Alfons Petzold
Sevarinde
Alfons Petzold

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Sevaros Wiege stand in Persien, dem Lande der Feuer- und Sonnenanbeter. Seine Familie, Nachkommen eines alten persischen Fürstengeschlechtes, war dem Glauben der Ahnen auch unter mohammedanischer Herrschaft treu geblieben und hatte wegen ihrer Standhaftigkeit viele Verfolgungen zu erdulden. Sein Vater, dessen ältester Sohn er war, nahm die Stelle eines Großpriesters der Sonne ein und wohnte in einer von den Türken halbzerstörten Stadt am persischen Meerbusen.

Bis zu seinem sechsten Lebensjahre in der Obhut der Frauen, wurde Sevaro, der schon als Kind Zeichen eines scharfen Verstandes aufwies, von seinem Vater erzogen und von diesem wegen seiner Weisheit selbst bei den Türken berühmtem Manne, in die Geheimnisse der uralten Parsenreligion, der Sterndeutekunst und anderer vornehmlich von den Persern gepflegten Wissenschaften eingeweiht. Da Sevaro nun mit Leichtigkeit lernte, beschloß der Vater, ihm nicht nur die Weisheit seines Volkes zu erschließen, sondern ihn auch von einem seiner Sklaven, einem Italiener namens Giovanni, nach europäischer Art erziehen zu lassen.

Dieser eignete sich vortrefflich dazu. Er war wohl ein Christ, aber ein sehr tugendhafter und wohlgebildeter Mann, der schon viele Beweise seiner Treue gegeben hatte und die Muhamedaner nicht minder verabscheute als sein Herr, der parsische Hohepriester. Sein Wissen hatte er sich an den Hochschulen zu Paris und Padua angeeignet und war vor vier Jahren in die Gefangenschaft von Seeräubern geraten, die ihn an seinen jetzigen Herrn verkauft hatten, der ihn mehr wie einen Freund, als einen Sklaven, behandelte.

Giovanni, gerührt über das Vertrauen des Priesters, der ihn zum Hofmeister seines von ihm über alles geliebten Sohnes berief, war nun mit allem Eifer dabei, sein Wissen dem fleißigen Schüler zu übermitteln, der auch zu seiner und des Vaters großer Freude in allen Fächern, in denen er von dem Italiener unterrichtet wurde, erstaunliche Fortschritte machte.

Als Sevaro 16 Jahre zählte, beherrschte er außer dem Wissen seines Volkes die lateinische, griechische, französische und italienische Sprache vollkommen, kannte die Philosophen der Alten und hatte sogar mit Erlaubnis seines Vaters an der Hand seines Lehrmeisters die heiligen Bücher unserer christlichen Religion gelesen. Auch er war in allen freien Künsten bewandert und sprach darüber manches kluge Wort. Dabei war er ein ausgezeichneter Reiter geworden, stellte in jeder sonstigen Leibesübung seinen Mann und wußte mit allen Waffen meisterlich umzugehen. Er war dazu wohlgewachsen, rank von Leibe, hatte ein schönes und edles Gesicht und seine Freundlichkeit und Güte schuf ihm viele Freunde.

Indes war die Unterdrückung der ihrer Religion treu gebliebenen Parsen durch die Türken immer ärger geworden. Jene durften ihren Gottesdienst nur mehr ganz geheim abhalten und schon waren Fälle vorgekommen, wo strenggläubige Parsen von mohammedanischen Fanatikern gemartert und ermordet worden waren, ohne daß der Statthalter des Sultans die Schuldigen bestraft hätte. Es war deshalb nicht zu verwundern, daß ein Aufstand ausbrach, der aber von den Türken auf das grausamste unterdrückt wurde. Das Blut der unglücklichen Parsen floß in Strömen und als endlich die Türken ihre Rachelust gekühlt hatten, forderten sie von den vornehmsten Parsen die Söhne und Töchter als Geiseln, die in die Sklaverei nach Konstantinopel geschickt werden sollten.

Auch Sevaro sollte einer der Geiseln sein, doch der alte Hohepriester war nicht Willens, ihn diesem furchtbaren Schicksal zu überantworten und beschloß die Flucht seines Sohnes. Er ließ den treuen Giovanni vor sich kommen und sprach:

»Ihr habt meinen Sohn, diesen jungen Baum, bisher auf das treueste behütet und großgezogen. Nun aber seht Ihr die reichen Früchte, die er zu tragen begonnen hat, von den unbarmherzigen Feinden meines und Eueres Glaubens bedroht. Nur schleunigste Flucht kann ihn retten und ich bitte Euch, ihm auf dieser der gleiche treue Begleiter zu sein, wie Ihr es ihm auf den oft so steinigen Wegen der Weisheit gewesen seid. Ich habe schon alle Anstalten getroffen, die zu Euerer glücklichen Flucht notwendig sind. Der ewige Feuergott wird Eure Straßen segnen und die Augen unsere Feinde blenden.«

Mit Tränen der Rührung in den Augen hatte Giovanni den ehrwürdigen Greis angehört. Nun fiel er vor ihm nieder, küßte seine Hände, dankte für das große Vertrauen und schwur ihm, Sevaro wie den eigenen Augapfel zu behüten.

