenlicht durchlassenden Achatart zusammengesetzt ist. Des Nachts wird diese Schauburg von hunderten von mächtigen Kristallkugeln erleuchtet, die ein starkes Öllicht umschließen und an goldenen Ketten herunterhängen. Die Bühne ist so groß, daß eine ganze Stadt, ja selbst Gebirge und Wälder, wenn es das Schauspiel verlangt, in ihr aufgestellt werden können und tausende Darsteller auf ihr Platz haben.

 

Etwa hundert Meilen unterhalb Sevarinde mündet der mächtige Strom, an dem die Hauptstadt liegt, in einem Meerbusen, der durch einen Inselkranz von dem Ozean getrennt wird, der bis zum antarktischen Pol reichen soll und der der europäischen Schiffahrt bisher beinahe unbekannt ist.

Einige Sarambi, die ich kennen lernte und die in diesem Meere sehr weit vorgedrungen waren, erzählten mir viel Außergewöhnliches von ihren Reisen. Sie waren, die Inselkette hinter sich lassend, auf große, mit dichten Wäldern bedeckte Inseln gestoßen, die von wilden Völkern, die Steingötzen anbeten, bewohnt werden. Aufgefallen war ihnen der fette Boden der Inseln und der Reichtum des Meeres ringsum an Fischen jeglicher Art. Auch sprachen sie von Meerwundern, die ihnen erschienen seien, über deren Wesen und Beschaffenheit sie aber nicht nähere Auskunft geben wollten.

Aus Büchern erfuhr ich nun, daß schon Sevaro in seinen letzten Regierungsjahren Schiffe ausgerüstet und nach jenen Inseln gesendet hatte, um diese der sarambischen Kultur zugänglich zu machen. Diese Expedition war aber von den Wilden in vielen Kanoes angegriffen worden und nur ihre Kanonen und das Musketenfeuer rettete sie vor Vernichtung. Unverrichteter Sache kehrten die Schiffe wieder heim. Der Versuch war bis zum heutigen Tage nicht wiederholt worden, da die Sarambi ein Gesetz haben, das ihnen verbietet, mit Kriegsgewalt ihr Reich zu vergrößern. Ihre Kultur dürfen sie nur auf friedliche Weise den fremden Völkern überbringen.

Von den Wilden auf diesen Inseln las ich auch, daß sie nach dem Bericht glaubwürdiger Reisender manches Schiff, das an der Küste vorbeifuhr, mit freundlichen Zurufen begrüßten und ganz zutraulich Geschenke an Bord brachten. Sie sollen ganz nackt gehen, aber geschickt mit dem Hirn eines gewissen Tieres Felle auf das schönste zurichten können. Noch weiter draußen im Ozean leben auf einer Gruppe Inseln Wilde, die wegen ihrer Grausamkeit bei den andern Insulanern sehr gefürchtet sind. Angeblich beten sie die Teufel an, dem sie Menschenopfer bringen. Auch soll ihre Lieblingsnahrung das Fleisch erschlagener Feinde sein. Bis in die Nähe des Poles ziehen sich diese Inseln hin, hundert Meilen von jedem Festland entfernt. Nur einige von ihnen verdienen die Bezeichnung: groß. Die meisten haben nur ein paar Quadratmeilen Flächenraum oder bestehen überhaupt nur aus vom Wellenschlag abgeplatteten Felsenriffen, auf denen etwas Gras wächst und Seevögel nisten.

Zu Zeiten des Sevaro begaben sich oftmals mutige Schiffer in dieses Inselmeer und drangen bis zum Pol vor, ohne auf Eis zu stoßen. Einer von ihnen segelte sogar am Pole vorbei und war nicht wenig erstaunt, über den Pol hinaus ein freies, glattes Meer zu finden, das keine Brandung zeigte und, wie es schien, weder Ebbe und Flut, noch sonstige Eigenschaften und Erscheinungen der anderen Meere aufwies.