Sevaro weigerte sich zuerst, seinen alten Vater zu verlassen, da aber dieser darauf bestand, folgte er mit schwerem Herzen und verließ mit Giovanni, beide bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, das Haus seiner Väter und sie erreichten glücklich die nächste Hafenstadt, wo ein italienischer Schnellsegler sie aufnahm.

Auch Sevaros Vater flüchtete vor dem Zorn der türkischen Häscher, aber alt und gebrechlich wie er war, konnte er den Aufregungen und Beschwerden des unsteten Flüchtlingslebens nicht genug Widerstand leisten. Er erkrankte schwer und starb in den Armen seines treuen Dieners. Vor dem Tode übergab er die Urkunden seines königlichen Geschlechtes und die Abzeichen seiner Würde dem in seiner Nähe weilenden Stiefsohn, der um vier Jahre jünger war als Sevaros.

Indes war diesem und seinem Begleiter das Reiseglück untreu geworden. Kaum einige Tage auf hoher See von Seeräubern überfallen, wurden zu ihrem unermeßlichen Leide die beiden Flüchtlinge von einander getrennt, Giovanni wurde nach Asien gebracht und Sevaros an einen neapolitanischen Kaufherrn verkauft. Bei diesem Kaufmann wurde ein sizilianischer Edelmann auf den jungen, so vornehm aussehenden Sklaven aufmerksam und erhandelte ihn, um ihn seinem Neffen als Hausgenossen zu bringen. Die beiden fanden viel Gefallen aneinander. Der junge Edelmann, eine Doppelwaise, hing bald in großer Liebe an Sevaro, der wegen seiner umfassenden Bildung überall Aufmerksamkeit erregte.

Schon über Jahr und Tag der Heimat ferne, traf er einmal persische Kaufleute, die ihn durch die Mitteilung von dem Tode seines Vaters in tiefe Traurigkeit stürzten. Sie erzählten ihm dann noch, daß der alte Sultan gestorben sei, unter dem neuen aber die Verfolgung der Andersgläubigen aufgehört und eine milde Regierungsweise eingesetzt hätte. Auf diese Kunde hin schiffte er sich sofort nach Persien ein. Nun begab es sich, daß er auf dem Schiffe einen Matrosen traf, der mit ihm und Giovanni auf dem von den Seeräubern gekaperten Schnellsegler gewesen war, sich später der Sklaverei durch eine kühne Flucht entzogen hatte und dem jungen Parsen eine Stadt in Ägypten als den jetzigen Aufenthaltsort von dessen Hofmeister angab. Sofort änderte Sevaro seinen Reiseplan und fuhr nach Ägypten, wo er zu seiner unaussprechlichen Freude die Angabe des Matrosen bestätigt sah und Giovanni als Sklaven eines Kamelzüchters vorfand. Er kaufte ihn sofort los und begab sich mit dem erlösten Freunde, der sich nicht mehr von ihm trennen wollte, zuerst nach Griechenland und dann, um der Traurigkeit über den Tod des geliebten Vaters Herr zu werden, nach Indien, dessen uralte Weltweisheit er an der Quelle studieren wollte. Vorher hatte er Giovanni zu seinem Bruder in die Heimat geschickt, um diesen von seinem Wohlbefinden Kunde zu geben und ihn um Geld für die große Reise zu bitten.

Nun zog er beinahe drei Jahre mit Giovanni in Indien und China herum, erlebte die seltsamsten und gefahrvollsten Abenteuer, saß zu Füßen der großen Brahminen und Buddhapriester, las die tausende Jahre alten Bücher, lernte die geheimen Lehren mächtiger Religionen kennen, ward umgeben von der magischen Pracht der Höfe des Großmoguls und seiner Fürsten und jeden Tag enträtselten sich ihm mehr die Geheimnisse der Natur und des Lebens. So erlangte er die Weisheit, deren spätere Auswirkung ihn so mächtig und sein Volk so glücklich machte.

 

Sevaro, in sein Vaterland zurückgekehrt, nahm aus den Händen des Stiefbruders sein von diesem während seiner Abwesenheit verwaltetes väterliches Erbteil und wurde von den Parsen zu ihrem Oberpriester gewählt. Als solcher überstrahlte er an Macht und Ansehen in kurzer Zeit die meisten seiner Vorgänger. Das Volk lief ihm in Haufen zu und pries mit lautem Munde sein Wissen, seine Güte und Redlichkeit. Von allen Ecken und Enden wallten die Parsi zu dem Sitz des neuen Oberpriesters der Sonne, baten ihm um Rat in allen möglichen Dingen, legten ihm die verwirrtesten Streitfälle zur Schlichtung vor, während ihm die Kranken ihre bresthaften Leiber zuschleppten, die er heilen sollte. Und niemand ging ungetröstet von seiner Türe, die Urteile, die er fällte, wurden berühmt wie die Salomons und die Bresthaften fanden Heilung und Linderung unter seinen glücklichen Händen. Für ihn gab es keine Ruhe, Tag und Nacht gab er sich dem Dienste der Gottheit und seines Volkes hin und selbst die wenigen Stunden seiner Erholung füllte er mit der Suche nach noch größerem Wissen, als er schon besaß, aus. Er lud Weise aus fremden Ländern und anderen Religionen angehörend ein, mit ihm und seinen Unterpriestern zu disputieren, führte unbekannte Gewerbe in seiner Heimat ein, ließ Künstler aus Italien und Indien kommen und jeder Wanderer, der ferne Gebiete, unbekannte Erdteile durchstreift hatte, war sein Gast und wenn es auch ein Bettler oder Aussätziger war.

Eines Tages wurde ihm ein Seemann gebracht, der behauptete, auf seiner letzten Reise Schiffbruch erlitten zu haben und zwar an der Küste eines Landes, das im Süden des Weltenmeeres liegen sollte, wo man bisher kein Land vermutet hatte. Der Seemann erzählte weiter, daß er und seine mit ihm geretteten Gefährten auf Männer und Frauen von riesenhafter, aber sonst wohlgebildeter Gestalt gestoßen wären, die sie mit Zeichen freundlichst willkommen geheißen und ihnen für die ganze Zeit ihres unfreiwilligen Aufenthaltes Lebensmittel und Behausung verschafft hätten. Das Volk wohne in Rindenhütten, gehe zumeist nackt und lebe vorzüglich von der Jagd, der man mit Pfeilbögen und Keulen nachgehe. Als besondere Seltsamkeit, die dem Oberpriester viel zu denken gab. erzählte der Matrose noch, daß diese Wilden, gleich den Parsis, die Sonne anbeteten und mit einem Nachbarvolk einen blutigen Krieg führen mußten, weil dieses ihnen eine ketzerische Art des Sonnenglaubens aufdrängen wollte.

Nach langen Besprechungen mit dem Seemann, der die Wahrheit seines Berichtes feierlichst beschwor und außerdem einen glaubwürdigen Eindruck auf Sevaros und seine Räte machte, beschloß dieser, eine Expedition von drei Schiffen nach diesem geheimnisvollen Südland auszurüsten, deren Führung er selbst übernahm.

Mit einer großen Anzahl tüchtiger Seeleute und gut bewaffneter Krieger seines Volkes verließ er die Heimat und gelangte nach einer langen sturmreichen Fahrt immer in der Richtung nach Süden, glücklich an eine langgestreckte Küste, die der als Führer mitgenommene Seemann als diejenige erkannte, wo sein Schiff gestrandet war. An einer vorteilhaften Stelle warfen sie Anker. Doch ehe er selbst ans Land stieg, schickte er den Seemann, der von seinem Aufenthalte her etwas die Sprache der Wilden kannte, mit einigen unbewaffneten Leuten, die Geschenke trugen, zu den Eingeborenen und befahl ihm als Botschaft an diese auszurichten, daß ein treuer Diener der ewigen Sonne an ihre Küste gekommen sei, um ihnen im Kampfe gegen ihre ungläubigen Feinde mit seinen tapferen Kriegern beizustehen. Seine Schar wäre nicht groß, aber mit den Blitzen des zornigen Himmels – damit meinte er die Feuerwaffen – bewaffnet, gegen die es keinen Widerstand gebe.