Wissenstrieb allein ist es, der die Sarambi immer wieder zur Erforschung dieser unbekannten Weltteile antreibt. Ihr eigenes Land ist so groß und überreich an allen möglichen Erdenschätzen, daß sie es nicht nötig haben, neue Gebiete aufzusuchen und zu besiedeln. Gleichwohl haben sie auf einigen bisher unbewohnten Inseln kleine Ansiedlungen zum Zweck der Ausbeutung von Bergkristallagern errichtet und besuchen ständig ein paar noch weiter abseits liegende Eilande, wo sie von den Eingeborenen Perlen eintauschen, die dort in seltener Größe und Schönheit gefischt werden. Der Steuermann einer sarambischen Fregatte, mit dem ich bekannt geworden war und der mir viel von seinen Reisen erzählte, zeigte mir eine ganze Anzahl großer und reiner Perlen, wie ich sie in solcher Schönheit noch nicht gesehen hatte und die an den Perlenbänken erwähnter Inseln keine Seltenheit waren. Er machte mir sieben Stück davon zum Geschenk, die ich später in einer asiatischen Stadt um vieles Geld verkaufte.

Kurz vor meiner Abreise in die Heimat hatte König Sevaris beschlossen, eine große Expedition zur gänzlichen Erforschung des Meeres bis zum antarktischen Pol hinauf auszurüsten. Damit diese und ihr Zweck nicht an Nahrungsmangel scheitere, ließ er schon Monate vorher auf den unbewohnten Inseln Vorratshäuser erbauen, in die er eine kleine Besatzung legte. Auch mußten ihm seine Bauleute zerlegbare Hütten errichten, die, mit Öfen und dichten Filzwänden versehen, die Teilnehmer der Reise vor der Kälte auf dem antarktischen Landgebiet schützen sollten. Ich habe leider das Ergebnis dieser großen Forschungsreisen nicht mehr erwarten können, bin aber der festen Meinung, daß sie bei dem Mut, der Tatkraft und Klugheit der Sarambi mit reicher Ausbeute und neuen Kenntnissen über das noch so wenig bekannte Meer, seine noch nicht erforschten Inseln und das Festland um den Pol herum zurückgekehrt ist.

Ich will noch erwähnen, daß der Strom, an dem die Hauptstadt liegt, an seiner Mündung in das Meer beinahe 6 Meilen breit sein soll. Dichte Wälder bedecken sein flaches, sumpfiges Ufergebiet, in denen außer anderen Raubtieren auch mächtige Schlangen hausen sollen, die sogar Menschen überfallen, ins Dickicht schleppen und dort die erdrosselten Körper langsam hinunterwürgen.

Von Sevarinde aus führt zwischen Fluß und Gebirge im rechten Winkel eine prachtvolle Straße, vielleicht die breiteste der Welt, zu dem 7 Wegstunden entfernt liegenden Kriegs- und Handelshafen von Sarambi, den auch ein tief und breit angelegter Kanal mit dem Hauptstrom des Landes verbindet. Gar oft besuchte ich die in mächtigen Formen gegen das Meer anwuchtende Hafenstadt und sah mit heißer Sehnsucht in den Augen über das wogende Meer hin, dessen Fluten vielleicht auch den Strand meiner fernen Heimat beleckten.

 

Nachdem ich nun der Wahrheit getreu erzählt habe, wie dieses seltsame Reich gegründet wurde, seine Einwohner, ihre Sitten und Gebräuche nach bestem Wissen zu schildern versuchte und des guten Glaubens bin, ein möglichst getreues Bild dieses uns noch unbekannten Staates gegeben zu haben, bleibt mir noch übrig, über unseren Aufenthalt daselbst und meine Rückkehr in die Heimat kurz zu berichten.

Ich habe bereits erwähnt, wie wir uns unter Beihilfe der Sarambi ein Gemeinschaftshaus erbauten und dieses, soweit es kein Verstoß gegen die herrschenden Gesetze war, nach unserem europäischen Geschmack einrichten durften. Ich wurde zum Vorsteher dieser neuen Gemeinde ernannt und leitete bis zu meiner Heimreise mit Hilfe der Offiziere Jahre hindurch alles zur Zufriedenheit der Regierung und meiner Gefährten, deren Zahl sich durch viele Geburten stark vermehrt hatte. Denn eine ganze Anzahl von ihnen hatte sich mit der Zeit mit sarambischen Mädchen vermählt.