Die Abgesandten wurden von den Eingeborenen freundlich empfangen und die Botschaft Sevaros an sie hatte den Erfolg, daß sie sofort an das Ufer strömten, zum Zeichen ihrer friedlichen Gesinnung mit Baumzweigen winkten und die Schiffe mit freudigen Zurufen in ihrer Sprache begrüßten. Auch brachten ihre Weiber, die, nicht so stark gebräunt wie die Männer, schöne Formen und edle Gesichtszüge zeigten, Früchte und Speisen aller Art in Menge an das Ufer und bedeuteten der Schiffsmannschaft mit Handbewegungen, sie möge sich dieser guten Sachen bedienen. Das Hauptschiff wurde durch einen Steg mit dem Lande verbunden und es begaben sich nun mehrere Häuptlinge der Eingeborenen zu Sevaro, dem sie kunstvoll geschnitzte Keulen, Lanzen und köstliche Früchte als Geschenke überbrachten. Sie verwunderten sich nicht wenig über die Größe und Einrichtung des Schiffes, besonders die blanken Kanonen machten auf sie einen tiefen Eindruck und als sie von deren Zweck und Wirkung von dem Dolmetsch unterrichtet wurden, wollten sie abergläubisch vor den Geschützen niederknien, da sie in ihnen die Wohnstätten kleinerer Feuergottheiten zu sehen glaubten.

Nach diesem Empfang, dem eine reichliche Bewirtung der Häuptlinge folgte, gaben diese den Steuerleuten einen geeigneten Hafenplatz an, wo die Schiffe geschützt vor Sturm und Brandung vor Anker gehen konnten. Es war dies an der Stelle, wo wir Schiffbrüchigen vom »goldenen Drachen« unsere zweite Lagerstadt errichtet hatten. Aus Vorsicht, da er noch nicht wußte, ob den so harmlos sich gebenden Wilden auch vollständig zu trauen war, ließ er auf dem festen Lande noch kein Lager aufschlagen, sondern verblieb vorderhand mit seinen Leuten noch auf seinen sicheren Schiffen, auf denen er in den nächsten Tagen viele andere Häuptlinge empfing, die auf die Kunde von der Ankunft des fremden, mächtigen Sonnenpriesters neugierig herbeigeeilt waren. Klug, wie er war, versäumte er nicht, ihnen nebst seiner Gastfreundschaft und Freigebigkeit auch seine Macht zu beweisen, zu welchem Zwecke er vor ihnen seine Musketen und Kanonen abschießen ließ. Als sie das erste Mal den Donner der Schüsse hörten, fielen sie in furchtbarem Schrecken platt auf die Erde nieder und nur nach vielem Zureden wagten sie wieder aufzustehen. Von da ab betrachteten sie Sevaro als einen Abgesandten der Sonne selbst und bezeugten ihm göttliche Verehrung.

Er selbst begann mit Hilfe des Dolmetsches ihre Sprache zu studieren, versuchte ihre Sitten und Gebräuche verstehen zu lernen und vor allem war es ihm darum zu tun, ihr Vertrauen zu gewinnen, was ihm auch in kurzer Zeit gelang. Denn sie waren gutmütig und offenherzig wie Kinder, konnten sich unbändig über eine Glasperle oder ein buntes Band freuen und weihten Sevaro in alle ihre Lebensgewohnheiten ein, die wohl die einfachsten von der Welt waren. Sie lebten in Stämme gesondert, hatten aber einen gemeinsamen Kriegshäuptling, dem sie ihre starken Jünglinge sandten. Kleidung trugen sie nur in der feuchten Jahreszeit und diese bestand in einem einfachen Fellüberwurf, sonst gingen sie nackt. Ihre Nahrung war das Fleisch jagdbarer Tiere, besonders einer großen Hirschart, dann wildwachsende Baumfrüchte und eine Knollenfrucht, die ihre Frauen anbauten und die das Brot ersetzte. Sie beteten in der einfachsten Weise die Sonne als Schöpferin alles Lebens an und opferten ihr die Erstlinge der Früchte und junge, lebend eingefangene Tiere. Sie hatten unter den Einfall kriegerischer Nachbarn viel zu leiden, gegen deren Grausamkeit sie sich kaum wehren konnten, da diese in großer Überzahl waren. Viele von ihnen, besonders Frauen und Kinder, waren schon in die Sklaverei verschleppt worden. Sie wehrten sich jedesmal auf das tapferste, doch sahen die einsichtigen Stammeshäuptlinge mit Schmerz und Schrecken die völlige Unterjochung ihres Volkes in absehbarer Zeit voraus, wenn die göttliche Mutter Sonne sich ihrer Lieblingskinder nicht erbarmte und dem mächtigen Feind Verderben schickte.

Dieses Wunder war nun trotz aller kleinlichen Zweifler im Begriff sich zu vollziehen. Von einem fernen Reiche, vielleicht vom strahlenden Himmel selbst, war der oberste Priester der hilfreichen Sonne selbst gekommen, um ihnen mit seinen gewaltig bewaffneten Kriegern, die zwar seltsamer Weise viel kleiner waren als sie, mit seinen in blitzenden Röhren wohnenden Feuergeistern, mit seiner Klugheit im Kampfe gegen den Erzfeind beizustehen, der gerade jetzt wieder, wie die Späher meldeten, einen Überfall plante. Dieser kam Sevaro nicht ungelegen, gab er ihm doch Gelegenheit, seine Macht den Eingeborenen zu beweisen. Rasch besprach er sich mit dem Kriegshäuptling und seinen Nebenhäuptlingen, die ihm gerne die Führung in dem bevorstehenden Kampfe überließen und ihm mit ihren Kriegsleuten Treue und Gehorsam gelobten. Nun war sein Erstes, daß er das Gebiet kennen lernte, von dem der Einbruch des Feindes zumeist erfolgte. Er fand daselbst eine Bergkette als natürliche Grenze vor, deren wenige Felsenpässe sich leicht befestigen ließen, besonders mit Hilfe einiger leichter Feldschlangen, die er in Felsenwinkeln aufstellte, von wo aus sie die Paßwege gut bestreichen konnten. Auch mußten die Eingeborenen im mächtigem Umkreis Schanzen auswerfen, die er mit dem Rest seiner Kanonen bestückte und mit einer dünnen Kette eingeborener Bogenschützen und Keulenschleuderer besetzte. Er selbst legte sich mit zweihundert von seinen sechshundert persischen Kriegern, die alle mit Musketen, krummen Schwertern und Dolchen bewaffnet waren, in einem Walde, in dessen Dickicht die breiteste Paßstraße mündete, in den Hinterhalt, nachdem er vorher einem Heerhaufen Paramben, so nannten sich seine neuen Freunde, befohlen hatte, den Feind aufzusuchen und langsam kämpfend zurückweichend in die ihm gestellte Falle zu locken.

Als nun die Karamen, diesen Namen führte das mächtige Volk der Feinde, der Paramben ansichtig wurden, waren sie über deren Kühnheit so verblüfft und ihrer Übermacht so sicher, daß sie jede Vorsicht außer acht ließen und in gewaltiger Zahl dem sich zurückziehenden Gegner nachstürmten. Ihr Kriegskönig frohlockte, denn diesmal schien es ihm sicher, das kleine aber fruchtbare Küstenreich unterjochen zu können. Der größere Teil ihres Heeres folgte mit Siegesgeschrei den weichenden Paramben in den Hauptpaß nach, den Sevaro sie bis zum letzten Mann durchschreiten ließ; als sie sich aber in dem Wald befanden, fiel er mit Schuß und Stoß über sie her, hunderte Schüsse krachten und eben so viel Karamen wälzten sich sterbend am Boden. Die Überlebenden packte panischer Schrecken. Sie glaubten die Paramben im Bunde mit den furchtbaren Geistern des glühenden Erdinnern und flohen Hals über Kopf zurück. Nun aber begannen die in den Felsschlünden an den Seiten des Passes versteckten Stückmeister ihre Arbeit und schossen ihre Feldschlangen in die Massen der Fliehenden ab, von denen nur wenige in die heimatlichen Dörfer zurückkehrten, wo sie beinahe sprachlos die Vernichtung ihrer stolzen Heersäulen verkündeten, denn auch den übrigen Teilen ihrer Kriegsmacht war es bei den anderen Gebirgsübergängen nicht besser ergangen. Nach dieser, für die übermütigen Feinde so verderblichen Schlacht, die den Paramben außer vielen Gefangenen und erbeuteten Waffen und Schätzen aller Art auch die Befreiung von der ewigen Bedrohung ihrer Freiheit brachte, versammelten sich ihre Vornehmsten, um Sevaro den Dank des Volkes abzustatten. Er nahm diesen und die Bezeugung ihrer Ergebenheit auf das bescheidenste entgegen und antwortete ihnen, daß sie nicht ihm, sondern dem allmächtigen Geist des Lichtes zu danken hätten. Diesem sollten sie ein feierliches Opfer bringen, der Größe seiner Hilfe angepaßt.

Da machten sich die Paramben mit Freude daran, mitten auf dem Schlachtfelde einen mächtigen Altar zu erbauen. Als dieser fertig war, zog Sevaro seinen prunkvollsten Priesterornat an, in dessen strahlender Pracht er aussah als wäre er der Sonne entstiegen, opferte unter feierlichen Zeremonien Waffen und Feldfrüchte, während eine gewaltige Menge Volkes in tiefster Andacht rundum auf den Knien lag und dem goldenen Gestirn für seine Rettung dankte.