Merkwürdig war es, wie sehr sich unsere äußere leibliche Gestalt in der Zeit von einigen Jahren verändert hatte. Die Krankheiten, unter denen die meisten von uns in Europa gelitten hatten, verschwanden, blieben aus, wir verjüngten uns, besonders in der ersten Zeit, von Tag zu Tag zusehends, fühlten uns frischer und stärker. Ich maß diese glückliche Veränderung der Nüchternheit und mäßigen Arbeit zu. Auch die völlige Sorglosigkeit, in der in Sarambi alles leben durfte und die weise Verteilung der Vergnügungen mochte dazu beitragen. Keine Sorge um das tägliche Brot drängte sich an uns, der Körper ward nicht gezwungen, bis zur Übermüdung zu arbeiten, reichlicher Schlaf erquickte ihn und machte ihn aufnahmsfähig für die Werke jeglicher Kunst, an denen er sich begeistern und emporziehen konnte.

Wir waren bald vertraut mit den Bürgern der Stadt, die uns auf das liebevollste mit Rat und Tat beistanden und nur gutmütige Spässe über unsere kleine Gestalt, unsere Sprache und unsere ihnen absonderlich vorkommenden Sitten machten. Sobald wir halbwegs ihre Sprache verstanden, lachten wir mit ihnen und jeder von uns hatte sich in Kürze mit einem oder mehreren Sarambis angefreundet. Ich hatte mir sogar die Freundschaft mehrerer hoher Würdenträger verschafft, von denen ich oft besucht und auch zu ihnen eingeladen wurde. Selbst der König ließ mich jedes Jahr zwei-, dreimal zu sich kommen und unsere Unterhaltung währte immer einige Stunden, in denen ich ihm vieles über meine Heimat und die übrigen europäischen Länder erzählen mußte.

Große Trauer verursachte uns der Tod des Herrn De Nuyts, der auf einer Jagd von einem Bären zerrissen wurde.

Unter meinen neuen Freunden befand sich auch ein gewisser Kalchimas, ein weitgereister und hochgebildeter Mann, der mich oft seiner Tafel zuzog. Er hatte die meisten asiatischen Länder gesehen, war aber nicht nach Europa gekommen und freute sich nun, sich mit einem Europäer über diesen Erdteil unterhalten zu können, von dem er auf seinen Reisen und aus Büchern so viel Merkwürdiges erfahren hatte. Ich jagte auch oft mit ihm zusammen, begleitete ihn auf seinen Reisen durch das Land und mit der Zeit konnte einer den andern kaum mehr zwei Tage hintereinander entbehren. Er trug viel dazu bei, meine Sehnsucht nach der Heimat zu dämpfen und mich mit meinem Dasein jahrelang zufrieden zu geben. Aber im fünfzehnten Jahre meines Verweilens in dem fremden Lande wurde mein Heimweh zu einem körperlichen Schmerz, der mich Tag und Nacht peinigte und mir jede Stunde verdüsterte. Ich fühlte mich alt werden und auf einmal kamen mir die Menschen und Dinge meiner Umgebung fremder vor als am ersten Tage meines Verweilens in Sevarinde. Vor meinen Augen zeigte sich die Stadt meiner Geburt wie ein wunderschönes Traumbild, alles Graue, Stinkende, Armselige ihrer engen Gassen war verschwunden und die Habgier, der Neid und knechtische Geist ihrer Bewohner, welche Laster mich einst angeekelt hatten, erschienen mir wie ein böses Märchen.

In meiner Not beichtete ich Kalchimas, meinem Freunde. Durch dessen Vermittlung wurde mir vom König die mich beglückende Erlaubnis zuteil, nach Europa heimkehren zu dürfen. Es begab sich auch, daß um diese Zeit ein Schiff zur Abreise nach Persien rüstete, welches ich benützen wollte, um so schnell als möglich meinen brennendsten Wunsch erfüllt zu sehen.

Freilich brachte mir die Erfüllung dieses Wunsches schweren Kummer, denn ich mußte außer meinen treuen Gefährten und den liebgewonnenen neuen Freunden auch meine Frau und Kinder verlassen, die ich über alles lieb hatte. Doch tröstete ich mich endlich damit daß ich, nachdem ich eine Zeitlang in meiner Heimat geweilt hätte, wieder zurückkehren würde, um meinen Lebensabend in Sevarinde zu beschließen.