Die Paramben wollte ihre Dankbarkeit gegen Sevaro bezeugen, indem sie ihm die Kunde überbrachten, sie hätten ihn mit begeisterter Zustimmung zum ständigen obersten Kriegshäuptling erwählt und baten ihn, bei ihnen zu bleiben. Da dieser Antrag seinen geheimen Plänen entgegenkam, nahm er ihn an und gab nun sofort Befehl zur Errichtung eines festen Lagers nach Art einer persischen Stadt. Gleichzeitig sendete er zwei Schiffe unter der Führung Giovannis in seine Heimat zurück. Dieser sollte an die rechtgläubigen Parsen die Umfrage ergehen lassen, wer gewillt sei, ihm nach diesem gesegneten Sonnenland zu folgen, um hier, frei von jeder Unterdrückung, eine neue Heimat zu gründen. Er legte ihm dabei das größte Stillschweigen gegen Andersgläubige und Unzuverlässige auf, damit die Lage und der Reichtum des Landes nur den Parsen, die hierher kämen, bekannt werde.

In Sevaros Plan war es nicht gelegen, die so fürchterlich geschlagenen Karamen wieder zu Atem kommen zu lassen. Mit einem gut ausgerüsteten Parambenheere, verstärkt durch seine Musketiere und Feldschlangen, überquerte er das Gebirge und drang in das flache Land des Feindes ein. Die Karamen hatten sich von ihrem ersten Entsetzen erholt und, von mutigen Häuptlingen gesammelt, stellten sie sich wieder in gewaltiger, dem Heere des Sevaro weit überlegener Zahl zum Kampfe. Wieder entbrannte eine wütende Schlacht, die Tag und Nacht dauerte und in der auf beiden Seiten Wunder der Tapferkeit verrichtet wurden. Aber die wilde Kampffreude und Übermacht der Karamen wurde zunichte vor dem niederschmetternden Feuer der Musketen und Feldschlangen. Auch dünkten sich die Paramben unter Führung des in einer silbernen Rüstung an ihrer Spitze kämpfenden Oberpriesters unüberwindlich und griffen mit rasender Wut den Feind an, bis dieser in kopfloser Flucht auf der ganzen Linie die Schlacht aufgab. Nach diesem gewaltigen Siege ergaben sich alle in der Niederung nahe der Grenze wohnenden Karamen bedingungslos dem Sieger und seinen Scharen. Es war ihnen nach dieser zweiten verlorenen Schlacht zur Gewißheit geworden, daß Sevaro mit seinen entsetzlichen Feuerrohren ein Abgesandter des Himmels war, gegen den noch weiter zu kämpfen ein Irrsinn gewesen wäre. Die meisten von ihnen aber flohen, die Rache der Paramben fürchtend, in die dichten Wälder. So zog Sevaro, ohne auf weiteren Widerstand zu stoßen, bis in die Mitte des feindlichen Reiches und kam an die Gabelung der zwei mächtigen Flüsse, wo heute Sevarinde, die prächtige Stadt, ihre Marmortürme erhebt. Die Gegend gefiel ihm so gut, daß er beschloß, hier für die nächste Zeit ein befestigtes Lager zu errichten, von dem aus er die besiegten Karamen durch Unterhändler gewinnen und zu einem gütlichen Frieden überreden lassen wollte. Da er, um zu diesem Zweck zu gelangen, alle Gefangenen, die er bisher auf das freundlichste behandelt hatte, entließ, kamen ihm die Karamen selbst mit der demütigen Bitte, mit ihm einem glimpflichen Frieden abschließen zu dürfen, entgegen. Er nahm ihre Abgesandten wohlwollend auf und legte ihnen so leichte Bedingungen auf, wie sie sich diese nur wünschen konnten. Sie wurden nur zu einer Schätzung von Brotfrüchten und anderen Nahrungsmitteln für die nicht allzugroße Besatzung des Lagers verurteilt. Die Karamben, froh über die milde Behandlung und erstaunt über Sevaros Milde, brachten der guten Dinge so viele in das Lager und zeigten eine solche Unterwürfigkeit, daß zwischen den ehemaligen Feinden bald das beste Einvernehmen herrschte.

 

Mehrere Wochen nach diesem Friedensschluß kehrte Giovanni von seiner Reise nach Persien zurück. Seine Werbung hatte guten Erfolg gehabt, denn er führte seinem Herrn an 1000 Parsen, lauter kräftige gesunde Menschen zu und brachte eine Menge Waffen und andere notwendige Gegenstände mit. Da nun Sevaro wieder einen, ihm bis in den Tod getreuen Menschen neben sich wußte, faßte er den Entschluß, mit eigenen Augen den Zustand des Hinterlandes und seiner Eingeborenen zu erkunden. Er ließ deshalb Giovanni als Befehlshaber des Lagers zurück und drang mit einer kleinen Schar auserwählter Leute bis an die 10 Meilen in das Innere vor. Er fand ein äußerst fruchtbares, zumeist ebenes, mit herrlichen Wäldern bedecktes Gebiet vor, in dem die Eingeborenen in Laubhütten und Zelten zu größeren und kleineren Dörfern vereint ein sorgenloses Dasein führten, da ihnen die hier unerschöpfliche Natur alles gab, was sie zum Leben benötigten. Das Klima war zumeist von einer wundersamen warmen Milde, allenthalben gab es das herrlichste Süßwasser und die Erde war, ohne gepflegt zu werden, von einer unerhörten Gebefreudigkeit. Dazu gab es jegliches Wild in Hülle und Fülle und das Auge konnte sich an den mannigfaltigsten Landschaftsbildern erfreuen.

Als Sevaro wieder heim ins Lager kehrte, war es bei ihm eine beschlossene Sache, sich und den Parsen hier ein neues Reich der Sonne zu gründen. Seine erste Sorge war nun, das Lager in eine Stadt mit festen Mauern und elementesicheren Häusern umzuwandeln. Darum redete er eines Morgens nach dem Opferdienst die Paramben folgendermaßen an:

»Paramben! Als der Opferrauch breit und dicht zur ewigen Sonne emporstieg, verkündigte sie mir mit tausend feurigen Zungen ihren Wunsch, in diesem Lande einen steinernen Tempel zu besitzen, wie ihrer gar viele in meiner Heimat dem Gottesgestirn zu Ehren errichtet sind. Wenn Ihr nun diesem göttlichen Befehl mit Eifer und Liebe nachkommen wollt, so wird sie von nun an all Euer Tun segnen mit vielfacher Gnade.

Die andächtig Zuhörenden gaben durch lautes Rufen ihre Bereitwilligkeit, stets mit all ihren Kräften an dem Bau des Tempels mitzuwirken, kund. Der Oberpriester ließ nun von Fachleuten, die aus Persien mitgekommen waren, im Lande nach Steingruben suchen, von denen auch eine Anzahl mit mächtigen Marmorlagern gefunden wurde. Ein solches Lager aus blendend weißem Marmor entdeckte man unter anderem gleich neben dem Lagerplatz des Heeres, an dessen Stelle Sevaro die Erbauung der Stadt plante. Tausende Werkleute waren nun unter der Leitung eines persischen Baumeisters tätig, in der Mitte der Halbinsel einen herrlichen Tempel und um diesen schöne Häuser für die Unterpriester und für öffentliche Zwecke, wie Ratsversammlungen, Gerichtshaltung, Verspeicherung der Nahrungsmittel zu errichten.

Doch gab sich Sevaro mit dem Bau dieser Häuser nicht zufrieden, sondern schenkte vielfachen Dingen seine nimmer ruhende Fürsorge. So war es ihm vor allem darum zu tun, die Gebiete durch gute Straßen zu verbinden. Besonders die Pässe des Grenzgebirges gegen das Meer zu ließ er erweitern und schützte ihre Sicherheit durch steinerne Wachtürme. Sodann mußten persische Bauern die Paramben und Karamen in der Urbarmachung des Bodens, im Pflügen und im Aussäen der verschiedenen Getreidearten unterweisen. Auch gab er Befehl zum Bau größerer und kleinerer Schiffe, ließ Wasserleitungen anlegen, die wilden Obstbäume veredeln. Wo ehemals Wälder und Unkraut wucherten, entstanden unter seiner Leitung Gärten und aus weitester Ferne kamen die Paramben und Karamen, die jetzt jede Feindschaft begraben hatten, um den Zauberer aus dem geheimnisvollen Sonnenlande, von dem so viel gute Kunde herumging, zu sehen. Die meisten von ihnen kehrten nicht mehr in ihre Heimat zurück, sondern baten den Perser, in seiner Nähe bleiben und an dem allgemeinen Werk mitarbeiten zu dürfen. Auch von Persien, mit dem Sevaro unter Leitung des schlauen, verschwiegenen Giovanni jahrelang eine geheime Schiffsverbindung unterhielt, kamen fortwährend persische Bauern, Handwerker und Künstler in das Südland, wo sie schon in ihrem Nationalstolz ein neues persisches Reich erstehen sahen, mit der doppelten Glorie des versunkenen umgeben. Diese Parsen wandten ihren ganzen Fleiß, ihr höchstes Können auf, um der neuen Heimat, die von Natur aus schon ein Paradies war, Reichtum, Schönheit und Größe zu verleihen.