Zur selben Zeit, als unser Schiff – der Sohn. meines Freundes wollte mich nach Persien begleiten – im Begriffe war, den Hafen zu verlassen, lagen auch einige Schiffe bereit, die Anker zu lichten, um die geplante Forschungsreise in den antarktischen Ozean auszuführen. Um nun meiner Familie und den Freunden den Abschied zu ersparen, nahm ich mit Wissen des Königs und Kalchimas' zu einer Notlüge die Zuflucht und log ihnen vor, daß ich diese Expedition mitmachen wolle. Nichts ahnend glaubte alles meinen Worten, ich aber mußte mir Gewalt antun, um nicht in Tränen auszubrechen, als mir meine Kinder, die Frauen und die Freunde nur die Hand zum Abschied boten in der Meinung, sie würden mich in wenigen Wochen wieder in ihrer Mitte haben. Es war dies für mich einer der furchtbarsten Augenblicke meines Lebens.

Am Tage unserer Abfahrt war die See sehr still. Es schien mir, als habe die Natur dem Wind verboten, mich dem Lande zu entführen, das mir solange eine zweite glückliche Heimat gewesen war. Galirsten mit hunderten Ruderknechten bemannt mußten uns an 20 Meilen weit in das Meer hinausschleppen, bis die Segel ein wenig Wind zu fassen bekamen. Die Matrosen erzählten mir, daß an dieser Küste entweder Sturm und Unwetter oder Windstille herrsche. Erst am zweiten Tage unserer Abreise erhob sich eine stärkere Südwestbrise, die mehr und mehr an Kraft zunahm und uns ohne Aufenthalt unserem Bestimmungsort an der Küste von Persien zutrieb. Achtundsechzig Tage nach unserer Abfahrt von Sevarinde fuhren wir in die sandige Bucht der persischen Hafenstadt ein. Wehmütig und doch voll froher Erwartungen verließ ich daß Schiff, das letzte Stückchen Boden des sarambischen Reiches und stieg ans Land, um mich mit dem Sohne meines Freundes nach Ispahan, der Hauptstadt Persiens, zu begeben. Hier hielt ich mich zur Erholung einige Tage auf, nahm dann Abschied von meinem jungen Sarambi-Freund, der seiner Studien wegen hier zurückbleiben mußte und schloß mich einer Karawane an. Mit dieser erreichte ich glücklich Smyrna, von welcher Hafenstadt aus mich eine Fregatta der holländischen Kompagnie in die Heimat brachte.

Seither sind wieder Jahre vergangen. Ich sitze am Fenster meiner kleinen Stube, das mir den freien Blick auf den Amsterdamer Hafen schenkt. Krank bin ich, kaum noch im stande, die Füße zu bewegen und darum muß ich hier bleiben, in der grauen, schmutzigen Stadt mit ihren kleinlich denkenden, neiderfüllten, armseligen Menschen und kann nicht zurückkehren in die Heimat meines Herzens, nach Sevarinde, zu meinen Kindern. Fremde Leute bedienen mich mit kalten Gesichtern und lieblosen Händen, für Geld, und wenn ich ihnen von dem Reiche Sarambi erzählen will, um mir das Herz ein wenig zu erleichtern, lächeln sie spöttisch und nennen mich einen Märchenonkel.

Manchmal laß ich mich zum Strand hinuntertragen und streichle mit den zittrigen Fingern die kleinen Wellen. Dann spüre ich den Duft der sarambischen Gärten, höre der Sonnenanbeter wundersame Tempelmusik und mir ist, als säße ich mitten unter meinen glücklicheren Gefährten in der kühlen marmornen Halle meines Gemeinschaftshauses in Sevarinde und streichle meinen Kindern einem nach dem anderen über das braune Seidenhaar. Aber da schrecken mich die wilden Rufe betrunkener Matrosen aus meinem Traum. Schmutz und Kläglichkeit der Häuser stürzt in meine erwachten Augen, häßliches Schreien, Menschengebrüll, Laute der Gier, des Zornes und des Hasses in meine Ohren. Tränen steigen brennend in mir auf und mit umflortem Blick die ewige Sonne hinter dem Nebel suchend, wünsche ich mir den Tod.

 

Ende


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