Unterdessen waren die Mauern des Tempels und der paar Gebäude um ihn immer höher geworden, einige von diesen waren schon bedacht und zeigten sich in ihrem Ornamentenschmuck und den riesigen weißen Marmorwänden und Türmen gar herrlich und eindrucksvoll den staunenden Gemütern der Eingeborenen. Sevaro arbeitete nun einen Entwurf des Stadtplanes aus, gleichzeitig entwarf er die Form und die hauptsächlichsten Gesetze der Regierung, die er in Kürze aufrichten wollte. Denn seitdem er, so weit es ihm nur möglich gewesen, das Land der Paramben und Karamen durchforschte, deren Sitten und Gebräuche, ihre guten Eigenschaften, wie Gutmütigkeit, Edelmut, leichte Auffassungsgabe genau kennen gelernt hatte, sah er die Aufgabe seines Lebens darin, für sie ein neues mächtiges Reich der Sonne, mit sich als König an der Spitze, zu errichten. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß ihm dies ohne große Schwierigkeiten gelingen werde. Sein Ansehen, begründet durch die zwei gewonnenen Schlachten, war noch fortwährend gestiegen. Seine glücklichen Medizinkuren, die weisen Urteile, die er fällte, seine kühnen Bauten, die seltsamen Instrumente, mit denen er hantierte, hatten die Anschauung des Volkes, daß er ein Abgesandter der Sonne sei und über unirdische Kräfte verfüge, zu festem Glauben umgewandelt. Und er tat alles, was dazu angetan schien, sich dem Volke angenehm zu machen. So war er auch unter anderem, obzwar er schon eine Frau und Kinder besaß, die er hatte nach dem Südland kommen lassen, zwei Ehen mit den Töchtern eines parambischen und karamischen Edlen eingegangen, deren weitverbreitete und mächtige Familien er nun ganz auf seiner Seite hatte. Auch konnte er sich auf die Treue und Ergebenheit des von ihm aufgestellten und sich von Tag zu Tag vergrößernden Heeres verlassen, dessen Unteranführer und Lehrer Perser waren. Aber er ließ sich gute Zeit, wollte nicht übereilt handeln und sah mit Vorsicht die Dinge reifen, die er zur Ausführung seines großen Planes brauchte und gab sich einstweilen alle Mühe, das Volk, das er beherrschen wollte, in all seinem Treiben kennen zu lernen.

Karamen und Paramben gehörten einer Rasse an und zeichneten sich alle, wie schon erwähnt, durch einen riesenhaften Wuchs aus. Ihre Moral war eine ziemlich hochstehende, Diebstahl, gemeiner Mord, Ehebruch – es herrschte Vielweiberei – wurden auf das härteste bestraft. Dagegen bestand die Unsitte der allernächsten Verwandtenehe und Kindersklaverei, die abzuschaffen sich Sevaro auf das Ernsteste vornahm. Zwischen den einzelnen Gemeinden gab es, außer in Kriegszeiten, keinen Verkehr, nicht einmal zu den großen Festen der Sonne, und es war nicht gestattet, ein Weib aus einem anderen Dorfe zu heiraten. Nur die gewählten Ältesten kamen viermal im Jahre um Mitternacht an einem bestimmten Ort zu einer Beratung zusammen. Da wurde immer auf drei Monde der Kriegshäuptling gewählt und die Kopfzahl des Volkes bekannt gegeben. Die Paramben hatten an 300.000 Köpfe, die der Karamen zählten an 400.000. Ihre Sprache klang sehr weich und harmonisch, nur hatte sie nicht viele Worte und noch weniger Schriftzeichen. Von Kunst kannten sie nur die Holzschnitzerei und einer Art Flöte entlockten sie einfache Melodien, zu denen sie einen Reigen tanzten.

Alle Männer waren vorzügliche Läufer und treffliche Bogenschützen und Keulenwerfer. Sie jagten am liebsten einen großen Hirsch und ein weißgrau gefärbtes Kamel, dessen Jagd Sevaro später verbot, um es einfangen und für Zug- und Reitdienste abrichten zu lassen. Pferde, Schafe, Kühe, die der Oberpriester in Persien einkaufen und herüberbringen ließ, waren ihnen unbekannt, ebenso unsere Geflügelarten,

Sevaro sah von Tag zu Tag mehr ein, daß aus diesem prächtigen Menschenstamm mit Hilfe der Kultur ein mächtiges und glückliches Reich zu gründen sei und freute sich von ganzem Herzen über sein Schicksal, der Gründer dieses Reiches zu werden.

 


 << zurück weiter >>